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Unerklärliche Änderungen

Als Affentarzan wieder zum Bewußtsein kam, fand er sich in einem großen Raume auf dem Boden liegend. Als er allmählich wieder zu klarer Besinnung kam, sah er, daß das Gemach von zwei riesigen Kerzen erhellt war, die einen vollen Meter Durchmesser hatten und, obgleich sie schon ziemlich heruntergebrannt schienen, doch immer noch fast zwei Meter lang waren. Jede Kerze hatte einen Docht so dick wie eines Mannes Handgelenk, und ihre weitere Eigentümlichkeit war, daß sie zwar brannte wie eine gewöhnliche Kerze, aber keinen Rauch verbreitete. Auch an Decke und Wänden waren nicht die mindesten Rauchspuren zu erkennen.

Die Lichter hatten zuerst die Aufmerksamkeit des Affenmenschen auf sich gezogen, dann wanderten seine Augen zu den übrigen Insassen des Gelasses. Er fand etwa fünfzig bis hundert Leute seiner eigenen Größe vor, aber sie waren bekleidet und bewaffnet wie die Ameisenmenschen von Trohana und Veltopis. Tarzan runzelte die Brauen und beschaute sie lange und aufmerksam. Was waren das für Leute? Wo befand er sich?

Als sein Bewußtsein klarer wurde, empfand er körperlichen Schmerz. Seine Arme waren wie taub und schwer wie Blei. Er suchte sie zu bewegen, mußte aber feststellen, daß sie ihm auf den Rücken gebunden waren.

Die Füße konnte er bewegen, denn sie waren nicht gefesselt. Er fühlte sich sehr schwach, aber nach einiger Anstrengung gelang es ihm, sich in sitzende Stellung aufzurichten und um sich zu sehen. Der Raum war mit Kriegsleuten erfüllt, die den Zwergen von Veltopis aufs Haar glichen, aber sie waren ebensogroß wie gewöhnliche Menschen, und das Gelaß schien ungeheure Ausdehnung zu besitzen. Auf dem Estrich standen einige Reihen Tische und Bänke herum, die meisten der Leute saßen auf den Bänken oder sie lagen auf der harten Erde. Ein paar andere gingen zwischen ihnen hin und her und schienen sich mit ihnen zu beschäftigen. Jetzt bemerkte Tarzan erst, daß sie alle verwundet waren, einige sogar schwer, und daß die anscheinenden Pfleger die gleichen weißen Jacken trugen wie die höherstehenden Sklaven von Trohana. Außer den Verwundeten und ihren Pflegern waren noch ein halbes Dutzend unverwundete Krieger anwesend. Einer von diesen bemerkte zuerst, daß sich Tarzan in sitzende Stellung aufgerichtet hatte.

Hoho! rief er, der Riese ist zur Besinnung gekommen. Er kam quer durch den Raum auf den Affenmenschen zu, stellte sich breitbeinig vor ihn hin und besah ihn mit breitem Grinsen: Dein riesiger Korpus hat dir wenig genützt, höhnte er, und jetzt sind wir alle so groß wie du. Jetzt sind wir alle Riesen geworden, he? Er drehte sich lachend zu seinen Gefährten um, die in das Lachen mit einstimmten.

Der Affenmensch fand sich als Gefangener mitten unter lauter Feinden und nahm unter solchen Umständen wieder zum Schweigen der wilden Tiere seine Zuflucht. Er gab keine Antwort, saß nur still da und betrachtete jene mit dem wilden Blick eines in die Enge getriebenen Raubtiers.

Er ist so dumm wie die großen Tierweiber der Höhlen, sagte der Krieger zu seinen Gefährten.

Vielleicht gehört er zu ihnen, mutmaßte einer.

Freilich, meinte ein dritter, es wird ein Kolol sein.

Aber deren Männer sind doch alle Feiglinge, widersprach der erste, und der da hat gekämpft wie ein geborener Kriegsmann.

Wahrhaftig, mit den bloßen Händen kämpfte er, bis er zu Boden fiel.

Ihr solltet gesehen haben, wie er Diadets und Reiter herumschleuderte, als ob es nur Kieselsteine wären.

Nicht einen Schritt ist er zurückgewichen. Er dachte gar nicht an Flucht, und dabei hat er während des ganzen Kampfes gelächelt. Er sieht gar nicht wie ein Kolol aus. Frage ihn doch einmal, wer er ist.

Der erste richtete wieder eine Frage an Tarzan, aber der Affenmensch starrte ihn weiter schweigend an.

Er versteht mich nicht, meinte der Krieger. Ich glaube nicht, daß er ein Kolol ist, aber was er ist, kann ich mir nicht denken.

Er trat näher und untersuchte Tarzans Wunden: Die sind bald geheilt, erklärte er. In sieben Tagen, vielleicht noch früher, kann er in die Steinbrüche.

Sie stäubten ein braunes Pulver über seine Verletzungen und brachten ihm Speise und Trank, Wasser und Antilopenmilch, und als sie fanden, daß seine Arme geschwollen waren und sich schon zu verfärben begannen, holten sie eine Eisenkette, legten sie ihm mit einem ungefügen Schloß um den Leib und schlossen ihn an einen Ring in der Steinwand des Gelasses fest. Dann schnitten sie die Fesseln von seinen Handgelenken. Da sie annahmen, er verstehe ihre Sprache nicht, sprachen sie in seiner Gegenwart ganz offen miteinander. Aber da ihr Idiom fast völlig mit der Sprache von Trohana übereinstimmte, verstand Tarzan jedes Wort und erfuhr auf diese Weise, daß die Schlacht vor der Stadt des Drohahkis für die Angreifer nicht so gut ausgegangen war, wie dessen König Moelhago gehofft hatte. Sie hatten viele Tote und Gefangene verloren, und dafür nicht annähernd so viel Feinde getötet. Auch ihre Beute an Gefangenen war gering, obgleich Moelhago meinte, daß die Gefangennahme des fremden Riesen die gesamten Verluste des kurzen Krieges aufwiege.

