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Dieser da ist euer neuer König

Als Korak von der Jagd heimkehrte, hörte er schon von weitem das Kreischen und Plärren aufgeregter Kletteräffchen; er wußte sofort, daß da irgend etwas nicht in Ordnung war. Vielleicht hatte Histah, die Schlange, einen unachtsamen Manu heimtückisch umgarnt? Der Junge schlug eine schärfere Gangart an. Die Äffchen waren Meriems Freunde, er mußte ihnen helfen, wenn es noch irgend möglich war. Immer rascher eilte er auf halber Höhe der Bäume dahin; bald hatte er den Baum mit Meriems Zelt erreicht. Er verbarg seine Jagdtrophäen auf dem ersten besten Ast und rief laut nach Meriem. Keine Antwort. Vielleicht war sie irgendwo weiter unten? Hatte sich einen Spaß gemacht und versteckte sich?

Auf dem großen Aste, auf dem Meriem sich so oft vergnügt schaukelte, sah er Geeka. Stumm wie immer lehnte sie an dem dicken Stamm des Urwaldriesen. Was sollte das heißen? Meriem hatte doch nie ihre Geeka allein gelassen. Korak nahm die Puppe und hing sie an seinen Leibgurt. Dann rief er nochmals und lauter als vorhin, ohne daß Antwort von Meriem kam. In der Ferne kreischten die Manus erneut auf, doch klang es, als seien sie jetzt weiter weg.

Sollte dies etwa mit Meriems Verschwinden irgendwie zusammenhängen? Der bloße Gedanke an diese Möglichkeit genügte, und Korak schwang sich rasch in der Richtung davon, aus der das Gekreisch der Kletteräffchen herüberschallte. Hier war keine Zeit zu verlieren; er wartete deshalb auch nicht erst, bis Akut, der ihm langsamer folgte, am Baumzelt eingetroffen war.

Nur wenige Minuten verstrichen, und Korak hatte die aufgeregte Äffchengesellschaft eingeholt. Sobald sie ihn erkannten, verstärkte sich der wilde Lärm. Sie bedeuteten ihm mit entsetzter Geste, er möge so schnell als irgend möglich in der eingeschlagenen Richtung weitereilen, und nach ein paar kurzen bangen Sekunden schon gewahrte Korak selbst das Furchtbare, dem ihre Entrüstung galt.

Dem Jungen stand das Herz fast still vor jähem Entsetzen ... Ein großer Affe schleppte Meriem davon; schlaff hing der kleine Körper über die zottigen Schultern der Bestie. Kein Zweifel, das Mädchen war tot. Fürchterlich dieser Augenblick; er hätte nicht sagen können, wie ihm zu Mute war. Es kam ihm nur vor, als stünde ihm dieser zarte Körper, der nun so matt und rührend-hilflos mit jedem Schritt auf den hohen Schultern des Affen hin und her pendelte, auf einmal im Mittelpunkt aller seiner Wünsche und Gedanken.

Er wußte auf einmal, daß die kleine Meriem sein Ein und Alles war ... seine Sonne, sein Mond, sein Stern, und daß mit ihrem Tode Licht, Wärme und Glück von ihm gewichen. Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust, gefolgt von einem Aufschrei, vor dem sich Raubtierbestien in die Büsche verkrochen hätten. Fast gleichzeitig schoß er in wahnsinnigem Sprung senkrecht von oben auf den Übeltäter herab. Das Affenungetüm hatte kaum den ersten drohenden Laut eines unerwarteten neuen Gegners vernommen, als es sich hastig zurückwandte und damit Haß und Wut des »Töters« zur wildlodernden Flamme entfachte. Korak erkannte nämlich in ihm sofort keinen geringeren als den Affenkönig, der ihn neulich auf und davon gejagt, als er ihn und dessen Stamm um Freundschaft und Obdach gebeten.

