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Die Religionen sind der Ausdruck des ewigen und unzerstörbaren metaphysischen Bedürfnisses der Menschennatur.
Ihre Größe ist, daß sie die ganze übersinnliche Ergänzung des Menschen, alles das, was er sich nicht selber geben kann, repräsentieren. Zugleich sind sie der Reflex ganzer Völker und Kulturepochen in ein großes anderes hinein oder: der Abdruck und die Kontur, welche diese ins Unendliche hineinziehen und bilden.
Dieser aber ist, obwohl sich für stabil und ewig haltend, wandelbar, er ist es partiell oder ganz, allmählich oder plötzlich.
Unmöglich ist es zu vergleichen, welcher Prozeß der größere gewesen: die Entstehung des Staates oder die einer Religion.
Des betrachtenden Geistes aber bemächtigt sich eine Doppelempfindung: Neben dem Betrachten, Vergleichen und Zersetzen hat er das Mitgefühl der Größe und nimmt das riesige Bild einer Sache auf, die in ihrem Entstehen vielleicht individuell war und in ihrer Ausbreitung weltgroß, universell, säkular wurde. Wir haben hier den höchsten Gegenstand für das Studium der Herrschaft eines Allgemeinen über unzählige Geister bis zur völligen Verachtung alles Irdischen bei sich und andern, d.h. bis zum Selbstmord durch Askese und bis zum Martyrium, das man mit Freuden aufsucht, aber auch über andere verhängt.
Freilich sind die metaphysischen Anlagen und Schicksale der Völker daraus verschieden. Gleich ausgeschieden mögen hier die Religionen der geringern Rassen, die der Negervölker usw., der Wilden und Halbwilden werden. Sie sind für die Primordien des Geistigen noch weniger maßgebend als der Negerstaat für die Anfänge des Staates überhaupt. Denn diese Völker sind von Anfang an die Beute einer ewigen Angst; ihre Religionen gewähren uns nicht einmal einen Maßstab für die Anfänge der Entbindung des Geistigen, weil der Geist dort überhaupt nie zu spontaner Entbindung bestimmt ist.
Aber auch bei höhern Kulturvölkern findet sich dem Inhalt nach eine große Stufenreihe von der Verehrung von Reichsgöttern, die in öder Weise Eroberten aufgezwungen worden sind, vom Orgiasmus und Bacchantentum und ähnlichen Formen unfreier Besessenheit vom Gotte bis zu der reinsten Gottesverehrung und Kindschaft unter einem himmlischen Vater.
Ebenso groß ist die Stufenreihe im Verhältnis der Religionen zur Sittlichkeit. Man darf aus ihnen noch nicht auf die religiös-sittliche Anlage der betreffenden Völker schließen. Bei den Griechen z.B. war die Sittlichkeit von der Religion wesentlich unabhängig und hing jedenfalls enger mit der idealen Auffassung des Staates zusammen.
Auch halte man Völker, die es nicht über eine Naturreligion »hinausbrachten«, deshalb noch nicht für geistig oder sittlich geringer angelegt; es war ein Schicksal, daß sich bei ihnen die Religion auf einem sehr naiven Stadium ihrer Geschichte fixierte, und daß später dann nicht mehr dagegen aufzukommen war. Denn der Moment der Fixierung ist bei der Religion wie beim Staatswesen von entscheidender Wichtigkeit und unabhängig vom Wollen oder Laufen der Völker. Einzelne Völker haben es freilich vermocht de remettre dans le creuset leurs idées religieuses (Quinet); so in sehr früher Zeit die Inder und das Zendvolk, welche ihren früheren (gemeinsamen?) Polytheismus umstülpten (und zwar offiziell) zur Brahmareligion und zum Dualismus.
Was die Entstehung der Religionen betrifft, so scheint eine große Unmöglichkeit obzuschweben, uns die primitive Entbindung des Geistigen überhaupt vorzustellen; denn wir sind später abgeleitete Leute. Gegen das primus in orbe deos fecit timor wendet sich Renan, Questions contemp S. 416. indem er ausführt, daß, wenn die Religionen bloß durch Berechnung des Schreckens entstanden wären, der Mensch nicht in seinen erhöhten Momenten religiös sein würde; sie seien auch nicht, wie die italienischen Sophisten des 16. Jahrhunderts glaubten, durch die Einfältigen und die Schwachen erfunden, sonst wären nicht die edelsten Naturen die religiösesten; vielmehr sei die Religion eine Schöpfung des normalen Menschen. So richtig dies ist, gibt es doch Religion der Bangigkeit genug. Wir finden bei den Urvölkern einen teils verehrenden, teils erschrockenen Kult von Naturgegenständen, Naturkräften und Naturerscheinungen, sodann den Kult der Ahnen und den Kult von Fetischen, wobei der Mensch das Gefühl seiner Abhängigkeit in einen einzelnen, ihm individuell gehörenden Gegenstand legt. Diese Religionen entsprechen zum Teil unheimlichen Kinderträumen, deren Schreckgestalten versöhnt werden, zum Teil dem Staunen vor den Himmelslichtern und Elementen; sie sind bei den Nationen, die noch keiner Literatur fähig sind, die bisweilen einzige Urkunde des Geistes.
