Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Erster Band
Laurids Bruun

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6

Einige Tage darauf begab sich Svend im Gehrock und mit Zylinder auf den Weg.

Er war blaß, gefaßt, hatte Herzklopfen und ihm war überhaupt zumute, als solle er zum Examen.

Er gab seine Karte in der Portierloge ab und ließ sich melden, obgleich Ellens Vater ihm ausdrücklich die Erlaubnis erteilt hatte, jederzeit ohne alle Zeremonie bei ihnen anzuklopfen.

Er tat es dennoch, teils um Ellen Gelegenheit zu geben, zu entschlüpfen, teils um dem Departementschef von vornherein zu verstehen zu geben, daß er etwas Besonderes auf dem Herzen habe.

Der Kellner kam mit dem Bescheid zurück, daß der Departementschef empfange.

Svend nahm allen Mut zusammen und fuhr mit dem Lift nach oben. Kurz darauf stand er mit dem Zylinder in der Hand vor der Tür und klopfte an.

»Entrez

Der Departementschef saß am Schreibtisch und schrieb einen Brief.

Er vollendete den Satz, wandte den Kopf und blickte über den Kneifer hinweg.

»Ah, Herr Byge!« sagte er, lehnte sich in den Stuhl zurück und streckte Svend väterlich die Hand entgegen, die dieser sich beeilte zu ergreifen. Als das Auge des Departementschefs den Gehrock, den Zylinder und die blasse Aufregung um Svends nervösen Mund sah, mußte er sich eiligst über seine buschigen Brauen streichen, um hinter der Hand ein Lächeln zu verbergen.

Dann ergriff er Svends Visitenkarte, die auf dem Schreibtisch lag und reichte sie ihm:

»Bitte! – Die kann noch einmal Dienste tun. Wie gesagt, Herr Byge: Auf Reisen nehmen wir es mit Landsleuten nicht so genau.«

Er forderte ihn mit einer Handbewegung auf, in dem grünen Plüschsessel Platz zu nehmen, der zwischen Schreibtisch und Salontisch stand.

Svend hatte sich den Empfang ganz anders gedacht. Es verwirrte ihn, daß der Departementschef die Andeutung der Visitenkarte so ganz und gar nicht verstanden hatte.

Einen Augenblick schien es ihm ganz unmöglich, sein Anliegen vorzubringen. Es wußte nicht, was er sagen sollte, zog das Taschentuch aus der Tasche und trocknete sich den Schweiß von der Stirn.

»Es ist sehr warm heute!« brachte er schließlich hervor.

»Ja, das scheint so!«

Der Departementschef saß bequem im Stuhl zurückgelehnt, den Kneifer in der Hand und genoß die Situation, bis er schließlich Mitleid mit dem jungen Mann bekam.

»Ich nehme an, daß Sie meine Tochter zum Museum abholen wollten,« begann er. »Ich muß sagen, es freut mich aufrichtig, wie zwei junge Menschen sich so lebhaft für Kunst interessieren.«

Der Departementschef trug ein vollkommen aufrichtiges Gesicht zur Schau. Er machte eine kleine Pause; als Svend aber schwieg, niedergedrückt von der Wendung, die das Gespräch genommen hatte, fuhr er fort:

»Ellen ist leider nicht ganz wohl. Sie hat ihre Kopfschmerzen –«

Der Departementschef gab Svend Gelegenheit, ein ehrlich bedauerndes:

»Wie schade!« einzuwerfen.

Dann fuhr er fort:

»Davon wird sie hin und wieder heimgesucht, aber die Schmerzen verschwinden ebenso schnell wieder, wie sie gekommen sind – glücklicherweise ohne eine krankhafte Spur zu hinterlassen.

»Aber« – der Departementschef beugte sich verbindlich zu Svend hinüber – »aus einem Museumsbesuch kann darum leider nichts werden.«

Svend war es klar, daß er jetzt den Sprung wagen mußte, wenn dieser Besuch nicht vergebens sein sollte.

Er griff nervös um den Hutrand und sagte, ohne Ellens Vater anzusehen:

»Ich wollte heute gern mit Ihnen sprechen, Herr Departementschef.«

»Ach so!«

Kruse lehnte sich mit leisem Erstaunen in den Stuhl zurück. »Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung.«

Dies war doch noch schlimmer als ein Examen. Aber er mußte hindurch. Darum platzte er mit dem Mut der Verzweiflung heraus, indem er starr auf das Blumenmuster des Teppichs blickte:

»Fräulein Kruse und ich sind uns einig geworden – wir haben uns verlobt. Und ich habe hierdurch die Ehre, Sie um die Einwilligung zu unserer Verbindung zu bitten.«

Der Departementschef rührte sich nicht vom Fleck. Ohne das geringste Zeichen zu geben, daß er Svends Worte gehört hatte, ließ er den jungen Mann zappeln, bis Svend Mut faßte und von neuem seinen Blick suchte, um seine Niederlage zu konstatieren.

