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Steinzeitamazonen

Tarzan war im Innern des merkwürdigen Steingelasses, in das man ihn so kurzer Hand geschafft hatte, alsbald Gegenstand des Interesses für eine Anzahl Alalijunge, die sich um ihn scharten. Sie untersuchten ihn sorgfältig, drehten ihn um, tätschelten und zwickten ihn, bis schließlich einer der jungen Männchen an dem goldenen Anhängsel des Affenmenschen Gefallen fand und es an sich nahm. Da diese Geschöpfe noch auf der niedersten Stufe der menschlichen Entwicklung standen, blieb ihr Interesse nie lange bei einer Sache. Sie waren daher Tarzans bald müde und trotteten wieder hinaus in den Sonnenschein, es Tarzan überlassend, ob er wieder zur Besinnung kommen wollte oder nicht. Zum Glück hatten zahlreiche seinem Fall im Wege stehende Zweige die Wucht des Sturzes aus der Krone des Dschungelriesen gemildert, so daß er nur eine leichte Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Er kam schon wieder langsam zu sich, öffnete, bald nachdem ihn die Alkalijungen verlassen hatten, die Augen, und schloß sie wieder. Seine Atmung begann regelmäßig zu werden, und als er die Augen richtig aufmachte, war ihm, als ob er aus tiefem, natürlichem Schlafe erwache. Nur ein dumpfer Kopfschmerz blieb als Erinnerung an den Sturz.

Er setzte sich auf und schaute umher. Allmählich gewöhnten sich seine Augen an das Dämmerlicht des Raumes. Er fand sich in einer roh aus Steinplatten errichteten Schutzhütte. Ein einziger Ausgang führte in eine ähnlich gebaute Kammer, die aber heller zu sein schien als sein derzeitiger Aufenthalt. Er erhob sich leise auf seine Füße und ging auf die Öffnung zu. Gegenüber in der anderen Wand des zweiten Raumes entdeckte er einen neuen Ausgang, der hinaus in die frische Luft und in den Sonnenschein führte. Abgesehen von ein paar schmutzigen Haufen moderigen Grases waren beide Räume ohne alle Einrichtung oder irgendwelche Andeutung, daß sie als menschliche Behausung dienten. Die zweite Tür, zu der er ging, zeigte ihm den Blick auf einen schmalen, mit großen flachen Steinplatten eingezäunten Hof. Dort sah er die jungen Alali teils in der Sonne, teils im Schatten herumhocken. Tarzan betrachtete sie mit offenbarem Staunen. Was waren das für Geschöpfe? Was war das für ein Platz, an dem man ihn allem Anschein nach eingesperrt? Stellten diese Wesen da seine Wächter oder Mitgefangenen vor? Wie kam er überhaupt hierher?

