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Begegnung

Der Alaliknabe hing mit hündischer Ergebenheit an Tarzan, der bald genug die kümmerliche Zeichensprache seines Schützlings meisterte und damit ein für alle Fälle ausreichendes Verständigungsmittel besaß. Dem anderen aber wuchs mit zunehmender Vertrautheit mit seinen Waffen die Zuversicht, er wurde selbständiger, und schließlich kam es häufig vor, daß sich die beiden auf der Jagd trennten und auf diese Weise bessere Beute machten.

Bei einer solchen Gelegenheit stieß Tarzan auf ein eigenartiges Schauspiel. Er hatte die Spur Baras, der Antilope, verfolgt, als sie plötzlich von der Witterung eines der Riesenweiber gekreuzt wurde. Wahrscheinlich bedeutete das, daß ihn ein anderer um seine Beute bringen wollte. Der ungezähmte Trieb des Dchungeltiers beherrschte aber den seiner Kleider beraubten Affenmenschen. Jetzt war er nicht der abgeschliffene Lord Greystoke aus London, sondern der vorzeitliche Jäger, der um seine Beute bangte und mit Knurren zwei leuchtende Zahnreihen zeigte.

Tarzan sprang ins Laub der Bäume hinauf und näherte sich flink dem Alaliweib, aber ehe er es noch zu Gesicht bekam, drängte sich eine neue, fremdartige Witterung seinen Sinnen auf. Er fand den Geruch von Menschen, aber er kam ihm ganz eigenartig und ungewöhnlich vor. Noch nie hatte er derartiges angetroffen. Der Duft war ganz schwach, aber er mußte doch aus nächster Nähe kommen. Dann hörte er plötzlich dicht vor sich Stimmen, dünne melodische Stimmen, die leise an sein Ohr klangen. So sanft und musikalisch sie klangen, in ihrem Tonfall und Klang war etwas, das ihn in gewaltige Erregung brachte. Behutsam schlich Tarzan vor; Bara, die Antilope, war vergessen.

Beim Näherkommen unterschied er zahlreiche Stimmen und starke Bewegung, und als er schließlich auf eine weite Ebene hinauskam, die sich bis an die fernen Berge erstreckte, bot sich ihm ein Anblick, der seine Augen Lügen zu strafen schien. Das einzige bekannte Bild zeigte die Alaliriesin. Aber um sie herum tobte eine Horde von Zwergmännlein – winzige weiße Krieger, die auf einer der Westküste eigenen Antilopenart beritten waren. Mit Lanzen und Schwertern bewaffnet, stürzten sie sich immer wieder auf die ungefügen Beine des Alaliweibes, das sich langsam nach dem Walde zurückzog, wütend nach den kleinen Angreifern trat und mit der schweren Keule auf sie einschlug.

Tarzan sah bald, daß die Angreifer der Riesin die Fußsehnen durchzuschneiden suchten. Wäre ihnen das gelungen, dann hätten sie ihr leicht vollends den Garaus machen können. Aber obgleich die Zwerge ein volles Hundert zählten, hatten sie doch nur geringe Aussicht auf Erfolg, denn das Riesenweib setzte mit jedem Fußstoß eine ganze Anzahl von ihnen auf einmal außer Gefecht. Mehr als die Hälfte von ihnen war denn auch bereits kampfunfähig und eine ganze Anzahl Gefallener zusammen mit ihren niedergeschlagenen Reittieren bedeckte den Kampfplatz.

Der Mut der Überlebenden erfüllte Tarzan mit Bewunderung. Ohne Zaudern warfen sie sich dem sicheren Tode entgegen, um das Weib zu Fall zu bringen und nunmehr sah der Affenmensch auch den Grund ihres zähen Angriffs und der rücksichtslosen Selbstaufopferung – das Alaliweib hielt in der Linken einen der winzigen Krieger. Um ihn zu befreien, setzten die übrigen nutzlos ihr Leben ein.