»Sieh, sieh!« sagte Kruse schließlich und setzte seinen Kneifer auf, mit einem vollkommen ausdruckslosen Gesicht.

»Sieh, sieh!« sagte er noch einmal und nickte vor sich hin.

Diese höfliche Ruhe war nicht zu ertragen.

»Ich bedaure, Herr Departementschef,« stammelte Svend mit rotem Kopf, »daß Ihnen meine –«

»Wenn ich Sie recht verstanden habe, mein junger Freund,« unterbrach Kruse ihn mit einem Schatten von nachsichtigem Humor, »so sind Sie und meine Tochter auf Ihren verschiedenen kunstbegeisterten Museumsbesuchen einig geworden – äh – Mann und Frau zu werden?«

»Ja!« kam es zuverlässig.

»Schön! – Ganz abgesehen davon, daß sowohl Ellen wie Sie sehr jung sind – vielleicht zu jung um – nun davon wollen wir absehen, so muß ich Sie doch darauf aufmerksam machen, Herr Byge, daß Ellen mein einziges Kind ist, und daß Sie – sicher ein hoffnungsvoller junger Mann sind, der aber doch vorläufig noch nicht in der Lage ist – äh – eine Familie zu ernähren. Bevor ich also ohne weiteres darauf eingehen kann, meine einzige Tochter Ihrer Fürsorge anzuvertrauen, muß ich doch etwas Näheres von Ihren Verhältnissen und Zukunftsplänen wissen, nicht wahr? – Also vor allen Dingen: haben Sie Vermögen, Herr Byge?«

»Nein.«

»Das meinte ich auch verstanden zu haben. Nun – war in Ihrem Alter auch ohne Vermögen. Das ist keine notwendige Bedingung, um im Leben vorwärts zu kommen. Besser als Vermögen ist, jedenfalls in unserem kleinen Vaterlande, ein guter Name und eine gute Erziehung.«

Der Departementschef machte eine anerkennende Handbewegung zu Svend hinüber, indem er hinzufügte:

»In dieser Beziehung scheinen Sie jeder Forderung zu entsprechen. Der Name Byge hat einen ausgezeichneten Klang für dänische Ohren, und – was Ihre eigne Person betrifft, so brauche ich Ihnen wohl nicht erst zu sagen, daß mir dieselbe nach dem vorläufigen Urteil, das ich Gelegenheit hatte zu fällen, gewinnend und hoffnungsvoll erscheint.«

Svend wurde sehr rot und senkte den Kopf.

»Jetzt aber zu Ihren Zukunftsplänen, Herr Byge. Auf welche Weise gedachten Sie Ihr Examen zu verwerten.«

Svend zögerte. Die Erinnerung an den Besuch bei Onkel Kasper wurde lebhaft in ihm wach. Damals hatte er offen Farbe bekannt; das wollte er jetzt auch.

»Ich hatte mir eine politische Wirksamkeit gedacht,« sagte Svend und fügte hinzu: »mit der Zeit.«

Kruse lächelte.

»Sehr gut! – Das ist das Erbteil des Geschlechtes. Onkel Kaspers Fußspuren. Aber, mein junger Freund, Sie müssen doch leben. Und besonders wenn man – äh – auf Freiersfüßen geht, scheint mir die Versorgungsfrage nicht ganz unwesentlich. Hab ich recht?«

Der Departementschef hatte ganz langsam seinen Ton gewechselt. Von höflicher und reservierter Kälte war er zu der gewohnten Temperatur von fast väterlichem Wohlwollen übergegangen.

Svend merkte es, und ihm wurde freier und leichter zumute.

