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Die Herbstgegend.

V erdämmert ist in lichte blasse Farben
der Fluren Schmelz; der Wälder kühn Profil
sinkt leicht und hellgrau auf die Felder hin.
Allein mit mir durchstreich' ich öde Fluren,
und o! wie lebhaft ist die Unterhaltung!
Hier liegt in wilder gänzlicher Zerstörung In der Vorlage »gänzlichen Zerstörung!«; hier nach der Ausgabe von 1818. – D. Hrsg.
die Pflanzenwelt; doch ist's die Aussaat nur
für eine neue Schöpfung; unverdrossen
erfüllten sie getreu die kleine Sphäre,
die ihnen die Natur bezeichnet. So erreichen,
gebunden an den mächtigen Instinkt,
die Wesen alle ihres Daseyns Zweck;
und nur des Menschen freie Willkühr lockt
ihn aus dem friedlichen gezog'nen Kreis.

Allüberall ist hier zu neuen Formen
die Anstalt schon gemacht; wo Andre Leichen seh'n,
da seh' ich Stoff zu neuem Leben nur,
Vertraut dem treusten ihrer Elemente
hat die Natur die Keime neuer Wesen:
dann weckt auf einmal eine wärm're Sonne
auf Fels und Flur, in Hain und Thal,
die kleinen Schlafenden; allüberall
strebt der gereizte Keim empor; ein neues Leben
strömt aus der Luft, die ganze Erde steht
in ihrer ersten Jugendfülle wieder da.

   Wie groß bist du, erhab'ne Bildnerin,
an Formen immer neu, an Ordnung ewig alt!
Mit sanftem Schauer tagt dein freigelass'ner Mensch
den schönen Faden deiner Wirkungen zu späh'n,
und von dem hohen Einklang deiner Werke
aus tiefer Ferne einen Ton sich zu erlauschen.

Voll Unmuth wallen glühend gelbe Büsche,
wie goldne Locken, dort den Hügel nieder,
indeß hier lose um die braunen Zweige
gefärbte Blätter säuseln; jedes Lüftchen zieht
sie leicht herab; die trauernde Dryade
blickt den Geliebten nach mit starrem Schmerz.
So sieht die schönsten seiner Jugendträume
ein ödes, unglücksel'ges Herz zerflattern;
hinweg geführt vom Haus der Zeit und ohne Kraft
sie zu erhalten, streut es seine Liebe
ohnmächtig hin in die erstarrte Welt.
Im hohen Lindengange, wo der Fuß
des Wandrers rauscht im bunten Blätterteppich,
da wandl' ich langsam hin; einst schliefen sie
noch unenthüllt, still in des Keimes Schooß.
Der Lenz begann, der Saft stieg auf,
drang in die hohen Zweige, in die Wipfel;
gewebt aus Sonnenlicht und Ätherfeuer,
umwallten sie des Baumes weite Arme,

indeß die Kraft, die oben Blätter schuf
und Blüthen, sich in stiller Erde Schooß,
von Licht und Äther fern, zu Wurzeln bildete.
Wenn hier beladen mit dem Fluch der Menge
am Hochgericht das Blut des Mörders fließt;
wenn dort dem Helden im Gedräng' der Thaten
der Genius des Ruhms die Palme weiht:
war's Eine Kraft nicht, die in Beiden wirkte?
hier nur gepflegt vom Sonnenschein des Glücks,
vom Wehen glücklicher Verhältnisse
sanft aufgeschlossen; ausgestreut
in banger Wildniß dort, in öder Nacht.

   O Duldsamkeit! du holde Pflegerin
so mancher schönen Frucht, wie unentbehrlich
bist du der Menschlichkeit! Nur darf dein sanfter Sinn
der hohen Reinheit des moralischen Gefühls
nie schaden; keiner soll, wer dich besitzt,
dein sanftes Schmeicheln an sich selbst empfinden.

Streng sey er gegen sich, nachsichtig gegen Andre;
voll Duldung für den Menschen, aber nie
für seine Fehler; treu der Wahrheit, und bereit,
Verletzung ihrer, wo es sey, zu rügen.

   Was klimmt dort, wo mit kühnem, regellosem Reiz,
bald angeschmiegt an eines Abgrunds Rand,
in schauerlicher Tiefe bald, schwermüth'ge Tannen
vermischt mit Sträuchen stehn, hinab, hinan?
Ein fleißig Weib ist's, die voll Emsigkeit
das welke Laub in ihre Körbe sammelt,
zu Heitzung und zu Futter es zu nutzen;
mit unverdroßner Mühe sammelt sie
die weit umher verwehten Blätter sich.
Seltsame Menschengattung! Viele bringen
ihr Leben damit zu, dies Leben zu erhalten,
dies Leben, das oft lästig ihnen dünkt,
das sie erhalten nur, und nie genießen,
und doch nicht enden möchten. Doch vertheilt

das Schicksal nicht an Alle seine Gaben?
hat Jeder nicht sein Theil an Lebensglück?
sey's Reichthum oder körperliche Kraft,
Gesundheit, hoher Muth, ein leichter Sinn,
sey's Freiheit oder schöne Sclaverey,
der Liebe süßer Rausch, der Freundschaft stille Lust.
So arm ist keiner, daß nicht auf des Lebens Feld
ihm irgend eine Blume blüht; vielleicht
ein zarter Blüthenzweig, der Hoffnung Kind,
ihm theurer oft als gegenwärtig Gut,
das ihm in heit'rer stiller Ferne schon
die schönsten Früchte zeigt. O daß
ein jeder lerne, unbewölkt und frei
sein eignes Glück zu seh'n, und nicht nach fremdem Glanz
voll Sehnsucht hinzuspähn, bis des Getäuschten Blick,
geblendet, auch das nahe Gut entweicht.

Gieb, Schöpferin der Formen und der Kräfte,
du Unerschöpfliche an Gaben und an Liebe,
gieb allen deinen Kindern Kraft und Sinn,
das zugetheilte Gute zu erkennen,
und dann mit heit'rem Muth auch dankbar zu genießen.



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