Wie sich diese Ameisenmenschen in Männer seiner eigenen Größe verwandelt hatten, konnte sich Tarzan nicht erklären. Auch die Bemerkungen, die er erlauschte, warfen kein aufklärendes Licht auf diese geheimnisvolle Tatsache. Aber seine Verwirrung erreichte ihren Gipfel, als er ein paar Tage später durch den Korridor vor dem Gelaß draußen einen Trupp Krieger vorbeireiten sah, die alle so groß waren wie er und auf riesigen Antilopen von der Größe mächtiger Elche saßen. Tarzan bemerkte dazu, daß sie der Gestalt nach nur Königsantilopen sein konnten, die kleinsten ihrer Art! Wie immer, wenn er in Verlegenheit war, fuhr er sich mit den Fingern durch seinen schwarzen Haarschopf und gab es auf, die Rätsel ringsum zu lösen.

Seine Wunden heilten, und am siebenten Tage trat ein halbes Dutzend Krieger zu ihm, nahm ihm die Kette ab und bedeutete ihm, mitzukommen. Seine Häscher hatten es längst aufgegeben, ihn anzureden, da sie annahmen, er verstehe ihre Sprache nicht, was für sie gleichbedeutend war mit einem Stummen wie die Alalis; sie konnten sich nämlich nicht vorstellen, daß es noch eine andere Sprache gäbe als ihre eigene. Aus der Unterhaltung seiner Führer entnahm Tarzan, daß sie ihn vor ihren König Moelhago führten, der den merkwürdigen Gefangenen zu sehen wünschte.

Sie brachten ihn durch einen langen Gang, der von kleinen in Nischen angebrachten Lichtern erhellt war. Sklaven und Krieger kamen in ununterbrochenem Zuge an ihm vorbei. Da waren hochgestellte Sklaven in der weißen Tunika mit den roten Abzeichen ihrer Eigner auf Brust und Rücken, dann Sklaven in grünen Kitteln vom zweiten Nachwuchs mit dem Abzeichen in Schwarz, dann Sklaven der ersten Generation, die auf ihren gleichfalls grünen Kitteln noch das Zeichen ihrer Heimatstadt auf dem Rücken trugen. Dann sah man Krieger von allen Graden und Stellungen, mit Ausrüstungen von Leder des einfachen Soldaten bis zum juwelengeschmückten Gehänge des Vornehmen. Das Durcheinander aller dieser Persönlichkeiten zog in zwei Reihen rechts und links an Tarzan vorbei. Ab und zu galoppierte auch ein Reiter in schärfster Gangart auf einer der mächtigen Antilopen vorüber, die Tarzan immer noch seit seiner Gefangennahme am meisten in Erstaunen setzten.

Soviel Tarzan aus der Bauart des Gebäudes schließen konnte, schien er sich in einem der Dome zu befinden, wie er sie in der Stadt des Drohahkis gesehen hatte. Aber als er sich dann die Abmessungen des Gebäudes über ihm an seiner eigenen Größe gemessen auszudenken suchte, wurde ihm schwindelig. Wenn er hier ein Gegenstück zu Drohahkis Palast in entsprechend größerem Ausmaß über sich hatte, mußte dies Gebäude fast zweihundert Meter breit und hundertfünfzig Meter hoch sein. Es war nicht auszudenken, daß irgendein Menschenvolk ein derartiges Werk nur mit den ursprünglichen Hilfsmitteln ausführen konnte, die diesen Leuten hier allein zu Gebote standen. Und doch, da waren die gewölbten Dachkuppeln, die Zwischenwände aus Zyklopenmauerwerk und die Riesenräume mit ihren wuchtigen Deckbalken und den dicken Säulen, alles genau so, wie er es beim Bau eines Domes in Trohana studiert hatte, nur viel, viel riesiger war alles. Er überflog noch mit den Augen diese rätselhaften Tatsachen, als ihn seine Begleiter aus dem im Kreise laufenden Flur in einen anderen führten, der im rechten Winkel dazu lag. Sie hielten vor dem Eingang eines Raumes, der von oben bis unten mit allerlei Regalen mit Waren jeder Art angefüllt war. Da sah man vor allem Kerzen, große und kleine, Kerzen von jeder denkbaren Form und Gestalt. Dann fanden sich Helme, Leibriemen, Sandalen, Jacken, Krüge, Töpfe, Schüsseln und tausenderlei andere Gegenstände zum täglichen Gebrauch der Minunier, mit denen Tarzan während seines Aufenthaltes in Trohana schon mehr oder weniger vertraut geworden war.

Als Antwort auf den Anruf eines Wächter kam ein Sklave in weißer Tunika an den Eingang des Lagers. Eine grüne Jacke für diesen Burschen von Trohana! befahl der Wächter.

Wessen Abzeichen bekommt er auf den Rücken? fragte der Sklave.

Er gehört Zoanthro, beschied ihn der Soldat.

