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1

Drei Detektive trafen sich in der Eingangshalle des Hotels »Paso del Norte« n El Paso. Nur der eine, Thomas, war aus El Paso; die anderen beiden waren Ingram aus San Franzisko und Walker aus Denver. Sie kannten einander von früher her, als sie in Manhattan die Polizeischule besucht hatten. Alle waren sogenannte fixe Kerls in ihrem Beruf, und alle hatten gewisse Eigentümlichkeiten gemeinsam. Wenn sie sich zum Beispiel über berufliche Dinge unterhielten, pflegten sie so geheimnisvoll zu tuscheln, als wenn sie befürchteten, von jemand belauscht zu werden. Jeder kaute ständig auf einer halb zu Ende gerauchten Zigarre, und jeder trug einen steifen grauen Hut.

Sie begrüßten einander, ohne sonderlich überrascht zu sein, denn El Paso ist einer jener Verkehrsknotenpunkte, wo Leute aus aller Herren Ländern auftauchen. Es ist das nördliche Tor Mexikos, zu dem viele Menschen herbeiströmen, um einen Blick in das fremdartige und geheimnisvolle Alt-Mexiko zu werfen. Einige wenige treten von hier aus auch wohl eine lange, beschwerliche Reise an – auf der Suche nach Glück und Abenteuern.

»Was gibt's Neues?« fragte Ingram aus San Franzisko.

»Ich treibe mich ein wenig in der Stadt umher«, sagte Thomas aus El Paso. »Gerade jetzt habe ich den schwersten Jungen im Auge, der westlich des Mississippi zu finden ist. Er ist im Moment hier im Hotel.«

»Es mag vielleicht der schwerste Junge sein – bis auf einen«, sagte Ingram. »Der Jüngling, den ich von San Franzisko bis hierher verfolgt habe, steckt sie alle in den Sack.«

»Boys«, ergriff Walker aus Denver das Wort, »prahlt nicht so mit den Verbrechern, hinter denen ihr her seid. Ich bin einem Burschen auf der Fährte, der alles mögliche gewesen ist: Streikbrecher, Schmuggler und Geldschrankknacker. H. K. Halsey heißt er.«

»Wo ist er jetzt?«

»Hier im Hotel; eben ist er zum Zimmer 1122 hinaufgegangen.«

»Was du nicht sagst!« rief Thomas. »Mein Mann hat dasselbe Zimmer betreten!«

»Wer ist das?«

»Silas Denny.«

»Mein Mann, Marmont, ging auch zu diesem Korridor hinauf«, warf Ingram ein. »Ich konnte die Zimmernummer nicht feststellen, aber er wird auch wohl dort sein. Wer bewohnt das Zimmer?«

»Ein komisch aussehender Kauz mit Namen Joseph Simon«, antwortete Thomas. »Ich vermutete gleich, daß er ein Verbrecher sei, als ich ihn zum erstenmal sah. Ich will zehn zu eins wetten, daß die vier ein Komplott schmieden, worüber euch noch die Haare zu Berge stehen werden.«

»Marmont, Denny und Halsey!« hauchte Ingram. »Alle beieinander. Zum Teufel, was mögen sie nur im Schilde führen?«

»Wenn die drei zusammenarbeiten, werdet ihr noch euer blaues Wunder erleben«, erläuterte Walker. »Ich würde sonst was darum geben, wenn ich wüßte, was sie in diesem Moment treiben!« –

Er würde indes aufs höchste überrascht gewesen sein, wenn es ihm möglich gewesen wäre, in das Zimmer zu blicken. Denn die drei Flüchtlinge saßen schweigend in einem Halbkreis und waren in die Betrachtung eines Oelgemäldes versunken. Wenn diese Männer Verbrecher waren, so sahen sie doch ganz und gar nicht danach aus.

Halsey, der in der Mitte saß, war der älteste – vielleicht fünfzig. Er hatte ein gerötetes, aufgeschwemmtes Gesicht, das von einem ziemlich ausschweifenden Lebenswandel Zeugnis gab. Seine blaßblauen Augen traten etwas hervor, und seine fleischige Stirn zeigte unzählige Falten und Runzeln. Er sah ganz wie ein harmloser Mensch aus, der gern gut leben mag. Wenn er beim Gehen hinkte, so glaubte man gewöhnlich, daß er an Rheumatismus leide. In Wirklichkeit rührte dieses Hinken jedoch von einer alten Kugelwunde her.