»Gewiß, Herr Departementschef!« sagte er und lächelte, »es ist natürlich meine Absicht, mir so schnell wie möglich eine Stellung zu sichern, wodurch ich mich und – die Meinen versorgen und mir gleichzeitig eine Position verschaffen kann.«

»Sehr richtig, mein junger Freund – da haben wir das Wort Position. Gerade das wollte ich Ihnen ans Herz legen. Politik mag ebensogut sein – wie eine jede –«

Der Departementschef wollte gerade »Versorgung« sagen, brach aber noch im richtigen Augenblick ab –

»Wie jede andere Lebensaufgabe. Alles aber hängt von der Position ab. Ein Mann ohne Position ist eine Null. Er zählt nicht mit. Wenn seine Absichten auch noch so lauter sind, wenn er Recht und Wahrheit auf seiner Seite hat, seine Worte sind ohne Gewicht, wenn er nicht von einer Position aus spricht. So ist es nun mal in Dänemark.«

Der Departementschef hatte sich erhoben. Er sagte die letzten Worte in einem eigentümlich brutalen Tonfall, den Svend dem glatten, beherrschten Weltmann nie zugetraut hätte.

Der Departementschef beeilte sich auch selbst, seinen Worten die Spitze abzubrechen:

»So ist es ja übrigens überall in der Welt. Denn eine Position haben, heißt doch nur, von vornherein den Beweis zu erbringen, daß man berechtigt ist, ein Wörtchen mitzureden.«

Es entstand eine kleine Pause, die Svend sich zunutze machte:

»Sie erwähnten in London, Herr Departementschef, daß eine Stellung in Ihrem Ressort frei sei. Vielleicht –«

»Ah, ich verstehe!«

Kruse wandte sich mit einem verständnisvollen Lächeln zu ihm um.

»Es ist Prinzipiensache bei mir, lieber Freund, daß ich niemals Verwandte oder Personen, die meinem privaten Interessenkreis nahestehen, in meinem Ressort anstelle. Das ist ein Opfer, das ich unserer Zeit zu bringen für richtig halte.«

Svend wurde dunkelrot. Er fühlte sich verletzt und sagte:

»Sie mißverstehen mich, Herr Departementschef. Ich meinte nur, daß der eine Referendar dieselben Bedingungen haben müßte wie der andere. Es lag durchaus nicht in meiner Absicht, nur das private Verhältnis, in dem ich zu Ihnen stehe – zu Ihnen stehen werde – zunutze zu machen.«

Der Departementschef betrachtete seine glühenden Wangen und ehrlichen Augen. Er wußte nicht recht, ob es nur Jugendlichkeit war, oder ob sein zukünftiger Schwiegersohn hier einen tieferliegenden Charakterzug verraten hatte.

Nun, dem würde er schon noch auf die Spur kommen.

»Selbstverständlich!« sagte er leichthin und fügte hinzu, indem er im Zimmer hin und her ging und überlegte:

»Aber ich glaube, daß bei meinem Kollegen und Freunde Brynch im Verkehrsministerium in allernächster Zeit durch Aufrücken ein Platz frei wird. Interessieren Sie sich für Hafen- und Fischereiwesen?«

Kruse betrachtete Svends Gesicht, das noch in Bewegung war, mit einem vollkommen ernsten Blick.

»Ich weiß nicht –« Svend zögerte etwas verlegen mit der Antwort –, »ich habe ja keine Erfahrungen – aber –«

Es entstand abermals eine Pause. Der Departementschef schien einen neuen Gedankengang zu verfolgen.

»Oder vielleicht würden Sie die Anwaltskarriere vorziehen, das ist auch eine hübsche Tätigkeit.«

Er überlegte noch einen Augenblick. Dann sagte er:

»Rechtsanwalt Didrichsen ist ein guter Bekannter von mir. Es ist möglich, daß demnächst in seinem Kontor eine Stelle frei wird. Ich weiß, daß er im Begriff steht, sein Personal zu vergrößern.«

Der Departementschef sah auf seine Uhr. Es war Zeit, sich zum Diner umzukleiden.

Er fand selbst, daß es jetzt genug der Feierlichkeit war, wandte sich deshalb lächelnd zu Svend um und sagte:

»Nun, darüber können wir immer noch reden. Aber ich schulde Ihnen noch eine Antwort auf Ihre Anfrage, und die will ich Ihnen jetzt geben. Wohl bin ich ein Kavalier aus der alten Schule, aber die Entscheidungen meiner Tochter in eigenen Herzensangelegenheiten, die respektiere ich. Also kurz und gut: ich gratuliere, mein junger Freund! – Und gehen Sie jetzt nach unten und warten Sie auf mich zum Diner, damit ich Gelegenheit habe, meinen zukünftigen Schwiegersohn mit einem Glase Champagner zu feiern. Ellen bekommen Sie heute doch nicht zu sehen, sie liegt zu Bett.«

Svend ergriff beide Hände des Departementschefs und drückte sie schweigend. Er war zu bewegt, um sprechen zu können.


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