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Ich führte ihn zum Keller hinunter, tief unter das Fundament des Hauses, wo die Luft muffig roch und das Mauerwerk feucht und naß war. Von dort führte uns eine lange Treppe zu einer noch weit tiefer liegenden Kammer. Möglich, daß man derartige Verließe zur Zeit der alten Conquistadores angelegt hatte, um dort Gefangene in sicherem Gewahrsam zu halten und sie zu martern. Vielleicht dienten diese geheimen Stätten den Erbauern in jenen unruhigen Zeiten auch als sicherer Zufluchtsort. Jedenfalls brachte ich ihn in eine solche Kammer, von deren Existenz er sicher keine Ahnung gehabt hatte. Ich zeigte ihm eine Anzahl schwerer Kisten, die dort am Boden standen. Meine beiden vertrauten Diener hatten sie hier unten zurechtgezimmert, sie mit schweren Schrauben verschlossen und mit Eisenringen beschlagen. Ich öffnete sie nacheinander mit einem Schraubenzieher und legte den darin befindlichen Schatz bloß. Er erging sich in verwunderten Ausrufen, die mir wie Musik in den Ohren klangen.
Dann sagte ich: »Señor, Sie sehen fünfzig Mauleselladungen Silber vor sich, die eine Viertel Million in barem Gelde repräsentieren. Dort ist Gold im Werte von einundeinerhalben Million Dollars. Vor drei Jahren hätte der Erlös aus dem Verkauf Ihrer gesamten Besitzungen nicht einmal ausgereicht, Ihre Verpflichtungen abzudecken. Aber jetzt sind sie nicht allein schuldenfrei, sondern Sie haben hier in dieser Kammer einen Schatz, der es Ihnen möglich macht, Ihre alten Schulden bis auf den letzten Heller zu bezahlen. Ich zeige Ihnen dies nicht, weil ich mein Geld zurückverlangen will, sondern weil ich es Ihnen auch weiter überlassen möchte, wenn meine alten Befugnisse bestehen bleiben. Ich würde mich mit einem prozentualen Anteil an Ihren Einkünften begnügen, wogegen ich nur diese eine Bedingung stelle: daß ich auch weiterhin mit der unumschränkten Verwaltung Ihres gesamten Besitzes betraut werde.«
Er blickte nachdenklich drein, ohne etwas zu sagen. Da fuhr ich fort: »Wenn San Triste gegen mich aufgebracht ist, warum sollte sich ein Vereal deswegen Gedanken machen? Er kann nach Europa zurückkehren. Ich werde ihm ein jährliches Einkommen von zwei Millionen garantieren. Was ich darüber hinaus verdiene, soll mir als Entgelt für meine Arbeit zufallen!«
Ich war nicht wenig stolz auf meinen Vorschlag, aber Vereal lächelte nur. »Nach Ihrer Auffassung,« sagte er, »haben Sie recht gehandelt. Eigentlich müßte ich Ihnen wohl sogar meinen Dank aussprechen. Aber das Geld ist aus meinen Schutzbefohlenen herausgepreßt worden. Deshalb widert es mich an. Alles muß wieder ins alte Geleise gebracht werden. Wenn dies Geld ausreicht, Ihre Forderungen zu befriedigen, so nehmen Sie es in Gottes Namen mit sich!«
»Um Himmels willen,« rief ich aus, »wollen Sie sich wieder mit den alten Instleuten belasten? Sie sind dumm und unwissend! Sie verstehen nichts von den Maschinen, die ich für die Minen und Farmen angeschafft habe. Alle Mühe und Arbeit wird vergeblich gewesen sein! Alles wird drunter und drüber gehen!«
Darauf erwiderte er nur: »Mein Wille steht unumstößlich fest. Lassen Sie uns nicht mehr darüber sprechen. Ich will Ihnen ein paar Tage Frist geben, um Ihre Angelegenheiten ins reine zu bringen. Dann können Sie sich mit diesem Schatz davonmachen. Sie haben fleißig und ehrlich gearbeitet, das muß ich zugeben. Aber für das Geld, das in meinen Augen nichts ist, haben meine Leute, die mir wertvoller als alle Juwelen sind, geblutet.«
Was sollte ich da noch weitere Worte an solch einen Narren verschwenden? Voller Verzweiflung suchte ich mein Zimmer auf, warf mich auf ein Sofa und weinte wie ein Kind. Ich unternahm noch einige Versuche, ihn umzustimmen, aber es half alles nichts. Er weigerte sich sogar, überhaupt noch über diese Angelegenheit zu sprechen, und so beschloß ich, seinem Willen Folge zu leisten. Ich schloß meine Bücher ab und stellte eine genaue Endabrechnung auf. Dann traf ich Vorkehrungen, den mir gehörenden Schatz abtransportieren zu lassen.
