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II.

Die äußere Lage der abendländischen Malerei, so wie auch Rubens sie vorfand, ist eine bekannte. Immer von neuem aber wird man sich, bis ins einzelne hinein, die damalige Welt der Besteller und Bestellungen in ihrem Gegensatz zur heutigen zu vergegenwärtigen haben. Vor allem ist der Boden, auf dem die Kunst wächst, nicht der von modernen Großstädten, von beweglichem und damit auch sehr wandelbarem Reichtum. Keine öffentliche Meinung, die von beständiger Neuerung ihre Nahrung zöge; keine Presse, die als Organ einer solchen Meinung diente und auch die Kunst des Ortes in ihren Bereich, ja sogar die Künstler in ihre Abhängigkeit zu bringen imstande wäre. Daneben kein Roman mit dem Programm beständiger Neuerfindung aus der Tageswelt, mit vorherrschender Verbildlichung der umgebenden Menschen und Hergänge, wie sie auch sein mögen. Kein plötzliches Pathos, welches über die von der sogenannten Bildung bewegten großstädtischen Schichten käme, um in Kürze einem anderen Platz zu machen. Mit einem Worte: kein Publikum, von welchem alles und jegliches und also auch die Malerei abhinge, und keine Ausstellungen der heutigen Art Es ist uns nicht bekannt, ob und wo die Kunden über das damalige Ausstellungswesen, besonders den in Italien und auch außerhalb mit Ausstellungen verbundenen St.-Josephs-Tag, 19. März, schon zusammengestellt sein mögen. Über den damaligen Kunsthandel finden sich viele einzelne Angaben aus Italien und namentlich aus Holland. – Im 17. Jahrhundert werden dann, insbesondere für Rom und Neapel, noch mehrere andere mit Gemäldeausstellungen verbundene Heiligentage genannt, z. B.: bei De' Dominici..

Was Rubens als Objekt seiner Kunst antraf, war noch eine feste Einheit der idealen und eines anerkannten Kreises der realen Welt, vorherrschend im Sinne der romanischen Völker. Biblische, visionäre, legendarische, mythologische, allegorische, pastorale, historische und sogar einige alltägliche Welt, Gestalten sowohl als Szenen, bilden noch ein Ganzes, und ein mächtiger, von seiner eigenen Lebensfülle inspirierter Naturalismus getraut sich nun, dies alles in der richtigen Temperatur zu halten. Diesen Horizont, wie er ihn teilweise von früh an in Antwerpen und dann besonders in Italien in sich aufgenommen, hat Rubens im Grunde nicht durchbrochen; er ist kein Phantast auf eigene Hand geworden, sondern nur der weitmächtigste Herold und Zeuge dieses Gegebenen. Seine ungeheure Erfindungskraft ging im wesentlichen damit dahin, dieses Gegebene jedesmal neu zu empfinden und neu zu geben. Es ist, als hätten sich Religion, Fürstenmacht, Sage, Mythus und Poesie aller Zeiten, dazu der Kreis der Seinigen und seines vertrauten Umganges, ja die elementare Natur als mächtige Tierwelt und Landschaft vertrauensvoll an ihn gewandt, er möge sie auf seine Adlerschwingen nehmen.

