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Textkritischer Anhang des Herausgebers

Wir kennen die Weltgeschichtlichen Betrachtungen nur in der Form, wie sie acht Jahre nach Burckhardts Tode von seinem Neffen Jacob Oeri herausgegeben worden sind. Ein druckfertiger Text ist erst 1903/5 unter den vorsichtig verknüpfenden Händen des pietätvollen Redaktors entstanden, und kein späterer Herausgeber wird es wagen können, das dichte und wohlüberlegte Gewebe der Oerischen Fassung wieder aufzulösen. Unser Text folgt der Erstausgabe im Verlag W. Spemann, Berlin und Stuttgart 1905. Der Basler Philologe, der beinahe wie ein jüngerer Bruder in Burckhardts Vaterhaus aufgewachsen war und während seiner Studien- und Berufszeit sich ständig der Beratung und des Gedankenaustausches mit seinem Onkel erfreuen durfte, hatte noch den Tonfall und die charakteristischen Wendungen der Burckhardtschen Diktion so lebendig im Ohr, daß er ohne Mühe die Lücken auszufüllen vermochte, die das Manuskript des Verfassers noch gelassen hatte.

Aber es konnte nicht ausbleiben, daß sich an diese Entstehungsgeschichte des Werkes hartnäckig eine Reihe von Vorstellungen geknüpft haben, die bei einer Prüfung der Handschriften keineswegs standhalten. Der Anteil Jacob Oeris am Aufbau wie am Wortlaut der Weltgeschichtlichen Betrachtungen ist bei weitem überschätzt worden. Es hat sich eine stillschweigende Übereinstimmung dahin gebildet, daß der Verwalter des wissenschaftlichen Nachlasses in gewissenhafter Kompilation eine Vorlesung Burckhardts vom Wintersemester 1868/69 ›Über das Studium der Geschichte‹, einen Vortragszyklus vom November 1870 ›Über historische Größe‹ und einen Aulavortrag vom 7. November 1871 ›Über Glück und Unglück in der Weltgeschichte‹ eigenmächtig zu dem Ganzen verwoben habe, dem er dann den Titel ›Weltgeschichtliche Betrachtungen‹ gab. Man nimmt als selbstverständlich an, daß Oeri (ähnlich wie Eduard Gans und später Georg Lasson bei der Herausgabe von Hegels Geschichtsphilosophie) neben den Vorlesungsheften des Autors auch Nachschriften von Hörern für seine Aufgabe verwendet habe und knüpft daran fast instinktiv einige Zweifel an der Authentizität des Textes. Es herrscht selbst bei ausgezeichneten Burckhardtkennern eine gewisse Zurückhaltung und Unsicherheit, wie weit man sich auf ein Werk verlassen könne, das »in der publizierten Form ein postum zusammengestelltes und etwas zufälliges Gebilde« scheint (Werner Kaegi). Ja, der Untertitel, den Oeri den Weltgeschichtlichen Betrachtungen mitgegeben hat: ›Ein Kursus von Jacob Burckhardt‹, hat manchen Leser zu der Frage veranlaßt, ob man überhaupt berechtigt war, mündliche Auslassungen Burckhardts so wichtig zu nehmen und festzulegen, da man sich seiner scharfen Verwahrung im Brief an Emma Brenner-Kron erinnerte: »Von meinen Vorlesungen wird nie etwas gedruckt, weil sie nur durch den Vortrag entstehen und sich gedruckt ganz ›letz‹, wie Teppiche von der Kehrseite, ausnehmen müßten. Ich bin jedesmal froh, wenn nicht mehr davon die Rede ist.« So drohten sich die Weltgeschichtlichen Betrachtungen in ein Werk der linken Hand zu verflüchtigen, und die unstreitig großen Interpretationsschwierigkeiten und Bedenken gegen die gedankliche Geschlossenheit des Buches wurden allzu leicht auf Rechnung der nicht ganz geordneten Entstehung des Werkes abgeschrieben.

