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5. Die Religion in ihrer Bedingtheit durch den Staat

Zu den Religionen, die durch den Staat bedingt sind, gehören vor allem die beiden klassischen Religionen.

Man darf sich dabei nicht durch die vielen Ausdrücke der Frömmigkeit irre machen lassen, wie das horazische »dis te minorem quod geris imperas« oder Cicero, de legibus I, 7 (und sonst) oder die Stelle bei Valerius Maximus I: omnia namque post religionem ponenda semper nostra civitas duxit ... quapropter non dubitaverunt sacris imperia servire.

Welches auch ihre Religiosität gewesen sei, Wir müssen uns immerhin darüber klar sein, daß dem Schicksal, das ja über Zeus stand, mit keiner Religion beizukommen war, und daß man sich mit dem Jenseits wenig abgab. Griechen und Römer waren eine völlige Laienwelt; sie wußten eigentlich (wenigstens in ihren entwickelten Zeiten) nicht, was ein Priester sei; sie hatten stehende Zeremonien, aber kein Gesetz und keine schriftliche Offenbarung, welche die Religion über den Staat und das übrige Leben emporgehalten hätte. Ihre poetisch vermenschlichten, gegenseitiger Feindschaften fähigen Götter sind zum Teil sehr ausdrücklich Staatsgötter (πολιουχοι, poliouchoi) und speziell zum Schutze des Staates verpflichtet; Apoll ist u.a. der Gott des Kolonienaussendens (αρχηγετησ, archegetes) und muß in Delphi darüber Auskunft geben.

Mögen auch die Götter für alle Hellenen, ja auch für die Barbaren und für die ganze Welt geltend gedacht werden (was der Reflexion später nicht schwer fiel), so werden sie doch mit einem Zunamen lokalisiert und für die betreffende Stadt, den Staat oder eine spezielle Lebenssphäre verpflichtet.

Wenn Griechen und Römer Priester und eine Theologie gehabt hätten, so würden sie freilich auch ihren auf die menschlichen Bedürfnisse und Beziehungen gestellten, vollendeten Staat nicht geschaffen haben. Renan Apôtres, S. 364. L'infériorité religieuse des Grecs et des Romains était la conséquence de leur supériorité politique et intellectuelle. La supériorité du peuple juif au contraire a été la cause de son infériorité politique et philosophique. Juden und Urchristen bauten eben die Gesellschaft auf die Religion, wie der Islam.

Der einzige Fall, wo sich die römische Religion willentlich proselytisch zeigt, war etwa die Romanisierung der gallischen und anderen nördlichen und westlichen Götter; die Christen aber wollte man zur Kaiserzeit nicht etwa bekehren, sondern nur von Sakrilegien abhalten, und übrigens geschah dies beides im Dienste des Staates.

Die übrige alte Welt, der Orient, die Staaten des heiligen Rechts usw. sind viel mehr von der Religion bedingt, von welcher ja auch ihre Kultur in Schranken gehalten wird, als die Religion von ihnen; nur daß, wie oben gesagt, der Despotismus mit der Zeit vorschlägt, die Göttlichkeit auf sich bezieht und sich dabei satanisch aufführt.

Die Religionen behaupten ihre Idealität am ehesten, solange sie sich gegen den Staat leidend, protestierend verhalten, was freilich ihre schwerste Feuerprobe ist, an welcher gewiß schon mancher hohe Aufschwung untergegangen ist; denn die Gefahr, vom Staate ausgerottet zu werden, wenn derselbe eine andere, intolerante Religion vertritt, ist wirklich vorhanden. Das Christentum ist eigentlich das Leidende und seine Lehre vorhanden für Leidende, und es ist vielleicht von allen Religionen nächst dem Buddhismus am wenigsten geeignet, mit dem Staat in irgend eine Verbindung zu treten. Schon seine Universalität ist dem entgegen. Wie kam es, daß es dennoch mit dem Staate in die engsten Beziehungen trat?

Der Grund wurde schon sehr früh, bald nach dem apostolischen Zeitalter, gelegt. Das Entscheidende war, daß die Christen des IL und III. Jahrhunderts antike Menschen waren, und zwar in einer Zeit des Einheitsstaates. Und nun verführte das Staatstum das Kirchentum, sich nach seinem Vorbilde zu gestalten; die Christen bildeten um jeden Preis eine neue Gesellschaft, schieden mit der größten Anstrengung eine Lehre als die orthodoxe von allen Nebenauffassungen (als Häresien) aus und organisierten ihre Gemeinde schon wesentlich hierarchisch. Vieles war schon sehr irdisch; man denke an die Zeit des Paulus von Samosata und die Klagen Eusebs.

