Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Vierzehntes Kapitel.

Kenelm fand wirklich in seinem verlassenen Logis in Mayfair einen riesigen Haufen von Briefen und Billetts, unter denen sich aber viele Einladungen zu bereits verflossenen Tagen und außer zwei Briefen von seinem Vater, dreien von seiner Mutter und einem von Tom Bowles keine Zuschriften von Interesse befanden.

Sir Peter's Briefe waren kurz. In dem ersten schalt er Kenelm auf seine sanfte Weise dafür, daß er fortgegangen sei, ohne eine Adresse zurückzulassen, und berichtete über seine Bekanntschaft mit Gordon, den günstigen Eindruck, den der junge Mann auf ihn gemacht habe, die Auszahlung der zwanzigtausend Pfund und die Einladung, die er an Gordon, an Travers und seine Tochter und an Lady Glenalvon habe 119 ergehen lassen. In einem zweiten, von einem viel spätern Tage datirten Briefe meldete Sir Peter die Ankunft seiner eingeladenen Gäste, verweilte mit einer bei ihm ungewöhnlichen Wärme bei den Reizen Cecilia's und benutzte die Gelegenheit, Kenelm anscheinend beiläufig, aber darum nicht weniger nachdrücklich an sein ihm gegebenes Versprechen zu erinnern, niemals einer jungen Dame einen Heirathsantrag zu machen, bevor er den Fall der Prüfung seines Vaters unterbreitet und dessen Genehmigung eingeholt habe. »Komme nach Exmundham, und wenn ich nicht meine Zustimmung dazu gebe, daß Du um die Hand Cecilia Travers' wirbst, so halte mich für einen Tyrannen und lehne Dich auf.«

Lady Chillingly's Briefe waren viel länger. Sie beschwerten sich ausführlicher darüber, daß Kenelm auf seinen excentrischen Gewohnheiten beharre, so ganz anders wie andere Leute sei, daß er London im Moment des Höhepunktes der Saison verlassen und selbst ohne Diener fortgegangen sei, niemand wisse wohin. Sie wolle ihn nicht verletzen, aber das sei doch fürwahr nicht die Art und Weise, die sich für einen jungen Mann von Stande schicke. Wenn er keine Achtung vor sich selber habe, so solle er doch einige Rücksicht auf seine Eltern, namentlich auf seine arme Mutter 120 nehmen. Dann folgten Bemerkungen über Leopold Travers' elegante Manieren und das verständige Wesen und die angenehme Unterhaltung Chillingly Gordon's, eines jungen Mannes, auf den jede Mutter stolz sein könne. Dann ging sie zu sanft krittelnden Berichten über Familienangelegenheiten über. Pfarrer John habe sich in Veranlassung des Buches eines Ausländers, Camte oder Cannt oder ähnlich so, sehr unverbindlich gegen Chillingly Gordon in einer Unterhaltung ausgesprochen, in welcher, soweit sie sich ein Urtheil erlauben dürfe, Herr Gordon sehr wohlwollende Ansichten über die Menschheit geäußert habe, welche Pfarrer John in der insolentesten Weise als einen Angriff auf die Religion bezeichnet habe. Aber Pfarrer John sei ihr wirklich zu hochkirchlich gesinnt. Nachdem sie Pfarrer John so abgethan hatte, erging sie sich in einigen einer vornehmen Dame durchaus würdigen mitleidigen Betrachtungen über die sonderbare Toilette der drei Fräuleins Chillingly. Ohne ihr Wissen habe Sir Peter recht nach seiner Art die drei Schwestern eingeladen, ihre Gäste, Lady Glenalvon und Fräulein Travers, die eine so schöne Toilette machten – hier beschrieb sie diese Toilette – zu treffen, und da seien sie denn in erbsgrünen Kleidern mit Pelerinen von falschen Blonden und Fräulein Sally 121 gar mit langen Ringellocken und einem weißen Blütenkranz im Haar, welchen kein über achtzehn Jahre altes Mädchen zu tragen wagen würde, erschienen.

»Aber mein lieber Sohn«, fügte Mylady hinzu, »in der Familie Deines guten Vaters gibt es wirklich sehr sonderbare Persönlichkeiten. Ich habe davon mehr auszustehen, als irgend jemand weiß. Ich thue mein Bestes, es zu ertragen. Ich kenne meine Pflichten und werde sie erfüllen.«

Nachdem Lady Chillingly ihrem Herzen in Betreff dieser Familienbeschwerden Luft gemacht hatte, kehrte sie zu ihren Gästen zurück.