Der Riesenaffe warf seine Bürde kurzerhand zu Boden. Gut, er würde von neuem um seine so schon teuer erkaufte Beute kämpfen. Diesmal mußte ihm der Sieg leicht in den Schoß fallen, denn er hatte Korak bereits erkannt. War dieser Fremdling ihm nicht damals aus dem Amphitheater davongelaufen, ohne daß er ihn hatte Zähne und Fäuste spüren lassen? Mit gesenktem Kopf und vorgedrückten Schultern stürzte er sich wie ein Rasender auf das glatthäutige Geschöpf, das sich unterstehen wollte, ihm seine Beute streitig zu machen.

Wie zwei Bullen im Stierkampf prallten sie aufeinander und rissen sich zu Boden. Korak wollte nichts von seinem Dolche wissen, Wut und Entsetzen verlangten heute andere Waffen. Es galt diesmal nur die Waffen, die die Natur ihm gegeben, anzuwenden. Nicht Haß und Rache regierten allein: Die Ehre stand auf dem Spiel, denn er war auch ein Mann ... ein Mann, der um seine Genossin gegen den Rivalen zu kämpfen hatte.

Selten war der junge Affenmensch mit solchem Ungetüm über seinen Gegner hereingebrochen wie heute. Doch es hatte sich gelohnt. Noch ehe der Menschenaffe ihm zuvorkommen konnte, hatte Korak den entscheidenden »Griff«. Mit zusammengepreßten Augen lag der Junge über seinem Widerpart. Es galt alle Kräfte einzusetzen.

Meriem war just in jenen schicksalsschweren Sekunden wieder zum Bewußtsein erwacht. Ihr erster Blick fiel auf die Kämpfenden.

Korak! schrie sie auf – und ihre Augen wurden groß und rund vor Freude und Bangigkeit zugleich. Korak! Mein Korak! Ich wußte, daß du kommen würdest. Töte ihn, Korak! Mach' ihn tot!

Sie war inzwischen aufgesprungen. Ihre Augen blitzten, als sie neben Korak stand und ihn zu immer erbitterterem Draufgehen anzuspornen suchte. Der Speer des »Töters« lag nicht weit. Korak hatte ihn beiseite geschleudert, als der Zweikampf begann. Das Mädchen sah ihn und im Nu hatte sie ihn errafft. Nicht einen Augenblick versagte sie angesichts dieses urgewaltigen Ringens. Der erste unglückliche Zusammenstoß mit diesem Riesenaffen hatte ihr wohl für einige Zeit – wie lange, wußte sie nicht – die Besinnung geraubt, aber sie nicht derart erschüttert, daß sie beim Erwachen wie ein hilfloser Spielball ihrer Nerven angstgepeitscht davongelaufen wäre. Ein wenig aufgeregt war sie gewiß, aber im Grunde doch kaltblütig und unerschrocken. Ihr Korak rang mit dem fremden Mangan, der sie geraubt. Nun wollte sie auch bei ihm bleiben und ihm zu Hilfe kommen, wenn es nottat. Nicht oben in den Zweigen die eigene Sicherheit suchen und nur zuschauen, wie es ein Manganiweibchen getan hätte. Sie stieß dem Affen den Speer in die Seite, daß die scharfe Spitze ihm das grimme Herz durchbohren mußte.

Korak hätte ihre Hilfe jedoch nicht nötig gehabt. Denn der große Affe war schon so gut wie tot. Als Korak sich erhob, lag ein Lächeln auf seinem Antlitz, und dankbar ergriff er die Rechte seiner wackeren Gefährtin.

