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IV.

Das Urteil über Formenbildung und Kolorit bei Rubens bleibt wesentlich Sache der Künstler, und was der Laie sich etwa vorbehalten kann, sind nur Einzelbeobachtungen, welche die Stellung eines Werkes innerhalb der Gesamtproduktion des Meisters betreffen. Gerade Rubens aber macht hier die Konstatierung des Tatsächlichen nicht leicht, weil bei ihm alles einzelne in so hohem Grade als Teil und Wirkungsmittel eines höchst belebten Ganzen, also in seiner Relativität, in Erscheinung zu treten pflegt.

In betreff seines persönlichen Geschmackes bekennt er sich selbst (1618) als »vernarrt in Antiken«. Allein er wußte sehr wohl, daß Farbe nicht Stein sei, und die gewaltige Reihe der Wesen »vom Himmel durch die Welt zur Hölle«, die er lebendig vorzuführen hatte, mußten ganz seine eigenen Gebilde werden, wenn sie ihn freuen sollten: es ist seine Persönlichkeit in geheimnisvoller Verbindung mit einem überaus reichen Bildungsgang und mit denjenigen Traditionen der großen damaligen Kulturwelt, die auch allen anderen Malern zugute kommen konnten. Womit sich dann Bewunderung oder Mißbilligung späterer Zeiten auseinanderzusetzen hat, sobald der Zauber so groß ist, daß das Ignorieren ganz unmöglich wird. Ob nun Rubens wesentlich als Naturalist, ob er im großen als Nachfolger der Venetianer zu gelten habe, ob seine Macht und Originalität hiervon irgendwie bedingt gewesen sei, mag hier außer Frage bleiben. Zugegebenermaßen wird nun im Bau seiner Gestalten vom Skelett an oft die Idealität, die Auswahl der Typen nach der Vollkommenheit vermißt, und schon der bisweilen unschöne und derbe Schritt seiner männlichen Figuren hängt hiermit zusammen. Freilich, bevor man weitergeht, tritt hiergegen, zumal in eigenhändigen und wohlerhaltenen Bildern, bis zur Betörung in den Vordergrund die anerkannte Pracht seiner Behandlung des Fleisches als solches, die berühmte Schönheit des Nackten und seine Erscheinung im Licht und im Helldunkel, samt seiner Verwertung im Gemälde überhaupt, wo seine Töne zusammengestimmt sein können mit einer nur hier erreichten Skala von ganzen und gebrochenen, von tiefleuchtenden oder sanft schimmernden Farben der Gewänder und der Umgebung. Auch hat ja diese Karnation ihre eigene Entwicklungsgeschichte von dem noch lichtgelblichen Ton der italienischen Zeit bis zu den Zinnobertönen und Ultramarintönen und bis zum Ersatz der Schatten jugendlicher Leiber durch den Karmin; ja, schon ziemlich frühe Bilder, wie z. B. (in Kassel) Jupiter in Gestalt der Diana mit Calisto, genießen den Ruhm einer vollständigen Modellierung fast ohne Schatten. Außerdem hat Rubens die nach Geschlecht, Alter und Lebensstellung so sehr verschiedene Haut seiner Gestalten mit der größten Wahrheit zu charakterisieren gewußt.