Tarzan fuhr sich wie immer, wenn er verdutzt war, mit den Fingern durch das dichte schwarze Haar. An den unglücklichen Abschluß seines Fluges erinnerte er sich wohl; er wußte auch noch, wie er durch die Zweige eines großen Baumes gestürzt war, aber weiter nichts mehr. Eine Zeitlang betrachtete er sich die Alali, die das nicht bemerkten, dann trat er so furchtlos wie der Löwe vor den Schakalen zu ihnen hinaus. Sie sahen ihn alsbald, erhoben sich und scharten sich um ihn. Die Mädchen stießen dabei die Knaben zur Seite und kamen kühn ganz dicht heran. Tarzan suchte mit ihnen zu reden, probierte es erst mit dem einen, dann mit dem anderen Eingeborenendialekt, aber sie schienen ihn nicht zu verstehen. Als letzten Versuch redete er sie schließlich in der primitiven Sprache der Riesenaffen an, die er als Säugling an der zottigen Brust der Äffin Kala unter den wilden Angehörigen von Kerschaks Affenhorde gelernt hatte. Auch jetzt erhielt er keine Antwort – wenigstens keine hörbare. Doch die Kinder bewegten Hände, Schultern und Körper und verdrehten die Köpfe in einer Weise, die der Affenmensch bald als eine besondere Art Zeichensprache erkannte. Dabei gaben sie aber nicht den geringsten Laut von sich, der angedeutet hätte, daß sie auch eine Sprache mit richtigen Lauten kannten. Sehr rasch verloren sie wieder das Interesse an dem Ankömmling und kehrten zu ihrem trägen Herumlungern im Hofe zurück, den Tarzan jetzt der Länge und Breite nach durchmaß und mit scharfen Augen auf eine Möglichkeit zum Entkommen untersuchte. Er sah gleich, daß er mit einem tüchtigen Anlauf seine Hände bis oben auf den Rand des Steinzaunes bekommen würde; das war also sicher ein Ausweg. Aber damit mußte er bis zur Dunkelheit warten, um vor einem Angriff der Geschöpfe in der Umzäunung und vor den anderen sicher zu sein, die sich wahrscheinlich draußen in der Umgebung aufhielten. Mit Herannahen der Dunkelheit begann das Verhalten der anderen Insassen sich merklich zu ändern. Sie trabten hin und her, kamen immer wieder zum Eingang der Schutzhütte, die sie oft durchliefen, um an dem flachen Verschlußstein des Ausgangs zu lauschen. Schließlich begann einer mit dem Fuße auf die Erde zu stampfen. Das machten die anderen alsbald nach, bis das Bum-Bum ihrer nackten, im Takte aufstampfenden Füße auf einige Entfernung draußen zu hören sein mußte. Der Zweck dieser Handlung mochte aber sein, wie er wollte, zunächst erfolgte nichts darauf. Da nahm eines der Mädchen mit wütender Fratze seinen Knüppel mit beiden Händen, trat an eine Wand und begann heftig auf sie loszuschlagen. Die übrigen Mädchen folgten ihrem Beispiel, während die Knaben weiter mit den Füßen trampelten.

Eine Weile sann Tarzan nach, was die ganze Sache bedeuten solle, aber sein eigener Magen gab ihm schließlich die Antwort darauf – diese Geschöpfe hatten Hunger und suchten die Aufmerksamkeit ihrer Kerkermeister zu erregen. Die Art und Weise, wie sie dabei zu Werke gingen, bestätigte ihm deutlich, was sein kurzes Zusammensein mit ihnen schon hatte annehmen lassen, nämlich, daß sie keine richtige Sprache besaßen.

Das Mädchen, das zuerst mit dem Klopfen gegen die Steinwand begonnen hatte, stand plötzlich davon ab und deutete auf Tarzan. Die anderen sahen nach ihm und nach ihr. Sie deutete erst auf ihre Keule, dann wieder auf Tarzan, worauf sie ganz kurz eine kleine Pantomime vorführte, die klipp und klar veranschaulichte, wie sie ihre Keule auf Tarzans Kopf schlug, wonach sie alle den Affenmenschen verzehrten. Die Keulenschläge gegen die Wand hörten auf. Die Füße ließen das Auf-den-Boden-Stampfen. Die ganze Horde interessierte sich für die neue Möglichkeit. Daß ihre Mutter Wara, die ihnen zu essen hätte bringen sollen, tot war, wußten sie nicht. Aber sie waren hungrig, denn das Weib hatte ihnen seit einem ganzen Tage nichts zu essen gebracht. Sie waren keineswegs Menschenfresser und wären nur im letzten Stadium der Hungersnot über einander hergefallen, wie es ja auch bei schiffbrüchigen Seeleuten zivilisierter Rassen schon vorgekommen ist, aber den Fremden sahen sie nicht als ihresgleichen an. Er ähnelte ihnen so wenig wie die anderen Geschöpfe, die ihnen die Mutter sonst zur Atzung gebracht hatte. Ihn zu verzehren, war ebenso berechtigt wie bei einer Antilope. Indessen wären die meisten von ihnen nicht auf diesen Gedanken gekommen. Das älteste der Mädchen war darauf verfallen, und auch sie hätte nicht daran gedacht, wäre etwas zum Essen dagewesen, denn sie wußte wohl, daß das sonderbare Wesen nicht zu diesem Zwecke hereingebracht worden war. Wara hatte ihn als Mann für sich mitgebracht, wie es bei diesem Volke üblich war, wo sich die Weibchen einmal in jedem Jahre einen neuen Gefährten draußen im Walde jagten; dort lebten die schüchternen Männchen als Einzelgänger für sich. Während der Zeit, in der sie dann in den steinernen Hürden des herrschenden Geschlechts gefangen gehalten wurden, erfuhren sie roheste Behandlung und waren sogar der Verachtung seitens der Sprößlinge ihrer zeitweiligen Ehegefährtinnen ausgesetzt.

