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Über erzählende Malerei

11. November 1884.

Akademischer Vortrag, gehalten in der Aula des Museums. Das Manuskript, 15 Quartblätter, liegt im J. Burckhardt-Archiv, Nr. 171. Ein ausführliches, von Burckhardt durchgesehenes Referat bringen Nr. 272 und 273 des Jahrgangs 1884 der Allgemeinen Schweizer Zeitung (von Herrn Dr. F. Baur). Ihm sind in der Anfangspartie drei Sätze entnommen und als Ergänzung des Manuskriptes in den vorliegenden Druck eingefügt worden.

 

Das unermeßliche Thema, welches in diesem Titel liegt, wäre weder unsere Sache noch die Aufgabe einer Stunde. Was wir zu geben haben, sind nur einige zerstreute Betrachtungen, wie sie sich auf Wanderungen durch Monumentalbauten und Galerien von selbst aufdrängen können, zumal in großen Mittelpunkten der Kunst, wo das massenhafte Alte neben dem massenhaften Neuen zu uns spricht. Mit Absicht wurde auch als Titel nicht der Ausdruck »Historische Malerei« gewählt; denn dieser Begriff erlitt im Laufe der Zeiten zu gründliche Wandlungen. So besteht beispielsweise ein sehr bedeutender Unterschied zwischen der modernen Historienmalerei und dem, was man am Anfang des XVIII. Jahrhunderts hierunter verstand.

Am meisten fällt in die Augen: die monumentale Malerei.

Um 1700 arbeitete die profane Malerei für die Verherrlichung von Dynastien und Korporationen, teils in Gobelins, teils in umfangreichen Gewölbefresken, mit Umsetzung der Macht in Allegorie und Mythologie, von Lebruns großer Galerie in Versailles bis zu Tiepolos Treppenhaus von Würzburg.

Diesem allem stellt das XIX. Jahrhundert gegenüber eine Gesamtleistung, welche in Masse und Charakter nicht nur von dieser, sondern von jeder Vergangenheit ganz wesentlich abweicht und oft die größten künstlerischen Kräfte der Zeit in ihrem Dienst hatte und noch hat.

Es sind nicht mehr die gewölbten Decken, sondern die Wände, es ist nicht mehr ein allegorischer Olymp, sondern es ist Tatsächlichkeit; es sind weniger die Dynastien, welche dargestellt werden als vielmehr Momente aus den Geschichten der Völker. So liegt vor der modernen Malerei das mächtige, unabsehbare, nie zu erschöpfende Thema der ganzen Weltgeschichte.

In den gewaltigen öffentlichen Neubauten unseres Jahrhunderts lassen mächtige Regierungen die wichtigsten, zumal politischen Ereignisse aus der Geschichte ihres Volkes malen, bisweilen in großen Zyklen, in Oel oder in Fresko. Louis Philippe füllte schon das öde Schloß von Versailles mit dem Musée historique an; der mittlere Stock des Münchner National-Museums enthält die ganze Geschichte Bayerns und des Hauses Wittelsbach in einem enormen Freskenzyklus, und im Treppenhaus des neuen Museums zu Berlin durfte Kaulbach sogar die Kulturgeschichte der Menschheit schildern. In allen politischen Gebäuden erhalten wenigstens die Festräume große geschichtliche Darstellungen, nicht zu reden von dem an die übrigen baulichen Flächen verteilten allegorisch-symbolischen Schmuck. Dazu gesellen sich die vielen einzelnen Historienbilder, zum Teil vom höchsten Aufwand, Bestellungen oder Ankäufe des Staates oder der einzelnen Liebhaber.

Bisweilen hat sogar die Kunst ihre eigene Geschichte verherrlichen dürfen: Es ist da zu erinnern an De Keyzer und seine vornehmen Begegnungen der alten niederländischen Maler im Vestibule du Musée d'Anvers. Hingegen ist die Tätigkeit des Malers als solche nicht mit Glück darzustellen.

Die Mittel, die die neuere Kunst für die Lösung dieser Aufgaben mitbringt, sind außer einem vielseitigen Studium der ältern Schulen, besonders der Venezianer, außer viel Lektüre und geschichtlicher Betrachtung das Studium der vergangenen Zeit im weitesten Umfang, in Oertlichkeit, Kostüm, Nationalität und dann nach Kräften auch im geistigen Ausdruck (in Willen und Intelligenz), sind ferner das Vermögen und der Wille zu einer reichern physiognomischen und psychologischen Skala als die vergangene Kunst hat aufwenden können oder wollen. Ganze große Gebiete des historischen Realismus werden so in die Kunst hereingenommen.

Bei den Vorzüglichsten ist die Gabe einer neuen und großen dramatischen Auffassung wahrzunehmen, bei andern wenigstens Wille und Vermögen des Lebens und der Bewegung, auch ohne Furcht vor dem Heftigen, bei allen aber der Wille der brillanten Erscheinung.

Die spezielle Quelle des Erfolges liegt darin, daß es sich wesentlich um den Ruhm des betreffenden Volkes in politischen und Schlachtenbildern handelt oder um Persönlichkeiten und Ereignisse, welche die Sympathie großer Gruppen der Beschauer für sich haben, und diese kann eine durch die öffentliche Meinung gegebene oder durch eine vorherrschende Lektüre der höher gebildeten Stände erregte sein. Paul Delaroche schuf freilich für den Privatbesitz seine Bilder aus der englischen Geschichte auf die literarische Beschäftigung mit England hin, welche hauptsächlich von Guizot ausging. Die Geschichte der nationalen und wohl auch der lokalen Vergangenheit im Sinne der Billigung und Bewunderung, und vollends die einer nähern Gegenwart ist ein allverlangter und selbstverständlicher Gegenstand der Malerei geworden. Und wo diese aufhört, setzt die Illustration an, namentlich unterstützt durch die ungeheure Entwicklung des Holzschnittes und seiner Nebengattungen, sowohl in reich ausgestatteten Prachtwerken als in der illustrierten Tagespresse.

