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26

Cabrillo und seinen beiden Gefährten wurden am ersten Tage ihrer Gefangenschaft keine besonderen Ungelegenheiten bereitet. Man gestattete ihnen vielmehr alle erdenklichen Freiheiten. Das Essen wurde ihnen von dem alten Schäfer bereitet, dem die Hütte gehörte. Als er in sein Haus zurückkehrte und darin eine so zahlreiche Gesellschaft antraf, hatte ihm Halsey etwas Geld in die Hand gedrückt, und das hatte genügt, ihn zu allem gefügig zu machen. Hinfort existierte nur noch Halsey für ihn. Er hatte im Handumdrehen einen Jahreslohn verdient, so daß ihm alles wie ein Traum vorkam.

Da für Marmonts und Halseys leibliches Wohl aufs beste gesorgt wurde, sahen sich die beiden nicht veranlaßt, mit ihren Gefangenen allzu streng zu verfahren. Die Fußfesseln waren den drei gelockert worden, so daß sie sich langsam vor der Hütte auf und ab bewegen konnten, während man jedoch Sorge trug, daß ihre Hände stets fest gebunden blieben. Marmont und Halsey saßen stets mit einem schußbereiten Gewehr in der Nähe, um vor irgendwelchen unliebsamen Ueberraschungen geschützt zu sein.

Halsey hatte den dreien frei heraus erklärt, daß sie nichts zu befürchten brauchten. Sie würden nur einige Tage gefangengehalten werden, und dann könnten sie gehen, wohin es ihnen beliebte. Aber die Gefangenen beurteilten ihre Lage trotzdem etwas anders. Sie konnten diesen jungen, hübschen Racheteufel, Pierre Marmont, nicht ansehen, ohne von unheilvollen Ahnungen erfüllt zu werden.

Sein Wunsch war es offenbar nicht, sie entkommen zu lassen, und man konnte ihm um so mehr einen Gewaltstreich zutrauen, als der verwundete Halsey ihm kaum einen ernstlichen Widerstand zu bieten vermochte. Es war zwar nur eine Fleischwunde, die sich schnell wieder schloß, aber im Ernstfalle würde er nichtsdestoweniger kaum etwas ausrichten können.

In diesem Sinne äußerte sich Cabrillo zu seinen Gefährten, als sie in der heißen Nachmittagssonne – es war gerade zu der Zeit, wo die Maultierkarawane unter dem Geläut der Halsschellen den Hügel bei San Triste hinabzog – vor der Hütte auf und ab wanderten. Gaspard stimmte ihm zu. Felipe Carvajal sagte indes nichts, eingedenk der Lehre Gaspards, daß sich ein junger Mann mit seiner Meinung niemals vordrängen solle.

»Señor Vereal!« rief Marmont, der in der Hüttentür saß und mit einem Gewehr Wache hielt.

Als Felipe diesen Ruf vernahm, zuckte er zusammen und blickte wild um sich. Trotzdem er seit zwölf Jahren einen anderen Namen führte und sich fern von der Heimat aufgehalten hatte, war die Erinnerung an seine Kindheit doch nicht ganz von ihm gewichen. Er starrte Gaspard an und wandte sich dann Marmont zu.

»Mit wem spricht er?« murmelte er.

Gaspard war sehr blaß geworden. Er sah das Unglück über sich hereinbrechen und zitterte vor Furcht.

»Mit Ihnen, Señor!« entgegnete Marmont barsch.

»Mein Name ist Felipe Carvajal, Señor.«

»Jetzt heißen Sie so. Früher hatten Sie einen anderen Namen. Einstmals hießen Sie José Vereal.«

Felipe blickte Gaspard entsetzt an. Er war in dem Glauben erzogen, daß es gefährlich sei, den Namen Vereal in Mexiko zu erwähnen, und daß sie aus diesem Grunde niemals in die Heimat José Vereals zurückkehren dürften.

»Aber«, rief Marmont, »ist es möglich, daß Sie die Wahrheit noch immer nicht erfahren haben? Beim Himmel, es ist eine nette Geschichte! Die beiden Schufte haben Ihnen also noch nichts erzählt? Sie würden Sie haben sterben lassen, ohne Ihnen ihren Schurkenstreich zu verraten!« Er betrachtete die verdutzten Gesichter der beiden und brach in ein vergnügtes Gelächter aus,

»Sehen Sie sich die beiden an, Vereal!« befahl er.

Felipe oder vielmehr José – um ihn bei seinem rechten Namen zu nennen – blickte seinen Lehrer ernst an, und auf dem Gesicht des alten Mannes prägte sich ein solches Schuldbewußtsein aus, daß der Jüngling errötete.

»Dieser Schuft Cabrillo«, sagte Marmont, »hat Ihren Lehrer bestochen. Sie hätten vor einem Dutzend Jahren ungehindert in den Besitz Ihrer Güter kommen können. Aber Cabrillo hat Gaspard herumgekriegt, indem er ihm ein anständiges Gehalt bewilligte. Deshalb haben Sie einen anderen Namen geführt, obgleich ich mir, weiß der Teufel, nicht erklären kann, wie Gaspard Sie davon überzeugen konnte, daß Sie sich einen anderen Namen beilegen müßten. Das ist der kurze Umriß der Geschichte. Nun danken Sie Gaspard für seine Tat! Ich habe gehört, wie Sie ihn Ihren Wohltäter nannten!«

Was José auch immer denken mochte, er beherrschte sich jedenfalls schnell. Er ging auf Gaspard zu und nahm seine welken Finger in seine beiden Hände.

