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4. Zur geschichtlichen Betrachtung der Poesie und der Künste

Der Rangstreit zwischen Geschichte und Poesie ist endgültig geschlichtet durch Schopenhauer. Welt als Wille und Vorstellung 2 I, 288 ff., II, 499. Die Poesie leistet mehr für die Erkenntnis des Wesens der Menschheit; auch Aristoteles hatte schon gesagt: χ φιλοσοφωτερον χαι σπουδαιοτερον ποιησισ ιστοριασ εοτιν(die Dichtung ist etwas Philosophischeres und Tieferes als die Geschichte), und zwar ist dies deshalb wahr, weil das Vermögen, welches der Poesie zugrunde liegt, an sich ein viel höheres als das des größten Historikers und auch die Wirkung, wozu sie bestimmt ist, eine viel höhere als die der Geschichte ist. Dafür findet die Geschichte in der Poesie eine ihrer allerwichtigsten Quellen und eine ihrer allerreinsten und schönsten.

Zunächst darf sie der Poesie dankbar sein für die Erkenntnis des Wesens der Menschheit überhaupt, sodann für die reichen Aufschlüsse über Zeitliches und Nationales. Die Poesie ist für die geschichtliche Betrachtung das Bild des jezuweilen Ewigen in den Völkern und dabei von allen einzelnen Seiten belehrend und überdies oft das einzige Erhaltene oder das Besterhaltene.

Betrachten wir sie nun erstlich nach ihrer äußeren Stellung in den verschiedenen Zeiten, Völkern und Volksschichten, indem wir jedesmal fragen: Wer singt oder schreibt und für wen tut er es? und sodann nach ihrem Stoff und Geist.

Vor allem erscheint die Poesie von höchster Bedeutung als Organ der Religion.

Der Hymnus verherrlicht nicht nur die Götter, sondern er deutet auf einen bestimmten Grad des Kultus, auf eine bestimmte Höhe des Priestertums hin, ob wir nun an die Hymnen der Arier am Indus denken oder an die Psalmen oder an die Hymnen des alten Christentums und des Mittelalters oder an das protestantische Kirchenlied als höchstes religiöses Zeugnis besonders des XVII. Jahrhunderts.

Eine der freisten und größten Äußerungen des ganzen alten Orients ist der hebräische Prophet und seine theokratischpolitische Paränese.

Der griechische Theogoniker (Hesiod) repräsentiert den Augenblick, da die Nation einen Zusammenhang ihrer unermeßlich reichen Mythen verlangte und erhielt.

Die schon am Beginn des VIII. Jahrhunderts vorhandene Wöluspa (Rede der Wöle = Offenbarung der Seherin) ist ein gewaltiges Zeugnis des mythologischen Gesanges bei den Skandinaven; sie umfaßt außer dem sonstigen Mythus auch noch den Weltuntergang und die Entstehung einer neuen Erde. Aber auch die folgenden mythologischen Lieder der Edda sind außerordentlich reich an Mythen und Gestalten und endloser Nomenklatur. Das Bild der irdischen und der überirdischen Welt, wiederum mit theogonischen Bestandteilen, stellt sich in der eigentümlichsten Phantasie gespiegelt dar; Man denke an Grimnismal und Vafthrudnismal. In letzterem examinieren einander Odin, der sich als Gangradr ausgibt, und der Riese Vafthrudnir über mythologische und theogonische Geheimnisse. Schließlich weiß der Riese, daß Odin ihn nun töten wird. der Ton ist willentlich rätselhaft, der echte Seherton.

Sodann kommen das Epos und seine Sänger. Es ersetzt die ganze Geschichte und ein großes Stück Offenbarung als nationale Lebensäußerung und Zeugnis ersten Ranges für das Bedürfnis und die Fähigkeit eines Volkes, sich selber typisch anzuschauen und darzustellen. Die Sänger, in welchen diese Fähigkeit im höchsten Grade lebt, sind große Männer.

