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17

Nach einer Pause sagte die Señora Margerita Alvarado: »Sie brauchen vielleicht eine weibliche Hand, die Ihnen hilft, Ihr Haus in Ordnung zu bringen. Sollte das der Fall sein, dann erinnern Sie sich bitte, daß Ihnen Margerita Alvarado zur Verfügung steht.«

»Señora«, antwortete er, »Sie sind zu gütig. Ich trage mich gerade mit dem Gedanken, einen neuen Garten anzulegen.«

»Ah, ich bin nur eine Stümperin in bezug auf die Gärtnerei, aber meine Tochter Alicia –«

John Jones' Herz klopfte so stürmisch, daß er vermeinte, die beiden müßten es vernehmen können.

»Dann muß ich sie sehen.«

»Sooft es Ihnen beliebt.«

In diesem Moment fiel das Augenmerk des Kids auf einen grünen Kanarienvogel, der sich flatternd auf den Sims des offenen Fensters setzte.

Der Kid sagte: »Was könnte man Besseres tun als an solch einem Morgen von Blumen sprechen? Dürfte ich also die Señorita sehen?«

Er bemerkte, wie die Señora ihrem Gatten einen bedeutungsvollen Blick zuwarf. Aber mochten sie denken, was sie wollten, es bekümmerte ihn nicht. Alvarado blieb in dem Bibliothekzimmer bei seinen Büchern zurück und entschuldigte sich damit, daß er sich nichts aus Blumen mache, während sich die Dame und der Besucher entfernten, um Alicia, die sich gerade im Garten befand, aufzusuchen. Unterwegs gab die Señora ihrem Begleiter einige Erklärungen.

»Alicia ist ein einfaches Mädchen«, sagte sie. »In diesen unruhigen Zeiten haben wenige für solche Naturen Verständnis. Die Stille des Klosters, in dem sie erzogen wurde, haftet dem lieben Mädchen immer noch an!«

John Jones konnte kein Wort über die Lippen bringen. Er sah nur immer ihr Bild vor Augen: Wie sie in blendender Schönheit stolz und herausfordernd vor ihrem Vater stand, um ihn vor der Mordgier der Menge zu schützen. Aber, wie verändert sah sie aus, als er sie jetzt vor sich erblickte.

Sie stand in der einen Ecke des Gartens inmitten eines Blumenbeetes. Der Wind ließ ihr langes, gelbes Kleid lose um ihren schlanken Körper flattern und preßte den Rand ihres Hutes in die Höhe. Sie hielt eine Schaufel in der einen Hand, mit der anderen hob sie den Saum des Kleiderrockes hoch, um nicht die schwachstämmigen Blumen zu beschädigen, als sie nun lächelnd auf die beiden zu kam.

Das war nicht die hoheitsvolle Königin, die er von der Straße aus gesehen hatte, als er in jener Nacht auf dem Rücken des schwarzen Pierre saß. Sie schien ihm nicht einmal besonders hübsch zu sein. Doch als sie näher herantrat, kam sie ihm so bezaubernd vor, daß er von ihrer lieblichen Erscheinung hingerissen wurde.

»Das ist Don José Vereal, Alicia«, sagte die Mutter. »Der Señor hat soeben mit deinem Vater gesprochen, und ich habe ihn hierher geführt, damit er mit dir über Gärten und Blumen sprechen kann. Es soll nämlich ein neuer Garten in der Casa Vereal angelegt werden!«

Als Alicia dem Fremden dicht gegenüberstand, war ihr Lächeln verschwunden, und sie betrachtete den Kid mit so durchdringenden und verwirrenden Blicken, daß ihm etwas unbehaglich zumute wurde. Aber als ihre Mutter zu Ende gesprochen hatte, spielte wieder dieses wundervolle Lächeln über ihr Gesicht. Sie hatte allerliebste Grübchen in den Wangen und blickte ihn mit ihren großen, klaren Augen freimütig an.

Sein Herz war rettungslos verloren, und er fühlte sich über diesen plötzlichen Verlust beglückt. Er liebte sie. Welch ein berauschender Gedanke, zu wissen, daß seine Liebe nie ersterben konnte, daß ihr sein Herz und seine Seele für immer gehörten.

»So ist also das Märchen zur Wirklichkeit geworden«, hörte er sie sagen. »Sie sind der Vereal!«

»Der Señor möchte mit dir über Blumen sprechen, Alicia«, sagte die Mutter mit auffallender Schärfe. Sie warf Alicia einen Blick zu, der sich nicht mißverstehen ließ. »Dein Glück liegt in deinen Händen, Kind«, besagte dieser Blick. »Tu dein möglichstes!«

Wie es sich für eine kluge Anstandsdame geziemt, kam ihr plötzlich der überraschende Einfall, daß sie am andern Ende des Gartens nach einem Beet sehen müsse. Und bald war sie hinter einem mit schönen, blaßroten Blüten bedeckten Quittengesträuch verschwunden.