In weiten Kreisen herrscht die Ueberzeugung, daß die Historienmalerei mit unabsehbaren stets neuen geschichtlichen Aufgaben in diesem Sinne weit der wichtigste Beruf der Kunst sei; daß Genre, Porträt und Landschaft ein viel geringeres Können voraussetzten, daß die mythologische und sonstige ideale Malerei eine bloße Liebhaberei von Kennern bleibe, und daß für die religiöse Malerei unser Jahrhundert nur einen schwachen Beruf habe, obschon ganze Kirchen, alte und neue, mit Fresken bedeckt werden.

Heute herrscht in der ganzen Malerei, auch im Genre, das Was, das stets neue Sujet, über das Wie. Nun kommt es aber in der Kunst weniger auf das Was als auf das Wie an. Das Wichtige, das Ausschlaggebende – so hielt es schon die alte Kunst – ist das ewig neue Wie.

Die Kunst ist ein geheimnisvolles Vermögen, welches sich unter gewissen Sternen mit dem Geschehenen in Verbindung setzen kann, aber nicht ohne größte Gefahr dessen Dienerin wird. Sie ist nicht Illustratorin alles dessen, was einmal passiert ist, und wäre auch der Hergang noch so merkwürdig. Wir sind nicht mehr im alten Theben und Ninive, wo die Kunst eine Bilderchronik war.

Ist aber das Geschehene vollends nur durch seine Folgen wichtig, so kann sie ja diese doch nicht in das Bild hinein malen, und wenn sich auch die Macht eines ganzen Reiches und das Schicksal eines Jahrhunderts an die betreffende Tatsache gehängt haben sollte. Das geschichtlich Wichtige substituiert sich dem Malenswerten. Schon in der ältern Kunst gehört die Zeitverherrlichung zum Vergänglichsten Randbemerkung B.'s: Venedig, Geschichte der Farnesen in Caprarola etc..

Ueberdies aber ist die historische Wichtigkeit oder Wünschbarkeit der Tatsache in der Regel die Ueberzeugung nur einer Nation oder Partei, ja oft nur eines Jahrzehnts; dann können schon die Beschauer fremder Nationen und Parteien sich das Bild verbitten oder es übersehen. Vollends aber stehen ungünstig diejenigen gemalten Szenen, welche nur provinzial oder lokal wichtig oder wünschbar gewesen. Ist freilich der Moment in hohem Grade für freie Erzählung geeignet gewesen, hat sich zugleich der rechte Meister gefunden und für denselben begeistert, so schadet dem Faktum seine Lokalität und Obskurität nichts; die Kunst wird es berühmt machen und der Welt ans Herz legen für alle Zeiten. Aber der Fall wird rar sein.

Für die Kunst aber ist es eine Lebensfrage, daß sie der ganzen Welt unserer Rasse verständlich, daß sie allermindestens europäisch sei. Die Musik zum Beispiel genießt diesen Vorteil. Und im Grunde handelt es sich hier noch weniger um die Wohlfahrt und den Ruhm des Künstlers, den wir ihm gerne gönnen, als um die Beglückung der genießenden Welt.

Heute herrscht das Gesetz der historischen Illusion. Diese hat ihre glänzenden Leistungen, daneben aber auch Gefahren, welche sie über den Künstler verhängt Bemerkung B.'s: Der Künstler wird mit einem Stück Gelehrsamkeit beladen. Fraglich, ob man je wieder daraus weg kann? nachdem man einmal von diesem Baum der Kenntnis gegessen..

Zeit und Kräfte, welche er auf das Studium von Kostüm und Oertlichkeit und auf das möglichst historisch wahrscheinliche Darstellen und Zusammenstellen dieser Dinge wendet, sind in Abrechnung zu bringen bei seiner verfügbaren Gesamtkraft. Ganz dasselbe gilt von dem historischen Drama, welchem das genaue Einhalten der Zeitsitte keine Erhöhung der poetischen Kraft mitteilt, wohl aber vorhandene Kräfte in Anspruch nimmt. Dabei wandelt sich der Maßstab für die historische Genauigkeit dieser Dinge; was der Künstler aus den Kostümbüchern der letzten Jahrzehnte entnahm, wird schon als nicht mehr richtig kritisiert, und was etwa gar um 1830 im Kostüm des Mittelalters gemalt bedeutete, erscheint jetzt opernhaft, oder »Style troubadour«. Wenn aber auch alles genau richtig wäre, ist es vielleicht erst recht unschön in der Erscheinung, so wichtig auch der Hergang an sich sein möchte.

Neben der historischen Illusion trat auch die ethnographische auf den Kampfplatz, statt des vergangenen Kostüms das Fremde. Horace Vernet entdeckte die Araber und kostümierte dann auch die heiligen Ereignisse der Urzeit täuschend in orientalischem Aufzug. Aber jetzt ist der ganze gemalte Orient, in welchem sich Decamps, Delacroix, Fromentin mit so großem Erfolg ergingen, entweder aus der Mode oder, wie bei Gérôme, auf eine ganz präzise Gattung von Genrebildern reduziert. Das orientalische Sujet rettet ein Bild nicht mehr, wenn es nicht sonst zu retten ist.