Ein Vergleich des Oerischen Textes mit seinen handschriftlichen Vorlagen beweist nun, daß alle diese Vorbehalte und leisen Zweifel unberechtigt sind und wir mit Fug in den Weltgeschichtlichen Betrachtungen ein eigenes und voll verantwortetes Werk von Jacob Burckhardt erkennen dürfen, das von ihm selbst in der vorliegenden Form und Disposition für den Druck ausersehen war und nur der letzten stilistischen Überarbeitung wartete. Lediglich der Titel stammt nicht von Burckhardt, sondern ist nach einigem Suchen (auch die Form ›Welthistorische Betrachtungen‹ findet sich) von Oeri geschaffen worden. Im Untertitel hatte er zuerst formuliert: ›Ein Konzept von Jacob Burckhardt‹ und dieser Ausdruck entsprach dem Tatbestand eigentlich besser als die Kennzeichnung: ›Ein Kursus‹. Denn tatsächlich hat sich Oeri an ein einheitliches Manuskript seines Oheims gehalten, das nicht mehr bloß als Unterlage für einen Vorlesungskursus gedacht war, sondern in Gliederung und Aufbau, in der durchgehenden Paginierung und der Eindeutigkeit des Wortlautes die Konzepthandschrift für ein Buch darstellte, das den Titel tragen sollte ›Über geschichtliches Studium‹. Dieser Titel ist auf jedem einzelnen Folioblatt in der rechten oberen Ecke vermerkt (soweit nicht Blätter aus älteren Fassungen eingelegt sind) und hält das Ganze zusammen. Es fehlt nur das sechste Kapitel ›Über Glück und Unglück in der Weltgeschichte‹ und der Exkurs ›Zur geschichtlichen Betrachtung der Poesie‹, mit denen es seine eigene Bewandnis hat. Alles übrige, von der ›Einleitung‹ bis zur ›Historischen Größe‹, liegt wörtlich vor, allerdings nur auf der linken Spalte des Manuskripts in stilistisch ausgeführter Form, auf der rechten Spalte in Gestalt von Zusätzen und Einschüben, die sich noch öfter mit substantivischen Sätzen begnügen, auf frühere Ausarbeitungen und Kollegmanuskripte verweisen, durch Ausrufe und Glossen, durch nachträgliche, rückschauende Datierungen und Parallelfassungen dafür zeugen, daß sich der Autor auch nach der Herstellung des Konzepts noch weiter mit dem Gegenstand beschäftigte. Dieses überarbeitete einheitliche Manuskript Burckhardts, welches die entscheidenden Phasen der Entstehungsgeschichte des Werkes durchblicken läßt, ist offenbar ziemlich in einem Zuge niedergeschrieben auf Grund älterer Konzeptblätter, und zwar spricht vieles dafür, daß es erst im Frühjahr 1873 in die vorliegende Form gebracht ist, nachdem Burckhardt im verflossenen Wintersemester 1872/73 zum dritten und letzten Mal, merkwürdigerweise mit abnehmender Hörerzahl, sein einstündiges Kolleg ›Über Studium der Geschichte‹ gelesen hatte. In den nächsten Monaten hat Burckhardt wohl noch Nachträge und Einschübe, mehr Erläuterungen und zusätzliche Belege als neue Gesichtspunkte und Thesen, eingeflochten, aber es findet sich nach Ausweis der zitierten Bücher und Autoren kein Anhaltspunkt, daß er über das Jahr 1873 hinaus sich noch weiter mit dem Opus beschäftigt hätte. Der Mut, es einem Verleger anzubieten und für den Druck auszufeilen, hat dem Alternden dann doch gefehlt. Das Schicksal der Griechischen Kulturgeschichte ist ganz ähnlich gewesen. Burckhardt hat sie um 1880 einmal im Selbstverlag herauszubringen gedacht, hat aber dann an die »eigentliche schließliche Redaktion« doch nicht mehr Hand angelegt im Gefühl: »Wer weiß, was jetzt für Zeiten nahen.«

Dem Werk in der vorliegenden Form ist natürlich seine fünfjährige Entstehungszeit von 1868 – 1873 in vieler Hinsicht anzuspüren, aber im Aufbau, in der Gedankenrichtung und den Akzenten entspricht es noch durchaus dem Vorlesungsplan, mit dem Burckhardt seinerzeit in das Wintersemester 1868/69 hineingegangen ist. In einer Einleitung und vier Kapiteln behandelt es die drei großen Problemkreise, auf die es dem Darsteller schon 1868, zwar nicht in der ersten, wohl aber in der zweiten Disposition für seinen Semesterkursus angekommen war: 1. die drei »Weltpotenzen« Staat, Religion und Kultur und ihre wechselseitige Einwirkung aufeinander, 2. die »beschleunigten Processe« der Weltgeschichte oder die »Krisen« und 3. die Verdichtung der geschichtlichen Bewegung in einzelnen Individuen oder die Lehre von der geschichtlichen Größe. Die Zusammengehörigkeit dieser drei Themen ist im letzten Kapitel (fol. K 4) eigens einmal von Burckhardt markiert worden mit dem Satz: »Unsere Betrachtung der dauernden Einwirkungen der Weltpotenzen aufeinander, fortgesetzt durch die der beschleunigten Prozesse, schließt mit derjenigen der in einzelnen Individuen konzentrierten Weltbewegung: die großen Männer.« Über diesen schon 1868 gesteckten Rahmen ist Burckhardt im Lauf der nächsten Jahre nur an zwei Stellen hinausgegangen. Der Abschnitt 4 des zweiten Kapitels ›Zur geschichtlichen Betrachtung der Poesie und der Künste‹ (so lautet die Überschrift im Manuskript) ist nicht in die fortlaufende Paginierung aufgenommen, sondern stellt eine ursprünglich selbständige Ausarbeitung dar. Diese Abhandlung kann nicht vor dem Frühjahr 1872 entstanden sein, wie die Anspielung auf Nietzsches ›Geburt der Tragödie‹ (S. 106 dieser Ausgabe) verrät. Burckhardt hat später den Essay als Ganzes zwischen Blatt B 444 und B 555 eingelegt, an der Stelle, wo von der Bedeutung der Künste im Dienst der Kultur gehandelt wird (S. 92 oben). Oeri hat die Abhandlung dann an den Schluß des Kapitels gerückt, weil sie als Einschub die Proportionen des Abschnitts ›Kultur‹ zu zerstören drohte.