Die mutigen, flinken Reittiere brachten Tarzan, kaum weniger in Erstaunen als die kleinen Kriegsmannen. Er hatte von jeher diese Antilopenart für die furchtsamste von allen Geschöpfen gehalten, aber diese Tiere hier waren ganz anders. Auf Geheiß ihrer Reiter stürzten sie sich furchtlos in den Bereich jener ungefügen Füße und der riesigen schmetternden Keule. Dazu waren sie so bewundernswert eingeritten, daß ihre Muskeln und der Wille der Reiter eins zu sein schienen. Vor und durch jagten sie, kaum den Boden berührend, ehe sie wieder über die gefährliche Stelle hinweg waren. Drei, vier Meter nahmen sie dabei mit einem Satze, so daß sich Tarzan nicht nur über ihre Gewandtheit, sondern fast noch mehr über die unglaubliche Reitfertigkeit der Krieger wundern mußte, die bei allen Sprüngen, Wendungen und Kehrtwendungen so vollkommen im Sattel blieben.

Der Anblick, der sich Tarzan bot, war reizvoll und aufregend zugleich. Der Affenmensch hatte erst seinen Augen nicht trauen wollen, aber jetzt mußte er sich eingestehen, daß er eine Rasse echter Pygmäen vor sich hatte, nicht etwa jene zu den Negerstämmen zu zählenden Zwerge, die allen Afrikareisenden bekannt genug sind, sondern jene verschollene weiße Zwergrasse, von der gelegentlich in allen Reisebeschreibungen und Berichten über Forschungsreisen, in Sagen und Erzählungen die Rede ist.

Zunächst sah Tarzan dem Kampfe nur mit Interesse zu, ohne einzugreifen, aber bald fand er sich mit seinen Sympathien auf Seite der kleinen Kriegsmannen, und als er merkte, daß das Alaliweib mit ihrem Gefangenen in den Wald entkommen wollte, entschloß er sich zum Eingreifen.

Die Zwerge sahen ihn zuerst aus dem Waldrand hervortreten. Offenbar hielten sie ihn für einen neuen Feind, denn mit lautem Verzweiflungsschrei wichen sie zum ersten Male, seit Tarzan dem ungleichen Kampfe zusah, zurück. Da dieser seine Absichten offen kundgeben wollte, ehe ihn die kleinen Männer angriffen, drang er rasch auf die Riesin ein, die ihn, kaum daß sie ihn erblickte, durch gebieterische Zeichen aufforderte, beim Niedermachen der noch übrig gebliebenen Pygmäen zu helfen. Sie war ja von allen Männern ihrer Art nur Furcht und Gehorsam gewöhnt. Vielleicht staunte sie etwas über die Tollkühnheit dieses Männchens, denn die andern liefen doch stets vor ihr davon. Aber eben in diesem Augenblick bedurfte sie seiner Hilfe und vergaß darüber alles Weitere.

Tarzan befahl ihr im Näherkommen in der von dem Alaliknaben erlernten Zeichensprache, ihren Gefangenen freizulassen und sich davonzumachen, ohne die Zwerge weiter zu bedrohen. Aber sie schnitt nur eine häßliche Fratze und trat ihm mit geschwungener Keule entgegen. Der Affenmensch legte einen Pfeil auf seinen Bogen.

Zurück! befahl er ihr. Zurück, oder ich töte dich. Weiche zurück und setze den kleinen Mann auf den Boden.

Sie fauchte grimmig und drang auf ihn ein, da hob Tarzan den Pfeil in Augenhöhe und spannte seinen Bogen. Die Zwerge erkannten, daß dieser fremde Riese wenigstens für den Augenblick ihr Verbündeter war, hielten ihre Reittiere an und erwarteten den Ausgang des Zweikampfes. Der Affenmensch hoffte immer noch, das Weib werde auf ihn hören, damit er ihr nicht das Leben zu nehmen brauchte, aber ein flüchtiger Blick in ihr Gesicht zeigte ihm klar und deutlich, daß sie nunmehr entschlossen war, ihn seiner anmaßenden Einmischung wegen mitzuerlegen.