Manchmal, wenn auch selten, gelang es ihnen, zu entkommen, gelegentlich ließ man sie aber auch laufen, denn es war leichter, sich in der nächsten Paarungszeit einen neuen Mann zu fangen, als einen solchen das ganze Jahr über in der Gefangenschaft zu füttern. So etwas wie Liebe gab es unter diesen wilden Halbtieren nicht. Die zur Welt gekommenen Jungen kannten weder ihre Väter, noch besaßen sie irgendwelche wenn auch noch so dürftige Zuneigung zu einander oder zu irgendeinem Wesen überhaupt.

Ein schmales Band fesselte sie nur an ihre Mutter, auf die sie der Nahrung wegen angewiesen waren, bis sie groß genug waren, um selbst in die Wälder zu gehen und Beute zu machen oder sich das zu suchen, was die freigebige Natur für sie bereithielt.

Im Alter von fünfzehn bis siebzehn Jahren wurden die Knaben freigelassen und in den Wald gejagt. Von da ab kannte selbst die eigene Mutter sie nicht mehr. Etwa im gleichen Alter wurden die Mädchen von der Mutter mit in die eigene Höhle genommen und blieben dort. Sie durften die Mutter dann auf der täglichen Jagd begleiten, bis sie sich selbst den ersten Gatten gewannen. Von da ab hausten sie für sich allein, und jedes Band zwischen Mutter und Kind war zerschnitten. Es konnte sogar vorkommen, daß sie wegen eines Mannes auf einander eifersüchtig wurden oder um eine Beute auf Leben und Tod miteinander kämpften. Der Bau der Steinhütten und Einfriedigungen, in denen die Kinder gehalten wurden, war die einzige gemeinsame Tätigkeit, zu der sich die Weiber notgedrungen zusammentun mußten, denn die Männer wären bei der ersten sich bietenden Gelegenheit während des Bauens in den Wald geflüchtet, und die Kinder hätten das gleiche getan, soweit sie sich schon stark genug fühlten, um auf eigenen Beinen zu stehen. Aber die Riesenweiber konnten mit dieser Riesenarbeit auch allein fertig werden.

Von der Natur mit ungeheuren Muskeln und Stahlsehnen ausgestattet, brachen sie die großen Steinplatten aus einem das Amphitheater überragenden Berghang, schleiften sie nach dem Grunde des kleinen Tales und richteten sie ohne weitere Hilfsmittel nur mit roher körperlicher Kraft auf.

Aber es wurde selten nötig, neue Hütten und Höfe zu bauen, denn die hohe Sterblichkeitsziffer unter ihnen machte meist genug Wohnstätten für die heranwachsenden Mädchen frei. Eifersucht, Gier, Jagdunfälle, gegenseitiger Mord und Totschlag, alles zusammen hielt die Zahl der erwachsenen Weiber auf niedrigem Stand. Gelegentlich erschlug wohl auch einer der verachteten Männer seine Häscherin beim Kampfe um die Freiheit.

Die abstoßende Lebensweise der Alalis war die naturgemäße Folge der unnatürlichen Vertauschung der Geschlechtsanschauungen. Der Mann soll Liebe fordern und durch seine Überlegenheit erst Achtung, dann Bewunderung im Herzen des begehrten Weibes erwecken. Die Liebe kam erst nach diesen anderen Empfindungen ins Dasein. Da die weiblichen Alalis den männlichen allmählich über den Kopf wuchsen, erloschen auch die Gefühle für Achtung und Bewunderung, und eine Liebe war unmöglich.

Tarzan war über die menschenfresserischen Absichten der wilden mißgebildeten Geschöpfe nicht im Zweifel. Die männlichen Alalis beteiligten sich zwar nicht an der Einleitung eines Angriffs, aber sie trugen eifrig trockenes Gras und kleine Stücke Holz aus den Hütten zusammen. Während die drei Mädchen, deren jüngstes kaum sieben Jahre zählte, sich dem Affenmenschen mit drohend erhobenen Keulen näherten, zündeten die Jungen ein Feuer an, auf dem sie bald den saftigen Braten zubereiten wollten, den ihnen ihre zottige Mutter mitgebracht hatte.