Richtiger als die Annahme eines ursprünglichen Gottesbewußtseins ist jedenfalls die eines langen, unbewußten metaphysischen Bedürfnisses. Ein großer oder schrecklicher Moment oder ein zum Religionsstifter begabter Mensch bringt dies zum Bewußtsein; das, was in den begabten Stammesgenossen ohnehin schon verhüllt lebt, findet seinen Ausdruck; der Prozeß kann sich bei Neumischung und Trennung der Völker wiederholen.
Entscheidend ist jedenfalls das Gefühl der Abhängigkeit von einem Gewaltigeren, das Bangen mitten im Gefühl der subjektiven Kraft und Gewalttat.
Da nun der Anlässe zum Schrecken, d.h. zur Versöhnung des Furchtbaren viele sind, so hat die stärkste Präsumption der Priorität der Polytheismus für sich; Vgl. Strauß, Der alte und der neue Glaube, S. 95 ff. und bes. 101 ff. jene Einheit des primitiven Gottesbewußtseins ist nichts als ein Traum.
Das Urgefühl des Bangens war vielleicht ein großartiges; denn sein Objekt war das Unendliche; dagegen gewährte der Beginn der Religion eine Begrenzung, Verkleinerung, Definition, welche etwas sehr Wohltuendes haben mochte; man glaubte vielleicht plötzlich zu wissen, wie man dran sei. Die Angst mochte sich dann im Fetisch- und Dämonendienst ihren neuen Winkel suchen.
Wie weit sind die Religionen gestiftet? Jedenfalls sind sie wesentlich als die Schöpfungen einzelner Menschen oder einzelner Momente, d.h. eben der Fixierungsmomente, ruckweise, strahlenweise entstanden. Ein deutliches Zeichen einmaliger Stiftung und ohne solche gar nicht denkbar ist z.B. das Aufkommen von zwölf Zodiakalgöttern. Ein Teil der Menschen hält mit, weil der Stifter oder das Ereignis gerade den Punkt des metaphysischen Bedürfnisses getroffen hat, der in den lebendigsten Menschen empfunden wird; die große Masse hält mit, weil sie nicht widerstehen kann, und weil alles Bestimmte ein Königsrecht hat gegenüber dem Dumpfen, Unsicheren und Anarchischen. Diese Massen hangen freilich hernach auch am festesten und mühelosesten an der äußeren Form und den Begehungen der betreffenden Religion und halten sie (sintemal ihnen der Kern jeder Religion unzugänglich bleibt) aufrecht, bis eine stärkere Macht, welche genugsam Schale gewonnen hat, so daß sie sich nun hieran halten können, sie auch äußerlich umstößt, worauf sie sich dieser anschließen.
Allmählich können die Religionen nicht wohl entstanden sein; sonst besäßen sie den siegreichen Glanz ihrer Blütezeit nicht, welcher der Reflex eines großen einmaligen Momentes ist. Die uns historisch bekannten nennen ihre Stifter oder Erneuerer (d.h. Lenker großer Krisen), und selbst die teilweisen Naturreligionen und polytheistischen Religionen können durch bloßes späteres Zusammenschmelzen früher entstandener, einmal gestifteter Kulte entstanden sein. Es waren teils plötzliche, teils allmähliche Wandlungen und Reunionen, aber kein allmähliches Entstehen.
Bisweilen verflicht sich ihr Entstehen mit dem eines Staates; ja die Religion gründet den Staat (Tempelstaaten). Ob sie sich ihn erst später dienstbar macht, und wie sie sich sonst zu ihm verhält, wird später zu erörtern sein.
Welches sind die geeigneten Völker und Kulturstufen?
Das metaphysische Bedürfnis haben alle Völker und alle Zeiten, und alle halten eine einmal ergriffene Religion fest. Allein zum ersten Festwurzeln einer Religion, welche über das Gewöhnliche hinausgeht, taugen weniger die Völker des Weltlebens und der Arbeit als die der Kontemplation, die, welche mit weniger Arbeit schon ihr Leben gewinnen, daher auch eine Art von Bildung sehr allgemein sein kann, ohne die Scheidung der jetzigen Zeit in Gebildete und Nichtgebildete, ferner Völker von großer Sobrietät und nervöser Erregbarkeit, bei welchen ein feiner, präziser Geist herrschen kann, ohne dem Wunder, dem Übernatürlichen, den Visionen Eintrag zu tun; bei solchen Völkern kann auch eine längere Vorbereitung, eine religiöse Schwangerschaft stattfinden. Daß er solche Zustände in concreto kennt und seiner Geschichte des Urchristentums zugrunde legt, darauf beruht Renans große Bedeutung.
