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»Bwana« und seine Farm

Meriem blickte angsterfüllt dem nahenden Unheil entgegen, gleichwie ein wehrloses Dschungeltier, das unter dem hypnotischen Blick einer Giftschlange den tödlichen Biß erwartet. Ihre Hände waren frei, aber man hatte die wertvolle Gefangene deshalb in nicht minder sicherem Gewahrsam. Eine Eisenkette um ihren Hals war durch ein Vorlegeschloß mit einer langen alten Sklavenkette verbunden, die mit dem anderen Ende an einem Zeltpfahl befestigt war.

Langsam wich die Gefangene jetzt Schritt für Schritt nach der entgegengesetzten Seite des Zeltes zurück. Malbihn folgte. Seine Hände streckten sich ihr entgegen.

Das Mädchen dachte mit einem Male an Jenssens Rat. War es nicht so? Sie sollte ihn rufen, sowie Malbihn sie noch einmal belästigte. Aber ... ach, Jenssen war auf der Jagd, fern in der Dschungel. Malbihn hatte sich schon die rechte Stunde herausgesucht. Doch es hieß alles versuchen. Sie schrie um Hilfe. Laut und schrill. Einmal, zweimal ... und noch einmal – doch schon hatte Malbihn in einem Satz das Zelt durchquert und erstickte ihre verzweifelten Hilferufe. Sie wehrte sich, wie ein Dschungeltier sich wehrt. Mit Zähnen und Nägeln setzte sie ihm zu, der Mann sollte fühlen, daß sie nicht einfach umzublasen sei. Nein, Muskeln wie die einer jungen Löwin ballten sich jäh in diesem schlanken jungen Mädchenleib, Kraft zitterte in den weichen Linien ihres Körpers. Doch auch Malbihn war kein Schwächling. Im Gegenteil: Er war ein Hüne an Kraft und Wuchs und dazu noch brutal.

Dem Mädchen half alles Kratzen und Beißen nichts. Er zwang sie allmählich zu Boden. Wohl wehrte sie sich wieder und wieder, aber dann fühlte sie, wie ihre Kräfte immer mehr abnahmen. Sie keuchte schon schwer und rang mühsam nach Atem ... –

Jenssen hatte unterdessen draußen in der Dschungel zwei Antilopenböcke zur Strecke gebracht. Er hatte sich nicht allzu weit vom Lager weg gewagt, denn es schien ihm nicht gut, die Jagd lange auszudehnen, schon weil ihm Malbihns Haltung in letzter Zeit verdächtig vorkam. Heute hatte Malbihn es zudem abgelehnt, mit ihm gemeinsam zu jagen, und war nach der entgegengesetzten Richtung verschwunden. Unter früheren Verhältnissen würden beide nichts darin gefunden haben; diesmal jedoch schien Jenssens Mißtrauen am Platze. Dazu kannte er seinen Malbihn doch zu gut!

Und so wandte er sich sofort nach den glücklichen Schüssen zum Lager zurück. Seine Träger mochten mit der Beute nachkommen. Er hatte jedoch noch nicht die Hälfte seines Weges hinter sich, als er ganz schwach einen Hilferuf zu hören glaubte. Er hielt einen Augenblick inne und lauschte gespannt. Wieder dieser Ton? Und noch einmal? Dann war alles ruhig ...

