Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Erster Band
Laurids Bruun

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18

Nach dem Diner setzte Svend sich oben auf Deck in den Rauchsalon und trank Kaffee.

Der Nebel war verschwunden. Das Meer lag blank mit rötlichen Streiflichtern da und wiegte sich unter einem Himmel, der hoch oben violettblau war und sich nach unten zu mit unbestimmbaren Übergängen von Grün zu Gelb in das Abendrot austönte, das in Nordwest glühte.

Es war ein herrlicher Anblick. Svend hatte ihn gerade vor seinem Fenster. Er gab sich ihm ganz hin und ließ sich davon tragen, bis all das Rötliche verschwunden und von der grünlichen Dämmerung der Nacht aufgesogen war.

Dann erwachte er und ging aufs Deck hinaus, wo die elektrischen Lampen angezündet worden waren, aber mit ihrem Licht nicht gegen den hellen Himmelsschein anzukämpfen vermochten.

Dort hinten, gleich unterhalb der Kommandobrücke, im Schutze der Segeltuchwand, saß die junge Dame weich in einen Deckstuhl zurückgelehnt, der ihre kleine Gestalt wie ein Bild umrahmte. Sie war in eine große graue Reisedecke eingehüllt, so daß nur ihr Gesicht frei blieb.

Sie hatte die stark gewölbten Augenlider geschlossen, die mit dunklen Wimpern auf der Wange lagen.

Schlief sie – oder war es vielleicht Koketterie?

Etwas weiter links ging der Prinz auf und ab und betrachtete den Sonnenuntergang. Der Wind stand ihm über dem Segeltuchdach entgegen, so daß er seine hohe Gestalt vornüberbeugen und seinen Hut festhalten mußte.

Svend ging ein paarmal hin und her. Dann ließ er sich in einem unbesetzten Deckstuhl neben der jungen Dame nieder. Er blickte sie von der Seite an, sie aber machte keine Miene, von seiner Nachbarschaft Notiz zu nehmen.

Es wurde jetzt kühl. Der Prinz schlug sich seine Reisedecke um die Schultern; als er aber seinen Hut losließ, riß der Wind ihn ihm vom Kopfe und führte ihn gegen eines der großen Fangrohre, die die Luft in den Maschinenraum hinabführen.

Svend sprang sofort auf, während der Prinz mit entblößtem Kopf und einem hilflosen Lächeln um die Lippen stehen blieb.

Der Hut wurde zu der Tür des Rauchsalons hinübergeweht. Dort erwischte Svend ihn und kam triumphierend mit seiner Beute zurück, indem er ihn mit seinem Ärmel abwischte.

Er überreichte ihn mit einer Verbeugung; der Prinz dankte mit einigen verbindlichen Worten und meinte, daß es wohl eine unruhige Nacht geben würde, da der Wind so stark zunähme.

»Durchlaucht sollten auf die andere Seite gehen,« sagte Svend, »dort bietet der Salon Schutz.«

Die Augen des Prinzen ruhten einen Augenblick auf Svend, wie er mit seinem offenen Gesicht dastand und ihm ohne Umstände einen bürgerlichen Rat gab.

Dann lächelte er freundlich und sagte:

»Sie haben recht. Das will ich tun.«

Er grüßte leicht und ging achter um den Salon auf die andere Seite hinüber.

Svend stand und sah ihm nach; indem er sich umwandte, begegnete er dem Blick der jungen Dame, die jetzt zum erstenmal dem verborgenen Lächeln freien Lauf ließ.

Es stand ihrem kleinen runden Gesicht allerliebst; als Svend aber das Lächeln diskret erwiderte, erlosch das ihre sofort und die Lider senkten sich auf die Wangen.

Er setzte sich wieder in den Deckstuhl und wartete auf eine Gelegenheit, um sich ihr angenehm zu machen.

Kurz darauf erschien ihr Vater in der Tür zum Salon. Vorsichtig schritt er über die hohe Türschwelle und kam aufs Deck hinaus. Er prüfte die Luft mit zusammengekniffenen Augen. Dann drückte er die Mütze fest in den Nacken und kam näher, indem er die linke Hand auf den Rücken legte und die rechte hinter den Rockaufschlag schob.

