Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Im Wald und in der Steppe

Der Alaliknabe Waras streifte durch den Wald und suchte nach dem Affenmenschen, dem einzigen Wesen, das in seinem rohen Wildengemüt so etwas wie Zuneigung erweckt hatte. Doch er fand ihn nicht. Statt seiner traf er auf zwei ältere Jünglinge seiner eigenen Rasse, und bald jagten die drei gemeinsam, wie es bei diesen harmlosen Geschöpfen üblich war. Seine neuen Freunde zeigten wenig Interesse an seinen eigenartigen Waffen – ihnen genügten ein Knüttel und ein Steinmesser vollkommen. Dem Knüttel fiel dann und wann ein Nagetier zur Beute, mit dem Messer gruben sie nach saftigen Puppen und anderem Eßbaren in der Moderschicht des Waldbodens oder unter der Rinde der Bäume. Meist lebten sie aber von Früchten, Nüssen und Knollengewächsen. Doch Tarzans Zögling brauchte sich nicht darauf zu beschränken. Er brachte häufig Vögel und manchmal auch eine Antilope an, denn er wurde täglich im Gebrauch von Bogen und Speer geschickter. Da er oft mehr Beute machte, als er selbst essen konnte, und den Überschuß seinen beiden Gefährten überließ, wollten diese wenigstens so lange zu ihm halten, bis irgendeines der schrecklichen Weiber auf der Bildfläche erscheinen, ihr gemütliches Zusammenleben stören und einen von ihnen nach seinem Gehöft schleppen würde.

In ihrer dummen, schwerfälligen Art bewunderten sie wohl auch ihren Genossen, denn er schien sich in irgendeiner unbestimmbaren Weise von ihnen zu unterscheiden. Er trug sicher den Kopf höher als sie und blickte viel weniger demütig und verstohlen. Er trat fest auf und gebrauchte weniger Vorsicht. Aber vielleicht lächelten sie innerlich, wenn sie daran dachten, wie es ihm gehen mußte, wenn eines Tages die groben, trotzigen, dichtbehaarten Weibchen mit ihren Keulen über ihn kamen und ihn am Haupthaar nach den Höhlen schleppten.

Eines Tages kam es denn auch so, oder wenigstens teilweise kam es so. Sie begegneten in einer Waldlichtung plötzlich einem besonders großen Weibe. Die zwei Gefährten wandten sich im Nu zur Flucht, aber als sie den rettenden Schutz des dichten Unterholzes erreicht hatten, hielten sie doch an und sahen sich nach dem Weibe und ihrem im Stiche gelassenen Genossen um. Zu ihrer eigenen Erleichterung fanden sie, daß das Weib ihnen nicht folgte, aber mit Betrübnis sahen sie, daß sich ihr Kamerad nicht in Sicherheit gebracht hatte, sondern der Gegnerin trotzig entgegensah und ihr sogar durch Winke zu verstehen gab, sie solle sich packen, sonst werde er sie töten. Solch eine unglaubliche Dummheit! Anscheinend besaß er kein Spürchen Gehirn. Daß er aus Mut so handeln könne, kam ihnen nicht in den Sinn. Mut war etwas für die Weiber. Für die Männer war es besser, vor der Gefahr und vor den Weibern zu fliehen.

Gleichwohl waren sie ihm dankbar, denn seine unbesonnene Handlungsweise rettete sie. Das Weib konnte doch nicht mehr als einen von ihnen fangen und packte natürlich den Zurückgebliebenen.

Die Jägerin war nicht daran gewöhnt, ihre Rechte durch so ein armseliges Männchen in Frage gestellt zu sehen, und empfand einige Überraschung und nicht wenig Ärger. Vor Staunen blieb sie erst etwa zwanzig Schritte vor ihm stehen, dann langte sie nach einem der an ihrem Gürtel hängenden Wurfsteine. Das gereichte ihr zum Verderben. Der Sohn des ersten Weibes hatte längst einen Pfeil auf dem Bogen bereit und wartete nur noch ab, wie sie sich verhalten werde. Als die Finger des Weibes nach dem federgeschmückten Wurfgeschoß griffen, das ihm die Niederlage bringen sollte, spannte er seinen Bogen und schoß.

