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Siebentes Buch.

Erstes Kapitel.

Erst in der Dämmerung kehrte Kenelm nach Hause zurück, und als er sich eben zu seinem einsamen Mahl niedergesetzt hatte, wurde an der Glocke gezogen und Frau Jones führte Herrn Thomas Bowles zu Kenelm hinein.

Obgleich Tom den Tag seiner Ankunft nicht vorher gemeldet hatte, war er darum doch nicht weniger willkommen.

»Ich fürchte nur«, sagte Kenelm, »wenn Sie sich noch des Appetits erfreuen, den ich verloren habe, werden Sie heute mit schmaler Kost vorlieb nehmen müssen. Setzen Sie sich zu mir her.«

»Besten Dank, aber ich habe vor zwei Stunden in London zu Mittag gegessen und kann wirklich nichts mehr essen.«

165 Kenelm war zu gut erzogen, um seinen Gast zu nöthigen. Nach wenigen Minuten war sein frugales Mahl beendet, der Tisch abgedeckt und die beiden Männer fanden sich allein.

»Ihr Zimmer ist natürlich bereit, Tom; das habe ich von dem Tage an, wo ich Sie einlud, gemiethet, aber Sie hätten sich in einer Zeile melden sollen, damit ich unsere Wirthin hätte veranlassen können, ihr Bestes an Herstellung von Speise und Trank zu leisten. Sie rauchen natürlich noch; zünden Sie sich doch Ihre Pfeife an.«

»Ich danke Ihnen, Herr Chillingly. Ich rauche jetzt nur selten; aber wenn Sie mir eine Cigarre gestatten wollen« – Und dabei zog Tom eine sehr zierliche Cigarrentasche heraus.

»Thun Sie, als ob Sie zu Hause wären. Ich werde Will Somers sagen lassen, daß Sie und ich morgen bei ihm zu Abend essen wollen. Sie verzeihen mir, daß ich Ihr Geheimniß ausgeplaudert habe. Von nun an spielen wir offenes Spiel. Sie treten als Freund an ihren Herd, der beiden von Jahr zu Jahr theurer werden wird. Tom, diese Liebe zu einem Weibe scheint mir etwas höchst Wunderbares. Sie kann einen Mann in die tiefsten Tiefen des Bösen versenken und ihn auf die höchste Höhe des Guten erheben.«

166 Ob es mit dem Guten seine Richtigkeit hat –« sagte Tom traurig und legte seine Cigarre beiseite.

»Rauchen Sie doch weiter. Ich möchte Ihnen Gesellschaft leisten. Können Sie mir eine Cigarre geben?«

Tom reichte Kenelm seine Cigarrentasche.

Kenelm nahm sich eine Cigarre, zündete sie an, that ein paar Züge und nahm dann, als er sah, daß Tom wieder angefangen hatte zu rauchen, die Unterhaltung wieder auf.

»Sie wissen nicht, ob es mit dem Guten seine Richtigkeit hat; aber sagen Sie mir aufrichtig, glauben Sie, daß Sie, wenn Sie Jessie Wiles nicht geliebt hätten, ein so guter Mensch geworden wären, wie Sie es jetzt sind?«

»Wenn ich jetzt besser bin als früher, so verdanke ich das nicht meiner Liebe zu dem Mädchen.«

»Wem denn?«

»Ihrem Verlust.«

Kenelm fuhr zusammen, wurde sehr blaß, warf seine Cigarre beiseite und ging mit sehr raschen, aber sehr unregelmäßigen Schritten im Zimmer auf und ab.

Tom fuhr ruhig fort: »Ich glaube nicht, daß, wenn ich Jessie's Herz gewonnen und sie geheirathet hätte, es mir in den Sinn gekommen wäre, mich zu 167 bessern. Mein Onkel würde meine Heirath mit der Tochter eines Tagelöhners sehr übel genommen und würde mich nicht zu sich nach Luscombe eingeladen haben. Ich würde in Graveleigh geblieben sein und nicht daran gedacht haben, mehr zu werden als der gemeine Schmied und der unwissende zanksüchtige Polterer, der ich war; und wenn es mir nicht gelungen wäre, Jessie's Liebe zu gewinnen, so würde ich mir das Trinken nicht abgewöhnt haben, und ich schaudere bei dem Gedanken, welch eine Bestie wohl aus mir geworden wäre, wenn ich in der Zeitung die Berichte über Betrunkene lese, die ihre Weiber geprügelt haben. Wie können wir wissen, ob ein solcher Mensch sein Weib nicht vor der Heirath zärtlich geliebt hat, während sie sich nichts aus ihm machte? Seine Häuslichkeit war unglücklich und so fing er an zu trinken und seine Frau zu prügeln.«

»Ich hatte also Recht«, sagte Kenelm stehen bleibend, »als ich Ihnen sagte, es würde ein unglückliches Loos für Sie sein, mit einem Mädchen verheirathet zu sein, das Sie bis zum Wahnsinn liebten und dessen Herz Sie nie für sich würden erwärmen, dessen Leben Sie nie würden glücklich machen können.«

»O wie Recht!«

»Lassen wir diesen Gegenstand jetzt auf sich 168 beruhen«, sagte Kenelm, indem er sich wieder hinsetzte, »und reden wir von Ihren Reiseplänen. Wenn Sie auch zufrieden sind, Jessie nicht geheirathet zu haben, wenn Sie sie auch jetzt ohne Groll als das Weib eines Andern begrüßen können, so können Sie doch den Gedanken an sie nicht ganz loswerden und sind ruhelos; Sie fühlen, daß Sie sich dieser Gedanken bei einem entschiedenen Wechsel des Orts und der Erlebnisse leichter würden entschlagen können. Ist dem so?«

»Ja, etwas der Art, Herr Chillingly.«

Dann raffte sich Kenelm dazu auf, von fremden Ländern zu reden und einen Reiseplan für einige Monate zu entwerfen. Er fand mit Vergnügen, daß Tom schon Französisch genug gelernt habe, um sich wenigstens im gewöhnlichsten Verkehr verständlich zu machen, und mit noch größerem Vergnügen, daß er nicht nur die geeigneten Reisehandbücher über die sehenswerthesten Hauptplätze Europas gelesen habe, sondern daß er sich wirklich für diese Plätze, für ihre historische Bedeutung und ihre Kunstschätze interessire.

So unterhielten sie sich bis tief in die Nacht hinein. Als aber Tom sich auf sein Zimmer zurückgezogen hatte, schlich Kenelm leise zum Hause hinaus und ging langsamen Schrittes nach dem alten Pavillon, in welchem er mit Lily gesessen hatte. Es hatte 169 sich ein Wind erhoben, der die Wolken, welche tags zuvor den Himmel bedeckt hatten, auseinanderjagte, sodaß die Sterne wie in fernen Tiefen des darüber liegenden Himmels sichtbar wurden, um, wenn die Wolken im raschen Fluge über sie hinjagten, wieder an einer andern Stelle hervorzuleuchten. Inmitten der mannichfachen Klänge der vom Nachtwinde bewegten Bäume glaubte Kenelm das Seufzen der Weide auf dem gegenüberliegenden Rasen von Grasmere vernehmen zu können. 170


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