»Meister«, sagte er, »blicken Sie zu mir auf und schämen Sie sich nicht.«

»Ah, José«, stöhnte Gaspard, »zermalme mich, verfluche mich. Ich habe eine verabscheuungswürdige Tat begangen. Ich habe ein hilfloses Kind verraten!«

»Nein, nein!« rief José. »Glauben Sie, daß ich vergessen hätte, wie Sie mich aufhoben und forttrugen, als mich die Kugel niederstreckte? Da Sie mir das Leben retteten, konnten Sie auch nach Gutdünken über mein Leben verfügen. Wie Sie darüber verfügt haben, deswegen werde ich Ihnen niemals einen Vorwurf machen. Zwölf Jahre lang sind Sie mein Vater und mein Lehrer gewesen. Könnte mir ein besseres Geschick widerfahren sein, wenn ich all die Reichtümer der Vereals besessen hätte?«

»Ah, José«, murmelte der alte Mann, »es ist weit schrecklicher, daß du mir verzeihst, als wenn du mich verdammt hättest.«

Marmont hatte inzwischen mit verwunderten Blicken auf die beiden gestarrt. Verwirrt strich er sich einigemal mit der Hand über die Augen; dann sah er wieder auf, um sich zu vergewissern, daß ihn nicht ein Traum äffe. Denn Marmont war eine Natur, die den Begriff »Verzeihung« nicht kannte.

»Und Cabrillo?« fragte er scharf. »Sind ihm seine Sünden auch vergeben?«

»Ich habe nicht darum gebeten«, sagte Cabrillo mürrisch. »Aber ich war es zum wenigsten, der Sie zurückgerufen hat, um Ihnen wieder zu Ihrem rechtmäßigen Besitz zu verhelfen, José. Bedenken Sie das!«

»Nachdem Sie ein anderer zum Tempel hinausgejagt hatte, Cabrillo!« warf Marmont ein.

»Señor«, sagte José zu Cabrillo, »ich habe weder den Wunsch noch das Recht, mir ein Urteil über Sie zu bilden. Das muß einer späteren Zeit überlassen bleiben.«

Aus seinen einfachen Worten sprach eine so edle Gesinnung, daß sich Cabrillos ohnehin rotes Gesicht noch etwas mehr rötete. Er stammelte einige Laute, konnte aber kein verständliches Wort über die Lippen bringen. Dagegen machte Marmont seiner Stimmung in einigen Flüchen Luft. Dann sank er in sich zusammen und brütete still vor sich hin. Nach einiger Zeit rief er Halsey herbei, und die beiden begannen sogleich eifrig miteinander zu tuscheln.

Die drei Gefangenen, die wieder langsam vor dem Hause auf und ab wanderten, konnten hören, wie Halsey lebhaft protestierte, während Marmont mit immer größerem Nachdruck seine Meinung vertrat.

»Er ist außer sich«, sagte Gaspard, »weil er gemerkt hat, daß du nicht so rachsüchtig veranlagt bist wie er. Wenn Gott uns nicht zu Hilfe kommt, so fürchte ich, daß unser letztes Stündlein geschlagen hat, meine Freunde! Aber ich danke Gott, daß du noch zuguterletzt die Wahrheit erfahren und mir trotz allem verziehen hast, José!«

»Das unnötige Schwatzen hat keinen Zweck, Alter«, sagte Cabrillo. »Was Sie von Marmont sagen, ist allerdings zutreffend. Ich konnte eben zu dem Teufel hinüberschielen und sehen, wie er mit seinem Gewehr umherfuchtelte. Laßt uns in die Hütte gehen. Hier draußen können wir doch nichts ausrichten. Wenn wir drinnen sind und angegriffen werden, können wir uns wenigstens auf sie stürzen und mit unseren gefesselten Händen um unser Leben kämpfen!«

Da die anderen keinen besseren Rat wußten, folgten sie ihm schweigend in das Haus.

José trat an das unter einem Kessel brennende Feuer und ergriff eine kleine Eisenstange, die als Schüreisen diente. Tief in Gedanken versunken, begann er zwischen dem glühenden Holze umherzustochern. Er konnte die Eisenstange nur sehr ungeschickt handhaben, da seine Handgelenke so fest aneinander gebunden waren, daß er in seinen Fingern kaum ein Gefühl verspürte.

In seinen Gedanken beschäftigte er sich natürlich mit dem ihm bevorstehenden Geschick: Kaum war er in das Land seiner Väter zurückgekehrt, wo er als ein kleiner König hätte auftreten können, als er auch schon seinen Widersachern in die Hände fiel, die ihn vielleicht umbringen würden. Seine Befürchtungen wurden durch die lauten Stimmen Halseys und Marmonts nur noch bekräftigt. Die beiden hatten sich mittlerweile von der Tür zurückgezogen und schienen heftig miteinander zu streiten.