Seine zwei Gefährten sahen von ihrem Versteck aus, wie das Weib erstarrte und vor Schmerz das Gesicht verzerrte, wie sie nach dem aus ihrer Brust hervorstehenden Pfeilschaft griff, in die Knie sank und sich dann auf dem Boden wälzte. Ein paarmal stieß sie noch mit den Füßen um sich und griff krampfhaft herum, bis sie ruhig lag. Dann erst wagten sich die beiden aus ihrem Versteck hervor, und als der Sohn Waras seinen Pfeil aus dem Herzen der Gefallenen zog, traten sie zu ihm hin. Vorerst waren sie noch halb betäubt vor Überraschung, sahen ungläubig auf die Leiche und mit geheimem Grauen auf den Sieger. Immer und immer wieder untersuchten sie seinen Bogen und seine Pfeile und betrachteten die Wunde, die seine Waffe gemacht hatte. All das war ihnen ganz unverständlich. Aber wie war die Stimmung des Siegers? Der hielt seinen Kopf noch einmal so hoch, warf sich in die Brust und stolzierte einher. Nie zuvor hatte einer seinesgleichen sich so in der Rolle des Helden gefühlt. Kein Wunder, daß er sich darin gefiel. Aber er gedachte, bei seinen Gefährten noch mehr Eindruck zu machen. Er packte die Leiche, schleppte sie zum nächsten Baume und lehnte sie in sitzender Haltung an den Stamm. Dann trat er zwanzig Schritte zurück, winkte den anderen, gut achtzugeben, hob seinen schweren Speer und schleuderte ihn gegen diese realistische Scheibe. Der Speer durchbohrte sie und fuhr noch tief in den Baumstamm dahinter.

Jetzt verfielen die anderen in große Erregung. Einer von ihnen versuchte, diese wundervolle Tat nachzumachen. Als er vorbeigeworfen hatte, wollte auch der zweite sein Heil versuchen. Später wollten sie mit Pfeil und Bogen bekannt werden. Stundenlang blieben die drei vor ihrer greulichen Zielscheibe, bis sie der Hunger zwang, weiterzuziehen. Aber erst mußte Waras Sohn versprechen, auch sie in der Anfertigung und im Gebrauch solcher Waffen zu unterweisen. Nur eine kleine Episode in der Entwicklungsgeschichte ihrer Rasse war dieser Vorfall; aber obgleich es die drei so wenig ahnten wie die vielen Hunderte von Alaliweibern, die an jenem Abend in ihre Höhlen heimkehrten, so hatte doch die Herrschaft der amazonenhaften Frauentyranninnen in Minuniland damit einen nicht wieder gutzumachenden Stoß erlitten.

*

Nicht weniger plötzlich, aber mit mehr unmittelbaren Folgen trat eine Änderung im gleichmäßigen Leben Tarzans in der Stadt Trohana ein.

Der Affenmensch lag auf seinem Graslager unter einem großen Baume, der neben dem Palastbau des Königs Drohahkis stand. Die Morgenröte begann über dem Walde östlich von Trohana den Himmel zu überfluten, als Tarzan, der mit einem Ohr nahe an der Erde lag, plötzlich auf ein merkwürdiges Dröhnen aufmerksam wurde, das aus den Eingeweiden der Erde zu kommen schien. Das Geräusch war so dumpf und schwach, daß es für einen gewöhnlichen Menschen kaum vernehmbar gewesen wäre. Aber für Tarzan bedeutete es eine Unterbrechung der gewöhnlichen Nachtgeräusche; so schwach es auch war, ihm fiel es selbst im Schlafe auf. Tarzan erwachte davon und lag noch einige Zeit horchend still. Er wußte, daß das Geräusch nicht aus dem Erdinnern kommen konnte. Es stammte von der Oberfläche, und er schätzte, daß es aus nicht großer Ferne kam, merkte aber, daß es sich rasch näherte. Einen Augenblick war er verdutzt, dann dämmerte ihm die Erkenntnis und er sprang auf die Füße. Der Dompalast des Königs lag hundert Schritt weit entfernt; dorthin eilte er. Gerade vor dem Südeingang rief ihn die kleine Schildwache an.

Mache dem König Meldung, wies ihn der Affenmensch an, daß Tarzan viele Diadets auf Trohana zu galoppieren hört und daß jeder einen feindlichen Reiter auf seinem Rücken trägt, oder er müßte sich sehr täuschen. Der Wachtposten wandte sich um und rief laut in den Flur hinein, und augenblicks erschien ein Offizier mit mehreren Kriegern. Bei Tarzans Anblick blieben sie stehen.

Was gibt's? fragte der Offizier.

Des Königs Gast sagt, er höre viele Diadets herankommen, erwiderte der Posten.

Aus welcher Richtung? fragte der Offizier, sich an Tarzan wendend.

Der Affenmensch deutete nach Westen.

Von Veltopis! rief der Offizier; dann sandte er sofort seine Leute nach allen Richtungen: Rasch, weckt die Stadt. Ich werde den Palast und den König verständigen. Damit eilte er davon, während sich die übrigen zerstreuten, um die Bewohner aufzurufen.