Der Sklave eilte flink an eines der Regale, aus dem er eine grüne Jacke herausnahm. Aus einem anderen Gefach nahm er zwei große Holzklötze, in die zwei verschiedene Zeichen eingeschnitzt waren. Er bestrich die Schnitzerei mit einer Art Farbe oder Tinte, legte dann die Tunika zwischen ein Brett als Unterlage, die beiden Klötze darüber, und schlug mit einem Holzhammer darauf. Als er dem Affenmenschen die Jacke zum Anziehen gab, entdeckte dieser auf Brust und Rücken des Kleidungsstückes ein schwarzes Abzeichen, daß er aber nicht lesen konnte – so weit waren seine Studien noch nicht gediehen. Der Sklave gab ihm noch ein Paar Sandalen, dann schob ihn der Soldat wieder nach dem Flur. Als sie weiterschritten, änderte sich mit einem Male das Aussehen des Gebäudes. Die Wände waren da und dort mit Gemälden, meist Jagd- und Kampfszenen, geschmückt, die nach einer schablonenhaften Manier in meist grellen Farben ausgeführt waren. In zahlreichen Nischen brannten vielfarbige Kerzen. Es begann von übertrieben aufgeputzten Kriegergestalten zu wimmeln. Sklaven in grünen Jacken fanden sich nicht mehr, die weißen Jacken der Hörigen aus gehobener Kaste waren aus feinerem Stoff. Nicht selten trugen diese Sklaven auch kostbares Lederzeug und reichen Edelsteinschmuck.

Der Glanz dieses Reichtums, die strahlende Lichtfülle nahm immer noch zu, bis der Flur zwischen zwei massigen Torflügeln aus gehämmertem Golde plötzlich zu Ende ging. Dort standen mit kostbarem Prunk gekleidete Kriegsmannen, deren Befehlshaber Tarzans Eskorte nach ihrem Zwecke fragte.

Auf des Königs Befehl bringen wir ihm den Sklaven des Zoanthro, erwiderte der Führer, den Riesen, der vor Trohana gefangengenommen wurde.

Der Fragesteller wandte sich zu einem seiner Leute: Überbringe diese Meldung dem König, sagte er.

Der Bote ging und seine Kameraden begannen allerlei Fragen über Tarzan zu stellen, auf die dessen Häscher kaum Auskunft geben konnten; aber bald kam der Bote mit der Weisung, die Schar alsbald vor den König zu führen. Die schweren Türflügel öffneten sich, und Tarzan fand sich auf der Schwelle eines ungeheuren Saales, dessen Wände auf der gegenüberliegenden Seite an einer Stelle zusammenliefen, an der ein Thron auf einer Empore stand. Riesige hölzerne Säulen stützten die zwischen den Deckbalken verputzte Decke. Träger wie Säulen waren reich mit Schnitzwerk verziert, während der Verputz mit Bildern ausgemalt war, die wohl Vorkommnisse aus der Geschichte von Veltopis darstellten.

Der Raum war leer, mit Ausnahme von zwei Kriegern, die rechts und links des Thronsitzes vor Türen Wache ständen. Als Tarzans Eskorte auf dem breiten, zum Throne führenden Gang vorwärtsschritt, winkte sie der eine der Posten zu sich heran und warf die Türe vor ihnen auf. Ein kleiner Raum zeigte sich, in dem ein halbes Dutzend elegant gekleideter Krieger auf kleinen geschnitzten Bänken saß, während sich ein siebenter in einem Lehnstuhl räkelte, auf dessen Armlehnen er mit den Fingern trommelte. Er hörte der Unterhaltung der anderen zu und warf ab und zu eine Bemerkung dazwischen, die dann immer mit gespannter Aufmerksamkeit angehört wurde. Wenn er beim Sprechen finster dreinsah, blickten die anderen noch finsterer, wenn er lächelte, lachten sie. Kaum einen Augenblick ließen sie die Augen von seinem Gesicht, aus Furcht, irgendein Anzeichen seiner wetterwendischen Laune könnte ihnen entgehen.

Noch auf der Schwelle machten Tarzans Führer mit ihm halt und blieben schweigend stehen, bis der Mann im Armstuhl geruhte, von ihnen Notiz zu nehmen. Dann ließ sich der Anführer auf ein Knie nieder, hob seine Arme, die Handflächen nach vorn, hoch über den Kopf, lehnte sich so weit wie möglich zurück und sagte in monotoner Weise seinen Begrüßungsspruch her:

O Moelhago, König von Veltopis, Beherrscher aller Menschen, Herr aller erschaffenen Wesen, Allweiser, Allmutiger, Allruhmreicher. Wir bringen dir, wie du befahlst, Zoanthros Sklaven.

Erhebe dich und bringe den Sklaven hierher, befahl der Mann im Lehnstuhl. Dann wandte er sich an seine Gefährten: Dies ist der Riese, den Zoanthro von Trohana mitgebracht hat.

Wir hörten davon, Allruhmreicher, erwiderten diese.

Auch von Zoanthros Wette? fragte der König.

Auch von ihr, All weiser! antwortete einer.

Was haltet ihr davon? forschte der König.

Wir sind ganz deiner Ansicht, Beherrscher aller Menschen, entgegnete rasch ein anderer.

Und wie ist meine Ansicht? fragte der König.

Die sechs blickten scheu und unsicher von einem zum andern.

Wie ist denn seine Ansicht? flüsterte einer, der am weitesten von Moelhago entfernt war, seinem Nachbarn zu, der verlegen mit den Achseln zuckte und nach der anderen Seite sah. Was war das, Gofoloso? rief der König. Was hast du eben gesagt?

Ich wollte eben bemerken, daß Zoanthro unbedingt seine Wette verlieren muß, falls er nicht vorher unseren erhabenen und allweisen Herrscher befragt hat und nur nach dessen Rat handelt, erwiderte Gofoloso geschmeidig.

