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Die Anfänge der neuern Porträtmalerei

10. März 1885.

Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Manuskript, 14 Quartblätter, im Jac. Burckhardt-Archiv, Nr. 171.

 

Ein ruhmvoller Zweig der Malerei ist gegenwärtig zwar nicht am Absterben begriffen, doch ist seine Ausübung sehr viel seltener geworden: Die malerische Darstellung des Individuums, einzeln oder als Gruppe von mehreren. Bei der Zeitbedrängnis und Eile, in welcher wir leben, wird das Bildnis im ganzen einem mechanischen Verfahren, der Photographie, überlassen. Wir stehen der Porträtmalerei im Grunde schon wie einem historisch abgeschlossenen Ganzen gegenüber. Möge es gestattet sein, die Anfänge dieser Gattung in einer kurzen Uebersicht zu verfolgen.

Wir werden uns dabei nicht ausschließlich auf das gemalte Einzelporträt beschränken dürfen; in vielen und verschiedenen Weisen hat von jeher die Verewigung des Einzelmenschen, sei es für ihn oder für andere, als wünschbar gegolten. Unser Thema wird sich daher erweitern müssen zu einem Ueberblick der Geschichte der Aehnlichkeit, des Vermögens und des Willens, dieselbe hervorzubringen.

Gerne wird hier verzichtet auf die Porträtkunst des ganzen Altertums; aus der griechischen Zeit ist uns ja ohnehin nur das plastische Bildnis, sei es Hermenbüste oder Statue, erhalten und wir werden uns hüten, hier und für heute jenes große Thema zu berühren, welches Verrechnung zwischen Aehnlichkeit und höherer Auffassung heißt. Die einzige Statue des Sophokles im Museum des Laterans könnte endlose Betrachtungen hervorrufen. Immerhin müssen wir betonen, daß auch das gemalte Porträt nicht fehlte. In Theben soll laut Staatsbeschluß den Malern wie den Bildhauern vorgeschrieben gewesen sein, die dargestellten Leute zu veredeln und eine Geldbuße traf die Verhäßlicher Aelian V. H. IV, 4..

Im Hinblick auf die Gesetzmacherei der Griechen in den Zeiten des Verfalles ist diese Notiz durchaus nicht zu verwerfen; wichtiger aber ist eine andere Aussage, laut welcher das ohne Zweifel gemalte, nicht gemeißelte Porträt bei den wohlhabenden Athenern des III. Jahrhunderts vor Christus schon eine allgemeine Sitte gewesen wäre. Bei Theophrast Cap. 2. gehört es zu den üblichen Komplimenten eines athenischen Schmeichlers an seinen Herrn: Das Haus sei hübsch gebaut, das Landgut herrlich angepflanzt und das Porträt ähnlich, was nicht von einer Büste oder Herme, sondern von einem Gemälde zu verstehen ist Späterer Nachtrag: Hieher: die neuern Mumienfunde mit Porträttafeln, durch Graf etc..

Vollends sorgten die Römer für ihre Einzelverewigung mit dem äußersten Luxus bis zur großen Gemme in Sardonyx. In der letzten Zeit des römischen Reiches beginnen bereits die historischen Persönlichkeiten in noch erhaltenen Mosaiken der Kirchen, die Bilder der Kaiser und Konsuln auf den elfenbeinernen Diptychen, und die aus aufgelegten Goldblättchen durch Schaben hervorgebrachten Porträts im Boden gläserner Gefäße, die sogenannten Fondi d'oro.

Die nächstfolgenden Zeiten waren, abgesehen vom oströmischen Reiche, die einer tiefen Barbarisierung der Kunst. Ein ganzer Zweig der zivilisierten Menschheit, die islamitische Welt, verbot sich jede menschliche Darstellung, sodaß wir nur durch Beschreibungen in Worten erfahren, wie die berühmten Mohammedaner ausgesehen haben Späterer Nachtrag: Was immerhin beweist, daß man ihre Porträts gerne gehabt hätte..

Im Abendland aber haben die Menschen ohne Zweifel beständig Verlangen danach gehabt, abgebildet zu werden, und zu einer Zeichnung eines Angesichtes von oberflächlicher Aehnlichkeit gehört bekanntlich nicht viel und manches Kind kann sie heutzutage erreichen. Aber die Köpfe auf den Münzen des ersten Jahrtausendes zeugen von einem ganz unglaublichen Ungeschick, und wenn irgendwo ein leidlich charakteristischer Porträtkopf in jenen Zeiten gelungen ist, so wird sich derselbe höchstens in den Miniaturen der Handschriften finden. Diesen verdanken wir die annähernd genau überlieferten Züge Karls des Großen, Karls des Kahlen und anderer mehr. In der Regel aber wird auch in den Miniaturen nur Kostüm oder Ornat genau, der Kopf konventionell und ohne Anspruch auf Aehnlichkeit gegeben sein.

Vom zweiten Jahrtausend an erwachten die Künste wieder und nahmen bald unter der Anführerschaft der Architektur einen Aufschwung in das Erhabene. Es sollte noch recht lange dauern, bis das Porträt zu selbständigen Kräften kommen würde, obschon, wie gesagt, an einem beständigen Verlangen danach nicht zu zweifeln ist, indem beständig einzelne Individuen abgebildet wurden. Erwägt man nämlich die Voraussetzungen, unter welchen dies in der Regel geschah, so wird man noch nicht ein individuell vollendetes Porträt erwarten. Es handelt sich um die Darstellung des Verstorbenen auf seinem Grabe vom bloßen eingegrabenen Contour bis zum Relief und bis zur vollen Rundskulptur, um die Darstellung des Lebenden als Stifters im gemalten Fenster oder im Altargemälde.