»Dort steht eine Bank im Schatten der Mauer«, sagte Alicia. »Wollen wir dort Platz nehmen?«

Er geleitete sie nachdenklich zu der Bank. Sie kamen an einem sanft plätschernden Springbrunnen vorbei, schritten an einem großen Beet purpurn und rosig schimmernder Petunien vorüber, bis sie sich schließlich auf die Bank setzten, über der sich ein Dach weißer Geißblattblüten ausbreitete. Ihr starker Duft erfüllte die Luft mit einem würzigen Aroma, und John Jones überkam eine wonnetrunkene Stimmung an der Seite des geliebten Mädchens.

»Sagen Sie mir zunächst, wie groß der Garten werden soll.«

»Hundert Fuß lang und mehr als ein halbmal so breit.«

»Oh«, sagte Alicia, »darin können Sie eine ganze Blumenwelt anpflanzen!«

»Sagen Sie mir, was für Blumen ich nehmen soll. Ich werde es mir notieren.« Damit brachte er ein Stück Papier und einen Bleistift zum Vorschein.

Sie stützte ihr Haupt in eine Hand und blickte traumverloren auf den silbrig sprudelnden Springbrunnen wie jemand, der sich vor seinem geistigen Auge ein Bild zu vergegenwärtigen sucht. Schließlich sagte sie: »Natürlich Stockrosen längs der Umfriedung – eine Mauer muß den Garten doch umgeben, nicht wahr?«

»Natürlich.«

»Aus Lehm?«

»O nein!«

»Aus Ziegelsteinen also?« – »Ja, richtige, rote Ziegelsteine müssen es sein. Nichts gibt einen so wirkungsvollen Hintergrund für grünes Gewächs.«

»Sie wird also aus roten Ziegelsteinen gebaut werden. Soll sie mit Kletterweinranken bedeckt werden?«

»Mit wildem Geißblatt und Efeu. Doch nein! Efeu wuchert zu sehr – er verdrängt alle anderen Gewächse. Efeu ist ein Räuber! Die Stockrosen müssen dicht neben der Mauer stehen, und zwar solche mit großen, rosigen Blüten.«

»Sehr richtig!«

»Soll auch ein Springbrunnen gebaut werden?«

»Natürlich.«

»Ich habe einige grünliche Felsblöcke in den Bergen gesehen, die –«

»Ich werde nicht verfehlen, sie herbeischaffen zu lassen.«

»Was für einen wundervollen Garten Sie haben werden, Señor!«

Sie blickte bewundernd zu ihm auf, und John Jones kam sich nicht wenig beglückt vor.

»Ich habe nie einen Mann gekannt, der sich so für Blumen interessiert!«

»St!« flüsterte das Mädchen plötzlich, indem es auf einen kleinen, grünen Kanarienvogel deutete, der sich soeben auf eine Geißblattranke dicht neben ihnen niedergelassen hatte. Er zwitscherte vergnügt und flatterte mit den Flügeln. »Sehen Sie, wie kühn er ist!«

»Der Vogel bringt mir Glück«, sagte John Jones, denn es schoß ihm durch den Kopf, das dies derselbe Vogel sein müsse, der vor ein paar Minuten auf dem Fenstersims gesessen hatte.

Sie hörte seine Worte kaum, denn ihre ganze Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den gefiederten Sänger. Mit verhaltenem Atem und leuchtenden Augen streckte sie eine Hand behutsam nach ihm aus. Der winzige Vogel reckte den Kopf empor und beobachtete die Hand äußerst argwöhnisch, ohne jedoch vom Fleck zu weichen. So hatte John Jones Gelegenheit, Alicia unauffällig zu betrachten.

Von weitem machte sie lange nicht einen so berückenden Eindruck. Aber neben ihr zu sitzen, das Vibrieren ihres Halses beim Sprechen und die Bewegungen ihrer Brust beim Atmen zu beobachten; das zarte, runde Handgelenk dicht vor Augen zu haben: das war ein bezaubernder Anblick. Und der berauschende Duft der Geißblattblüten trug noch dazu bei, seine beseligende Stimmung zu erhöhen.

Sie wandte sich ihm wieder zu, wobei sie ihre Hand immer noch nach dem kleinen Vogel ausgestreckt hielt.

»Doch jetzt zu den Blumen! Sie müssen eine reichhaltige Auswahl treffen; gelbe Narzissen, Hyazinthen, Astern, Veilchen – und was ist ein Garten ohne Gladiolen? Sodann vergessen Sie nicht Stiefmütterchen, süß duftende Nelken und Petunien, die sich wie ein Sammetteppich über den Boden breiten – aber Señor, Señor! Sie haben sich nicht ein einziges Wort notiert!«

Er starrte verwirrt auf das leere Papier.