Wie groß und feingewachsen sie war! Hatte sie sich denn mit einem Schlage in den wenigen Stunden der Trennung so gewandelt, oder gaukelten ihm nur seine vom Kampfe gereizten Sinne ein Traumbild vor, das bald wieder in sich zusammensinken würde? Es war ihm, als sähe er Meriem auf einmal mit ganz anderen Augen. Er wußte nicht, wie lange es her war, seit er das kleine Arabermädchen in ihres Vaters Dorf aufgelesen. Die Zeit spielt in der Dschungel keine Rolle. Was wußte er, ob die Tage seit damals geeilt oder dahingeschlichen, ob es ihrer viele waren oder wenige? Als er Meriem aber jetzt immer von neuem staunend betrachtete, empfand er deutlich, daß sie nicht mehr dasselbe kleine Mädchen war, das mit Geeka unter dem großen Baum dicht am Palisadenzaun gespielt hatte. Ganz allmählich mußte sich diese Veränderung vollzogen haben; sonst hätte sie ihm ja garnicht entgehen können. Und wie kam es, daß er diese Wandlung nun so plötzlich und unabweisbar verspürte? Sein Blick schweifte von dem Mädchen zum Körper des Riesenaffen. Ein Gedanke durchzuckte ihn, es schien ihm mit einem Male ein Licht darüber aufzugehen, warum der Affe das Mädchen für sich zu erobern gesucht. Seine Augen weiteten sich einen Augenblick, doch dann kam eine düstere Wolke von Wut und Abscheu vor diesem widerwärtigen Tiere zu seinen Füßen. Er mochte gar nicht mehr darauf hinsehen.

Sein nächster Blick zu Meriem hinüber zauberte ein verwirrtes Erröten auf seine Wangen: Ihm schoß das Blut in den Kopf. Er sah sie also doch auf einmal mit ganz anderen Augen an ... Akut war gerade dazu gekommen, als Meriem Koraks Gegner mit dem Speer das Herz durchbohrte. Seine Freude schien keine Grenzen zu kennen. Steifbeinig und mit wilder Gebärde stolzierte er auf dem Toten herum, der ja auch sein Feind gewesen. Er brummte tief, seine langen vorgeschobenen Lippen wölbten sich nach oben, seine Haare sträubten sich, und für Meriem und Korak hatte er nicht ein Wort übrig. Irgendeine geheime Macht mußte in den verborgensten Falten seines kleinen Hirns mit einem Male aufbegehren, seit der Geruch dieses gefällten Affenriesen ihm in die Nase drang. Nach außen hin trat dieses aufkeimende Nachsinnen zwar in einem tierisch-ungebändigten Wutzustand in Erscheinung, wie man ihn oft schon bei ihm beobachtet; aber in seinem Innern hatte sich diesmal etwas berauschend Angenehmes zum Durchbruch verholfen. Der Geruch und der Anblick dieser wuchtigen, zottigen Affengestalt hatte in Akut unabweisbar das Verlangen aufschießen lassen, wieder einmal in Freundschaft mit seinen Artgenossen die Dschungel zu durchstreifen, wieder einmal Affe unter Affen zu sein. Nicht nur Korak war also in jener Stunde ein anderer geworden.

Und Meriem? Sie war ein junges Weib ... und des Weibes göttliches Recht ist es, zu lieben. Immer schon hatte sie Korak geliebt. Er war ihr großer Bruder und blieb es. Sie hatte sich im Grunde ihres Herzens nicht gewandelt, sie war glücklich, in Korak einen guten Kameraden zu haben, sie liebte ihn, wie eine Schwester ihren ritterlichen Bruder liebt. Sie war sehr, sehr stolz auf ihn. Niemanden gab es in der großen weiten Dschungel, der so stark, so schön und so tapfer war wie er.

Korak trat einen Schritt auf sie zu. Seine Augen leuchteten in einem neuen Glanz; aber sie verstand ihn nicht. Sie ahnte nicht, wie nahe sie beide der Reife waren, ahnte nicht, daß der Flammenkranz in Koraks Augen auch in den ihren Funken schlagen wollte.

Meriem, flüsterte er, und in seiner dunklen Stimme schwang ein leises Zittern mit, als er mit seiner braunen Hand ihre bloße Schulter berührte. Meriem! Er zog sie rasch an sich. Sie schaute ihm lachend in die Augen – und dann beugte er sich nieder und küßte ihren Mund.

