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Gedächtnisrede auf Schiller

9. November 1859.

Gehalten am Vorabend von Schillers hundertjährigem Geburtstag im Auftrag der philosophischen Fakultät der Universität Basel in der Aula des Museums. Das Original, 8 Quartblätter, als ausführliche Skizze im Jac. Burckhardt-Archiv, Nr. 171, überliefert (und nicht, wie Karl Neumann: Gedanken über Jakob Burckhardt, Deutsche Rundschau Bd. 175, S. 228 vermutet, im Schillermuseum zu Marbach). Zum ersten Mal von Jacob Oeri aus dem Nachlaß herausgegeben zur Erinnerung an den hundertjährigen Todestag Schillers in den Basler Nachrichten 1905, Nr. 124 (7. Mai). Die skizzenhafte Ueberlieferung hatte damals, sollte die Rede in genießbarer Form gedruckt werden können, mehrfache Wortergänzungen nötig gemacht, die auch hier im wesentlichen übernommen worden sind.

Die Skizze ist als solche von Karl Neumann (Deutsche Rundschau Bd. 175 S. 229 ff.) nach einer von ihm bei Wilhelm Spemann in Stuttgart gefertigten Abschrift des Originals veröffentlicht worden, unter Umständen, die nicht ganz zu billigen sind und in einer Form, die, trotz dem Anspruch auf peinliche Akribie, nicht fehlerfrei ist.

 

Am Vorabend des Schillerfestes richtet die philosophische Fakultät unserer Universität durch mich ihren Gruß an Sie und heißt Sie hier festlich willkommen.

Gehören doch die Abendstunden dieser Tage überall Seinem großen Andenken, und wo irgend Deutsche beisammen sind, werden sie jetzt Seinen Namen feiern, und ein Häuflein Schweizer wird sich beigesellen, zu Melbourne in Australien wie zu Valparaiso am Stillen Ozean. Freilich, was bei uns Abend heißt, mag dort noch oder schon Morgen sein; auf den Schwingen der erdumwandelnden Abendstunden nach dem wechselnden Meridian zieht die Feier um die Welt.

Denn Sein Name ist unsterblich.

Hat Schiller diesen Ruhm ersehnt? Die Antwort erteilt eine Strophe aus dem Siegesfest:

Dem Erzeuger jetzt, dem Großen
Gießt Neoptolem des Weins:
Unter allen ird'schen Losen,
Hoher Vater, preis ich deins.
Von des Lebens Gütern allen
Ist der Ruhm das Höchste doch;
Wenn der Leib in Staub zerfallen,
Lebt der große Name hoch.

Und dieser Ruhm, den der Dichter schon bei Lebzeiten genoß, wird ihm bleiben bis ans Ende der deutschen Nation, weil er nicht bloß auf ästhetischer Bewunderung beruht, sondern auf einem tiefen Einklang mit dem Seelenleben, lange nicht bloß der Deutschen, sondern aller Nationen. Darin ist er einzig unter den neuern Dichtern, ohne daß er darum »der Größte« zu sein braucht. Er würde mancher Ueberschwänglichkeit lächeln, wenn er hören könnte, wie man ihn über andere setzt; ihm und seiner großen Art anzuschauen war es gewiß am allerklarsten, wie die großen Dichter aller Zeiten einander ergänzen, nicht weil Einer absolut größer ist als der Andere, sondern weil jeder seine eigene Art hat.

Aber jene Eigenschaft gehört doch zu den segensvollsten; es ist die angeborene und ausgebildete Begeisterung für das Gute und Rechte, beruhend auf einem völlig idealen Naturell; es will vor allem dieser Begeisterung dienen. Doch das große Bild der Welt, das er wie alle echten Dichter aus sich heraus ans Licht zu fördern hat, enthält ja viele Einzelteile, wo, wie man annehmen sollte, diese Eigenschaft sich nicht zeigen kann, zum Beispiel in der Schilderung des äußern Daseins, der Natur, in Scherz und Genuß. Aber sie zeigt sich doch, aus dem untergeordneten Bild errät man den reinen Blick, der es schaute, die feste Hand, die es zeichnete, mit andern Worten den Menschen Schiller immer heraus! Und dann der negative Nachweis: es sind keine Gedichte aus seiner reifen Zeit da, welche jener sichern Begeisterung widersprächen.

