Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Erster Band
Laurids Bruun

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2

Der Portier schüttelte den Kopf.

»Kruse?« wiederholte er, »non, monsieur, pas içi!« Svend schrieb den Namen auf seine Karte.

»Ah, monsieur Kryhse! – Parfaitement.«

Der Departementschef aber war nicht zu Hause.

Svend blieb niedergeschlagen auf dem Fußsteig stehen und ließ seine Blicke über die Tische schweifen, die dicht mit Hotelgästen und Eingeborenen besetzt waren, die unter dem Schutz einer Markise den Anblick des Verkehrs auf dem Platz vor der Oper in der brennenden Sonne genossen.

Ein hastiger Blick aus zwei blauen Augen, die ihn über eine Karaffe trafen, während zwei schmale Lippen sich um einen gelben Strohhalm spitzten und eine rote Flüssigkeit aus einem Glas sogen.

Das Blut schoß ihm zu Kopfe. Er war seiner Sache gewiß. Es war Ellen Kruse; und dort, an ihrer rechten Seite saß der Departementschef in einem neuen Bonjour, mit der Ordensrosette über der weißen Weste würdig, zurückgelehnt, mit »Le Temps« vor sich.

Indem Svend auf sie zuging, versuchte er vergebens ihren Blick zu fangen. Derselbe glitt so unbeeinflußt und ruhig über das Wagengedränge vor dem Hotel, daß er schließlich überzeugt war, sie habe ihn nicht wiedererkannt.

Sie hatte eine weiche, weiße Reisemütze auf dem Seidenhaar, das sich auf Stirn und Schläfe lockte.

Weder auf dem Schiff noch beim Gesandten hatte sie so von Jugend und Liebreiz gestrahlt.

Svend grüßte.

Der Departementschef sah über den Kneifer mit einem fernen Blick auf, der noch von der Lektüre absorbiert war.

Dann erkannte er Svend, lächelte verbindlich, legte die Zeitung beiseite und reichte Svend seine gepflegte Hand.

»Ah, da haben wir ja Herrn Byge! Sehr erfreut, Sie wiederzusehen!«

Ellen reichte ihm ihre behandschuhte Hand, ohne ein sonderliches Zeichen von Wiedersehensfreude, als hätten sie sich erst gestern gesehen.

»Finden Sie es hier nicht himmlisch?« begann sie sofort, ohne sich im geringsten dafür zu interessieren, wann er gekommen sei.

Er war enttäuscht, und es fiel ihm schwer, den gewohnten Gesellschaftston anzuschlagen. Er vermied es, sie anzusehen und richtete meistens das Wort an den Departementschef, der, nachdem er an seiner Seite für Svend Platz gemacht hatte, sich nach seiner Reise erkundigte, ihm die Schulter klopfte und fragte, was er trinken wolle.

Ellen sah auf und diesmal war der Schimmer des verborgenen Lächelns da, in den er sich zuerst verliebt hatte:

»Probieren Sie dies, Herr Byge. Es ist Grenadine und schmeckt wundervoll.«

Svend lächelte dankbar, und die Grenadine wurde bestellt.

Kurz darauf faßte er Mut:

»Wenn Sie nichts Besseres vorhaben, gnädiges Fräulein, würde ich gern mein Versprechen einlösen und Sie in den Louvre begleiten. Die Uhr ist eben drei. Wir haben noch zwei Stunden, bis geschlossen wird.«

Ellen sah ihren Vater an, dessen Augen von der Zeitung vor ihm auf dem Tisch angezogen wurden. Er war mitten in einem sehr belehrenden Artikel über fremde Staatspapiere an der Pariser Börse unterbrochen worden.

»Ich weiß nicht, ob Papa –«

Der Departementschef versuchte zu verbergen, daß er Svends Worte gar nicht gehört hatte.

»Wie du willst, mein Kind. Du weißt, daß du deine Freiheit hast.«

Ellen stand auf und glättete die Falten ihrer Bluse.