Da kam sie angestürzt; schon war sie zu nahe, um weiteres Zaudern ratsam erscheinen zu lassen, und so entsandte Tarzan seinen Pfeil, der sie mitten ins Herz traf. Als sie aufs Gesicht niedertaumelte, sprang Tarzan vorwärts und nahm ihr den Zwerg aus dem Griff, ehe sie womöglich im Niederstürzen seine schwächlichen Glieder zerbrach. Die übrigen Zwerge, die seine Absicht mißverstanden, stürzten mit lautem Geschrei und geschwungenen Waffen herbei. Aber ehe sie ihn erreichten, hatte er den befreiten Krieger auf den Boden gesetzt und losgelassen.

Im Nu änderte sich die Haltung der Zwerge, statt der trotzigen Kriegsrufe erhoben sie ein Freudengeschrei. Sie ritten heran und hielten vor dem Befreiten, einige sprangen von ihren Tieren, knieten vor ihm nieder und küßten seine Hände. Augenscheinlich hatte der Affenmensch eine Persönlichkeit von hohem Range gerettet; vielleicht sogar ihren Fürsten. Jetzt fragte er sich gespannt, wie sie sich wohl gegen ihn verhalten würden, während er ihnen mit einem Anflug gutmütiger Duldung auf seinen kühnen Gesichtszügen zusah, wie man etwa die Vorgänge in einem Ameisenhaufen beobachtet. Während sie ihren Gefährten zu seinem wunderbaren Entkommen beglückwünschten, hatte Tarzan Gelegenheit, sie näher zu betrachten. Der größte von ihnen war kaum viel über einen drittel Meter groß. Ihre von der Sonne gebräunte Hautfarbe war kaum dunkler als seine eigene, und ihre Gesichtszüge waren so regelmäßig und wohlgeformt, daß sie nach den für die kaukasischen Rassen geltenden Gesetzen als schön zu gelten hatten. Wohl fanden sich unter ihnen Abweichungen und Ausnahmen davon, aber im allgemeinen machten sie einen guten Eindruck. Alle hatten glatte bartlose Gesichter, und keiner von ihnen schien sehr alt zu sein; der, den Tarzan gerettet hatte, erschien besonders jung. Der junge Mann hieß jetzt die andern aufstehen, sprach einen Augenblick zu ihnen und wendete sich dann mit einer Rede an den Affenmenschen, von der Tarzan natürlich nichts verstand. Aus den Bewegungen konnte er aber entnehmen, daß ihm der andere dankte und über seine weiteren Absichten gegen ihn und seine Leute befragte. Der Affenmensch suchte ihm eine Versicherung seiner Freundschaft zu geben. Um seine friedlichen Absichten zum Ausdruck zu bringen, legte er seine Waffen beiseite und trat ihnen mit ausgestreckten Armen entgegen.

Der junge Mann schien ihn zu verstehen, denn auch er trat vor und streckte Tarzan seine Hand entgegen. Der Affenmensch verstand wohl, daß der andere meinte, er solle ihm die Hand küssen, aber er zog es lieber vor, dem anderen auf der Grundlage der Gleichheit zu begegnen. Daher ließ er sich auf ein Knie nieder, damit er die dargebotene Hand des Zwerges leichter nehmen konnte, und machte mit dem Kopfe eine leichte förmliche Verbeugung, die keinerlei Anflug von Unterwürfigkeit an sich hatte. Der andere schien damit zufrieden, denn er erwiderte die Verbeugung mit gleicher Würde und suchte dann dem Affenmenschen verständlich zu machen, daß er mit seiner Begleitung über die Ebene davonzureiten gedenke, wobei er ihn aufforderte, mitzukommen.