Ein halbunterdrückter Fluch – und Jenssen stob davon. Vielleicht kam er gar schon zu spät? Ein Narr dieser Malbihn, der einer schwachen Stunde zuliebe den ganzen Gewinn der jahrelangen Jagd nach dem Glück und sein Leben aufs Spiel setzte! Noch weiter vom Lager entfernt als Jenssen und gerade in der entgegengesetzten Richtung hörte auch ein anderer Meriems Hilfeschrei. Es war ein Fremder, der nichts mit Malbihn und Jenssen zu tun hatte, ja, der nicht einmal ahnte, daß Weiße in seiner Nähe waren. Mit einer Handvoll schwarzer Krieger durchstreifte er jagend die Dschungel und, wie jetzt der seltsame Ton aus der Ferne an sein Ohr drang, horchte er einen Augenblick scharf auf. Kein Zweifel, hier war eine Frau in Not; er kannte diesen Klang einer zu Tode geängstigten Frauenstimme. Und so eilte er, so schnell er konnte, vorwärts. Jenssen kam jedoch eher im Lager an, da der Fremdling einen bedeutend weiteren Weg zurückzulegen hatte.

Was der Schwede zu sehen bekam, spottete jeder Beschreibung. Er hatte sich ohnehin nie besonders in die Lage anderer hineindenken können und so hielt er hier erst recht jedes Mitleid mit seinem Gefährten für unangebracht. Malbihn sollte seine Erbitterung spüren. Meriem wehrte sich noch immer verzweifelt gegen den zudringlichen Malbihn, als Jenssen ins Zelt gestürzt kam und seinen einstigen Freund mit Verwünschungen überschüttete. Malbihn ließ sein Opfer plötzlich los und wandte sich gegen Jenssen. Ein Griff, und er zog seinen Revolver aus dem Leibgurt, doch Jenssen, dem die blitzschnelle Handbewegung des anderen nicht entgangen war, hatte seine Waffe fast gleichzeitig schußbereit. Beide feuerten wie auf ein Kommando, noch zweimal drückte Malbihn ab und Jenssen sank zu Boden.

Da wurde der Vorhang beiseite geschlagen, und ein großer Weißer tauchte in der Öffnung auf. Weder Meriem noch Malbihn bemerkten den Eindringling, denn Malbihns Rücken war dem Zelteingang zugekehrt und verwehrte so auch dem bedrängten Mädchen den Blick nach der gegenüberliegenden Seite des Zeltes.

Der Fremde sprang rasch und doch vorsichtig auf Malbihn. Dieser fuhr auf und sah sich mit einem Male einem völlig unbekannten Manne Auge in Auge gegenüber. Der Fremde war eine große stattliche Erscheinung, hatte schwarzes Haar und stahlgraue Augen und trug Khakianzug und Tropenhelm. Malbihn hob von neuem seinen Revolver, doch der andere war auf der Hut. Seine schwere Hand sauste nieder, ehe es sich der Schwede versah, und schleuderte die Waffe weit in die Ecke des Zeltes, wo Malbihn sie nicht mehr erreichen konnte, ohne sich der Gewalt des Fremden völlig auszuliefern.

Was geht hier eigentlich vor? Der Fremde richtete diese Frage an Meriem, doch sie verstand ihn nicht und schüttelte den Kopf. Als sie aber im nächsten Augenblick ein paar arabische Worte hervorstammelte, wiederholte der Weiße seine Frage auf Arabisch.

Die beiden da schleppen mich von meinem Korak fort ..., begann das Mädchen. Der hier hat es auf mich besonders abgesehen, und der andere, den er eben erschossen hat, suchte ihn davon abzubringen. Böse Menschen sind sie alle beide, aber der hier ist der schlimmere! Wäre nur mein Korak da! Er würde ihn einfach töten. Und wenn Sie ihn nicht auf der Stelle tot machen, werden Sie wohl kaum besser wie die beiden sein.

Der Fremde lächelte. Er verdient den Tod, sagte er dann. Das ist keine Frage. Ich hätte ihn früher schon gern wegen seiner Schlechtigkeiten bestraft. Ich werde aber dafür sorgen, daß er dich nicht noch einmal belästigt.

