Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Erster Band
Laurids Bruun

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17

Es war ein stiller Sommernachmittag.

Svend ging auf dem Deck des nach England gehenden Dampfers, der noch am Kai von Aaberg lag, um das Reisegut an Bord zu nehmen, hin und her.

Vorige Woche hatte er sein juridisches Examen mit Auszeichnung bestanden. Darauf hatte er der Konferenzrätin eine Visitenkarte mit dem stolzen »Referendar Byge« geschickt, damit sie sehen konnte, wie er seine Verpflichtungen einhielt, wogegen sie – indem sie durch eine verkehrte und eigenmächtige Auslegung von Onkel Kaspers Versprechen – die ihren verletzt hatte.

Dann hatte er seiner Mutter und Schwester einen kurzen Besuch abgestattet; und jetzt reiste er in die Welt hinaus für ein Examenslegat, das zum erstenmal keine anderen Forderungen an ihn stellte als einen dreimonatigen Aufenthalt im Auslande zu seiner Erholung.

Svend war der erste an Bord. Er sah die übrigen Passagiere angestürzt kommen, von Gepäckträgern begleitet, die schwer an Koffern und Taschen schleppten.

Auf einem Koffer, der sehr vornehm aussah und ein Monogramm mit einer Krone hatte, las Svend »Hotel Euler« und »Eden Palace Hotel«.

Im selben Augenblick hörte er, wie der Steuermann zum Kapitän sagte:

»Das ist das Gepäck des Prinzen!« worauf er dem Träger einige Worte zurief und die Koffer mit respektvollen Blicken betrachtete. Kurz darauf ging ein hochgewachsener Herr, mit kurzgeschnittenem Vollbart und großen, grauen, etwas verschleierten Augen in einem freundlichen Gesicht über die Landungsbrücke.

Als er das Deck erreichte, standen Steuermann und Kapitän und machten Front.

Prinz Adolph grüßte kurz mit einem Zug von Unwillen über den Augenbrauen, als sei er ärgerlich, daß man ihn erkannt hatte. Dann eilte er auf die Kajütentreppe zu und verschwand im Salon.

Schließlich war alles und alle an Bord. Die Brücke wurde eingezogen, der Kapitän gab das Signal zum Abgang. Die Dampfflöte heulte, und die Schuppen am Lande fingen an sich ganz langsam zu verschieben.

Als der Dampfer nördlich um die Insel herumgefahren war, wo das Blinkfeuer jetzt entzündet wurde, wurde Volldampf aufgesetzt. Dann ging es lustig in das große, graublaue Meer hinaus.

Svend richtete seinen Rücken höher auf und ging festen Schrittes über das Deck. Er füllte seine Lungen mit der salzigen Luft, die ihm entgegenwehte, und hatte sie fast mit einem Jauchzer wieder von sich gegeben; zur rechten Zeit aber erinnerte er sich, daß er nicht in seiner Studierstube war, sondern auf dem Schiff, wo der Kopf des Kapitäns gerade vor ihm über die Segeltuchwand ragte.

Er machte seinem Freiheitsgefühl, das ihm noch so neu war, in einem kräftigen und herausfordernden Gang auf Deck Luft.

Ja, jetzt war er frei. Er hatte seine Pflicht getan und war frei.

Die Erinnerung an den Besuch bei Onkel Kasper mit seinen Versprechungen stieg von neuem in ihm auf, wie schon so oft; jetzt aber waren es zwanglose, helle Erinnerungen, keine schwarzen Nachtvögel mehr, die das Licht beschatteten und niederzureißen drohten. Er atmete tief auf. Fort damit! Keine Schlacken von dem Zwang der Arbeitstage und dem Fieber des Examens sollten mehr übrigbleiben. Daß er nicht schreien, die Arme schwingen, einen Luftsprung machen konnte!

Ein freier Mann, der in der freien Luft, einem freien Leben entgegenstürmt, darf alles Gewesene wie einen Handschuh von sich abstreifen.

Er merkte, wie eine unendliche Stärke, eine grenzenlose Fülle von Kraft durch seine Seele brauste.

Wieder war er im Begriff herauszusingen, aber er bezwang sich. Und im selben Augenblick wurde nüchtern und ohne weiteres die Frage in ihm geboren:

»Was nun?«

Sie kam so überraschend, daß er ganz verblüfft stehen blieb. Es belustigte ihn, daß er vor lauter Examenseifer und vor Freiheitsrausch dieser Sache noch keinen Gedanken geschenkt hatte.

»Ja, was nun?«

Sein Gang wurde langsam und suchend. Er spürte nicht den feinen Meernebel, der sich um das Schiff erhob und es in seine Arme schloß. Ein echter Meernebel, der mit feuchten Händen die Wange berührte und eine feine Staubnässe auf die Kleider senkte.

Da brüllte die erste Nebelwarnung aus dem Schornstein.

Svend fuhr zusammen und blickte auf. Er sah den Nebel und verstand das Heulen.

Es wurde mit Halbkraft und dann mit Viertelkraft gefahren; schließlich lag das Schiff fast still und das Nebelhorn heulte ununterbrochen. Aus der Ferne antwortete ein anderes; ein Echo konnte es ja nicht sein.

Die See ging hohl, mit kleinen gestreiften Wellen auf der Oberfläche, von denen ein Nebel aufstieg, der das Schiff einhüllte; oben aber, wo die Topplaterne matt leuchtete, war der Himmel edelsteinblau und voll von Sonnenuntergang.