Nur einer der Knaben, ein Bürschlein von sechzehn Jahren, hielt sich allein und machte mit Händen, Kopf und Körper erregte Zeichen. Anscheinend suchte er die Mädchen von ihrem Vorhaben abzubringen; er wendete sich sogar an die anderen Knaben um Hilfe, aber diese sahen nur einmal nach den Mädchen hin und setzten dann ihre Kochvorbereitungen fort. Als sich aber die Mädchen planmäßig dem Affenmenschen näherten, stellte sich der Junge ihnen sogar in den Weg und suchte sie aufzuhalten. Im Nu warfen sich die drei kleinen Teufel auf ihn, um ihn mit der Keule umzubringen. Aber der Knabe entwischte ihnen, riß ein paar der federgeschmückten Steine vom Gürtel und schleuderte sie auf seine Angreiferinnen. Seine Geschosse flogen so rasch und gutgezielt, daß zwei der Mädchen heulend zu Boden fielen. Das dritte Geschoß verfehlte sein Ziel, traf aber einen der Knaben an der Schläfe und tötete ihn augenblicklich. Es war jener Knabe, der Tarzans Anhängsel gestohlen hatte. Seit Tarzan wieder zur Besinnung gekommen war, hatte er es, schüchtern wie alle seine männlichen Gefährten, krampfhaft in der Hand verborgen gehalten.

Das älteste Mädchen sprang aber vorwärts, ohne sich dadurch stören zu lassen. Der Knabe warf noch einen Stein nach ihr, dann flüchtete er zu dem Affenmenschen. Er wußte zwar nicht; wie ihn dieser aufnehmen würde, vielleicht bewog ihn ein angeborenes Erinnerungsgefühl der Kameradschaft dazu – möglich auch, daß der in Tarzan in so hohem Grade verkörperte Edelmut in ihm eine Art vergessener Seele wiedererweckte. Wie dem auch sein mochte, er stellte sich an Tarzans Seite, während das Mädchen, das augenscheinlich in dieser neuen ungewohnten Kühnheit seines Bruders eine Gefahr witterte, nunmehr vorsichtiger herankam.

In ihrer Zeichensprache schien sie dem Knaben klarzumachen, was sie mit ihm anfangen werde, wenn er noch weiter seinen schwachen Willen zwischen sie und ihre hungrigen Wünsche stelle. Aber er machte nur ein paar trotzige Zeichen und blieb. Tarzan klopfte ihm jetzt freundschaftlich lächelnd auf den Rücken, da fletschte der Kleine greulich die Zähne, anscheinend ein Versuch, das gewinnende Lächeln des Affenmenschen zu erwidern. Doch inzwischen war das Mädchen heran. Tarzan wußte wirklich nicht, wie er sich verhalten sollte. Seine angeborene Ritterlichkeit verbot ihm, dies Geschöpf anzugreifen, ja schon der Gedanke, ihr in Selbstverteidigung eine Verletzung zufügen zu müssen, war ihm unangenehm. Gleichwohl wußte er, daß es sogar nötig werden könne, seine Gegnerin zu töten. So sah er sich denn wohl nach einem Ausweg um, hielt sich aber doch für eine Tat bereit, die ihm zuwider war. Zunächst hoffte er noch, so durchkommen zu können.

*

Die Riesin Anga hatte den neugefangenen Gatten aus der Höhle in die Umfriedigung gebracht, wo sie ihn ein oder zwei Wochen eingesperrt halten wollte. Sie hörte das Trampeln der nackten Füße und die Schläge der Keulen gegen die Wände aus dem Hof der toten Wara schallen und erriet bald deren Ursache. Ihr persönlich war das Wohl und Wehe der Sprößlinge jener anderen gleichgültig. Aber ein gewisser Rasseninstinkt bewog sie, die Kinder freizulassen, damit sie sich selbst ihren Lebensunterhalt suchen konnten und nicht durch Verhungern dem Stamme verloren gingen. Sie dachte nicht daran, fremde Kinder zu füttern, aber sie wollte ihnen das Tor öffnen und sie laufen lassen; dann konnten sie für sich selbst sorgen, sich durchbringen oder zugrunde gehen, wie es das unerbittliche Naturgesetz von der Auswahl der Tüchtigsten vorschreibt.