Seine Jugend fällt in die sogenannte Sturm- und Drangperiode mit ihrem unbändigen Sichvordrängen der Empfindung tale quale, die bei größter Heftigkeit doch sehr arm an Gestaltung sein konnte und sich in Ermangelung wahren Ausdruckes dem Ungeheuerlichen überließ. Und doch schon in seinen frühesten lyrischen Gedichten und Dramen dringt jene wahre Begeisterung oft so siegreich durch. Mitten aus wilden, manierierten und unreifen Gesängen, Wellenschlägen zwischen Klopstock und Schubart, erhebt sich stellenweise strahlend die ideale Natur und findet den echtesten Liedesklang, wie in Hektors Abschied. Seine Jugendliebe schmiegt sich an die höchsten, obwohl wunderlich gärenden Gedanken von Gott und Unsterblichkeit. Er wird melancholisch, aber nie zerrissen-interessant, mißhandelt und höhnt den Leser nie.

Seine frühen Dramen, Räuber, Fiesco, Kabale und Liebe mußten Tendenzstücke sein, eben weil der Dichter sein Ideal vom Guten und Rechten an die phantastisch gesteigerte Wirklichkeit hielt. Eine Läuterung der Erfindung und des Stils läßt sich in den drei Dramen nicht verkennen. Dann, seit 1785 folgt auch Schillers Stil seiner Gesinnung und ersteigt in Lyrik und Drama eine höhere Stufe. Das erste Drama des idealen Stils ist Don Carlos. Mit voller mächtiger Absicht schafft er den Posa: »Seine Neigung war die Welt mit allen kommenden Geschlechtern«. Alles an dieser Erscheinung ist unhistorisch und a priori unmöglich, und dennoch ist dieser Posa in der Entwicklung der deutschen Poesie und Gefühlswelt unentbehrlich, man darf wohl sagen, dieser Kosmopolit ist die nationalste Figur der deutschen Literatur. In der Lyrik ist für diese Epoche bezeichnend das Lied an die Freude. Es hält die logische Prüfung nicht aus, es ist ein Rausch; aber keine Literatur der Welt besitzt etwas Aehnliches. Und ein zweites charakteristisches Werk dieser Jahre sind die Götter Griechenlands, die man ja nicht allzu dogmatisch nehmen darf, auch nicht das

Einen zu bereichern unter allen,
Mußte diese Götterwelt vergehn!

denn von vor- wie von nachher gibt es die deutlichsten Aussagen über Schillers Monotheismus. Als drittes ist in dieser Reihe zu nennen sein Programm über die Bestimmung der Poesie auf Erden: Die Künstler. Es ist wohl das höchste Programm, das je aufgestellt worden ist. Man darf das Gedicht neben seinen philosophischen Schriften und den Briefen über Don Carlos nennen als den stärksten Beweis für seine Gewissenhaftigkeit im Fache.

Fortan steht er einzig unter allen lyrischen Dichtern, weil er mit starkem geläutertem Willen der Verewigung des einzelnen Momentes, der einzelnen Situation wesentlich entsagt, gehört zu jener Gattung, in der vor allen groß sind Properz, Ovid, Byron, Victor Hugo, Goethe. Schiller verewigt das Ganze einer Empfindung in der edelsten und gewaltigsten Stilform. Fortan sammelt er alle Strahlen des Gefühls vollständig, so daß er trotz der Allgemein-Giltigkeit seiner Gedichte doch so ergreift, wie nur das Momentane irgend kann. Tausende haben schöne Liebeslieder gedichtet, nur Er die Würde der Frauen, nur Er das Allgemeine der Sehnsucht »Ach, aus dieses Tales Gründen«, nur Er das Allgemeine der edel-heitern gesellschaftlichen Stimmung »Und so finden wir uns wieder«, nur Er die Erscheinung der Poesie im Leben in dem »Mädchen aus der Fremde«, und ihre Herrschaft in der »Macht des Gesanges«. Endlich konnte nur Er sich zu jenen kurzen, ergreifenden Programmen sammeln: Hoffnung, Worte des Glaubens, Worte des Wahns.

Von dieser zentralen Eigenschaft aus wählt Schiller auch seine Balladenstoffe und von diesem Gesichtspunkte aus behandelt er sie. Er nimmt nicht die erste beste Sage, die einen poetisch-fremdartigen Schimmer hat und in Prosa schöner ist als in Versen. Er wählt vielmehr lauter Gegenstände, wo ein großer, menschlich bedeutender Inhalt in der Erzählung voll aufging. So handeln die Kraniche von der Rache der Götter an den Mördern des Dichters, die Bürgschaft besingt die siegreiche Macht der Treue, der Kampf mit dem Drachen verherrlicht das gemeinsame Ideal von Heldenmut und Gehorsam, der Gang zum Eisenhammer macht den göttlichen Schutz über die Unschuld anschaulich. – Endlich hat er geistige Bilder des ganzen Lebens und seiner höchsten Ursachen und Zusammenhänge in großen künstlerischen Formen entworfen: die Glocke, worin das Bürgertum sich erkennt; den Spaziergang, eine kunstreiche Verflechtung von Landschaft und Menschenleben; das Eleusische Fest, den Ursprung von Gesellschaft und Sitte unter dem Segen der Götter.

