Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Erster Band
Laurids Bruun

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

15

Je mehr die Säson vorschritt, desto mehr ließ Ellen sich von ihren alten, gesellschaftlichen Verpflichtungen in Anspruch nehmen. Die Freundinnen legten Beschlag auf sie; und wenn Svend kam, um seine rechtmäßige Spaziertour zu fordern, so war sie entweder nicht zu Hause oder mitten in einem Besuch.

Svend haßte Besuche und erkundigte sich deshalb immer bei Fräulein Jensen, ob jemand da sei, bevor er hineinging.

Schließlich verlor er die Geduld und kam nur, wenn Ellen nach ihm schickte.

 

Ellen hatte den ganzen Vormittag Einkäufe gemacht. Jetzt ging sie auf dem Heimwege über die Hauptpromenade der Stadt. Da sah sie Kamma Ejstrup um eine Ecke biegen. Kamma Ejstrup war Ellens Schulgefährtin. Ihr Vater war Oberst und hatte kein Vermögen. Sie war nicht hübsch, hatte aber einen guten Verstand, einen ausdrucksvollen Mund und ein schelmisches Lächeln, womit sie den, mit dem sie sprach, reizte. Sie hatte seit ihren Schultagen für Falk geschwärmt, und es war Ellens fester Entschluß, daß die beiden sich kriegen sollten.

Ellen winkte ihr mit dem Muff; Kamma aber sah es nicht. Sie mußte über die Straße laufen, um sie einzuholen.

Kamma wollte zum Konditor und Ellen schloß sich ihr bereitwilligst an.

Das Wetter war klar und kühl, der Himmel voll von ziehenden Herbstwolken, die an den Kanten ausgefasert waren. Die Menschen waren vergnügt. Es war ein Lächeln und Plaudern und Grüßen auf dem breiten Fußsteig vor dem Laden der Königlichen Porzellanfabrik.

Während Ellen mit den Händen in dem Muff ging und wie ein sorgloser Vogel zwitscherte, machte Kamma Bemerkungen über die Vorbeigehenden. Sie konnte mit dem ernstesten Gesicht die fürchterlichsten Dinge über Leute flüstern, die ihnen entgegenkamen, so daß Ellen sich in die Lippe beißen und auf ihre Stiefelspitzen herabsehen mußte, um nicht loszuplatzen. Es nützte nicht, daß sie nachher schalt. Kamma konnte es nicht lassen.

Als sie über die Straße gingen, um in der fashionablen Konditorei einzukehren, kamen Magda Flindt, die junge Frau des Adjutanten, und Jenny Lindholm Arm in Arm von der entgegengesetzten Seite.

»Um Gottes willen!« sagte Ellen; aber es war schon zu spät um umzukehren.

»Wie nett, daß man sich mal trifft, liebe Ellen! Guten Tag, Fräulein Ejstrup!«

Dann gingen sie alle in schöner Gemeinschaft zum Konditor.

Dort saß Emmy, das einzige und verwöhnte Kind des reichen und angesehenen Justizrats Danielsen, am Fenster. Sie stützte das Kinn in die Hand und starrte auf die Straße.

»Da sitzt wahrhaftig Emmy!«

Magda Flindts Stimme war in der ganzen Konditorei zu hören.

»Wie komisch. Jetzt sind wir alle Fünf versammelt. Die ganze Kompanie.«

Emmy nickte und lächelte und versuchte neben sich Platz zu machen, aber es glückte ihr nicht. Eine der Kellnerinnen kam heran, nickte den Damen mit bescheidener Vertraulichkeit zu und rückte einen zweiten Tisch heran.

Ellen hatte gleich gesehen, daß etwas mit Emmy los sei; ihre Augen waren so verschleiert.

»Hast du Kopfschmerzen?« fragte sie teilnahmvoll.

Eine feine Röte stieg in Emmys elfenbeinfarbene Wange.

