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2. Die Kultur in ihrer Bedingtheit durch die Religion

Hohe Ansprüche haben die Religionen auf die Mutterschaft über die Kulturen, ja die Religion ist eine Vorbedingung jeder Kultur, die den Namen verdient, und kann sogar geradezu mit der einzig vorhandenen Kultur zusammenfallen.

Zwar entsprechen sie zwei wesentlich verschiedenen Bedürfnissen, dem metaphysischen und dem geistig-materiellen. Allein in der Wirklichkeit reißt das eine das andere mit sich und macht es sich dienstbar.

Eine mächtige Religion entfaltet sich in alle Dinge des Lebens hinein und färbt auf jede Regung des Geistes, auf jedes Element Kultur ab. Wie weit werden geringere Rassen durch ihre Schreckensreligionen in ihrer Unkultur festgehalten? Oder behaupten sich diese Religionen eher, weil die Rasse nicht kulturfähig ist?

Freilich reagieren dann diese Dinge mit der Zeit wieder auf die Religion; ja deren eigentlicher Kern kann erstickt werden von den Vorstellungs- und Bilderkreisen, die sie einst in ihren Bereich gezogen hat. Das »Heiligen aller Lebensbeziehungen« hat seine schicksalsvolle Seite.

Jede Religion würde, wenn man sie rein machen ließe, Staat und Kultur völlig dienstbar, d. h. zu lauter Außenwerken ihrer selbst machen und die ganze Gesellschaft von sich aus neu bilden. Ihre Repräsentanten, d. h. ihre Hierarchie, würden vollkommen jede andere Herrschaft ersetzen. Und wenn dann der Glaube Tradition geworden und versteinert ist, dann würde es der Kultur nicht mehr helfen, wenn sie Fortschritt bleiben und sich ändern wollte; sie bliebe gefangen.

 

Diese Gefahr ist besonders groß in den Staaten des heiligen Rechtes; Über dessen Entstehung vgl. nachher S. 143 ff. und oben S. 117 f. hier ist es die vereinte Macht von Staat und Religion, welche die Kultur im Zaum hält.

Außerdem aber kann schon der Inhalt einer Religion, ihre Lehre, der Kultur, und selbst einer hoch angelegten, sehr strenge und scharfe Schranken anweisen. Darüber, wie weit der Buddhismus das tägliche und das historische Leben seiner Völker färbt, müssen wir auf die künftigen Ergebnisse Bastians u.a. verweisen.

Vor allem kann die Beschäftigung mit dem Jenseits das Diesseits völlig überschatten. Am Anfang der Geschichte begegnet uns schon die ägyptische Gräberreligion, die den Ägypter zu so großen Opfern für sein Grabwesen genötigt hat. Und dann finden wir trübe Kontemplation und Askese bis zur Verleidung des Erdenlebens erst recht wieder am Ende des Altertums.

So fing das Christentum an, die römische Kultur nicht bloß zu durchdringen, sondern sie zu ersetzen. Im IV. Jahrhundert überwindet die Kirche die arianische Spaltung, und seit Theodosius sind Imperium und Orthodoxie synonym. Und nun ist nicht nur die Kircheneinheit der Reichseinheit überlegen, sondern die Kirche verdrängt fast alle andere Literatur; wir erfahren fast nichts mehr von den profanen Gedankenkreisen; die Askese färbt äußerlich das ganze Leben; alles stürzt sich in die Klöster; die gebildete alte Welt, auch vom Staate übel gequält, scheint ehelos ausleben zu wollen. Kirche und Barbaren führen allein das Wort; Hierarchen sind die mächtigsten Personen, Kultus und Dogmenstreit, selbst im Volk, die Hauptbeschäftigung.

Doch hatte die Kultur dabei das unaussprechliche Glück, daß wenigstens nicht im Abendlande (während es in Byzanz allerdings bis zu einem gewissen Grade der Fall war) Staat und Kirche in ein erdrückendes Eins zusammenrannen, und daß dann die Barbaren weltliche, zunächst meist arianische Reiche errichten.

Dies Zusammenrinnen geschah im Islam, welcher seine ganze Kultur wesentlich beherrscht, bedingt und färbt. Er hat nur einerlei unvermeidlich despotisches Staatswesen, nämlich die vom großen Kalifat auf alle Dynastien wie selbstverständlich übergegangene weltlich-geistliche, theokratische Machtvollkommenheit. Auch alle Stücke also wiederholen nur das Weltreich im kleinen, d. h. arabisiert und despotisch. Alle Macht stammt in dem gleichen Sinne von Gott wie bei den Juden.