Vorläufig ließ sie sich aber noch Zeit. Sie griff mit ihren kraftvollen Fingern ins Haar ihres knurrenden Gatten und schleppte ihn trotz seines Widerstandes zu ihrem Hofe, nahm den großen Stein vom Eingang, stieß den Mann hinein und schloß die Öffnung wieder. Dann ging sie zum Hofe der anderen, öffnete die Türe und schritt durch die beiden Räume nach dem Innenhof, in dem eben das älteste Mädchen auf Tarzan losging. An der Tür stehenbleibend, schlug sie mit ihrer Keule an die Wand, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und sogleich sahen alle zu ihr hin. Sie war das erste erwachsene weibliche Wesen, das die Kinder außer ihrer Mutter zu Gesicht bekamen, und sie wichen in offenbarer Angst zurück. Der Knabe an Tarzans Seite verkroch sich sogar hinter dessen Rücken, worüber sich dieser keineswegs wunderte. Auch er sah zum ersten Male ein ausgewachsenes Alaliweib, denn während der ganzen Zeit, in der ihn Wara herumgezerrt hatte, war er bewußtlos gewesen. Das Mädchen, das ihn eben noch mit der Keule bedroht hatte, schien ihn völlig vergessen zu haben. Sie drehte sich um und stellte sich mit tückisch zusammengekniffenen Augen und zähnefletschender Fratze der Riesin entgegen. Sie allein von allen Kindern schien keine Angst zu haben.

Der Affenmensch besah sich prüfend das ungeheure tierisch anmutende Geschöpf, das ihn vom anderen Ende des Hofes aus mit Glotzaugen betrachtete. Anga hatte ihn noch nicht gesehen, denn als ihn ihre jetzt tote Gegnerin heimbrachte, war sie noch auf der Jagd gewesen. Sie hatte gar nicht geahnt, daß die andere noch einen Mann außer den Kindern im Hofe hielt. Ha, das war eine Beute! Den würde sie gleich mit nach ihrem eigenen Gehöft nehmen! In dieser Absicht kam sie ihm gemächlich näher, da er ihr nicht entkommen konnte, falls er ihr nicht seitlich entwischte und durch den Ausgang flüchtete. Die übrigen Bewohner des Hofes hatte sie ganz vergessen.

Tarzan ahnte nicht im mindesten, was jene vorhatte; er dachte, sie wolle ihn als gefährlichen Eindringling in ihrem Hause behandeln. Er überflog mit einem Blick ihren Riesenwuchs, die mächtig entwickelte Muskulatur und die wuchtige Keule, die sie in der ungefügen Hand hin und her schwang. Dem allen hatte er nur seine waffenlose Nacktheit entgegenzustellen. Bei den Dschungelgeschöpfen gilt es nicht als feige, einem nutzlosen und ungleichen Kampfe auszuweichen, und Tarzan war nicht nur in der Dschungel aufgewachsen, mit seinen Kleidern war ihm auch der dünne, unnatürliche Firnis der Zivilisation abgerissen worden. Er war wieder das grimme Tier, das dem Kommen des Alaliweibes entgegensah, ein Raubtier, ebenso schlau wie gewaltig, das genau wußte, wann es zu kämpfen und wann zu flüchten galt.

Herumfahrend lud Tarzan mit einem Griffe den Knaben auf die Schulter, durchmaß mit wenigen Sprüngen die kurze Strecke bis zur Hofmauer und kletterte im Anlauf flink wie eine Katze bis oben hinauf. Nur einen Blick warf er nach rückwärts, dann ließ er den Knaben auf der anderen Seite hinab und sprang ihm nach. Er blickte um sich und sah zum erstenmal das Amphitheater und die Höhlenlöcher, vor denen immer noch einige Weiber hockten. Die Dunkelheit war nahe, denn die Sonne sank bereits hinter den Hügeln im Westen hinab. Tarzan konnte nur einen einzigen Ausgang sehen, die Kluft am anderen Ende des freien Platzes, durch die wohl ein Pfad in den Wald führen mußte. Dorthin jagte er, und der Knabe folgte ihm auf dem Fuße.

Jetzt hatte ihn eines der Weiber vor den Höhlen entdeckt. Sie packte ihre Keule, sprang auf und schlug Lärm. Andere folgten ihr, bis fünf oder sechs auf dem Pfade hinter Tarzan her waren.