»Beim Himmel, dann werde ich es allein tun!« schrie Marmont gerade.

Der Ton des Franzosen verriet José, daß sein Todesurteil verkündet worden war. In seiner Ratlosigkeit stocherte er wiederum in dem Feuer umher, und nun bemerkte er, daß das Ende des Schüreisens, das einige Zeit still in der Glut geruht hatte, dunkelrot geworden war. Marmont kam mit dem Gewehr in die Tür gestürzt, wandte sich dann um und rief seinen Gefährten zu: »Wenn wir zu lange warten, wird sich dieser Fuchs Simon aus dem Staube machen, und wir werden das Nachsehen haben. Denny würde das auch sehr recht sein! Ich kenne meine Leute genau, sage ich dir; und hinter mir will ich nichts zurücklassen, was mir gefährlich werden könnte.«

Halsey kam hinter ihm hergelaufen, packte ihn bei der Schulter und zerrte ihn zurück. Sie konnten hören, wie der Engländer schnell und eindringlich auf ihn einredete. Louis Gaspard beherrschte das Englische ebensogut wie seine Muttersprache und konnte folglich jedes Wort verstehen.

»Meine Freunde«, murmelte er, »unser Ende steht unmittelbar bevor. José, mein Kind, sprich dein letztes Gebet. Sage mir –«

Seine zitternde Stimme verstummte, denn er sah, wie José das nunmehr funkensprühende Schüreisen aus dem Feuer nahm. José gab Cabrillo einen Wink; dieser verstand sofort, was gemeint war. Er trat näher an den jungen Mann heran und streckte seine Hände vor. José legte das rotglühende Ende des Eisens auf die Bande zwischen den Handgelenken, und augenblicklich stieg eine kleine Rauchsäule empor.

Cabrillos Hände waren befreit; die Fessel fiel zu Boden. In diesem Moment näherte sich Marmont wieder der Tür, indem er Halsey mit sich zerrte. Der Widerstand des Engländers hatte ihn in eine sinnlose Wut versetzt. Cabrillo besann sich nicht lange und riß aus dem an der Wand hängenden Halfter ein Messer heraus.

Er wandte sich José zu und zerschnitt seine Fesseln. Als Marmont mit einem wilden Alarmschrei in die Tür stürzte, kam er gerade noch zu rechten Zeit, um zu sehen, wie José einen Revolver ergriff.

Drinnen befanden sich zwei bewaffnete, zur Verzweiflung getriebene Männer. Was der eine von ihnen zu leisten vermochte, hatte Marmont bereits schmerzhaft am eigenen Leibe verspürt. Mit seinem Gewehr konnte er auf diese Entfernung nichts gegen sie ausrichten; und von dem verwundeten Halsey war auch keine Hilfe zu erwarten.

Diese Gedanken schossen ihm im Bruchteil einer Sekunde durch den Kopf, während er zur Tür hereinblickte. Dann sprang er zurück und entging eben noch einer Kugel Cabrillos. Im Nu war Marmont um die Hausecke gebogen, und Halsey folgte ihm dicht auf den Fersen.

Den beiden blieb keine Zeit zu irgendwelchen Erörterungen. Es bedurfte aber auch keinerlei Worte, um ihnen klarzumachen, was vorgefallen war; der in der Hütte abgefeuerte Schuß redete eine deutliche Sprache. Es traf sich glücklich für die beiden, daß sie die zwei besten Pferde vorsichtshalber gesattelt bereitgestellt hatten. So warfen sie sich einfach auf den Rücken der in der Nähe stehenden Pferde und jagten eilends davon, indem sie sich flach gegen die lang ausgestreckten Hälse ihrer Tiere lehnten. Sie ritten wie die Besessenen den Berg hinunter, so daß die Kieselsteine unter dem Druck der flüchtigen Hufe hoch in die Luft stoben.

Cabrillo war inzwischen vor die Tür gestürzt. Hätte er an das Gewehr gedacht, das Marmont zu Boden geworfen hatte, so würde der Flucht der beiden bald ein Ziel gesetzt worden sein. Aber die Freude über ihre plötzliche Errettung berauschte ihn so, daß er mit seinem Revolver blindlings darauflosfeuerte. Auf solch eine Entfernung mit einem Revolver zu schießen, war natürlich ein zweckloses Beginnen.

Mit einem wütenden Aufschrei warf er den Colt fort und ergriff das auf dem Boden liegende Gewehr. Obgleich die beiden Flüchtlinge nun fast die Talsohle erreicht hatten, legte er dennoch auf sie an und nahm sorgfältig Ziel. Er wollte gerade abdrücken, als der Lauf seines Gewehres hochgeschlagen wurde und der Schuß in die Luft ging.

Cabrillo blickte auf und sah José Vereal vor sich stehen.

»Einer von den beiden«, sagte Vereal, »ist uns ein Freund in der Not gewesen. Sie dürfen sein Leben nicht unnötig gefährden!«


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