Offenbar von den Absichten ihres Mannes in Betreff Cecilia's nicht unterrichtet, erwähnte sie dieselbe nur ganz kurz. »Ein sehr hübsches junges Mädchen, obgleich etwas zu blond für meinen Geschmack, und mit einem air distingué.« Endlich verbreitete sie sich über das außerordentliche Vergnügen des Wiederzusammenseins mit ihrer Jugendfreundin Lady Glenalvon. »Sie ist nicht im mindesten durch das Leben in der großen Welt verdorben, welcher ich leider in Erfüllung meiner Pflichten als Frau und Mutter, wie wenig auch meine Opfer anerkannt werden mögen, seit langer Zeit Lebewohl gesagt habe. Lady Glenalvon räth den alten abscheulichen Graben mit 122 Farrenkräutern zu bepflanzen, und das wäre eine große Verbesserung. Natürlich macht Dein guter Vater Einwendungen.«

Tom Bowles' auf schwarzgerändertem Papier geschriebener Brief lautete, wie folgt:

»Geehrter Herr!

Seit ich die Ehre hatte, Sie in London zu besuchen, hat mich ein schwerer Verlust getroffen. Mein armer Onkel ist nicht mehr. Er starb sehr plötzlich, nachdem er mit gutem Appetit zu Nacht gegessen hatte. Ein Doctor sagt, es sei ein Schlag, ein anderer, es sei ein Herzleiden gewesen. Er hat mich, nachdem seine Schwester versorgt ist, zum Erben gemacht; niemand hatte geglaubt, daß er so viel Geld erspart habe. Ich bin jetzt ein ganz reicher Mann und ich werde das Geschäft eines Thierarztes, welches mir in neuerer Zeit, seit ich, Ihrem freundlichen Rathe folgend, mehr gelesen habe, gar nicht mehr behagt, aufgeben. Der erste Kornhändler hier hat mir proponirt, mich zu seinem Associé zu machen, und soviel ich sehe, wird das etwas sehr Vortheilhaftes sein und mir eine viel höhere Lebensstellung schaffen. Aber ich kann mich jetzt noch nicht dazu entschließen, Herr Chillingly, ich kann mich noch leider zu nichts entschließen. Ich weiß, Sie werden nicht über mich lachen, wenn ich Ihnen sage, daß 123 ich ein eigenthümliches Verlangen trage, eine Weile zu reisen. Ich habe Reisebeschreibungen gelesen und sie interessiren mich mehr als alle anderen Bücher. Aber ich glaube, ich könnte nicht glücklich abreisen, wenn ich nicht noch einmal vorher, Sie wissen, wen, gesehen und mich überzeugt hätte, daß sie glücklich sei. Ich weiß gewiß, daß ich ohne einen bösen Gedanken Will die Hand schütteln und ihren Kleinen küssen könnte. Was sagen Sie dazu, verehrter Herr? Sie hatten mir versprochen, mir über sie zu schreiben, aber ich habe nichts von Ihnen gehört. Susey, das kleine Mädchen mit dem Blumenball, hat auch einen großen Verlust gehabt. Der alte Mann, bei dem sie wohnte, starb wenige Tage nach dem Tode meines lieben Onkels. Mutter ist, wie Sie, glaube ich, wissen, nach dem Verkauf der Schmiede in Graveleigh hierher gezogen und sie will Susey ganz zu sich nehmen, denn sie liebt sie sehr. Bitte, lassen Sie mich bald von Ihnen hören und geben Sie mir Ihren Rath in Betreff meiner Reise und in Betreff ihrer. Sie sehen, ich möchte gern, wenn ich in fernen Landen weile, wissen, daß sie meiner freundlich gedenkt.

Ich verbleibe, geehrter Herr,

Ihr dankbarer Diener
T. Bowles.        

124 P. S. Fräulein Travers hat mir Will's letzte Rimesse geschickt. Er ist mir jetzt nur noch sehr wenig schuldig; es muß ihnen also wohl gut gehen. Ich hoffe, sie überarbeitet sich nicht.«

Als Kenelm an jenem Abend mit der Eisenbahn nach Moleswick zurückgekehrt war, ging er alsbald zu Will Somers. Der Laden war bereits geschlossen, aber die treue Magd ließ ihn in das Wohnzimmer eintreten, wo er sie alle beim Abendessen versammelt fand, mit Ausnahme des Babys, das sich schon lange in seine Wiege zurückgezogen hatte und hinausgebracht war. Will und Jessie waren sehr stolz, als Kenelm sich selbst einlud, an ihrer Mahlzeit Theil zu nehmen, die zwar einfach, aber keineswegs schlecht war.

