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7

An dieser Stelle unterbrach John Jones, wie er sich zu nennen beliebte, seinen Gefährten zum ersten Male.

»Das ist ein Märchen«, sagte er.

»Besser als das«, versetzte Simon. »Es ist ein Märchen, welches wahr ist. Ich besaß natürlich ein Verzeichnis von allen Liegenschaften. An Hand der Liste traf ich meine Dispositionen und machte mit den Farmen den Anfang. Ich fand sofort heraus, daß diese von alten Anhängern der Familie geleitet wurden. Einer hatte einen jungen Vereal reiten gelehrt. Ein anderer war Musiklehrer gewesen, ein anderer Hausverwalter. Es gab nicht einen, der wirklich etwas von der Landwirtschaft verstand. Natürlich entließ ich alle diese Leute. Ich engagierte Fachleute, die landwirtschaftliche Schulen besucht hatten. Sofort trat eine grundlegende Aenderung ein. Das Ackerland brachte jetzt einen Ertrag, der sechs- bis siebenmal größer war als früher.

Die unzähligen Schmarotzer in dem Herrenhaus San Triste wurden ebenfalls entlassen. Ich ließ alle Gemächer verschließen und verwandte nur drei Räume für mich – einen als Küche, einen als Schlafzimmer, einen als Wohn-, Eß- und Arbeitszimmer. Von all den unnützen Leuten behielt ich nur einen Sekretär und einen Koch. Nach Ordnung dieser Angelegenheiten inspizierte ich die verschiedenen Ranchen. Diese wurden just von derselben Kategorie von Leuten bewirtschaftet wie die Farmen. Sie wurden durch Männer ersetzt, die etwas von Viehkrankheiten verständen und mit der Züchtung und Fütterung Bescheid wußten. Im ersten Jahr hatte ich nur bescheidene Erfolge aufzuweisen, aber im zweiten Jahr warfen die Ranchen bereits einen fabelhaften Reinertrag ab!

In den Minen lagen die Verhältnisse ganz besonders im argen. Bei der Einstellung Vereals seinen Leuten gegenüber war das ja auch gar nicht zu verwundern. Wenn er zum Beispiel jemanden mit einem leitenden Posten betraute, so sagte er nicht etwa zu ihm: »Arbeiten Sie nach Kräften für mich und suchen Sie möglichst viel Geld für mich herauszuschlagen.« Seine Verhaltungsmaßregeln lauteten ungefähr so: »Da liegt eine Mine an der und der Stelle. Dem Mann, der sie vor Ihnen leitete, hat sie jährlich zehntausend Dollar eingebracht. Vielleicht werden Sie das auch fertigbringen. Jedenfalls können Sie ja mal einen Versuch machen.«

Da der Betreffende natürlich nicht das geringste vom Bergbau verstand, wurden die Minen mehr und mehr heruntergewirtschaftet. Jeder sorgte zunächst für seine eigene Tasche. Der Leiter war in erster Linie darauf bedacht, jährlich seine zehntausend Dollar in Sicherheit zu bringen, und seine Untergebenen trachteten nur danach, ihren Anteil von dem Raub zu erhalten. Eine Mine arbeitete sogar mit Verlust, so daß ich mich schon mit dem Gedanken trug, sie stillzulegen.

Aber was meinen Sie wohl, was für eine Veränderung eintrat, als ich einen fähigen Ingenieur mit der Leitung betraute? Die Anlagen der Mine wurden zweckentsprechend ausgebaut und neue Stollen in die Felsen getrieben. Nach einer kurzen Zeit warf sie monatlich einen Reinertrag von zwanzigtausend Dollar ab!

Ich könnte Ihnen noch stundenlang weitere Einzelheiten erzählen. Ich will mich jedoch darauf beschränken, die Tatsache zu unterstreichen, daß nach Ablauf des ersten Jahres die ursprüngliche, ziemlich genaue Schätzung des Gesamtbesitzes, die auf dem tatsächlichen Einkommen der Vereals basierte, nicht mehr im entferntesten zutreffend war. Der Wert war damals auf fünfeinhalb Millionen veranschlagt worden, aber jetzt belief sich allein das Einkommen auf mehr als eine Million Pesos. Aber damit waren noch lange nicht alle Hilfsquellen erschöpft. Ich stellte fest, daß ich die Einkünfte immer noch steigern konnte. Zu diesem Zwecke mußten bessere Maschinen für Bergwerke und Farmen angeschafft werden, neue Bäume für die Obstgärten, neue Schößlinge für die Weingärten, neues Zuchtvieh für die Ranchen. Da ich im ersten Jahr einen Reinertrag von einer runden Million erzielt hatte, steckte ich diese Summe restlos in die verschiedenen Unternehmen. Ich behielt nicht einmal einen Cent von den Zinsen, die mir für meine zweieinhalb Millionen zustanden. Denn Sie müssen verstehen, mein Freund, daß ich es mir in den Kopf gesetzt hatte, zugunsten der Vereals ein Wunder zu vollbringen.