»Ja, ein wenig. Ich habe eine große Spaziertour in der starken Luft gemacht. Davon hab ich Kopfschmerzen bekommen.«

Ihre Augen aber sandten Ellen eine heimliche Botschaft, so daß sie gleich begriff, daß Emmy etwas auf dem Herzen hatte, was die anderen nicht wissen sollten.

Es wurde Schokolade getrunken und Kuchen gegessen. Es wurde von den Leuten, die draußen vorbeigingen, geklatscht. Es wurde von Schneiderinnen und Toiletteangelegenheiten gesprochen.

»Dort geht dein Verlobter, Ellen,« sagte Emmy, die ihren Blick beständig aus dem Fenster schweifen ließ.

Richtig. Da ging er, aufrecht und ernst, mit der Aktenmappe unterm Arm, neben v. Falk, dessen Lackstiefel in der Nachmittagssonne glänzten.

Sie waren in ein Gespräch vertieft.

»Gott!« rief Ellen ärgerlich aus, indem sie sich vorbeugte, »daß der dumme Junge nicht heraufsehen kann! Ich klopfe ans Fenster.«

»Himmel, das geht doch nicht!«

»Er ist viel zu vertieft!« sagte Kamma. Sie war auf alle eifersüchtig, denen v. Falk Interesse erwies, einerlei ob Mann oder Frau.

»Aber v. Falk ist ja auch wegen seiner bezaubernden Eigenschaften berühmt.«

Magda Flindt, die unglücklich verheiratet war und es immer verbergen mußte, war stets bereit, andere leiden zu lassen.

»Ich begreife dich nicht, Ellen! – Ich würde mich nicht so vernachlässigen lassen. Wenn ich an meine eigene Verlobungszeit denke – nie ging einer von uns allein oder mit anderen. Ich holte Fritz jeden Tag aus der Kaserne ab.«

»Das war vielleicht zu eurer Zeit Sitte!« sagte Ellen boshaft.

Trotzdem ärgerte sie sich und gelobte sich selbst, daß sie Svend ordentlich ins Gebet nehmen wollte. Er war wirklich in der letzten Zeit etwas zu sehr seine eigenen Wege gegangen.

Kurz darauf erhob Jenny sich. Sie mußte zum Essen nach Hause; der General, selbst präzise wie eine Generalstabsuhr, hielt streng auf Pünktlichkeit in seinem Hause.

Kamma schloß sich ihr an.

Kaum waren Jenny und Kamma gegangen, als Magda Flindt ihren Mann entdeckte, der auf dem gegenüberliegenden Fußsteig stehengeblieben war, um zu den Damen hinaufzugrüßen.

»Gott, da ist Fritz!«

Sie nickte und winkte, während Emmy den Kopf zu einem leichten Gruß beugte und hastig die Augen niederschlug.

Die Damen machten ihm Zeichen zu, daß er heraufkommen solle. Flindt aber zeigte seine Taschenuhr und zuckte bedauernd die Achseln.

»Dann gehe ich auch!« sagte Magda und winkte ihm, daß er warten solle.

»Adieu, Ellen! Adieu, Emmy, gute Besserung für deine Kopfschmerzen. Es war riesig nett, euch mal alle wiederzusehen. Nächste Woche wollen wir aber wirklich – nicht? – Adieu, adieu.«

Während Magda lärmend das Café verließ, wo aller Köpfe sich nach ihr umwandten, blickte Ellen verstohlen zu Emmy hinüber, die ihre rote Wange mit der Hand zu verbergen suchte.

Flindt blickte herauf, während er auf seine Frau wartete; Emmy aber wandte nicht ein einziges Mal den Kopf, bevor Magda neben ihm stand. Dann winkte sie mit der Hand, ebenso wie Ellen.

Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander und sahen dem Paar nach, das Arm in Arm – Flindt, der alle Welt kannte, unablässig grüßend – stattlich die Straße entlang ging.