Wir haben nun übergenug von Ihnen, herrschte der Fremde Malbihn an. Ich weiß jetzt, mit was für einem Bösewicht ich es zu tun habe. Ich hörte schon öfters böse Sachen von Ihnen und Ihrem sauberen Freund! Merken Sie es sich, wir wollen hier in unserem Lande nichts mehr von Ihnen wissen. Diesmal will ich Sie noch laufen lassen. Kommen Sie aber noch ein einziges Mal wieder, dann werde ich nicht lange fackeln. Verstanden?

Malbihn begehrte indessen wie ein Verrückter auf und sparte nicht mit Drohungen und Beleidigungen.

Doch der andere blieb ruhig und nannte seinen Namen. Treffe ich Sie mit Ihren Leuten in der nächsten Stunde noch im Umkreis. so wissen Sie, daß Sie verloren sind. Sie werden gewiß schon von mir gehört haben.

Malbihn wurde blaß und war sogleich aus dem Zelt verschwunden.

Im nächsten Augenblick fielen Meriems Ketten.

Wollen Sie mich wieder zu meinem Korak gehen lassen? wandte sie sich mit bittendem Blick an den Fremden.

Ich werde dafür sorgen, daß du wieder zu den Deinen zurückgebracht wirst, erwiderte der Weiße rasch. Wo wohnen sie und wie heißen sie?

Mit offensichtlichem Staunen hatte er ihre seltsame Kleidung und den auffallenden Schmuck und Kopfputz gemustert. So liefen wohl die schwarzen Weiber herum, aber das Mädchen war doch – seiner Sprache nach zu urteilen – eine junge Araberin. Und Arabermädchen hatte er noch nie in einem derartigen Aufzug zu Gesicht bekommen.

Wo wohnen deine Leute, und wer ist Korak? forschte er deshalb von neuem.

Korak? Ei nun, Korak ist ein Affe. Andere Verwandte und Bekannte habe ich nicht. Korak und ich ... wir leben ganz allein miteinander in der Dschungel, seit A'ht König der Affen geworden. – Sie hatte »Akut« immer nur so ausgesprochen, wie jetzt, weil es auch nicht anders geklungen hatte, als Korak und auch der Affe das erstemal ihr gegenüber diesen Namen aussprachen.

Korak hätte König sein können, aber er wollte es nicht, fügte sie stolz hinzu.

Der Fremde schien zu zweifeln und runzelte die Stirn.

Korak ist also ein Affe? forschte er weiter und sah dabei dem Mädchen scharf in die Augen. Und sagst du mir nun auch, was du selber bist?

Ich heiße Meriem ... und bin auch ein Affe.

Hm – das war die einzige Erwiderung des Fremden zu dieser verblüffenden Eröffnung. Was er im stillen dachte, würde einem feinen Beobachter vielleicht nicht entgangen sein, wenn er gesehen hätte, wie auf einmal ein fast mitleidiger Schimmer die Augen des Fremden veränderte. Er trat dicht an das Mädchen heran und wollte eben seine Hand auf ihre Stirn legen, doch da warf sie unwillig ihren Kopf zurück, und es klang, als knurre sie gar ein wenig. Der Weiße lächelte begütigend. Du brauchst dich vor mir nicht zu fürchten, sagte er ruhig. Ich tue dir nichts zuleide und möchte nur mal feststellen, ob du Fieber hast oder ob du ... wirklich ganz gesund bist. Bist du es, gut, dann wollen wir sofort auf die Suche nach deinem Korak gehen!

Meriem sah dem Fremden mit prüfendem Blick in seine scharfen grauen Augen, und da sie sehr bestimmt fühlte, daß das offenbar ehrliche Gebaren ihres Gegenübers nicht geheuchelt sein konnte, duldete sie schließlich seine Hand auf ihrer Stirn und am Puls. Von Fieber fand sich keine Spur.

Wie lange bist du denn schon ein Affe? fragte der Fremde weiter.

Ach, das war vor vielen, vielen Jahren, da kam Korak und nahm mich meinem Vater weg, der mich immer so schrecklich schlug. Und seitdem habe ich mit Korak und A'ht auf den Bäumen im Innern der Dschungel gelebt.

