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Zwölftes Kapitel


»Ich habe keinen Sohn mehr. Geh!«

Es war Hartard, als würde er diese Worte noch auf seinem Sterbebette hören. So unerbittlich, so eisern hatten sie geklungen.

Also sein Vater hatte gewählt zwischen jener Frau und ihm. Der Sohn war unterlegen.

Hartard ging mit heftigen Schritten im nächtigen Garten hin und her.

Schwermütig und regungslos standen die dunklen Wipfel unter dem Nachthimmel. Der Mond warf Silberglanz auf ein bleiches Gewölk, das sich breit unter ihm hinlagerte. Das schmale Wasserband, das vom See her durch die Schilfmauer zum Steg herankam, glich einem schuppigen Metallstreifen. Zuweilen raschelte irgend ein Getier im Röhricht. Dumpf klangen aus der Erde Hartards Schritte mit.

Manchmal strauchelte sein Fuß, wenn er von dem schmalen Weg auf die höhern Erdschollen der Gemüserabatten trat.

Hier in diesem selben Garten, im still brütenden Mittagsglanz der Sonne hatte er mit seinem Vater jenes innige, schöne Gespräch über die nun Heimgegangene gehabt.

Er kam an die Bank, wo sie damals zusammen gesessen. Und müde von all der Erregung der letzten Tage fiel er daraus nieder.

Nun saß er, in sich zusammengesunken, und dachte an derselben Stelle, wo damals große Worte der Liebe gewechselt worden waren, darüber nach, warum er der Feind seines Vaters geworden war.

Seine Erinnerung wollte ihm allerlei zuraunen, ihm jenes Gefühl seltsamen Erstaunens zurückrufen, das ihn überfiel, als er heimkehrend, in seinem Vater einen kraftvollen, fast jungen Mann fand, dem man keine Arbeit abnehmen konnte, ihm alle zahllosen kleinen Momente noch einmal vor das geistige Auge führen, wo er sich voll Bitterkeit als den hier Überflüssigen erkannt, wo er begriffen, daß er die Geliebte nicht heimführen könne, weil noch kein Platz für ihn und sie im Hause Rethen war. Aber er wollte nicht auf seine Erinnerung hören.

Er wollte nur einen Grund sehen, begreifen!

Das Weib, das sich zwischen seinen Vater und ihn gestellt und wahrscheinlich schon seiner Mutter seines Vaters Liebe gestohlen hatte! –

Er haßte sie!

Er schwor sich mit heiligem Eid, beim Andenken an seine Mutter, niemals mehr das Haus seiner Väter zu betreten, wenn Alexandra darin als Herrin lebte. Er wollte unversöhnlich sein!

Denn es kam ihm so vor, als sei er es, den sein Vater zu versöhnen habe. Er, der verzeihen müsse. Er, den man eines Tages flehentlich bitten werde, heimzukehren.

Sein Herz blieb hart und trotzig.

Beinahe kaltblütig dachte er darüber nach, was er zunächst zu thun habe.

Natürlich konnte er nicht unter demselben Dach mit seinem Vater wohnen bleiben. Aber er dachte nicht daran, wie ein Verstoßener zu entfliehen, sich scheu zu verstecken.

Er würde sich zunächst nach Berlin wenden. Morgen schon konnte er dahin abreisen. Sich mit Kleopha auszusprechen, würde ihm ein schmerzliches Glück sein. Von Berlin aus mußte er sich dann irgend eine Anstellung suchen, als Direktor oder Stallmeister auf irgend einer Standesherrschaft.

Wenn sein Vater nach ihm fragte, mochte er nur hören, daß sein Sohn diese Nacht ruhig unter dem Dach geschlafen habe, das eines Tages sein eignes Dach werden mußte!

Dieses »ruhig schlafen« war eine Hyperbel, die Hartard sich trotzig vorsagte.

Er schlief nicht.

Aber mitten in sein Hindämmern, in dem bald die Müdigkeit, bald die schlimmen Gedanken Oberhand gewannen, schlug ein Wort ...

Seine Mutter hatte es einmal gesagt. Er wußte nicht mehr genau, in welchem Zusammenhang.

»Zwota weiß von uns allen Bescheid.«

Er beschloß, seine Lage und das Vorgefallene Zwota zu offenbaren.

Am andern Morgen ging er zu Fuß hinüber.

Es war derselbe Morgen, dessen reine Zartheit Kleopha entzückte, als sie durch die Felder fuhr.

Im Wald, durch den Hartard ging, war es feuchter und frischer als draußen auf dem Felde. Die Kiefern dufteten harzig. Die Füße strichen im Schreiten durch tauschwere Gräser, durch das weitläufige Gitter der Stämme an der Waldesgrenze sah Hartard in das Land hinaus. In friedvoller Anmut lag es im stillen Morgenglanze. Sonne auf den Stoppelfeldern, Sonne auf dem Wiesengrund, Sonne auf dem dünnen Wässerchen, das sich hindurchzog und zum See tändelte, Sonne auf den Dächern eines zwischen dichten Obstgärten halb versteckten Gehöftes.

Hartard meinte, ihm bräche das Herz. Sein Land war das! Sein Erbe! Seine Heimat! Für ihn das Paradies auf Erden!

Und er sollte es lassen. Sollte verstoßen und fremd wandern, bis er vielleicht als alternder Mann wiederkehren konnte.

Dann als der Herr!

Wie hatte sein Vater ihm doch einmal gesagt: »Wenn du mir ein treuer Sohn gewesen bist, wirst du einst an meinem Grabe um mich trauern und dich doch zugleich des Besitzes freuen können.«

Niemals, niemals würde ihm Freude an diesem Besitz beschieden sein. –

Als er bei Zwota die Gitterthür in der Gartenhecke aufklinkte – gerade war Kleopha an der Ecke der Ulmenallee von ihrem Wagen gestiegen – fand er den Pastor im Vorgarten und im Begriff, auszugehen.

