Laurids Bruun
Aus dem Geschlecht der Byge. Erster Band
Laurids Bruun

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Erstes Buch

1

Das Geschlecht der Byge reicht bis in die graue Urzeit zurück. Es ist ein Bauerngeschlecht, aber von jener alten nordschleswigschen Rasse, die nie Leibeigenschaft und Pacht gekannt hat. Seit undenkbaren Zeiten lebten sie als Herren auf eigenem Grund und Boden und gehorchten nur dem eigenen Willen.

Es war Angelnblut, das zuerst in ihren Adern rollte. Es war Angelnblut, das auf den meilenweiten, flachen Wiesen graste. Aber sowohl das Blut des Geschlechtes wie das des Viehs wurde im Lauf der Zeiten mit anderem vermischt.

Hanseaten kamen und trieben Handel und wurden auf dem fetten Boden ansässig. Kriegsleute, die mit fremden Kriegszügen gekommen waren, ließen sich im Lande nieder, als die trägen Zeiten des Friedens sie brotlos machten. Sie verdingten sich auf Höfen, rückten vom Knecht zum Schwiegersohn auf und vom Schwiegersohn zum Gutsherrn.

Zähe, betriebsame Nordjüten kamen mit Herdenzügen von Pferden und Ochsen zum Verkauf. Auch sie blieben in dem fetten Weideland. Und es kamen Inselbewohner mit dünnem Blut und leichtem Sinn, der wie Wind und Flut wechselte.

Da kam die Zeit, wo die Byges zahlreich und stark wurden und es mit dem Adel und mit feindlichen Mächten aufnahmen, das Band aber wurde gelöst, das das Geschlecht an das Meer und die fetten Wiesen geknüpft hatte.

Neue Schößlinge zogen in die Städte, wurden Mitglieder des Rats, der Gilden und der Zünfte.

Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts wohnte in einer der größten Handelsstädte des Landes ein junger Kaufmann namens Jens Byge.

Er heiratete eine reiche Bauerntochter, Abkömmling eines Geschlechts, das nicht, wie das der Byges, das Land und die fetten Wiesen verlassen hatte.

Sie war von kräftiger Rasse und gebar ihm sechs Söhne, die sie zusammen in Zucht und Genügsamkeit erzogen.

Er hatte als Kaufmann jene feine Nase, die auf weite Entfernungen wittert. Auf die Kunst der Regierung verstand er sich nicht, wohl aber auf deren Grundlage, auf die Werte. Und als der Landesvater in seinem Absolutismus die Mißgeschicke eines neuen Krieges über das Land heraufbeschwor, da gehörte er zu den Wenigen, die das Unwetter des Reichsbankerotts, das am Horizont heraufzog, witterten.

Er und andere taten, was sie konnten, um zur rechten Zeit und an rechter Stelle vorzubeugen; aber es war schon zu spät.

In Byges Kontor, in dem großen Handelshause, stand ein alter Schrank, klotzig und wuchtig. Keiner durfte daran rühren. Erst als er merkte, daß der Tod in sein Haus einzog, ließ er ihn öffnen. Er enthielt für jeden seiner Söhne fünfzigtausend blanke Reichstaler.

Er hatte, solange es noch Zeit gewesen war, die Staatsobligationen und Wertpapiere gegen klingendes Silber eingetauscht. Da man sein Geld nirgends mehr mit Sicherheit anlegen konnte, so legte er es im Geldschrank an – ohne Zinsen, aber auch ohne Verlust. Und vor seinem Tode ermahnte er seine Söhne, das Geld wohl zu hüten.

Der älteste seiner sechs Söhne wurde Richter und gereichte dem Namen des Geschlechtes im öffentlichen Leben des Landes zur Ehre.

Der zweite reiste mit seinem Gelde außer Landes, weil er über das schmähliche Schicksal seines Vaterlandes bis ins Innerste verwundet war.

Der dritte kaufte sich Hof und Gut, brachte aber alles durch und endete als Verwalter auf seinem früheren Grund und Boden.

Der vierte wurde Geistlicher und starb jung.

Der fünfte, der Kasper hieß, übernahm den Kaufmannsberuf des Geschlechtes, obgleich er ursprünglich Jurist war. Als aber die Zeiten von neuem schlecht wurden, ließ er Handel Handel sein, widmete sich der Politik und war mit unter den ersten, die die Freiheit aufbauten, nachdem der Absolutismus seine letzten Atemzüge getan hatte.

Der sechste und jüngste hatte keinen festen Beruf erwählt. Er war nur der Sohn seines Vaters und der Bruder seiner Brüder. Sein Hang ging zur Natur; die alte Sehnsucht nach den fetten Wiesen regte sich in ihm. Sein Gemüt war schwer, sein Gedankengang einfach und erdgebunden.

Er brachte für sein Erbteil den alten Stammhof des Geschlechtes wieder in seinen Besitz. Von den Fenstern des Gutshofes aus konnte er die Wiesen überblicken und das offene Meer sehen. Als Großbauer füllte er seinen Platz zwischen den Leuten der Gegend aus, wurde einer ihrer Vertrauensmänner, aber nichts weiter.

Er hatte eine Pfarrerstochter geheiratet, die ihrem Hauswesen flink und tüchtig vorstand. Sie wurde im eigentlichen Sinne der Herr des Hauses; und als sie einen Sohn bekamen, war sie es, die seine Fähigkeiten erkannte.

Es war der Wunsch des Vaters gewesen, den Sohn für das Geschlecht zu gewinnen, indem er ihn zum Ursprung desselben zurückführen und ihn zum Landmann, zum Großbauer machen wollte.

Der Knabe hieß Jörgen, war lernbegierig, scharfblickend und klardenkend, hatte Talent zum Zeichnen und wälzte in Gedanken Pläne zu Häusern, die er bauen wollte – große und schöne.

Streng und einfach war sein Geist. Er lernte zeitig sich selbst erziehen. Doch gelangte er erst in einem vorgeschrittenen Alter zu seinem eigentlichen Beruf; als er ihn aber erreicht hatte, war er zuverlässig wie wenige; sein Name als Architekt wurde unter den besten des Landes genannt.

Als Jörgen Byge Kirsten Folcke heiratete, kam wieder Inselblut in das Geschlecht. Es war altes Blut, das ebenso wie das der Byges stark mit anderem vermischt worden war.

Das Geschlecht der Folckes stammte von einem böhmischen Abenteurer ab, der in den Tagen des Dreißigjährigen Krieges mit einem Heer, das geschlagen zurückkehrte, in Seeland eingewandert war. Er gründete ein Geschlecht, das in den Fußspuren des Krieges weiterging. Sie lebten vom Krieg, er war ihr Handwerk, ihre Kunst. Sie taten, was in ihrer Macht stand, um ihn nicht in Frieden hinsterben zu lassen. Bald waren sie oben, bald unten. Großvater General, Enkelkind Korporal, und das Kind des Enkelkindes wurde wiederum für Kriegerruhm geehrt und geadelt.

Dieses Kind des Enkelkindes war es, das dem Geschlecht den Namen Folcke gegeben hatte.

Als es schließlich mehr Friedensjahre als Kriegszeiten im Lande gab, wurden auch die Folckes stetige Leute und begnügten sich mit dem tatenlosen Garnisonleben des Offiziers.

Das Abenteurerblut verdünnte sich. In den späteren Generationen gab es Geistliche und andere gelehrte Leute, denen man Sanftmut und unbeugsamen Rechtssinn nachsagte.


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