So war das Christentum schon während der Verfolgungen eine Art einheitlicher Reichsreligion, und als nun mit Konstantin der Umschlag eintrat, war die Gemeinde plötzlich so mächtig, daß sie den Staat beinahe hätte in sich auflösen können. Sie wurde jetzt wenigstens zur übermächtigen Staatskirche, und über die ganze Völkerwanderung und bis weit in die byzantinische Zeit, im Okzident aber das ganze Mittelalter hindurch, ist dann, wie wir gesehen haben, die Religion das Bestimmende. Karls des Großen Weltmonarchie ist wie die des Konstantin und Theodosius wesentlich eine christliche, und wenn die Kirche etwa zu fürchten hatte, von ihr als Werkzeug mißbraucht zu werden, so dauerte diese Sorge nicht lange; das Imperium zersplitterte, und die Kirche blieb, im Lehnszeitalter wenigstens, mächtiger als alles andere, was daneben war.

Aber jede Berührung mit dem Irdischen wirkt stark auf die Religion zurück; mit der äußeren Machtgestaltung ist unfehlbar eine innere Zersetzung verbunden, schon weil ganz andere Leute an die Spitze kamen als in der ecclesia pressa.

Die Wirkungen dieser Ansteckung des Kirchentums durch das Staatstum sind nun folgende: Erstlich erwächst im spätrömischen und byzantinischen Reich, wo Imperium und Kirche sich genau zu decken zensiert sind und die Kirche gleichsam ein großes zweites Staatswesen bildet, aus diesem Parallelismus der falsche Machtsinn in ihr. Statt eine sittliche Macht im Völkerleben zu sein, wird sie, indem sie sich politisiert, selber ein Staat, also eine zweite politische Macht mit dem hiebei ganz unvermeidlich innerlich-profanen Personal. Macht und Besitz sind es, die in der abendländischen Kirche das Heiligtum mehr und mehr mit Unberufenen anfüllen. Macht aber ist schon an sich böse.

Die zweite Folge aber ist die enorme Überschätzung der Einheit, in engem Verband hiemit. Die Tradition stammt, wie wir sahen, schon aus der Zeit der Urkirche und der Verfolgung; die ecclesia triumphans aber bietet nun alle Machtmittel auf zur Behauptung der Einheit und entwickelt aus ihrer Einheit immer mehr Machtmittel; ja sie kann deren nicht mehr genug vor sich sehen und füllt am Ende das ganze Dasein mit ihren Gräben und Festungswerken an. Dies gilt von der abendländischen Kirche so gut wie von der byzantinischen. Umsonst ertönt dazwischen immer wieder die Ansicht, das göttliche Wesen freue sich verschiedenartiger Verehrung.

Jetzt glaubt kein abendländischer Mensch mehr an das Dogma der ecclesia triumphans z.B. des V. Jahrhunderts; man hat sich allmählich an den Anblick der religiösen Vielheit gewöhnt, die zumal in den englisch sprechenden Ländern mit starkverbreiteter Religiosität vereinbar erscheint, und sieht die Religionsmischung, Parität usw. in den gemischten Bevölkerungen vor sich, von welchem allem damals noch niemandem träumte. Auch übt die gegenwärtige Dogmengeschichte gegen die Häresien Gerechtigkeit, von denen man weiß, daß sie bisweilen das Beste von Geist und Seele der betreffenden Zeiten enthalten haben.

Aber welche Hekatomben sind der Einheit – einer wahren fixen Idee – zum Opfer gefallen! Und diese fixe Idee hatte ihre volle Entwicklung nur erreichen können, weil die politisierte Kirche absolut machtgierig geworden war. Die dogmatische Begründung der Einheit und ihre poetische Verherrlichung als tunica inconsutilis ist Nebensache.

Mit der Reformation, die in die Zeit fällt, da der moderne Machtstaat an sich schon in starkem Fortschreiten ist, tritt dann eine große allgemeine Veränderung auf beiden Seiten ein.