In unglaublich kurzer Zeit sah Tarzan Tausende von Kriegern aus allen Domhäusern stürzen. Aus den Nord- und Südausgängen kamen Reiter, während die Fußsoldaten zu den Ost- und Westportalen herausströmten. Dabei zeigte sich aber nicht die geringste Unordnung; jeder handelte nach einem genau vor bestimmten Plane.

Kleine Abteilungen Reiterei, die Aufklärer, jagten flink nach allen Seiten, sie umgaben die Stadt mit einem Gürtel von Spähern, machten, sobald sie auf den Feind stießen, Meldung und wichen langsam vor ihm zurück. Hinter ihnen kamen stärkere Abteilungen Berittener, die stark genug waren, um den Vormarsch des Gegners so lange aufzuhalten, bis die Hauptmasse der Reiterei an den Hauptangriffspunkt des Feindes geworfen war.

Nun rückten die Geschwader der Reiterei aus, aber nur noch nach Westen zu, denn inzwischen war die Richtung, aus der der Angriff kam, festgestellt worden. Das Fußvolk, das inzwischen in unaufhörlichem Strome aus den Gebäuden ausgerückt war, marschierte in vier geschlossenen Haufen nach den vier Himmelsrichtungen, aber die größte Abteilung wurde nach Westen vorgeschoben. Die Vorhut hielt bereits in kurzer Entfernung vor der Stadt, während die letzten aus den Domkuppeln heraustretenden Truppen, Reiterei wie Fußvolk, wohl als Reserve auf den freien Plätzen zwischen den Gebäuden hielten. Bei ihnen hielt Drohahkis, um die Verteidigung der Stadt von diesem Punkte aus besser leiten zu können.

Der Prinz Florensal rückte mit einer Hauptabteilung der Reiterei aus, die den ersten Stoß des Gegners auffangen sollte. Diese Abteilung bestand aus siebentausendfünfhundert Mann und nahm ihre Aufstellung etwa drei Kilometer vor der Stadt. Vor, neben und hinter sich hatte sie vier Sicherungsabteilungen von je fünfhundert Mann. Die ganze Gruppe war also fast zehntausend Mann stark, wenn man noch die einen weiteren Kilometer vorgeschobenen Reiterposten mitrechnete, die mit etwa fünfzig Meter Zwischenraum von Posten zu Posten die ganze Stadt umringten. In der Stadt aber standen weitere fünfzehntausend Reiter als Reserve.

Tarzan sah beim Scheine der Morgendämmerung den planmäßigen Verteidigungsmaßnahmen der Minunier zu, und seine Bewunderung für die kleinen Leute stieg. Da hörte man kein Schreien, kein Singen, aber auf dem Gesicht jedes einzelnen Kriegers konnte Tarzan einen begeisterten Ausdruck sehen. Hier bedurfte es keines Kriegsgeschreis und keiner Schlachtgesänge, um den zweifelhaften Mut von Schwächlingen zu beleben – hier gab es keine Feiglinge.

Das Donnern der Hufe des herannahenden Heeres von Veltopis schwieg. Offenbar hatten die Patrouillen des Feindes festgestellt, daß die Überraschung mißglückt war. Änderten sie nun ihren Plan oder die Angriffsrichtung, oder hielt ihre Hauptmacht nur, um das Ergebnis einer Erkundung abzuwarten?

Tarzan fragte einen in der Nähe stehenden Offizier, ob der Feind etwa seine Angriffsabsichten aufgegeben haben könne.

Der Mann lächelte und schüttelte den Kopf: Minunier geben niemals einen Angriff auf, sagte er.

Denkst du, daß der Kampf bis zur Stadt vordringen wird? fragte Tarzan.

Wohl schwerlich. Die Reiterei in der Vorhut hat heute das Glück für sich. Sie wird den ganzen Kampf allein ausfechten dürfen. Vom Fußvolk wird kaum ein Mann ins Gefecht kommen. Aber das ist meistens so. Immer trägt die Reiterei die Hauptlast des Kampfes.

Mir scheint, du fühlst dich unglücklich, daß du nicht bei der Reiterei bist. Warum läßt du dich nicht dahin versetzen?

Oh, wir müssen alle reihum in jeder Waffengattung unsere Pflicht erfüllen, erklärte ihm der Offizier. Wir sind alle beritten, nur für die Deckung der Stadt sind wir vier Monde lang dem Fußvolk zugewiesen; dann werden wir wieder auf fünf Monate zur Reiterei – er gebrauchte den Ausdruck »Diadetax« – kommandiert. An jedem Neumond werden fünftausend Mann versetzt.