Noch stärker fällt das Kapitel ›Über Glück und Unglück in der Weltgeschichte‹ aus dem ursprünglichen Rahmen heraus. Aber auch für seine Aufnahme an den Ort, wo es jetzt steht, kann sich Oeri auf eine Anweisung Burckhardts berufen. Das Vortragsmanuskript vom 7. November 1871 hat ebenfalls eine eigene Paginierung und ist erst nachträglich am Schluß des Werkes eingelegt worden. Es war hervorgewachsen aus einem später sehr gekürzten Abschnitt der Einleitung über die falsche Einmischung unserer Absichten, Wünsche und Glücksvorstellungen in die Erkenntnis der Geschichte. Nachdem aus diesen wenigen Folioblättern ein ganzer, abendfüllender Vortrag geworden war und dieser Vortrag mit seiner Lehre vom Sinn des Bösen in der Geschichte sich zu einer geschichtsphilosophischen Theodizee in nuce ausgewachsen hatte, ließ er sich nicht mehr gut in die Einleitung einreihen, wie Burckhardt zunächst auf dem Vortragsmanuskript Anweisung gab und wie er es in der Vorlesung im Wintersemester 1872/73 auch gehalten hat, sondern das Schwergewicht war so stark geworden, daß dieses bis aufs Wort ausgearbeitete und besonders gedankenreiche Kapitel an den Schluß rückte und zum feierlichen Ausklang des Werkes bestimmt wurde. Burckhardt selbst hat diese Anordnung noch getroffen und in die »Übersichtsblätter« zum fertigen Manuskript eigens ein neues Oktavblatt eingelegt, das den Inhalt von »Glück und Unglück« registriert und als Krönung des Ganzen die beiden Gedanken namhaft macht, mit denen heute die Weltgeschichtlichen Betrachtungen den Leser entlassen:

»Schluß: Fortleben des Menschengeistes. Wunsch: die Zukunft schauend mitzuerleben.«

Damit hat der Autor die heute vorliegende Form der Weltgeschichtlichen Betrachtungen, mit Ausnahme ihres Titels, in allen ihren Teilen sanktioniert. Die Hauptleistung Jacob Oeris besteht darin, daß er in einer weithin unübertrefflichen Weise die Zusätze, Einschübe, Verweisungen Burckhardts in den Text eingereiht hat und in jedem Einzelfall mit außerordentlichem Takt entschieden hat, ob sie im Text oder in den Anmerkungen Platz finden sollten. Auch die Fußnoten sind also, von wenigen Ausnahmen abgesehen, keine Zutaten des Herausgebers, sondern geistiges Eigentum Burckhardts. Nur an einer Stelle könnte man eine redaktionelle Entscheidung Oeris anfechten. Für die ›Einleitung‹ hat Burckhardt sich offensichtlich mehrere Parallelfassungen zur Wahl gelassen, und der Herausgeber ist den nicht ganz glücklichen Weg gegangen, die verschiedenen Fassungen und Fragmente allesamt aufzunehmen und sie so anzuordnen, als sollten sie unter sich einen logischen Zusammenhang bilden. Das war von Burckhardt nicht so gemeint, er konnte sich nur bis 1873 selbst nicht zu einer endgültigen Wahl unter den vorliegenden Skizzen entschließen. In Oeris Text sind vier Stücke zusammengeflossen, die ursprünglich nicht in diese Reihenfolge gehörten: 1. Eine Einleitungsstunde in das Kolleg des Wintersemesters 1868 (datiert vom 11. November 1868), welche die Überschrift trug ›Einleitung‹. 2. Vermutlich eine nachfolgende Kollegstunde vom November 1868 unter der Überschrift ›Die Geschichte im 19. Jahrhundert‹ (von Oeri verdeutlicht: ›Die Befähigung des 19. Jahrhunderts für das historische Studium‹). 3. Ein älterer Entwurf aus dem Sommer 1868 unter dem Titel ›Unsere Aufgabe‹, der noch stark den quellenkundlichen Charakter der Vorlesung unterstreicht, wie er ursprünglich geplant war, schon im W. S. 68/69 aber ganz in den Hintergrund getreten ist (von mir mit der Überschrift versehen ›Winke für das historische Studium‹). 4. Ein weiterer geschlossener Abschnitt aus dem Entwurf des Sommers 1868 ›Natur und Geschichte‹, der in das Kolleg vom Winter Aufnahme gefunden hat. Es wäre unstreitig der Geschlossenheit der Weltgeschichtlichen Betrachtungen zugute gekommen, wenn Oeri auf den dritten Bestandteil verzichtet hätte. Aber nun er einmal dasteht, genügt es, ihn als eigenen Körper wenigstens zu kennzeichnen.

