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XII.

Wenn Rubens vor allem der große Maler der lebendigen Bewegung überhaupt und der bewegten Historien insbesondere war, so gab es doch auch für ihn unabweisliche Aufgaben, die nur die angedeutete, nur die seelische, nicht die starke äußerliche Bewegung gestatteten; aber auch hier wird man keinen Mangel empfinden. Wahrscheinlich noch in Italien und sogar in Mailand malte er für einen großen Kirchenaltar (jetzt in der Brera) das Abendmahl, nicht den Moment, da die Gewißheit des Verrates ausgesprochen wird (wie bei Lionardo), sondern denjenigen der Einsetzung, und zwar der Benediktion des Brotes, während der Kelch auf dem sonst leeren, mit der Ecke nach vorn geschobenen Tische steht; um diesen, höchst meisterhaft zusammengedrängt, die Apostel, vorn im Helldunkel Judas, der mit einem im Licht gegenübersitzenden Jünger und mit Christus eine mittlere Pyramide bildet; dazu ein wahrhaft geheimnisvoll wirkendes geschlossenes Licht von einem letzten Tagesschimmer und zwei starken Kerzen Die Einwirkung des Caravaggio wird man hier etwa dahin definieren können, daß das Bild des Rubens im ganzen und einzelnen wohl anders lauten würde, wenn es keinen Caravaggio gegeben hätte.. Vielleicht um dieselbe Zeit oder nicht viel später stellte Daniele Crespi denselben Moment der Einsetzung dar (jetzt ebenfalls in der Brera), aber im hellen Tageslicht, mit einem nicht schräg, sondern gerade durch das Bild aufwärts laufenden Tische, der noch mit Schüsseln und Tellern beladen ist; er übertraf den Rubens auf gut altmailändische Weise an gemütlichen Apostelköpfen, aber niemand gibt auf Christus acht vor lauter unbefangener Unterhaltung.

Lehrreicherweise hat es nun in der Nähe des Rubens einen Meister gegeben, der in großen Kunstmitteln von ihm abhängig war, die bewegte Komposition aber, zu der dieselben so wesentlich stimmen, nicht liebte. Jakob Jordaens hatte sich von Rubens her in hohem Grade angeeignet die Fülle der leiblichen Bildungen, das Licht, die Farbenglut, die reiche Stoffdarstellung, ließ aber seine Gestalten womöglich ruhig sitzen oder auch stehen und liegen. Und nun sehen seine biblischen Bilder überfüllt aus, seine Bacchanale wirken durch das bequeme Sitzen dieser mythologischen Gesellschaft komisch, und mit welchem Lärm das Sitzenbleiben bei Jordaens überhaupt noch verträglich ist, zeigen seine großen Bohnenfeste und Hauskonzerte Seine äußerste, hochachtbare Anstrengung in dramatischer Malerei wird man wohl (Museum von Brüssel) erkennen dürfen in dem prachtvoll gemalten Bilde des hl. Martin, der den besessenen Sklaven des vornehmen, noch heidnischen Römers heilt (des Vir proconsularis Tetradius, vgl. Sulpic. Sever., Vita S. Martini, c. 16); dieser letztere, der sich hierauf bekehrte, ist dargestellt – gewiß freilich anders, als dies bei Rubens geschehen wäre – in dem aus dem oberen Bogen zusehenden Manne. In derselben Galerie das anerkannt schönste mythologische Gemälde des Jordaens, La Félicité; in Kassel sein sehr vorzügliches Familienbild. – Von der großen Allegorie des oranischen Triumphes im Bosch bei Haag wird weiterhin die Rede sein..

Diesem und anderen gegenüber ist eben Rubens, soweit es nur der Gegenstand erlaubt, lauter Bewegung und Feuer. Das wenigste davon läßt sich in Worten andeuten, und doch muß dieses spezifische Vermögen noch an besonders sprechenden Beispielen nach Kräften klargemacht werden.