Sein Nachbar zur Rechten, Silas Denny, war ein lang aufgeschossener Amerikaner mit riesigen Händen und Füßen und einem großen Wasserkopf. Dieser Kopf ruhte auf einem dürren Hals mit einem enormen Adamsapfel. Er hatte die lederartige, braune Haut eines Seemannes und kühl dreinblickende, graue Augen. Seine Stimme klang tief und polternd.

Der dritte Mann war Pierre Gaston Marmont, der den beiden andern ganz und gar nicht ähnlich sah. Er war klein von Statur und höchstens vierundzwanzig Jahre alt. All seine Bewegungen verrieten nervöse Hast, und sein Gesicht sah bleich und abgespannt aus. Wäre ihm das Los eines geordneten Lebens zuteil geworden, so würde er vor Langweile gestorben sein; Aufregung war ihm zum Lebensbedürfnis geworden.

Die drei starrten auf ein Bild, das einen jungen Mann von unbestimmtem Alter darstellte – vielleicht zwischen fünfundzwanzig und dreißig Jahren. Er hielt eine Hand in die Hüfte gestützt und den Kopf zur Seite gewandt.

»Betrachten Sie ihn genau, meine Freunde«, ermunterte sie Joseph Simon, der im Hintergrund des Zimmers stand. »Ich habe zwar auch Fotografien von dem Gemälde, aber auf Fotografien kann man nicht die Farbe der Augen, die gelbliche Gesichtshaut und den Glanz des schwarzen Haares erkennen.«

Er schritt auf das Bild zu, stellte sich daneben und begann auf die Charakteristika hinzuweisen wie ein Lehrer, der seinen Schülern Unterricht erteilt.

»Meine Freunde«, sagte er, »beachten Sie die graziösen und eleganten Linien dieser schmalen Hände mit dem Netzwerk der feinen blauen Adern. Sie müssen die geringsten Einzelheiten dieses Bildes genau in sich aufnehmen, in Ihrem Geist bewahren, stets vor Augen haben.«

Die Röte der Begeisterung stieg ihm ins Gesicht; sein buckliger Rücken reckte sich, er strich das lange, silberweiße Haar von seiner Stirn zurück. »Beachten Sie den Körper des Mannes. Denken Sie sich die Kleider fort. Betrachten Sie ihn unter anatomischen Gesichtspunkten: Da werden Sie die feinen Knochen entdecken, die sehnigen Muskeln – einen Körper, der für Behendigkeit und Schnelligkeit geschaffen ist. Solch ein Mann könnte über ein Hindernis, das noch einige Zoll größer ist als er selbst, hinwegspringen, laufen wie ein Windhund, zuschlagen wie ein preisgekrönter Boxer. Nun vor allem das Gesicht! Sie sehen die dünne, gerade Nase; die zusammenstoßenden, schön geschwungenen Augenbrauen; die langen schmalen Kinnbacken, hager und fest wie die eines Bullterriers, die dünnen, farblosen Lippen; die hohe Stirn und das schwarze Haar. Dieser Mann ist intelligent, aber denkfaul. Er spielt nicht, um zu gewinnen, sondern weil ihm der Reiz des Verlustes ein Bedürfnis ist. Er lebt mit anderen Leuten ständig auf gespanntem Fuß. Er ist schroff und ablehnend mit seinesgleichen, aber merkwürdig entgegenkommend und herablassend mit seinen Untergebenen – sagen wir: mit seinen Dienern.«

»Genug, genug!« wandte Marmont nervös ein. »Ich kann mir seinen Geist bereits besser vorstellen als seinen Körper.«

»Wer hat das Bild gemalt?« fragte Halsey.

»Der Name des Malers tut nichts zur Sache«, entgegnete Joseph Simon. »Ich will Ihnen nur soviel verraten: ich habe ihm für seine Arbeit eine Summe gezahlt – nun, wieviel meinen Sie wohl?«

»Fünfhundert Dollar«, riet Silas Denny.