Sonst kam der Herausgeber von 1905 nirgends in die Lage, zwischen Parallelfassungen wählen zu müssen, weil der Autor sich überall klar für eine endgültige Version entschieden hatte. Was Oeri zu tun blieb, beschränkte sich auf stilistische Eingriffe im engsten Sinn. Seine Zutaten bestanden in einigen wenigen Überleitungssätzen, die sich notwendig erwiesen, um gewisse Unstimmigkeiten der Disposition zu überbrücken, und in vorsichtig eingefügten Füllwörtern, Hilfszeitwörtern, Adverbien und schematischen Prädikaten, welche aus Kurzsätzen Burckhardts, wo sie stehen geblieben waren, lesbare Satzgebilde formten. Wenn Burckhardt auf der rechten Spalte des Manuskripts etwa vermerkt: »folgen die Staatsstreiche«, so bildet Oeri dieses Stichwort mit den einfachsten, etwas steifen, aber immer höchst zurückhaltenden Mitteln um: »Nun hat man es mit den Staatsstreichen zu tun.« Tiefer greift er nur ganz selten in den Burckhardtschen Wortlaut ein. Da seine Zutaten mit verschwindenden Ausnahmen nur in Hilfswörtern, grammatikalischen Ergänzungen und Glättungen des Satzbaues bestehen, können sie unmöglich den Kollegnachschriften eines Zuhörers entnommen sein. Es ist durchaus denkbar, daß Oeri solche Nachschriften zu Gebote gestanden haben, wie sie z.B. von einem Studenten August Becker aus dem Wintersemester 1872/73 im Burckhardt-Archiv erhalten sind. Aber was sollte Oeri solchen Nachschriften entnehmen? In diesen Heften pflegen ja eben dieselben Satzpartikel ausgelassen zu werden, die Burckhardt in seinen Randnotizen ausgespart hatte! Und für alles übrige, für den durchgehenden Text waren Nachschriften überflüssig, da sich Oeri auf eine ausgearbeitete Burckhardtsche Niederschrift stützen konnte.

Wenn also feststeht, daß Oeri den Text nicht kompiliert, sondern nur geglättet hat, so muß sich die Charakteristik seiner Herausgeberschaft auf die stilistische Feinarbeit beschränken. Zwei Beispiele sollen diese Tätigkeit illustrieren.

Im letzten Kapitel der Weltgeschichtlichen Betrachtungen stand die wirkungsvolle Stelle über die Vorspiegelungen des Glücks bei Burckhardt in unfertiger Gestalt: »Eine optische Täuschung spiegelt uns das Glück in bestimmten Zeiten, bei gewissen Völkern vor, und wir malen es aus nach Analogie der menschlichen Jugend, des Frühlings, des Sonnenaufgangs u. a. Bildern. Ja wir denken uns das Glück wohnhaft in einer schönen Gegend, in einem bestimmten Hause. Vgl. die Wirkung abendlichen Rauches aus einer entfernten Hütte; Vorstellung von der Innigkeit der dort Wohnenden.« Daraus formt Oeri (S. 304) mit leichten Abweichungen, die uns unnötig erscheinen, und leisen Ergänzungen, die das Ganze erst zum Klingen bringen: »Eine optische Täuschung spiegelt uns das Glück in gewissen Zeiten, bei gewissen Völkern vor, und wir malen es nach Analogie der menschlichen Jugend, des Frühlings, des Sonnenaufgangs und in anderen Bildern aus. Ja wir denken es uns in einer schönen Gegend, in einem bestimmten Hause wohnhaft, etwa wie abendlicher Rauch aus einer entfernten Hütte die Wirkung hat, daß wir uns eine Vorstellung von der Innigkeit zwischen den dort Wohnenden machen.« Die stilistische Eigenart Burckhardts, zwischen » bestimmten Zeiten« und » gewissen Völkern« zu variieren, hätte Oeri gewiß bestehen lassen können und auch die »Innigkeit der dort Wohnenden« nicht zu korrigieren brauchen; aber im Rhythmus des ganzen Satzes hätte er nicht glücklicher und burckhardtischer sein können. Fragwürdiger ist das Eingreifen Oeris in einem zweiten Fall. Der lapidare Satz über die Nichtumkehrbarkeit des geschichtlichen Blühens und Reifens lautet bei Oeri (S. 137): »Wie große Wälder einmal und dann, wenn ausgerottet, nicht wieder wachsen, so besitzen oder erwerben Mensch und Volk gewisse Dinge in der Jugend oder nie.« Der Wortlaut bei Burckhardt war einfacher und doch unmißverständlich: »Große Wälder wachsen einmal und dann, ausgerottet, nicht wieder. Mensch und Volk besitzen oder erwerben gewisse Dinge in der Jugend oder nie.« Die Unterordnung des ersten Satzes unter den zweiten werden wir nicht als Notwendigkeit empfinden, aber der Fluß des Gedankens kommt bei Oeri besser zum Ausdruck.