Unleugbar gibt es einzelne Grabfiguren, welche eine individuelle Aehnlichkeit haben und eine der merkwürdigsten von diesen ist wohl die in starkem Relief gehaltene Erzplatte im Dom von Merseburg, welche den in der Nähe (1080) gefallenen Gegenkönig Rudolph von Rheinfelden darstellt und höchst wahrscheinlich bald nach seinem Tode entstanden ist. Späterer Nachtrag: Doch bei den Statuen vielleicht schon frühe die Benützung der Totenmasken.

Uebersieht man aber die gewaltige Anzahl von Sarcophagstatuen, Reliefgestalten und Contourgrabplatten in Stein und Erz, welche aus dem XII., XIII. und XIV. Jahrhundert auf uns gekommen sind und zwar in den Kirchen des ganzen Occidentes, so drängt sich bald die Ueberzeugung auf, daß die Porträtähnlichkeit des Kopfes die Ausnahme, ja bis tief ins XIV. Jahrhundert eine seltene Ausnahme ist. Bei Lebzeiten war der Betreffende schwerlich abgebildet worden, und der Meister des Grabmals war etwa bestenfalls auf eine persönliche Erinnerung angewiesen; er war hergekommen von der großen Steinskulptur, welche damals Portale, Strebepfeiler und Innenpfeiler der Kirchen mit heiligen Gebilden versah, mit Gestalten des alten und neuen Bundes, mit Aposteln, Schutzpatronen und Engeln, alle in einem idealen oder wenigstens typisch übereinkömmlichen Stil. Diese Behandlungsweise ging dann von selbst in hohem Grade auch auf die Grabfiguren über, welche gleichsam eines Geschlechtes mit den Heiligen sind. Ferner hat man es mit einer Zeit zu tun, da das Bewußtsein des Standes, der sozialen Gruppe, zu welcher der einzelne gehörte, beinahe noch wichtiger war als seine Individualität; daher beim Prälaten, beim Fürsten, beim Ritter, bei den Edeldamen es mehr auf die standesgemäße Tracht, das bischöfliche Pluviale, die Rüstung, den Helm, den Mantel und Schmuck der Frauen, als auf die Genauigkeit der Gesichtszüge ankam. Wenn sie nur, einzeln und insgesamt, wie zum Beispiel die herrliche Reihe von Grabsteinen der thüringisch-hessischen Landgrafen in der St. Elisabethenkirche zu Marburg, ein stattliches Geschlecht darstellten! In Italien allerdings werden seit Ende des XIII. Jahrhunderts die Grabstatuen, welche Aehnlichkeit der Gesichtszüge zu versprechen scheinen, häufiger, allein bei näherem Nachsehen wird man selbst an Papstgräbern, selbst in den lebendigsten Köpfen noch eher das Typische vorherrschend finden Wohl aus späterer Zeit am Rande ein Fragezeichen von Burckhardts Hand. und sich daran erinnern, daß in der gleichzeitigen Malerei, auch als die Einwirkung Giottos ganz Italien durchdrungen hatte, das Individuelle sich nur selten und ganz allmählich einstellte.

Weiter ist zu erwägen die große Unbefangenheit, mit welcher man bei Zerstörung oder Umbau von Kirchen längst Verstorbenen neue Grabmäler errichtete und dem Kopf dabei beliebige Züge aus der Kunst des XIII. und XIV. Jahrhunderts gab. König Ludwig der Heilige verherrlichte um 1264 in St. Denis eine ganze große Reihe von Merowingern, Carolingern und Capetingern durch neue Monumente dieser Art. Bald hernach ließ ein kunstsinniger Abt von St. Emmeram in Regensburg eine Anzahl uralter Gräbersteine seiner Abtei mit neuen Statuen versehen, darunter diejenige des Ortsheiligen selber und dieser heilige Emmerammus ist eines der herrlichsten Werke der Zeit um 1300 geworden. In unserer Nähe, im Freiburger Münster, findet sich die Grabstatue des letzten 1218 verstorbenen Zähringers, und aus Gründen des geschichtlichen Interesses würden wir so sehr wünschen, daß sie gleichzeitig wäre, müssen aber bekennen, daß sie wahrscheinlich im XIV. Jahrhundert beim Abbruch der frühern Ruhestätte des Herzogs im alten Chor, neu und von aller Erinnerung unabhängig, gearbeitet wurde. Im hiesigen Münsterchor ist das Grab der Königin Anna und ihres Söhnchens erst nach dem Erdbeben neu geschaffen worden.

Es bleibt wohl dabei, daß die frühsten völlig individuellen Steinskulpturen nicht einmal die Gräber des Hauses Plantagenet im Chor von Westminster, sondern niederländisch-burgundischen Ursprunges sind: eine Anzahl von Grabplatten in Tournay, in welchen die deutliche Bezeichnung der Gewandstoffe und der Hautfalten zugleich eine Gewähr der Gesichtsähnlichkeit enthält, sodann die hochwichtigen Meisterwerke von Dijon. Hier sieht man an dem übelzugerichteten Portal der Karthause den Herzog Philipp den Kühnen und seine sehr schöne Gemahlin Margaretha Flandrica knieend zwischen ihren Schutzheiligen dargestellt, offenbar mit völliger Lebenswahrheit; im Musée findet sich dann die Grabstatue des Herzogs, überaus fein durchgeführt, bemalt und von fast befremdlicher Wirklichkeit, das Werk eines Niederländers: Claux Sluter. Dies sollten die Anfänge werden zu einer großen Nachfolge.