Die übrigen Reisenden, denen Svend in seiner Vertieftheit kaum einen Gedanken geschenkt hatte, waren vom Deck verschwunden. Nur ein Mann stand noch mittschiffs mit einem großen weichen Filzhut und einem üppigen Bart und mit viel zu weiten Beinkleidern. Er starrte in den Nebel, der das Land verdeckte, und summte mit gerührter Stimme: »Es gibt ein herrlich Land!«

Indem Svend vorbeiging, sah er ihn mit großen wasserklaren Augen an, die zum Mitsingen aufzufordern schienen.

»Volksschullehrer!« dachte Svend und ging in den Salon hinunter, wo das Diner bereits in vollem Gange war.

An dem einen Ende des Tisches saß der Prinz, mit einem leeren Platz zu jeder Seite, in sein Essen vertieft. Nur hin und wieder ließ er einen prüfenden Blick über die übrigen Reisenden gleiten.

Der Kapitän fühlte sich sichtlich geniert beim Essen; er spähte nach einer Gelegenheit, um sich dem seltenen Gast dienstbar erzeigen zu können; aber es machte sich nur selten.

Svend suchte sich einen Platz am entgegengesetzten Tischende und bestellte sich flott eine halbe Flasche Léoville. Eine junge Dame saß ihm schräg gegenüber. Sie war nicht übel, nur bemühte sie sich gar zu sehr, hinter dem Rücken des Vaters verstohlene Blicke zum Prinzen hinüberzusenden, während sie ihre schmalen Schultern in der Seidenbluse aufrichtete und die Serviette graziös mit einer mageren aber weißen Hand, die einen kostbaren Türkisring trug, an die Lippen drückte.

Als es schließlich Svend geglückt war, ihren Blick zu fangen, sah er, daß sie schöne blaue und fragende Augen hatte, die ein Lächeln aus Anstandsrücksichten zurückzuhalten schienen.

Der ältere Herr an ihrer linken Seite war klein und glattrasiert mit graumeliertem Haar, das zierlich über die Schläfen gekämmt war. Die runde Stirn glänzte hübsch und würdig über einer leichtgebogenen Nase, die sich wie witternd aus dem Gesicht heraushob.

Die buschigen grauen Augenbrauen standen etwas brutal zu den zierlich feinen Zügen. Und als sei er sich dieses Fehlers bewußt, glättete er gewohnheitsmäßig die Brauen mit den Fingern seiner linken Hand.

Obgleich er unbeweglich vor seinem Teller saß, schien er doch alles zu hören, was am Tische gesagt wurde; sein Blick, der dem seiner Tochter glich, aber härter und erfahrener war, orientierte sich beständig hinter den halbgesenkten Lidern.

Dem zierlich Vornehmen zufolge, daß ihnen beiden eigen war und das sich auch in ihrer Kleidung aussprach, schätzte Svend sie zur besten Gesellschaft gehörend. Das junge Mädchen führte Messer und Gabel so reizend, daß es ein wahres Vergnügen war, ihr zuzusehen. Svend bemühte sich, nicht hinter ihr zurückzustehen und ärgerte sich, daß es ihm nicht möglich war, festzustellen, ob sie auch ihn bemerkt hatte oder nicht.

Den Blick des Vaters aber ertappte er, als er einen Augenblick forschend auf ihm ruhte. Dann glitten die erfahrenen Augen auf Svends Hände herab, auf die er stolz war, weil sie so wohlgeformt und ausdrucksvoll waren.

Zwei Engländer in karierten Jacketts und weichen Kragen zerkrümelten ihr Brot mit behaarten Fingern. Sie sprachen von Amateurphotographien und gebärdeten sich auf den Drehstühlen, als seien sie ganz allein im Salon.

Ihnen gegenüber versuchte ein amerikanisierter Däne, der auf der Rückkehr nach Amerika war, die Aufmerksamkeit der Engländer auf sich zu ziehen, um im Einverständnis mit ihnen auf die übrige Gesellschaft herabzusehen.

Er sprach laut und protzig, schimpfte mit vielen Bewegungen über Kost und Bedienung und sprach »Amerika«, das er in jedem zweiten Satze erwähnte, amerikanischer aus als irgendein Eingeborener.

Svend hielt ihn für einen echten Amerikaner, fand ihn unausstehlich und warf ihm, jedesmal wenn der Whiskyblick des anderen ihn streifte, einen herausfordernden Blick zu, den der andere in seiner Selbstgefälligkeit aber durchaus nicht verstand.

Er ist gewiß bis in die Seele hinein geschwollen, dachte Svend. Und er bedauerte die Dame an seiner rechten Seite, die seine Frau zu sein schien.

Es war übrigens eine sehr selbstbewußte Dame, die bis an die großen Vorderzähne gegen Mitleid gewappnet zu sein schien. Das harte, rötliche Gesicht war wie in Holz geschnitzt, und die Lippen preßten sich in ihrer Schweigsamkeit fest aufeinander.

Sie war fest und korrekt gekleidet und hielt sich bei allen Dummheiten, die der Mann sagte, ausgezeichnet. Es blitzte und funkelte jedesmal, wenn die fette, rosige Hand die Gabel zum Munde führte. Sie sah aus, als habe sie die Ringe und alles übrige teuer bezahlt, und sei nun fest entschlossen, den Kauf nicht zu bereuen.


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