Es wäre nun ohne Schwierigkeit möglich, in einer kritischen Ausgabe solche nicht sehr zahlreichen und fast immer wohl überlegten Eingriffe Oeris wieder aus dem Text auszuscheiden und zu Burckhardts Wortlaut zurückzukehren, ohne die eigentliche Leistung Oeris, den Ausbau der unvollendeten Sätze und das Gefüge der Absätze, anzutasten. Diese Textgestaltung ist von der Jacob-Burckhardt-Stiftung einstweilen nicht freigegeben worden. Dabei könnten auch die Lesefehler des ersten Herausgebers korrigiert werden. Gleich im ersten Satz des Werkes findet sich ein Beispiel dafür: Burckhardt will nicht »eine Anzahl von geschichtlichen Beobachtungen und Erforschungen«, sondern »eine Anzahl von geschichtlichen Beobachtungen und Erfahrungen« aneinanderreihen (S. 23). Er meint auch nicht, daß »das kecke Antizipieren eines Weltplans« von »irrigen Prämissen« ausgeht, sondern von einem »irrigen Prinzip« (S. 25). Für Burckhardt findet die Geschichte in der Poesie nicht eine ihrer »schönsten«, sondern eine ihrer » sichersten Quellen« (unten S. 100) und er spricht in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch nicht von »den französischen Reformationskriegen«, sondern von »den französischen Religionskriegen« des 16. Jahrhunderts (S. 210). Der Gegensatz zu »Getriebene« ist für Burckhardt nicht »Treiber«, sondern »Treibende« (S. 219). Das Wort »Großverbrecher« hat Oeri irrig als »Gesamtverbrecher« entziffert (S. 294), statt »begnügte« (S. 58) sagt er ironischer » vergnügte« und statt »den Mund halten« (S. 171) erlaubt er sich nun einmal den Ausdruck »das Maul halten«. Die Oberschrift des fünften Kapitels lautet bei Burckhardt › Die Individuen und das Allgemeine‹ (S. 253).

Aber wichtiger ist für den heutigen Leser die Frage, ob der wissenschaftliche Testamentsvollstrecker des großen Basler Historikers nicht aus zeitbedingten Rücksichten, aus eigener wissenschaftlicher Einsicht oder aus sonstigen Bedenken heraus gewisse Stellen aus dem Manuskript des Verfassers ausgelassen oder geändert hat. Die Zweifel sind rege geworden, als Werner Kaegi in einer Schweizer Ausgabe der Weltgeschichtlichen Betrachtungen von 1947 an acht Stellen Ergänzungen in den Text aufnahm, welche Oeri im letzten Augenblick in seinem druckfertigen Manuskript von 1905 wieder mit roter Tinte getilgt hatte. Diese acht Stellen sind Zusätze Burckhardts aus den Jahren 1870/71 und betreffen ohne Ausnahme den deutschfranzösischen Krieg und seine Auswirkungen auf Deutschland, Frankreich und den Vatikan. Gedanklich enthalten sie nichts, was nicht auch an anderem Ort von Burckhardt ausgesprochen oder angedeutet wäre, nur ist die Form des Ausdrucks etwas temperamentvoller. Darum mochten sie Jacob Oeri ungeeignet erscheinen für ein in Deutschland gedrucktes und auf den Absatz in Deutschland berechnetes Werk. Die Frage drängt nun aber weiter. Hat der Redaktor vielleicht schon auf einer früheren Stufe Eingriffe in den Text vorgenommen und gewisse Passagen ausgeschieden? Darauf konnten nur neue Forschungen im Jacob-Burckhardt-Archiv Antwort geben.