Was war das? Sie mochte es nicht fassen, sie konnte sich nicht entsinnen, daß man sie je geküßt. Aber es war doch schön, sehr schön. Ja, das gefiel ihr. Sie dachte, Korak wolle ihr damit sagen, wie froh er darüber war, daß es dem großen schrecklichen Affen nicht gelungen, sie ihm für immer zu entreißen. O, sie freute sich ja auch. Es wäre furchtbar gewesen, dieser Bestie auf gut Glück ausgeliefert zu sein. Und so schlang sie ihre Arme um den Hals des »Töters« und bedeckte sein Gesicht mit Küssen. Dann sah sie mit einem Male die Puppe an seinem Leibgurt. Geeka! rief sie strahlend, nahm das Puppenkind und küßte es, wie sie eben Korak geküßt.

Korak wollte etwas hervorstammeln, er wollte ihr sagen, wie sehr er sie liebe. Aber der Rausch jenes ersten Glücks hatte ihn schon zu sehr in seinem Bann, er fand die rechten Worte nicht. Oder fehlten sie in der Sprache der Mangani?

Plötzlich scheuchte ihn ein kurzer tiefer Brummlaut auf. Er kam von Akut und war nicht lauter als das frühere Brummen, als dieser vorhin auf dem toten Affenriesen herumstolzierte, aber für die feinen Dschungeltierinstinkte Koraks ein Ton, der alle Sinne alarmierte. Korak wandte sofort seine Blicke von dem so nahen traumhaft schönen Antlitz des Mädchens zu Akut. Mit einem Schlage war er wieder der andere Korak. Seine Ohren und seine Nase waren auf der Hut. Irgend etwas mußte in der Luft liegen.

Der »Töter« trat neben Akut, Meriem ihm nach. Wie in Stein gemeißelt standen die drei da und starrten in das dichtumrankte Dschungelgestrüpp. Das Geräusch, das Akut zuerst vernommen, verstärkte sich von Sekunde zu Sekunde, und schließlich brach ein großer Menschenaffe aus dem Dickicht hervor. Das Tier blieb stehen, als es die drei ein paar Schritte vor sich gewahrte, und stieß unverzüglich einen dumpfen Warnungslaut hervor, indessen es sich halb nach rückwärts wandte. Im nächsten Augenblick pirschte sich vorsichtig ein weiterer Riesenaffe heran – – und hinter ihm kamen noch mehr: Männchen und Weibchen mit ihren Jungen, im ganzen etwa vierzig mehr oder minder große, zottige Affen, die alle erstaunt die drei fremden Gestalten musterten. Es war der Stamm des toten Affenkönigs. Akut nahm als erster das Wort, indem er auf den Körper des bezwungenen Riesenaffen zeigte.

Korak, der mächtige Kämpfer, hat euren König getötet, brummte er laut und gewichtig. Niemand ist größer in der ganzen weiten Dschungel als Korak, der Sohn Tarzans. Korak ist jetzt der König. Wer meint größer zu sein als Korak?

Die Frage war für die bestimmt, die etwa noch Lust verspürten, Korak den Rang streitig zu machen. Die Affen knurrten, brummten und schnatterten einige Zeit miteinander in ziemlicher Erregung. Dann löste sich ein noch junger Riesenaffe aus dem Knäuel und schritt mit schrecklichem Gebrüll heran. Seine Haare sträubten sich, und sein Oberkörper schwankte in wilden Zuckungen über den kurzen Beinen.

Der Affe war ein Prachtexemplar auf der vollen Höhe seiner Kraft und gehörte zweifellos zu jener fast ausgestorbenen Gattung, die weiße Forschungsreisende nur nach langen Mühen und geführt von den Eingeborenen der kaum erschlossenen Dschungelgebiete zu Gesicht bekommen haben; denn selbst den Schwarzen läuft selten einmal solch ein großer zottiger Vetter der Urmenschen in den Weg.