Als das Abendessen vorüber und der Tisch abgedeckt war, rückte Kenelm seinen Stuhl nahe an die Glasthür, welche in einen kleinen, sehr nett gehaltenen Garten führte, dessen zu warten, bevor er an seine eigentliche Arbeit ging, Will's Stolz war. Durch die geöffnete Thür strömte die kühle Abendluft und der Duft der schlafenden Blumen herein.

»Sie wohnen hier allerliebst, Frau Somers.«

»Das thun wir und segnen den, dem wir es versanken, dafür.«

»Das freut mich. Wie oft gibt Gott, wenn er 125 uns eine besondere Wohlthat zudenkt, es einem Nebenmenschen, vielleicht dem letzten, an den wir gedacht haben würden, in das Herz, sie uns zu erweisen; aber indem wir ihn segnen, danken wir Gott, der es ihm eingab. Meine lieben Freunde, ich weiß, daß Ihr alle drei mich im Verdacht habt, das Werkzeug zu sein, dessen sich Gott zu seiner Wohlthat bedient hat. Ihr glaubt, daß das Darlehn, welches Euch in den Stand setzte, Graveleigh zu verlassen und Euch hier zu etabliren, von mir kam. Ihr irrt Euch. Ihr seht mich ungläubig an?«

»Es kann doch nicht der Squire sein«, rief Jessie. »Fräulein Travers versicherte mir, daß weder er noch sie selbst es sei. O, Sie müssen es sein, Herr. Verzeihen Sie, aber wer sonst sollte es sein?«

»Ihr Mann soll es rathen. Angenommen, Will, Sie hätten sich schlecht gegen jemand benommen, der Ihnen gleichwohl theuer gewesen wäre, und hätten es nachher bei näherem Nachdenken sehr bereut und sich geschämt, und angenommen, Sie fänden später Gelegenheit und wären im Stande, jener Person einen Dienst zu leisten, glauben Sie, Sie würden es thun?«

»Ich wäre ein schlechter Mensch, wenn ich es nicht thäte.«

»Bravo! Und weiter: angenommen, daß derjenige, 126 dem Sie so gedient hätten, wenn er erführe, daß Sie es seien, der ihm diesen Dienst geleistet habe, nicht dankbar wäre, es nicht schön von Ihnen fände, auf diese Weise das kleine Unrecht, daß er Ihnen früher gethan, wieder ausgleichen zu wollen, sondern ungezogen und verdrießlich und widerhaarig würde und mit elendem falschem Stolze sagte, daß, weil er Sie früher einmal beleidigt habe, er es übel nehme, daß Sie es sich jetzt herausnehmen, sich freundlich gegen ihn zu erweisen, würden Sie nicht diesen Menschen für einen undankbaren Burschen halten, undankbar nicht nur gegen Sie, seinen Nebenmenschen, darauf kommt es weniger an, sondern undankbar gegen Gott, der es Ihnen ins Herz gelegt hatte, sein Werkzeug bei der erwiesenen Wohlthat zu sein?«

»Nun ja, Herr, gewiß«, sagte Will, der, bei all seiner geistigen Ueberlegenheit über Jessie, keine Ahnung davon hatte, worauf Kenelm hinaus wollte, während Jessie, ihre Hände fest zusammenpressend, bleich und mit einem raschen erschrockenen Blick auf Will antwortete:

»O Herr Chillingly, ich hoffe, Sie reden nicht – von Herrn Bowles?«

»An wen anders sollte ich denken, von wem anders reden?«

Will stand in nervöser Aufregung auf, alle seine Züge zuckten krampfhaft.

»O Herr, das ist ein harter Schlag, sehr, sehr hart!«

Jessie stürzte auf Will zu, schlang ihre Arme um ihn und schluchzte.

Kenelm wandte sich ruhig an die alte Frau Somers, welche ihre Handarbeit, ein paar Socken für das Baby, an denen sie seit dem Abendessen gestrickt, bei Seite gelegt hatte, und sagte:

»Liebe Frau Somers, wozu wären Sie eine Großmutter, welche Socken für ihr Enkelchen strickt, wenn Sie Ihre albernen Kinder da nicht überzeugen könnten, daß sie zu glücklich mit einander sind, um Groll gegen einen Mann zu hegen, der sie früher auseinander bringen wollte und es jetzt bereut?«

Zu einiger Verwunderung, ich darf wohl sagen Ueberraschung Kenelm's stand die alte Frau Somers, an die Kenelm so appellirt hatte, von ihrem Sitz auf und trat mit einer ruhigen Würde, die niemand von der alten Bauerfrau erwartet haben würde, an das Ehepaar heran, richtete Jessie's Gesicht mit der einen Hand auf und legte die andere Hand auf Will's Kopf und sagte: »Wenn Ihr nicht Verlangen danach tragt, Herrn Bowles wiederzusehen und zu ihm zu sagen: 128 Der Herr segne Sie! so verdient Ihr nicht, daß Euch der Segen des Herrn zu Theil wird.« Damit setzte sie sich wieder nieder und nahm ihre Strickarbeit wieder auf.