Wenn aber nur das Kostüm allein veraltete! Zunächst, selbst wenn die Gesinnung vorhielte, ist alle Gesinnung von der Welt nicht im Stande, eine ungünstige Aufgabe zu einer günstigen zu machen. Es veraltet jedoch auch die Denkweise oft sehr rasch, welche dem Künstler und seinen Beschauern gemeinsam eigen war; Bilder, welche auf ihrer ersten Ausstellung das Publikum auf das stärkste ergriffen, machen ihm jetzt keinen Eindruck mehr. Namentlich das Hochpathetische wird oft rasch ungenießbar; es ist schon an sich ein kritisches Ding mit der Begeisterung vergangener Zeiten. Das ganze Pathos der David'schen Schule wird gegenwärtig als unwahr und affektiert gemieden. Auch das Musée historique von Versailles ist im pathetischen Sinne fast durchweg veraltet; überhaupt beachtet man gegenwärtig dort wenige Stücke, welche nicht durch das Sachliche, sondern etwa als Marksteine koloristischer Kühnheiten in Ansehen geblieben sind (Eugène Delacroix) Späterer Nachtrag: Außerdem natürlich die altern Darstellungen und Souvenirs; das Musée historique ist zugleich Sammlung.. Die Welt hat seit 1830 politisch und sozial sehr rasch gelebt.

Ferner kann eine Stärke der modernen Historienmalerei, jenes reiche physiognomische und psychologische Vermögen, künstlerisch ein Nachteil werden durch allzugroße Anhäufung stark individuell belebter Ausdrucksköpfe. Besonders in Darstellungen großer gedrängter Versammlungen kann vor ihrer Konkurrenz die allgemeine malerische Stimmung nicht leicht zu ihrem Rechte kommen. Gallait in seiner Abdication de Charles V. wußte hier noch Rat! Ein Blick auf Lionardos Abendmahl zeigt, welches etwa die Grenzen des Schönen in dieser Beziehung sind, und welches Gesetz sich die malerische Oekonomie einst auferlegte.

Die höchsten Triumphe hat endlich die historische Illusion in einer Anzahl der vorzüglichsten Schlachtbilder aus den letzten Kriegen erreicht; es sind ohnehin Leistungen von höchst begabten Meistern; Begehr und Verlangen sind hier am stärksten, und die Anerkennung hängt hier, löblicher Weise, nicht davon ab, daß der Betrachtende mit der einen oder andern Partei sympathisiere; französische Kriegsbilder haben zum Beispiel in Berlin die größte Bewunderung erregt; der Fanatismus des Rechtbehaltens redet hier nicht mit. Unermeßlich reiche Mittel der lebendigen Darstellung von Mensch und Roß sind aufgewandt worden; den Uniformen ist abgerungen worden, was sich irgend optisch verwerten ließ; das Anschaulichmachenkönnen, hier auf Augenblicke der mächtigsten Spannung gewendet, wird zu einer magischen Gewalt. Allein dieselbe Kunst, die so viel vermag, lebt zugleich in der stärksten Knechtschaft unter der militärischen Richtigkeit und muß die optische Gesamtschönheit, von welcher das Kunstwerk eben doch lebt, großenteils aufopfern, damit ein bestimmter Moment mit allen Kräften »verewigt« werde.

Und dies vermag die Malerei allerdings zu bewirken, daß ein Hergang länger und stärker als sonst geschehen würde, im Gedächtnis und in der Seele der Menschen hafte. Allein dieser Hergang, wie wichtig und groß er auch sei, wird von spätern Hergängen erreicht und überboten werden, und die Kunst wird ihm keine Ewigkeit mitteilen können, die sie nicht selbst in sich hat.

Die Kunst aber will vor allem schöne, große, mächtige Erscheinung sein; nur hierin kann ihre eigene Ewigkeit liegen, welche auch nach Verlust des Originals noch in Nachbildungen weiter zu leben vermag.

Dabei muß sie ihren höchsten Gesetzen frei nachleben dürfen. Wie wenig man ihr Zumutungen stellen darf, erhellt noch besser als aus der Malerei aus dem Relief; hier wird die Mißachtung der innern Gesetze sofort und sichtlich bestraft, selbst wenn ein Ghiberti sie übertritt.

Und nun meldet sich auch eine ganz andere Art von Illusion als die, welche auf die zeitliche Wirklichmachung der Vorgänge ausgeht: Das Gemälde muß durch seine künstlerische Kraft eine solche Stimmung hervorbringen, daß man seinem Inhalt von vorn herein das Höchste zutraut. Das Historienbild müßte immer, noch bevor es materiell verständlich ist, schön und ergreifend sein und vorläufig auf den Beschauer wirken als ein Vorgang aus einer mächtigen fremden Welt; der Eindruck müßte da sein noch ohne das Sachverständnis. Hernach hätte man noch immer Zeit zu fragen, was das Werk insbesondere vorstelle. Es müßte die Probe halten so lange der Hergang noch unbekannt und die Einzelfiguren noch anonym wären. Diese Probe hält unter anderm Rafael aus in den Fresken der Camera della segnatura.

Wie ist dies zu erreichen? Hauptvorbedingung ist jedenfalls, daß von der Kunst nur verlangt würde, was sie aus innerm Berufe gerne gibt.