Natürlich, es ist etwas dran an dem, was du sagst, Gofoloso, meinte der König: Zoanthro hat mich tatsächlich um meinen Rat gebeten. Ich war es, der das Schwingungsgesetz entdeckte, nachdem die Sache möglich ist. Ich legte die Grundzüge fest, nach denen die ersten Versuche anzustellen waren. Leider ist das Ergebnis bisher noch kein dauerhaftes; aber wir glauben, mit Hilfe einer neuen Formel die Dauer wenigstens bis auf neununddreißig Monde ausdehnen zu können. Auf Grund dieser Erwartung hat Zoanthro seine Wette abgeschlossen. Wenn er sich täuscht, verliert er eintausend Sklaven an Dalfasto!

Wunderbar! rief Gofoloso: Fürwahr, gesegnet sind wir über alle anderen mit einem so gelehrten und weisen König wie Moelhago.

Ihr könnt wohl dafür dankbar sein, Gofoloso, stimmte der König bei: Aber das ist noch nichts gegen das, was folgen wird, wenn wir meine Methode anwenden, um das Gegenteil von dem hier erlangten Ergebnis zu erzielen. Wir arbeiten daran, wir arbeiten energisch daran. Eines Tages werde ich Zoanthro die Formel geben, die die Welt aus den Angeln heben soll. Mit ein paar hundert Mann können wir dann die ganze Welt erobern.

Moelhago wandte seine Aufmerksamkeit jetzt dem Sklaven in der grünen Tunika zu, der dicht vor ihm stand. Er musterte ihn einige Minuten lang scharf, ohne ein Wort zu sagen.

Aus welcher Stadt stammst du? fragte der König schließlich.

O allruhmreicher Moelhago, antwortete für den Riesen der Führer der Schar: das arme unwissende Geschöpf ist stumm.

Gibt er irgendwelche Laute von sich? forschte der König.

Seit er gefangen wurde, ließ er keinen Ton hören, Herr der Menschen, antwortete der Krieger.

Dann ist er ein Kolol, erklärte Moelhago: Wozu all diese törichte Aufregung wegen eines dieser niedrigstehenden stummen Tiere.

Seht doch, rief Gofoloso: wie rasch und sicher der Vater der Weisheit alle Dinge erfaßt, jegliches Geheimnis ergründet und dessen verborgene Umstände entschleiert. Ist das nicht erstaunlich!

Moelhago studierte immer noch Tarzans Gesicht und schien die Lobhudeleien seiner Höflinge gar nicht zu hören. Aber nun redete er weiter: Er sieht aber gar nicht wie ein Kolol aus, meinte er nachdenklich. Schaut euch seine Ohren an. Er hat weder die Ohrform noch das Haar der Stummen. Sein Wuchs ist auch ganz anders, und sein Haupt ist für das Ansammeln von Wissen und für das Arbeiten der Vernunft geformt. Das kann unmöglich ein Kolol sein.

Wundervoll, Gofoloso: Hab' ich's euch nicht gesagt? Moelhago, unser König, hat immer recht.

Auch der Begriffsstutzigste von uns kann mit Leichtigkeit erkennen, daß wir hier keinen Kolol vor uns haben, nun, da uns des Königs göttlicher Scharfsinn die Sache so klargemacht hat, sagte ein anderer Höfling.

Bei dieser Lobrede öffnete sich eine andere Tür, und ein Krieger erschien. O Moelhago, König von Veltopis, leierte er herunter: deine Tochter, die Prinzessin Dschansara ist gekommen, um den merkwürdigen Sklaven zu betrachten, den Zoanthro von Trohana hergebracht hat, und erbittet deine königliche Erlaubnis für ihren Eintritt.

Moelhago nickte zustimmend. Führt die Prinzessin herein, befahl er.

Anscheinend hatte diese in Hörweite unmittelbar an der Türe gewartet, denn der König hatte kaum gesprochen, als sie auch schon über die Schwelle trat. Zwei junge Mädchen und ein paar Krieger bildeten ihr Gefolge. Die Höflinge erhoben sich vor ihr, aber der König blieb sitzen.

Tritt ein, Dschansara, sagte er, und beschaue dir diesen fremden Riesen, von dem in Veltopis mehr die Rede ist als selbst vom König.

Die Prinzessin schritt durch das Gemach und trat dicht vor den Affenmenschen, der, seit er den Raum betreten hatte, mit über der Brust gefalteten Armen immer in derselben Haltung dastand und ein vollkommen gleichgültiges Gesicht machte. Er betrachtete die nähertretende Prinzessin und fand, daß sie jung und sehr schön war. Mit Ausnahme der wenigen kurzen Blicke, die Tarzan auf Frauen von Trohana hatte tun können, sah er hier zum ersten Male ein weibliches Wesen dieser Rasse. Ihre Gesichtszüge waren fehlerlos, das reiche dunkle Haar war gefällig unter einem prunkhaften Kopfputz geordnet, die weiße Haut beschämte die Pfirsiche in ihrer Zartheit und Tönung. Sie war ganz weiß gekleidet, wie es einer jungfräulichen Prinzessin im Palaste ihres Vaters zukam. Ihr Gewand aus weichem schmiegsamem Stoff fiel in geraden und einfachen Linien bis auf die schlanken Knöchel. Tarzan sah ihr in die Augen, die grau waren, aber durch die Schatten der schweren Wimpern viel dunkler erschienen. Er suchte aus ihnen etwas über den Charakter der Besitzerin zu lesen, denn hier hatte er das junge Mädchen vor sich, das sein Freund Florensal eines Tages zu ehelichen und zur Königin von Trohana zu machen hoffte. Aus diesem Grunde erweckte sie des Affenmenschen Interesse. Da sah er, wie sich die schöngeschwungenen Augenbrauen plötzlich zusammenzogen. Was hat denn dieses Tier? rief die Prinzessin. Ist er denn aus Holz gemacht?