Ein genauer Vergleich der Oerischen Reinschrift mit der Burckhardtschen Vorlage hat nur an etwa zwei Dutzend belangreicheren Stellen eine solche Abweichung feststellen können; dazu kommen noch ein halbes Dutzend Anmerkungen, die Oeri übersehen oder mit Absicht gestrichen hat. Über diese Abweichungen muß berichtet werden, damit kein falsches Mißtrauen gegen den Oerischen Text zurückbleibt. Es sind durchweg leise, unauffällige Korrekturen, fast nur Auslassungen, kaum eigenmächtige Änderungen. In einigen wenigen der dreißig Fälle liegt der Grund offenbar darin, daß Oeri die Aussagen Burckhardts mit seinem eigenen religionsgeschichtlichen oder altphilologischen Wissen nicht mehr vereinbaren konnte. In den meisten Fällen aber hat den Herausgeber bei seinen Streichungen der Wunsch geleitet, gewisse Empfindlichkeiten der Leser zu schonen. So wie er den Angehörigen des deutschen Nationalstaats allzu düstere Diagnosen nicht zumuten wollte, so glaubte er auch die Kreise der frommen Christen und die gutgläubigen eidgenössischen Demokraten vor allzu chokierenden Urteilen bewahren zu müssen. Er dämpfte die Kritik Burckhardts am historischen Christentum und er dämpfte seine Unfreundlichkeiten gegen die kleinstaatliche Demokratie. Wer die Weltgeschichtlichen Betrachtungen kennt, wird die unterdrückten Stellen kaum vermissen. Denn an sieben Stellen klingen die Motive an, die Oeri an einer achten Stelle plötzlich glaubt abschwächen zu sollen. Aber für die leise Prüderie, wie sie um die Jahrhundertwende auf religiösem und politischem Gebiet umging, sind diese Retouchen doch wohl bezeichnend. Man sieht einen verehrten Ahnherrn nicht gerne in der Gesellschaft von Strauß und Renan und man findet es genierlich, daß er von der Freiheit der Presse offenbar eine recht geringe Meinung gehabt hat.

Nach Möglichkeit hat Oeri vor allem solche Stellen gemildert, wo das Christentum und seine jüdische Vorstufe auf dieselbe Ebene mit den orientalischen Stifterreligionen gestellt wurden. Er hat überhaupt eine Abneigung gegen Formulierungen, in denen der religionswissenschaftliche Vergleich dominiert. Die Auseinandersetzung Burckhardts mit Renan (S.68) erhält darum bei Oeri einen etwas unverfänglicheren Charakter durch zwei unscheinbare Änderungen: er hat die zwei Fragezeichen nicht vermerkt, die Burckhardt zu dem Satze Renans hinzufügte, daß »die edelsten Naturen die religiösesten« seien, und er hat ihn statt von » Religionen der Bangigkeit« nur von »der Religion der Bangigkeit« sprechen lassen. Tatsächlich hat aber Burckhardt zum Ausdruck bringen wollen, daß in zahlreichen Religionen die Spuren der Entstehung des religiösen Glaubens aus der Furcht noch erhalten geblieben seien und daß man von dieser Erklärung des religiösen Phänomens aus der Psychologie der Angst mehr werde beibehalten müssen, als Renan wahrhaben will. Ein ähnlicher Fall der Schonung religiöser Gefühle liegt vor, wenn der Herausgeber in dem Verhältnis von Religion und Kultur eine wesensmäßige Feindschaft nicht zugeben will. Burckhardt sagt (S. 195), daß das Weltbild und seine Interessen, der säkulare Optimismus und die Idee der Arbeit, ja die freie geistige Tätigkeit überhaupt »in einem großen Mißverhältnis zum Urchristentum sowohl als zum Dogma der Reformation« stehe. Oeri streicht »Urchristentum« und läßt nur »Dogma der Reformation« stehen, womit natürlich dem Gegensatz etwas von seiner prinzipiellen Schärfe genommen ist. Schon mehr nach der politischen Rücksicht neigt eine Auslassung auf S. 183. Burckhardt spricht von der Ernsthaftigkeit des Kulturkampfes nach 1871 und von der Schwierigkeit, den aus der Römischen Kirche ausgetretenen Gläubigen einen neuen Klerus zu schaffen. Er fährt fort: »Für das deutsche Reich ist ein völliger Sieg in diesem Kampfe von höchstem Wert in betreff der Konstituierung der Nation.« Dieses Diktum mochte nach mehr als 30 Jahren überholt erscheinen. Warum dagegen Oeri den Passus gestrichen hat, daß Luther »durch Wegräumung des Werkdienstes« die Sittlichkeit und die Weltanschauung seiner Anhänger neu orientiert habe (S. 277), ist schwerer zu erklären; wahrscheinlich wurde er durch das Bemühen bestimmt, Burckhardt nicht in konfessionelle Streitfragen hereingezogen zu sehen.