Einstimmig ist nun, was den männlichen Akt betrifft, die Bewunderung für die Christusleiche in der großen Kreuzabnahme des Domes von Antwerpen, sowohl wegen der Vollkommenheit der Formen als wegen der in keiner anderen Kreuzabnahme übertroffenen, ja auch nur erreichten schönen Schiebung. Sehr verschieden dagegen lauten die Künstlerurteile über den Christ à la paille des Museums von Antwerpen über die mehreren Darstellungen der Pietà, über die liegende, stark verkürzte Christusleiche der Trinitätsbilder, endlich über die Darstellungen des Gekreuzigten, sei es des einsamen auf dunklem Wolkengrund, sei es der Mittelfigur eines Golgatha oder derjenigen einer Kreuzaufrichtung, wie die berühmte des Domes von Antwerpen; in einigen der genannten Fälle aber ist die Eigenhändigkeit zweifelhaft oder wird preisgegeben. Eine besondere Würde und Schönheit hat die Christusleiche in der großen Pietà vor der Grotte, einem noch frühen Bilde des Museums von Brüssel. Unter den belebten Christusgestalten wird derjenigen der Geißelung in St. Paul zu Antwerpen (zwar nur teilweise eigenhändig) die höchste Meisterschaft zuerkannt, nur ist die Wirkung zweifelhaft, indem Christus, obwohl an der Säule angebunden, seinen vier Peinigern scheint entweichen zu wollen; der Christus mit den großen Sündern in dem prächtigen Bilde der Pinakothek von München hat nur eine mittlere Idealität des Leibes, und derjenige in der Fürbitte der St. Theresia (Museum von Antwerpen) ist eher ein geringer Leibestypus, während der Kopf einen hohen venezianischen Adel offenbart. Über den Christus mit St. Thomas (ebendort) kann man sogar wegwerfende Urteile lesen. Derselbe große (und allen Lesern sonst sehr werte) Kenner, Fromentin, der sich hier in diesem Sinne äußert, erteilt ein höchstes Lob dem vollen Leben des Nackten in zwei Fischern des Bildes vom wunderbaren Fischzug (in Unser Frauen zu Mecheln). Andere nackte heroische Gestalten haben schon von der italienischen Zeit an ein vollendetes Leben, wie es wenigstens kein italienischer Zeitgenosse übertroffen hat, und dabei sind es lauter spontane, frei dem Studium abgewonnene Schöpfungen. Es genügt z. B. zu sehen, wie seine mächtigen Wassergötter zwar in der Körperlichkeit den betreffenden römischen Statuen vom vatikanischen Nilgott an das Beste, in den Motiven aber nichts verdanken, denn diese hat der Meister stets neu geschaffen. Die jugendlichen Akte beginnen ebenfalls noch in Italien mit dem plebejisch großartigen St. Sebastian des Museums von Berlin, in jener damals noch gewohnten gelblichen und schon wundersam leuchtenden Karnation; streitig bleibt zwischen Rubens und van Dyck, in der Galerie Corsini zu Rom, die schöne, an einen Baumstamm gelehnte Leiche desselben Märtyrers, dem ein ebenfalls jugendlicher Engel das Band von dem einen Fuße löst. Andere bedeutendere, teilweise bekleidete Engelsgestalten finden sich z. B. in der Flucht des Loth (Louvre) sowie in der Münchner Anbetung der Hirten, als Racheengel oben in den Lüften beim Martyrium des St. Lievin (Brüssel) usw. Der klassische Ignudo idealer Art, sonst bei Rubens auch in den Mythologien nicht häufig, ist stattlich repräsentiert in der Galerie des Luxembourg, z. B. in dem Genius bei der »Geburt Ludwigs XIII.«, und mit dem Apoll des dortigen Olymp (des sogenannten »Gouvernement de la Reine«) hat Rubens offenbar den Apoll vom Belvedere in eine rasche Bewegung versetzt.

Der weibliche Akt war sehnlich gewünscht, und es gibt Beweise dafür, daß Rubens ihn gerne und freiwillig gewährte. Wo stand es in den alten Mythographen geschrieben oder auf antiken Reliefs oder Vasen ausgesprochen, daß die drei Töchter des Kekrops, Herse, Aglauros und Pandrosos, als sie das schlangenfüßige Kind Erichthonios in dem geöffneten Korbe vorfanden, nackt gewesen seien? Rubens aber in dem superben Bilde der Galerie Liechtenstein malte sie so, in hellem Licht vor einem feuchtdunklen Quellwinkel, in wundersamem Kontrast der Anblicke und gab ihnen noch bei: eine bekleidete Amme, einen eifrig mitbeteiligten Putto und ein Hündchen, ferner in Skulptur eine Nymphe als Brunnenfigur und draußen im sonnigen Waldraum eine gehörnte Panherme. Auch die Susanna im Bade, damals von allen Malern und Bestellern als Exhibition des Nackten aufgefaßt, hat doch in dem Bilde der Pinakothek von München in der Art des Rückenanblickes eine gern betonte Absichtlichkeit besonderer Art, und Rubens hat ganz unbefangen das nämliche Motiv in einer Antiope des Museums von Antwerpen wieder benützt (auch töricht als Venus refroidie benannt); immerhin läßt sich in beiden Bildern eine komische Absicht nicht verkennen, zumal in den beiden Alten des ersteren Bildes, deren einer wie außer sich zwischen den Baumästen durchguckt, während der andere über eine Balustrade voltigieren will, und so ist auch der Jupiter als Satyr bei der Antiope possenhaft gemeint.