Von vornherein darf man über den Reichtum erstaunen, der ihm gestattete, große Kompositionen, die schon in vollendeten Bildern ersten Ranges vorhanden waren, völlig umzuwerfen und vom Boden auf neu zu gestalten. Von den mächtigen Altarbildern der Wunder des hl. Ignatius ist dasjenige der Wiener Galerie wohl das frühere und schon vor 1620 vollendet, dasjenige in St. Ambrogio zu Genua zwar schon um 1606 versprochen, aber erst 1620 nach Genua geliefert worden, und wir müssen es nicht nur für das spätere, sondern auch für das vollkommenere halten und zugleich für eines der größten Beispiele der Umgestaltung einer Komposition unter völliger Beibehaltung des Hauptinhaltes, so daß die bloße Erinnerung beide Bilder schwer scheiden kann. Beide Male ist es die Heilung von Besessenen links und Mütter rechts, mit gesunden Kindern, für die nur Segen oder Fürbitte des Heiligen gewünscht wird. Im Bilde von Wien herrscht nun die erstere Gruppe stark vor, mit dem besessenen Mann, der, in furchtbarer Verkürzung, kopfrückwärts zu Boden gestürzt ist, und mit der von satanischem Krampf geschüttelten Frau, beide von den entsetzten Angehörigen umgeben und gehalten – während das Bild von Genua nur die besessene Frau mit den Ihrigen und im vollkommensten Gleichgewicht gegenüber eine viel reichere Gruppe der Mütter enthält, vermehrt durch Andächtige aus dem Volk. Die größte Veränderung aber ist mit St. Ignatius vor sich gegangen, der dort im Halblicht mit jener wundersamen Gebärde der Hand den Exorzismus ausspricht, während er hier, anders gewendet, in vollem Licht, mit ausgebreiteten Händen, den Blick gen Himmel, offenbar einer heiligen Fürbitte für Kranke und für Mütter hingegeben ist. Ferner ist dort eine Anzahl Ordensbrüder als Reihe nach der Tiefe des Bildes hin aufgestellt, hier dagegen bilden sie eine dichte, etwas entfernte Schar, während zu beiden Seiten des Ignatius jugendliche Chordiener mit dem schönsten Ausdruck der Teilnahme auf die unteren Gruppen niederschauen. In dem Bilde von Wien, das pathologisch allerdings das weit mächtigere ist, war Rubens dem inneren Drange einer dämonischen Divination und derjenigen Erfahrung nachgegangen, wie sein Volk sie zu besitzen glaubte; im Bilde von Genua folgte er dem sanfteren Seelenausdruck und der Schönheit der Äquivalente, als er das Bild von Wien überlebt hatte.