Korak nahm die Herausforderung mit drohendem Gebrumm an. Er hatte einen neuen Plan. Sich auf den Riesen stürzen und mit ihm jetzt ringen wie vorhin mit dem König – – das wäre der Anfang vom Ende gewesen; denn er hatte schon einen schrecklichen Kampf hinter sich, während der Riesenaffe frische Kräfte und die ganze Wucht seines mächtigen Körpers einsetzen konnte. Diesmal mußte er sich den Sieg leichter machen. Er duckte sich sofort, um dem ersten Vorstoß gleich gebührend begegnen zu können. Es war keine Zeit zu verlieren, im nächsten Augenblick schon würde der Riese heran sein. Er zögerte nur noch, anscheinend, um seine Kampflust bis zum Siedepunkt aufzupeitschen und damit zugleich seinen Widerpart einzuschüchtern. Vielleicht ließ er in Windeseile all seine früheren Siege vor seinen Augen vorüberziehen, um seiner großen Tapferkeit ganz gewiß zu werden, und malte sich schon aus, wie er diesen winzigen Tarmangani herumwirbeln und zerreißen würde. Dann ging er los.

Mit verkrampften Fingern und weit aufgerissenem Rachen stürzte er auf den immer noch geduckt abwartenden Korak zu; wie ein Expreßzug brauste er heran. Und erst als er seine Riesenarme ausbreitete, um dann auf einen Ruck den Gegner in diesen Klammern einzupressen, kam Bewegung in Koraks Glieder. Er duckte sich mit einem Male noch tiefer. Ein Sprung zur Seite, gleichzeitig ein furchtbarer Faustschlag auf den Unterkiefer der Bestie ... und schon stand er auf dem Körper des jäh zu Fall gebrachten Affen.

Das Tier suchte sich mit Händen und Füßen aus der unerwarteten Lage zu befreien. Die Lippen waren schaumbedeckt, blutunterlaufen die kleinen Augen, und tief aus der Brust quoll dumpfes, heiseres Gebrüll. Doch er konnte sich nicht wieder aufrichten, so sehr er sich auch anstrengte, denn der »Töter« wich und wankte nicht. Der Affe brauchte bloß einmal das zottige Kinn leicht anzuheben, da hatte Tarzans Sohn auch schon einen neuen Treffer gelandet, mit dem er einen Büffel zu Boden geschmettert hätte. Und jedesmal sank der Affe stöhnend zurück.

Immer und immer wieder versuchte das Tier sein Glück, aber der mächtige Tarmangani war auf der Hut und stieß ihn mit seiner geballten Faust wie mit einem schweren Rammblock nieder. Dann wurden die Bewegungen des Affen immer matter und matter. Die Affenschar hatte ihm erst zugejubelt und mit gellenden Rufen zum entscheidenden Vorstoß angespornt. Jetzt aber war man mit einem Male ganz auf der Seite des Tarmangani.

Kagoda? schrie Korak, als er den Affen wieder einmal niedergeboxt hatte.

Der zähe Riese schien sich immer noch nicht ergeben zu wollen und strampelte wie verzweifelt mit Händen und Füßen. Aber ein neuer furchtbarer Schlag war die eindeutige Antwort.

Kagoda? Hast du nun endlich genug? fragte Korak zum zweiten Male.

Einen Augenblick lag der Affe regungslos da. Dann preßte er mühsam das »Kagoda!« über seine Lippen. Mehr nicht.

So steh' auf und geh' zu den Deinen zurück! fuhr Korak fort. Ich habe nicht Lust, König eines Stammes zu sein, der mich einmal wie einen Bösewicht davongejagt hat. Geht eurer Wege! Wir werden es auch so halten. Begegnen wir uns hier und da zufällig, wollen wir gut Freund miteinander sein. Aber mit euch zusammenleben? Nein, davon will ich nichts mehr wissen.

Ein älterer Affe kam langsam auf den »Töter« zu.

Du hast unseren König getötet, begann er. Du hast auch den da mit Leichtigkeit besiegt, der zum König bestimmt war, ja du hättest auch ihn töten können, wenn du es gewollt hättest. Wer soll nun unser König sein?

Korak wandte sich zu Akut.