Beim Bau der weiblichen Gestalt unterschied Rubens zunächst ganz sichtbar zwischen den Gewandfiguren und den Nackten und bevorzugte die ersteren durch hohen schlanken Wuchs, wie ihn die heiligen Frauen des Altars des hl. Ildefons, diejenigen der Außenflügel der Kreuzaufrichtung und schon die hl. Domitilla auf dem Hochaltar der Chiesa nuova in Rom aufweisen. Unter diesen Gebilden findet sich auch das wohl einzige Beispiel einer unmittelbaren Anleihe des Rubens aus einem Motiv des Altertums, demjenigen der sogenannten Pudicitia, Es ist die in einigen auch vorzüglichen Marmorausführungen erhaltene stehende Gewandfigur mit ausgeladener rechter Hüfte, die oben mit der rechten Hand den vom Haupt niederfallenden Schleier faßt, wobei die Linke auf den linken Schenkel sinken oder sich nach der rechten Hüfte hinüber wenden kann. Sie kommt in mehreren der bereits genannten Gemälde vor, ganz besonders schön und passend dem Moment eingefügt in dem eigenhändigen Bilde der »Frauen am Grabe« (Galerie Czernin in Wien); außerdem aber hat Rubens sie im sogenannten »Bild der Ceres« (Ermitage) sogar als Statue abgebildet, umgeben von lebendigen Putten, die emsig damit beschäftigt sind, die Nische der Figur mit einem prachtvollen Fruchtkranze zu schmücken. Sonst ist ja Rubens an Bewegungsmotiven in bekleideten weiblichen Gestalten von Haus aus unermeßlich reich, wie z. B. schon der flüchtigste Überblick der Galerie des Luxembourg zeigt, und für die Gewandung als solche, sowohl für die ideale und sogenannte antike als für die elegante und prächtige seiner Zeit und Umgebung, bleibt er die wichtigste Quelle. Freilich ist die große malerische Gesamtwirkung, der er dies alles unterordnet, in der Regel derart, daß man dieser kostbaren Einzelaussagen erst allmählich innewird. Dazu seine völlige Unbefangenheit überhaupt, insofern all seinen männlichen wie weiblichen Gestalten ihre Tracht, welche es auch sei, so selbstverständlich vollkommen sitzt, als hätten sie nie etwas anderes getragen; so schon der heroische Kriegshabit, wie man ihn ziemlich obenhin von römischen Denkmälern abstrahiert hatte; so all die funkelnde Pracht von Samt, Seide und Schmuck, die das Auge ohne sonderliches Nachdenken mitnimmt, als könnte es gar nicht anders sein.

Das Nackte der weiblichen Gestalt aber kann, wie schon oben angedeutet, durch die bloße Schönheit der Epidermis im Bündnis mit Licht und Helldunkel einen Zauber üben, der allem poetischen Sachinhalt und aller Formenreinheit vorausgeht und das Urteil gefangennimmt. Wer sich hiervon auf das bündigste überzeugen will, betrachte z. B. in dem Berliner Bilde der durch Perseus befreiten Andromeda diese an sich so gleichgültige fette Person in ihrer blonden leuchtenden Fülle vom Haupt bis zu den Füßen. Auch gibt es ja ein sehr eigentümliches individuelles Geständnis des Rubens über die bei ihm so weitgehenden Grenzen der Möglichkeit des Schönen in dem als »het pelsken« berühmten Bilde der Galerie von Wien, das seine Helena Fourment darstellt, wie sie zum Bade schreitet. (Offenbar aus der letzten Zeit.) Der nur leicht herumgelegte Samtmantel mit Pelz und einiges zarte Linnen, der neutrale Grund, der rote Bodenteppich heben hier, bei völlig eigenhändiger Ausführung einen ganz wunderbaren Leib und das reizvollste Haupt bis zu einer unvergleichlichen Wirkung empor, und der Beschauer wird zunächst völlig vergessen, daß Richtung und Formen der Beine und die balgartigen Hautverschiebungen an den Knien nichts weniger als vollkommen sind Rubens konnte das jetzt in der Galerie von Wien befindliche Tizianische »Mädchen im Pelz« gesehen haben. Karl I. von England hatte dasselbe »in Spanien gekauft«, und dies geschah wahrscheinlich vor 1630, und dann konnte das Bild dem Rubens unmöglich vorenthalten bleiben. Er sah es dann noch in derjenigen Integrität, die es gehabt haben mag, bevor es die Wiener »Stallburg« passierte, wobei die wichtigsten Gemälde zu Ehren der Symmetrie zurechtgestutzt wurden. Die Wendung des »pelsken« ist eine andere, aber eine Verwandtschaft bleibt, und in beiden Bildern richtet sich der rechte Arm nach der linken Schulter..