Zunächst war es ein außerordentliches Glück für den Katholizismus des ganzen Nordens, einen so großen, glücklichen, freiwilligen Dolmetscher zu finden, der sich für alles Dasein der religiösen Gestaltenwelt so von selber begeistern konnte. Für Rubens aber war es von Vorteil, daß in seiner Nähe kein Thron stand, daß nur die höchst andächtigen Erzherzoge, Albert und Isabel, walteten, daß Antwerpen nicht der Sitz der Papsttums war, ja nicht einmal der Sitz der mächtigsten niederländischen Theologen, denn dieser befand sich in Löwen. Für jede Auskunft kirchlicher Art werden ihm die Jesuiten von Antwerpen und ganz besonders die dortigen Dominikaner von St. Paul genügt haben, für deren Kirche er die berühmte Geißelung Christi malte und das Rosenkranzbild des Caravaggio stiften half Ein großes Altarbild, das der Verfasser in St. Paul immer übersehen zu haben bedauert und hier nur nach Lafenestre, La Belgique, p. 272, und nach einigen ungenauen Worten des Bellori, S. 223, erwähnen kann, stellt die Kirchenväter und andere heilige Theologen versammelt vor einer Halbkuppel mit Säulen dar und in der Mitte einen Altar mit einer Monstranz. Da nun schon Bellori »i quattro Dottori che parlano del divino pane« erwähnt und das Bild bis heute La dispute du Saint-Sacrement genannt wird, so mögen die Väter von St. Paul auf Kunde, vielleicht sogar auf Anschauung von Raffaels vatikanischem Fresko hin, wie man es damals irrig deutete, von Rubens eine Disputa gewünscht haben. Das Werk ist eines der allerfrühesten nach der Rückkehr aus Italien gemalt (1609) und soll bei einiger malerischen Befangenheit von höchstem Fleiß der Ausführung zeugen.. Und so wie diese Ordensleute dachten ohne Zweifel auch die reichen Innungen und geistlichen Bruderschaften, welche die großen Kirchenbilder bestellten, und ebenso auch die einzelnen Stifter, wie z. B. der Bürgermeister Nikolaus Rocox, einer der eifrigsten Freunde des Rubens, der für denselben eine ganze Reihe von Bildern malte. Die Kirchenbilder des Rubens sind aber auch der große Gipfelpunkt des Ersatzes für das, was der furchtbare niederländische Bildersturm des Jahres 1566 vernichtet hatte. Zunächst hatten die niederländischen Manieristen, die damals schon in voller Tätigkeit waren, die Kirchen wieder mit Altären versehen, vielleicht schon Floris in seinen letzten Jahren, dann Martin de Vos, die Werkstatt der Familie Franck u. a. m. Rubens aber, schon unmittelbar nach der Rückkehr aus Italien, schuf sofort die allergroßartigsten Altarwerke, und sein Ruhm hierfür verbreitete sich, wie oben erwähnt, bald weit in das katholische Süddeutschland Für Neuburg übernahm er, außer dem Großen Jüngsten Gericht, den Großen Engelsturz, die Anbetung der Hirten und das Pfingstfest, für den Dom von Freising das Bild des Weibes der Apokalypse, sämtlich jetzt in der Pinakothek zu München. Außerdem, ebenda, die 1618 für Herzog Max von Bayern gemalte Löwenjagd, denn der Ruhm der weltlichen Kunst gesellte sich zu dem der religiösen.. Bis an sein Lebensende hat er es mit der Verherrlichung des Altares sehr ernst genommen und dabei auch den niederländischen Volksheiligen (St. Bavo, St. Amandus, St. Lievin usw.) seine besten Darstellungskräfte gegönnt. Große Klosterkreuzgänge mit legendarischen Freskenzyklen zu schmücken, wie z. B. die damaligen Bologneser mit dem achteckigen Hallenhof von St. Michele in Bosco taten, lag außerhalb der niederländischen Sitte; statt dessen wurden die wichtigeren Kirchen von ganz Brabant und Flandern mit Altarbildern der Schüler, Gehilfen und Nachfolger des großen Meisters versehen, in einem ähnlichen Verhältnisse der Zahl und des Wertes wie die damaligen Kirchen von Italien und Spanien. – Bilder für die Hausandacht hat Rubens wenige, wenn auch dieses und jenes sehr vorzügliche, geschaffen. Es scheint, daß die noch heute in so großer Menge vorhandenen älteren Hausaltäre in Antwerpen von jenem Bildersturm wenig oder gar nicht betroffen worden waren und in den Familien weiter verehrt wurden.