Dieser da ist euer neuer König, entgegnete er bestimmt. Allein Akut wollte sich durchaus nicht von Korak trennen, wiewohl er zu gern einmal wieder mit Artgenossen die Dschungel durchstreift hätte. Am liebsten wäre es ihm gewesen, wenn auch Korak sich den Affen angeschlossen hätte, und er sprach diesen Wunsch offen aus.

Der Junge dachte jetzt in erster Linie an Meriem und welche Lösung für sie am besten und sichersten sein mußte. Ging Akut mit seinen Stammesgenossen fort, würde er ganz allein zu ihrem Schutze zurückbleiben. Andererseits würde er auch keine ruhige Minute haben, wenn er sich mit Meriem dem Affenstamm anschloß. So oft er dann auf die Jagd ginge, mußte er sie ohnehin im Lager zurücklassen, – und das Affenvolk hatte schließlich seine Leidenschaften und Tierinstinkte nicht so in der Hand, wie es dann wünschenswert gewesen wäre. Wer wußte, ob nicht sogar ein Weibchen eines schönen Tages einer eifersüchtigen Wallung oder sonst einem tierischen Einfall folgte und das schwache weiße Mädchen in Koraks Abwesenheit mißhandelte?

Wir wollen immer gute Nachbarn sein, meinte Korak schließlich. Wenn ihr in andere Jagdgründe zieht, wollen wir unser Standquartier auch verlegen. Meriem und ich bleiben so stets in deiner Nähe; aber völlig zusammenleben, das möchten wir nicht.

Akut erhob allerlei Einwände gegen Koraks Plan, denn der Gedanke einer auch nur bedingten Trennung von seinem Dschungelfreunde machte ihn traurig. Ein solches Opfer schien ihm die Wiedervereinigung mit seinesgleichen nicht wert.

Als er dann aber die Artgenossen einen nach dem anderen in der Dschungel verschwinden sah, und als sein Blick schließlich abermals die geschmeidige junge Witwe seines Vorgängers streifte, die immer wieder auf ihn als den neuen königlichen Herrn und Gebieter lockend und voll Bewunderung zurücksah, vermochte er der Stimme seines Blutes nicht zu widerstehen. Er schaute noch einmal kurz und ein wenig unsicher, aber freundlich zu seinem geliebten Korak hinüber. Dann wandte er sich rasch und folgte der Äffin in das Labyrinth des Urwaldes.

*

Als Korak bei seinem letzten Zug in das Dorf der Schwarzen gerade glücklich den Palisadenzaun hinter sich hatte, kamen auch schon die Männer aus dem Walde und vom Flusse herbeigestürzt, in der Meinung, sie könnten den schreienden und kreischenden Weibern und Kindern noch helfen. Wie groß aber war die Erbitterung, als sie merkten, daß der weiße Teufel wieder in ihre Hütten eingedrungen, ihre Weiber bedroht und sich mit Pfeilen, allerhand Schmuckstücken und Nahrungsmitteln davongemacht hatte.

Einzig und allein ihre abergläubische Furcht vor diesem seltsamen Wesen, das mit einem großen Affenungetüm zusammen die Dschungel und alles im Umkreis unsicher machte, hatte sie bisher davon abgehalten, Vergeltung zu üben und ein für allemal mit dieser ständigen Bedrohung von Hab, Gut und Leben ein Ende zu machen.

Doch diesmal war das Maß voll. Etwa zwanzig der schnellsten und beherztesten Krieger des Stammes nahmen schon ein paar Minuten, nachdem Korak und Akut den Schauplatz ihrer häufigen Plünderungen verlassen, die Verfolgung auf.

Der Junge und Akut arbeiteten sich langsam durch die Dschungel vorwärts, weil sie mit einem Nachdringen der Schwarzen gar nicht rechneten. Ja, fast sorglos schritten sie dahin. Waren doch so viele ähnliche Beutezüge ohne irgendeine Gegenaktion einfach im Sande verlaufen, daß die beiden auf die Neger geradezu mit Verachtung herabsahen. Beim Rückweg nach ihrem Standquartier kam ihnen der Wind obendrein noch entgegen, Grund genug, auf ihre Verfolger nicht rechtzeitig aufmerksam zu werden. Diese wiederum hatten es damit um so leichter, zumal ihre kampf- und jagdgewohnten Sinne mit den Geheimnissen der Dschungelwelt gut vertraut waren. Wie Spürhunde waren sie scharf hinter den Räubern her, immer voran die flinkesten Späher.