Er kann nicht sprechen und versteht auch nicht, was man spricht, erklärte ihr Vater. Seit seiner Gefangennahme hat er nicht einen Laut von sich gegeben.

Ein mürrisches, häßliches Vieh ist er, sagte die Prinzessin. Wollen wir wetten, daß ich ihm einen Laut entlocke, und zwar sofort? Mit diesen Worten zog sie einen kleinen Dolch aus dem Gürtel und stieß ihn in Tarzans Arm. Sie ließ ihren Worten so flink die Tat folgen, daß alle Dabeistehenden überrumpelt wurden. Aber mit den wenigen Worten, die sie zuvor gesprochen hatte, hatte sie den Herrn der Dschungel genügend vorbereitet. Er konnte sich dem Stich nicht entziehen, aber er bereitete ihr nicht die Genugtuung, ihren grausamen Versuch von Erfolg begleitet zu sehen, denn er gab keinen Laut von sich. Vielleicht hätte sie ihm noch einen zweiten Dolchstoß versetzt, denn nunmehr war sie wirklich erbost, aber der König wies sie in scharfem Tone zurück.

Genug, Dschansara, rief er. Wir wünschen nicht, daß diesem Sklaven ein Leid geschieht, da wir an ihm Versuche machen, die für die künftige Wohlfahrt von Veltopis von größter Bedeutung sind.

Er hat es gewagt, mir in die Augen zu stieren, rief die Prinzessin. Außerdem hat er sich geweigert, zu sprechen, obwohl er doch wissen mußte, daß mir das ein Vergnügen gemacht hätte. Er gehört dafür getötet.

Er ist nicht dein Eigentum, daß du ihn töten kannst, verwies ihr der König. Er gehört Zoanthro.

Dann kaufe ich ihn, sagte sie und drehte sich nach einem ihrer Gefolgsmannen um: Hole mir Zoanthro!

*

Als Esteban Miranda das Bewußtsein wiedererlangte, war das Feuer vor seinem notdürftig zurechtgebauten Dorngehege längst zu einem Häufchen kalter Asche niedergebrannt, und der Morgen graute bereits. Er fühlte sich schwach und elend und hatte starke Kopfschmerzen. Er führte die Hand an den Kopf und fand sein dickes Haar mit geronnenem Blute verklebt. Dabei geriet er an eine große Wunde in der Kopfhaut, bei deren Berührung er zusammenfuhr und erneut in Ohnmacht sank. Als er zum zweiten Male zu sich kam, war es heller Tag. Er sah sich fragend um. Wo war er? Er rief laut auf spanisch nach einer Frau mit einem melodisch klingenden Namen. Nicht Flora Hawkes rief er, sondern einen weichklingenden spanischen Namen, den Flora nie zu hören bekommen hatte.

Miranda richtete sich in sitzende Stellung auf und bemerkte mit offensichtlichem Erstaunen seine Nacktheit. Er nahm das Lendentuch auf, das ihm vom Leibe geschnitten worden war, und sah sich auf dem ganzen Boden ringsumher um – mit einem stumpfen, verständnislosen Ausdruck in den Augen. Jetzt fand er seine Waffen, nahm sie auf und untersuchte sie. Lange Zeit betrachtete er sie, fingerte an ihnen herum und runzelte nachdenklich die Stirn. Messer, Speer, Bogen, Pfeile, alles betrachtete er immer und immer wieder. Er blickte auf die vor ihm liegende Dschungellandschaft, und der verwunderte Ausdruck auf seinem Gesicht verstärkte sich noch. Er erhob sich halb, blieb aber noch auf den Knien. Ein aufgescheuchtes Nagetier huschte über die Lichtung, bei dessen Anblick der Mann nach Pfeil und Bogen griff, aber das Tier war verschwunden, ehe er ihm einen Pfeil nachsenden konnte.

Der Ausdruck der Verwirrung auf dem Antlitz des Knienden nahm noch zu; in sprachlosem Staunen blickte er auf die Waffe, die ihm so vertraut in der Hand lag. Er erhob sich, nahm Speer und Messer und die noch vorhandenen Pfeile an sich und zog durch die Dschungel davon.

Hundert Schritte hinter seinem Schutzgehege traf er auf einen Löwen, der seine neben der breiten Elefantenfährte ins Gebüsch geschleppte Beute verzehrte. Der Löwe knurrte unheimlich. Der Mensch machte halt und lauschte mit gespannter Aufmerksamkeit. Er war immer noch nicht recht bei klarer Besinnung; aber gleichwohl blieb er nur einen Moment regungslos auf der Fährte stehen. Mit der Geschmeidigkeit eines Leoparden rettete er sich auf den tief herabhängenden Zweig des nächsten Baumes. Dort kauerte er einige Minuten. Er konnte sehen, wie sich der Löwe an den Überresten irgendeines Geschöpfes gütlich tat, was es gewesen war, ließ sich nicht unterscheiden. Nach einer Weile glitt der Mann lautlos wieder vom Baume herab und ging in derselben Richtung, aus der er gekommen war, wieder zurück. Er war nackt, aber er wußte es nicht. Er hatte seine Diamanten verloren, aber wenn er einen Diamanten gesehen hätte, würde er ihn gar nicht gekannt haben. Uhha hatte ihn verlassen, aber er vermißte sie nicht, denn er wußte gar nicht, daß sie jemals existiert hatte.