Für die Verhandlung mit den Großen dieser Welt wird dem Rubens schon in Italien vieles klar geworden sein: vor allem ihre Ungeduld, der nur mit Schnellarbeit zu genügen war; der Kreis ihrer Vorstellungen und ihrer Bildung; dazu das Familienprunkgefühl und die große Vollmacht, welche die Allegorie in jeglichem Sinne genoß und deren längst gebräuchliche Einmischung in erzählende Szenen, schon seit Vasaris Sala de' cento giorni und sogar früher. Und wenn der Maler unbezahlt blieb oder warten sollte, weil bereitliegende Summen mit irgendeinem Pomp des Augenblickes oder mit politischen Bedürfnissen dahingegangen waren, und wenn ein Haus Farnese selbst einen Annibale Carracci mit elender Knauserei abfertigte, so verstand es Rubens in der Folge, sich, wenn auch nicht vollständig, doch annähernd zu decken, alles übrige aber möchte für ihn wohl nur ein Reiz mehr gewesen sein. Was er suchte und fand, war ja bei weitem nicht bloß das massenhafte Geschäft, wie bei Federigo Zucchero und den späteren Ereignismalern des Dogenpalastes von Venedig, sondern es waren Anlässe, da auf vielleicht sehr flüchtige und unklare vorläufige Andeutungen hin sofort das Feuer möglicher bewegter Szenen in ihm emporflammte. Mit Vorgängen, die anderen kaum darstellbar geschienen hätten, ging er nun wohl in seinem Innern schon die kühnsten Wetten ein, und während die Könige oder ihre Vertrauten noch zu ihm sprachen, war etwa bereits durch den hurtigen Stift eine erste Skizze entstanden. Dabei mochten die hohen Besteller auf das angenehmste über sich selbst erstaunen, daß ihnen so schöne Dinge eingefallen seien, und der Künstler wird sie im weiteren Verkehr hierüber gewiß nicht enttäuscht haben. Die Galerie des Luxembourg – das auch der sonstige gelehrte Beirat sein mochte – ist nicht entstanden zu denken ohne die lebhaftesten italienische Gespräche zwischen der Königin und dem mit aller mediceischen Familienverherrlichung längst bekannten Meister. Und wenn der schweigsame Don Philipp IV. sonst das ganze Jahr hindurch kaum einige Worte sprach, so hat er doch notorisch mit Künstlern eine Ausnahme gemacht; selbst zu seinen bolognesischen Gewölbedekoratoren stieg er öfter auf das Gerüst und redete mit ihnen auf das vertraulichste Passeri, Vite de' Pittori etc. Ed. Roma 1772, p. 272, v. di Mitelli., und so mochte er auch an der Porträtstaffelei des Rubens nicht stumm geblieben sein, vielmehr über die großen Zyklen geistlicher und profaner Art, die man von diesem wünschte, sich einigermaßen ausgesprochen haben. Hierbei wird man weniger an die acht umfangreichen (zum Teil wenigstens römischen) Historien für den Hauptsaal des Palastes von Madrid zu denken haben Vgl. Waagen, Textheft zum Rubens-Album, S. 25. als an die neun mächtigen Allegorien vom Triumph des Glaubens, von dem unten näher die Rede sein muß, denn an dieser Stelle wird eine ganz persönliche Denkweise des Königs in Betracht gekommen sein.