Tarzan war begierig, mehr von diesem eigenartigen Völkchen zu sehen, und besann sich daher keinen Augenblick, die Einladung anzunehmen. Ehe die ganze Abteilung abrückte, zerstreute sie sich erst, um nach den Toten und Verwundeten zu sehen, sie zusammenzuholen und von den verwundeten Antilopen die zu töten, die zu schwer verletzt waren, um noch fortzukommen. Dazu benützten sie ihre langen spitzen Degen, die den einen Teil ihrer Bewaffnung bildeten. Ihre Lanzen steckten sie in Lanzenschuhe auf der rechten Seite des Sattels. Weitere Waffen konnte Tarzan nicht entdecken, nur noch ein kleines Messer trug jeder Krieger an der rechten Seite in einer Scheide. Dessen nur etwa federmesserlange Klinge war wie die des Degens zweischneidig und endete in einer sehr scharfen Spitze.

Als die Toten und Verletzten gesammelt waren, hielt der junge Führer mit einigen anderen, die Tarzan für Unterhäuptlinge oder Leutnants hielt, Musterung ab. Er sah, wie diese die Verwundeten befragten und in drei Fällen, die sie wohl für hoffnungslos hielten, stieß der Führer den Unglücklichen noch den Degen durchs Herz.

Derweil gruben die übrigen unter der Aufsicht von Unterführern ein langes Grab für die zwanzig Toten. Als Werkzeug hatten sie dafür einen Spaten, der am Sattel hing und sich leicht am Ende des Speeres anbringen ließ. Die kleinen Männer arbeiteten flink und nach einer Methode, die jede unnütze Bewegung auszuschalten schien, bis sie in unglaublich kurzer Zeit eine Grube von genügender Größe ausgehoben hatten, in die sie die Toten in zwei Lagen aufeinanderpackten wie Sardinen. Dann schaufelten sie erst die Zwischenräume zwischen den Körpern voll Erde, rollten lose Steine darüber, bis die Leichen ganz darunter verschwanden und türmten dann die übrige Erde darauf. Inzwischen waren die grasenden Antilopen eingefangen und die Verwundeten auf ihnen festgebunden worden. Auf ein Kommandowort ihres Führers stellte sich die ganze Abteilung mit militärischer Ordnung auf, während einige mit den Verwundeten vorauszogen. Einen Augenblick später saß der übrige Trupp auf und galoppierte an, aber zehn der Krieger schwenkten links heraus und folgten einem Offizier, der, zu Tarzan zurückkam und ihm durch Zeichen mitteilte, er habe Auftrag, ihn zu führen. Das war auch nötig, denn der Haupttrupp war bereits weit draußen auf der Ebene, und die flinken Reittiere machten fast zwei Meter mit jedem Sprunge. Selbst der flüchtige Tarzan hätte mit ihnen nicht Schritt halten können.

Als der Affenmensch unter Führung der kleinen Abteilung aufbrach, kehrten seine Gedanken einen Augenblick zu dem Alaliknaben zurück, der allein im Walde hinter ihm weiterjagte, aber er schlug ihn sich bald aus dem Sinne, denn jener war jetzt besser bewaffnet als irgendeiner seiner Stammesgenossen sonst. Wenn Tarzan seinen Besuch im Zwergland beendet hatte, konnte er ja wieder zurückkehren und nach ihm suchen. An Anstrengungen und lange, rasche Märsche gewöhnt, wie Tarzan war, fiel er alsbald in einen kurzen Trab, den er stundenlang ohne Pause durchhalten konnte, während seine Führer auf ihren anmutigen Reittieren eben vor ihm hertrabten. Die Ebene begann welliger zu werden als man vom Waldrande aus annehmen konnte, und da und dort zeigte sich eine Baumgruppe. Auf dem üppigen Grase weideten da und dort Herden einer etwas größeren Antilopenart, die beim Herannahen der Reiter und der im Vergleich zu jenen riesig erscheinenden Gestalt Tarzans flüchtig wurden. Einmal kamen sie an einem Nashorn vorbei, aber die Abteilung machte darum nur einen geringen Umweg. Später aber, in einem Busch, hielt der Führer plötzlich seine Abteilung an, nahm seine Lanze und ging vorsichtig auf ein Dickicht los, seinen Leuten einen Befehl gebend, auf den hin sie das Gebüsch umstellten.