Der Islam, der eine so furchtbar kurze Religion ist, ist mit dieser seiner Trockenheit und trostlosen Einfachheit der Kultur wohl vorwiegend eher schädlich als nützlich gewesen, und wäre es auch nur, weil er die betreffenden Völker gänzlich unfähig macht, zu einer andern Kultur überzugehen. Die Einfachheit erleichterte sehr seine Verbreitung, war aber mit derjenigen höchsten Einseitigkeit verbunden, welche der starre Monotheismus bedingt, »Denn alle Kultur und Wissenschaft ist im Momente ihrer Produktion pantheistisch, nicht monotheistisch.« Lasaulx, S. 71. und aller politischen und Rechtsentwicklung stand und steht der elende Koran entgegen; das Recht bleibt halbgeistlich.

Das Beste vielleicht, was vom Kultureinfluß des Koran sich sagen ließe, wäre, daß er die Tätigkeit als solche nicht proskribiert, die Beweglichkeit (durch Reisen) veranlaßt – worauf die Einheit dieser Bildung vom Ganges bis Senegal beruht – und ganz wüste orientalische Gaukelmagie ausschließt.

Aber auch die trübste christliche Kontemplation und Askese war der Kultur nicht so schädlich wie der Islam, sobald man folgendes erwägt:

Abgesehen von der allgemeinen Rechtlosigkeit vor dem Despotismus und seiner Polizei, von der Ehrlosigkeit aller derer, die mit der Macht zusammenhängen, Vgl. Prevost-Paradol, France nouvelle, S. 358. wofür die Gleichheit aller, die Abwesenheit von Adel und Klerus keinen Ersatz gewähren, entwickelt sich ein diabolischer Hochmut gegenüber dem nicht-islamischen Einwohner und gegenüber andern Völkern, bei periodischer Erneuerung des Glaubenskrieges, ein Hochmut, wodurch man gegen den noch immer unverhältnismäßig größten Teil der Welt und dessen Verständnis abgesperrt ist.

Die einzigen Ideale des Lebens sind die beiden Pole: der Fürst und der zynisch-asketische Derwisch-Sufi, zu denen allenfalls noch der Landstreicher in Art des Abu Seid kommt. In die Satire, das Landstreichertum und »Büßertum« mag sich das Freie und Individuelle noch allenfalls flüchten.

In der Bildung fällt auf: das Vordrängen der Sprache und Grammatik über den Inhalt, die sophistische Philosophie, an der nur die häretische Seite frei und bedeutend ist, dann eine erbärmliche Geschichtswissenschaft, weil alles außerhalb des Islam gleichgültig und alles innerhalb des Islam Partei- oder Sektensache ist, und eine im Verhältnis zu ganz ungehemmter Empirie doch nur mangelhafte Pflege der Naturkunde. Sie haben lange nicht so viel geforscht und entdeckt, wie sie frei gedurft hätten, es fehlte der allgemeine Drang zur Ergründung der Welt und ihrer Gesetze.

Die Poesie kennzeichnet hier vor allem der Haß des Epischen, weil die Seele der Einzelvölker darin fortleben könnte; Firdusi ist nur per Konterbande da. Dazu kommt noch die für das Epos tödliche Richtung auf das Lehrhafte – die Tendenz, das Erzählende nur als Hülle eines allgemeinen Gedankens, als Parabel wert zu achten. Der Rest flüchtete sich in das figurenreiche, aber gestaltenlose Märchen. Ferner gibt es kein Drama. Der Fatalismus macht die Herleitung des Schicksals aus Kreuzung der Leidenschaften und Berechtigungen unmöglich; – ja vielleicht hindert schon der Despotismus an sich die poetische Objektivierung von irgend etwas. Und eine Komödie ist unmöglich, schon weil es keine gemischte Geselligkeit gibt, und weil Witz, Spott, Parabel, Gaukler usw. die ganze betreffende Stimmung vorwegnehmen.

In der bildenden Kunst ist nur die Architektur ausgebildet, zuerst durch persische Baumeister, dann mit Benützung des byzantinischen und überhaupt jedes vorgefundenen Stiles und Materials. Skulptur und Malerei existieren so gut wie gar nicht, weil man die Vorschrift des Korans nicht nur innehielt, sondern weit über den Wortlaut übertrieb. Was dabei der Geist überhaupt einbüßte, läßt sich denken.

Daneben besteht freilich das täuschende Bild von blühenden, volkreichen, gewerblichen islamitischen Städten und Ländern mit Dichterfürsten, edelgesinnten Großen usw., wie z.B. in Spanien unter und nach den Omaijaden.

Aber über jene Schranken hinaus, zur Totalität des Geistigen, drang man auch hier nicht durch, und Unfähigkeit zur Wandelung, zur Einmündung in eine andere, höhere Kultur war auch hier das Ende, wozu dann noch die politisch-militärische Schwäche gegen Almoraviden, Almohaden und Christen kam.