»Wir wollen lieber einen Wagen nehmen!« sagte sie.

»Wagen?«

»Ja, wenn wir doch nur zwei Stunden haben, bis geschlossen wird.«

»Du sagtest Luxembourg?«

»Nein, Louvre, Papa.«

»Richtig. Dort wird um fünf geschlossen. Viel Vergnügen. Geben Sie gut auf sie acht!« sagte der Departementschef, indem er Svend die Hand drückte.

Svend winkte einen Wagen herbei. Sie stiegen ein, und der Departementschef grüßte mit der Hand, stolz über das Aufsehen, das die blonde Erscheinung seiner Tochter zwischen den Gästen des Cafés erregte.

Ellen spannte ihren Sonnenschirm auf, der mit roter Seide gefüttert war und einen Schimmer von dunklen Rosen über ihren zarten Teint warf.

Sie saß lächelnd im Rosenschein da und hielt den weißen Hals in heller und fröhlicher Erwartung nach vorn gebeugt.

Ihre linke Hand ruhte im Schoß. Der Türkisring blitzte durch die weißen Seidenfäden des Handschuhs. Seine Augen ruhten auf den anmutigen Fingern, deren zarte Linien von dem Gewebe verborgen wurden. Er wünschte sehnlichst, daß sie den Handschuh ausziehen möge.

Sie sah es und genoß seine schweigende Bewunderung, zusammen mit der ganzen übrigen sonnenwarmen Freude, die ihr entgegenwogte. Sie überlegte einen Augenblick, ob sie ihm den Willen tun und den Handschuh der Wärme wegen abziehen solle; aber sie tat es nicht; sie wollte ihm nicht soviel gewähren; mochte er nur etwas warten.

Als der Wagen vor dem Eingang zum Louvre hielt, beeilte Svend sich, ihre Hand zu ergreifen und ihr beim Aussteigen behilflich zu sein. Weich und warm ruhte sie in der seinen; und da der Wagen stark federte, als sie auf das Trittbrett trat, mußte sie fest zufassen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Als sie die Treppe zu der dunklen Vorhalle hinaufstiegen, von einem Fremdenführer verfolgt, trafen ihre Augen sich in vertraulicher Munterkeit über den Zudringlichen, der sich ihnen in drei verschiedenen Sprachen anbot, bevor er sie schließlich aufgab.

Ihre Hand berührte leicht seinen Arm, indem sie sich nach der Garderobe umblickte.

Sein Blick glühte auf; als er sie aber mit warmen Augen anblickte, traf ihn ein fremder, gleichgültiger Blick.

Sie weidete sich an seiner Enttäuschung, die er nicht zu verbergen vermochte. Sie schob die Brust vor und genoß die Macht, die sie bereits über diesen hübschen jungen Referendar besaß, um dessen Bewunderung sowohl Kamma wie Emmy sie beneiden würden.

Sie ließ ihren Blick über die lange Reihe halbdunkler Säle mit ihren verstaubten, nackten Gestalten schweifen und fand es etwas bedenklich, sie Seite an Seite mit einem jungen Mann, der ihr fremd und noch dazu verliebt war, zu durchwandern. Sie mußte auf ihrer Hut sein.

Svend zog seinen Baedeker hervor, sah nach den Nummern und las ihr gewissenhaft die Erklärungen vor, bis sie ihn plötzlich schelmisch ansah und sagte:

»Finden Sie das eigentlich amüsant, Herr Byge?«

»Bei Gott, nein.«

Da lachten sie alle beide und waren einander plötzlich viel näher gekommen.

»Ich wußte ja nicht, wie weit Sie interessiert sind!« sagte er.

»Wenn ich ehrlich sein soll, so finde ich Museen furchtbar langweilig – das heißt Erklärungen und was die Sachen vorstellen sollen und das Geschichtliche und so. Wenn etwas schön ist, dann ist es schön; das genügt doch. Und wenn es nicht schön ist, dann ist es auch einerlei, was es vorstellt, nicht?«

»Ja, natürlich. Ich möchte auch viel lieber mit Ihnen auf einem Dampfer sitzen und die Seine hinabfahren. Oder mit Ihnen auf dem Boulevard spazieren.«

Sie sah ihn mit einem warmen Blick an und lächelte, indem sie ihre Lippen mit der Zungenspitze feuchtete.