Außerdem ist hier auch am besten eine königliche Bestellung zu erwähnen, die ein ganz unermeßliches Kraftgefühl des Meisters voraussetzt. Es handelt sich um den neuerbauten Jagdpalast Torre de la Parada unweit von Madrid, und hier hätte es naheliegen können, in Ermangelung damaliger einheimischer Profanmaler der gewünschten Richtung ausgezeichnete italienische Freskanten kommen zu lassen; allein der Hof besaß von Tizian her die Tradition gemalter Tuchflächen, und nun hätte nach der einen Aussage Rubens selbst die Maße genommen für einen Zyklus von Szenen aus Ovids Metamorphosen, während man ihm, laut anderen, erst später (1636?) diese Maße, ja die Tuchflächen selbst nach Antwerpen übersandt hätte. Und zwar sollte Laut Bellori, S. 233. Bild an Bild stoßen; nicht bloß die Flächen über Türen und Fenstern (sopraporte e soprafenestre), sondern auch die übrigen Wandflächen, sogar die der Korridore und Treppenpodeste sollten mit Malerei angefüllt sein, und in einige Zwischenräume kamen Tierdarstellungen, scherzi d'animali, die der große Gehilfe des Rubens in diesen Dingen, Frans Snyders, auszuführen hatte. Was nun als Ganzes wirklich entstand (zum wohl weitgrößten Teil von Schülerhänden) und 1638 tatsächlich nach Spanien übersandt wurde, beschränkte sich auf Ovid; es war »ein Zyklus mythologischer, realistischer und höfisch-allegorischer Wald- und Jagdbilder«. Fragt man nach dem seitherigen Verbleib dieses großen Depositums – indem ja für Jagdschlösser die Gunst eine ganz besonders unbeständige ist –, so werden manche Bilder, und vermutlich die besten, in andere königliche Residenzen hinübergenommen worden sein, und wenn Palomino von mehreren Metamorphosenbildern des Rubens berichtet, die nach Madrid in die Zimmer des Königs verbracht worden seien, so stammten diese wohl gewiß aus der Parada; wie vieles aber in der jetzigen Galerie von Madrid denselben Ursprung haben mag, wissen wir nicht anzugeben. (Merkur und Argus sowie die Entführung der Hippodamia, die in der Galerie von Brüssel samt einem Gigantensturz des Eskorial durch drei Skizzen repräsentiert sind? – Die Entführung der Proserpina? Die Säugung des Herkules? – Ja vielleicht das Madrider Urteil des Paris?) Wenn das köstlich gedachte Bild der Latona mit den lykischen Bauern in der Pinakothek zu München etwa aus der Parada stammt oder wenigstens für dieselbe bestimmt war, so ist es vielleicht nicht die einzige von der humoristischen Seite gegebene Metamorphose gewesen. In Dresden läßt sich mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit aus jener Quelle ableiten eine Diana mit Nymphen auf der Jagd, und da die Jungfrauen zum Teil Porträts sind, darf man in diesem Ganzen »eine vornehme Gesellschaft unter mythologischer Maske« vermuten.

Vielleicht aber war noch eine weitere große Unternehmung zwischen dem Urenkel Karls V. und dem Maler von Antwerpen wenigstens flüchtig zur Sprache gekommen. Das Museum von Berlin besitzt eine wundervoll feurige Schlachtskizze, wo Bewegung und Licht von der Mitte aus magisch auszustrahlen scheinen, etwa wie in dem großen angefangenen Bilde der Schlacht von Ivry (Uffizien); der dargestellte Moment aber ist der entscheidende Sieg Karls V. vor Tunis (20. Juli 1535) über das Heer des Hayraddin Barbarossa. Ist es etwa nur eine von vielen Szenen aus einer Geschichte des großen Ahns, mit welcher sich die träumerische Seele Don Philipps IV. könnte beschäftigt haben Der Gedanke eines solchen Zyklus wäre nicht neu gewesen: über die große Reihe von Teppichen, die schon ein Augenzeuge des tunesischen Zuges, Jan Vermayen, im Auftrage Karls V. komponierte, vgl. den Wiener Galeriekatalog von Engerth, Band II, S. 522 ff., wo man Auskunft findet sowohl über die jetzt der Wiener Galerie einverleibten großen Gouache-Kartons als über die kleinen Skizzen und über die beiden noch erhaltenen Ausführungen in Wirkerei. Die gewirkte Serie in Madrid wird Rubens ohne Zweifel gekannt haben, aber in ihm erwachten wohl andere Vorgänge als in dem guten Vermayen. – Die Skizze von Berlin prägt sich besonders ein durch die Gruppe eines tunesischen Anführers, der kopfabwärts von dem hochsteigenden Rosse stürzt, während ein spanischer Anführer auf ihn einhaut.?