Blindlings, doch gehorsam folgten seine Muskeln jedem Geheiß, das er ihnen im Auftrag des allerersten Naturgesetzes erteilte. Er war sich nicht darüber klar, warum er bei Numas Knurren auf einen Baum kletterte, er konnte nicht erklären, warum er nicht an Numa vorbei, sondern in anderer Richtung davonging. Er wußte nicht einmal, daß seine Hand bei jedem Geräusch in der umgebenden Dschungel an die Waffen fuhr.

Uhha hatte ihr Ziel überschossen. Esteban Miranda war für seine Missetaten nicht bestraft, weil er einfach nichts mehr von ihnen oder von einer anderen Art Dasein wußte. Uhha hatte seine Vernunft getötet. Sein Gehirn war nur noch ein Speicher von Erinnerungen, die ihm nie mehr zum Bewußtsein kommen würden. Wenn ein scharfer Antrieb wirkte, arbeiteten Nerven und Muskeln wohl genau, als ob sie auf vernunftgemäße Lebensäußerungen ansprächen, aber eine über die Erinnerung hinausgehende neue Notwendigkeit würde ihn völlig hilflos gefunden haben. Er war nur noch ein durch die Dschungel wandernder lebender Leichnam ohne Seele. Zeitweise wanderte er schweigend dahin, dann schwätzte er wieder kindisch auf spanisch oder er rezitierte auf englisch, ganze Seiten aus Shakespeare.

Wenn ihn Uhha hätte sehen können, würde selbst sie, die kleine Wilde, Gewissensbisse über ihr Werk bekommen haben, das um so schauerlicher wirkte, als dessen Opfer sich seines Zustandes gar nicht bewußt war. Aber Uhha war nicht mehr da, um ihr Werk zu betrachten, weder sie noch sonst jemand; und so zog denn der armselige Erdenkloß, der einst ein denkender Mann gewesen war, ziellos dahin durch die Dschungel, bald jagend und essend, wenn die richtigen Nerven gerade in Tätigkeit kamen, bald wieder schlafend, redend, wandernd, wie ein anderer Mensch.

*

Die Prinzessin Dschansara von Veltopis bekam keine Gelegenheit, Zoanthros Sklaven zu kaufen. Der König, ihr Vater, ließ es nicht zu, und so verließ sie denn in höchster Empörung das Gemach, das sie zur Besichtigung des Gefangenen betreten hatte. Als sie im nächsten Saal außer Sichtweite ihres königlichen Vaters war, drehte sie sich um und schnitt ihm eine Grimasse, über die ihre ganze Leibwache und die zwei Gesellschaftsdamen lachten.

Du Narr, flüsterte sie in der Richtung nach ihrem indessen sich gar nicht versehenden Vater: Und ich kriege den Sklaven doch, und wenn ich dazu Lust bekomme, dann töte ich ihn auch.

Die Krieger und die Mädchen nickten beifällig mit den Köpfen.

König Moelhago drin erhob sich derweil gelangweilt von seinem Sitze: Bringt ihn in die Steinbrüche, sagte er, mit einem Finger auf Tarzan deutend, aber sagt dem Oberbeamten dort ausdrücklich, es sei des Königs Wunsch, daß er weder überanstrengt noch irgendwie verletzt werde.

Darauf wurde der Affenmensch zur einen Türe hinausgeführt, während der König das Gemach durch die andere verließ. Die sechs Höflinge machten in der eigentümlichen Art der Minunier so lange Verbeugungen, bis er draußen war. Dann schritt einer von ihnen rasch auf den Fußspitzen nach dem Ausgang, durch den Moelhago gegangen war, drückte sich platt neben der Türöffnung gegen die Wand und lauschte einen Augenblick. Offensichtlich befriedigt reckte er dann den Hals, bis er mit einem Auge das Nebenzimmer übersehen konnte, und kehrte zu seinen Genossen zurück.

Der geistige Almosenempfänger ist fort, erklärte er in einem außerhalb des Gemachs kaum hörbaren Flüstertone, denn selbst in Minunien ist es bekannt, daß die Wände Ohren haben.

Hat man je ein Geschöpf mit solch unerhörter Eitelkeit gesehen? rief einer aus.

Er hält sich für klüger als alle anderen Menschen zusammen, meinte ein anderer: Manchmal überkommt mich das Gefühl, als ob ich seine Anmaßung einfach nicht mehr aushalten könnte.

Aber du kannst es, Gefasto, sagte Gofoloso: Herr der Heerscharen von Veltopis ist ein zu schöner Posten, als daß man ihn leichtfertig beiseite würfe.

Besonders da es gleichbedeutend wäre mit Selbstmord, fügte Torndali, der Vorsteher der Steinbrüche, hinzu.

Aber bedenkt einmal die ungeheuerliche Unverschämtheit dieses Menschen, sagte Makahago, der Vorsteher der öffentlichen Bauten: Er hat nicht mehr Anteil an Zoanthros Erfolg als ich, tut aber, als ob die ganzen Fortschritte nur auf ihn zurückzuführen wären, und Zoanthro allein für die Mißerfolge verantwortlich sei.

Seine Eigenliebe ist geradezu eine Gefahr für den Ruhm von Veltopis, behauptete der Ackerbauminister Throwaldo: Da sucht er uns sechs Prinzen als Ratgeber aus, uns, die ihr besonderes Arbeitsgebiet besser als andere kennen sollen, damit ihre vereinte Kenntnis der Verhältnisse, der Nöte und Staatsangelegenheiten von Veltopis durch gemeinsame Zusammenarbeit ein Bollwerk bilde gegen die herrlichen Schnitzer, die er dauernd begeht, aber er hört gar nicht auf unseren Rat. Wenn wir ihm nur einen Rat geben wollen, sieht er das schon als Eingriff in seine königlichen Vorrechte an; wollen wir ihm einen dringlicher nahelegen, hält er es fast für Hochverrat. Wozu sind wir denn Veltopis nütze? Was mag nur das Volk von uns denken?