Und hier würde man inne werden, daß sie wenig oder keine Freude hat an dem Tatsächlichen, wenn es weiter nichts als dieses gewesen ist, sondern daß sie nach derjenigen hohen Bilderwelt verlangt, welche die Völker und ihre Dolmetscher, die Dichter, geschaffen haben, im Anschluß an ihre Religionen, Mythen, Urgeschichten, Sagen und Märchen Randbemerkung B.'s: Sie liebt diese Themata, weil dieselben eine so große Freiheit gestatten. – Als Illustratorin der Dichtung verlangt sie namentlich große Freiheit. – Ein Hergang kann in der Dichtung schön sein ohne es im Gemälde zu sein.. Auch hier will sie nicht immer gebunden sein, sondern von dieser idealen Gestaltenwelt aus weiter träumen dürfen. Gewährt man ihr dieses, dann kann sie auch am ehesten »schöne, große und mächtige Erscheinung« werden, wonach sie vor allem dürstet.

Diese Aufgaben haben Allverständlichkeit oder doch leichte Verständlichkeit für sich und unterliegen nicht den Schranken des Lokalen und Zeitlichen; in ihnen kann wenigstens eine hohe Kunst das Unvergängliche und Ewige erreichen Randbemerkung B.'s: Die Säle des Cornelius in der Glyptothek werden verständlich bleiben, wenn man einst den ganzen Frescozyklus des Nationalmuseums nicht mehr mag.. Die Menschen des Tages werden vielleicht gleichgültig daran vorüber gehen und die pathetische Darstellung des Vergänglichen vorziehen; allein sehr bald folgen auf sie andere Menschen eines andern Tages; die Kunst aber wünscht »liebliche Darstellung«. Sie ist eins derjenigen herrlichen Bande, welche Völker und Jahrhunderte mit einander zu einer Gemeine verknüpfen können. Und wenn diese Gemeine eine Elite ist, so braucht es glücklicherweise keine Elite der Reichen und Mächtigen zu sein; öffentlich sichtbare Kunstwerke können jeden nicht Verbildeten ergreifen, auch wenn er ungebildet ist. Gegenstände und Beschauer haben hier ein gemeinsames ideales Bürgerrecht, das keine Schranken von Ländern und Zeiten kennt.

Nicht daß die idealen, religiösen, mythischen Gegenstände den Künstler vor dem Mißlingen sicherten! Er muß ein Berufener sein, und der Gefahren und Abgründe sind manche.

Zunächst ist das kirchliche Historienbild durchaus nicht jedes Künstlers Sache. Es hat Meister von sehr hoher und vielseitiger Anlage und vom gründlichsten Wissen gegeben, welche ihm nicht gewachsen waren. Und andererseits haben ganz mittelmäßige Künstler oft dennoch massenhaft heilige Historien malen müssen oder wollen.

Sprechend ist das Beispiel der französischen Schule schon vor Louis XIV.

In Paris und anderswo waren Stiftungen und fortlaufende Verpflichtungen gewisser Gilden auf neue Kirchenbilder vorhanden, wobei, beiläufig gesagt, die alten Bilder verschwanden und Frankreich um alle Altäre seiner frühern Stile gekommen ist.

Dazu hatte sich der damalige Geschmack nicht für das ruhige Gnadenbild, sondern für das erzählende Altarbild entschieden, welches in der goldenen italienischen Epoche die Ausnahme gewesen war und nur bei einer ganz besondern Inspiration vollkommen gedeihen kann. Dieses fiel jetzt in die Hände von Malern einer nur mittleren Begabung.

Das Resultat war die Ueberfüllung, weil das mangelnde zentrale Können durch Vielartigkeit des Wissens aufgebessert werden sollte; und im Ausdruck war es das Theatralische, welches entsteht, wenn bei mangelndem innerm Antrieb die Erregtheit des Vorganges durch Reflexion produziert werden muß; der Maler selbst dachte sich dabei als Akteur, und überdies gab es auch bereits ein tragisches Theater, bei dessen Leuten sich einzelne Maler notorisch Rats erholten.

Aber selbst Nicolaus Poussin, welcher diesen Kreisen aus dem Wege ging und in Rom auslebte, hat doch teils für sich, teils für französische Kunstfreunde sehr viel mehr große historische Szenen komponiert als gut war. Er konstruierte heilige und profane Geschichten zwar nach den Gesetzen seiner Kunst, aber in der Regel ohne alles innere Feuer, ohne alle Notwendigkeit, steinern, und dann helfen auch die vielen, einzeln angebrachten Gefühlsäußerungen nichts, da sie beliebig hinzugefügt erscheinen, während ihm die malerische Empfindung des Ganzen nicht an einem Stücke aufgegangen ist. Der Mangel an Farbenreiz (welchen er in einzelnen einfachem [frühern!] Kompositionen recht wohl erreichte) und an unbefangenem Reichtum des Individuellen würde diesen Werken nachgesehen werden, wenn sie nicht in der Hauptsache bloß gemacht wären Randbemerkung B.'s: Catalogue du Louvre, p. 263: II recherchait, dans les grands écrivains, les sujets les plus propres à exprimer le caractère moral et les affections de l'âme, la force de l'expression lui paraissant une des qualités les plus recommandables..

Andere berühmte Meister haben etwa in der Illustration des Guten zu viel getan. Dürer in seinen drei Passionszyklen in Holzschnitt und Kupferstich unterlag dem Anlaß, die heilige Geschichte in möglichst viele Einzelmomente auseinanderzuziehen und fragte sich oft gar nicht mehr, was bildlich wünschbar sei und was nicht, sodaß neben tiefsinnigen und wahrhaft dramatischen Kompositionen sich auch völlig seelenlose und unbedeutende vorfinden. Aehnlicher Weise hat in der Freskomalerei bisweilen das Beschaffen großer Zyklen Themata von sehr ungleicher Wünschbarkeit hervorgebracht.