Wiederum eine andere Art von Freiheit ist es, wenn Rubens in häufig komponierten Szenen dieselben oder ähnliche Figuren in Charakter und Ausstattung, nur mit stets neuer Anordnung und Bewegung vorführt. Namentlich in seinen Hochbildern und Breitbildern der Anbetungen der Hirten und der Könige kehren gewisse alte Bekannte mehrmals wieder, und es ist kaum nötig, dieselben namhaft zu machen. Für den Mohrenkönig und dessen Gefolge dienten ihm teils Studien nach dem Leben (wie denn in neuerer Zeit das Museum von Brüssel ein Bild von vier Köpfen des mehr oder weniger vollständigen Negertypus von seiner Hand erworben hat), und diese konnten ihm auch für Nebenfiguren, z. B. in seinen Bacchanalien, nützlich sein; teils in betreff der orientalischen Tracht jener mächtige, beleibte Levantiner, dessen Einzelbild, reich gekleidet, in der Galerie von Kassel vorhanden ist. Das Wesentliche aber ist der stets echte und ehrliche Ausdruck, womit all diese Gestalten wiederkehren, und die leichte Art, womit sie jedesmal neu und wie selbstverständlich in das allgemeine Leben des Bildes aufgenommen sind, denn von bloßen akademischen Füllstücken, wie sie etwa in großen Historien des Guido Reni vorkommen, ist nirgends die Rede. In den Anbetungen der Hirten erwachsen Andacht und Freude der nämlichen Leute aus dem armen Volke jedesmal wieder auf besonderem Lebensgrund; auch in den zwölf Kompositionen der Anbetungen der Könige, wovon zehn als ausgeführte Altarbilder vorhanden sind (und die Hochbilder darunter wurden schon oben erwähnt), hat Rubens mit der Macht des Lichtes und der Farben, mit Abwechslung von Bewegung und Ruhe, mit Äquivalentien überhaupt, dem Thema immer neue Seiten abgewonnen, und das einzelne, diese ihm vertraut gewordenen Charaktere, hat er offenbar geliebt und ist ihrer, bei ihren stets neuen Antithesen, gar nicht überdrüssig geworden. Dabei ist das Pathos hier ein ganz stilles, und man kann sich den feierlichen Augenblick als lautlos denken. In betreff der Örtlichkeit hat Rubens, wie schon manche Italiener und auch Venezianer des 16. Jahrhunderts, auf die Prachtruine des antiken oder Renaissancestil verzichtet und ein geringes Gemäuer oder einen Balkenbau oder den Raum vor demselben vorgezogen; ihm eigen ist dann die volle Liebe, womit er das Licht daran spielen läßt, und ländliches Gerümpel aller Art, Körbe, Geräte usw. mit darstellt. In der diskreten Anordnung der beiden typischen Tiere (Ochs und Esel) ist der größte Tiermaler aller Zeiten in diesen Szenen nicht mehr zu übertreffen, dazu kommen öfter noch herrliche Hunde.

Mit Jubel beginnt dann die ungehemmte Bewegung wieder schon in den Heiligen Familien. Was für eine Sprache diejenige »Unter dem Apfelbaum« in der Galerie von Wien redet, ist bereits oben anzudeuten versucht worden: die imposante Gegenwart und das volle Licht der ruhigen Madonnengruppe wird aufgewogen durch den Eifer des Äpfel reichenden Zacharias und der Elisabeth, aus deren Händen der kleine Johannes in kräftiger Profilrichtung dem Christuskinde entgegeneilen will. – In der »Flucht nach Ägypten« hat Rubens die Eile und Gefahr mit einer überirdischen Hilfe auf das ergreifendste zusammengebracht. Es entstand (1614) jenes magische kleine Bild der Galerie von Kassel: ein Waldbach bei Nacht und in der Ferne rechts eine Wasserfläche mit Mondspiegel, und nun zieht mit rätselhafter Schönheit die leuchtende Erscheinung an dem Beschauer vorüber, wobei das Licht einzig vom Kinde ausgeht, in den Armen der Mutter; ihr Tier wird von einem starken jugendlichen Engel durch den Bach geleitet, während ein zweiter, auf einer Wolke schwebend, mit einem Stabe den Weg andeutet; Joseph in raschem Schreiten schaut besorgt zurück, denn in der Ferne sprengt ein Reiter, der zu den Verfolgern gehören wird. Das Werk ist zugleich merkwürdig als eines jener Teilplagiate, da Rubens, angeregt durch die Schöpfung eines anderen, zwar mit dem Kopieren beginnt, aber zugleich zeigt, wie dieser es eigentlich hätte anfangen sollen. Das Vorbild war Adam Elzheimer, den Rubens in Rom kennen und, wie es scheint, hochschätzen gelernt hatte; seine mehrmals (u. a. in der Pinakothek von München) vorhandene Flucht nach Ägypten hat mit der des Rubens gewissermaßen die Anlage des Ganzen und die Proportionen von Höhe und Breite gemein sowie auch die bei Elzheimer (vielleicht zum erstenmal?) vorkommende Reise bei Nacht, womit die gesteigerte Gefahr angedeutet wird, allein es fehlen noch die Engel, und das Licht geht von einer Fackel aus, die Josef trägt, und ein zweites Licht von einem starken fernen Hirtenfeuer, anderer Unterschiede nicht zu gedenken.