Tarzan hielt an und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Da der Wind von ihm auf das Dickicht zu wehte, konnte er nicht feststellen, was für ein Geschöpf die Aufmerksamkeit des Offiziers erregt hatte. Aber die Krieger hatten den Busch bald umstellt und ritten von der anderen Seite aus mit eingelegten Lanzen durch das Dickicht. Bald hörte man ein wütendes Brummen und Fauchen aus der Mitte des Busches, einen Augenblick später brach eine afrikanische Wildkatze ins Freie heraus und nahm den Offizier an, der sie mit gesenktem Speer erwartete. Der wuchtige Anprall des Tieres traf die Katze mitten in die Brust. Ein paar krampfhafte Zuckungen, ehe der Tod eintrat, hätten den Mann noch böse zurichten können, wenn sein Speer gebrochen wäre, denn die große Wildkatze war für ihn nicht viel weniger furchtbar als für uns ein Löwe. Das Tier war kaum tot, da sprangen auch schon vier Krieger vor und entfernten Kopf und Fell in unglaubhaft kurzer Zeit mit ihren scharfen Messern.

Tarzan mußte dabei wieder die große Zweckmäßigkeit bewundern, mit der diese Leutchen alles ausführten. Bei ihnen gab es keinen überflüssigen Griff, jeder wußte genau, was er zu tun hatte, keiner stand dem andern bei der Arbeit im Wege. Kaum zehn Minuten waren vergangen, seit sie die Katze aufgestöbert hatten, und schon war die Abteilung wieder auf dem Marsche. Der Kopf des erlegten Tieres hing am Sattel des einen, das Fell an dem eines andern.

Der Offizier des Trupps war ein noch junger Bursche, kaum wenn überhaupt älter als der Befehlshaber der Hauptabteilung. Daß er Mut besaß, ersah Tarzan aus der Art, wie er einem Tier begegnete, das für den Angehörigen eines Zwergvolkes doch immer ein toddrohendes fürchterliches Raubtier war. Aber der aussichtslose Angriff der ganzen Abteilung auf das Alaliweib hatte schon bewiesen, daß dieses Völkchen im ganzen mutig war, und der Affenmensch schätzte und bewunderte mutige Leute. Ihm begannen diese Zwerge zu gefallen, obgleich es für ihn immer noch schwer war, an ihr Dasein überhaupt zu glauben, so leicht sind wir geneigt, Daseinsmöglichkeiten in Abrede zu stellen, die uns nicht bekannt sind oder unwahrscheinlich dünken.

Als sie etwa sechs Stunden lang über die Ebene gezogen waren, schlug der Wind um und trug Tarzan die Witterung von Bara, der Antilope, zu. Der Affenmensch, der an diesem Tage noch nichts zu essen gehabt hatte, fühlte einen rasenden Hunger. Die Witterung der Fleisch bietenden Beute erweckte all die ungezähmten Instinkte seiner eigenartigen Jugend wieder. Er sprang vorwärts bis vor den Führer des Trupps, bedeutete ihm, zu halten und machte ihm dann, so gut es ging, durch Zeichen klar, daß er hungrig sei, daß es da vorne für ihn Fleisch gebe, und daß er mit seinen Männlein so lange zurückbleiben solle, bis er sein Wild beschlichen und Beute gemacht hatte.

Der Offizier verstand ihn und zeigte sich einverstanden. Darauf kroch Tarzan vorsichtig auf eine kleine Baumgruppe zu, hinter der sich, wie ihm seine feine Nase sagte, mehrere Antilopen befinden mußten. Der Trupp aber schlich sich wieder so geräuschlos hinter Tarzan her, daß nicht einmal der Affenmensch mit seinen feinen Sinnen etwas davon merkte.