Doch da trat die Katastrophe ein. – Ich habe Ihnen schon erzählt, daß der alte Don Diego einstmals einen Aufruhr durch seine bloße Gegenwart im Keim erstickt hatte. Aber es gab immer noch einige Unruhestifter in den Bergen und in anderen Distrikten, wo der Name der Vereals kaum bekannt war. Diesen kam der Ausbruch einer neuen Revolution sehr gelegen. Da sie von der Abwesenheit Vereals und von dem Haß der Bevölkerung gegen seinen Bevollmächtigten gehört hatten, gedachten sie, sich als Rächer aufzuspielen und drangen in San Triste ein. Bei ihrer Ankunft erfuhren sie zwar, daß Vereal zurückgekehrt sei, aber das konnte sie nicht mehr von ihrem Vorsatz abbringen.
Als Vereal die Geschehnisse zu Ohren kamen, sammelte er seine Leute um sich und zog den Banditen entgegen. Die Hälfte seiner Leute kehrte aus dem Kampfe zurück, die andere Hälfte fiel auf dem Schlachtfelde. Unter den Toten befand sich auch Don Pedro. Sein Tod verwandelte die Einwohner San Tristes in eine sinnlose Hammelherde. Sie standen in kleinen Gruppen umher und wußten nicht, was sie beginnen sollten. Ratlos flüsterten sie immer wieder und wieder einander zu: »Sie haben Vereal ermordet!«
Aber sie hatten sich kaum von ihrem ersten Schreck erholt, als die Revolutionäre wutentbrannt in die Stadt zurückgestürzt kamen. In dem Kampf mit Vereal und dessen Gefolgsleuten war ihnen so übel mitgespielt worden, daß sie nach Blut lechzten. So metzelten sie zunächst alles nieder, was ihnen in den Weg kam. Dann zogen sie den Hügel nach der Casa Vereal hinauf, wobei sie unter greulichsten Flüchen ihre Absicht kundtaten, jedermann abzuschlachten, den sie dort anträfen. Sie drangen in den Hof. Ich entsinne mich, wie ein halbes Dutzend getreuer Männer versuchte, sie kurze Zeit an den Toren zurückzuhalten. Aber man schlug ihnen mit den Gewehrkolben den Schädel ein oder stach sie mit Messern nieder. Als ich diese Schlächterei sah, blieb mir kein Zweifel, daß sie nicht eher ruhen und rasten würden, bis sie jedermann im Hause umgebracht hätten. Ich dachte erst an meinen Schatz und dann an mein Leben. Schließlich fiel mir noch der kleine zehnjährige Sohn Don Pedros ein. Zum Ueberlegen blieb mir nicht viel Zeit, falls ich mein Leben in Sicherheit bringen wollte.
Ich hätte wohl nach der Schatzkammer fliehen mögen, aber ich konnte es nicht über mich bringen, den kleinen José im Stiche zu lassen. Ich sah mich also nach ihm um und entdeckte ihn in Gesellschaft seines französischen Lehrers Gaspard. Gaspard war ein alter Mann mit langem, weißem Haar, der sich stets höflich und zuvorkommend zeigte. Er war kaum größer als der kleine José, und er ging nie ohne Stock, auf den er sich wie ein Schwerkranker stützte.
Aber als ich ihn an diesem Tage sah, hatte er seinen Stock vergessen. Er hielt José in den Armen und lief so schnell ihn seine Füße tragen konnten. Als die Schurken zu den Fenstern des Hauses hereinschossen, hatten sie José durch einen Zufallstreffer verwundet. Sein Kopf war mit Blut überströmt, aber er verhielt sich so ruhig und tapfer wie irgendeiner. Er ist in guter Obhut, sagte ich zu mir. Nun jeder für sich, und Gott für uns alle! Ich eilte die Treppen hinunter und suchte in der Schatzkammer Zuflucht. Dort wartete ich auf das Erscheinen der Banditen. Der Gedanke, daß ich inmitten meiner Schätze sterben sollte, ließ einen gewissen Galgenhumor in mir aufsteigen, so daß ich mich in aller Ruhe auf das Schlimmste gefaßt machte. Aber ich wartete einen ganzen Tag, ohne entdeckt zu werden. Da beschloß ich, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Nachdem ich eine Handvoll Juwelen an mich genommen hatte, stahl ich mich aufwärts und fand, daß das Haus von den Revolutionären halb in Trümmer gelegt worden war. Keine lebende menschliche Seele fand sich vor. Schließlich wagte ich mich nach San Triste hinein.