Als sie sie nicht mehr sehen konnten, legte Ellen ihre Hand auf Emmys Arm und flüsterte:

»Also erzähle!«

Emmy nahm ihre Hand von der Wange und sah sie mit einem Blick an, der dunkel und schwer von heimlicher Freude war; im selben Augenblick aber zeigte sich ein schuldbeladenes Lächeln um ihre Mundwinkel; Ellen wußte sofort Bescheid.

»Du hast ein Stelldichein mit ihm gehabt!«

Emmy nickte.

»Was ist geschehen?«

Ellen konnte sich vor Spannung nicht ruhig auf ihrem Stuhl verhalten.

»Geschehen?« Emmy schloß die Augen und öffnete sie wieder ganz langsam.

»Ach, erzähl mir alles genau!« Sie rückte sich bequem zurecht und wartete, daß Emmy anfangen sollte.

»Ja, es war also gestern. Gerade gestern abend. Und ihn dann dort auf der Straße stehen und grüßen sehen, während man hier mit seiner Frau sitzt!«

Flindt hatte sie hundertmal gequält. Und das letztemal – es war auf Ellens Verlobungsgesellschaft gewesen –, da hatte sie ihm ein halbes Versprechen gegeben, weil er sie herausforderte, indem er dieser kleinen Landpomeranze, Svends Schwester, die Kur machte.

»Himmel, Emmy, was hattest du versprochen?«

Ellen packte sie in höchster Spannung am Arm. Emmy aber sah sie nicht an; bis über die Stirn errötend, schloß und öffnete sie die Augen ganz langsam wie vorhin. Dann sagte sie:

»Er wollte nämlich mit mir ganz allein essen – soupieren, verstehst du. Das tun so viele junge Damen der Aristokratie, sagte er. Komtesse Gramm und Premierleutnant Lykkeskjold in der Garde zum Beispiel – das wußte er bestimmt. Es ist ja auch gar nichts dabei, wenn niemand es sieht. Man kommt in einem geschlossenen Wagen, der in das Portal des Hotels hineinfährt, und nennt nur die Nummer des Zimmers.«

»Ach, erzähle, erzähle!«

Ellen rückte ganz nah an sie heran.

Und Emmy erzählte und öffnete und schloß die Augen, und lächelte mit dem kleinen, schmerzlichen, schuldbeladenen Lächeln, das ihr so allerliebst stand.

»Ist etwas passiert?« fragte Ellen vorsichtig.

»Was fällt dir ein? Was sollte wohl passieren? – Also man ißt und trinkt und – ja, zu Anfang ist es etwas peinlich wegen des Kellners, denn was mag der von einem denken – aber du kannst dir nicht vorstellen, wie diskret er ist. Ich versichere dir, es war, als ob er mit geschlossenen Augen servierte – ein vollkommener Automat, sage ich dir. Aber es gab auch gar nichts zu sehen. Du kennst doch uns beide – ein Mann wie Flindt – nicht, Ellen?«

»Ja, natürlich!« Ellen lächelte verborgen: »Was bekamt ihr zu essen?«

»Was wir bekamen? – Ja, was war es doch noch – Hummer bekamen wir auch – und einen Braten natürlich – ich glaube, es war – ich hab wirklich nicht so genau darauf geachtet.«

Das konnte Ellen nur zu gut begreifen.

»Was hattest du an?«

»Ich war natürlich in Toilette – mein graues Ausgeschnittenes, weißt du wohl – und er war natürlich in Zivil – er kam übrigens von der Tafel beim Prinzen.«

»Vom Prinzen?«

Ellen wurde nachdenklich und rutschte auf ihrem Stuhl hin und her, während Emmy sie mit halbgeschlossenen Augen betrachtete und flüsterte:

»Ich hab eine Bestellung an dich.«

»Für mich?«

Ellen versuchte unschuldig auszusehen, wurde aber ganz rot.

»Nachher!« beeilte sie sich zu sagen, »erzähl erst von dir selbst.«

Emmy ergriff plötzlich ihre seine Hand, die nervös mit der Serviette spielte. Sie preßte sie heftig und flüsterte:

»Ellen – es war der schönste Abend meines Lebens!