Eine scheinbar größere innere Gewähr der Aehnlichkeit als die Grabmäler hat die Darstellung der Stifter bei Lebzeiten, und wir wollen nicht leugnen, daß die Glasmaler des XIII. und XIV. Jahrhunderts, welche am untern Saume oder auch nur in der untern Ecke der gewaltigsten Kirchenfenster die knieenden Gestalten der Donatoren anzubringen hatten, bisweilen ganz deutlich nach individueller Kenntlichkeit gestrebt haben. Allein die stenographisch abkürzende Art des ganzen Vortrages gestattete nur eine sehr äußerliche, summarische Wiedergabe der Gesichtszüge, und bei Fürsten und Großen, welche in der Ferne weilten, wird man in der Regel auch hier mit der Beobachtung der Standestracht vorlieb genommen haben. Von den sieben knieenden Herzogen und Herzoginnen von Oesterreich in den Fenstern von Königsfelden mögen kaum einzelne eine Gesichtsähnlichkeit in Anspruch nehmen dürfen. Dasselbe mag schon von den hundert Jahre ältern Stiftergestalten in den Fenstern der Kathedrale von Chartres gelten.

Nur in den seltenen Altartafeln des XIV. Jahrhunderts wird den Stiftern, wo sie mit angebracht sind, eine wirkliche Porträtähnlichkeit, welche das nähere des Charakters wiedergibt, zuzugestehen sein. Allein man sieht der Arbeit noch eine ungemeine Anstrengung und geringe Geschicklichkeit an, auch sind Späterer Nachtrag: Figurinen kniend, im Profil. die betreffenden Figuren kleineren Maßstabes als die Heiligen und Historien des betreffenden Bildes; man würde sich gescheut haben zumal vor einer lebensgroßen Anwesenheit und gab sich damit zufrieden, der Fürbitte sowohl der Heiligen als der Andächtigen bei Gott und der heiligen Jungfrau irgendwie empfohlen zu sein. Die sichersten Porträts damaliger Persönlichkeiten finden wir aber wiederum in den Miniaturen der kostbarsten Bücher jener Zeit.

Was dagegen noch im ganzen XIV. Jahrhundert, im Süden wie im Norden fehlt, ist das einzeln für den Privatbesitz bestellte gemalte Bildnis.

Dies alles wurde wie mit einem Zauberschlage anders seit dem Beginn des XV. Jahrhunderts.

Durch eine geheimnisvolle Strömung, welche in Italien zuerst die florentinische, im Norden zuerst die flandrische Kunst gleichzeitig ergriff, kam damals die Kraft und der Wille empor, die ganze Lebenswahrheit darzustellen. Die Florentiner von Uccello und Masaccio an gewannen den Hergängen eine volle dramatische Lebendigkeit, den einzelnen Gestalten den vollen Ausdruck des bewegten physischen und geistigen Daseins, der Erscheinung überhaupt die perspektivische Richtigkeit ab. Im Norden hatten jene Bildhauer von Tournay und Dijon das Zeichen der Lebenswirklichkeit gegeben; jetzt unter Führerschaft des mächtigen Brüderpaares Hubert und Johann van Eyck, mit Hilfe einer plötzlich errungenen Klarheit und Leuchtkraft der Farbe, erhob sich eine miniaturfeine Malerei bis zu einer völlig individuellen Beseelung der einzelnen Physiognomien, bis zu einer völlig täuschenden Wiedergabe der Oertlichkeit, der Stoffe und alles Materiellen überhaupt. Nur der feste Wille, dennoch ein ideales, heiliges Dasein darzustellen, hielt diese Meister über der Gefahr, in das alltägliche zu versinken. Ihre Wirkung war zunächst bei weitem größer als die der Italiener; nicht nur ergab sich die ganze niederländische Kunst ihrem Stil, sondern der ganze Occident, auch Spanien und Portugal und vor allem Deutschland eigneten sich davon an, was sie nur irgend konnten. Alle diese Länder verzichteten auf ihren bisherigen Ausdruck des Schönen und Heiligen; alle ihre bisherige gothische Darstellungsweise in Malerei und Skulptur muß den Leuten wie ausgelebt und konventionell vorgekommen sein. Selbst Italien empfand im XV. Jahrhundert eine starke Einwirkung durch flandrische Bilder, in einer Zeit, da es noch weit entfernt war, dieselbe zurückzugeben.

Mit der völligen Individualisierung des Menschen in der flandrischen Malerei war nun auf einmal die Kunst des Porträts mit entdeckt. Die Gestalten des großen Genter Altarwerkes, stückweise teils noch in St. Bavon zu Gent, teils in Berlin und Brüssel, beruhten auf neuen, unerhörten Studien nach der Natur, und wenn auch die Maria des Hubert van Eyck noch eine aus dem Innern kommende, ideale Schöpfung sein mochte, so sind doch die Modelle des Gottvater, des Täufers Johannes in der Nähe des Meisters unzweifelhaft lebendig vorhanden gewesen; in den figurenreichern Einzeltafeln des mächtigen Werkes finden wir dann jene zahllosen Köpfe aus der wirklichen Umgebung der beiden Brüder, ja ihre eigenen Porträts in der Reitergruppe der gerechten Richter, von der Hand des Jüngern Bruders Johann. Für diese und alle ihre übrigen Schöpfungen wählten sie mit festem Blick aus dem Volke, das sie umgab, die Menschen, welche ihnen irgendwie zusagten, den vornehmen Baron, den glänzenden Ritter, den Soldaten, den Kaufherrn und Bürger, den Bettler, den Prälaten, den Priester, den Einsiedler, die Nonne und die Begine. Ihr Maßstab war keineswegs derjenige der möglichsten Schönheit, auch nicht der der höchsten Energie, sondern eher derjenige einer gewissen Redlichkeit. Johann van Eyck war bei seinen spätern Marienbildern von Modellen abhängig, welche man nie für schön, nur für traulich-angenehm gehalten haben würde; allein man glaubt das Leben selbst vor sich zu sehen. Bei ihm und seinen besten flandrischen Nachfolgern bemerkt man übrigens, daß sie an einmal für vorzüglich befundenen Modellen gerne festhielten – es läßt sich aber auch denken, daß dies nicht ganz freiwillig geschehen sein möchte, und daß Leute aus dem Volke sich scheuten, dieser ganz neuen, ungewohnten Zauberkunst herzuhalten, welche ihnen die Seele aus dem Leibe malte und sie dabei als Heilige, als allegorische Gestalten und dergleichen auftreten ließ. Das erwünschte Modell war rar zu haben.