Christus als Kind zwischen Mutter und Pflegevater wurde als feierliche und ruhige Altargruppe in allen Schulen des 17. Jahrhunderts dargestellt, meist durch Zutat eines Empyreums zum Trinitatisbilde erhöht. (Berühmte Werke, besonders von Albani und Murillo.) Rubens dagegen, laut einem Stiche des Bolswert, versetzte in seiner Empfindungsweise die Szene ins Freie; das Kind geht zwischen Maria und Joseph übers Feld, und beide halten es, aber es drängt sie voran, und die Unterschrift des Stiches: et erat subditus illis (aus Luk. 2, 51) geht nur bedingterweise in Erfüllung, und Gottvater und die Taube oben bleiben unbeachtet.

Ganz mächtig und tragisch aber verbindet sich die starke Bewegung mit einem der großen Momente der Passion, und hier hat Rubens in einzig originaler Weise das Erschütternde bis auf die volle Höhe gesteigert; es ist die große Kreuztragung des Museums von Brüssel, gemalt für die Abtei von Afflighem und vollendet 1637. Die Komposition ist in vier Stadien bekannt: einem anfänglichen Stich des Paulus Pontius, zwei kleinen Ölbildern und endlich dem Hochbild für den Altar, und jedesmal wird die Erzählung einfacher, mächtiger und furchtbarer; der Beschauer wird in langes Mitdulden hineingezogen, indem der Zug einen steilen und engen Bergweg hinangetrieben wird, vom Rücken gesehen, jedoch so, daß die Hauptgestalten sich nach vorn umwenden; in der Mitte, um den hinsinkenden Christus herum, bilden erst in der letzten, reifsten Redaktion die hl. Veronika und die Frauen von Jerusalem mit ihren Kindern samt dem einen das Kreuz unterstützenden Schergen jene beinahe symmetrische Lichtmasse; aus dem unteren Rande aber tauchen jetzt, von Kriegern geschleppt, die beiden Schacher als Halbfiguren empor, und nachdem sie laut dem Stiche vorn im Zuge mitgegangen und kaum bemerkbar gewesen waren, verstärken sie nunmehr die düstere Wirkung dieses »Aufwärts« in ergreifender Weise.

Auch dem Gräßlichen konnte sich Rubens so wenig unbedingt entziehen als einst im 15. Jahrhundert seine berühmten niederländischen Vorgänger, wenn sie die Martern von Heiligen malen mußten. Für die Jesuitenkirche von Gent malte er eigenhändig das Martyrium des Ortspatrones St. Lievin, und in Lichtern und Tönen ist es anerkannt ein Meisterwerk (Museum von Brüssel). Die Mitte des Bildes wird scharf betont durch das feuerrote Barett desjenigen Schergen, der die ausgerissene Zunge des Heiligen an einer Zange einem Hunde darreicht; links wird St. Lievin selber durch einen Schergen, der ihn am Barte ergriffen hat, zu Boden gezerrt, anderer wüster Züge nicht zu erwähnen; oben in der Luft, über erschrockenen Soldaten und einem bäumenden Schimmel, wenigstens nicht ein himmlisches Konzert wie über damaligen italienischen Martyrien, sondern Racheengel; als erstaunliches Äquivalent der ganzen Henkerszene links aber wird die ganze untere Ecke rechts eingenommen durch einen Hellebardier, der noch mit dem Kopfe zurückgewandt ist gegen die himmlischen Erscheinungen, bereits aber nach der anderen Seite wie wahnsinnig von dannen stürzt, in echter Rubenscher Vereinigung eines vorhergehenden und eines kommenden Momentes.