Schade ist, daß Oeri einen Satz gestrichen hat (S. 36 Abs. 1), in dem Burckhardt die Lage des Schriftstellers im 19. Jahrhundert der Situation des Humanisten und abhängigen Literaten aus der Zeit des Ancién Régime gegenüberstellt. »Von den Gefahren, welche heute dem Darsteller drohen, ist hier ganz abzusehen. Seine jetzige Abhängigkeit vom Absatz, Verleger, Popularität, sein Schmeicheln nach unten durch Scheinpatriotismus ist viel schlimmer als weiland die Dedikationen an große Herrn und reiche Liebhaber, welche noch ein Otium cum dignitate führten.« Die pessimistische Bewertung des liberalen Zeitalters mag ihm hier ebenso mißfallen haben wie die pessimistische Aussicht auf die Gefahren der innerpolitischen Entwicklung des Kleinstaats, die Burckhardt bei der Erörterung der Staatsformen entwickelt hat. Der Schlußsatz des Abschnittes, der über das Verhältnis von Großstaat und Kleinstaat handelt (S. 60 Abs. 2) ist von Oeri verharmlost worden. Er lautet in der Originalfassung: » Artet er (der Kleinstaat) dann einmal aus in eine Despotie von unten, so wird er die schwächste aller Staatsformen, trotz allem Lärm, womit er sich umgibt.« Eine politische Rücksicht hat den Herausgeber von 1905 wohl auch bewogen, die Verfassungsprognose für eine Reihe von europäischen Mittel- und Kleinstaaten zurückzuhalten oder doch abstrakter zu fassen. Burckhardt sagt in seiner Analyse der heutigen Krisis (S. 251 Abs. 2) schon 1871 für Frankreich und Spanien die Dauerhaftigkeit der republikanischen Staatsform voraus und glaubt, daß sie höchstens durch »Cäsarismen´´ je und je unterbrochen werden wird. Dann fährt er fort: » Man fragt sich, wie bald Portugal, Italien und Schweden etwa folgen werden.« Am Rand aber vermerkt er dazu mit Bleistift: » und Holland? und Belgien?« Es ist offenkundig, daß der Historiker der Zukunft auch die neutralen Kleinstaaten Europas von der Entwicklung zur Massendemokratie nicht ausnehmen möchte, so sehr er sie als das Gewissen der Welt verehrt und im ideellen Sinn den Großstaaten ebenbürtig erachtet, von denen sie wahrscheinlich nach seiner pessimistischen Meinung eines Tages werden verschlungen werden.

Damit betreten wir, im Spiegel der Lesarten zunächst nur, das Feld der entscheidenden geschichtsphilosophischen Einsichten. Zwei in der Tat überraschende Züge der Weltgeschichtlichen Betrachtungen sind Oeri sichtlich unbehaglich gewesen: die gelegentliche Hinneigung Burckhardts zu einem naturwissenschaftlichen Realismus und die kühnen Aphorismen über weltgeschichtliche »Kompensationen«. Zwei Beispiele für das erste und zwei für das andere Bedenken mögen hier noch Platz finden. Die methodische Liebe Burckhardts zu der uninteressierten Wissenschaft von der Natur hat in der Einleitung einen schärferen Ausdruck gefunden, als Oeri in den Text aufgenommen hat (S. 47): » Es besteht Freundschaft der Geschichte mit den Naturwissenschaften. Sie beide allein haben (oder können haben) ein objektives absichtsloses Mitleben in den Dingen; die Naturwissenschaft allein verlangt nichts von der Geschichte, während Theologie und Jus die Geschichte beeinflussen wollen. Die Philosophie behauptet zwar über allem zu schweben, hospitiert aber eigentlich überall.« Und bei der Analogie zwischen Natur und Geschichte ist Burckhardt weitergegangen, als ihn Oeri aussprechen läßt. Zum Beweis dafür, daß es die Geschichte nicht anders macht als die Natur, führt Burckhardt nicht bloß an »die Dürftigkeit alles Irdischen« und »die Sparsamkeit der Natur« in ihrem biologischen Haushalt, sondern auch » ihre Manier das Individuum aufzuopfern« und zugunsten der Gattung rücksichtslos zu verbrauchen (S. 214 Abs. 2).

Schließlich geht es um die weltgeschichtliche Ökonomie, die bei dem Pessimisten Burckhardt eine so merkwürdig große Rolle spielt. Für die Einleitung (S. 28 Abs. 4) hat sich Burckhardt notiert: » Hierher gehören auch die scheinbaren oder wirklichen Kompensationen, z.B. gleichzeitig mit dem Verlust des Orients an die Osmanen die Ausfahrten der Spanier und Portugiesen nach den fernen Weltteilen.« Durch solche ausgleichende Gerechtigkeit soll die Harmonie der Weltgeschichte im Rankeschen Sinne in Ordnung gehalten werden. Ja, Burckhardt geht so weit, ein stellvertretendes Leiden oder ein providentielles Preisgeben einzelner Erdteile zugunsten der geistig führenden Menschheitsgruppen zu erwägen. Den gewaltigen Satz, mit dem er das Wüten Tamerlans in Asien als Entlastung Europas von dem Druck der Türken rechtfertigt, hat Oeri nicht zu bringen gewagt (S. 318 Abs. 3): » Es ist denkbar, daß Asien für Europa gestorben sei

Auch im Einzelnen und Kleinen hat Oeri manche interessante Anspielung und Beziehung weggeschnitten. Für die Theorie von der Entstehung des Staates aus den Geschlechterverbänden beruft sich Burckhardt ohne Stellungnahme auf Mommsens Römische Geschichte (S. 57). Die Unterscheidung zwischen optimistischen und pessimistischen Religionen entnimmt er aus Schopenhauer (S. 72 und 77). Die Zitate aus Lasaulx sind zahlreicher als Oeris Ausgabe erkennen läßt. Und eine interessante Anknüpfung an den französischen Restaurationsphilosophen De Maistre ist übergangen worden. Dort nämlich, wo Burckhardt (S. 233) auf die konservative Utopie zu sprechen kommt, welche die Völker »das Vermeiden der Krisen« lehren und ihnen den »demokratischen Schwindel« und die Revolution ersparen möchte (freilich um den Preis der äußersten Unfreiheit!), zitiert er nicht bloß Plato als abschreckendes Beispiel, sondern bemerkt auch am Rande mit Fragezeichen: »De Maistre«?

