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Sturz ins Ungewisse

Von Lord Greystokes afrikanischem Bungalow gingen drei Personen langsam durch den Rosenlaubenweg, der von der Veranda durch des Affenmenschen wohlgepflegten Garten führte. Es waren zwei Herren und eine Dame, alle drei in Khakikleidung. Der ältere Herr mit der Fliegerkappe und Schutzbrille in der Hand, hörte mit gutmütigem Lächeln dem jüngeren zu.

Wenn Mutter hier wäre, würdest du es wohl lassen, sagte dieser: Sie würde es dir einfach nicht erlauben.

Ich fürchte, du hast recht, mein Junge, erwiderte Tarzan. Aber nur noch dies eine Mal fliege ich, dann steige ich nicht wieder auf, ehe sie zurück ist, das verspreche ich dir. Du hast ja selbst gesagt, daß ich ein gelehriger Schüler sei, wenn du also als Lehrer wirklich etwas taugen willst, dann mußt du zu meiner Befähigung Vertrauen haben, nachdem du einmal erklärt hast, ich sei durchaus zur Führung einer Maschine imstande. Was, Meriem, habe ich da nicht recht? fragte er die junge Dame.

Diese schüttelte aber den Kopf: Ich habe ebensoviel Sorge um dich, Vater, entgegnete sie: Du bist so waghalsig, daß man annehmen muß, du hältst dich für unsterblich. Du solltest vorsichtiger sein.

Der Jüngere legte seinen Arm um die Schulter seiner Frau: Meriem hat recht, meinte er: Du solltest wirklich vorsichtiger sein, Vater.

Tarzan zuckte mit den Achseln: Wenn ihr zwei, du und deine Mutter, euren Willen behieltet, dann wären meine Nerven und Muskeln längst verkümmert. Sie sind mir zum Gebrauch gewachsen, und ich gedenke sie auch auszunützen – mit Vernunft natürlich. Eines Tages bin ich doch alt und wertlos, und lange genug bleibe ich es.

Draußen auf der freien Ebene, die sich vom Bungalow bis zur fernen Dschungel erstreckte, stand ein Doppeldecker, in dessen Schatten sich zwei Waziri räkelten. Korak, Tarzans Sohn, hatte sie erst als Mechaniker und später als Flugzeugführer ausgebildet. Dieser Umstand hatte Tarzan nicht wenig in seinem Entschluß bestärkt, das Fliegen selbst gründlich zu lernen, denn als Oberhäuptling der Waziri durfte er sich auch nicht in der geringsten Einzelheit von einem einfachen Krieger seines Stammes übertreffen lassen. Tarzan setzte Sturzhelm und Brille auf und kletterte in den Führersitz hinauf.

Nimm mich lieber mit, meinte Korak.

Tarzan schüttelte nur mit gutgelauntem Lächeln den Kopf.

Dann wenigstens einen der Mechaniker, drängte sein Sohn: Vielleicht hast du unterwegs eine Störung, die dich zum Landen zwingt, und wenn du keinen Mechaniker dabei hast, was willst du dann anfangen?

Laufen! erwiderte der Affenmensch. Andua, befahl er dem einen der Schwarzen: Anwerfen!

Einen Augenblick danach dröhnte die Maschine übers Feld, stieg in glattem, elegantem Bogen auf, kurvte sich in die Höhe und zog in gerader Richtung davon, während ihr die Augen der Untengebliebenen nachsahen, bis sie ihnen als immer kleiner werdender Fleck entschwand.

Wohin meinst du, daß er fliegt? fragte Meriem.

Korak schüttelte den Kopf: Angeblich hat er kein besonderes Ziel und macht nur seinen ersten selbständigen Übungsflug allein. Aber, wie ich ihn kenne, sollte es mich nicht wundern, wenn er sich's in den Kopf gesetzt hätte, nach London zu fliegen und Mutter zu besuchen.

Aber das ist doch unmöglich, rief Meriem.

Für einen gewöhnlichen Menschen wohl, besonders bei so wenig Erfahrung und geringen Mengen an Betriebsstoff; aber du mußt zugeben, Vater ist eben kein gewöhnlicher Mensch.