Bei der Marter des hl. Laurentius (München, Pinakothek, stark restauriert) mag Rubens recht wohl des Wetteifers mit dem berühmten Tizian der Jesuitenkirche in Venedig sich bewußt gewesen sein. Der große Venezianer hatte sich auf die Schönheit des einzelnen, zumal des auf dem Rost ausgestreckten Körpers, auf seine drei verschiedenen Lichter, auf einen großen baulichen Hintergrund und andere Reizmittel verlassen können; Rubens dagegen machte den Heiligen, der, auf dem Rost sitzend, durch Schergen zurückgebogen wird, zur genauen Mitte einer stark bewegten und durch eine große Horizontale doch optisch beruhigten Komposition, die gegenüber der lockeren Anordnung Tizians die feste Geschlossenheit für sich hat; alle Ursachen sind mächtiger und die Wirkung einheitlich.

Und hier hielt sich Rubens noch innerhalb des von ihm stets mit hohem Ernst und Andacht behandelten Altarbildes, während ihm sonst auch biblische so gut wie mythische Szenen Anlaß bieten konnten, der Kraft des Momentanen ihren vollen freien Lauf zu lassen. Um jene Zeit, etwa von 1617 bis 1619, die die Münchener Löwenjagd, die Amazonenschlacht, die Bilder aus der Geschichte des Decius entstehen sah, malte er z. B. den Untergang von Sanheribs Heere. Laut der Bibel (2. Könige 19, 35) schlägt zwar der Engel des Herrn in einer Nacht im Lager der Assyrer 185.000 Mann, aber es ist damit deutlich eine Lagerpest gemeint: »und als man sich des Morgens frühe aufmachte, siehe, da waren sie alle tote Leichen.« Rubens dagegen gibt einen durch Engelserscheinungen verursachten wirren und wütenden Fluchtausbruch, eine Schlacht ohne irdische Feinde, vorwiegend von Reitern, und auch die Rosse sind außer sich, und dies alles mit Strömen von Licht und Nacht. Und in der nämlichen Pinakothek von München, die dies Bild enthält, findet sich als offenbares und gleichzeitiges Gegenstück (und genau von gleichen Maßen, 95 cm Höhe zu 121 cm Breite) die Bekehrung des Paulus; auch hier eine überirdische Erscheinung, nämlich Christus mit Kinderengeln, als Riß durch den Nachthimmel, und auf Erden ein Getümmel ohne irdischen Feind, aber ganz anders angeordnet: die durch das ganze Bild gehende Gruppe des Mittelgrundes, Leute und Rosse in prächtiger Verwirrung, ist durch ein erhelltes Terrain getrennt vom Vordergrund mit dem kopfabwärts vom Rosse gestürzten Paulus und drei Begleitern. Wer kann nun sagen, wie viele solche visionär beleuchtete heroische Gewühle von Mann und Roß noch im Grunde von Rubens' Seele schlummerten? Zugemutet wird das Thema in neuerer Zeit niemandem; damals aber, und bei ihm, hat es sich wohl einstellen müssen.

Unvermeidlich erbte Rubens ferner aus Malerei und Skulptur der ganzen Renaissance die große Aufgabe der Entführungen, wobei heftig bewegte prachtvolle weibliche Körper die Herrschaft üben. Sie können vor sich gehen auf Erden, und die Entführung der Leukippiden durch die berittenen Söhne des Boreas wurde bereits als eine der mächtigsten und schönsten Momentschöpfungen des Meisters erwähnt. Mit Roß und Wagen erscheint dann Pluto, um Proserpina mit sich zu reißen, durch mehrere, auch friesartige Darstellungen hindurch, vom Stiche des Soutman bis zu dem Bilde der Galerie von Madrid. Ganz besonders aber mußte Rubens die Entführungen in den Lüften schätzen, da das weibliche Wesen in freiester Schönheit des Umrisses schweben kann; und emporgehoben durch einen nackten Alten, gilt es in den damaligen Schulen meist als die von der »Zeit« geraubte »Wahrheit«.