Derselbe ideale Geist offenbart sich merkwürdig in den Dramen der reifsten Zeit, Maria Stuart, Jungfrau von Orleans, Braut von Messina, Wallenstein, Tell. Unser Maßstab stammt heute wesentlich von Shakespeare her. Dieser schildert die leichte Oberfläche, die leidenschaftliche Mitte und die Abgrundtiefe des menschlichen Wesens; er erkennt die Welt als ein Gemische von Wahrheit und Lüge; Gutes und Böses ist bei ihm nur bedingt vorhanden; über beiden stehen die geheimsten geistigen Lineamente, der besondere innere Kern jedes Charakters; seine Personen handeln mit solcher Notwendigkeit nach ihrem Wesen, daß man die Menschen selber zu sehen glaubt; da entsteht endlich auch der wunderbar gemischte, sich selber rätselhafte und dem Zuschauer durchsichtige Charakter: Hamlet. Bei Schiller sind gerade in der reiferen Zeit alle Charaktere ursprünglich gut, sie haben nicht ein angeborenes, fatalistisches Recht, nach ihrem Wesen zu handeln, wie bei Shakespeare. Auch bei den Widersachern der idealen Charaktere erklärt Schiller, warum sie so geworden sind. Die Teufel a priori, Franz Moor, Sekretär Wurm, kommen nur in seinen Jugenddramen vor. Dagegen kann Elisabeth noch immer neben Maria Stuart bestehen, Ottavio Piccolomini neben seinem Sohne und Oberst Buttler neben Wallenstein. Selbst auf Geßler ruht noch ein letzter Abglanz dieser Art, sonst dürfte Harras ihm keine Vorstellungen machen.

Woher dies? Gewiß nicht aus Armut der Phantasie, auch nicht aus weichlichem Widerwillen gegen das Zeichnen von Schurken und Verbrechern, sondern Schiller hielt die menschliche Natur für gut. Alles Tun und Denken der Wichtigsten und Größten dieser Humanitätsperiode ging von dieser Voraussetzung aus, und die französische Revolution begann ausdrücklich damit. Sie konnte Großes, weil sie Großes hoffte. Daher sind diese Dramen allerdings nicht das Vollkommenste in ihrer Gattung; aber die Menschheit wird um so lieber ewig ihr Bild darin erkennen, weil die Charaktere normal sind, weil sie keine Aehnlichkeit haben mit Byrons unverstandenen höllentiefen Weltverächtern und mit den unwahren Figuren Victor Hugos. Und die eigentlich idealen Personen sind dann mit einer solchen Glut der Begeisterung gezeichnet, daß sie auf immer das geliebte Eigentum des deutschen Geistes bleiben müssen, die vom Unglück verklärte Königin Maria, das herbe wunderbare Mädchen von Orleans, und das Höchste wohl, was der Dichter hervorgebracht hat, Max Piccolomini, von dem er sagt: »Sein Leben liegt faltenlos und leuchtend ausgebreitet.« Ein solches Bild, als Ideal ganzer jugendlicher Generationen, ist ein wertvoller Besitz für das ganze Volk.

Dramatisch das Meisterhafteste ist Wilhelm Teil. Mit höchster künstlerischer Sicherheit verteilt der Dichter seine gleichmäßig fortschreitende Handlung in drei Zweige, die sich verschlingen: Tell, die Verbündeten, Rudenz und Bertha. Ein ganzes Volk in reicher Abstufung von Charakteren schreitet unwiderstehlich sicher dem Abschluß seiner Befreiung zu. Der Eindruck ist der einer majestätischen Notwendigkeit, eines evidenten Rechtes.

Und dies Drama ist zugleich das höchste Geschenk Deutschlands an die Schweiz. Seit dem Tell sind zwischen den beiden Ländern günstige Vorurteile und Gefühle in regerm Austausch; wer will die seitherige Verzweigung der Sympathien berechnen? Ueberhaupt, wer kann den Segen ernsten künstlerischen Wollens eines großen Dichters berechnen, der seiner Nation das Beste gab? Er ahnte, wie viel in seinen Händen lag; nicht umsonst redet er die Dichter an:

Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben –
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!
Der Dichtung heilige Magie
Dient einem weisen Weltenplane,
Still lenke sie zum Ozeane
Der großen Harmonie!


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