Als seine zusammengekniffenen Augen die hohe Gestalt des Prinzen entdeckten, die gerade auf der anderen Seite herankam, wandte er sich derselben voll zu, fing den Blick, des Prinzen auf und grüßte mit jener fein nuancierten Mischung von Respekt vor der Würde königlicher Personen, von dem Gefühl eigener Wertschätzung und der Vertraulichkeit persönlicher Bekanntschaft.

Der Prinz verstand die Nuance sofort. Einen Augenblick suchte er in seinem Gedächtnis. Dann grüßte er achtungsvoll und kam schnell auf den alten Herrn zu.

»Guten Abend, Herr Departementschef!« sagte der Prinz und drückte ihm die Hand. »Ich wußte nicht, daß Sie mit an Bord seien.«

»Ich hatte keine Gelegenheit, Eure Durchlaucht beim Diner zu begrüßen,« antwortete der Departementschef mit dem verbindlichen Lächeln, das er angenommen hatte, als er grüßte, und das sein feingefurchtes Gesicht, das von weitem so jung aussah, nicht wieder verließ – »ich saß nämlich auf derselben Seite wie Eure Durchlaucht.«

»Sie wollen nach London?«

»Ja, das ist meine jährliche Ferienreise. Wir wollen nach London und Paris und über München und die sächsische Schweiz wieder nach Hause. In meinem Alter pflegt man die einem bekannten Orte immer wieder aufzusuchen.«

Der Departementschef lachte mit einem kurzen Kehllachen.

»Ach so, Sie sind nicht allein?« sagte der Prinz zuvorkommend und warf einen flüchtigen Blick auf Svend.

»Nein, seit dem Tode meiner Frau nehme ich immer meine Tochter mit auf Reisen. Es ist gesund für ein junges Mädchen, ausländische Luft zu atmen, das erweitert den Horizont.«

Als der Departementschef seine Tochter erwähnte, deutete er mit einer diskreten Handbewegung an, wo sie sich befand. Der Prinz blickte höflich in die angedeutete Richtung. Die junge Dame hatte sich aufgerichtet und blickte Papas hochvornehmer Bekanntschaft erwartungsvoll entgegen.

Da der Prinz begriff, daß der Departementschef es von ihm erwartete, und da die Kleine sehr reizend zu sein schien, sagte er:

»Es würde mir ein Vergnügen sein, die Bekanntschaft Ihres Fräulein Tochter zu machen.«

Der alte Herr verbeugte sich verbindlich und führte mit seinen kleinen zierlichen Schritten den Prinzen auf seine Tochter zu, die sich bereits erhoben hatte und mit einem plötzlichen Rot in den blassen Wangen ihre sanften blauen Augen geradeswegs auf den Prinzen richtete.

Der Departementschef stellte vor. Sie verneigte sich mit vielem Anstand, gerade so tief, wie es einem Prinzen zukam, während Durchlaucht mit einer Verbeugung grüßte, wie sie einer Dame aus der vornehmsten Bourgeoisie zukam, und vielleicht mit noch einer kleinen Zugabe für Jugend und Schönheit.

Der Departementschef wägte genau und fand, daß er sowohl wie seine Tochter empfangen hatten, was ihnen zukam, ja, vielleicht noch ein wenig darüber. Er war also bei bester Laune und machte mehrere scherzhafte Bemerkungen.

Nachdem der Prinz etwas über Wind und Wetter konversiert hatte, grüßte er die junge Dame abermals galant und ging dann im Gespräch mit dem Departementschef, der jetzt eine ernste, würdige Miene angenommen hatte, über das Deck. Sie schienen ein Thema zu verhandeln, in dem er Autorität besaß.

Svend hatte von seinem Deckstuhl aus anscheinend uninteressiert das Ganze verfolgt.

Als das kleine Fräulein sich wieder setzte, hatte er die Genugtuung, daß ihre blauen Augen ihn sanft streiften, um die Bewunderung einzukassieren, die ihr wegen ihrer ungenierten Grazie im Gespräch mit einem Prinzen von Geblüt zukam.

Und Svend, dem es aufrichtig imponiert hatte, gab ihr durch einen Blick alles, was sie billigerweise verlangen konnte.

Als der Departementschef kurz darauf zurückkam und Miene machte, sich einen Stuhl zu holen, um sich neben seine Tochter zu setzen, sprang Svend auf und bot den seinen an.

»Wenn ich bitten darf!« sagte er und grüßte.