Sie schloß wieder die Augen und lehnte sich einen Augenblick zurück. Die Freundin aber ließ ihr keine Ruhe.

»Hat er dich geküßt?« fragte sie sanft und legte einschmeichelnd, wie bittend, ihre Hand auf Emmys.

Sie antwortete nicht; aber das kleine schmerzliche Lächeln breitete sich ganz über ihren hübschen Mund, während die Augenlider mit einem bekräftigenden Nicken herabglitten.

Ellen küßte ihre Wange.

»Wie bist du glücklich, Emmy!« sagte sie sanft und dachte an ein rotes Plüschsofa in einem sonnigen Saal im Louvre.

Zwischen ihr und Svend war es so leer geworden, seit sie aus dem Auslande zurückgekommen waren.

 

Bevor sie sich trennten, hatte Ellen alle Details erfahren, soweit Emmy sich ihrer klar erinnern konnte.

»Was nun?« fragte Ellen, als sie Arm in Arm über die Straße gingen.

Emmy richtete sich auf.

»Was nun?« sagte sie. »Ein herrlicher Abend! Eine schöne Erinnerung! Nichts weiter!«

Ellen blickte sie mißtrauisch an.

Dann fügte Emmy mit einem großen Lächeln hinzu:

»Vielleicht geben wir noch eine Dakapo-Nummer. Aber weiter nichts.«

Als Ellen dicht vor ihrem Hause war, konnte sie die Frage nicht länger aufschieben, die ihr den ganzen Weg auf den Lippen gebrannt hatte.

»Mich dünkt, du sagtest etwas von einer Bestellung an mich?« kam es ganz harmlos.

Emmy sah sie schelmisch an.

»Kannst du es nicht erraten?«

Ellen schüttelte lächelnd den Kopf.

»Einen Gruß von einer sehr hochstehenden Person.«

»Einen Gruß? – Dann muß er ja gewußt haben, daß du und Flindt –«

»Gott, nein – er hat es Flindt anvertraut, damit er es gelegentlich an dich weiter gelangen lassen sollte. Aber Flindt hat es selbst nicht gewagt. Darum hat er mich gebeten.«

»Was hast du gesagt?«

»Ich hab gesagt, daß ich nichts dagegen hätte, jemandem eine Bestellung zu überbringen, den ich so gut kennte und so lieb hätte wie dich.«

Ellen schwieg eine Weile. Sie wollte über die Antwort nachdenken, bevor Emmy die Frage stellte.

»Du solltest mir nur sagen, ob du wolltest, und dann solltest du selbst einen Abend bestimmen. Flindt würde dann das übrige ordnen.«

»Was will er ordnen?«

Ellen atmete hastig und sah mit klopfendem Herzen geradeaus.

»Gott, Ellen! – weshalb muß es so plump sein. Der Prinz will also gern einen Abend mit dir zusammen soupieren, wenn du es denn durchaus mit Eßlöffeln eingegeben haben willst.«

»Das muß ich sagen –!«

Ellen machte sich in einen, kleinen nervösen Gelächter Luft.

»Eben ist er zu meiner Verlobungsgesellschaft gewesen!«

»Gott, es schadet dir ja nichts. Niemand erfährt etwas davon. Und du kannst dir doch denken, daß nichts geschieht, was du nicht selbst willst.«

»Na, aber dir?« sagte Ellen und sah sie neckisch an.

»Ich bin ja nicht verlobt!« lachte Emmy.

»Und ich wollte selbst!« fügte sie übermütig hinzu, indem sie Ellen ihre Hand zum Abschied entgegenstreckte.

»Überleg es dir!«

»Es ist natürlich eine außerordentlich große Ehre!« sagte Ellen und knixte ironisch.

Während sie die Treppen hinaufstieg, hatte sie Herzklopfen. Sie war tüchtig böse auf Svend, daß er sie so vernachlässigte. Eigentlich verdiente er es nicht besser. Noch heute wollte sie ihm schreiben.


 << zurück weiter >>