Das Haus Stuart endlich konnte, wenn es sich in ganz Europa umsah, die niederländische Kunst und den Rubens für seine monumentale Verherrlichung einfach nicht entbehren. Karl I. hatte schon als Prinz von Wales nachgesonnen über eine große Malerei in Whitehall, als dasselbe noch im Bau begriffen war; jetzt, als König, wurde er mit dem als Diplomat anwesenden Rubens einig über eine allegorisch-historische Verklärung seines Vaters Jakob I. in neun großen Feldern der Decke des dortigen Festsaales. Außer den betreffenden Skizzen malte Rubens in London auch mehrere andere Bilder und schuf, ebenfalls für den König, die Entwürfe zu acht Wandteppichen mit der Geschichte des Achill. Die letztere Arbeit geriet, nach den uns aus Stichen bekannten einzelnen Szenen, allerdings sehr flüchtig, während die Decke von Whitehall wenigstens der vollen Erfindungskraft des Meisters entsprechen soll. (Vollendet und nach London abgeliefert 1635.) Wie sehr der Hof noch weiter nach ihm verlangte, erhellt daraus, daß kurz vor seinem Tode mit ihm verhandelt wurde über drei Bilder mit Geschichten der Psyche für die Decke des Schlafgemaches der Königin Henriette im Palast zu Greenwich.

Das Geschäftliche an dieser Art des Schaffens, prosaisch zusammengefaßt, war wohl in Kürze das Folgende: Ein gewaltiger Meister der historisch-allegorischen Kunst – niedergelassen an einer tatsächlich soviel als neutralen Stätte des Okzidents – in einer Zeit, da der malerische Ruhm von Venedig verdunkelt war – und deutsche und französische Maler nicht in Betracht kamen – der Sendungen in die Ferne bereits gewohnt – wird (durch Vermittlung eines Geschäftsträgers der Erzherzoge am französischen Hofe) mit der mediceischen Ambition der Königinwitwe von Frankreich in Verbindung gebracht und erreicht durch einen großen Gemäldezyklus einen höchsten Ruhm an einer Stelle, wo geraume Zeit das vornehme Europa aus und ein ging; – weiterhin veranlaßt der Eindruck seiner Persönlichkeit eine sonst unerhörte Verbindung von Malerei und Diplomatie und einen persönlichen Austausch mit den Mächtigen, die sich von ihm (so scheint es) ihr Pathos ausdeuten ließen; – nebenher aber geht wie selbstverständlich die Komposition für große Teppichfolgen. Es ist möglich, daß in diesen Kreisen eine Ahnung auftauchte, man möchte es mit dem größten Erzähler aller Zeiten zu tun haben. Die ausführende Arbeit aber bleibt der Werkstatt zu Antwerpen vorbehalten, wo der Meister eine Auswahl von Gehilfen um sich hat wie kein anderer der damaligen Zeit; und von hier gehen dann die vollendeten Malereien zusammengerollt in alle Lande, wobei ihnen bisweilen die Sorge folgt, sie möchten nicht unverletzt anlangen. Es ist eine ganz andere Welt als die der von Kirche zu Kirche, von Palast zu Palast wandernder Freskomaler.

Diese Werkstatt war nun zunächst in Antwerpen bei weitem nicht die einzige angesehene, und auch andere fanden daneben ihr reichliches Gedeihen; ja das Haupt einer derselben, Jan Breughel (der sogenannte Sammetbreughel, 1626), war der vertraute Freund des Rubens, der sich sogar für wichtige Bilder zur gemeinsamen Arbeit mit ihm zusammentat; sodann aber diente die Werkstatt dem Meister lange nicht bloß bei jenen massenhaften Aufträgen des Auslandes, sondern zu einer täglichen Mitarbeit überhaupt. Rubens stand schon früher sicher und hoch genug, um Werke zu schaffen und schaffen zu lassen, die verkauft werden oder auch in seinem Besitz bleiben konnten; die gleichmäßige Beschäftigung der jeweilen bei ihm arbeitenden Schüler aber, führte wohl von selbst dazu, Wiederholungen des schon Geschaffenen im Vorrat malen zu lassen, die er dann mit mehr oder weniger Teilnahme vollendete. Auf diese Weise bildete sich jene Stufenreihe vom völlig Eigenhändigen zum eigenhändig in wesentlichen Teilen Vollendeten, zum bloß Übergangenen, zum Atelierbild des verschiedensten Ranges, zum Schülerbild nach bloßer Zeichnung des Meisters, zur Kopie, welche vielleicht schon der Werkstatt fremd war, endlich zur bloßen auch auswärtigen Nachahmung. In dem Briefwechsel mit Carleton, dem englischen Geschäftsträger im Haag, vom Jahre 1618, wo der damalige Vorrat, wenigstens soweit es dem Meister dienlich schien, verzeichnet ist, kommen mehrere dieser Nuancen samt dem Grade der Schülerbeteiligung deutlich vor.