Völker des Weltlebens und der Arbeit nehmen wohl die Religion aus den Händen von ekstatisch-kontemplativen Völkern an und erfüllen sie allmählich mit ihrem Geiste. So noch bei der Reformation England und Holland, die keinen originalen Reformator hatten und doch an die Spitze des Protestantismus kamen. Auch Griechen und Römer als Völker des Weltlebens vermochten wenigstens nicht mehr wie die Hindus ihre Religion aus eigener Kraft umzuwälzen, sondern waren ad hoc auf Juden (Christen) angewiesen. Wir begreifen die großen religiösen Krisen schwer, und daher kommt auch unser ewiger Streit über die spekulativen Ideen in den Religionen. Den einen werden sie immer urtümlich, den andern später hineingetragen erscheinen, ohne daß man sich verständigen kann. Jene werden darin immer Reste einer Urweisheit, ja einer lichteren Jugend des Menschengeschlechts erkennen, die anderen einen mühsamen späteren Erwerb.
Aber trotz unserer geringen Fähigkeit, uns einen Begriff zu machen von dem Zustand von Exaltation bei der Geburt einer Religion und zumal von der völligen Kritiklosigkeit solcher Zeiten und Menschen, ist doch gerade dieser Zustand, so kurz er dauern mag, für die ganze Zukunft entscheidend; er gibt der betreffenden Religion ihre Farbe und ihre Mythen, – ja bisweilen schon ihre Einrichtungen und ihr Priestertum.
Die späteren »Einrichtungen« einer Religion sind nämlich einzelne Reste oder Nachklänge aus dem Gesamtzustand bei ihrer Entstehung, wie denn z. B. die Klöster der Rest des anfänglichen gemeinsamen Lebens der Urgemeinde sind. Sodann mag aus Gründern und Zeugen der Entstehung einer Religion durch Ergänzung ein bleibendes Kollegium entstehen – und hiemit mag zusammentreffen das Bedürfnis einer Korporation für die heiligen Begehungen, mit allmählichem Alleinrecht auf Opfer, Bann usw.
Bei späteren Religionen mag dergleichen noch historisch nachweisbar sein; die alten Religionen dagegen werden uns überliefert als kaum entrollbares Konvolut von Metaphysischem, alten Trümmern früherer geschichtlicher und Kulturüberlieferung, alten Volkserinnerungen aller Art, Man darf nur die Götter nicht direkt historisch deuten, wie Euhemeros tat. längst als eins geschaut von den betreffenden Völkern selbst, ja zum allgemeinen, untrennbaren Sinnbild ihrer Psyche geworden. Hierüber sehr kühn Lasaulx, S. 99.
Die Religionen werden von Lasaulx S. 97 ff. in die drei folgenden großen Gruppen eingeteilt: a) die pantheistischen Systeme des Orients und die polytheistischen des Okzidents, jene mit den Indern, diese mit den Hellenen als höchsten Repräsentanten, b) den Monotheismus der Juden und dessen Nachzügler, den Islam (wobei Lasaulx auch den persischen Dualismus hätte unterbringen müssen), c) die Trinitätslehre, die von Anfang an nicht als nationale, sondern als Weltreligion (wobei sie freilich auch ein Weltreich vorfindet) auftritt. (Dies Auftreten als Weltreligion gilt aber auch vom Buddhismus.)
Dieser Einteilung nach Grundanschauungen und Ursprüngen ließe sich aber mehr als eine andere gegenüberstellen, Dies vollends, je nachdem man die Geltung von Sünde und Buße zum Maßstab nähme oder die aus der Literatur bekannten vorherrschenden Lebensbestimmungen der Besten jener Völker, die ein so ganz anderes Bild geben könnten als die offizielle; man könnte so auch auf eine Einteilung in optimistische und pessimistische Religionen kommen. so vor allem eine, welche nicht nur die Religionen zueinander anders gruppiert, sondern auch durch die einzelnen Perioden und Bekennerschichten einer und derselben Religion mitten durchschneidet. Es würden sich hiernach ergeben: a) Religionen, welche ein stark betontes, vergeltendes Jenseits und außerdem etwa noch eine Eschatologie haben, und b) solche, die dies wesentlich oder ganz entbehren, wie die der Griechen, welche bei ihrer hellen Einsicht in das Menschliche und in die Grenzen des Individuellen nur ein farbloses Jenseits statuierten und wenig daran dachten, die Eschatologie aber als ein physisches Problem den Philosophen überließen. Diese Philosophen aber hingen zum Teil der dritten Lösung an, nämlich c) der Metempsychose, deren offenes oder verschwiegenes Korrelat die Ewigkeit der Welt ist. Dies ist der große Glaube der Inder, der u. a. in der Albigenserlehre in das Abendland einzudringen versucht; Buddha aber will d) die Menschen auch von dieser Art des Weiterlebens durch Nirwana erlösen.
