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XI.

Bei Anlaß jener hier an so richtiger Stelle angebrachten Prachthalle mag über die Darstellung des Raumes überhaupt eine Bemerkung am Platze sein. Obwohl mit allen reichen Wirkungen der Spätrenaissance vertraut, hat Rubens doch immer nur so viel davon in seine Malerei aufgenommen, als der Gegenstand verlangt und als der Komposition zuträglich war. Schon die Galerie des Luxembourg, verglichen z. B. mit den Hallenbauten des Paolo Veronese, zeigt hierin seine Denkweise vollständig. Das Innere reicher großer Bauten komponiert er äußerst frei und völlig nach der malerischen Wünschbarkeit der lebendigen Gruppen, und man wird z. B. in den »Wundern des hl. Ignatius« (Exemplar von Wien) einige Mühe haben, sich einer solche Kirche und Altaranlage aus der Wirklichkeit zu erinnern. Der Architekt und Perspektiviker in ihm lebt aber vorzüglich an Stellen, wo man ihn nicht sucht und ihm auch kaum je dankbar ist: in der unbefangenen Schöpfung der verschiedenen Pläne, auf denen seine Gestalten stehen, schreiten, steigen, sitzen, knien usw.; mit Stufenwerk, Treppen, brückenartigen Gewölben usw. erreicht er die Verschiedenheiten des Niveaus und der Entfernung und die beruhigenden Horizontalen, die für das Auge wünschbar sind. Bei Anlaß der »Wunder des St. Franz Xaver« (Galerie von Wien) wurde bereits hierauf hingewiesen; was hier mit Stufen, Balustraden, Postamenten unvermerkt geschehen ist, bis die einheitliche Wirkung des Riesenbildes möglich war, verrät sich erst nach langer Betrachtung. Freilich, als Rubens in dem großen Gnadenbild von St. Augustin zu Antwerpen vierzehn Heilige mit einer Hl. Familie zusammenbringen mußte, war dies nur möglich mit Hilfe einer sehr sichtbaren Basis in der Mitte, einigen Vorderstufen und zwei Seitentreppen; oben seitwärts gehen dann die Anfänge einer schräg laufenden Säulenarchitektur in die Luft, wie sie Tizian in einige seiner Hintergründe eingeführt hatte, um die Voraussetzung eines gewaltig großen, draußen stehenden Baues zu erwecken (St. Markus mit den vier Heiligen; Madonna di casa Pesaro). Die volle freie Meisterschaft in diesen Dingen lernt man jedoch erst kennen in einem jener Bilder, da zwei Handlungen einer und derselben Hauptperson (»kindischerweise«, wie die jetzige Welt meint) in einer und derselben Örtlichkeit vereinigt werden mußten, und zwar, wegen des unvermeidlichen Hochformates des Altars, übereinander. Es handelt sich aber um kein geringeres Bild als um dasjenige, das in St. Bavon zu Gent neben dem weltgeschichtlich berühmten Altarwerk der Brüder van Eyk noch heute eine volle Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen imstande ist. Ein niederländischer Großer des 7. Jahrhunderts, Bavo, nach einem wilden Leben, verteilte seine Habe mit Einwilligung seiner Gemahlin an die Armen und meldete sich zur Buße bei dem hl. Bischof Amandus und dem Abt Florbert. Gegeben war also zunächst eine jener Almosenverteilungen, wie sie damals oft dargestellt wurden, und in der »Mildtätigkeit der hl. Cäcilia«, dem Fresko des Domenichino in S. Luigi de' Francesi zu Rom, hatten sie für Italien wohl ihre Höhe erreicht. Aber auch bei Rubens ist der hl. Bavo mit seinen zwei Dienern und den Armen und ihren Kindern eine der allerschönsten Bewegungsgruppen, daneben in hellem Licht die Gemahlin und zwei Begleiterinnen, und dies alles mit unvermerkter Hilfe verschiedener Stufenhöhen. Oben aber geht schräg durch das Bild aufwärts die Treppe, auf der derselbe Heilige mit herrlich dargestelltem Gefolge rasch emporsteigt, und unter einer Kirchenvorhalle harrt seiner der Empfang der beiden Prälaten und der Ihrigen. Die beiden Tatsachen berühren sich nicht im mindesten, und nun mögen Künstler sagen, wie und warum die wunderbare malerische Einheit des Ganzen für alle Blicke dennoch besteht. – In dem herrlichen Pestbilde von St. Martin zu Alost erscheint der brückenartige Bogen, vor dem unten die Gruppe der Elenden und über dem der hl. Rochus mit dem schwebenden Christus und einem Engel dargestellt ist, als motiviert durch das Kerkermäßige des Baues, wie denn auch der Heilige im Kerker gestorben ist. – Einmal ist Rubens auch an einer Anordnung solcher Art wie festgebannt geblieben. Es gab ein Hochbild des Paolo Veronese, eine Heimsuchung, etwa an einem Orgelflügel und etwas locker komponiert, jetzt vielleicht nur noch aus dem alten Stiche des Le Febre bekannt; hier war die Ankunft der Maria und zweier Begleiterinnen verdeutlicht durch das Aufsteigen über einige Stufen, die auf einem Bogen ruhen, und über demselben vor dem Hause wartete Elisabeth mit Zacharias und einer Dienerin; aus dem Bogen aber, am unteren Rand des Bildes, hatte Paolo drei, fast nur dekorativ gemeinte Halbfiguren, etwa Diener, hervorschauen lassen. Als nun Rubens für eines der Flügelbilder der großen Antwerpener Kreuzabnahme eine Heimsuchung malen sollte in noch viel schmälerem Hochformat (wie 1 zu 3, während Paolo nur 1 zu 2 innezuhalten hatte), benützte er ganz einfach für den Aufstieg, wo sich die beiden Ehepaare Hat Rubens vielleicht zuerst den Joseph als Begleiter hinzugefügt? Derselbe wird Luk. 1, 39, nicht erwähnt. und die hier einzige Dienerin bewegen, jenen Bogen und gab demselben unten einen Durchblick ins Freie. So wunderbar zwanglos jedoch die schöne Gruppe der Fünf samt einem dorischen Säulenbau mit Weinlaub in dem schmalen Raum gelungen war, scheint es ihm um dieselbe doch gleichsam leid getan zu haben; in einer freieren Anordnung für den Stich nahm er das Ereignis ins Luftige auseinander, ordnete die Fünf und die Halle mit Weinlaub ganz neu an und fügte unten in der Mitte des Hofraumes, wie zur mehreren Bekräftigung der Ankunft aus weiter Ferne, einen gegen die Hauptgruppe zurückgewandten starken Knecht mit einem beladenen Lasttier hinzu – abermals jedoch in dieser sonst ganz erneuten Szene folgt unter dem Treppenabsatz jener Bogen mit dem Ausblick ins Freie. Und selbst auf weiteren Varianten fehlt dieser von Paolo stammende Bogen nicht, auch wenn nur Hühner darunter nach dem Futter picken, und nun mag unser hierin so pünktliches Jahrhundert feststellen, ob dies ein Plagiat gewesen und ob ein löbliches.