In drei Jahrzehnten hat sich das Personal dieser berühmten Schülerschaft natürlich stark erneuert. Als »Kronprinz«, wie ihn Fromentin nennt, ragte neben dem Herrscher Anton von Dyck hervor, der laut der neueren Forschung sogar zeitweise einen sehr starken Einfluß auf Rubens selbst gewann und dann, wie dieser, eine weit über die Niederlande hinausgehende Wirkung zu üben bestimmt war. Der Nächstkräftige nach diesen beiden, Jakob Jordaens, wird, obwohl Freund des Rubens und in seinem Können völlig von ihm abhängig, doch jetzt aus der Zahl der Schüler und auch der Mitarbeiter ausgeschlossen. Für einzelne Partien der Bilder spezialisierte sich diese Gehilfenschaft: für Tierbilder und auch für Tiere in den übrigen Bildern sowie für Akzessorien war weit der mächtigste Frans Snyders, nur zwei Jahre jünger als Rubens und durch seine edle und anziehende Persönlichkeit, wie man sie im Wiener Bildnis von van Dycks Hand kennenlernt, würdig, auch der Freund des Rubens zu sein; für das Landschaftliche werden besonders Lucas van Uden und Jan Wildens genannt. Wie Rubens die übrigen je nach ihrer besonderen Fähigkeit verwandte, glaubt man noch heute in manchen einzelnen Bestandteilen seiner Bilder ausmitteln zu können. Für die Galerie des Luxembourg werden außer den bereits Genannten namhaft gemacht Justus van Egmond (geb. 1601), Peter van Mol (geb. schon 1580), Kornelius Schut (geb. 1597), Jan van den Hoecke (geb. 1611, und somit doch wohl zu jung?), Simon de Vos, Deodat Delmont und andere, und mit mehr oder weniger Sicherheit weist man noch partienweise deren Tätigkeit nach. Unter den späteren Exekutanten des Rubens ist in erster Linie Theodor van Thulden (geb. 1606) zu nennen und auch Abraham von Diepenbeck ist jedenfalls ein Hauptschüler gewesen, und die schöne Komposition des großen Bildes der Clölia (Dresden) ist sogar zwischen ihm und dem Lehrer streitig.

Soweit wir nun zu urteilen imstande sind, war es vielleicht eines der glücklichsten Ateliers, von welchen wir Kunde haben. Neben den sonstigen menschlichen und künstlerischen Eigenschaften des Meisters kann man sich ihn schon nicht anders denn als einen höchst vollkommenen Lehrer vorstellen, und auf diesen scheinen all diese Kräfte ringsum nur eben gewartet zu haben. Unter seinen Augen entwickeln sie nun – nicht eine knechtische Nachfolge, sondern ihre höchst achtbare Selbständigkeit; sie werden keine Manieristen, weil sie nicht die Empfindungsweise des Meisters nachahmen, sondern seinen Grundsätzen und Kunstmitteln nachfolgen. Und ganz freiwillig lebt ja der Geist des Rubens weiter in auserwählten Werken von solchen, die überhaupt nie seine unmittelbare Lehre genossen haben, wie de Craeyer und van Oost, ja in seinem Gegner Janssens und dessen Schüler Rombouts, anderer nicht zu gedenken. Auch in der ganzen belgischen Genremalerei, nicht in Teniers allein, ist auf das glücklichste eine von Rubens ausgegangene Kraft sichtbar.