»Außerordentlich verbunden!« Indem Svend sich mit seiner Reisedecke entfernte, sagte er so laut, daß Svend es hören konnte:

»Ein artiger junger Mann!«

Der Prinz, der Departementschef und seine Tochter hatten sich schon längst in ihre Kajüten zurückgezogen, als Svend schließlich genug von der hellen Nacht genossen hatte und in den Rauchsalon ging.

Hier hing der Tabaksrauch wie eine dicke Wolke unter der niedrigen Decke. Die Luft war heiß und schwer und roch nach Whisky.

Die beiden Engländer lagen längelang auf den Plüschsofas und blickten halb mitleidig, halb verächtlich auf den amerikanisierten Dänen, der mit geschwollenem Gesicht und dummen, stieren Augen prahlerische Reden führte.

Er trank den Whisky unvermischt und war schon so betrunken, daß er jeden Augenblick aufstieß.

»Take a drink, sir!« rief er Svend zu und schenkte ihm Whisky in ein Glas, das schon benutzt war.

Svend warf ihm einen gereizten Blick zu und antwortete nicht.

Der Mann wiederholte seine Aufforderung und betrachtete Svend blöde, mit dem Versuch, den Beleidigten zu spielen. Dann trank er das Glas selbst aus.

»There is something rotten in Denmark!« rief er plötzlich und setzte das Glas hart auf die Tischplatte.

Er war sehr entzückt über die Phrase, die er wahrscheinlich aus einem Zeitungsartikel aufgeschnappt hatte. Er wiederholte sie mehrere Male und knallte bei jedem Mal das Glas auf den Tisch.

Die Engländer lächelten; Svend aber konnte nicht an sich halten; obgleich er wußte, daß der Mann betrunken und keines Wortes würdig war, so platzte er doch heraus:

»Yes – you are the rotten something in Denmark

Der eine Engländer lachte laut und kurz auf und musterte Svend mit seinen kalten, braunen Augen.

Der Betrunkene glotzte verständnislos, bis es ihm schließlich klar wurde, daß er angegriffen sei. Dann erhob er sich mit dem Versuch, seine Würde zu behaupten:

»What do you mean say?« fragte er und versuchte Svends Blick auszuhalten. »I am an American – American – American

Er schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser klirrten.

In diesem Augenblick kam der Volksschullehrer mit dem weichen Hut und dem üppigen Bart aus dem zweiten Salon, von wo er die ganze Szene beobachtet hatte.

Er ging geradeswegs auf den amerikanisierten Dänen zu, legte seine fette Hand auf dessen Schulter und sagte in breitem seeländischen Dialekt:

»Sieh mal einer an, Jens Nielsen – trifft man Sie hier wieder?«

Der Pseudo-Amerikaner sank auf seinen Stuhl nieder, indem er den Fremden mit offenem Munde anstarrte. Die Engländer begriffen jetzt, daß der jämmerliche Schwätzer aus irgendeinem unfaßbaren Grunde seine Nationalität verleugnete, um sich für einen Amerikaner auszugeben. Sie sahen, daß er jetzt verraten und an seiner schlimmsten Stelle getroffen war und brachen in ein unbarmherziges Gelächter aus.

Der Mann kroch in seiner Verlegenheit ganz in sich zusammen, tastete nach seinem Glas und sagte auf gut dänisch:

»Ich kenne Sie nicht.«

»Was, kennen Sie Lehrer Jensen aus Nestved nicht? Aber freilich, Jens Nielsen, wir sind doch alte Bekannte. Sie haben mir doch alle meine Anzüge verkauft, als Sie noch beim Manufakturwarenhändler Jespersen Kommis waren.«

Es zuckte um die Lippen des ertappten Amerikaners. Er schien geradezu nüchtern zu werden. Dann stand er auf und murmelte etwas davon, daß er seine Frau aufsuchen wolle.

Kurz darauf hörten sie ihn die Kajütentreppe hinunterstolpern, während Lehrer Jensen den beiden Engländern in fürchterlichem Englisch zu erklären versuchte, daß Jens Nielsen sich an der Kasse des Manufakturwarenhändlers vergriffen habe, aber seines ehrbaren Vaters wegen laufen gelassen worden sei.

Die Engländer sahen sich gegenseitig an. So recht begriffen sie die Erzählung nicht.

Svend aber schämte sich im Namen seiner Landsleute. Die Engländer konnten ja nicht wissen, daß es sich hier um einen äußerst seltenen Fall handelte.


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