Der Knabe hetzte vor Tarzan her, um den Weg zu zeigen, aber so schnell er war, gegen die flinken Muskeln seines Befreiers, die ihren Besitzer so oft sicher aus des wilden Numa Bereich getragen hatten, die selbst Bara, den Hirsch, einholten, kam er nicht auf. Die plumpen, schwer beweglichen Weiber hinter ihnen hatten keine Aussicht, die beiden einzuholen, wenn sie sich auf das Laufen verlassen wollten. Daran dachten diese auch nicht; sie hatten ja ihre Wurfsteine bei sich, mit deren Gebrauch sie fast von Geburt an vertraut waren. Aber es war schon recht finster geworden; der Pfad machte mehrere Windungen, und die Flüchtlinge gaben ein so unsicheres Ziel ab, daß es schwer war, einen Wurf so anzubringen, daß er nur betäubte und nicht gleich tötete. Ein gewisser Instinkt hielt die Weiber davon ab, die Männer zu töten, obgleich er sie nicht daran hinderte, sie mit größter Roheit zu behandeln. Hätte Tarzan geahnt, warum ihn diese Weiber so hartnäckig verfolgten, er wäre sicher viel hurtiger gelaufen. Erst als die Wurfgeschosse um seinen Kopf zu fliegen begannen, beschleunigte er seinen Lauf etwas. Der Affenmensch hatte bald den Wald erreicht und verschwand vor den erstaunten Augen seiner Verfolgerinnen, wie wenn er sich in leere Luft aufgelöst hätte. Jetzt befand er sich ja in seinem Element. Während sie noch auf dem Boden nach ihm spähten, schwang er sich schon längst durch die unteren Zweige der Bäume, wobei er immer den unten auf dem Pfade entlangrennenden Alaliknaben im Auge behielt.

Doch nun, da der Mann entkommen war, stellten die Weiber die Verfolgung ein und kehrten zu ihren Höhlen zurück. An dem Knaben lag ihnen nichts. Er konnte unbelästigt zwei, drei Jahre im Walde herumstreichen. Entging er bis dahin den Raubtieren und den Speeren und Pfeilen des Zwergvolkes, dann war er erwachsen und bildete für jedes der Riesenweiber während der Paarungszeit eine erwünschte Beute. Für den Augenblick aber konnte er sich eines verhältnismäßig freien und unbekümmerten Daseins freuen.

Seine Aussichten, sich durchzubringen, waren allerdings durch die frühzeitige Flucht in den Wald geringer geworden. Wäre seine Mutter am Leben geblieben, dann hätte sie ihn sicher noch wenigstens ein Jahr lang auf ihrem Hofe gelassen, und um diese Zeit wäre er besser den Gefahren und Nöten des wilden Lebens in Dschungel und Urwald gewachsen gewesen.

Dem Knaben verrieten seine scharfen Ohren bald, daß die Weiber die Verfolgung aufgegeben hatten. Er hielt an und sah sich nach dem fremden Geschöpf um, das ihn aus dem verhaßten Zwinger befreit hatte, aber in der Dunkelheit der hereinbrechenden Waldnacht konnte man nicht weit sehen. Der Fremde ließ sich nicht blicken. Der Knabe spitzte seine großen Ohren und lauschte. Kein anderes Geräusch als die rasch sich entfernenden Fußtritte der Weiber war zu hören. Doch nunmehr erschollen andere ihm unbekannte Laute im Walde, die sein unerzogenes Gehirn mit unbestimmten Schrecknissen erfüllten. Aus dem umgebenden Unterholz kamen Geräusche, oben aus den Zweigen über seinem Kopfe klangen Töne, und zu alledem gesellten sich noch entsetzenerregende Witterungen.

Er wußte nichts von Löwen, es müßte denn sein, daß der Instinkt eine Art Bild jener verschiedenen Geschöpfe vormalt, vor denen die Bewohner der Wildnis gefühlsmäßig Furcht haben. Der Knabe war in seinem ganzen Leben noch nicht aus dem Zwinger herausgekommen, und da seine tote Mutter so wenig wie ihre übrigen Stammesgenossen die Gabe der Sprache besessen hatte, konnte er auch aus Erzählungen nichts von der Welt draußen wissen. Aber als der Löwe brüllte, wußte der Knabe doch, was das bedeutete.


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