Das erste Jahr war, wie gesagt, von bescheidener Bedeutung, aber von den materiellen Erfolgen abgesehen, bereitete es mir sehr viel Unannehmlichkeiten. Die Leute, die ich entlassen hatte, nährten einen grimmigen Haß gegen mich. Noch bevor die ersten drei Monate herum waren, fanden zwei Revolverattentate auf mich statt, und ein Fanatiker versuchte sogar, mich im Schlaf zu erstechen. Aber ich brachte es trotzdem nicht fertig, alles stehen und liegen zu lassen.

Dann traf ein geharnischter Brief Vereals ein, in dem er mir mitteilte, daß ihm viele Klagen zu Ohren gekommen seien, und daß ich die entlassenen Leute sofort wieder in ihre Posten einsetzen solle. Ich antwortete ihm, daß er mir eine unumschränkte Vollmacht verliehen hätte, und daß ich folglich nach eigenem Ermessen handeln würde. Ich sah jedoch ein, daß ich irgendwelche Zugeständnisse machen mußte. Deshalb beschloß ich, einem jeden, den ich entlassen hatte, eine Pension zu gewähren. Ich bemaß die Pensionen so niedrig wie möglich, aber wenn man bedenkt, daß die erbärmlichen Wichte im Dienste der Vereals allerhand Geld für sich beiseite geschafft hatten, so konnten sie ganz gut dabei existieren.

Nun hätte man doch eigentlich annehmen können, daß die Pensionäre für das Geld, das ihnen so mühelos in den Schoß fiel, dankbar gewesen wären. Ganz und gar nicht! Sie sannen nur auf Rache, weil sie aus ihren Stellungen verdrängt worden waren.

Ich konnte mich nicht auf den Straßen San Tristes blicken lassen, ohne angerempelt oder beschimpft zu werden. Um mein Leben nicht unnötig aufs Spiel zu setzen, ritt ich schließlich nur noch mitten in der Nacht auf einem schnellen Pferde zur Stadt hinein oder hinaus. Aber ich harrte unbeirrt auf meinem Posten aus. Das waren schwere Zeiten, und oftmals konnte ich nachts vor Angst nicht einschlafen. Ich ließ mich jedoch von der Furcht nicht unterkriegen, sondern arbeitete unverdrossen weiter. Mein Erfolg grenzte ans Wunderbare.

Ich habe gesagt, daß sich der Reinertrag nach Ablauf des ersten Jahres auf eine Million belief. Wie hoch taxieren Sie nun den Gewinn des zweiten Jahres? Zwei Millionen wurden verdient! Davon mußte ich allerdings die Pensionen bezahlen, aber es verblieb immer noch ein riesiger Ueberschuß.

Nun kam mir ein seltsamer Einfall, und ich setzte es mir in den Kopf, ihn um jeden Preis zu verwirklichen, damit ich nach der Rückkehr Vereals sagen konnte: »Als Sie San Triste verließen, schuldeten Sie mehr als Sie besaßen. Nun sehen Sie einmal her, welche grundlegende Veränderung inzwischen eingetreten ist!« Mein Plan bestand darin, einen großen Schatz in dem alten Herrenhause in San Triste aufzuhäufen, und ich machte mich sogleich daran, ihn in die Tat umzusetzen. Ah, jetzt horchen Sie auf, John Jones! Ich dachte mir gleich, daß Sie dieser Teil der Erzählung am meisten interessieren würde. Ganze Maultierladungen Silber wurden herbeigeschafft und in Karren verladen, um – bis auf einen Prozentsatz – zur Verschiffung gebracht zu werden.

Jeder Ladung, die unter militärischer Bewachung auf Mauleseln eintraf, entnahm ich eine beträchtliche Anzahl Barren und ließ sie von zwei vertrauten Dienern nach einer tief unter dem Hause befindlichen geheimen Galerie bringen. Soweit mir bekannt war, hatte niemand von dem Vorhandensein dieser unterirdischen Räume eine Ahnung, und auch ich hatte sie nur durch Zufall entdeckt, als ich mich nach einem geeigneten Versteck für meinen Schatz umsah. Inzwischen hatten die Pensionäre und die Bewohner von San Triste eine aus drei Männern bestehende Abordnung nach der Schweiz gesandt, wo sich Vereal mit seinem kleinen Sohne, dem alleinigen Erben und letzten Sproß der Familie, aufhielt.