Wer aber das Raumvermögen des Rubens bis an seine äußersten Grenzen kennenlernen will, der möge unter seinen Darstellungen der Letzten Dinge den »Höllensturz der Verdammten« (München, Pinakothek) ins Auge fassen. Als Fortsetzung, als Weitertönen des sogenannten »Kleinen Jüngsten Gerichtes«, in einer unbeschreiblichen Stimmung und mit voller Hingebung geschaffen, vermutlich ohne irgendeine Bestellung oder Anregung von außen, führt uns das Bild in eine entsetzliche Wolkennacht und in Sturmfluten, alles angefüllt mit herumgeworfenen Leibern von Unseligen bis in die weiteste Ferne, Höhe und Tiefe; die unerhörte Räumlichkeit aber wird sichtbar gemacht durch den Einbruch eines gewaltigen Lichtes vom Himmel her, das den Greuel in all seinen Gruppen berührt. Sieht man sich in der Kunst und Poesie aller Zeiten um, so wird vielleicht ein ähnliches Phantasievermögen am ehesten zu erkennen sein an einer direkt entgegengesetzten Stelle, nämlich in der schauerlichen Schilderung des Nicht-Raumes; der Sprechende aber ist Mephistopheles im zweiten Teil des »Faust«, wo dieser Auskunft erhält über die Reise zu den »Müttern«. Auf den verschiedensten Pfaden können ja Rubens und Goethe die allergrößten mythischen Gefühle erwecken.


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