In den großen Staaten des Westens, England ausgenommen, besiegelt die Gegenreformation den »Bund zwischen Thron und Altar«, d.h. die Kirche, um sich zu behaupten, braucht noch einmal im weitesten Sinne das brachium saeculare. Seither besteht eine enge Komplizität beider; es ist z.B. in dem Spanien Philipps II. kaum auseinanderzulesen, was jedem von beiden gehört, und doch hat eher die Kirche, welche dabei an den Staat enorm gezahlt hat, helfen sollen, den spanischen Bankerott über möglichst viele Länder auszudehnen; auch bei Ludwig XIV. ist der Katholizismus wesentlich ein instrumentum imperii, und seinen großen kirchlichen Schreckensakt hat der König, obwohl auch von seinem Klerus angereizt, wesentlich aus politischer Uniformitätsgier gegen die Ansicht des Papstes vollzogen.

In neuerer Zeit ist dieser Bund stets ungleicher und für beide Teile gefährlicher geworden, weit entfernt, beiden so nützlich zu sein, wie das heilige Recht den Gewaltstaaten des Altertums war. Während Prinzipien ewig sein können, sind Interessen unter allen Umständen wandelbar, und nun ist dies eben statt eines Bundes der Prinzipien tatsächlich mehr und mehr ein Bund der Interessen, von welchen es sehr fraglich ist, wie lange sie noch zusammengehen werden. So konservativ die Kirche sich geben mag, der Staat sieht auf die Länge keine Stütze, sondern eine Verlegenheit in ihr.

In Frankreich wird der Staat, so oft er sich wieder der Denkweise und Partei der großen französischen Revolution nähert, auch deren Todfeindschaft gegen die katholische Kirche adoptieren. Diese aber ist durch Napoleons I. Konkordat von 1801 auf die verhängnisvollste Weise zum Staatsinstitut geworden, mit Hilfe einer allgemeinen Voraussetzung, wonach der Staat alles, was nun einmal vorhanden sei, von sich abhängig machen und organisieren müsse. Schon der Anfang der Revolution hatte die constitution civile du clergé von 1791 gebracht, mit Versäumnis des einzigen Moments, da man mit Erfolg trennen konnte, und 1795 war dann die juridische Trennung zu spät gekommen, weil die Kirche inzwischen ein Märtyrertum aufweisen konnte. Nun ist von diesen politischen Zuständen nicht bloß die Kirche, sondern auch die Religion wesentlich mitbedingt. Sie steht unter einem jetzigen Schutz und Sold des Staates, der ihrer unwürdig, für sie unanständig ist, kann aber von heute auf morgen, wenn dieser Staat in andere Hände fallen sollte, dessen schwerste Feindschaft erleiden und ist unter allen Umständen von der allgemeinen Krisis des europäischen Staatsbegriffs, von der wir oben sprachen, mitbedroht.

In den meisten katholischen Ländern gilt mehr oder weniger dasselbe; der Staat ist im Begriff, den erschütterten Bund zwischen Thron und Altar, als jetzund unvorteilhaft geworden, zu kündigen; die katholische Kirche aber verläßt sich viel zu wenig auf innere Kräfte und sucht viel zu sehr nach äußeren Stützpunkten.

Ob das Konzil eine Lösung bereit hält?

Von seiten des Staates aber ist es lächerlich, wenn er gerne »liberale Prälaten« hätte, die seiner Bureaukratie keine sauern Tage machen sollen. Den nordamerikanischen Regierungen ist es ganz gleichgültig, wie ultramontan oder »aufgeklärt« die katholischen Bischöfe der Union sind.

 

Zusatz 1873: Nachdem den Regierungen das Verhältnis zur katholischen Kirche längst lästig gewesen und höchstens Louis Napoleon sie als Hilfe seiner Macht benützen konnte, Preußen aber ihr wenigstens alles gestattete und Lobsprüche von Pius IX. erntete, nachdem der moderne demokratische und industrielle Geist in eine stets größere Feindschaft mit ihr geraten, fand die Kirche für nötig, ihre Ansprüche auf dem vatikanischen Konzil zu systematisieren; der schon lange vorhandene Syllabus wurde in seinen Hauptzügen zum Kirchengesetz; die Infallibilität krönte das ganze System.

Alle mezzi termini wurden abgeschnitten, die so nützlich erscheinenden Übergänge eines liberalen Katholizismus u.dgl. total desavouiert, das vernünftige Verhandeln mit den Staaten schwer oder unmöglich gemacht, die ganze Stellung des Katholizismus in der Welt unermeßlich erschwert.