Wo ist das? Wo steckt dein Korak?

Meriem beschrieb leichthin mit ihrer Rechten einen Halbkreis, als ob Korak Beherrscher von halb Afrika wäre.

Würdest du dich zu ihm zurückfinden? fragte der Weiße weiter.

Ich? Ich weiß nicht recht. Aber er wird mich auf jeden Fall wieder zu sich holen.

Dann habe ich einen guten Plan, warf der Fremde ein. Ich wohne nur ein paar Tagereisen von hier und werde dich jetzt mitnehmen. Meine Frau wird für dich sorgen, bis wir Korak finden, oder er uns. Nicht wahr, es ist doch ebensogut möglich, daß er uns dort in meinem Dorfe begegnet wie hier?

Der Fremde wartete noch, bis Malbihn und dessen Safari das Lager abgebrochen hatten und in nördlicher Richtung in der Dschungel verschwunden waren. Meriem, die ihm jetzt schon mehr traute, stand neben ihm und hielt mit der einen schlanken braunen Hand ihre Geeka fest umklammert. Die beiden unterhielten sich weiter und der Weiße wunderte sich immer wieder, wie gebrochen das Mädchen das Arabisch sprach. Schließlich schrieb er diesen auffallenden Mangel ebenso wie manche ihrer früheren Bemerkungen dem Umstand zu, daß sie kaum geistig normal sein könne. Hätte er indessen gewußt, daß Jahre ins Land gegangen waren, seit sie das letztemal im Dorfe des Scheichs Arabisch gesprochen und gehört hatte, würde es ihm verständlich gewesen sein, daß sie diese Sprache halb verlernt hatte. Überdies war noch etwas anderes daran schuld, daß die Muttersprache des Scheichs so verhältnismäßig rasch aus ihrem Gedächtnis schwand. Doch eben diese wichtige Tatsache konnte sie selbst nicht im entferntesten ahnen, geschweige denn dieser wildfremde Mann.

Der Weiße gab sich unendliche Mühe, sie dazu zu bringen, daß sie ihn in sein »Dorf« – er sagte stets auf Arabisch Duar – begleitete. Allein sie bestand hartnäckig darauf, Korak sofort zu suchen. Als letzter Ausweg blieb ihm nur noch, seinem Willen mit Gewalt Geltung zu verschaffen. Jedenfalls hielt er das für besser, als daß das Mädchen sich von seinen verwirrten Vorstellungen über einen Korak und über Affen in den sicheren Tod treiben ließe. Als guter Menschenkenner und erfahrener Mann beschloß er indessen, ihr zunächst zu willfahren und sie dann doch dahin zu führen, wohin er sie haben wollte. Man marschierte also auf Wunsch des Mädchens direkt nach Süden, wiewohl das Ziel des Fremden im Osten lag.

Unterwegs bog er nach und nach mehr und mehr nach Osten ab, und zu seiner nicht geringen Freude entging dem Mädchen dieses Abweichen von der gewünschten Richtung völlig. Sie wurde auch noch zutraulicher als anfangs, wo sie fast nur instinktiv die Überzeugung gewonnen hatte, daß dieser große Tarmangani ihr kein Leid antun würde. Sie fühlte täglich und stündlich seine Güte und Rücksicht und vergalt ihm dies durch ein offenes, vertrauendes Wesen. Bisweilen kam es ihr sogar vor, als könne sie ihn in vielem mit ihrem Korak vergleichen. Am fünften Tage öffnete sich vor ihnen plötzlich eine weite Ebene. Von der Waldecke aus grüßte der Fremde hinüber zu den umzäunten Feldern und zu den Häusern, die dahinter lagen. Das Mädchen wich erstaunt zurück.

Wo sind wir? fragte sie hastig und deutete in die Ferne.