Während wir aber auf dem Wege wären, auch in Betreff der idealen Aufgaben der Malerei immer bedenklicher und difficiler zu werden, tönt uns aus dem XVII. Jahrhundert der fröhliche Ruf des größten Erzählers aller Zeiten entgegen: »Jeder nach seiner Begabung! Mein Talent ist der Art, daß noch nie ein Werk, wie groß auch nach der Quantität und der Vielartigkeit der Aufgaben, meinen Mut überstiegen hat!«

Also schrieb auf der Höhe seiner Riesenkraft Peter Paul Rubens.

Er hätte sein Lebtag lauter Bilder in der Art des Liebesgartens (Madrid, Dresden) malen und seine Zeitgenossen damit vor Entzücken töricht machen können. Allein das Bewußtsein der großen dramatischen Bestimmung, der Drang auch zum hoch Heroischen und Furchtbaren schlug vollständig durch. Eine solche Riesenkraft des Lebendigmachens von allem und jeglichem wird man natürlich vor allem auch für massenhafte Darstellungen aus der Zeitgeschichte in Anspruch genommen haben? Allerdings! Und hier dürfen wir nur die berühmtesten dieser Zumutungen erwähnen: Ende 1620 ließ die Witwe Heinrichs IV. und tatsächliche Regentin von Frankreich den Rubens nach Paris kommen, wo sie damals im Luxembourg Hof hielt.

Es handelte sich um eine Darstellung des Lebenslaufes der Königin. Rubens, als höchst gewinnende Persönlichkeit und Mann der größten Welt nahm Maria Medici sofort für sich ein und wurde mit ihr eins über 21 große und zum Teil sehr figurenreiche Bilder, deren Skizzen in Paris entworfen und von der Königin genehmigt wurden. Manche Themata ergaben sich von selbst, und der Meister wird es leicht gehabt haben, sie vorzuschlagen; in andern dagegen mußte er die erbärmlichen Streitigkeiten der Parteien von Mutter und Sohn darstellen helfen, und hier hatte die Empfindlichkeit der Königin ihre besondern Schmerzen und ihre Eitelkeit ihre besondern Triumphe. Man sieht nicht, daß diese Szenen mit geringerer Teilnahme erfunden wären als die übrigen. Eine Hauptsache für Rubens, die man zu wenig betont, war die äußere Stattlichkeit der damals 46jährigen Herrin, welche er sich wohl getrauen konnte als Hauptperson seiner Schildereien zur Geltung zu bringen. Er malte dann in Antwerpen die Bilder mit Hilfe seiner ganzen Schule, und 1625 wurden sie im Luxembourg in die Wände der Galerie eingefügt, welche danach den Namen erhielt; Rubens war wieder da und malte noch einige Zugaben.

Kein Besteller und kein Maler der heutigen Tage dürfte oder möchte eine Darstellungsweise der Zeitgeschichte verantworten wie diese. Nicht nur sind Kostüm und Oertlichkeit sehr frei gewählt, sondern – wehe! – es sind allegorische Gestalten und antike Götter unter die wirklichen Leute gemischt, ja sie werden öfter das handelnde Element im Bilde; der innere Antrieb der Tatsachen wird in sie verlegt. Will sich aber vielleicht jemand heute mit dem Wunsche melden, diese Bilder möchten ungemalt geblieben sein? auch nur: Rubens möchte an deren Stelle etwas anderes gemalt haben? Nein, die Persönlichkeit des Rubens, und schon an dieser darf uns etwas gelegen sein, wäre unvollständig ohne diese herrlichen, wenn auch sehr speziellen Fulgurationen seines Genius. Denn die Kunst hat diese so bedingten Aufgaben auf ihre Adlerschwingen genommen und alles in einen Strom von Leben verwandelt. Und dies konnte sie nur, indem man sie auf das Freiste walten ließ und ihr ihre eigene Sprache gestattete; nur so war jene Verbindung des geheimnisvollen schöpferischen Vermögens mit den einzelnen Szenen, das Wie mit dem Was auf lebendige Weise möglich.

Gerne möchte man bei den Besprechungen des Meisters mit der Königin zugegen gewesen sein, auch wenn sie ihm die elenden Hofhändel von 1617 an so recht von Herzen parteiisch erzählte. Während des Redens der leidenschaftlichen Frau mag schon eine schöne Komposition, wie die Flucht aus dem Schlosse Blois, in seinem Geist entstanden sein, und für die Schlußallegorie, den Triumph der Wahrheit, fand er einen seiner reinsten und herrlichsten Akkorde.

Aber außer der Zeitgeschichte hat Rubens die historische, die heilige und auch die mythische Vergangenheit in großen bewegten Szenen rastlos geschildert, und mit stets wachsendem Erstaunen kommen wir allmählich der unversiegbaren Quelle dieses Könnens näher.

Rubens besaß alle Gaben eines großen Meisters, und wenn seine Menschenbildung nicht nach jedermanns Geschmack und Stimmung ist, so gibt ihm doch die ganze Welt einen unvergleichlichen Reichtum der Phantasie, ein wunderbar lebendiges und sehr dauerhaftes Kolorit, eine seltene Kraft der Lichtdarstellung, endlich ein meisterliches Wissen und Können in allen Teilen seiner Kunst zu. Die souveraine Gabe jedoch, welche ihn stellenweise über alle übrigen Maler erhebt und welche alle jene und noch weitere Eigenschaften in ihren Dienst nahm, das wahrhaft zentrale Vermögen war von ganz besonderer Art, konnte sich auch nur entwickeln, wenn er jeden Vorgang räumlich und sachlich frei, ohne jegliche Rücksicht auf historische Illusion, vom Boden auf neu schaffen durfte.