Von den untern Tafeln des Genter Altarwerkes sind aber zwei ausschließlich den fast lebensgroßen, knieenden Gestalten des Stifters Jodocus Vydt und seiner Gemahlin Elisabeth Burluut gewidmet, und hier vielleicht zum erstenmal tritt das moderne Porträt auf dem neutralen Grunde einer steinfarbenen Nische uns unmittelbar entgegen. Es ist einer derjenigen Fälle in der Kunstgeschichte, da eine Erfindung gleich mit dem ersten Sprunge bis nahe an die höchste Vollkommenheit gelangt. Das Ergreifen des Charakters und die Mittel der Darstellung sind in gleichem Maße staunenswert. Vor allem muß konstatiert werden, daß das abendländische Porträt hier als ein völlig naives Kunstwerk auf die Welt gekommen ist; das Ehepaar ist erfüllt von Andacht und Ernst; aber von den wirklich vorhandenen Zügen ist diesen Köpfen nichts erspart; keine sogenannte höhere Auffassung hat sich zwischen sie und den Beschauer hineingelegt; wir wissen ganz genau, wie der reiche Genter Kaufherr Vydt ausgesehen hat: intelligent, aber besorglich, wie es der vielleicht gefahrvolle Erwerb und das kluge Zusammenhalten seines Reichtums mit sich bringen mochte, dabei innerlich abhängig – in dem andern Bilde die mächtig feste und entschlossene Elisabeth Burluut in einfachem violettem, grüngefüttertem Gewande und weißem Kopftuch. Ihre Züge sagen, daß sie nicht nur der Halt ihres Gemahls, sondern auch wohl der bestimmende Teil im Hause gewesen und dann möchte sie auch wohl über die Stiftung des unvergleichlichen Altarwerkes hauptsächlich entschieden haben.

Es war nur eine reiche Genterin, und nun sehen wir uns mit Begier um nach Bildnissen des regierenden Hauses, nach jenem Philipp dem Guten, Herrn von Burgund und den Niederlanden, welcher ja spätestens seit 1426 den Johann van Eyck in seinem persönlichen Dienst hatte und ihn auf das höchste schätzte. Wir erwarten wenigstens Nachrichten von Altarwerken, welche der Stiftung des Genter Kaufherrn ebenbürtig gewesen sein müßten; allein Nachrichten und Denkmäler, Heilige und Porträts bleiben hier völlig aus, obgleich Hubert van Eyck 7 Jahre, Johann 21 Jahre unter Philipp gelebt haben. Der damals noch bis 1435 dauernde Krieg hinderte den Herzog nicht an sonstigem Luxus, und fast möchte man glauben, daß die Vorliebe für enorme, kostbare, gewirkte Teppiche und Goldschmiedearbeiten die Malerei in den Hintergrund gedrängt habe, mit Ausnahme der Büchermalerei. Es bleibt selbst in der noch folgenden langen Lebenszeit Philipps und in der Zeit Karls des Kühnen auffallend, daß auch die flandrischen Nachfolger der van Eyck nur wenig für das herzogliche Haus, dagegen manches für hohe Beamte desselben, zum Beispiel im Louvre die Madonna mit dem burgundischen Kanzler Rollin, und für reiche Privatleute gearbeitet haben. Denn reich mußte man sein, um diese mit höchster Feinheit und Pracht ausgeführten heiligen Bilder und Hausaltäre zu bezahlen.

Während es nun von Philipp zwar sprechend ähnliche Porträts, aber keine von Meisterhand und von seiner dritten und wichtigsten Gemahlin, Isabella von Portugal, kaum ein sicheres Bildnis gibt, hat man aus dem letzten Jahrzehnt des Jan van Eyck eine Anzahl sicherer Gemälde, mit welchen das vom Altar abgelöste, für sich bestehende Porträt eigentlich beginnt, fast lauter Brustbilder oder Halbfiguren, viel unter Lebensgröße auf dunkelm Grunde, in Dreiviertelansicht. Wir können nicht wissen, welchen Bedenken anfangs die abgesonderte, weltliche, rein für den Privatbesitz bestimmte Darstellung eines Individuums begegnete. Die Dargestellten sind zum Teil kosmopolitische Fremde, welche über die Vorurteile hinaus waren, wie der mit wunderbarer Meisterschaft dargestellte greise Kardinal Santacroce Galerie-Zitat: Belvedere (in Wien). oder der florentinische Tuchhändler Arnulfini in Brügge Galerie-Zitat: National Gallery (in London)., oder der Mann im Pelzrock und roten Chaperon Galerie-Zitat: National Gallery., welcher ebenfalls kein Niederländer zu sein scheint. Auch in dem Mann mit der Schriftrolle Galerie-Zitat: National Gallery. und der Chiffre »Thimotheos Leal souvenir« dürfen wir einen Fremden, vielleicht einen jener Griechen vermuten, welche beim herannahenden Untergang ihres Reiches im Abendland Hilfe suchten. Ein Bildnis des Belvedere in Wien stellt wenigstens einen noch jungen belgischen Geistlichen, Jan van der Leuw, vor. Einige dieser Bilder sind stark verletzt und restauriert; in allen aber offenbart sich eine neue Welt der geistigen und äußerlichen Lebenswahrheit, welche gar keine Rücksichten kennt. Wenn in solchen Köpfen auch nur die Pupille unverletzt erhalten ist, so haben wir es mit einem Können zu tun, welches allem bisher Geleisteten wesentlich überlegen erscheint. Und nun muß jenes erstaunlichen Bildnisses im Berliner Museum gedacht werden, welches als »der Mann mit den Nelken« bekannt ist. Aus dem Dunkel tritt mit voller wirklicher Körperlichkeit hervor die Halbfigur eines alten Mannes, der laut seiner Halszierden dem wohltätigen Orden der Antonierherren angehörte. Man mag zweifeln, ob heute jemand von diesem Aussehen einem so unerbittlichen Realisten wie Johann van Eyck sitzen würde; zustandegekommen ist ein hartes, runzliches Gesicht mit klarem, kaltem Blick und eher großen Ohren; in der Rechten hält der Mann die Nelken; die erhobene Linke will deutlich etwas sagen. Das Merkwürdige ist, daß man allgemach Zutrauen zu diesem Greise faßt und ihn zuletzt sympathisch findet. Hat Jan van Eyck diese unendliche Teilnahme auf diese völlig unregelmäßigen Züge und dies Netz von Altersfurchen gewendet, so muß doch wohl etwas darin gelebt haben, was jenseits des bloßen ersten Eindruckes liegt. An Feinheit der Ausführung und Plastizität der Formen, an Trefflichkeit des Lichtes und der Farbe und an Wahrheit des Charakters wäre dies Bild schwer zu erreichen.