Aus der Deckung der Bäume sah Tarzan über ein Dutzend Antilopen in nächster Nähe grasen; die nächste war kaum dreißig Schritte von dem kleinen Hain entfernt. Er nahm einen Bogen, legte ein paar Pfeile zurecht und pirschte sich sachte hinter den Baum, der dieser Antilope am nächsten stand. Die Zwerge hielten dicht hinter ihm, obgleich der Offizier, als er sah, daß Tarzan ein Wild beschlich, seine Leute sofort anhalten ließ, um es nicht zu verscheuchen.

Die Pygmäen kannten Pfeil und Bogen nicht, darum verfolgten sie mit gespannter Aufmerksamkeit jede Bewegung des Affenmenschen. Sie sahen, wie er einen Pfeil auflegte, wie er spannte und fast im gleichen Augenblick schoß, so flink war er im Gebrauch des Bogens. Sie konnten sehen, wie die getroffene Antilope einen Sprung machte, wie ein zweiter und dritter Pfeil folgte, und wie Tarzan in Verfolgung seiner Beute vorstürzte. Aber es bestand keine Gefahr, daß ihm seine Beute verlorenging. Schon beim zweiten Pfeil sank der Bock auf die Knie, und als Tarzan ihn erreichte, war er bereits verendet.

Die Krieger, die unmittelbar hinter Tarzan hergekommen waren, sobald keine weitere Vorsicht nötig war, umstanden die Antilope und sprachen mit mehr Erregung, als Tarzan bisher bei ihnen hatte beobachten können. Die so raschen Tod bringenden Geschosse schienen ihr lebhaftes Interesse zu erregen. Für sie war diese Antilope fast so groß als ein Elefant für uns. Als ihre Augen Tarzans Blicken begegneten, lächelten sie und rieben mit kreisförmiger Bewegung ihre Handflächen aneinander, eine Geste, die Tarzan für eine Art Beifallsbezeugung hielt.

Tarzan zog erst seine Pfeile aus der Antilope, steckte sie wieder in den Köcher und gab dem Führer des Trupps durch Zeichen zu verstehen, er möge ihm seinen Degen leihen. Der kleine Mann zauderte einen Augenblick, und seine Gefährten warteten voll Aufmerksamkeit ab, was er tun werde, aber schließlich zog er doch sein Schwert heraus und bot es Tarzan mit dem Degenknauf voran an. Da Tarzan das Fleisch noch lebenswarm essen mußte, ließ er es nicht erst ausbluten. Er trennte eine Keule ab und schnitt sich ein tüchtiges Stück Fleisch heraus, das er hungrig verzehrte.

Die kleinen Leute sahen ihm mit Überraschung und nicht ohne Entsetzen zu, und als er ihnen gar von seinem Fleische zu essen anbot, lehnten sie ab und wichen zurück. Den Grund ihres Abscheus kannte Tarzan nicht, aber er nahm an, sie seien es nicht gewöhnt, rohes Fleisch zu essen. Erst später erfuhr er, daß die Erfahrung der Zwerge dahin ging, daß alles, was rohes Fleisch verzehrte, auch sie selbst bei Gelegenheit auffraß. Als sie daher den mächtigen Riesen ungebratenes Fleisch vertilgen sahen, schlössen sie daraus, er werde sich auch an ihnen vergreifen, wenn er nur genügend hungrig sei.

Tarzan schlug sich etwas von dem Fleisch in die abgezogene Antilopenhaut ein, hing sich das Paket auf den Rücken und zog mit dem Trupp weiter. Die Krieger schienen aber jetzt ganz verstört, sie unterhielten sich nur leise miteinander, und mancher verstohlene Blick flog zu dem Affenmenschen zurück. Für sich selbst hegten sie zwar keine Furcht, denn das war ihnen ein fremder Begriff, aber sie fragten sich, ob es von ihren Führern weise sei, ihrem Volk einen solch riesigen Freund von rohem Fleisch zu bringen, für den ein einziger ausgewachsener Mann von ihnen gerade eine Mahlzeit bilden würde.