Eineinhalb Stunden lang flog Tarzan ohne Kursänderung weiter, ohne sich über die Zeit und die zurückgelegte Riesenentfernung klar, zu werden, so entzückt war er von der Leichtigkeit, mit der sich das Flugzeug lenken ließ, und so erregt von dieser neuen Maschinenkraft, die ihm die Freiheit und Beweglichkeit der bisher beneideten Vögel verlieh.

Jetzt sah er vor sich eine große Wasserfläche oder richtiger eine Anzahl Wasserbecken zwischen Höhenzügen, und erkannte alsbald zu seiner Linken die Flußwindungen des Ugogo. Aber das Gelände mit der Seenplatte war ihm neu und erstaunte ihn. Augenblicklich erkannte er aber auch, daß er schon zweihundert Kilometer von daheim entfernt war, und entschloß sich zur Umkehr. Nur das Geheimnis der Seenplatte zog ihn an; das mußte er vor dem Rückflug näher untersuchen. Wie kam es, daß er nie bei seinen vielen Wanderungen in diese Gegend gekommen war? Er hatte auch niemals etwas darüber von den Eingeborenen gehört, die in nächster Nähe wohnten. Er ging tiefer, um die Seenbecken besser beobachten zu können, die sich jetzt als eine Reihe von flachen Kratern erloschener Vulkane erwiesen. Er sah Wälder, Teiche und Flüsse, von deren Vorhandensein er nichts geahnt hatte, und auf einmal entdeckte er, warum es in einem ihm so wohlbekannten Gelände einen Landstrich gab, von dem weder er noch die umwohnenden Eingeborenen etwas wußten. Er hatte den sogenannten »Großen Dornwald« erkannt. Seit Jahren kannte er dies undurchdringliche Dickicht, das eine weite Fläche zu bedecken schien und nur die kleinsten Tiere durchließ. Jetzt stellte er fest, daß es sich um einen ziemlich schmalen Streifen Dornbusch handelte, der eine liebliches, gut bewohnbares Land einschloß. Aber dieser Streifen bildete den schlimmsten Dornverhau, der je ein Geheimnis vor den Augen der Menschen geschützt hatte.

Tarzan beschloß, erst einmal dieses lang gehütete Land des Geheimnisses zu umkreisen, ehe er die Nase seines Flugzeuges heimwärts richtete, und ging im Eifer noch tiefer herunter. Unter ihm wuchs ein dichter Urwald; ein Stück weiter erstreckte sich offene Steppe, die am Rande steiler Steinhügel endete. Da bemerkte er, daß er in Gedanken das Flugzeug zu tief hatte sinken lassen, aber im gleichen Augenblick streifte er auch schon die belaubte Krone eines alten Urwaldherrschers, und ehe er eine Steuerbewegung ausführen konnte, senkte sich seine Maschine, überschlug sich und krachte unter dem Knacken brechender Äste und dem Splittern ihrer eigenen Holzteile zwischen den Bäumen hinab. Nach einer Minute herrschte tiefes Schweigen+...

Einen Waldpfad entlang schlich Wara, die Riesin, ein Geschöpf von menschenähnlichem Wuchs, das aber doch keinen menschlichen Eindruck machte. Ein großes Tier, das aufrecht auf zwei Beinen ging und eine Keule in der schwieligen Hand hielt. Das lange Haar fiel ungekämmt über die Schulter, Haare wuchsen auf Brust und Händen. Ein schmaler Lederstreifen trug eine Anzahl Schlaufen aus Rohhaut, an deren unteren Enden faustgroße runde Steine hingen, die mit Federn in leuchtenden Farben versehen waren. Die großen Füße waren unbekleidet und ihre ursprünglich weiße Haut braungebrannt. Das Gesicht war klobig, besaß eine breite Nase, einen breiten Mund mit dicken Lippen, Augen von regelrechter Größe, die unter dicken vorstehenden Augenbrauenwülsten saßen, die eine breite flache Stirn krönte. Im Gehen klappte diese Gestalt mit ihren großen flachen Ohren und zuckte ab und zu mit verschiedenen Teilen der Kopf- und Körperhaut wie ein Pferd, das die Fliegen verjagt.