Bisher war nur von Porträts auf neutralem, meist dunkelm Grunde die Rede. Allein Jan van Eyck war in seinen Andachtsbildern auch ein großer Entdecker und Darsteller der Umgebung des Menschen, mochte es die Landschaft mit dem völlig naturwahren Erdreich und Pflanzenwuchs, mochte es die innere Perspektive eines Zimmers oder einer Kirche sein. Einmal hat er die vollkommene naturrichtige Umgebung auch einem Porträt mitgegeben, dem schon genannten Bilde Arnulfini Galerie-Zitat: National Gallery.; hier sind es zwei ganze Figuren, etwa anderthalb Fuß hoch, ein Ehepaar nicht im Putz, sondern in einer gewöhnlichen Tracht, wenn auch am Kopftuch der Frau eine fünffache Spitzenreihe vorkommt; der Herr scheint zum Ausgehen gerüstet, sonst würde er wohl nicht den Pelzrock und den enormen kesselförmigen Filzhut tragen, der seinem völlig blutleeren Gesicht einen so abenteuerlichen Ausdruck gibt. Sie reichen sich die magern, feinen Hände, aber sehr kalt; die Gattin Jeanne de Chenany, hat wenigstens eine gesunde, niederländische Bildung; während der Gemahl wie der Abkömmling einer schon völlig großstädtisch verlebten Familie aussieht. Dieselbe erstaunliche Wirklichkeit, welche diese Gestalten belebt, herrscht nun auch in dem Raum und den Acessorien. Es ist eine in die Tiefe gehende Stube mit den Fenstern links, genau richtig mit dem gehörigen Licht und dessen Reflex erfüllt; bis zu völliger Illusion sind wiedergegeben ein metallener Hängeleuchter, ein Kehrwisch, die Orangen, welche auf und unter der Fensterbank liegen, ein geschnitzter Betstuhl, die auf der Erde liegenden Klappschuhe von Herrn und Frau; aber all diese zum greifen wirklichen Dinge sind noch nichts im Vergleich mit dem Rundspiegel an der Rückwand des Zimmers. Hier geschah ein Wunder der Täuschung und der mikroskopischen Darstellung. In diesem etwas konvex gedachten Rundglase reflektiert sich nämlich die dem Beschauer zunächst gedachte Türe, welcher das Ehepaar sich zuzuwenden zensiert ist, und außerhalb derselben erkennt man noch Leute. Und nun hat dieser Spiegel noch eine Einfassung von zehn erbsengroßen Rundbildchen biblischen Inhaltes, welche ganz täuschend mit spiegelnden Krystallscheiben, wie mit Uhrgläsern bedeckt sind. Endlich ist das wundersame Familienporträt vielleicht das frühste, auf welchem auch der begünstigte Hausgenosse, der Hund, mit dargestellt ist, und zwar ist es jene Rasse des kleinen Affenpinschers, welche in späteren Zeiten auch die Gunst A. Dürers genoß. Es ist der erste völlig lebendige Hund, so wie auf dem Genter Altarwerk die Rosse der gerechten Richter und der Streiter Christi die ersten wirklich lebendigen Pferde der neuen Kunst sind Randbemerkung: Etwa die des Paolo Uccello ausgenommen, wenn dessen Schlachtbilder nicht doch erst nach 1434 (Datum des Bildes Arnulfini) entstanden sind.. Bald finden sich dann auf den Andachtsbildern der Schule, etwa im Gefolge der heiligen drei Könige, die zierlichsten Windhunde ein. Für alles aber hat es einmal einen Anfang geben müssen. Diese Tiere eröffnen eine erlauchte Reihe von völlig lebendigen und zum Teil prachtvollen Hunden bis zu dem edeln falben Hund des Paolo Veronese, zu den verschiedenen Rassen bei Rubens und van Dyck, von den gewaltigsten Begleitern der Eber-, Bären- und Löwenjagd bis zum King Charles, endlich bis zu den herrlichen Tieren, welche auf den Bildern des Jan Fyt und Jan Weenix das tote Wild zu hüten pflegen.