Ganz verändert erscheint die Geltung des Epos, sobald die Zeit literarisch, die Poesie eine Literaturgattung und der ehemalige volkstümliche Vortrag zur Lektüre geworden ist; vollends aber, wenn die Scheidewand zwischen Höhergebildeten und Ungebildeten sich erhoben hat. Man darf sich höchlich wundern, daß Virgil bei alledem einen so hohen Rang einnehmen, die ganze Folgezeit beherrschen und mythisch werden konnte.

Wie gewaltig erscheint erst die Stufenreihe der Existenzen vom epischen Rhapsoden bis zum heutigen Romanschriftsteller!

In den verschiedensten Stellungen zur Welt finden wir die antike Lyrik: als Kollektivlyrik im Dienste der Religionen, als gesellige Kunst im Dienste des Symposions, dann (bei Pindar) als Ausruferin agonaler Siege, daneben als subjektive Lyrik (bei den Aeoliern), bis dann auch hier mit den Alexandrinern der Umschlag in eine Literaturgattung eintritt, was auch die römische Lyrik und Elegie vorherrschend sind.

Im Mittelalter wird die Lyrik hierauf zu einer wesentlichen Lebensäußerung des großen kosmopolitischen Adelsvolkes, sie wird in verwandter Weise bei Südfranzosen, Nordfranzosen, Deutschen und Italienern geübt, und die Art, wie sie an den Höfen herumgetragen wird, ist an sich schon ein kulturgeschichtliches Faktum hohen Ranges.

Bei den Meistersingern zeigt sich dann das Bestreben, die Poesie so lange als nur möglich in schulmäßigem, objektivem Betrieb zu erhalten. Endlich aber tritt – neben einer stets vorhandenen Volkspoesie, in welcher sich das Objektive anscheinend subjektiv gibt – die völlige Emanzipation der subjektiven Lyrik im neuern Sinne ein, verbunden mit dilettantischer Freiheit der Form und in einem neuen Verhältnis zur Musik, bei den Italienern noch kunstreich gepflegt unter der Aufsicht von Akademien.

Vom Drama wird besser nachher die Rede sein. Das Schicksal der neuern Poesie überhaupt ist ihr literaturgeschichtlich bewußtes Verhältnis zur Poesie aller Zeiten und Völker, welcher gegenüber sie als Nachahmung oder Nachklang erscheint. Was aber die Dichter betrifft, so dürfte es sich wohl lohnen, der Persönlichkeit des Dichters in der Welt und ihrer enorm verschiedenen Geltung von Homer bis heute einmal eigens nachzugehen.

Betrachten wir nun die Poesie nach ihrem Stoff und Geist, so ergibt sich zunächst folgendes: Sie ist ohnehin oft lange die einzige Form der Mitteilung, so daß man sogar von einer unfreien Poesie reden könnte; sie ist selber die älteste Geschichte, und auch den ganzen Mythus der Völker erfahren wir meist in poetischer Form und als Poesie; ferner ist sie als gnomische, didaktische Poesie das älteste Gefäß der Ethik, im Hymnus verherrlicht sie direkt die Religion; als Lyrik endlich verrät sie unmittelbar, was den Menschen der verschiedenen Zeiten groß, wert, herrlich, schrecklich war.

Nun kommt aber die große Krisis in der Poesie: In den frühern Perioden sind der Stoff und die notwendige strenge Form enge miteinander verbunden; die ganze Poesie bildet nur eine national-religiöse Offenbarung; der Geist der Völker scheint direkt, objektiv zu uns zu reden, so daß die Stellung des Volksliedes und der Volksballade von Herder mit dem Worte »Stimmen der Völker in Liedern« richtig gekennzeichnet erscheint; der Stil erscheint als ein gegebener, aus Inhalt und Form untrennbar gemischt.

Dann folgt bei allen höheren Kulturvölkern, deren Literatur wir in einiger Vollständigkeit besitzen, auf einem bestimmten Stadium der Entwickelung – bei den Griechen möchte die Grenzscheide etwa Pindar bezeichnen – die Wendung der Poesie vom Notwendigen zum Beliebigen, vom allgemein Volkstümlichen zum Individuellen, von der Sparsamkeit der Typen zum endlos Vielartigen.