Leise ging das Geschöpf vorwärts, die dunklen Augen spähten dauernd umher, während die wackelnden Ohren oftmals sich steif spitzten, wenn das Weib auf die Geräusche von Wild und von etwaigen Feinden lauschte.

Jetzt hielt die Riesin an, beugte sich mit vorwärtsgestreckten Ohren vor und sog mit ausgebreiteten Nasenflügeln die Witterung ein. Irgendein Geruch oder ein Laut, den unsere abgestumpften Organe gar nicht bemerkt hätten, erweckte ihre Aufmerksamkeit. Vorsichtig kroch sie weiter, da sah sie an einer Biegung des Pfades eine Gestalt mit dem Gesicht auf dem Boden liegen. Affentarzan lag bewußtlos da, während über ihm die zersplitterten Reste seines Flugzeuges in den Zweigen festgekeilt saßen.

Die Riesin packte ihre Keule fester und trat näher. Ihr Gesicht zeigte deutlich Erstaunen über dieses fremdartige Geschöpf, aber keineswegs Furcht. Mit hocherhobener Keule trat sie neben den hingestreckten Mann, aber sie schlug nicht zu. Sie kniete neben ihm nieder und untersuchte seine Kleidung, drehte ihn auf den Rücken um und legte das Ohr an seine Herzgrube. Einen Augenblick machte sie an seinem Hemd herum, bis sie es ungeduldig mit den Händen auseinanderriß. Dann legte sie ihm das Ohr an die bloße Haut und lauschte wieder. Sich umsehend, stand sie auf, bückte sich, warf sich den Körper des Affenmenschen mit Leichtigkeit über die Schulter und setzte ihren Weg auf dem Dschungelpfad fort. Der Weg lief bald in die wellenförmige Steppe aus, die sich am Fuße der Felshügel ausbreitete, zog sich über die Ebene hinweg und führte drüben in eine schmale Sandsteinschlucht, in die das Weib jetzt seine Bürde trug.

Etwa tausend Schritte hinter dem Eingang erweiterte sich die Kluft zu einem annähernd kreisrunden Amphitheater, dessen steile Wände von zahlreichen Höhleneingängen durchbohrt waren. Vor diesen Löchern hockten lauter Geschöpfe wie die Riesin Wara, die Tarzan in diese merkwürdige Behausung hineinbrachte. Als die Wilde das Amphitheater betrat, richteten sich aller Augen auf sie, denn man hatte sie längst kommen hören. Wie sie nun mit ihrer Bürde hereinkam, standen einige hastig auf und gingen ihr entgegen. Sämtliche Weiber glichen in Wuchs und Tracht der mit Tarzan zurückgekommenen, wenngleich sie in Größe und Gesichtsausdruck ebenso verschieden waren wie die Angehörigen anderer Rassen untereinander.

Keine von ihnen sprach oder ließ auch nur einen Laut hören, während die Heimgekehrte geradewegs auf einen der Höhleneingänge zuging, aber Wara schwang wild ihre Keule hin und her und behielt jede Bewegung ihrer Gefährtinnen mit mürrischer Miene im Auge.

Sie war der Höhle schon ganz nahe, als eine, die hinter ihr herkam, herzusprang und nach Tarzan griff. Flink wie eine Katze ließ die Angegriffene ihre Beute fallen, warf sich auf die unbesonnene Gegnerin und streckte sie blitzschnell durch einen wuchtigen Keulenschlag auf den Kopf zu Boden. Dann stellte sie sich breitbeinig über Tarzans hingestreckte Gestalt und stierte um sich wie eine von den Jägern gestellte Löwin, mit der stummen Frage, wer zunächst Lust hätte, ihr die Beute zu nehmen. Aber die anderen schlichen in ihre Höhlen zurück und ließen die Besiegte bewußtlos im heißen Sande liegen. Die Siegerin Wara packte ihre Bürde wieder auf, die ihr nunmehr keine mehr streitig machte, ging in ihre Höhle und warf dort den Affenmenschen ohne weitere Umstände im Schatten des Eingangsstollens auf den Boden. Mit dem Gesicht nach draußen, um vor Überraschung durch die andern sicher zu sein, hockte sie sich neben ihren Fund nieder und begann ihn genau zu untersuchen. Tarzans Kleidung erregte erst ihre Neugierde, dann ihren Unwillen, denn sie begann alsbald ihn ihrer zu entledigen. Da sie mit Knöpfen und Schnallen nicht Bescheid wußte, riß sie die Kleider einfach mit Gewalt herunter. Die festen Lederschuhe machten ihr einem Augenblick Mühe, aber schließlich gaben auch deren Säume ihren kräftigen Muskeln nach.