Verfolgen wir jedoch die Geschichte des Bildnisses, zunächst in der flandrischen Schule. Eine gewisse Scheu vor dem selbständigen Porträt muß trotz jener wundersamen Leistungen des Jan van Eyck herrschend geblieben sein; dasselbe ist und bleibt rar, und die Erhaltung des wirklich Vorhandenen hatte doch die günstigsten Chancen durch die solide Ausführung und die leichte Aufbewahrung; die Reichsten zogen es fortwährend vor, als Stifter in der Ecke eines Andachtsbildes, knieend vor Maria und den Schutzheiligen, oder etwa in den Gestalten der Drei Könige und ihres Gefolges porträtiert zu werden. Von Rogier van der Weyden, Hugo van der Goes, Dirk Bouts gibt es kein einziges, sicheres, selbständiges Porträt, während ihre Andachtsbilder so reich sind an tatsächlichen Porträts, an heiligen Gestalten nach Vorbildern aus dem wirklichen Leben und an Figuren von Stiftern, ja ganzen Familien derselben. Die wenigen sichern Sonderbildnisse bei Memling verraten uns einigermaßen den Grund hievon; dieselben sind nämlich betend mit gefalteten Händen, und nach der Seite blickend dargestellt und nehmen damit von selbst wiederum den Charakter von Stifterbildern an. Jenen eindringenden Blick auf den Beschauer in dem Mann mit den Nelken, jenen lauernd forschenden in dem Manne mit dem roten Chaperon hat man nun auf niederländischen Bildern des XV. Jahrhunderts nicht mehr zu gewärtigen. Wer sich apart porträtieren läßt, entschuldigt sich gleichsam durch Andacht.

Ein Südländer aber lief durch die flandrische Schule und gewann ihr alle Kunstmittel ab und dieser ließ sich das Sonderbildnis weder nehmen noch durch Andacht modifizieren. Es war Antonello aus Messina. Und statt belgischer Kaufleute und Beamter von behutsamerer Zurückhaltung und bisweilen von welker Gesundheit bekam er kräftige, italienische Vornehme und Gewalthaber zu malen, wie zum Beispiel jenes Brustbild im Louvre, welches man ohne jeden überlieferten Grund den Condottiere zu nennen pflegt: eine völlig gebieterische, mit sich und andern fertige Physiognomie, mit einer Pupille, deren Wirkung zum Unvergeßlichsten gehört, was ein aufmerksamer Beschauer aus dem Louvre mitnimmt.

Bei diesem Anlaß möge eine Vermutung gestattet sein. Bekanntlich sind die Züge des Angesichtes Karls des Kühnen streitig. Der leidenschaftliche Herr mag ungerne den Malern gesessen haben; es hätte jedoch Künstler genug in seiner Nähe gegeben, welche diese Physiognomie im Fluge erhaschen konnten. Vor seiner zehnjährigen verhängnisvollen Regierung hatte er ein langes Erbprinzenleben voll Pomp und Aufsehen geführt. Umsonst hat man ihn in Andachtsbildern nachweisen wollen; in der Münchner Anbetung der Könige, einem Hauptwerk des großen Rogier van der Weyden, stellt der jüngste König wahrscheinlich so wenig ihn, als der älteste seinen Vater Philipp den Guten vor. Die eherne Statue in der Hofkirche zu Innsbruck, die Grabstatue in Notre-Dame zu Brügge sind nahezu hundert Jahre nach ihm entstanden, wahrscheinlich nach einer völlig falschen Tradition. Nun existiert in mindestens vier Kopien des XVI. Jahrhunderts, venezianischen sowohl als niederländischen, die Erinnerung an ein Meisterwerk der vorhergegangenen Epoche, und zwar bei dem Exemplar von Dijon in Verbindung mit der Nachricht, daß Karl der Kühne dargestellt sei. Vor einem Vorhang und einem landschaftlichen Ausblick sieht man das Brustbild eines noch jungen Mannes im Harnisch, aufgelehnt. Die außerordentlich reich gewellten, braunrötlichen Haare, der unzufriedene Ausdruck, der unbeschreiblich eigentümliche Blick bleiben unvergeßlich, und die so ungemein freie, unbefangene Auffassung gibt auch den bessern dieser Kopien einen hohen Wert. Ich kann mich nicht von dem Gedanken losmachen, daß wir hier den Verlust eines Originals von Antonello, das etwa gegen Mitte der 1460er Jahre entstanden sein möchte, zu beklagen haben.

Doch es ist Zeit, der Porträts der deutschen Schule des XV. Jahrhunderts zu gedenken, welche hier wie in der religiösen Malerei einen sehr starken Einfluß von Seiten der flandrischen Schule erfuhr.

Die erste Wahrnehmung, welche wir nun hier machen, ist, daß es wenigstens aus den letzten Jahrzehnten des XV. Jahrhunderts beträchtlich mehr deutsche als flandrische Sonderbildnisse gibt. Eine Zahlenstatistik des Vorhandenen haben wir freilich noch nicht; auch muß man diese deutschen Bildnisse, deren Kunstwert in der Regel nicht groß ist, weniger in den Galerien als in den Sammlungen mittelalterlicher Antiquitäten aufsuchen. Neben dem massenhaften Vorkommen knieender Donatoren, ganzer Familien und Korporationen auf den Altarwerken, muß in Deutschland die Sitte auch dem Einzelbildnis und namentlich den Doppelbildnissen von Mann und Frau günstiger gewesen sein als in den Niederlanden Späterer Nachtrag: Letzteres fehlt in Italien.. Diese Sitte fanden dann Dürer und die übrigen Meister der Blütezeit, vor allem Holbein als eine schon bestehende vor, und ihr verdanken wir die Fülle herrlicher Porträts von Leuten aller Stände aus den ersten Jahrzehnten des XVI. Jahrhunderts. Auch jetzt war nicht nur die absolute Zahl, sondern die relative Quote, wie es scheint, stärker auf Seiten Deutschlands als der Niederlande, welche doch Porträtmaler wie Qu. Messys und Jan Mabuse besaßen. Von da an ist das Porträt ununterbrochen ein werter Besitz des wohlhabenden deutschen Hauses geblieben.