Nun ist zugegeben, daß im letzten Bilde der Galerie des Luxembourg (Louvre) die schwebend gehaltene »Wahrheit«, einer der allerschönsten Akte des Rubens, nicht als vom Zeitgott geraubt, sondern als bewahrt und gerettet gilt (la Vérité soutenue par le Temps); aber eine ganz unzweifelhafte, sogar gewaltsame Entführung in den Lüften ist (Akademie von Wien) die der Oreithyia durch den greisen Boreas, der seine Backen aufbläst, und was die drei im grauen Wolkenraum mitschwebenden Putten in den Händen tragen, sind große Hagelkörner. (Eigenhändig und von der besten koloristischen Wirkung, wobei auch die Farben der schwebenden Gewänder in Betracht kommen.)

Das Thema gipfelt dann – und schon seit dem 15. Jahrhundert – in der Massenentführung, und zwar zum Teil durch Berittene; es sind die Römer unter Romulus und die jungen Sabinerinnen, und man darf vom malerischen Gesichtspunkte aus fragen, ob die Szene wünschbar war; außer aller Frage stand es jedoch, daß Rubens einmal dieselbe so malen würde. Das schöne eigenhändige Bild der National Gallery ist nicht etwa ein Gegenstück des oben erwähnten Münchener Gemäldes von der Versöhnung der Römer und der Sabiner, sondern von viel kleinerem Maßstab und ganz anderer Stimmung. Raub, Widerstand und Jammer sind in erstaunlicher Abwechslung dargestellt, in den drei Gruppen des Vordergrundes aber, namentlich in der schönen dicken Frau, die die Hände faltet – unam longe ante alias specie ac pulchitudine insignem, wie Livius (I, 9) sagt –, sowie in der meisterlichen Gruppe rechts, wo ein berittener Räuber durch einen anderen beim Heraufheben einer Geraubten auf das Pferd unterstützt wird, wirkt Rubens heiter und schlägt wohl wissentlich ins Komische um.

Was soll man vollends von Simson und Delila (Pinakothek von München) denken? Frühere hatten den Helden schlafend dargestellt, auf dem Knie der Buhlerin, die ihm ganz bequem die Locken abschneidet. Rubens möchte nun, wenn uns die Erinnerung nicht täuscht, der erste gewesen sein, der ein Momentbild der schärfsten Art schuf, indem er den erwacht Auffahrenden malte, da er bereits von feindlichen Kriegern überwältigt und gefesselt wird. Es folgt, in der Anordnung eine bloße Variante, aber mit wichtigen psychologischen Veränderungen, der Simson des van Dyck in der Galerie von Wien, dann der des Rembrandt (Kassel) und das in lauter Einzelzüge des niederträchtigen Hohnes aufgelöste Bild des Jan Steen im Museum von Antwerpen, und fortan möchte Simson überhaupt nur noch als Überwältigter gemalt worden sein. Als feinere Szenen aus dem tragisch sowohl als ironisch aufgefaßten »Lauf der Welt« kommen jedoch nur die Bilder des Rubens und des van Dyck in Betracht, und der letztere hat dann den Lehrer übertreffen können in dem vornehm gleichgültigen »Fahre hin!« der Delila und dem schmerzlich auf sie gerichteten Blick des Helden, denn bei Rubens war dieser nach der anderen Seite hin gewandt. Gemeinsam, als Moralität, bleibt beiden Bildern der Verrat der Buhlerin und die Bewältigung auch des Höchstbevorzugten durch die vielen, wenn seine Stunde geschlagen hat. Die Alte hinter Delila hat bei Rubens, wie billig, denselben Ausdruck wie diese, nur auf einer anderen Stufe und im Profil.


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