Höchst merkwürdig ist das ungemein starke Zusammenstimmen in der Grundidee des Weltuntergangs bei Christen und Skandinaven, um so mehr, als die letzteren daneben vom persönlichen Jenseits des Einzelnen keinen sonderlichen Gebrauch machen und ihr Walhalla auf gefallene Helden beschränken. Die großartige, umständliche Eschatologie, welche sich bei Otto von Freising Chron. Ib. VIII. auf die biblische Lehre vom Antichrist kurz vor dem Weltuntergang oder von der Losgebundenheit Satans nach den tausend Jahren seiner Fesselung aufbaut, Apokal. 20. Auf Paulus bezog man hierauf II. Thessal. 2, 3 δ ανορωποσ τησ αμαρτιασ δ υιοσ τησ απωλειασ gibt im ganzen die Ansichten des christlichen Mittelalters über diese Dinge. Nach der skandinavischen Tradition Vgl. Simrock, Deutsche Mythol., S. 136 ff. sind es drei Jahre der äußersten sittlichen Verderbnis, welche den großen Erdkatastrophen vorangehen. Diese Verfinsterung der sittlichen Mächte ist die Verfinsterung der Götter, Ragnarök, mit welchem Worte also nicht die Folge, sondern die Ursache des Untergangs der Welt bezeichnet wird. Die Götter und die von ihnen in Walhalla gesammelten Helden fallen dabei im Kampfe gegen die Mächte der Nacht, und es erfolgt der Weltbrand, worauf freilich endlich die neugeborene Welt mit einem neuen, ungenannten obersten Gotte und dazu auch ein verjüngtes Menschengeschlecht kommt. Zwischen beiden Vorstellungen steht das Muspilli, wo Elias mit dem Antichrist streitet, aber, indem er ihn tötet, selbst verwundet wird, und aus seinem Blut, sobald es auf die Erde träuft, sofort der Weltbrand entsteht. Die gemeinsame Anschauung bei Christen und Skandinaven ist: Das Ideal weiß gleichsam, daß ihm, auch wenn es sich verwirklicht hat, tödliche Feinde drohen, die stärker sein und ihm den Untergang bringen werden, worauf dann aber bald (nach Cyrill von Jerusalem nach dreiundeinhalbjähriger, auch nach Otto von Freising nach zweiundvierzigmonatiger Herrschaft des Antichrists) die allgemeine Vergeltung folgt. Das Ideal fühlt, daß es zu heilig für diese Welt sei.
Mit diesem stärkeren oder schwächeren Hereinragen der Lehre vom Jenseits und den letzten Dingen hängt bisweilen, obgleich nicht immer, Die Skandinaven, die freilich neben ihrer großartigen Eschatologie keine Lehre von einer individuellen Fortdauer haben, haben die Hierarchie nicht, die Juden haben sie, trotzdem ihnen die Lehre vom Jenseits fehlt. die größere oder geringere Ausbildung der Priestermacht zusammen, welche über die Verbindung mit diesem Jenseits mehr oder weniger zu verfügen hat. Diese mag freilich auch noch andere, diesseitige Quellen und Gründe haben, so die Kraft ihres Rituals zum Götterzwang, die Theurgie, die Leitung von Gottesurteilen zur Ermittelung von Tatbeständen, endlich die Verflechtung von Priestertum und Heilkunde, teils durch das nähere Verhältnis zu den Göttern, teils durch priesterliche Wissenschaft, teils durch die Anschauung, daß Krankheiten Strafen für Begangenes – auch in einem früheren Dasein Begangenes – oder Wirkungen von Dämonen seien, denen der Priester begegnen könne. Auch Kämpfe zweier Thaumaturgien um ganze Bevölkerungen kommen vor wie der zwischen St. Hilarion und dem Marnaspriester um das Volk in und bei Gaza. Vgl. J. Burckhardt, Constantin, S. 438. Von selbst versteht sich schließlich die Macht der Priester von Staats- oder Volksreligionen.
Missionieren werden im ganzen nur Jenseitsreligionen und nicht einmal diese alle, z. B. taten es die Ägypter und Zendleute nicht. Der Eifer des Missionierens ist nicht bloß von der Stärke einer Religion bedingt, denn gerade sehr starke Religionen begnügen sich etwa, das, was nicht ist wie sie, zu verachten, zu vernichten, höchstens zu bemitleiden, – sondern er ist bedingt von ihrem Inhalt und zwar wesentlich von ihrem jenseitigen, denn wegen des Erdenlebens nähme man sich die Mühe nicht und würde auch schwerlich viele Proselyten machen.
Es drängt sich daher die Frage auf, ob das Judentum, als es sich 50 v. Chr. bis 50 n. Chr. im vorderen Orient und im Imperium ausdehnte, nicht etwa eine pharisäische Jenseitslehre in sich hatte. Vgl. Winer, Bibl. Realwörterb. II, S. 247. Oder schloß man sich daran auch ohne Mission von seiner Seite? Vertraten irdisch messianische Hoffnungen das Jenseits?
Jedenfalls bezogen sich sämtliche orientalische Mysterienkulte, die im Imperium Eingang fanden, auf das Jenseits. Und das Christentum selbst wirkte bei den Römern wesentlich durch seine Verheißung der seligen Unsterblichkeit.