Nur das diamantbesetzte goldene Anhängsel, das von Tarzans Mutter stammte, ließ sie unangerührt an der goldenen Kette um seinen Hals hängen.

Einige Zeit lang betrachtete ihn Wara, dann stand sie auf, nahm ihn wieder auf die Schulter und schritt nach der Mitte des Amphitheaters, dessen größter Teil mit niedrigen Gebäuden bedeckt war. Diese waren aus flach aufeinandergelegten Steinen errichtet, die die Wände bildeten, über die riesige flache Steine als Dächer gelegt waren. Die einzelnen Bauten waren mit den Enden so aneinandergereiht, daß sie ein Oval mit einem großen freien Platz in der Mitte bildeten.

Die verschiedenen Ausgänge der Gebäude nach außen waren mit doppelten Steinplatten so verschlossen, daß eine aufrechte Platte die Öffnung verdeckte, während eine zweite, von außen dagegengestemmt, die erste gegen Aufdrücken von innen sicherte.

Zu einer dieser Türen schleppte das Weib den bewußtlosen Gefangenen, legte ihn auf den Boden und entfernte die Platten. Dann schleifte es ihn in das finstere Innere hinein, legte ihn wieder nieder und klatschte dreimal scharf in die Hände. Darauf schlichen sich sechs oder sieben Kinder beiderlei Geschlechts im Alter von etwa einem Jahre bis zu sechzehn, siebzehn in den Raum. Selbst das kleinste davon lief schon mit Leichtigkeit und konnte so gut für sich sorgen wie die Jungen der meisten Tiergattungen in diesem Alter. Die Mädchen, selbst die jüngsten, waren samt und sonders mit Keulen bewaffnet, aber die Knaben trugen weder Angriffs- noch Verteidigungswaffen. Als sie kamen, deutete das Weib auf Tarzan, schlug sich mit der geballten Faust vor den Kopf und wies dann mehrere Male auf sich selbst, indem es mit dem schwieligen Daumen seine eigene Brust berührte. Nach einigen weiteren Bewegungen mit den Händen, die so ausdrucksvoll waren, daß jeder ihren Sinn verstehen mußte, wandte sich Wara, das Höhlenweib, um, ging hinaus und legte die Steine wieder vor. Dann schlich sie zu ihrer Höhle zurück, ohne die eben niedergeschlagene Gegnerin Urgo zu beachten, die allmählich wieder zur Besinnung kam.

Die Siegerin von vorhin hatte kaum ihren Platz am Höhlengang eingenommen, als sich die andere aufrichtete, sich einige Zeit den Kopf rieb und sich nach einigem verständnislosen Umherschauen, wenn auch wankend, aufraffte. Nur ein paar Augenblicke schwankte sie hin und her, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt und ging nach einem bösen Streifblick auf ihre Gegnerin zu ihrer eigenen Höhle. Ehe sie diese aber erreicht hatte, wurde ihre Aufmerksamkeit wie die aller übrigen draußen befindlichen durch das Geräusch herannahender Schritte gefesselt. Sie hielt an, spitzte ihre großen Ohren und blickte lauschend nach dem Pfade, der vom Tale heraufführte. Einen Augenblick später erschien eine andere Stammesgefährtin an der Einmündung des Pfades in das Amphitheater. Anga, die Neugekommene, war riesengroß, noch viel größer als jene, die den Affentarzan gefangen hatte, und viel breiter und wuchtiger. Auf der einen Schulter trug sie eine erlegte Antilope, auf der anderen ein Wesen, halb Mensch, halb Tier, sicher aber weder das eine noch das andere.