Ein besonderes editorisches Rätsel gibt schließlich die Erwähnung des Namens Friedrich Christoph Schlosser auf. Die berühmteste Formel der Weltgeschichtlichen Betrachtungen – daß die Macht an sich böse sei – wird von Burckhardt in folgendem Wortlaut eingeführt (S. 61): »Und nun zeigt es sich – hier ist besonders mit Louis XIV. und Napoleon und revolutionären Volksregierungen zu exemplieren (sic!) –, daß die Macht an sich böse ist.« Als Urheber dieser Formel hat erst Oeri den Namen Schlosser in Klammer hinzugefügt, um Burckhardt vor dem Vorwurf einer unbewußten Entlehnung zu schützen. Höchst wahrscheinlich hat der Basler Dozent im Unterricht den Namen »des alten Schlosser« sehr häufig beschworen. Er war ihm stets Kronzeuge nicht nur für seine Philosophie der Macht, sondern auch für seine Abneigung gegen »die Anfänge« eines geschichtlichen Zustandes und war auch sonst geistig vielfach fruchtbar für den Basler Historiker geworden; Burckhardt hat nach seinem eigenen Zeugnis gerade in den späten sechziger Jahren seine Kollegvorbereitung vielfach aus Schlosser bestritten (Brief an Heinrich Schreiber vom 13. Februar 1869). Oeri kannte nun gewiß aus persönlichem Umgang mit seinem Oheim dessen Gewohnheit, auf Schlossersche Dikta anzuspielen und sie sich zu eigen zu machen. Burckhardts eigene Formulierung über das Wesen der Macht liegt in den ›Übersichtsblättern‹ vor, in denen er den Inhalt seines geplanten Buches ›Über geschichtliches Studium‹ zusammengefaßt hat. Es heißt dort etwas deutlicher und etwas einschränkender als bei Schlosser: » Das Böse auf Erden: die Vergewaltigung.« Nicht die staatliche Ordnung überhaupt und auch nicht die Reichsbildung über riesige Territorien hinweg ist also »das Böse an sich«, sondern die rücksichtslose Anwendung des Rechtes des Stärkeren, die freilich ebensowenig aufhebbar ist, wie sie sittlich zu entschuldigen ist; sie ist der Ausdruck der unvollkommenen Natur des Menschen, der Ausfluß der irdischen Hinfälligkeit schlechthin. Gewalt ist die Inkarnation des »Bösen auf Erden«, nicht ein vermeidbares Übel. Diese zutiefst religiöse Anschauung ist so weit von Schlossers Aufklärungsphilosophie entfernt, daß sein Name ruhig fehlen durfte.

Wir sind am Ende unseres Ganges durch die editionskritischen Fragen und dürfen zusammenfassen. In den Weltgeschichtlichen Betrachtungen liegt nicht eine nachgearbeitete Vorlesung, sondern ein beinahe druckreifes, abgeschlossenes Werk Jacob Burckhardts vor, das bis auf das Inhaltsverzeichnis hinaus fertig war und nur in der Komposition der Einleitung und der Einreihung der Ergänzungen noch einen fragmentarischen Charakter trug. Die endgültige Niederschrift fällt vermutlich in das Jahr 1873, aber der Entwurf zum Ganzen ist bereits im November 1868 festgelegt. Eine gewisse innere Unfertigkeit und aphoristische Struktur des Werkes sollte man nicht auf äußere Zufälligkeiten der literarischen Entstehung und auf das Konto von Jacob Oeri, sondern auf die ungelöste Problematik der Sache selbst zurückführen. Denn verantwortet wird der Text bis in alle Einzelheiten von seinem Autor, nicht von seinem Redaktor.

Die Auslegung aber des reichen und »vielstrahlsinnigen« Werkes wird noch auf lange hinaus alle beschäftigen, die sich um den Sinn und die Gesetzmäßigkeit der geschichtlichen Welt bemühen. Seine Fruchtbarkeit besteht eben darin, daß es keine platten, eindeutigen Formeln zur Beantwortung des Rätsels der Menschheitsgeschichte an die Hand gibt, sondern bald von da, bald von dort ausgehend, mit einer Fülle von Beispielen und Gesichtspunkten, ohne systematischen Anspruch, aber aus der Einheit einer großen Natur heraus zum wahren »Studium der Geschichte« anleitet.


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