Von da an sind die Dichter in einem ganz anderen Sinne Kunden ihrer Zeit und Nation als früher; sie offenbaren nicht mehr den objektiven Geist derselben, sondern ihre eigene Subjektivität, welche oft eine oppositionelle ist, sind aber als kulturgeschichtliche Zeugnisse ebenso belehrend wie die früheren, nur von einer andern Seite.

Dies offenbart sich besonders in der freien Wahl, auch in Neuschöpfung der Stoffe. Früher hatte eher der Stoff den Dichter gewählt, das Eisen hatte gewissermaßen den Mann angezogen, jetzt ist es umgekehrt.

Hoch ist hier die geschichtliche Bedeutung des Eindringens der Artussage in die ganze Epik des dichtenden okzidentalischen Adelsvolkes anzuschlagen, woneben bei den Deutschen die ganze alte Volkssage, bei den Welschen die Karlssage relativ ins Dunkel zurücktrat. Der Stil verharrte, aber im Gegenstand entwich man der Einzelnationalität. Und unter diesen Dichtungen des Artuskreises gibt es einen deutschen Parzival.

In der Folgezeit gehört es zu den wichtigsten Zeugnissen für jedes Jahrhundert, für jede Nation: was sie verlangt, gelesen, rezitiert, gesungen haben.

Der altgermanische Sagenkreis, der Karlskreis und der Artuskreis hatten dann in Dichtung und Prosaroman bei Franzosen, Deutschen und Italienern mannigfache Schicksale; in einem gewissen Grad behauptete sich auch die Legende daneben, und zugleich läßt sich das Aufkommen und stellenweise Überwiegen der Fabliaux, Tales, Schwänke und Novellen, das Breittreten der Tierfabel usw. beobachten, während das Märchen seine besondere kulturgeschichtliche Bedeutung für den neuern Orient hat. Endlich erfährt der Karlskreis eine ganz neue stilistische Behandlung bei den großen Italienern (Bojardo, Ariost); wir finden hier ein fast völlig freies Weiterersinnen des Stoffs in klassischer Form. Dann kommt der Ausgang des Epischen in den Roman, der je nach dem Grade seiner Herrschaft und seines Inhalts und nach der Beschaffenheit seines Leserkreises sein ganzes Zeitalter charakterisieren hilft. Er ist wesentlich die Dichtung für isoliertes Lesen. Nur hier stellt sich auch der quantitative Hunger nach stets neuem Stoffe ein. Er mag die einzige Form sein, unter welcher die Poesie derjenigen großen Masse, die sie zu Lesern wünscht, noch nahe kommen kann: als breitestes Bild des Lebens mit beständiger Anknüpfung an die Wirklichkeit, also dem, was wir Realismus nennen. Mit dieser Eigenschaft findet er sogar internationale Leserkreise; ein Land liefert nicht mehr genug, und das Publikum ist überreizt geworden; darum besteht ein Austausch (freilich ein sehr ungleicher) zwischen Frankreich, Deutschland, England und Amerika.

Hier ist nun auch des Dramas sowohl nach seiner äußeren Stellung als nach Stoff und Geist zu gedenken. Dieses beweist schon durch sein Dasein und durch die Art seiner Geltung einen bestimmten sozialen Zustand, und zwar meist im Zusammenhang mit dem Kultus. Vollends aber nach seinem Inhalt ist es eines der größten Zeugnisse für die betreffenden Völker und Zeiten, nur aber eben deshalb kein unbedingtes, weil es eines Zusammentreffens glücklicher Umstände bedarf und selbst bei der höchsten Anlage des betreffenden Volkes durch äußere Hindernisse gehemmt, ja getötet werden kann. Es hat bisweilen – man denke an das englische Theater und die englische Revolution – seine tödlichen Feinde, was aber nur wieder ein Beweis seiner Kraft und Wichtigkeit ist. – Eine wesentliche Voraussetzung für seine Möglichkeit besteht auch in der Existenz von Aufführungen und Theatern. Um des bloßen Lesens willen wäre das Drama nie entstanden.