Kehrt man jedoch wieder in die eigentliche Werkstatt zurück, so ist es nicht so ganz leicht, sich das normale, vorherrschende Zusammenarbeiten von Meister und Gehilfen vorstellig zu machen. Laut Waagens Annahme zeichnete Rubens die Bilder auf, ließ sie hierauf nach Farbenskizzen von den Schülern sehr fleißig untermalen und vollendete sie dann mehr oder weniger Weitere Auskunft über die verschiedenen bei Rubens nachweisbaren Techniken s. bei v. Frimmel, Handbuch der Gemäldekunde, S. 52 f.. Nun ist aber nicht zu verkennen, daß von den heute in Galerien befindlichen Farbenskizzen des Rubens weit die meisten nur wie sogenannte erste Ideen wirken; sie sind oft nur in einem rötlichen oder grünlichen Ton gegebene Pinselzeichnungen und äußerst flüchtig hingeworfen. Und auch die beträchtlich mehr ausgeführten, die über diese Stenographie in zwei Farben weit hinausgehen und Raum- und Lichtverteilung des künftigen Gemäldes mitgeben, setzen noch eine nachfolgende starke Dazwischenkunft des Meisters voraus. Es genügt z. B., in der Pinakothek von München unter den Skizzen zur Galerie des Luxembourg selbst die ausgeführtesten zu betrachten, und man wird überzeugt werden, daß die Schüler damit, für die Ausführung im großen, noch ganz ungenügend beraten gewesen wären. Erraten wird man es nun freilich nicht mehr, wie Rubens von Fall zu Fall seine näheren Anweisungen gab, schon über das definitive Kolorit und den allgemeinen Ton, und wie er dann bei dem einzelnen Gehilfen rechnete auf den Grad des Verständnisses und des Empfindens, allgemeiner gesagt: des Eingehens auf das, was er meinte und wie er es meinte.

Das große Erbe, das Rubens seiner Schule hinterließ, ist, wie gesagt, von dem Gesamterbe der sämtlichen Malerwerkstätten der südlichen Niederlande (bis Lüttich) nicht genau auszuscheiden, und doch wird eine zusammenfassende Wahrnehmung über das, Wirken des Rubens gestattet sein. In der Industrie können durch große Anhäufung von Kräften (Kapitalien) alle kleineren und kleinsten Konkurrenten lahmgelegt und vernichtet werden, ja schon ein großer Laden kann die Schließung vieler kleineren erzwingen; in der Kunst war dies, Gott sei Dank, damals anders. Um einen Großen herum, auch wenn er mit seiner Werkstatt vierzehnhundert Bilder liefert, steigert sich Tätigkeit und Absatz für sein ganzes Land; es bildet sich ein allgemeines Vorurteil, ein allgemeines Steigen des Maßstabes, weil durch den Großen eine allgemeine Kunsthöhe herbeigeführt worden ist, und diese dauerte hier das Jahrhundert aus, etwa wie in Holland. Beide Kunstländer, in ihrer Verwandtschaft wie in ihrem Gegensatz, machen zusammen diejenige große Position jener Zeiten aus, die heute noch anerkannt wird, denn die Maler Ludwigs XIV. sind längst auf ihrem eigenen Boden nicht mehr als Herren betrachtet worden, und Italien, das mit Pietro da Cortona, Luca Giordano und den von ihrer Manier ausgegangenen Kirchenmalern das europäische Prinzipat noch einmal an sich zu nehmen schien, hat dasselbe wieder völlig verloren; Spanien aber, mit all seiner künstlerischen Kraft, war nie geeignet, dasselbe zu besitzen.

Siehe Bildunterschrift

Die vier Weltteile.
Wien, Kunsthistorisches Museum


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