Nun verlegte sich Don Pedro wiederum aufs Briefeschreiben. Er befahl mir, von meinen neuartigen und törichten Methoden abzulassen, die alten Gefolgsleute wieder in ihre Aemter einzusetzen und der Wohltätigkeit, die in der Politik seiner Familie immer eine große Rolle gespielt habe, keine Schranken zu setzen. Da ich mein ganzes Werk bedroht sah, falls ich seinem Willen gehorchte, konnte ich natürlich nur antworten, daß mir für drei Jahre Vollmacht verliehen sei und daß das dritte Jahr eben erst begonnen habe.

Mein ablehnender Standpunkt machte mich bei der Bevölkerung selbstverständlich noch verhaßter, so daß ich ständig in Todesangst schwebte. Ich vermehrte meine Vorsichtsmaßregeln und bereitete mich inzwischen auf die große Endabrechnung mit Don Pedro vor. Mochte er auch wüten und toben, schließlich würde ich doch alles zum Besten kehren. Davon war ich überzeugt.

Ich sammelte immer mehr Schätze in einer Kammer der unterirdischen Galerie an, indem ich fast täglich etwas Neues hinzufügte. Einen großen Teil des Silbers tauschte ich gegen Gold und Juwelen ein, um durch die Verkleinerung des Umfangs eine bessere Uebersicht und Transportmöglichkeit zu gewinnen. So ging schließlich das letzte Jahr vorüber, und der Tag der Heimkehr Don Pedros kam heran.

Das war ein hoher Festtag für San Triste, wie Sie sich wohl denken können. Die Leute kamen schon in der Nacht vorher in Scharen zu dem Herrenhaus geströmt, drängten sich in den Hof, ergingen sich in Schmähungen und Beschimpfungen gegen mich und versicherten mir, daß man mich zur Rechenschaft ziehen werde.

Am nächsten Tag traf Don Pedro ein. Wegen der Leute in San Triste durfte ich mich zu einer Begrüßung natürlich nicht aus dem Hause wagen. In ihren Augen war ich ein Teufel in Menschengestalt. Aber an dem Lärm der Menge konnte ich den sich auf das Haus zu bewegenden Triumphzug Don Pedros im Geiste mitverfolgen. Durch ein Fenster sah ich ihn inmitten eines Volkshaufens in den geräumigen Hof treten. Die Menge weinte vor Freude und jubelte ihrem Schutzherrn zu. Seinen kleinen zehnjährigen Sohn, Don José, trugen sie auf den Schultern einher.

Dann zog ich mich in mein Zimmer zurück und wartete der Dinge, die da kommen sollten. Schließlich kam Don Pedro allein zu mir. Er begrüßte mich mit einem Unheil verkündenden Stirnrunzeln. »Sie haben meinen Schutzbefohlenen in San Triste sehr viel Unrecht zugefügt«, sagte er. »Jetzt wollen wir sofort alles ins Reine bringen, Joseph Simon. Die Besitzungen sollen innerhalb eines Monats verkauft werden, damit Sie zu Ihrem Gelde kommen.«

Ich verneigte mich und äußerte den Wunsch, ihn über die gegenwärtigen Finanzverhältnisse zu informieren. Dann unterbreitete ich ihm meine Aufzeichnungen, in denen die Einnahmen unter dem alten und neuen Regime gegenübergestellt waren. Aus diesem Zahlenmaterial ging hervor, daß der höchste Jahresertrag seiner gesamten Besitzungen, der früher jemals erzielt worden war, vierhunderttausend Pesos ausgemacht hatte, während ich jetzt eine Summe herauswirtschaftete, die – nun, wie hoch taxieren Sie diese wohl? Nein, mein junger Freund, Sie werden meinen Angaben keinen Glauben schenken. Aber deswegen bleibt es doch wahr, daß im dritten Jahr fast zweieinhalb Millionen vereinnahmt wurden. Die Einkünfte der beiden vorhergehenden Jahre, die sich insgesamt gleichfalls auf zweieinhalb Millionen belaufen hatten, waren in Neuanschaffungen und Verbesserungsanlagen investiert worden.

Es war ein erhebendes Gefühl für mich, ihm all' dies wahrheitsgemäß berichten zu können. Aber als ich zu Ende gesprochen hatte, sagte er nur: »Hören Sie, Joseph Simon! Lieber wollte ich all' meine Farmen der Vernichtung preisgeben, als mich auf Kosten meiner Schutzbefohlenen bereichern!«

Diese Worte trafen mich wie ein Keulenschlag. Aber ich hielt immer noch einen Trumpf in den Händen. So sagte ich denn zu ihm: »Kommen Sie bitte mit mir. Sie sollen sich mit eigenen Augen von etwas anderem überzeugen!«


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