Nun bleiben die weiblichen Formen je nach der allgemeinen Intension und der Umgebung außerordentlich verschieden an Schönheitswert, und der Grad der Eigenhändigkeit und guten Erhaltung fügt noch besondere Unterschiede hinzu. Auch in Schülerausführungen gibt es durchsichtige, lachende, glühende Karnationen und leuchtendes blondes Haar. In den zahlreichen Szenen, welche die Gesellschaft des Bacchus und der Jagdgöttin verherrlichen, können Nymphen und Mänaden von prachtvollem Vortrag und dabei von jeglichem Adel weit entfernt sein, und das dargestellte Medium wird öfter durch Zutat von Mohrinnen und Pansweibern vervollständigt. Den Gattinnen oder Geliebten der Wassergötter wäre wohl eine nicht gar zu zarte Bildung zuzutrauen, und doch ist die Geliebte des Poseidon in dem berühmten Schönbornschen Bilde (Museum von Berlin) edler gestaltet und schon durch das Helldunkel einem vornehmeren Dasein zugewiesen. Im Abschied des Adonis, einem nur kleinen, herrlich zart durchgeführten Bilde der Uffizien, sind die drei links kommenden Grazien sehr schön gebildet und bewegt, und in den drei schlafenden Nymphen im Walde, die von Satyrn bedroht werden (Pinakothek von München, mit Landschaft von Jan Breughel), wird man zwar wohl die minder edlen Stellungen tadeln, so höchst wahr auch darin das jagdmüde Hingesunkensein verbildlicht ist, die Formen aber sind von den reinsten und feinsten.

Sein Höchstes in nackten Göttinnen bei mäßiger Bewegung hat Rubens wohl erreicht im Urteil des Paris, und zwar in dem spätesten, vollkommensten Exemplar (National Gallery); für Heftigkeit des Momentanen und voll entwickelte leibliche Pracht dagegen, da zwei Körper vom wundervollsten Umriß einander genau durch die Gegensätze ergänzen, sind die von den Söhnen des Boreas entführten Töchter des Leukippos (Pinakothek von München) wohl nie mehr erreicht worden. Von diesem Bilde strahlt das riesige Kunstvermögen des Rubens nach verschiedenen Seiten aus, und es wird von demselben noch weiterhin die Rede sein; alle anderen Entführungen treten ja daneben in bescheidenes Dunkel zurück, und die Vehemenz allein vollbringt solche Wunder nicht.

Die liegende – schlafende oder kaum erwachte – Nackte der großen Venezianer seit Giorgione (meist als Venus benannt) hat Rubens gewiß in den vorzüglichsten Beispielen gekannt, auch von ähnlichen Gestalten der seitherigen Italiener wohl Kunde gehabt, aber sein Geschmack oder derjenige seiner Besteller ging nicht nach dieser Seite, und es gab überhaupt von ihm wohl keine Bilder, die man hinter Vorhängen hielt. Die unseres Wissens einzige Ausnahme ist stark ins Momentane gerückt und der Schlummer kein freiwilliger: es ist das eigenhändige Bildchen der Galerie von Wien, das die Angelika des Ariosto (Orlando, Ges. VIII, Str. 28) in der Gewalt des Eremiten darstellt, der sie durch Zauber eingeschläfert hat; bei gänzlichem Mangel jeder Idealität und unschöner Verkürzung doch einer der wunderbarsten Leiber, die der Meister je geschaffen, mit Licht völlig erfüllt (Variante im Haag).

In denjenigen Allegorien, die mit mehreren Varianten die Gefährdung des Erdenglückes durch den Krieg darstellen (unter anderem in der Pinakothek von München), hat die nackte Gestalt der Mitte, die man als Venus, auch als Familienliebe deutet, hie und da unleugbar Bildniszüge. So in dem Bilde der Offizien, das irrig als Herkules am Scheidewege erklärt wird, während, in der Mitte zwischen Liebe und Kampfespflicht, ein Held dargestellt ist, der trotz des Löwenfelles keineswegs Herkules zu sein braucht. Dagegen ist die Nackte in dem spätesten und herrlichsten dieser Bilder, der Allegorie des Krieges im Pal. Pitti (1638), eines der schönsten Idealwesen des Rubens, und er selbst spricht in einem Briefe davon als von einer Venus.