Wir wissen gut genug, was sie von uns halten, fuhr Gofoloso auf: Die Rede geht, wir seien nicht erwählt wegen unserer Kenntnis, sondern wegen unserer Unkenntnis. Ich kann den Leuten nicht einmal unrecht geben. Ich, ein Diadetzüchter, Besitzer von zehntausend Sklaven, die das Land bestellen und die Hälfte der gesamten Ernährung für die Stadt sicherstellen, ich werde zum Kanzler, zum Fürst der Fürsten gemacht und muß ein Amt bekleiden, zu dem ich weder Lust spüre, noch Eignung besitze, während Throwaldo, der das Oberteil einer Pflanze nicht von der Wurzel unterscheiden kann, Ackerbauminister ist. Makahago, der hundert Monde lang die Steinbruchsklaven hat arbeiten lassen, wird Staatsoberbaumeister, Torndali dagegen, anerkannt, der größte Architekt unserer Zeit, wurde zum Vorstand der Steinbrüche gemacht. Gefasto und Vestako sind die einzigen, die in ihren Ämtern Bescheid wissen. Den Vestako hat der König schlauerweise als Hofmarschall gewählt, damit seine königliche Bequemlichkeit und Sicherheit keine Einbuße leidet, aber bei Gefasto hat er seinen größten Bock geschossen. Da nimmt er sich einen lebenslustigen, vergnügungssüchtigen jungen Mann, dem er den Oberbefehl über das Heer gibt, und muß in ihm zu seinem Leidwesen das größte militärische Genie entdecken, das Veltopis je hervorgebracht hat.

Gefasto quittierte diese anerkennende Feststellung mit einer höflichen Verbeugung.

Wäre Gefasto nicht gewesen, die Leute von Trohana hätten uns letzthin hübsch in der Falle gehabt, fuhr Gofoloso fort.

Ich riet dem König sogleich vom weiteren Angriff ab, als es feststand, daß uns die Überraschung mißlungen war; warf Gefasto ein: Wir hätten sofort zurückgehen sollen. Aber ich konnte ihn nur durch Vorrücken zum Angriff los werden, um Handelsfreiheit zu gewinnen, und dann habe ich ja, wie ihr wißt, rasch genug unsere Truppen zurückgenommen und die Loslösung vom Feinde unter so wenig Verlust an Leuten und gutem Rufe vollzogen, als nur möglich war.

Eine glorreiche Tat war es, Gefasto, sagte Torndali: Die Truppen beten dich geradezu an. Sie hätten gerne einen König, der ihnen wie du im Kampfe vorangeht.

Und sie wie in alten Zeiten ihren Wein trinken ließe, setzte Makahago hinzu.

Wir alle wären nicht ungerne Gefolge eines Königs, der uns das harmlose Vergnügen am Weine ließe, bemerkte Gofoloso: Was meinst du dazu, Vestako?

Der Hofmarschall, der die ganze Zeit über der Bekrittelung seines Herrn schweigend zugehört hatte, schüttelte den Kopf:

Ich halte es für unklug, hochverräterische Reden zu führen, sagte er mit Betonung.

Die anderen sahen ihn scharf an und wechselten rasch einen Blick.

Wer spricht denn hier von Verrat, Vestako? fragte Gofoloso.

Ihr alle habt mehr davon gesprochen, als für eure Sicherheit gut ist, sagte Vestako salbungsvoll. Er erhob seine Stimme bei diesen Worten, so daß er statt überhört zu werden, hoffen konnte, recht weit gehört zu werden. Moelhago ist uns mehr als gnädig gewesen. Mit Ehren und Reichtümern hat er uns überhäuft. Wir haben außerordentliche Macht verliehen bekommen. Er ist in der Tat ein weiser Herrscher. Wer wagt da, seine Handlungen in Frage zu stellen?

Die anderen schauten sich unbehaglich um. Gefoloso lachte nervös: Daß du auch nie einen Spaß verstehst, mein guter Vestako. Merkst du denn nicht, daß wir uns nur einen Scherz mit dir machten?

Nein, das merkte ich nicht, entgegnete der Hofmarschall: Aber der König hat mehr Verständnis für Humor als ich. Ich werde ihm euren Scherz erzählen. Wenn er darüber lacht, dann lache ich auch, denn dann weiß ich bestimmt, daß es ein Scherz war. Aber ich bin neugierig, mit wem er gemacht wird.

Oh, Vestako, tue das nicht, erzähle es nicht dem König. Vielleicht versteht er die Sache falsch. Wir sind doch gute Freunde und hatten nur unter Freunden gesprochen. Gofoloso war augenscheinlich bestürzt, er sprach hastig: Nebenbei, mein lieber Vestako, wenn ich mich recht erinnere, fandest du letzthin an einem meiner Sklaven Gefallen. Ich wollte ihn dir schon zum Geschenk machen. Wenn du ihn annehmen willst, ist er dein.

Hundert deiner Sklaven gefallen mir, sagte Vestako freundlich.

Du sollst sie haben, sagte Gofoloso. Komme mit und suche sie dir aus. Es ist mir ein Vergnügen, wenn ich meinem Freunde mit einem so geringen Geschenk Freude mache.