Am Spätnachmittag entdeckte Tarzan in der Ferne etwas, das aussah wie eine Gruppe symmetrisch gelegener domartiger Hügel. Später beim Näherkommen entdeckte er, daß ein Reitertrupp ihnen entgegengaloppierte. Da er die kleinen Leute so hoch überragte, konnte er diesen Trupp natürlich viel eher sehen als sie. Er suchte den Offizier darauf aufmerksam zu machen, aber dieser konnte die anrückende Schar wegen der wellenförmigen Beschaffenheit des Bodens nicht entdecken.

Als Tarzan das merkte, bückte er sich und hob den Offizier, ehe dieser es merkte, samt seinem Reittier in die Höhe. Einen Augenblick lang faßte die übrigen Zwerge starres Entsetzen. Dann blitzten ihre Schwerter, wilde Rufe erschollen, und selbst der mutige kleine Mann in Tarzans Hand suchte seine winzige Waffe zu ziehen. Aber ein beruhigendes Lächeln des Affenmenschen gab ihnen die Ruhe wieder, und der Offizier sah jetzt, warum ihn Tarzan in die Höhe gehoben hatte. Er rief den anderen unten etwas zu, und aus dem Benehmen, mit dem sie alle die Nachricht aufnahmen, ließ sich erkennen, daß eine freundschaftliche Begegnung zu erwarten war. Einige Augenblicke später waren sie denn auch von einigen hundert Zwergen umringt, die sie voll Neugier und Eifer ausfragten.

Alsbald entspann sich eine erregte Unterhaltung zwischen dem Führer des Trupps, mit dem Tarzan gekommen war, dem jungen Befehlshaber der größeren Abteilung und einigen älteren Kriegern. Aus ihrem Gesichtsausdruck und dem Tone ihrer Unterhaltung konnte Tarzan merken, daß es sich um eine ernste Sache handelte, und die vielen nach ihm geworfenen Blicke bezeugten, daß die Beratung ihn betraf. Er konnte allerdings nicht ahnen, daß der Bericht des Truppführers daran schuld war, der gemeldet hatte, der Riesengast esse rohes Fleisch, sein Besuch müsse daher eine Gefahr für die Bevölkerung darstellen. Der junge Befehlshaber entschied die ganze Frage aber durch den Hinweis, daß der Riese, obgleich er sehr hungrig gewesen sein müsse, wie ja das Vertilgen von rohem Fleische bewies, doch viele Stunden lang den kleinen Trupp begleitet habe, ohne sich an einem der doch stets in seinem Bereiche befindlichen Krieger zu vergreifen. Dieser Beweis friedlicher Absichten schien zu genügen, und der ganze Trupp setzte sich nunmehr ohne weiteren Verzug nach den Hügeln in Marsch, die sich in zwei bis drei Kilometer Entfernung zeigten.

Beim Näherkommen entdeckte Tarzan, daß diese Hügel von unzähligen Zwergen wimmelten und daß er gar keine Hügel, sondern kuppelartige Gebäude aus kleinen Steinen vor sich hatte, die ganz augenscheinlich von den Zwergen errichtet waren. Die herumziehenden Scharen von Pygmäen waren Arbeiterkolonnen. Dort kam aus einem Loche eine lange Reihe von beladenen Männchen heraus, die im Gänsemarsch nach der einen Richtung zogen – dabei einem klar erkennbaren Pfade nach einer halbfertigen Kuppel folgend, die offenbar im Bau war. Drüben zog eine andere Reihe ohne Lasten in entgegengesetzter Richtung des Weges und verschwand durch ein anderes Loch im Boden. Zu beiden Seiten der Reihen marschierten in kurzen Abständen bewaffnete Krieger. Noch an mehreren Stellen zeigten sich derartige Arbeiterzüge, die aus den kuppelartigen Gebäuden auftauchten und wieder darin verschwanden. Der ganze Anblick erweckte in Tarzan den Eindruck eines Ameisenbaus mit den hin- und herführenden Ameisenzügen.


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