Was war der Zweck? Vor allem ist hier jede voraussehende Beziehung auf den Krieg von 1870 zu eliminieren; den Krieg sah jedermann im Anzug; aber beim Sieg Napoleons wäre es der katholischen Kirche kaum besser ergangen.

Ein bloß theoretischer Hochmut war es nicht; eine große praktische Absicht muß zugrunde gelegen haben, als man der ganzen höheren katholischen Bildung so derb den Abschied gab und unbedingte gleichartige Fügsamkeit verlangte – und endlich erhielt.

Ein straffes Anziehen aller Zügel der Einheit mag notwendig geschienen haben gegenüber der allgemeinen Entwicklung des modernen Geistes, in Voraussicht baldigen Verlustes des dominio temporale; denn auf offenes Ergreifen der Waffen konnte die Kirche gar nirgends hoffen; diesen Faktor mußte sie völlig außer Rechnung lassen.

Und nun das jetzige verschiedene Verhalten der Regierungen. Die meisten nehmen die Sache wie ein bloßes theoretisches Vergnügen des Papsttums, das man demselben lassen könne; Deutschland und die Schweiz dagegen nahmen den Kampf als Kampf auf. Die große Schwierigkeit dabei ist, die Ausgetretenen als Kirche zu konstituieren und ihnen einen neuen Klerus zu schaffen.

Die einzige wahre Lösung, die Trennung von Kirche und Staat, ist an sich sehr schwer, und mehrere Staaten wollen nicht mehr trennen, weil ihnen vor einer wirklich unabhängigen Religion und Kirche bange wäre. – Und gerade ebenso denkt in der Regel auch der Radikalismus.

Das protestantische Staatskirchentum, im Drang des XVI. Jahrhunderts von selber entstanden, hat seine Abhängigkeit vom Staate von Anfang an und oft bitter fühlen müssen. Ohne dasselbe aber wäre die Reformation in den meisten Ländern sicher wieder zugrunde gegangen, weil die Masse der Unentschiedenen sich bald wieder zur alten Kirche würde gehalten haben, und weil auch ohnedies die alte Kirche ihre Staaten gegen die der neuen würde ins Feld geführt haben. Das Staatskirchentum war schon um der Wehrhaftigkeit willen unvermeidlich.

Aber unvermeidlich war auch, daß die Kirche ein Zweig der Staatsregierung wurde. Gefürchtet und für den Staat ein Element der Macht, so lange er sie mit seiner Autorität deckte, wird sie seit der Aufklärungszeit mehr und mehr eine Verlegenheit für ihn, während er einstweilen ihr Notschirmer bleibt.

Sie wird es riskieren müssen, aus einer Staatskirehe zur Volkskirche zu werden, ja in mehrere unabhängige Kirchen und Sekten auseinanderzugehen, sobald einmal die Krisis des Staatsbegriffes weit genug gediehen sein wird. Einstweilen mag auch der protestantische Großstaat noch meinen, Geschäfte machen zu müssen mit seinem Kirchenschutz. Und undenkbar ist es nicht, daß diese Krisis wieder für lange Zeit durch Eintreten eines reinen Gewaltzustandes unterbrochen und verschoben wird. (Januar 1869.)

Hochgefährdet ist besonders die anglikanische Kirche mit ihrem Besitz, konstitutionellem Vorrecht und Hochmut, bei statistisch zählbarer Menge der Bekenner der rechtlosen Nebenkirchen.

Eine indirekte Sicherung erweisen die europäischen Großstaaten gegenwärtig allen von ihnen unterhaltenen oder geduldeten Religionen: ihre Polizei und Gesetzgebung macht das Aufkommen einer neuen Religion (welches ohne Vereinsrecht u.dgl. unmöglich ist) außerordentlich schwer, wenn sich überhaupt eine melden sollte.

Derjenige Staat, welcher seine Kirche im Innern am meisten zum Staatsinstitut umgeschaffen hat und sie zugleich zum politischen Werkzeug nach außen braucht, ist Rußland. Das Volk ist indolent und tolerant, aber der Staat proselytisch und (gegen den polnischen Katholizismus und den baltischen Protestantismus) verfolgend.

Die byzantinische Kirche dauert bei den Griechen als Ersatz und Stütze des byzantinischen Volkstums unter der Herrschaft der Türken auch ohne den Staat weiter. Aber wie würde es in Rußland mit Religion und Kultur ohne den Zwangsstaat aussehen? Die Religion würde wohl auseinanderlaufen in Aufklärung der wenigen und Schamanentum der vielen.


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