Ganz eigentümlich verliefen die Dinge in Italien. Von Masaccio an war hier die Darstellung des Individuellen weit in die Kunst eingedrungen; selbst der Madonna sieht man deutlich das Modell an; in den bewegten Darstellungen aber gelangt die italienische Malerei durch eben dasselbe Naturstudium zu einer Kraft und Freiheit, wie sie der Norden nicht erreichte, und wer dies Phänomen näher verfolgt, wird leicht zu dem Schlusse gelangen, daß die Italiener an ruhiger und bewegter Lebenswahrheit so unendlich vieles und neues zu leisten vor sich sahen, daß ihnen, das heißt ihren Malern, am Einzelporträt kaum etwas gelegen sein konnte. Und überdies sorgte die damalige monumentale Malerei für massenhafte Porträtsammlungen: Sie gab den heiligen Szenen eine oft sehr zahlreiche Assistenz oder Zuschauerschaft; das ganze notable Pisa der damaligen Zeit lebt in den Fresken des Benozzo Gozzoli weiter, das berühmte und vornehme Florenz in denjenigen des Domenico Ghirlandajo Späterer Nachtrag: Dazu Venedig.. Endlich war eine wunderbar aufgeblühte Skulptur beständig damit beschäftigt, die namhaften Individuen durch sprechend naturwahre Büsten für das Haus, durch liegende Statuen für das Prachtgrab zu verewigen.

Was konnte hier das gemalte Einzelporträt noch für eine Stelle in Anspruch nehmen? Eine eigentlich monumentale Verewigung, nach welcher der Machtsinn und Ruhmsinn dürstete, gewährte es nicht; diese erwartete man bei weitem eher vom Prachtgrabe und von der Schaumünze; außerdem lebte man persönlich am sichersten weiter als Donator auf einem Altarbilde, als Anwesender in einem Fresko, also in heiliger, unantastbarer Umgebung, außerdem ganz besonders als Stifter auf einem Madonnabilde für die Hausandacht. Hie und da mochte ein politischer Gebrauch zu Gunsten des Einzelporträtes vorhanden sein, wie bei den Dogen von Venedig, welche alle als Brustbilder gemalt werden mußten, und auch bei den Päpsten scheint etwas der Art gegolten zu haben; dagegen vermissen wir das Einzelporträt bei sämtlichen Gewalthabern der ersten Hälfte des XV. Jahrhunderts, etwa mit Ausnahme des hagern, gebieterischen Braccio da Montone in der Münchner Pinakothek; ein vorzügliches Porträt Alfons des Großen, vielleicht von Antonello, hat sich verborgen und lebt gegenwärtig nur im Kupferstich fort a) Randbemerkung B.'s: Bei D'Agincourt, Denkmäler der Malerei, 144.. Von dem furchtbaren Sigismondo Malatesta besitzen wir in einer Kapelle in S. Francesco zu Rimini wenigstens ein Freskobildnis von 1451, da er, begleitet von zwei Windhunden, vor seinem Namenspatron St. Sigismund kniet. Und hier in Rimini meldet sich endlich auch das Porträt für den intimen Besitz des Hauses; jene beiden weiblichen Profilköpfe, angeblich von der Hand des Piero della Francesca in der National Galery, deren einer die berühmte Geliebte Sigismondos, Isotta, der andere eine Gräfin Palma von Urbino darstellt. Isotta ist nicht idealisiert; die lange, wenn auch schön gebildete Nase, der späte Haaransatz werden nicht verfehlt; was ihr aber von Schönheit bleibt, ist um so viel urkundlicher gewonnen. Ein dritter höchst interessanter, ganz jugendlicher Profilkopf der Galleria Poldi in Mailand gehört in dieselbe Reihe.

Neben solchen vereinzelten Bildern kam es auch unvermeidlich vor, daß hie und da ein Maler das Studium eines Kopfes, der für ein Altarbild oder für ein Fresko bestimmt sein mochte, aus künstlerischer oder persönlicher Teilnahme bis zum unabhängigen Bilde durchführte. Dies mag gelten von jenen zwei ergreifenden Köpfen, welche in den Uffizien als ein Greisenporträt von der Hand Masaccios und als sein jugendliches Selbstporträt willkürlich benannt sind. Der Greis ist die Lebenserfahrung und Freundlichkeit selbst; in dem Jüngling aber ist offenbar eine feste, beinahe fanatische Hingebung an irgend etwas Mächtiges außer ihm und ein stolzer Verzicht auf alles Gewöhnliche ausgedrückt, und für ein Künstlerporträt wird man es immer halten.

Bisweilen verlangte auch wohl die Zelebrität und die Kollegialität ihr Denkmal in Farben. Der Louvre besitzt von der Hand des Paolo Uccello die fünf auf einem Bilde vereinigten, lebensgroßen Brustbilder, des Giotto, Donatello, Brunellesco, Giovanni Mannetti und das des Uccello selbst, als Repräsentanten der Malerei, Skulptur, Architektur, Mathematik und Perspektivik.

Aber auch in der zweiten Hälfte des XV. Jahrhunderts ist das gemalte Einzelporträt in Italien noch keineswegs so häufig als der Kultus der politischen Macht, des Ruhms, und der Schönheit würde erwarten lassen. Das urbinatische Herzogspaar in den Uffizien, ein späteres Hauptwerk des Piero della Francesca, sticht deshalb sehr hervor; mit flandrischer Unerbittlichkeit ist die Hackennase und die steile Oberlippe des Montefeltre wiedergegeben, und auch gegen die Herzogin, eine geborene Sforza, wäre jeder neuere Maler gefälliger gewesen, indem ihre freundlichen Züge hiezu Anlaß boten. Melozzo von Forli, welcher die ausgezeichnetsten Leute desselben Hofes, sogar in ganzer Figur zu malen bekam, mußte jedem einzelnen eine allegorische Figur – Kunst oder Wissenschaft – beigeben, vor welcher er kniet oder sich verbeugt, und damit treten diese Porträts etwa wieder in die Reihe der Donatorenporträts zurück b) Randbemerkung: Sixtus IV. und die Seinigen, von Melozzo. Endlich die Gesamtdarstellung einer fürstlichen Familie in der Camera de' sposi des Castells von Mantua, Hauptwerk Mantegnas; die Bentivogli in S. Giacomo maggiore zu Bologna, von Lorenzo Costa..