Vestako sah die anderen vier fest an. Diese standen kurze Zeit in unruhigem Schweigen, das der Ackerbauminister Throwaldo schließlich brach: Wenn Vestako auch hundert von meinen allerdings nur geringen Sklaven als Geschenk nehmen wollte, wäre ich entzückt, sagte er.

Ich hoffe, es sind Sklaven der weißen Jacke? fragte Vestako.

Selbstverständlich, versicherte Throwaldo.

Ich kann mich doch an Freigebigkeit nicht übertreffen lassen, sagte Torndali: du mußt auch von mir hundert Sklaven annehmen.

Und von mir nicht minder! rief der Oberbaumeister Makahago.

Wenn ihr sie zu meinem Obersklaven senden wollt, werde ich von Dankbarkeit erdrückt sein, bemerkte Vestako, der sich mit salbungsvollem Lächeln die Hände rieb. Dann wendete er Gefasto, dem Herrn der Heerscharen von Veltopis, rasch und vielsagend seinen Blick zu:

Ich kann meine Freundschaft für den edlen Vestako am besten dadurch beweisen, sagte Gefasto ohne jedes Lächeln, daß ich, wenn möglich, meine Soldaten davon abhalte, ihm einen Dolch in die Rippen zu rennen. Falls mir aber irgend etwas zustoßen sollte, kann ich für die Handlungen meiner Leute nicht verantwortlich gemacht werden, die mich, wie man mir sagt, lieben. Noch einen Blick lang sah er Vestako gerade ins Auge, dann drehte er sich kurz auf der Ferse um und schritt aus dem Gemach.

Mit den Geschicken von Veltopis ist es weit genug gekommen, meinte er, als er mit Gofoloso den Flur der Krieger entlangschritt.

Woraus schließt du das? fragte der Fürst der Fürsten.

Aus Vestakos Schändlichkeit. Er kümmert sich weder um König noch Volk. Für Sklaven oder Gold verrät er jeden, und Vestako ist der typische Vertreter der Mehrzahl von uns. Nicht einmal die Freundschaft ist mehr heilig, denn selbst aus Throwaldo, den er doch zu seinen besten Freunden zählte, preßte er Schweigegeld heraus.

Aber was hat uns diese Zustände gebracht, Gefasto? fragte Gofoloso gedankenvoll: Manche schieben es diesem, andere jenem Grunde zu, und obgleich keiner so gut wie ich die Antwort auf diese Frage wissen sollte, muß ich doch gestehen, daß ich kein Ahnung habe.

Wenn mich einer fragt, Gofoloso, woher der Wirrwarr in Veltopis kommt, dann sage ich, von zuviel Frieden. Frieden hat Wohlstand im Gefolge – Wohlstand, und damit viel freie Zeit. In dieser freien Zeit suchte man nach Beschäftigung. Aber wer hätte Lust, sie zur Arbeit zu verwenden, sei es auch nur auf die Mühe, die Verteidigung des Friedens und des Wohlstandes zu sichern, während es doch so leicht ist, die Zeit mit Vergnügungen zu verbringen? Die materielle Wohlfahrt des Friedens gab uns die Mittel, jeder Laune nachzugeben. Wir sind übersättigt an Dingen, die wir noch gestern als einen Luxus betrachteten, den wir uns nur selten und nur bei feierlichen Gelegenheiten leisten konnten. Als Folge sind wir genötigt, neue Vergnügungen zu ersinnen, denen wir uns hingeben können, und du kannst dessen versichert sein, sie sind bereits so übertrieben und kostspielig in Form, und Inhalt geworden, daß selbst unser wundervoller Wohlstand ihren Anforderungen kaum noch genügt.

Verschwendung ist oberstes Gesetz. Sie ruht wie ein böser Alp auf dem König und seiner Regierung. Um ihre Anforderungen an den Staatsschatz gutzumachen, wird die Bürde vom Rücken der Verwaltung auf das Volk in Gestalt so unerhörter Steuern abgewälzt, daß sie kein Mensch ehrlich bezahlen kann, wenn er noch soviel übrig behalten will, um seinen Appetit zu befriedigen. Darum schiebt jeder die Steuern auf die eine oder andere Weise an den Nächsten ab, der weniger glücklich oder weniger gerissen ist.

Aber die schwerste Last liegt doch auf den Besitzenden, wandte Gofoloso ein.

In der Theorie, nicht in Wirklichkeit, erwiderte Gefasto. Es ist wahr, daß die Reichen den Löwenanteil an die königliche Schatzkammer zahlen, aber sie ziehen das Geld erst in Gestalt von höheren Preisen und auf sonstige Weise aus dem Volke heraus und nehmen sich zwei Dschetaks für einen, den sie an den Steuereinnehmer zahlen. Würde man die Unkosten der Steuererhebung mit dem Verlust an Weinsteuer seit dem Weinverbot und den Unkosten zusammenzählen, die man aufwenden muß, um die Gewissenlosen am heimlichen Erzeugen von Wein und am Schleichhandel damit zu verhindern, dann würde diese Ersparnis des Staatssäckels unsere Ausgaben derartig entlasten, daß die Steuern keinen mehr drücken dürften.

Doch komm, du mußt schleunigst deine hundert Sklaven an Vestako absenden, sonst erzählt er Moelhago unseren kleinen Scherz.

Gofoloso lächelte etwas schmerzlich. Eines schönen Tages wird er diese hundert Sklaven zu bezahlen haben, und der Preis dafür wird recht hoch sein.

Wenn sein Herr zu Fall kommt, sagte Gefasto.

Sobald sein Herr fällt, berichtigte Gofoloso.

Der Herr der Heerscharen zuckte die Achseln, lächelte aber zustimmend. Er lächelte auch noch, als sein Freund schon seiner Wege gegangen war.


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