Dort war alles ruhig. Die Revolutionäre waren weiter marschiert, nachdem sie wie die Vandalen gehaust hatten. Alles war ruhig, wie gesagt, – bis man meiner ansichtig wurde. Da brach die Hölle los. Mir steht das Herz noch heute still, wenn ich mich an das blindwütige Gesicht des Mannes erinnere, der mich zuerst sah. Er stürzte wie ein Wahnsinniger auf mich zu. Ich schoß ihn nieder und floh.
Zehn Tage lang verfolgten sie mich. Nur dem prächtigen Pferd, das ich noch in den Ställen der Vereals vorgefunden hatte, sollte ich meine Rettung verdanken. Ich ritt es zu Tode, aber die Männer von San Triste erwischten mich wenigstens nicht. Wenn ich ihnen in die Hände gefallen wäre, würden sie mich bei lebendigem Leibe verbrannt haben. Nur so eine Tortur hätte mich nach ihrer Meinung für meine vielfachen Schandtaten gebührend bestrafen können. Mein Sündenregister beschränkte sich nämlich nicht auf mein straffes Regiment während meiner dreijährigen Tätigkeit als Generalbevollmächtigter, sondern es wurde auch noch durch den jüngsten Bandenüberfall belastet, da sie auf die absurde Idee verfallen waren – Gott weiß, wer ihnen den Gedanken eingab –, daß ich die Revolutionäre veranlaßt hätte, San Triste zu überfallen, um die Leute, die ich nun nicht länger quälen konnte, ganz und gar zu vernichten.
Es gelang mir schließlich, nach vielen Fährlichkeiten über die Grenze zu kommen und mich in den Staaten in Sicherheit zu bringen. Aber es dauerte einen ganzen Monat, bevor ich mich von den überstandenen Strapazen erholt hatte. Als ich wieder der alte war, ging ich mit mir zu Rate, was nun zu geschehen hätte. Ich stand schon im Begriff, einen Prozeß anzustrengen, als mir einfiel, daß ich keinerlei Dokumente in den Händen hätte, um meine Rechtsansprüche unter Beweis zu stellen.
Außerdem würde der in der unterirdischen Kammer ruhende Schatz wahrscheinlich konfisziert werden, wenn ich irgendwelche Ansprüche auf ihn erhob, denn den Leuten in San Triste dürfte jedes Mittel recht sein, mich um mein Eigentum zu prellen.
Wenn es sich um einen kleinen Stapel Papiergeld gehandelt hätte, hätte ich mich wohl selbst zurückwagen oder mein Vorhaben durch einen vertrauten Diener ausführen lassen können. Zu dem Transport des Schatzes waren jedoch siebzig Maulesel notwendig. So eine Sache ließ sich nicht unter der Hand erledigen. Meine Rechtsansprüche durfte ich also unter keinen Umständen geltend machen – ich wagte nicht, etwas über die geheime Kammer verlauten zu lassen. Einen Diebstahl brauchte ich jedenfalls nicht zu befürchten. Ein ganzes Jahr lang zerbrach ich mir den Kopf, wie ich zu einer Lösung des Problems gelangen könnte, und schließlich wurde mir ganz wirr im Kopf.
Da beschloß ich, die Angelegenheit vorläufig auf sich beruhen zu lassen. Ich verkaufte die Handvoll Juwelen, gründete in New York ein neues Geschäft und gelangte wieder zu einem, wenn auch bescheideneren Wohlstand. Ich hielt mich ständig über die Vorgänge in San Triste auf dem laufenden und erfuhr so, daß Cabrillo als der nächste Verwandte der Vereals Anspruch auf deren Besitz erhoben hatte, der ihm auch ohne irgendwelche Schwierigkeiten zugesprochen worden war.
Im Laufe der Jahre hatte ich mich bereits mit meinem Geschick abgefunden, als mir ein seltsames Gerücht zu Ohren kam. Nach dem Gerede der Leute in San Triste sollten nämlich die Leichen des kleinen José und seines Lehrers nicht unter den Opfern des Gemetzels aufgefunden worden sein. Daraus konnte man alle möglichen Schlüsse ziehen: Sie konnten bei der Flucht über den Fluß ertrunken oder in einem der vom Brand zerstörten Außengebäude umgekommen sein. Vielleicht waren die beiden auch entkommen, wenngleich es dann sehr merkwürdig gewesen wäre, daß Louis Gaspard in den nachfolgenden ruhigen Zeiten nicht nach San Triste zurückgekehrt war, um seinen jungen Herrn wieder in seine Rechte einzusetzen und sich für seine bewiesene Treue belohnen zu lassen.