Führer des Kriegertrupps war Kovudoo, der Häuptling, ein Mann in mittleren Jahren und bekannt ob seiner List und Unerschrockenheit. Er war es auch, der die beiden zuerst gewahrte, nachdem man ihnen stundenlang unermüdlich nachgespürt; dies war vor allem seinen außergewöhnlich scharfen Augen und Ohren und nicht zuletzt seinem selten guten Geruchssinn zu verdanken.

Der Affenkönig war vor wenigen Augenblicken unter Koraks Fingern und Zähnen verendet, als Kovudoo mit seinen Leuten auf die drei Dschungelfreunde stieß. Der Kampflärm hatte zu guter Letzt geradewegs ans Ziel geführt. Beim Anblick des hübschen hellbraunen Mädchens war der wilde Häuptling zunächst ein wenig verdutzt gewesen und hatte seinen Kriegern durch einen Wink zu verstehen gegeben, daß mit dem überraschenden Vorstoß noch gewartet werden sollte. Im gleichen Augenblick waren dann die großen Affen auf dem Plan erschienen.

Die Schwarzen duckten sich erst vor Entsetzen und folgten dann mit beinahe ehrfurchtsvoller Scheu den Unterhandlungen und dem harten Strauß zwischen Korak und dem jungen Affenriesen. –

*

Die Affen waren jetzt im Dickicht verschwunden und der junge Weiße und das Mädchen allein auf dem Kampfplatz zurückgeblieben. Einer der Krieger Kovudoos drängte sich dicht an seinen Häuptling heran. Da, sieh! flüsterte er ihm ins Ohr und zeigte auf ein kleines Etwas in der Hand des Mädchens. Als mein Bruder und ich noch Sklaven im Dorfe des Scheichs waren, hat mein Bruder dem Töchterchen des Scheichs dies kleine Ding geschenkt. Sie spielte immer gerne damit und nannte es Geeka. So heißt nämlich auch mein Bruder. Und eines Tages – es war noch vor unserer Flucht – drang ein Unbekannter ins Dorf ein, schlug den Scheich einfach nieder und raubte ihm seine Tochter. Du, wenn sie das ist ... der Scheich wird dir eine gute Belohnung zahlen, wenn du ihm das Mädchen wiederbringst.

Korak hatte seine Arme wieder um Meriems Schultern geschlungen. Sein junges Blut lag im Banne der Liebe. Die Heimat, sein früheres Leben, was war es? Kaum, daß er noch daran dachte. London? So weit, weit weg schien es ihm, als müsse er sich in das Rom der Cäsaren zurückdenken. In der ganzen Welt gab es nur zwei, um die sich alles drehte, und das war er, Korak der »Töter«, und seine Meriem. Er zog sie wieder zu sich und neigte sich in heißen Küssen über ihre schönen sehnsüchtigen Lippen ...

Doch wie ein Donnerschlag brach gerade da mit einem Male die wilde Kriegerhorde aus ihrem Hinterhalt hervor und stürzte sich mit wütendem Kampfgeschrei auf die beiden Glücklichen.

Korak war im Nu zur Abwehr bereit, und auch Meriem stand sofort mit ihrem leichten Speer trotzig neben ihrem Gefährten. Doch schon im nächsten Augenblick schwirrte der Speerhagel heran. Korak brach, an Schulter und Bein schwer getroffen, zusammen.

Meriem blieb unverletzt; die Schwarzen hatten auf Weisung ihres Häuptlings nur auf Korak gezielt. Eben wollten die Leute über den Schwerverwundeten herfallen und ihm vollends den Garaus machen, als der gewaltige Akut und dicht hinter ihm seine nicht minder furchtbaren Genossen von der anderen Seite des Dickichts hervorstürzten.