Die Antilope war tot, das andere Geschöpf aber nicht. Es zappelte noch schwach – Sträuben konnte man seine schwächlichen Bewegungen kaum nennen – als es so über die nackte braune Schulter der Amazone hing, und seine Glieder baumelten vor halber Bewußtlosigkeit oder aus Angst schlaff hin und her.

Das Weib Wara, das Tarzan in das Amphitheater geschleppt hatte, erhob sich und stand vor dem Eingang zu seiner Höhle. Auch Urgo, die zweite, erhob sich, wie alle anderen nicht minder, und alle starrten auf Anga, die gleichmütig mit ihrer Bürde dahinschritt, aber die Augen aufmerksam über die drohenden Gestalten der andern gleiten ließ. Sie war in der Tat eine Riesin, diese dritte, darum standen die andern eine Zeitlang still und starrten ihr nur nach, bis auf einmal Wara einen Schritt vortrat und ihrer ersten Widersacherin, der Urgo, einen langen Blick zuwarf, dann tat sie einen weiteren Schritt, sah wieder nach Urgo und deutete erst auf sich selbst, dann auf Urgo und zuletzt auf Anga, die nunmehr ihre Schritte in der Richtung auf ihre Höhle zu beeilen begann, denn die drohende Haltung Waras war nicht mißzuverstehen. Auch Urgo verstand sie und rückte schon mit Wara zusammen vor. Kein Wort fiel, kein Laut entfloh den grimmen Lippen, denen Lächeln wie Lachen gleich fremd war.

Als die beiden Anga auf den Leib rückten, ließ diese ihre doppelte Beute zu Boden sinken und nahm mit der Keule in der Hand eine Verteidigungsstellung ein. Die andern zwei gingen mit geschwungenen Knütteln auf sie los. Die übrigen Weiber sahen untätig zu, wohl weil irgendein alter Brauch des Stammes die Zahl der erlaubten Angreifer nach dem Umfang der Beute bemaß, die streitig gemacht wurde. Auch als die Wara zuvor von Urgo angegriffen worden war, hatten sich alle übrigen zurückgehalten, sobald diese eine sich zum Kampfe um den Besitz von Tarzans Person vorgedrängt hatte. Diesmal aber traten zwei vor, da Anga doppelte Beute mit heimgebracht hatte.

Beim Aufeinanderstürzen der drei Weiber schien die Niederlage der Angegriffenen unvermeidlich, aber sie wehrte die Keulenschläge mit der Gewandtheit eines geübten Kämpfers ab, drängte sich durch die Deckung der ersten Gegnerin Wara und streckte sie mit einem furchtbaren Schlag auf den Kopf leblos auf den Boden. Anga gedachte nunmehr ihre ungeteilte Aufmerksamkeit der zweiten zuzuwenden, aber Urgo hatte angesichts des Schicksals ihrer Gefährtin keine Lust zu weiterem Kampfe, sie riß aus und flüchtete in der Richtung auf ihre Höhle zu. Inzwischen dachte wohl das Geschöpf, das die neue Siegerin zusammen mit der Antilope heimgebracht hatte, eine Gelegenheit zum Entkommen zu haben, solange seine Häscherin mit ihren zwei Gegnern beschäftigt war, und schlich sich in entgegengesetzter Richtung davon. Hätte der Kampf nur etwas länger gedauert, so wäre ihm das auch gelungen. Aber Geschicklichkeit und Wut Angas hatten den Kampf in wenigen Augenblicken beendet. Als sich Anga umdrehte, fand sie ihre lebende Beute am Entkommen und eilte dahinter her. Da sprang Urgo wieder herzu und suchte nun die Antilope zu fassen, während der Flüchtling, statt weiterzuschleichen, jetzt wie ein Pfeil nach dem Ausgang des Amphitheaters auf den Pfad zurannte.