Ja vielleicht haben überhaupt nur die Jenseitsreligionen, die zugleich dogmatisch stark ausgestattete Religionen sind, diejenigen eifrigen Persönlichkeiten im Vorrat, welche entweder werben oder alles zersprengen müssen. Besonders aus den Proselyten selbst, die vorher heftige Gegner waren, erwachsen die eifrigsten Boten.
Ganz logisch und nur scheinbar paradox rechnen wir hieher auch die Verbreiter des Buddhismus, welcher die orientalische Gestalt des Jenseits, die Seelenwanderung, stille zu stellen verspricht. Vgl. Duncker, Gesch. d. Altert. II, 209.
In vollem Gegensatz aber zu den missionierenden Religionen steht der klassische, besonders der römische Polytheismus, welcher wohl seine Götter in den Westen verbreitet, hauptsächlich aber die Götter anderer Völker in sein Pantheon einlädt. Er ist eine Nationalreligion, welche zur Reichsreligion geworden ist, sich aber dabei stark modifiziert hat.
Und hier kommen wir nun auf den Gegensatz der Nationalreligionen und der Weltreligionen, welcher mit dem durch das Verhalten zum Jenseits bedingten Gegensatz teilweise koinzidiert.
Beide geben das Menschlich-Übermenschliche auf ganz verschiedenen Stufen, die einen mit Hülle, die andern ohne Hülle.
Die Nationalreligionen sind die früheren. Sie sind mit Erinnerungen, Kultur und Geschichte der betreffenden Völker eng verflochten, haben Götter, welche dieses bestimmte Volk oder diesen bestimmten Staat zu schützen oder zu schrecken haben, sind in ihrem Benehmen heroisch und stolz, so lange das Volk gedeiht, lassen allenfalls eine allgemeine Hoffnung wie die zu, daß einst alle Völker auf Moriah zur Anbetung Jehovas erscheinen werden, sind aber einstweilen national abgegrenzt, ja durch eine heilige Sprache ebensowohl im Innern gestärkt als nach außen isoliert und einstweilen auch nicht proselytisch; gegen andere sind sie bald, wie wir dies soeben von den Griechen und Römern gesehen haben, polytheistisch freundlich, einladend, Affinitäten erkennend, zum Göttertausch geneigt, bald verachtungsvoll, doch mit Ausnahme der Perser nicht verfolgerisch.
Diesen gegenüber stehen die Weltreligionen: Buddhismus, Christentum und Islam. Sie sind spät gekommen; ihr stärkstes Vehikel ist meist ein soziales, indem sie die Aufhebung von Kasten mit sich bringen und sich als Armenreligionen und Sklavenreligionen, daher an sich auch antinational, geben, während der Islam eine Religion von Siegern ist.
Sie abstrahieren von einer heiligen Sprache und übersetzen ihre Urkunden, ausgenommen der Islam, der seinen Koran arabisch behauptet und die Völker zu einer beschränkten Kenntnis des Arabischen zwingt. Nur eine beschränkte Beibehaltung einer heiligen Sprache ist es, wenn der katholische Kultus mit einem großartigen praktischen Zweck das Lateinische beibehalten hat, und ein vereinzelter Fall ist das merkwürdige Schicksal der koptischen Nationalsprache, die dadurch zur heiligen Sprache geworden ist, daß die Kopten, die jetzt nur noch Arabisch sprechen und verstehen, die ehemals ins Koptische übersetzten heiligen Schriften und Ritualien in dieser ihnen nun unverständlichen Landessprache beibehalten haben.
Die Weltreligionen sind es, welche die größten historischen Krisen herbeiführen. Sie wissen von Anfang an, daß sie Weltreligionen sind, und wollen es sein.
Enorm verschieden ist die Bedeutung der verschiedenen Religionen im Leben. Vergleichen wir sie zunächst untereinander, so finden wir die einen fast ohne kenntliche Dogmen. Sie haben keine Urkunden gehabt oder sie verloren und die Poesie und Kunst dafür angenommen; sie sind zufrieden mit gelinderer oder strengerer Verehrung und Sühnung der Götter, mit prächtigeren oder mäßigeren Zeremonien; das Leben ist wenig von der Religion bedingt. Philosophie und Aufklärung mögen eine solche Religion frühe zersetzen und ausschwatzen, so daß wir alles erfahren.
Die andern haben Urkunden, einen Priesterstand, einen strengen Ritus bis ins Kleinlichste hinein; ihr Dogmatismus mag sehr künstlich sein, sich rechts in Sekten und links in Philosophie verlaufen – das Volk erfährt wenig davon und begnügt sich mit der äußeren Schale. Aber sein Leben kann hart und fest in den Kultus eingeschnürt sein. So die Brahminenreligion.
Endlich kommen die großen, wesentlich dogmatischen Weltreligionen, wo das Dogma (nicht, wie dort, der Ritus) die einzelne Seele zu beherrschen verlangt. Die Taxation des Irdischen hat sich hiemit abzufinden, wie sie kann.