Tarzan wandte sich ab und spähte über die Ebene nach Westen Er konnte die nächsten Truppen sehen, wie sie in Ruhestellung den Feind erwarteten. Auch die Hauptmasse der Reiterei in drei Kilometer Entfernung ließ sich noch erkennen, aber die Vortruppen und Aufklärer waren unsichtbar. Auf seinen Speer gestützt, überschaute er das Bild und beobachtete, wie ernst es diese Leute mit dem bevorstehenden Kampfe nahmen. Vaterlandsliebe der reinsten Art durchglühte sie, sie waren vom ersten bis zum letzten wahre Helden.

Während der Pause, die auf das Abrücken der Vorhut folgte, begab sich Tarzan zu Drohahkis, der von einer Anzahl Offiziere umgeben auf seinem Diadet hielt. Der König trug einen goldleuchtenden Koller, ein mit Goldplatten benähtes Ledergewand. Um den Leib trug er einen breiten, starken Ledergurt mit drei Goldschließen, an dem Schwert und Dolch hingen. Die Beine staken in ledernen Beinschienen, die Arme trugen einen vom Handgelenk bis zum Ellenbogen reichenden Schutz aus Metallringen. Derbe Sandalen bekleideten die Füße, und die Fußgelenke schützte eine ringförmige Goldplatte. Den Kopf bedeckte ein gutsitzender Lederhelm.

Als Tarzan hinzutrat, begrüßte ihn der König mit freundlichem Lächeln. Der Hauptmann der Wache meldet, daß wir dir die erste Warnung vor dem Kommen des Feindes verdanken. Abermals schuldet dir die Stadt Trohana Dank. Wie sollen wir dir unsere Schuld bezahlen?

Tarzan wehrte ab: Ihr schuldet mir nichts, König von Trohana, erwiderte er: Schenke mir deine Freundschaft und gestatte mir, deinem tapferen Sohne, dem Prinzen, beizustehen, dann ist die Schuld auf meiner Seite.

Ich bin dein Freund, bis mich einst die Würmer verzehren, Tarzan, erwiderte der König warm: Gehe, wohin du willst. Daß es dich auf den Kampfplatz zieht, erstaunt mich nicht.

Zum ersten Male hatte ein Minunier Tarzan bei seinem Namen angeredet. Bisher hatten sie ihn stets mit Retter des Prinzen, Gast des Königs, Riese des Waldes oder ähnlichen passenden Titeln angeredet. Bei ihnen gilt der Name eines Mannes als etwas Heiliges, dessen Gebrauch nur den allerbesten Freunden gestattet ist. Wenn also Drohahkis Tarzans Namen gebrauchte, so war das eine Aufforderung oder sogar der Wunsch, er solle sich als engster Freund des Königs betrachten.

Der Affenmensch erkannte die Höflichkeit durch eine Verbeugung an: Drohahkis Freundschaft ist eine hohe Ehre. Ich werde sie mein Leben lang als solche hochhalten.

Der Herr der Dschungel sprach damit keine leere Phrase aus, er hegte schon längst für das kleine Volk Bewunderung und schätzte die Persönlichkeit des Königs besonders hoch, denn soviel er auch über Leben und Treiben des Volkes erfahren hatte, er hatte stets gefunden, daß der kleine Fürst aufs engste mit Wohl und Wehe seines Volkes verbunden war.

Drohahkis schien über Tarzans Antwort erfreut. So machte sich denn der Riese nach der vordersten Linie auf. Unterwegs riß er sich einen langen Ast von einem Baume, weil er glaubte, eine solche Waffe könne den Minuniern gegenüber nützen; er wußte ja noch nicht, wie der Tag ausgehen würde. Eben erreichte er das vorgeschobene Fußvolk, als ein Meldereiter in tollster Gangart nach der Stadt zu an ihm vorbeijagte. Tarzan strengte seine Augen an, konnte aber noch kein Zeichen von Kampf entdecken. Als er die Hauptmasse der Reiterei erreichte, war weit und breit noch kein Feind zu erblicken.

Prinz Florensal begrüßte ihn herzlich, betrachtete aber etwas verwundert den riesigen belaubten Baumast, den Tarzan über der Schulter trug.

Was gibt es Neues? fragte der Affenmensch.

Ich habe eben dem König Meldung gesandt, daß unsere Aufklärer mit dem Feinde in Fühlung sind. Es sind richtig die Leute von Veltopis. Ein stärkerer Vorpostentrupp hat den Schleier der feindlichen Aufklärer durchstoßen, und ein tapferer Krieger drang sogar bis zum Gipfel des Gartolaberges vor, von dem aus er die Aufstellung des Feindes erkennen konnte. Es sollen zwischen zwanzig- und dreißigtausend sein.

Als Florensal schwieg, kam von Westen her ein donnerndes Geräusch über die Ebene herangerollt.

Sie kommen, sagte der Prinz.


 << zurück weiter >>