Wir konnten doch Korak nicht finden, entgegnete der Weiße sofort, und da wir gerade nahe an meinem Duar vorüberkamen, habe ich dich mit hierher genommen. Hier sollst du nun bei meiner Frau bleiben und ruhig warten, bis meine Leute auf deinen Affen treffen und ihn dir bringen, oder bis er selbst kommt. Glaub' mir. Kleine, so ist es besser. Du bist bei uns auch viel sicherer aufgehoben und wirst dich sehr wohl fühlen.

Bwana, o, ich bin bange. In deinem Duar wird man mich doch nur prügeln, wie es mein Vater, der Scheich, immer tat. Laß mich wieder in die Dschungel zurückwandern. Korak wird mich nur dort finden. Nein, er wird niemals auf den Gedanken kommen, daß ich im Duar eines Weißen bin.

Aber höre doch, mein Kind! Wer soll dich denn bei uns schlagen? Ich etwa? Oder habe ich dir auch nur ein Haar gekrümmt, seit du mich kennst? Und dann: All das da drüben gehört mir und folgt meinem Befehl und Wunsch. Du wirst gut behandelt werden, und bei uns hat noch niemand Schläge bekommen. Meine Frau wird sehr gut zu dir sein – und dein Korak wird dir gebracht. Du kannst dich darauf verlassen, denn ich schicke meine Leute in die Dschungel und lasse ihn suchen.

Das Mädchen schüttelte den Kopf.

Du kannst ihn gar nicht zu uns bringen; er würde alle töten, die ihm zu nahe kommen. Denn Korak tötet alle Menschen, weil sie ihm stets mit dem Tode drohten. Nein, ich habe große Sorge um ihn. Bwana, laß mich meiner Wege gehen!

Du weißt ja gar nicht, wie du dein Land und wo du Korak wiederfindest. Du wärest ja verloren! In der ersten Nacht schon würden Leoparden oder Löwen dich in Stücke reißen, und du würdest deinen Korak nie wiedersehen. Es ist tausendmal besser, du hältst dich jetzt zu uns. Und habe ich dich übrigens nicht neulich gerettet? Ich dächte, du wärest mir doch einigen Dank schuldig. Oder nicht? Also, dann bleibe wenigstens ein paar Wochen bei uns, wir können hernach immer noch sehen, was das Beste für dich ist. Du bist schließlich auch noch ein kleines Mädchen. Ein schlechter Mensch wäre ich, wollte ich dich allein in die Dschungel zurückgehen lassen.

Meriem lachte hell auf. Die Dschungel, sagte sie, ist mir wie Vater und Mutter. Gütiger und freundlicher hat sie mich in ihre Arme geschlossen, als je die Menschen. Bwana meint, ich fürchte mich vor der Dschungel? Nein, und nochmals nein! Und vor dem Leoparden oder dem Löwen erst recht nicht. Wenn meine Stunde geschlagen hat, dann sterbe ich eben. Mag sein, daß Leopard oder Löwe mich zerreißen. Vielleicht bringt mir auch ein kleines Tierchen, nicht größer als die Kuppe meines kleinen Fingers, den Tod. Wenn der Löwe auf mich losspringt, oder wenn mir das winzige Ding den tödlichen Stich gibt – dann werde ich zittern, das weiß ich wohl. Mir wird schrecklich bange sein. Aber das Leben wäre ja noch viel, viel schlimmer, wollte ich immer nur daran denken und mich davor fürchten, was mir alles noch an Bösem und Furchtbarem begegnen kann. Kommt der Löwe über mich, ist die Todesqual kurz. Trifft mich der kleine, feine Stachel, muß ich mich vielleicht gar tagelang vor Schmerzen winden, ehe der Tod mich erlöst. Sieh, Bwana – und deshalb fürchte ich mich gerade vor dem Löwen am allerwenigsten. Er ist groß und nicht besonders vorsichtig, wenn er durch die Dschungel streift. Ich höre, sehe oder rieche ihn daher beizeiten und – weiche ihm aus. Doch wenn meine Hände oder Füße auch nur flüchtig in die Reichweite dieses kleinen Insektes kommen – ich weiß es nicht einmal, und dann fühle ich auch schon den Stich, von dem es keine Rettung gibt. Nein, ich habe keine Angst vor der Dschungel. Ich liebe sie. Eher möchte ich gleich sterben, als ihr für immer den Rücken kehren zu müssen. – Allein, Bwana, dein Duar liegt nicht weit von der Dschungel. Du bist gut zu mir gewesen. Ich will also deinem Wunsche folgen und wenigstens eine Weile bei dir bleiben und warten, ob mein Korak doch noch kommt. Einverstanden! meinte der Weiße und führte die Kleine langsam hinab zu dem von Blumen und Blüten umrankten großen Wohnhaus, an das sich weiter rückwärts alle die Wirtschaftsgebäude einer modernen und großzügig angelegten afrikanischen Farm anschlossen.