Brummend und mit schrecklichem Kampfgebrüll stürmten sie auf die Schwarzen los, sowie sie das bereits angerichtete Unglück in seiner vollen Schwere erkannten. Kovudoo, der im Augenblick begriff, daß es Wahnsinn war, sich auf einen Nahkampf mit diesen fürchterlichen Menschenaffen einzulassen, packte Meriem und befahl seinen Kriegern den sofortigen Rückzug. Eine Zeitlang rasten die Affen den Flüchtenden nach; einige Schwarze wurden schlimm zugerichtet und einer mußte sogar mit dem Leben daran glauben. Doch schließlich waren die Krieger dank der geschickten Führung ihres Häuptlings entkommen. Sie würden aber trotzdem nicht ihrem verdienten Schicksal entgangen sein, hätte nicht Akut mit Rücksicht auf seinen verwundeten Freund die Verfolgung einstellen lassen. An Korak lag ihm doch mehr als an dem Wohl und Wehe dieses kleinen Mädchens, das er schon immer mehr oder minder als einen ungebetenen Gast angesehen. Korak sollte froh sein, wenn er diese Last nur vom Halse hatte. Er für seine Person war es jedenfalls.

Akut fand seinen Freund blutüberströmt und bewußtlos im Grase liegend. Der große Affe zog die schweren Speere heraus, leckte die klaffenden Wunden und trug seinen Korak in das hohe Baumzelt, das der Junge für seine Meriem gebaut. Mehr konnte das Affentier nicht tun. Die Natur hatte nun aus eigenen Kräften Heilung zu spenden oder – Korak mußte sterben.

Er starb nicht! Tagelang lag er hilflos in heißen Fieberschauern, indessen Akut und dessen Affenschar die Dschungel im nahen Umkreis durchstreiften, um Raubvögel und beutegierige Bestien, die dem Wehrlosen hätten gefährlich werden können, zu verscheuchen oder ihnen gleich den Garaus zu machen. Ab und zu brachte Akut dem Freunde saftige Früchte, die den brennenden Durst stillen und die immer neuen Anläufe des Fiebersturms brechen sollten. Und nach und nach siegte denn auch die kräftige Körperkonstitution des Jungen über die Mächte, die sein Leben zerstören wollten. Die Wunden schlossen sich, und allmählich fühlte er seine Kräfte wieder zurückkehren. So oft er auf seinem Krankenlager, weich gebettet auf Meriems Fellen, zu klarem Bewußtsein erwacht war, hatte er am bittersten unter der drückenden Sorge um seine geliebte Gefährtin zu leiden gehabt. Was kümmerten ihn die qualvoll schmerzenden Wunden? Er hatte für Meriem gelebt, um ihretwillen mußte er jetzt auch am Leben bleiben. Für sie allein brauchte er seine Kräfte wieder, denn, kaum genesen, würde er sich sofort auf die Suche nach ihr machen. Was mochten die Schwarzen mit ihr angefangen haben? Lebte sie überhaupt noch, oder hatten die Kannibalen sie geopfert? Korak erzitterte, so oft er sich all diese furchtbaren Möglichkeiten vorstellte – und doch quälte er sich da mit Gedanken, die nicht ohne weiteres begründet waren, da er ja Sitten und Gebräuche des Stammes jenes Kovudoo gar nicht kannte.

Langsam schlichen die Tage dahin, einer wie der andere. Doch schließlich war Korak so weit, daß er zum ersten Male ohne Akuts Unterstützung aus dem Zelt kriechen und vom Baum herabklettern konnte. Er genoß von da ab hauptsächlich wieder rohes Fleisch, war aber noch immer ganz von Akut abhängig, der seine Beute freundschaftlich mit ihm teilte.

Die Fleischkost förderte auch seine Genesung und den Wiederaufbau seiner außergewöhnlichen Kräfte wesentlich rascher, und eines Tages fühlte sich Korak stark genug, den lange geplanten Streifzug nach dem Dorfe der Schwarzen zu unternehmen.


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