In den oberen Sälen war es sehr warm. Die Sonne brannte durch das Glasdach in der langen Galerie.

Schließlich gelangten sie hindurch und kamen in die Abteilung für französische Kunst, wo weniger Menschen waren. Hier setzte sie sich überwältigt auf eins der Plüschsofas und machte für ihn an ihrer Seite Platz.

Die Sonne fiel mit einem großen, schrägen Staubstreifen durch das hohe Fenster.

Sie saßen schweigend nebeneinander, während die Wärme sie durchrieselte und sie einander näherzubringen schien.

Er betrachtete sie von der Seite, den Puls, der so weich gegen den weißen Hals klopfte, der eine ganz feine Querfalte gerade über der Grube hatte. Das kurze, etwas vorstehende Kinn, die vollen, tiefroten Lippen, und die zarten Augenlider, die vor Wärme zitterten.

Er wünschte, er ersehnte, er begehrte, und wagte es nicht zu zeigen.

Sie schloß die Augen und lehnte sich in einer plötzlichen Müdigkeit gegen die Wand, wobei ihre weiche Schulter einen Augenblick vertraulich an seiner ruhte.

Sein Herz schlug heftig. Da stieg eine tiefe Röte in ihre Wangen. Sie öffnete die Augen weit, sah ihn erstaunt an und sagte mit einem Lächeln, indem sie sich über die Stirn strich:

»Ich glaube, ich habe einen Augenblick geschlafen.«

Darauf stand sie auf und ging vor ihm her in den nächsten Saal, wo einige Landleute umhertrampelten.

Sie klagte über Müdigkeit und lächelte ihm mit ihren blauen Augen zu, die sanfter waren als je.

Als sie den Ausgang erreichten, dankte sie ihm für seine Begleitung. Er brauche nicht mit ihr nach Hause zu fahren. Sein Weg führe ihn ja in die entgegengesetzte Richtung.

Svend war so enttäuscht, daß er ihr leid tat. Sie bedachte, wie lieb und rücksichtsvoll er die ganze Zeit gewesen war. Sicher würde sie ihn den langen Nachmittag vermissen, wenn Papa nicht Billette zu irgend einem Theater genommen hatte.

Sie sah ihn liebreich an und sagte:

»Wenn Sie Lust haben und nichts versäumen, können wir uns ja morgen hier am Eingang treffen und den Rest sehen.«

Seine Augen blitzten so freudig auf, daß sie fürchtete, ihm zuviel gewährt zu haben.

»Wenn Papa nichts anderes bestimmt hat,« fügte sie hinzu, »in dem Fall werde ich Ihnen einige Zeilen schreiben.«

Er gab ihr seine Hoteladresse, drückte ihre Hand so warm er es wagte, sagte dem Kutscher Bescheid und sah sie fortfahren.

Ob sie sich nicht ein einziges Mal umwenden und ihm zunicken würde?

Nein. Sie tat es nicht.

Langsam und niedergeschlagen ging er durch die Arkaden, indem er den Wagen fortwährend im Auge behielt.

Da – neben dem Gambetta-Denkmal wandte sie den Kopf; und als sie sah, daß er noch dastand, winkte sie ihm mit ihrem Sonnenschirm zu.

Er schwang voll Entzücken seinen Hut.

Sie dachte bei sich, daß er reizend sei, und bereute, daß sie ihm beim Abschied so wenig gewährt hatte.

Da gelobte sie es ihm im stillen für morgen.

Im nächsten Augenblick schwenkte die Droschke in die Avenue de l'Opéra ein, und sie war wieder ganz von dem blendenden Leben um sich herum in Anspruch genommen.


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