Meriem hielt den Schäferhund, der seinem Herrn entgegengesprungen war, mit ihren schlanken Fingern am Halsband, als man sich dem prächtigen Landhaus jetzt immer mehr näherte. Am Portal stand eine Dame in Weiß und winkte hocherfreut dem Heimkehrenden ihren ersten Willkommengruß zu. Das Mädchen bekam auf einmal Angst, große Angst, wie nie in der Dschungel, wenn ihr wildfremde Menschen oder Urwaldbestien begegnet waren. Sie schrak zurück und blickte halb fragend, halb flehentlich bittend zu ihrem Begleiter auf.

Das ist meine Frau, sagte er. Sie wird dich von Herzen gern aufnehmen.

Die Dame ging den beiden entgegen, und nach dem Willkommenskuß berichtete er ihr sofort alles Wichtige über Meriem und ihr Dschungelleben, soweit er es selbst wußte. Meriem konnte alles mit anhören und verstehen, da er ihr zu Liebe Arabisch sprach. Sie sah auch auf den ersten Blick, wie schön die Frau vor ihr war, und wie sich Güte und Freundlichkeit in ihren Zügen und in ihrem ganzen Wesen widerspiegelten. Die Bangigkeit von vorhin war gewichen, und als ihr Retter nun schwieg, und die schöne weiße Frau ihre Arme um sie schlang, sie küßte und sie gar »mein Liebling« nannte, war es Meriem, als schlüge ihr Herz mit einem Male leichter und freudiger denn je. Sie barg ihr Gesicht an der Brust dieser neuen Freundin, in deren Stimme ein warmer, mütterlicher Ton mitschwang, wie sie ihn seit undenklicher Zeit nicht wieder vernommen. Und ihr kamen mit einem Male Tränen über Tränen. Es war ihr, als habe sich ein Alpdruck von ihr gelöst, als sei eine nie geahnte Freude in sie eingezogen.

So war Meriem, das kleine wilde Manganimädchen, auf einmal aus ihrer geliebten Dschungel mitten in das vornehme und behagliche Heim ihrer neuen Freunde übergesiedelt. »Bwana« und »My Dear« hatten sich die beiden Großen genannt, und Meriem nannte sie auch so. Ihr gegenüber waren sie von Anfang an wie Vater und Mutter, und nachdem sie alle Bedenken und stillen Befürchtungen endgültig zerstreut hatte, erwiderte sie Liebe und Vertrauen überreichlich. Sie blieb auch bei ihrem Vorsatz, ruhig hier zu warten, bis man Korak gefunden, oder bis er selbst kam. Ihr Korak war und blieb dabei jedoch alle Tage ihr erster und letzter Gedanke, denn sie mochte die Hoffnung auf ein Wiedersehen mit ihrem jungen, stolzen Erretter nie aufgeben.


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