Zum Schlusse dieser Aufzählung mögen seine Darstellungen der drei Grazien oder, wie man will, der drei Horen erwähnt werden, die diese Gestalten in stets neuen Formen und stets neuen Verbindungen untereinander zur Anschauung bringen (Museum von Madrid, Uffizien, Akademie von Wien usw.). Man müßte alle diese so stark voneinander abweichenden Motive aus sehr verschiedenen Zeiten der großen Laufbahn einer parallelen Betrachtung unterziehen, um dem Phantasiereichtum des Meisters in einer scheinbaren unvermeidlich identischen Gruppierung nahezukommen; man fände alle denkbaren Anblicke des ruhig stehenden nackten Leibes vom beinahe völligen Profil bis zur Vorderansicht und Rückenansicht, jede schöne Wendung des Hauptes, jede anmutige und unbefangene Verschlingung der Arme und Bewegung der Hände. Von den betreffenden Antiken, der Gruppe von Siena und den Reliefs, bleibt Rubens formal unabhängig, und die pompejanischen Grazienmalereien ruhten noch unter der Erde.

Eine kleine Episode über die Hände bei Rubens im allgemeinen möchte hier wohl an ihrer Stelle sein. Er war hierin nicht bloß ein Künstler, auch nicht bloß ein Mann von Erziehung, sondern auch ein delikat empfindender Mensch, und die langjährige Kenntnis des italienischen Volkes und seiner Gebärdensprache war nicht wirkungslos geblieben. Er hatte gar nirgends die schreiend ausgespreizten Finger wie die römische Schule, wie Caravaggio und später namentlich die Franzosen, seine Finger nähern sich immer einander und sind gelinge gebogen und zur Ausdeutung jedes edlen und kräftigen Gefühls geeignet. Alles Anfassen ist anmutig und selbst bei den heftigen und geringen Leuten nie plump, obwohl er auch die mächtige Kriegerfaust deutlich genug zu bilden vermag. Für spezielle Zwecke weiß er auch speziell zu reden; eine im Erstaunen vorgestreckte Hand gibt er, von vorn gesehen, in glücklichster Verkürzung, die Hände eines Blinden vorwärts schwebend oder tastend. Weibliche Hände sind im Gestus, welcher es auch sei, von einer vornehmen Süßigkeit, und die sechs Hände und sechs Füße eines Horenbildes wie desjenigen der Akademie von Wien (wo die Horen den Blumenkorb tragen) wird man ohne stetes wachsendes Erstaunen nicht wiedersehen. Vor allem aber findet das Weihevolle und Heilige hier einen höchsten Ausdruck. In den Bildern von Marien Himmelfahrt reiht sich Schönes an Schönes von den segnend waltenden Händen der Jungfrau bis zu den entzückt aufgehobenen der Jünger, und weit über die bloße Vielartigkeit einer unvergleichlichen Kunst hinaus redet hier ein tiefes Gefühl. Betende Hände, ob sie bloß gegeneinander geneigt oder gefaltet seien, haben neben allem Guido Reni und Sassoferrato ihre ganz eigene Schönheit, und die gerungenen Hände der büßenden Magdalena (Galerie von Wien) werden kaum mehr zu übertreffen sein. Und wenn (in derselben Galerie) St. Ambrosius den Kaiser Theodosius vor der Kirchenpforte abweist, so möge der Beschauer, der von dem dramatisch so wunderbaren Ganzen ergriffen worden, sich doch auch noch Rechenschaft davon geben, wie die Hände und die mächtigen Arme des Kaisers und seiner Adjutanten aufgewogen werden durch die gelind ablehnende Hand des großen Erzbischofs. Und nun erst die Hand des Wundertäters, die dessen Weihespruch begleitet, jene unvergeßliche Rechte des hl. Ignatius mit den Besessenen (ebenda), die genau die obere Mitte des gewaltigen Bildes bezeichnet! Und wie diese gegen einen dunklen Grund, so ist jene gegen helle Wolkenluft gesetzt (ebenda), die des Leben und Genesung spendenden St. Franz Xaver, während seine Linke nach dem Himmel deutet. – Das Emmaus des Rubens, das uns nur im Stiche bekannt ist, erzählt schon in den acht sichtbaren Händen den großen Moment des Erkennens, man möchte sagen vollständig. – Vorzügliche Hände von Schlafenden, eine aufgestützte, eine hängende und zwei liegende, findet man in einem sehr weltlichen Bilde der Galerie von Wien, der Novelle des Cimone aus Boccaccio, und zum Schluß mag (ebendort) das späteste Selbstporträt des Rubens erwähnt werden, wo die Linke nobel auf den Degengriff gelehnt, die Rechte (die Malerhand, jetzt vielleicht als Andeutung der Gicht) im Handschuh gegeben ist.

Seine Stecher, deren Hände fast immer vortrefflich sind, wurden wohl von ihm hierfür ganz eigens in Schule und Pflicht genommen.


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