»Bah!« platzte Marmont heraus. »Viermal soviel!«

Halsey neigte sich auf seinem Stuhl vor und starrte mit kritischem Blick auf das Gemälde. »Ungefähr zehn- bis zwanzigtausend, sollte ich meinen«, murmelte er.

Simon wandte sich ihm zu, und ein befriedigtes Lächeln spielte um seine Lippen. »Sie sind ein Kunstkenner«, sagte er. »Es kostet mich genau zwanzigtausend Dollar – in Franken.«

»Wie heißt der Mann auf dem Bilde?« fragte Halsey.

»Er hat keinen Namen.«

Die drei sahen sich einigermaßen verwundert an.

»Er ist von der Hand eines Menschen geschaffen«, fuhr Simon fort, »nicht von Gott. Er ist nicht ein bestimmter Mensch; er repräsentiert ein ganzes Geschlecht.«

Keine Antwort erfolgte.

»Meine Herren«, sprach Joseph Simon weiter, »nun kommen wir auf die geschäftliche Angelegenheit zu sprechen. Ihre nächstliegende Aufgabe ist sehr einfach, wie Sie sehen werden. Sie brauchen nichts weiter zu tun, als im Lande herumzureisen. Ihre Reisespesen werden Ihnen ersetzt. Außerdem bekommen Sie ein wöchentliches Fixum von zweihundert Dollars. Kurz, Sie sollen eine angenehme Ferienreise genießen – nur die Augen müssen Sie offenhalten – und einen Mann dieses Typs für mich finden.«

»Das ist ein seltsames Gesicht«, sagte Denny. »Wir könnten vielleicht um die ganze Welt wandern, ohne es zu finden.«

»Ich kann nichts Unmögliches von Ihnen verlangen«, sagte Simon. »Ich verlange nur den Typ! Ist das klar? Sie müssen den Typ ausfindig machen. Er darf nicht größer sein als fünf Fuß und elf Zoll – vielleicht einen Zoll darüber. Er darf nicht jünger als zweiundzwanzig und nicht älter als fünfundzwanzig sein. Er muß gewandt, kühn, besonnen sein. Selbstredend muß er spanisch sprechen können wie ein gebürtiger Spanier. Ich verlange viel, wie Sie sehen. Aber deshalb habe ich ja auch drei scharfäugige Männer engagiert. Wollen Sie sich ans Werk machen, meine Herren?«

Sie beobachteten ihn nachdenklich; jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt; jeder rief sich Gesichter ins Gedächtnis zurück, die für das Vorhaben zweckdienlich sein könnten.

»Derjenige, der den Mann ausfindig macht und ihn nach El Paso bringt, erhält eine Belohnung«, sagte Simon. »Diese Belohnung beträgt fünftausend Dollar – wenn ich mit dem Manne zufrieden bin!«

»Well« sprach Denny, »ist unsere Aufgabe erledigt, wenn wir ihn herbeigeschafft haben?«

»Nein! Das ist nur der Anfang. Wenn er gefunden ist, stehen uns erst die gefährlichen Abenteuer bevor.«

Er ließ sich auf einen Stuhl fallen und bedeckte sein Gesicht mit den Händen, indem er vor Aufregung und Erschöpfung am ganzen Leibe zitterte. Die anderen blickten verächtlich auf ihn herab. Dann verabschiedeten sie sich und verließen das Zimmer. Simon nickte ihnen nur stumm zu und wartete, bis sie fort waren.

Dann sprang er von seinem Stuhl auf und begann, mit leichten, geräuschlosen Schritten im Zimmer auf und ab zu wandern. Er erweckte den Anschein eines jagenden Raubtieres, und nach dem Funkeln seiner Augen zu schließen, hätte man annehmen können, daß er sich immer näher und näher an seine Beute heranschlich. Aber zuweilen blieb er stehen, und ein Ausdruck der Verzweiflung und des Schmerzes trat in sein Gesicht; doch er schüttelte die scheinbar in ihm aufsteigende Zaghaftigkeit jedesmal mit einem Seufzer ab und setzte seine Wanderung fort.


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