Die Anlage zum Dramatischen steckt tief im Menschen, wie schon das Drama der Halbkulturvölker lehrt, das etwa durch Pantomimen mit Geheul und Gymnastik eine possenhafte Nachahmung des Wirklichen erstrebt.

Das chinesische Drama geht nicht über bürgerlichen Realismus hinaus. Was wir von dem relativ spät und vielleicht erst auf griechische Einwirkung hin entstandenen indischen kennen, ist eine Kunstpoesie von kurzer Blütezeit; Die Gründe seiner nur mäßigen Entwickelung s. bei Weber, Weltgesch. I, S. 309 ff. der Ursprung ist zwar auch hier ein religiöser, die Feste des Wischnudienstes; aber man brachte es zu keinem Theater. Seine Hauptbeschränkung – und in dieser Beschränkung ist es lehrreich – besteht in dem geringen Wert, der auf das Erdenleben und dessen Kämpfe gelegt wird, und in dem mangelnden Bewußtsein einer starken, mit dem Schicksal ringenden Persönlichkeit.

Das attische Drama dagegen wirft Ströme von Licht auf das ganze attische und griechische Dasein. Zunächst war die Aufführung eine soziale Angelegenheit ersten Ranges, agonal im höchsten Sinne, die Dichter im Wettstreit untereinander, was dann freilich alsbald zum Mitbewerb von Dilettanten Der μυρια μειραχυλλια bei Aristoph. Frösche 89 f. führte. Und sodann hat man es hier in Bezug auf Stoff und Behandlung mit jener mysteriösen Entstehung der Tragödie »aus dem Geiste der Musik« zu tun. Der Protagonist bleibt ein Weiterhall des Dionysos, und der ganze Inhalt ist nur Mythos, mit Vermeidung der sich öfter herandrängenden Geschichte. Es herrscht ein fester Wille, das Menschliche nur in typischen, nicht in wirklichkeitsgemäßen Gestalten zur Darstellung zu bringen und, damit verbunden, die Überzeugung von der Unerschöpflichkeit der göttlich-heroischen Vorzeit.

Was brauchte es ferner, bis aus den kleinen dionysischen Begehungen eine alte attische Komödie wurde, jenes wesentliche Lebensorgan einer geistig unerhört aufgeregten Zeit und Stadt! Sie ist auf ein späteres Theater nicht verpflanzbar; kosmopolitisch mitteilbar waren erst die mittlere und neuere Komödie mit Ständekomik und Liebesintrige. Diese gingen zu den Römern über und bildeten endlich die Basis auch des neueren Lustspiels, sind aber nirgends wesentliche Lebensorgane geworden, ohne welche man sich die Völker nicht denken könnte. Bei den Römern war das Theater ohnehin frühe die Stätte einer abgestumpften Schaulust, welche der Tod der dramatischen Poesie ist.

Als sie im Mittelalter wieder erwachte, war nur Geistliches als Stoff möglich. Das antike Theater war seit den Kirchenvätern in tiefster Verdammnis, die Schauspieler (histriones) waren zwar vorhanden, aber so gut wie ehrlos. Capitulare anni 789. – Auch St. Thomas von Aquino äußert sich in diesem Sinne. Man spielte also in den Klöstern und dann auch in den Städten, in Kirchen oder auf freien Plätzen Weihnachts- und Osterspiele (ludi de nativitate Domini, ludi paschales). So kommt eine Religion, welche den Drang hat, sich (in Zyklen von Malereien, Portalskulpturen, Fenstern usw.) tausendfach bildlich auszuprägen, in völlig naiver Weise auch auf die Dramatisierung der heiligen Geschichte und Legende; von ihren theologischen Lenkern aus gesellt sich auch ein starker allegorischer Bestandteil hinzu.

Dabei war man aber im Vergleich mit der Stellung der attischen Tragödie zum Mythus und seiner freien Vielgestaltigkeit unfrei. Die attische Tragödie wollte das allgemein Menschliche in idealen Gestalten sprechen lassen; das Mysterium (eigentlich ministerium) des Mittelalters war und blieb ein Stück des Kultus und an eine bestimmte Geschichte gebunden.