Einige Leute neigten der Ansicht zu, daß der alte Gaspard gestorben sei, nachdem er mit José nach einem fernen Lande geflohen war. Dem sich selbst überlassenen Kinde würde dort niemand Glauben geschenkt haben, wenn es sich für einen geborenen Vereal ausgab. Außerdem mochte der Kleine in seinem kindlichen Unverstand geglaubt haben, daß die Revolution ein permanenter Zustand in seiner Heimat sei, und folglich nie daran gedacht haben, dorthin zurückzukehren, um sich wieder in den Besitz seiner Güter zu bringen. Sei dem, wie ihm wolle, Tatsache war jedenfalls, daß man in San Triste eine Legende um das Verschwinden des jungen José gewoben hatte, derzufolge er eines Tages zurückkehren würde, um sein väterliches Erbe anzutreten. Damit würde für San Triste das goldene Zeitalter wiederkehren!
Nun komme ich auf meine großartige Idee zu sprechen, mein lieber John Jones. Ich verschaffte mir Photographien von zwölf verschiedenen Vereals. An Hand dieser Bilder ließ ich mir von einem Maler ein Gemälde anfertigen, das die typischen Merkmale der Vereals zum Ausdruck bringen und gewissermaßen eine imaginäre Porträtstudie darstellen sollte. Das Ergebnis zeigt die Photographie, die Sie gesehen haben.« Damit brachte er die Photographie des Oelgemäldes zum Vorschein.
»Darauf warb ich drei Männer an, die einen Ruf als berühmte Abenteurer genossen, und die es mit dem Gesetz nicht allzu genau nahmen. Ich trug ihnen auf, einen Mann ausfindig zu machen, der dem auf diesem Bilde möglichst ähnlich sehen sollte. Auf diese Weise habe ich Sie kennengelernt.«
»Auf diesen Gedanken bin ich schon vor geraumer Zeit gekommen,« sagte John Jones. »Aber worin besteht nun Ihr Plan?«
»Er ist höchst einfach und höchst gefährlich. Sie haben die wunderbare Aehnlichkeit zwischen sich und dem Bilde hier erkannt, nicht wahr?«
»Der langen Rede kurzer Sinn ist also, daß ich mich in dieser Stadt als ein Vereal ausgeben soll. Soll ich gar glaubhaft machen, daß ich der verlorene Vereal bin?«
»Nicht so schnell, mein Freund. Sie müssen erst noch mit vielen Einzelheiten vertraut gemacht werden.«
»Angenommen,« sagte John Jones, »ich ritte nun, wo ich um alles Bescheid weiß, nach San Triste, machte meine Ansprüche geltend, setzte mich ins warme Nest und – vergäße Sie?«
»Ich könnte Sie verraten, wenn Sie mich verraten.«
»Aber wenn ich Ihnen hier eine Kugel durch den Kopf jagte, würde ich Sie aus dem Wege schaffen.«
Simon starrte seinen jugendlichen Gefährten entsetzt an.
»Barmherziger Himmel!« rief er. »Sie sind ein merkwürdiger Bursche, John Jones. Aber eine Kugel würde meine Dispositionen nicht über den Haufen werfen. Innerhalb von fünf Tagen wird ein Brief, den ich in New York zurückgelassen habe, von einem Freunde geöffnet werden, und wenn ich verschwinde, wird alles ans Tageslicht kommen. Sobald die Geschichte in San Triste bekannt wird, werden sie Sie bei lebendigem Leibe verbrennen.«
»Ich muß zugeben, daß Sie kein Dummkopf sind«, entgegnete John Jones ruhig. »Soll ich also, wie gesagt, allein nach jener Stadt reiten, die Besitzungen an mich reißen und dann einen Weg ausfindig machen, wie ich Ihnen die verborgenen Schätze zuführen kann?«
»Sie werden nicht, auf sich allein angewiesen sein. Ich habe drei tüchtige Hilfskräfte engagiert, die Sie in San Triste aufsuchen werden, um Ihnen Ihre Arbeit zu erleichtern. Das Ganze ist ein Problem, das sowohl an Sie wie auch an die anderen drei hohe Anforderungen stellt. Ihre Aufgabe ist es jedoch nur, von dem Haus und den anderen Immobilien der Vereals Besitz zu ergreifen. Wenn Ihnen das gelungen ist, brauchen Sie weiter nichts zu tun, als meinen drei Agenten in jeder Beziehung freie Hand zu lassen, damit diese in die Lage versetzt werden können, den Schatz abzutransportieren; entweder stückweise oder auf einmal.«
»Und meine Belohnung?«
»So viel Geld, wie Sie haben wollen, obgleich eigentlich Sie mich belohnen müßten, weil ich Ihnen eine solche Chance biete.«
»Aber angenommen, man entdeckt, daß ich ein Betrüger bin?«
»Dann würden Sie die Leute von San Triste in Stücke reißen, weil Sie in ihren Augen einen Frevel begangen hätten, der fast einem Staatsverbrechen gleichkommt.«