 

Die Wirkung der Religionen auf die Kulturen hängt natürlich sehr von ihrem Geltungsgrad im Leben überhaupt ab, Vgl. oben S. 78 f. allein nicht bloß vom gegenwärtigen, sondern auch von den ehemaligen Geltungsgraden. Eine Religion knickt im entscheidenden geistigen Entwicklungsaugenblick eine Falte in den Geist eines Volkes, die nie mehr auszuglätten ist. Und wenn dann später auch alle Pforten in die freie Kultur hinein geöffnet werden, so ist die Neigung oder doch die beste Neigung für das früher Verwehrte vorüber. Denn derjenige Moment kehrt nicht wieder, da der betreffende Kulturzweig, im Zusammenhang mit sonstiger Erhöhung des nationalen Lebens, geblüht haben würde. Wie große Wälder einmal und dann, wenn ausgerottet, nicht wieder wachsen, so besitzen oder erwerben Mensch und Volk gewisse Dinge in der Jugend oder nie.

Übrigens ließe sich in betreff der Kultur überhaupt fragen, ob wir berechtigt sind, ihre unbedingte Ausbreitung von irgend einem Stadium aus für wünschbar zuhalten; ob nicht das, was hier geknickt wird und unentfaltet stirbt, bestimmt ist, bei künftigen Völkern und Kulturen als völlig Neues und zum erstenmal Geborenes an den Tag zu treten, damit es einmal naiv vorhanden sei.

Am wenigsten hemmend für die Kultur waren die beiden klassischen Religionen als Religionen ohne Hierarchie, ohne heilige Urkunden und ohne sonderliche Betonung des Jenseits.

Die griechische Götter- und Heroenwelt war ein idealer Reflex der Menschenwelt mit göttlichen und heroischen Vorbildern für jedes hohe Streben und für jeden Genuß. Es war eine Vergötterung der Kultur und doch keine Versteinerung derselben, wenn aus dem Feuergott der vielkundige Schmied, aus der Blitz- und Kriegsgöttin die Schützerin jeder Kultur und Kunst und der klaren und besonnenen Menschen, aus dem Herdengott der Herr der Straßen, aller Botschaft und alles Verkehrs wurde. Die Römer vergöttlichten vollends jedes irdische Treiben bis auf die pulchra Laverna hinab.

Bei den Alten setzte die Religion dann jeder weiteren Entwicklung der Gedankenwelt nur geringen Widerstand entgegen; da, wo die Poesie als Erzieherin den Menschen entließ, durfte ihn die Philosophie in Empfang nehmen und zum Monotheismus, Atheismus, Pantheismus führen.

Unvermeidlich höhlte sich dann wohl die dennoch fortlebende Religion zum bloßen Massenglauben, zur verkommenden Mantik und Goetie aus, und diese schlug dann seit dem II. Jahrhundert ihre schwarzen Fittiche wieder um die ermattete Kultur. Die späte Konkurrenz dieser Religion mit dem eindringenden Christentum mußte zur Niederlage führen.

Gesondert ist nun noch in ihrer Bedingtheit durch die Religion die Kunst zu betrachten. Vgl. oben S. 89 ff.

Die Künste, welches auch ihr Ursprung sei, haben jedenfalls ihre wichtigste, entscheidende Jugendzeit im Dienste der Religion zugebracht.

Schon vorher müssen oder können existiert haben: Nachbildungen des Wirklichen in plastischer wie in flacher Darstellung mit der Farbe, Ausschmückungen des Gebauten, Anfänge von erzählendem Dichten und von Seelenausdruck im Gesang, vielleicht auch schon ein sehr künstlicher Tanz; wenn auch eine Art von Religion schon daneben existierte, so waren diese Dinge doch noch nicht in deren Dienst.

Allein nur Religion und Kultus brachte diejenigen feierlichen Schwingungen in der Seele hervor, welche imstande waren, in dies alles das höchste Vermögen hineinzulegen; sie erst brachten in den Künsten das Bewußtsein höherer Gesetze zur Reife und nötigten den einzelnen Künstler, der sich sonst hätte gehen lassen, zum Stil; d.h. eine einmal erreichte Höhenstufe wird festgehalten gegenüber dem daneben weiterlebenden Volksgeschmack (welcher vielleicht von jeher für das Süßliche, Bunte, Grauenvolle usw. würde gestimmt haben).

Zugleich ergab sich dabei eine Entbindung von der religiösen Angst; die Gestaltung der Götter sicherte vor dem Grauenbild, der Hymnus läuterte die Seele.

Auch die Despoten mochten dann die priesterlich entstandene Kunst wohl für sich ausnützen.