Die Weltlichkeit der Schauspieler (Bürger und Handwerker) und der Zuschauer begnügte sich auf die Länge unmöglich hiermit; es entstand die allegorisch-satirische »Moralität«, es kamen auch die Stücke aus dem alten Testament und aus der profanen Geschichte, und in die heilige Geschichte selbst drängten sich Genreszenen, selbst solche unflätiger Art, hinein, bis endlich der Schwank usw. sich als besondere Gattung lostrennen konnte.

Während dessen vollzog sich in Italien die Trennung vom Mysterium wesentlich durch Nachbildung der antiken Tragödie und durch eine äußerlich an Plautus und Terenz angelehnte Komödie. Und nun kam mit der Zeit überall der Übergang von der gelegentlichen festlichen Aufführung zur regelmäßigen, geschäftlichen, vom Spiel der Bürger zu dem der Schauspieler.

Wenn wir nun fragen, wie weit und in welchem Sinne das Theater bei den verschiedenen Völkern des Okzidents national oder wenigstens populär geworden sei, so hätten wir zunächst wieder an Italien zu denken. Aber den späten Italienern war trotz der notorisch großen Schauspielerbegabung der Nation die Blüte des ernsten Dramas versagt; an seine Stelle trat die Oper. Anderswo blieb der Stand der Schauspieler unehrlich und daher auch die teilnehmenden Schichten im Publikum fraglich; das Beispiel der Höfe half nicht jedermann über die Bedenken hinweg. Selbst Shakespeares Stellung war (nach Rümelins Resultaten) außerordentlich bedingt. Das englische Theater war auf London und den Hof beschränkt, womit schon der Anspruch auf den Terminus »Nationalbühne« wegfällt, in London selbst aber vom besseren Bürgerstand gemieden, gehalten bloß von vornehmen jungen Herrn und von den geringeren erwerbenden Klassen, tödlich gehaßt von denjenigen, welche bald den ganzen Staat in die Hände bekommen sollten. Und Shakespeares eigene dramatische Richtung sollte noch vorher durch eine andere (die Charakterkomödie des Beaumont und Fletcher) verdrängt werden.

Viel nationaler in allen seinen Richtungen (mit Einschluß der autos sacramentales), hierin das volle Gegenbild des griechischen, ist das spanische Drama, so daß man sich die Nation ohne dasselbe nicht denken könnte. Der Hof hatte zwar auch seine Truppe; aber das Theater hing nicht vom Hof, auch nicht vom Luxus der großen Städte, sondern vom Geschmacke der Nation ab, in welcher schauspielerische Begabung übrigens auch stark verbreitet ist. Ferner waren die Autos bleibend (und zwar bis in unser Jahrhundert hinein) mit dem Kultus verknüpft, was nicht hinderte, daß sie in ein sehr reichlich repräsentiertes Lustspiel moderner Gestalten ausmündeten.

Was das europäische Drama und Theater im XVIII. Jahrhundert betrifft, so fällt seine Depopularisierung und wachsende Beschränkung auf größere Städte (in Frankreich fast nur Paris) in die Augen. Zugleich aber treten jetzt berühmte Schauspieler, bald von europäischem Rufe, hervor. Die wirklichen Aufführungen und deren Bedürfnis fangen an, von dem dramatischen Schaffen überwogen zu werden, so daß das Drama eine Literaturgattung außerhalb der Szene wird, wie ja auch das spätere Athen Lese- oder wenigstens Rezitierdramen gehabt hatte. Endlich meldet sich in der dramatischen Literatur (mit Diderot u.a.) das Tendenziöse. Im XIX. Jahrhundert und speziell in der Gegenwart stellt sich das Theater als Zerstreuungsort dar, sowohl für die Trägen als für die Müdegearbeiteten. Seine Konkurrenzen im Treiben der großen Städte sind das Spektakelstück, die Feerie und besonders die Oper. Die Theater werden riesig groß, und feinere Wirkungen werden schon hierdurch oft verbannt; die grelleren dramatischen Effekte sind beliebt und werden noch übertrieben; das Drama ist zum Geschäft geworden, wie jetzt der Roman und noch so vieles, das noch Literatur heißt.