»Ich habe mir alles genau gemerkt.«

»Können Sie so viel behalten?«

»Ich schwöre, Señorita –«

Sie hob warnend einen Finger und blickte ihn lächelnd an.

»Welche Blumen wollen wir also längs der Mauer pflanzen?«

Er biß sich auf die Lippen. »Hyazinthen?« fragte er unsicher.

Sie begann so hell und erfrischend zu lachen, daß er entzückt zu ihr aufsah.

»Weshalb sind Sie hierher gekommen, Señor? Mein albernes Geschwätz über Blumen hat Sie sicher nicht interessiert.«

»Sind Sie mir böse?«

»Wer könnte in San Triste einem Vereal böse sein?«

»Nun machen Sie sich über mich lustig.«

»Gewiß nicht!«

»Wenn ich Ihnen nun sage, daß ich nur aus dem Grunde gekommen bin, um Sie sprechen zu hören – über Blumen – über alles mögliche?«

Er gewahrte, wie ihr eine schwache Röte ins Gesicht stieg, die sogleich wieder verebbte.

»Verzeihen Sie mir! Ich hätte das nicht sagen sollen.«

»Was ist Unrechtes dabei?« fragte sie mit ruhiger Stimme. »Es berührt mich sehr angenehm, Sie so sprechen zu hören. Aber meinen Sie das auch wirklich?«

Schon vorhin, als sie von den Blumen sprach, hatte er ihren Worten mit Entzücken gelauscht, aber nun geriet sein Blut in Wallung, da er merkte, daß sie sich für ihn zu interessieren schien. Diese Erkenntnis erfüllte ihn mit einem so beseligenden Glücksgefühl, daß er plötzlich kein Wort über die Lippen bringen konnte. Er fühlte, daß sie seine Neigung erwiderte; er würde ein Jahr seines Lebens darum gegeben haben, wenn er jetzt einige passende Worte hätte finden können; doch es wollte ihm kein vernünftiger Gedanke kommen.

Da rettete Señora Alvarado die peinliche Situation. Sie kam mit einem Strauß Quittenblüten herbei, und John Jones erhob sich.

»Wie weit ist der Garten gediehen?« fragte sie.

»Wir haben die Umfriedungsmauer gebaut und die Blumen gepflanzt«, versetzte er etwas zaghaft. »Nicht wahr?«

Alicia blickte traumverloren auf. »O ja«, murmelte sie. »Soweit sind wir gekommen. Es wird – ein merkwürdiger Garten werden, Mutter!«

Sie schritten gemeinsam auf dem Pfad nach Hause zu, bis Alicia einige entschuldigende Worte murmelte und dann mit gesenktem Kopf eilends vorauslief. John Jones sah, wie die Señora die Lippen zusammenkniff, doch vermochte er nicht zu sagen, ob dies ein Zeichen ihrer Erregung oder Mißbilligung war.

Nun konnte er sich nicht mehr länger beherrschen. Er blieb stehen und blickte sie fest an.

»Señora«, sagte er, »ich bin Ihnen bisher fremd gewesen; darf ich mir gestatten, in Zukunft recht offen in Ihrem Hause vorzusprechen?«

»Wir werden es uns zur Ehre anrechnen«, sagte sie, wobei sie leicht errötete.

Er begegnete ihrem fragenden Blick und errötete ebenfalls.

»Dann muß ich erst noch mit Señor Alvarado über eine gewisse Angelegenheit sprechen«, sagte er, worauf er sich geradewegs zu dem Herrn des Hauses begab, den er in dem Bibliothekzimmer über seinem Buche antraf.

»Señor Alvarado«, sprach John Jones, »als ich heute morgen erwachte, war ich das, was die Welt einen reichen Mann zu nennen pflegt; jetzt bin ich ein Bettler. Ich bin gekommen, um Ihnen zu erzählen, daß mir mein ganzer Besitz nichts wert ist, wenn ich nicht Ihre Tochter zur Frau bekommen kann!«

Don Frederico wurde auffallend blaß. Er schloß sein Buch und legte seine gefalteten Hände darauf. Dann blickte er mit einem betrübten Gesichtsausdruck zu John Jones auf.

»Das würde meine kühnsten Erwartungen übertreffen«, sagte er; »doch es ist unmöglich!«

»Im Namen des Himmels – warum?«

»Sie ist verlobt.«

»Wenn sie noch nicht verheiratet ist, so werde ich dennoch hoffen.«

»Ich habe mein Wort verpfändet. Kein Priester könnte sie fester an einen Mann binden.«

Ein Stöhnen brach von den Lippen John Jones'.

»Mit wem denn?«

»Mit Manuel Cabrillo!«


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