Allein die Kunst wird dann mit der Zeit nicht bloß auf einer gewissen Höhe erhalten, sondern auch nach oben festgehalten, d.h. die weiteren, höheren Entwicklungen werden einstweilen abgeschnitten durch hieratische Stillstellung; das einmal mit enormer Anstrengung Erreichte gilt als heilig, wie besonders am Anfang und am Ausgang der alten Kulturwelt Ägypten und Byzanz lehren.

Ägypten ist dabei geblieben, hat die Schritte zum Individuellen nie machen dürfen und ist unfähig geworden, überhaupt in ein Neues auszumünden und überzugehen. »Sint ut sunt, aut non sint« muß man von seinen Künstlern sagen. Die allergrößte Knechtung einer ehemals großen und vielleicht bei Freiheit immer noch großer Dinge fähigen Kunst aber findet sich in Byzanz; hier ist fast nur das Heilige erlaubt und nur in patentierter Auswahl und Darstellungsweise, mit feststehenden Mitteln; die Kunst wird typischer als sonst je.

Anderswo, wie im Islam, wird die Kunst durch die Religion gewaltsam reduziert, ja völlig verneint, wie dies der Kalvinismus und Puritanismus tun, wo die kirchliche Bilderflucht sich unvermeidlich auch auf das Leben überhaupt ausdehnt.

Die Griechen aber durchbrachen, während der hieratische Stil noch immer fortdauerte, die Schranken, und zwar noch immer im Dienste des Kultus. Es kamen der große, freie Stil der höchsten Blütezeit, sodann eine reiche Geschichte der künstlerischen Wandelungen, zugleich die Überleitung der Kunst auch auf das Profane und endlich die auf die Verherrlichung des Individuellen und Momentanen.

Die Ablösung der einzelnen Künste vom Kultus möchte nach ihren Stadien aber etwa folgende gewesen sein:

Zuerst macht sich die Poesie im wesentlichen los und entwickelt eine neutrale, heroische, lyrische Welt des Schönen; ja bei Hebräern und Griechen auffallend früh auch eine didaktische Dichtung. Die Religion kann sie am frühesten entbehren und entlassen; denn mit den ihr nötigen Ritualien wird sie längst versehen sein und vielleicht die in ihrer Urzeit entstandenen am liebsten beibehalten, woneben sich dann noch eine freie Poesie erbaulichen Inhalts behaupten mag, indem ein freies Walten der Phantasie über das Heilige keine Bedenken hat. Ein Gefäß des Mythus, wo er existiert, bleibt außerdem noch das Volksepos, weil der Mythus von der bloßen Volkssage nicht zu trennen ist. Die profane Poesie aber wird nun um so mehr Bedürfnis, als alle für Haltbarkeit und Überlieferbarkeit bestimmten Aufzeichnungen überhaupt auf die poetische Form angewiesen sind.

Dann trennt sich ein Gebiet der Erkenntnis nach dem andern von der Religion, wenn diese nicht durch ein heiliges Recht Herrin bleibt, und endlich entsteht eine ganz profane Wissenschaft.

Und doch spricht eine Ahnung dafür, daß alles Dichten und aller Geist einst im Dienste des Heiligen gewesen und durch den Tempel hindurchgegangen ist.

Länger dagegen und für einen wichtigen Teil ihres Schaffens auf immer bleibt die bildende Kunst im Dienste der Religion, oder doch eng mit ihr verbunden (denn die Sache hat, wie wir später sehen werden, zwei Seiten).

Die Religion bietet der Architektur ihre höchste Aufgabe und der Skulptur und Malerei einen anerkannten, überall verständlichen Gedankenkreis, eine homogen über weite Lande verbreitete Beschäftigung.

Enorm aber ist der Wert des Gleichartigen in der Kunst für die Bildung der Stile; es enthält die Aufforderung, im Längstdargestellten ewig jung und neu zu sein und dennoch dem Heiligtum gemäß und monumental, woher es denn kommt, daß die tausendmal dargestellten Madonnen und Kreuzabnahmen nicht das Müdeste, sondern, das Beste in der ganzen Blütezeit sind.

Keine profane Aufgabe gewährt von ferne diesen Vorteil. An ihnen, die eo ipso stets wechseln, würde sich nie ein Stil gebildet haben; die jetzige profane Kunst lebt mit davon, daß es heilige Stile gegeben hat und noch gibt; man kann sagen, daß ohne Giotto Jan Steen anders und vermutlich geringer wäre.

Endlich bietet die Religion der Musik einen unvergleichlichen Gefühlskreis; freilich kann, was die Musik innerhalb desselben schafft, in seiner Halbbestimmtheit die Religion selber lange überleben.


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