»Dem Himmel sei Dank, wir haben den größten Theil des Darlehns abbezahlt«, sagte Will in sehr aufgeregtem Tone, »und ich glaube, wenn wir uns ein bischen einschränken, Jessie, und einen Theil unseres Waarenlagers wieder verkaufen, könnten wir auch den Rest bezahlen, und dann – und dann« – hier wandte er sich an Kenelm – »und dann, Herr, wollen wir« – hier drohte ihm die Stimme zu versagen – »Herrn Bowles danken.«

»Das befriedigt mich durchaus nicht, Will«, erwiderte Kenelm; »und da ich dazu behülflich gewesen bin, Euch beide zusammen zu bringen, so habe ich ein Recht zu erklären, daß ich das nie gethan haben würde, wenn ich hätte ahnen können, daß Sie Ihrer Frau so wenig zutrauen würden, daß eine Erinnerung an Herrn Bowles für sie noch schmerzlich sein könnte. Sie fühlten sich nicht gedemüthigt, als Sie glaubten, mir eine Summe schuldig zu sein, welche Sie rechtschaffenerweise abbezahlt haben. Nun, ich will Ihnen die Kleinigkeit, die etwa noch zu der Abbezahlung Ihrer ganzen Schuld an Herrn Bowles fehlt, leihen, sodaß 129 Sie eher im Stande sein werden, zu ihm zu sagen: Ich danke Ihnen. Aber unter uns, Will, in meinen Augen würden Sie ein besserer und männlicherer Bursche sein, wenn Sie sich weigerten, diese kleine Summe von mir zu borgen, und lieber zu Herr Bowles sagen möchten: Ich danke Ihnen, ohne der albernen Vorstellung Raum zu geben, daß Sie, wenn Sie ihm sein Geld zurückbezahlt haben, ihm für seine Güte nichts mehr schuldig seien.«

Will blickte unentschlossen weg. Kenelm fuhr fort: »Ich habe heute einen Brief von Herrn Bowles gehabt. Er ist vermögend geworden und will eine Zeit lang ins Ausland reisen. Aber bevor er abreist, schreibt er mir, möchte er gern Will die Hand reichen und sich von Jessie versichern lassen, daß sie ihm seine frühere Rohheit verziehen hat. Er hatte keine Idee davon, daß ich die Sache mit dem Darlehn ausschwatzen würde, und wünschte, das möchte für immer ein Geheimniß bleiben. Aber unter Freunden bedarf es keines Geheimnisses. Was sagen Sie, Will, als Haupt der Familie? Soll Herr Bowles hier als Freund willkommen geheißen werden oder nicht?«

»Herzlich willkommen«, sagte die alte Frau Somers, von ihrem Strickstrumpf aufblickend.

»Herr Chillingly«, sagte Will plötzlich in einem 130 sehr energischen Ton, »sehen Sie, Sie sind gewiß nie verliebt gewesen. Wenn Sie es wären, würden Sie nicht so hart gegen mich sein. Herr Bowles war in meine Frau da verliebt; Herr Bowles ist ein sehr schöner Mann und ich bin ein Krüppel.«

»O Will! Will!« rief Jessie.

»Ich vertraue meinem Weibe von ganzem Herzen und ganzer Seele, und jetzt, wo ich die erste peinliche Empfindung überwunden habe, soll Herr Bowles, wie Mutter sagt, freundlich willkommen sein, herzlich willkommen!«

»Geben Sie mir die Hand. Jetzt reden Sie wie ein Mann, Will. Ich hoffe, Bowles nächstens zum Abendessen herbringen zu können.«

Noch an demselben Abend schrieb Kenelm an Tom Bowles:

»Mein lieber Tom! Kommen Sie doch hierher nach Moleswick und bringen Sie einige Tage bei mir in Cromwell-Lodge zu. Will Somers und seine Frau wünschen sehr, Sie zu sehen und Ihnen zu danken. Ich konnte es nicht länger ertragen, mir fremdes Verdienst zugerechnet zu sehen, um Ihrer Laune zu fröhnen. Sie bestanden darauf, daß ich es gewesen sei, der den Laden für sie gekauft habe und so weiter, 131 und so war es Nothwehr von mir, ihnen zu sagen, wer es gewesen sei. Mehr darüber und über Ihre Reise, wenn Sie herkommen.

Ihr aufrichtiger Freund
K. C.«              


 << zurück weiter >>