Viel schwieriger aber ist die Beurteilung des jeweiligen Geltungsgrades einer und derselben Religion nach Zeiten und nach Schichten ihrer Bekenner.
Zeitlich hätte man etwa zu unterscheiden das primäre Stadium des originalen Glaubens oder das naive Stadium, das sekundäre, da der Glaube Tradition geworden, und das tertiäre, da er sich bereits auf sein Altertum beruft und zugleich aufs stärkste mit den nationalen Erinnerungen verflochten, ja stellenweise der nationale Anhalt geworden ist. Von der schichtweisen Geltung der Religion wäre etwa zu sagen, daß die Religionen der höheren Kulturvölker immer auf diesen drei und auf noch viel mehr Stadien zugleich leben, je nach sozialen Schichten und Kultureinflüssen. Man möge hierbei an den Polytheismus der gebildeten Römer denken oder an das Christentum von heute, das bei den einen hierarchisch-äußerlich, bei den andern dogmatisch, bei den dritten fromm-gemütlich, bei vielen zur bloßen Religiosität verinnerlicht oder verblaßt erscheint.
Groß ist hier die Unsicherheit unseres Urteils. Es ist uns z.B. zweifelhaft, inwiefern die byzantinische Religion noch Religiosität gewesen ist, wo neben spitzfindigem dogmatischem Hader der Geistlichen die größte Veräußerlichung in pathetischem Symboldienst und Zeremoniell und eine despotische Entwürdigung des Menschen einhergeht. Und doch darf man auch hier nicht zu früh aburteilen: Die besten byzantinischen Eigenschaften sind immer noch in Verbindung mit jener Religion vorhanden gewesen, welche auch jetzt noch verdient, das Salz der dortigen Erde genannt zu werden.
Und nun die Auflösung der Religionen und ihre Gegenwehr. Eine Religion gründet z.B. früh ein heiliges Recht, d.h. sie verschlingt sich enge mit einem ganzen, von ihr garantierten öffentlichen Zustand, oder sie gründet ihre Hierarchie neben den Staaten, aber im politischen Rapport mit ihnen. Diese ihre äußeren Einrichtungen, enge mit allem Materiellen verflochten und auf die Massen und deren Gewöhnung gestützt, können eine solche Religion unendlich lang äußerlich aufrecht erhalten – wie alte Bäume, innen ganz morsch, von ihrer Rinde und ihren Blättern leben und noch große Figur damit machen; der Geist aber ist schon lange teilweise daraus gewichen und nur noch nicht im Besitz eines neuen, klar bewußten metaphysischen Elements, auf welches er eine neue, des Kampfes und des Sieges fähige Gegenreligion aufbauen könnte. Was er inzwischen einzelnes aufstellt, heißt dann Häresie und wird als solche verfolgt oder doch exekriert.
Auch die schärfstbeaufsichtigten Völker, deren ganzer Gedankenkreis sorgfältig auf die herrschende Religion orientiert schien, fallen bisweilen plötzlich schichtweise der Häresie anheim. Man denke an die unter dem Einfluß des Manichäismus entstandene Häresie der Mazdak im Sassanidenreiche, die staatengründenden Häresien des Islams, die Albigenser des 12. und 13. Jahrhunderts, diese Neumanichäer mit ihrem Seelenwanderungsglauben, der zu der Frage verführen könnte, ob die Metempsychose nicht vielleicht bestimmt sei, noch einmal das Christentum zu durchkreuzen. Jedesmal ist die Häresie ein Zeichen, daß die herrschende Religion dem metaphysischen Bedürfnis, das sie einst geschaffen, nicht mehr genau entspricht.
Sehr verschieden ist nun die Widerstandskraft der Religionen je nach der Schicht oder Macht, welche sie verteidigt. Kleinstaaten, wo die Sacra enge mit dem Bürgertum oder Staat verflochten sind, können eine neue Ketzerei oder Religion vielleicht besser abwehren als große Weltreiche mit nivellierter Kultur und allgemeinem Verkehr, welche die Kleinstaaten unterworfen haben, weil dieselben schon müde waren. Solchen ist auch vielleicht schon die Bändigung der Einzelvölker eben darum leichter geworden, weil sie ihnen ihre Religion ließen. Das Christentum wäre durch die Poleis des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. schwer durchgedrungen; das römische Imperium öffnete ihm alle Pforten und wehrte sich dann nur politisch dagegen.
Und nun hat es zwar sehr leichte, rasche und massenhafte Übergänge von Religion zu Religion gegeben; Man denke an das 1. Jahrhundert der Hedschira, aber auch an die Mode des Religionswechsels unmittelbar vor Mohammed. in Thesi aber verlangen alle Religionen mindestens so ewig zu sein als die sichtbare Welt, und jede hat einen bleibenden menschlichen Gehalt in sich, welcher sie hierzu teilweise berechtigt. Schrecklich sind nun die religiösen Kämpfe, zumal bei den Religionen, wo der Gedanke des Jenseits sehr vorherrscht, oder wo die Sittlichkeit sonst total an die gegebene Religionsform gebunden erscheint, oder wo die Religion sehr stark national geworden ist und in und mit ihr ein Volkstum sich verteidigt. Am schrecklichsten geht es gerade bei den zivilisierten Völkern zu: Die Mittel des Angriffs und der Verteidigung haben keine Grenzen; die gewöhnliche Sittlichkeit und das Recht werden dem »höheren Zweck« zu Gefallen völlig suspendiert, Transaktionen und Vermittelungen verabscheut; man kann nur alles oder nichts haben.