Wir lieben es, den wahrhaft großen Meistern Augenblicke zuzuschreiben, da sie künftige Kunstwerke wie in einer Vision vollendet vor sich sehen. Diese Vision scheint bei Rubens von reicherer Art gewesen zu sein als bei andern. Er sah zu gleicher Zeit vor sich eine ruhige, symmetrische Anordnung der Massen im Raum und doch die stärksten leiblichen und seelischen Bewegungen; er sah Licht und Leben sich hauptsächlich von der Mitte des Bildes aus verbreiten; er sah seine triumphalen Farbenharmonien und Licht- und Schattenfolgen wie sie kommen mußten vor sich und dies alles im Dienste einer Augenblicklichkeit, welche für ihn vielleicht das Wesentlichste, das Beglückende, das Hinreißende war. Die Hauptsache war: Rubens sah die Vision in gleichmäßiger Reife und Stärke vor sich, bevor er den Pinsel ergriff. Darauf hin konnten dann jene Bilder entstehen, welche der Beschauer, wenn er eine Minute die Augen schließt, nachher völlig verändert vorzufinden erwartet. Was will alle historische Illusion heißen neben dieser ergreifenden Täuschung, welche in der Kunst selbst liegt? Alle geschichtliche Genauigkeit ist der ausgesprochenste, unverträglichste Gegensatz zu dieser Art von lebendigem Geschehen, welches zugleich die mächtigste und wohlgefälligste malerische Erscheinung mit sich führt.

Nicht ohne Furcht berühren wir hier einzelnes insbesondere, wäre es auch nur, weil wir schon in Sorgen sind, uns nur schwer verständlich zu machen.

Rubens hatte das ausgebildetste Bewußtsein der Akzente, welche dann, in ihrer Verteilung im Bilde, als Aequivalente wirken sollen. Diese Akzente aber sind höchst vielartig; alles was den Blick oder den innern Sinn des Beschauers – denn diese beiden konkurrieren hier mit einander – auf eine bestimmte Stelle zieht, ist Akzent, die helle Lichtmasse eines Gewandes so gut wie ein feurig belebter Kopf, das mehr Materielle wie das mehr Moralische, das mehr optisch Wirksame wie das psychologisch Bedeutende. Im Bilde sind diese Aequivalente zugleich meist Gegensätze, von Licht gegen Schatten, von Farbe gegen Farbe, von Bewegtem gegen Ruhiges, und so weiter, und endlich in höherm Sinne Gegensätze dramatischer Art, sagen wir einstweilen von Interesse gegen Interesse.

Daß die Verteilung koloristischer und anderer rein optischer Akzente im Bilde schon eine künstlerische Aufgabe sein kann, lehrt unter anderm die Blumenmalerei. In den Blumenguirlanden des Daniel Seghers herrscht im Grunde ein ähnliches Gesetz, wie in den großen pathetischen Szenen seines Zeitgenossen und Landsmannes Rubens.

Es hat Maler gegeben, welche ihre Akzente im einzelnen mit größter Kraft und Schönheit betonten, Seelenkündiger und große Poeten im einzelnen, deren herrlichste Köpfe und Gefühlsregungen dennoch für die Gesamtwirkung verloren gehen, weil ihre Akzente herrenlos über das Werk verteilt, bald gehäuft, bald zerstreut, zusammen keine Aequivalente bildeten.

In den mächtigsten und reifsten Kompositionen des Rubens dagegen genießt der Beschauer, zunächst unbewußt, neben der stärksten dramatischen Bewegung eine geheimnisvolle optische Beruhigung. Allmählich wird er dann inne, daß die einzelnen Elemente einer mächtigen, aber nach Kräften verhehlten und verborgenen Symmetrie untertan sind. Mit dieser mathematischen Figur hat ganz gewiß Rubens seine Arbeit nicht begonnen, sondern im Augenblick jener Vision wird sie sich von selbst miteingestellt haben und dann mit dem übrigen in seinem Innern gewachsen sein.

Im Raub der Leukippiden (Pinakothek in, München) machen die beiden weiblichen Körper eine fast regelmäßige Lichtmasse genau in der untern Mitte des Bildes aus, um welche sich das übrige wie eine Wolke verteilt: die Entführer Kalais und Zetes, die beiden Rosse und die beiden Amorine. Diese acht Wesen zusammen füllen das genau quadratische Bild auf dem Grunde einer hellen und saftigen Landschaft aus. Das Erstaunen steigt, wenn man inne wird, daß jene beiden herrlich entwickelten Körper einander genau ergänzen, daß der eine genau den Anblick gewährt, den der andere nicht gewährt, daß der Maler sie weislich durch einen Zwischenraum von einander zu isolieren gewußt hat; sie schneiden sich nicht. Vielleicht wird man sagen: dies seien Künste der bloßen Gewandtheit und äußern Meisterschaft; was aber weit darüber hinausgeht, ist das von jener Symmetrie ganz unbehelligte unglaubliche Feuer und die Wahrheit des Augenblickes.