Jetzt konnte man sehen, daß es ein Mann, oder richtiger ein Männchen war, das zweifellos zur gleichen Rasse wie die Weiber gehörte, obgleich es kleiner und viel zierlicher gebaut war. Es trug nur wenige spärliche Haare an Lippe und Kinn, hatte eine noch viel flachere Stirn als die Weiber und eng zusammenstehende Augen. Seine Beine waren aber viel länger und schlanker als die mehr auf Kraft als auf Flinkheit gebauten der Weiber. So war es denn auch von Anfang an nicht zweifelhaft, daß Anga keine Aussicht hatte, den Fliehenden einzuholen. Als die Verfolgerin sah, daß ihr die Beute entkam, zeigte sich der Zweck des Steinbehangs. Sie machte eine der Lederschlaufen vom Gürtel los, faßte das Riemenende mit Daumen und Zeigefinger, ließ den federgeschmückten Stein erst im Kreise sausen und dann fliegen. Pfeilgeschwind pfiff das Wurfgeschoß, ein Kieselstein von Walnußgröße, hinter dem Flüchtling her, traf ihn am Hinterkopf und streckte ihn bewußtlos zu Boden. Jetzt hatte die Amazone wieder Zeit für Urgo, die inzwischen die Antilope gepackt hatte, und stürzte mit geschwungener Keule auf sie los. Urgo rüstete sich mit mehr Mut als Vernunft zur Verteidigung des geraubten Wildes und stellte sich mit der Keule bereit. Als die dritte wie ein riesiger Berg aus Muskeln über sie hereinbrach, warf sie sich ihr mit vorgestrecktem Knittel entgegen, aber die mächtige Gegnerin versetzte ihr einen so grimmigen Streich, daß die deckende Keule jener zersplittert aus der Hand geschlagen wurde und sie sich waffenlos in der Gewalt der Feindin sah, die sie eben hatte berauben wollen. Sie wußte, was ihr bevorstand, aber sie fiel nicht etwa auf die Knie, um um Gnade zu flehen. Entschlossen riß sie eine Handvoll Wurfsteine vom Gürtel, doch sie kam nicht mehr zur Benützung. Im mächtigen Rundschlag krachte die vernichtende Keule auf ihr Haupt.

Anga richtete sich auf und sah sich um, als ob sie fragen wollte: Hat sonst jemand Lust, mir mein Wild oder mein Männchen abzunehmen? Er soll nur herkommen!

Aber niemand hatte Lust, und das Weib ging zu dem zu Boden gestreckten Manne zurück, der langsam wieder zu sich kam, und riß ihn rauh in die Höhe. Da er noch nicht stehen konnte, warf sie ihn über die Schulter, schritt zu der Antilope, die sie auf die andere Schulter lud, und ging unangefochten nach ihrer Höhle, in der sie die zwei Beutestücke ohne weitere Umstände auf den Boden warf. Dann nahm sie einen Feuerquirl, rieb ihn in einem ausgehöhlten Stück Holz zwischen trockenem Zunder und hatte rasch ein Feuer. Bald schnitt sie dicke Streifen Fleisches von dem Wildbret und aß heißhungrig. Derweil kam der Mann vollends zu sich, saß auf und sah zunächst halb betäubt um sich; aber als seine Nase das gebratene Fleisch roch, deutete er mit dem Finger darauf. Das Weib reichte ihm das ungefüge Steinmesser, das auf dem Boden lag, und bedeutete ihm durch Zeichen, er solle sich an das Fleisch machen. Der Mann ergriff das Gerät, und bald briet er sich ein tüchtiges Stück Fleisch über dem Feuer. Er würgte es anscheinend mit großer Befriedigung noch halb roh hinunter, und das Weib sah ihm dabei zu. Er sah zwar keineswegs besonders gut aus, aber vielleicht hielt ihn das Weib für schön. Während die Weiber keinerlei Schmuck trugen, hatte dieser Mann Arm- und Fußbänder und trug auch ein Halsband aus Zähnen und Kieselsteinen, aus seinem über der Stirn zu einem Knoten gedrehten Haarschopf ragten verschiedene Holzstäbe von Spannenlänge heraus. Als sich der Mann gesättigt hatte, stand das Weib auf, packte ihn bei den Haaren und schleppte ihn in die innere Höhle. Er biß und kratzte, um sich loszumachen, aber er war hilflos in der Hand seiner riesigen Siegerin.

Draußen auf dem freien Platze vor den Höhleneingängen lagen die Leichen der zwei andern, und über ihnen schwebte bereits eine schwarze Wolke von Aasgeiern. Ska, der Geier, fand sich stets als erster zum Mahle ein.


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