Was das Entstehen von Verfolgungen betrifft, so ist zunächst ein Urstadium zu konstatieren in der Bestrafung der Blasphemie: Man fürchtet von den Lästerungen eines Gottesfeindes eine Strafe der Gottheit und wünscht ihr deshalb den Betreffenden auszuliefern, um nicht mitleiden zu müssen. Solches kann – man möge an die athenischen Asebieprozesse denken – bei den tolerantesten Polytheismen vorkommen, sobald sie direkt Trotz erfahren.
Hiervon wesentlich verschieden ist das Verfahren besonders von Weltreligionen und Jenseitsreligionen.
Diese erwidern nicht bloß geschehene Angriffe, sondern bekämpfen schon das bloße, wenn auch geheime Dasein einer von der ihrigen abweichenden Metaphysik mit den äußersten Mitteln, so lange sie können.
Die Zendreligion begehrt zwar nicht zu bekehren, zeigt aber ihren äußersten Haß gegen alles, was nicht Ormuzdlehre ist; Kambyses zerstört die ägyptischen Tempel und tötet den Apis; Xerxes verwüstet die Heiligtümer Griechenlands.
Auch der Islam missioniert nicht oder doch nur zeit- und stellenweise; solange er kann wenigstens, dehnt er sich nicht durch Mission, sondern durch Eroberung aus und findet das Dasein zinsender Giaurs sogar bequem, tötet sie aber durch Verachtung und Mißhandlung und massakriert sie in Wutanfällen auch etwa.
Das Christentum aber verlangt seit dem 4. Jahrhundert, Seele und Gewissen des einzelnen für sich allein zu besitzen, und nimmt, wovon später noch die Rede sein soll, den weltlichen Arm in Anspruch, als verstünde sich dies von selbst, gegen Heiden und ganz besonders gegen christliche Ketzer. Dieselbe Religion, deren Sieg ein Triumph des Gewissens über die Gewalt war, operiert nun auf die Gewissen mit Feuer und Schwert los.
Furchtbar ist die Stärke seiner Affirmation. Der Märtyrer wird, wenn er seine Qualen überlebt hat, konsequent Verfolger, nicht sowohl aus Vergeltung als vielmehr, weil ihm seine Sache über alles geht. Ohnehin war vielleicht sein äußeres Leben wenig wert; er hatte sogar Lust zu leiden und zu sterben. (Dergleichen auch außerhalb des Christentums, ja außerhalb der Religion vorkommt, ohne daß damit der geringste Beweis für den objektiven Wert der betreffenden Sache geleistet wäre.)
Jetzt, mit ihrer unendlichen Bekümmernis für die Seele des einzelnen, läßt die Kirche demselben nur die Wahl zwischen ihrem Dogma (ihren Syllogismen) und dem Scheiterhaufen. Ihre schreckliche Voraussetzung ist, daß der Mensch ein Recht über die Meinungen von seinesgleichen haben müsse.
Subintelligiert oder oft zugestanden wird, daß Irrlehre gleich ewiger Verdammnis, daher deren Verbreitung über unschuldige Seelen, ja über ganze Völker, durch alle Mittel zu verhindern sei, daß der Tod relativ weniger nicht in Betracht komme gegen die ewige Verdammnis ganzer Nationen.
Bei den Massen wird allenfalls grobe Unwissenheit des Wahren, bei den Irrlehrern kaum je etwas anderes als Bosheit vorausgesetzt, indem ja der wahre Glaube völlig einleuchte. »On est bien près de brûler dans ce monde-ci les gens que l'on brûle dans l'autre.« Seelenrettung geht allem voran, auch durch Kinderraub und gewaltsame Erziehung.
Von den Kirchenlehrern ist schon St. Augustin für die blutige Verfolgung der Donatisten: S. Aug. contra litt. Petil. II, 42 f. »Nicht wir sind es, die euch verfolgen, sondern eure eigenen Werke« (d.h. weil ihr euch aus Gottlosigkeit von der Kirche getrennt habt). »Was für ein Unrecht soll darin liegen, wenn diejenigen für ihre Sünden und auf Befehl der Regierung gestraft werden, welche Gott durch dies gegenwärtige Gericht und Züchtigung ermahnt, sich dem ewigen Feuer zu entziehen? Sie sollen zuerst beweisen, daß sie weder Häretiker noch Schismatiker sind und sich dann beklagen.« St. Hilarius und St. Hieronymus äußern sich nicht gelinder, und im Mittelalter verpflichtet und bedroht Innocenz III. die weltlichen Herren und ladet gegen die Ketzer zu einem Kreuzzuge ein mit Landprämien und Ablaß wie für das heilige Land. Freilich wurde man den Gegner – Heiden oder Ketzer – wirklich nur durch materielle Vernichtung los. Man hat die Albigenser wirklich ausgerottet.