In dieser ganzen Angelegenheit entscheidet nun einmal nicht sowohl die Kunst als die Sitte, und diese war in Italien dem Einzelporträt für das Haus noch nicht günstig. Aus den letzten Zeiten des XV. Jahrhunderts tauchen hie und da in den Galerien erstaunliche Köpfe empor, welche an Geist, Energie, Modellierung im Licht auf dunklem Grunde kaum mehr zu erreichen sind, und bei einzelnen derselben wird schon vermutungsweise der Name des Leonardo da Vinci ausgesprochen. Sodann mag er durch einzelne in Mailand ausgeführte wundersame Bildnisse den Anstoß dazu gegeben haben, daß hier am frühsten vornehme Herrn und Damen in größerer Anzahl sich einzeln porträtieren ließen, wofür dann Leute seiner Umgebung wie Boltraffio, Bernardino de' Conti und andere in vortrefflicher Weise sorgten. Auf diesem Boden konnte dann in Fresko die großartige weihevolle Darstellung einer ganzen Bruderschaft erwachsen, wie sie Bernardino Luini zu beiden Seiten seines gegeißelten Christus Galerie-Zitat: Ambrosiana. gemalt hat. Lionardo soll seine berühmte Gioconda erst bei seinem nachherigen Aufenthalt in Florenz gemalt haben, und zwar wie zum Antritt des glorreichen XVI. Jahrhunderts, von 1500 an. Lisa, die Gemahlin des Herrn del Giocondo von Florenz, ist jedoch gewiß nicht auf eine bloße Bestellung für das Haus gemalt worden, sondern weil der Meister hier der erstaunten Welt eine bisher noch nicht erreichte Schönheit offenbaren konnte.

Etwas analoges gilt dann von sämtlichen Porträts der großen Florentiner, auch Rafaels. Eine Sitte, welche bei einem bestimmten, gesellschaftlichen Rang und Wohlstand das Einzelporträt verlangt hätte, existiert im Süden des Apennins noch das ganze XVI. Jahrhundert hindurch nicht. Die großen Historienmaler schaffen hie und da ein Porträt um des Ruhmes, der Freundschaft, der großen Schönheit willen, oder weil mächtige Fürsten das eigne Porträt oder das eines Begünstigten verlangen; und endlich liefert mancher Meister sein Selbstporträt.

Dies ist alles, und wir haben dabei den günstigen Eindruck, als hätte es in dem damaligen Toscana und Rom überhaupt nur außergewöhnliche Individuen gegeben.

Jene Sitte aber existierte endlich seit dem Schluß des XV. Jahrhunderts in Venedig, und hier wird noch einmal an Antonello von Messina zu erinnern sein, welcher seinen Kunstgenossen in der reichen und mächtigen Stadt die flandrische Porträtkunst und zugleich das neue chemische Verfahren der Flanderer, welches man als Erfindung der Oelmalerei bezeichnet, zu offenbaren kam. Von seiner Weise inspiriert ist das echte Selbstporträt des Giovanni Bellini in den Uffizien; allein dem Bellini selbst wuchsen dann neue Schwingen und weit über dies Bild hinaus, schon bis in die feinste Unbefangenheit hinein reicht dann das berühmte Doppelporträt im Louvre, welches von ihm gemalt ist, freilich keineswegs ihn und seinen Bruder Gentile darstellt. Während dieser Zeit steigen die Dogenporträts beständig an Wert, und der Doge Loredano von Bellinis Hand Galerie-Zitat: National Gallery. erreichte jene allerhöchste Kraft und Feinheit, welche ein Porträt unvergeßlich macht. Zugleich füllten sich die Zeremonienbilder und Legendenbilder in den geistlichen Zünften oder Scuole zu Venedig dicht mit hunderten von Bildnissen an, und die Gabe des Porträtierens verbreitete sich, man möchte sagen über ganz Venedig. Und jetzt konnte jene Sitte des Einzelporträts ruhig und wie selbstverständlich Platz greifen. Für die Vielheit und Wichtigkeit des venezianischen Einzelporträts kam sehr in Betracht, daß es meist Adliche, jeder ein Stück von der souveränen Nobilität waren, welche sich wie Fürsten betrachteten, was in den übrigen Staaten die Vornehmsten nicht konnten, weil sie Untertanen waren. Vom Dogenporträt ging man nun über zu Admirälen, zu Senatoren, zu Procuratori di San Marco mit ihren purpurnen pelzverbrämten Talaren, zu vornehmen Damen in voller Toilette. Auf diesem Tatbestand beruht es, daß Tizian neben all seiner sonstigen Größe gleichsam selbstverständlich zum ersten Porträtmaler der neuen Kunst wurde, während er nicht einmal so sehr sein Venedig, als das berühmte Italien und Europa malte.

Die Feuergarbe, welche in Venedig emporstrahlte, nahm jedoch alsbald verschiedene Farben an. Mit Giorgione entstand die Charakterhalbfigur, in welcher das Vorhandensein eines ausgezeichneten vorgefundenen Typus und dessen höchste physische und malerische Steigerung für uns nicht mehr zu unterscheiden sind; mit Palma Vecchio und Tizian erhob sich glänzend die venezianische Bella, die Darstellung einer ungenannt gebliebenen oder später willkürlich benannten Schönheit in reicher Modetracht oder Phantasietracht. Die Frage: wieweit Porträt? wieweit Ideal? gehört zu den anmutigsten Geheimnissen der italienischen Kunstgeschichte Späterer Nachtrag: (deutlich nachzuholen: die venezianische Madonna mit Heiligen, meist Halbfiguren, und der stiftenden Familie, als Hausandachtsbild.).


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