In dem gewaltigen Bilde der Wunder des S. Franz Xaver (Belvedere in Wien), einem jener Gedränge mit mehrern gleichzeitigen Ereignissen, woran selbst bedeutende Maler zu scheitern pflegen, entdeckt das Auge mit der Zeit eine große beruhigende Quincunx, wie die tiefe Dominante im Orgelpunkt einer mächtigen Fuge. Die fünf Hauptakzente – sie stehen in den Endpunkten und dem Mittelpunkt eines römischen X – sind: rechts oben, auf einer hohen Basis, der schwarz gekleidete Heilige im Akt des Wunderwirkens und sein Gefährte; links oben der vom Tode oder Todesnähe erweckte Hindu, hinter welchem ein Neger das schwarze Leichentuch emporzieht; in der Mitte, im Licht, die Gruppe des portugiesischen Harnischmannes und des Mulatten im gelben Gewande, jener nach dem Wiederbelebten, dieser nach dem Heiligen blickend; endlich rechts unten die Gruppe der knieend gegen den Heiligen Gewandten und eines vorwärts tastenden Blinden; links unten der zweite Wiederbelebte mit den Seinigen. Diese Aequivalente sind dramatisch und optisch im einzelnen lauter Gegensätze an Bedeutung, Macht, Alter, Leiblichkeit, Tracht und Wendung und wirken dabei als eine vollkommene Harmonie. Bei näherm Zusehen mag man dann noch inne werden, was für weitere Beruhigungsmittel Rubens hat diesem Gedränge zu Teil werden lassen: er gab den Leuten der einzelnen Gruppen annähernd gleiche Kopfhöhen und ließ gegen die Mitte des Raumes hin eine hell beschienene steinerne Stufe frei. Ein solches Freilassen von etwas Boden, Landschaft, Luft in den gedrängtesten Szenen hatte er vielleicht von Paolo Veronese gelernt.

In der Amazonenschlacht (Pinakothek in München) dominiert schon die gewölbte steinerne Brücke als ruhige mathematische Form das ganze Getümmel; auf der Mitte derselben aber hat Rubens jenes furchtbare Quintett ertönen lassen. Theseus erlegt die Königin Thalestris; ein Grieche reißt über den Rücken von Theseus' Roß das Banner der Amazonen zu sich herüber, und die Bannerträgerin, die von ihrem Kleinod nicht lassen will, wird damit von ihrem Pferd heruntergerissen; drunter genau in der Mitte starrt uns eine enthauptete Leiche entgegen. Auf beiden Seiten des Abhanges gegen das Gewässer hin geht das wildeste Schicksal von Rossen und Reiterinnen symmetrisch seinen Gang; unten wollen sich zwei Amazonen durch Schwimmen retten.

In der Galerie Liechtenstein (Wien) findet sich ein umfangreicher Zyklus großer Bilder, bestimmt zur Ausführung in gewirkten Teppichen. Rubens pflegte in solchen Fällen nicht kolorierte Kartons zu liefern; gemalte Oelbilder fielen ihm offenbar leichter. Das Thema war die Geschichte jenes heldenmütigen Publius Decius, der sich im Samniterkrieg den Todesgöttern weihen ließ, weil er damit seinem Heer den Sieg sicherte. Von diesen großartigen Kompositionen hat des Decius Untergang im Reiterkampf von jeher die meiste Bewunderung erregt. Dies ist der Gegenstand einer vordern Gruppe, während weiter hinten in einem zweiten Licht Sieg und Verderben des Massenkampfes von links nach rechts schreiten. Es sind drei Reiter: Decius auf steigendem Schimmel, sein nunmehriger Gegner auf einem ausschlagenden Braunen, und ein dritter, dessen Roß man kaum sieht; dieser hat im vorhergegangenen Moment dem Decius die Lanze in den Hals gestoßen; vorn unten ein totes Pferd, Menschenleichen und zwei noch lebend Zuckende. Ich glaubte dies herrliche Bild längst zu kennen, wurde aber erst neulich zu meinem größten Erstaunen inne, daß diese ganze Gruppe optisch ein regelmäßiges, etwas niedriges Sechseck bildet, während ich früher nur das unsägliche Feuer des Vorganges und die Herrlichkeit des Kolorites bewundert hatte. In der Mitte der Gruppe aber sind zwei Lücken Luft, durch welche man Teile entfernter Figuren sieht.

Allein Rubens dürstete nach noch wildern Aufgaben einer höchsten Augenblicklichkeit und fand sie in jenen furchtbaren Jagden auf die mächtigsten Tiere der Wildnis. In dem erstaunlichsten dieser Bilder, der Löwenjagd (Pinakothek in München) kommen die Köpfe des ausholenden Helmträgers, des einen Löwen und des abwärts stürzenden Arabers in eine und dieselbe Vertikale, nur um ein weniges links von der Mitte des Ganzen, welche dem hellen Gewande des Arabers gehört. In dieser wunderbaren Szene von sieben Menschen, vier Pferden und zwei Löwen sind alle Motive völlig klar, und außer dem gegenwärtigen Moment ist der ebenvergangene und der nächstkünftige mit hineingemalt. Gerade wo bei Rubens der Beschauer fürchtet, das Gespann seines Sonnenwagens möchte mit ihm durchgegangen sein, bewährt er heimlich die sicherste Mäßigung.

Auch bei einfachem und ruhigem Aufgaben ist Rubens der wahre Meister der schön lebendigen Anordnung und der sprechenden Aequivalente. Zwischen den drohenden Kampf der Sabiner und Römer (Pinakothek in München) malt er in die Mitte die lichten Frauen, welche ihre Kinder küssen und emporheben; bei den feindlichen Gatten und Vätern rechts und links entsprechen sich die Reiter und die jeweilig vortretenden Figuren bei lauter kontrastierenden Bewegungen und Bildungen.