Die Nemesis lag darin, daß die Kirche mehr und mehr ein Polizeiinstitut wurde, und daß die Hierarchen danach rochen.
Die Reformatoren dachten über die ewige Verdammnis nicht anders als die katholische Kirche, stellten aber die Sache in praxi wesentlich Gott anheim, etwa schwere Fälle von Blasphemie ausgenommen, womit man wieder in jenes Urstadium des Verfolgens zurücktrat.
Die großen geistigen Bewegungen des 18. Jahrhunderts machten einen starken Riß in die Verfolgungen. Abgesehen davon, daß der weltliche Arm sich nicht mehr hergab, weil ein neuer Begriff des Staates aufgekommen war, war wohl ganz wesentlich entscheidend, daß – mit unter dem Einfluß des kopernikanischen Systems – die Beschäftigung mit dem Jenseits zurücktrat, daß es mauvais genre und Zeichen eines harten Herzens wurde, sich mit der »ewigen« Verdammnis anderer Seelen abzugeben, und daß allmählich eine gelinde Seligkeit für jedermann postuliert werden konnte.
Die Aufklärungsphilosophie und »Toleranz« des 18. Jahrhunderts, welche eifrige, überzeugte Bekenner und selbst Märtyrer gehabt und die Geisterwelt umgestaltet hat, ohne daß ein Mensch auf einen Paragraphen vereidigt gewesen wäre, war freilich ihrerseits auch eine Art von Religion, was man etwa auch von dieser oder jener Philosophie des Altertums, z.B. von der Stoa, behaupten könnte, können doch – um das Phänomen im allgemeinen zu nennen – bloße Denkweisen, ohne Dogma, Versammlungen und spezielle Verpflichtungen, bei großer Varietät unter ihren Bekennern, selbst völlig den Wert einer Religion oder Sekte annehmen.
Und nun der Untergang der Religionen. Hierzu genügt noch lange nicht, was man die innere Zersetzung nennt: die geistige Abwendung einzelner Kategorien der Bevölkerung (sei es als Sekte innerhalb der Bevölkerung oder als gebildete, reflektierende Sozietät). Ja, es genügt noch nicht die Anwesenheit einer neuen, dem zeitweiligen metaphysischen Bedürfnis viel besser entsprechenden Religion. Sekten können verfolgt und ausgerottet oder ihrer eigenen Unbeständigkeit und Metamorphose überlassen werden. Die gebildeten Stände, welche durch Kultureinflüsse der herrschenden Religion entzogen worden sind, kehren wohl (wie dies das Schicksal fast sämtlicher romanischer Völker ist) wieder zu ihr zurück oder arrangieren sich wieder mit ihr aus Klugheitsrücksichten (während beim Volk von altersher die Religion das wesentliche Stück der Kultur ist). Eine neue Religion kann sich neben die alte stellen, sich mit ihr in die Welt teilen, aber von sich aus sie unmöglich verdrängen, selbst nicht, wenn sie die Massen für sich hat, – falls nicht die Staatsgewalt eingreift.
Jede ausgebildete Religion höheren Ranges ist vielleicht relativ ewig (d.h. so weit ewig, als das Leben der sie bekennenden Völker), wenn nicht ihre Gegner diese Macht gegen sie aufzubieten vermögen. Vor der Gewalt unterliegen sie alle, wenn diese konsequent gehandhabt wird, und zumal wenn es sich um ein einziges, unentrinnbares Weltreich wie das römische handelt. Ohne Gewalt oder doch ohne gleichmäßig gehandhabte Gewalt leben sie fort und tränken ihre Macht stets neu aus dem Geiste der Massen, ja am Ende bekommen sie den weltlichen Arm wieder auf ihre Seite. So die Religionen des Orients.
Mit Hilfe der staatlichen Gewalt konnte der Buddhismus in Indien durch die Brahminenreligion ausgerottet werden. Ohne die Kaisergesetzgebung von Konstantin bis auf Theodosius würde die römisch-griechische Religion noch bis heute leben. Ohne ein wenigstens zeitweise völliges, vom weltlichen Arm gehandhabtes (nötigenfalls mit den äußersten Mitteln verbündetes) Verbot würde die Reformation sich nirgends behauptet haben. Sie hat alle diejenigen Territorien wieder verloren, wo sie diesen Vorteil des weltlichen Arms nicht besaß und irgend eine beträchtliche Quote von Katholiken mußte fortleben lassen. So kann selbst eine junge und kräftig scheinende Religion partiell, gebietweise untergehen, vielleicht für solche Gegenden auf immer. Denn es fragt sich, ob später wieder ein neuer Andrang mit »einem günstigen Fixierungsmoment« zusammentreffen wird.