Dafür wissen wir aber theoretisch besser, was in der ganzen dramatischen Poesie gut war und warum.

Fraglich ist aber heute überhaupt, wie weit der Geist der modernen Nationen nach ihrem Bedürfnis zu beurteilen sei, ein objektives Idealbild des Lebens von der Szene her in sich aufzunehmen.

Hier mögen nun noch einige Worte zur geschichtlichen Betrachtung der übrigen Künste angeschlossen werden, wobei wir allerdings vom Verhältnis der jeweiligen Menschheit zur Musik absehen wollen, das wieder eine Welt für sich ist. Eine solche ist aber auch ihr Verhältnis zu den bildenden Künsten, und es erhebt sich die Frage: Wie spricht die Geschichte durch die Kunst?

Es geschieht dies vor allem durch das Baulich-Monumentale, welches der willentliche Ausdruck der Macht ist, sei es im Namen des Staates oder dem der Religion. Aber man kann sich mit einem Stonehenge begnügen, wenn nicht in dem betreffenden Volke das Bedürfnis vorhanden ist, in Formen zu sprechen.

Durch dies Bedürfnis entstehen die Stile; aber der Weg vom religiös-monumentalen Wollen bis zum Vollbringen, bis zu einem Parthenon und Kölner Dom ist ein weiter.

Und dann meldet sich das Monumentale in Schloß, Palast, Villa usw. auch als Lebensluxus. Es ist hier zugleich Ausdruck und wiederum Anregung bestimmter Stimmungen, beim Besitzer jenes, beim Beschauer dieses.

So spricht der Charakter ganzer Nationen, Kulturen und Zeiten aus ihrem Gesamtbauwesen als der äußeren Hülle ihres Daseins.

Die Kunst ist in den religiösen, monumentalen, naiven Zeiten die unvermeidliche Form alles dessen, was für den Menschen heilig oder mächtig ist, und so prägt sich auch in Skulptur und Malerei vor allem die Religion aus, und zwar erstlich in Typen, indem Ägypter, Orientalen, Griechen, Mittelalter und neuere Kunst das Göttliche oder wenigstens das Heilige jedesmal in der ihnen gemäßen Gestalt einer erhöhten Menschheit darstellen, und zweitens in Historien, wobei die Kunst zu dem Zweck entsteht, das Wort in der Erzählung des Mythus, der heiligen Geschichte und Legende gleichsam abzulösen. Dies sind ihre größten, dauernden, unerschöpflichen Aufgaben, an welchen sich ihr Maßstab überhaupt ausbildet, wo sie kennen lernt, was sie kann.

Aber auch hier, in Skulptur und Malerei, wird dann die Kunst Lebensluxus; es entsteht eine profane Kunst, zum Teil weltlich-monumental, im Dienste der Macht, zum Teil im Dienste des Reichtums; Nebengattungen wie Porträt, Genre, Landschaft lösen sich ab, besondern einzelnen Vermögen und Bestellern entsprechend; auch hier wird die Kunst Ausdruck von Stimmungen und Anregung zu solchen.

In den abgeleiteten oder Spätzeiten sodann glaubt der Mensch, die Kunst diene ihm; er braucht sie zur Pracht und beutet bisweilen mehr ihre Neben- und Zierformen als ihre Hauptformen aus; ja sie wird Gegenstand von Zeitvertreib und von Geschwätz.

Neben dem allem aber wird sie sich ihrer hohen Stellung bewußt als eine Macht und Kraft für sich, welche nur der Anlässe und flüchtiger Berührungen aus dem Leben bedarf, dann aber von sich aus ein Höchstes verwirklicht.

Das Innewerden dieses gewaltigen Mysteriums ist es, was uns die Person des großen Künstlers, in welchem sich dies alles vollzieht, in so gewaltige Höhe und Ferne rückt, ob nun der Ausdruck der eines unmittelbaren Volksgeistes, einer Religion, eines Höchsten, das einst geherrscht – oder eine ganz freie Schwingung eines individuellen Geistes sei. Daher die magische Gewalt (und heute die hohen Preise) der Originale.


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