Eines der schönsten Beispiele wesentlich idealer Aequivalente bietet die große heilige Familie des Belvedere in Wien dar: in der rechten Hälfte des Bildes Maria ruhig sitzend im Licht mit dem sich sanft niederneigenden Kinde, hinter ihr Joseph; in der linken Hälfte halbbeschattet Elisabeth, welche eilig ihren kleinen Johannes vor sich hin schiebt, und Zacharias, welcher Aepfel darreicht. Hier wiegen sich höhere Güte und herzlicher Eifer in idealem Sinne und zugleich optisch rein auf Randbemerkung B.'s: Die beiden Gruppen ursprünglich zwei Außenflügel; sie sehnen sich zu einander..

In der großen Himmelfahrt der Maria im Belvedere in Wien, dem vollkommensten der zahlreichen Bilder dieses Inhalts von Rubens Hand, bildet Maria mit den Engeln oben eine symmetrische Raute, welche sich als duftige Lichtwelt von der ganzen untern Partie und ihren leuchtenden, aber tiefen Farben abhebt.

Im heiligen Ambrosius, der den Kaiser Theodosius von der Schwelle der Kirche abweist, sind die beiden Gruppen optisch und moralisch wie auf der Goldwage gegeneinander abgewogen: links der energische Imperator mit seinen drei Adjutanten, wovon einer oder der andere die Frage wohl mit Gewalt zu erledigen fähig wäre; aber die Gruppe hat das Licht hinter sich und ist im Schatten gegeben, zwei Stufen tiefer, welche Theodosius eben hinansteigen will; auf diesen Stufen rechts der Heilige mit seinen ganz ruhigen, meist bejahrten Begleitern, materiell hilflos, aber in vollem Licht, in leuchtendem Bischofsmantel und mit majestätischer Gebärde und hochehrwürdigen Zügen.

Bei diesem Anlaß ein Wort über die Kostüme bei Rubens: Bischof und Chordiener haben durchaus die Trachten seines XVII. Jahrhunderts, und der Kaiser und die Seinigen tragen den allgemeinen römischen Kriegshabit, wie ihn Rubens ziemlich obenhin von antiken Denkmälern abstrahiert hatte. Woher kommt es aber, daß wir bei diesem Meister, der doch bei Gelegenheit die funkelnde Pracht von Sammet, Seide und Schmuck nicht verschmäht, so selten an die Kleidung denken? Sollte es daher kommen, daß dieselbe seinen Gestalten so selbstverständlich vollkommen sitzt, als hätten sie nie etwas anderes getragen? Wie gerne kann man sich neben dieser Art von Richtigkeit die historische Unrichtigkeit gefallen lassen!

Wie oft möchte man überhaupt lieber mit Rubens irren als mit andern Recht haben! Seine Bilder sind zum Beispiel oft stark angefüllt und stören doch nicht wegen der malerisch richtigen Verteilung, während andere mit viel weniger Figuren in derselben Szene überfüllt erscheinen.

Es läge uns nun nahe, auch seine Darstellungen aus der heiligen Geschichte auf das erzählende Element hin zu prüfen und zu schildern, und wir würden ihn überall wahr, mächtig, absolut selbständig, hie und da groß und erhaben finden.

Es darf ihm nie vergessen werden, daß von ihm die ergreifendste Darstellung der Auferweckung des Lazarus stammt. Sein Christus ist hier erhaben.

Man kann abschließend über Rubens sagen: Von keinem Maler gibt es auch nur annähernd so viele Kompositionen, welche mit so voller Hingebung und innerer Beglückung zu Stande gekommen scheinen als von ihm. Dies gilt gleichmäßig von seinen heiligen, mythologischen, allegorischen und genrehaften Szenen. Ueberall wirkt jene geheimnisvolle zentrale Kraft, jene Begeisterung, welche ihm für alle, auch die wunderlichsten Themata von bewegungsfähiger Art verliehen war. Was andern eine desperate Aufgabe erscheinen mochte, dem gewann er erst recht die Darstellungsfähigkeit ab.

Aber alles was er gewesen ist, konnte er nur sein, indem man ihm a priori seine volle Art von Freiheit gestattete. Freilich als der riesige Verwirklicher alles Geschehenden, der im Grunde die Arbeit von Jahrhunderten vorwegnahm, tot war, fand sich in seiner eigenen Schule so wenig als anderswo ein gleichwertiger Nachfolger, und auch die größte Kraft nach ihm, ich nenne aus guten Gründen Luca Giordano, kam ihm kaum von ferne nahe. Und doch durfte dieser noch, was Rubens gedurft hatte.

Mit welchen Schwierigkeiten ringt daneben die Historienmalerei unserer Zeiten! Wie selten darf sie fragen nach der malerischen Wünschbarkeit dessen, was sie darzustellen hat! Wie herrscht das Was über das Wie selbst bei dem größten Können! Wünscht man aber noch Werke der höchsten Inspiration von den Künstlern, so wird man dieselben heute am ehesten erhalten, wenn man ihnen selbst die materielle Wahl des Themas frei läßt und nur die große und schöne Erscheinung begehrt. Man überlasse sie ihren Visionen.

Ein solcher Maler, welcher bei einer höchst außerordentlichen Anlage diesem Ziele nachging, ist vor kurzem aus der Welt geschieden: Makart. Was ihm fehlte, zum Schmerz aller derer, welche bewunderten, was er besaß, wollen wir an diesem noch frischen Grabe nicht erörtern. Die Magie aber, womit er seine Zeitgenossen beherrschte, lag für die Meisten unbewußt doch darin, daß er wirklich im ganzen nur seine eigenen Visionen gemalt hatte. Sie gingen nicht hoch, sie zahlten der Materie einen schweren Zoll, sie entsprachen sozial einem Medium, welches der Nachwelt nicht sympathisch sein wird, aber sie waren sein eigen.


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