Zwota trug große Wasserstiefel und dazu einen langen schwarzen Gehrock von geistlichem Schnitt. Auf dem Kopfe hatte er einen großen, weichen, schwarzen Filzhut, der seiner Form nach besser auf ein Künstlerhaupt gepaßt hätte. Das frische Gesicht strahlte von Behagen.

»Na, mein Junge, du kommst ungelegen,« sagte Zwota gleich, »ich will nach Flieders zur Montefort.«

Hartard schüttelte die Hand, die ihm der Pastor mit der ihm üblichen großen Gebärde breit entgegenstreckte.

Sie blieben im Garten stehen. Zwota war der Mann der Vorreden. Er hatte so viel kleine Interessen und zog jedermann gern hinein, der ihm gerade in den Weg kam.

»Sieh dir meine Fenster an. Was sagst du?« fragte er triumphierend.

Hinter den Fenstern, deren Glas spiegelblank glänzte in den schneeweiß gemalten Rahmen, drängten sich Blumengesichter in unerhörter Fülle.

»Amaryllis, Kakteen – – da mag nun die Stechow sagen, was sie will! Das macht ihr Gärtner nicht.«

»Prachtvoll. Aber mußt du nach Flieders?« fragte Hartard.

Der Pastor hatte entdeckt, daß an dem Rosenstock, neben dem sie gerade standen, zwei verblühte Rosen nicht ausgeschnitten waren. Er zog eine Rosenschere aus der Tasche.

»Weißt du, das ist von höchster Wichtigkeit für die Blüte des folgenden Jahres. Jede abgeblühte Rose abschneiden, bis zum dritten Blatt. Immer bis zum dritten Blatt. – Ob ich nach Flieders muß?! Hm – ich will müssen! Ich gehe jetzt sehr oft hin. Ich habe die Baronin überredet, eine Imkerei anzulegen und eine Champignonzucht. Da muß ich oft nachsehen.«

Er nahm Hartard vertraulich am Arm.

»Ich hab' die Baronin in Verdacht, daß sie katholisch werden will,« sagte er halblaut.

»Und deshalb ...?«

»Und deshalb hab' ich ihr allerlei aufgeredet, wobei sie mich braucht. Das Gespräch bleibt ja nicht immer bei den Bienen und den Pilzen.«

Er lachte Hartard an.

»Sie hätten Diplomat werden sollen, lieber Pastor,« sagte Hartard.

»Nee, mein Junge.« Er schlug sich an die Beine. »Mit den Stiefeln geht man strammer durch die Natur, als übers Parkett. Ich dachte, das interessiert dich – das mit der Baronin Montefort.«

»Gewiß. Aber lassen Sie sie heute. Es wird ja so eilig nicht sein, mit ihren konvertitischen Spielereien. Ich muß mit Ihnen reden, lieber Pastor. Ich muß,« bat Hartard.

»So, ausgerechnet heute? Gleich? Na, meinetwegen.«

Er ging zurück und voran ins Haus. Über die rote Ziegelsteinflur führte er seinen Besuch in das Zimmer, dessen drei Fensterbänke von Blumentöpfen in wahrhaft künstlicher Weise vollgestellt waren.

Vor seinem Schreibtisch nahm er Platz, warf den Hut vor sich auf die Platte und deutete auf einen Stuhl, der rechts schräg neben dem Schreibtisch stand.

»Das ist das Armesünderbänkchen, mein Sohn. Da sitzen immer die, die sich Rat holen kommen. Rat holen und 'ne Pauke kriegen, ist meist dasselbe. Denn ein vernünftiger Mensch, der klar und gesund gehandelt hat, braucht meist keinen Rat,« sagte Zwota und strich sich mit beiden Händen vom Hinterkopf her über sein weißes geschorenes Haar.

Das helle Fenster mit der Blumenpracht stand als leuchtender Grund hinter ihm, so daß Hartard sein Gesicht nicht recht erkennen konnte. Aber er wußte so wie so, daß der Pastor vergnüglich schmunzelte.

»Das klingt nicht ermutigend,« sprach Hartard.

»Wenn es dich entmutigt, hast du also eine Dummheit gemacht,« sagte Zwota.

»Eine Dummheit! Nein, ganz gewiß nicht. Aber ein großes Unglück ist geschehen,« rief Hartard.

Zwota hatte es niemals sehr eilig, an ein »großes Unglück« zu glauben.

»Dann erzähl' es mir, mein Junge. Und wir wollen mal sehen, ob es in dir oder außer dir liegt. Denn darauf kommt es bei allem Unglück an.«

Es war Hartard gewesen, als habe er so viel zu erzählen, daß Tage nicht ausreichten, seinen ganzen Seelenzustand klar zu legen. Aber vor der einfachen Aufforderung, zu sprechen, versank alles in Verwirrung. Wo sollte er anfangen? Was zuerst nennen?

»Sie wissen, daß Papa sich wieder verheiraten wird?« fragte er. Die brennendsten Gedanken formten sich ihm zuerst zu Worten.

Zwota besah nachdenklich seine Hand und drehte sie hin und her.

»Ja wohl, mein Junge,« sagte er.

»Und mit wem?« fragte Hartard.

»Und mit wem!« bestätigte Zwota kopfnickend.

»Und Sie sind nicht empört? Nicht als Mann, als Priester, als Mensch empört?!« brachte Hartard heraus.

Der greise Mann schob bedächtig seinen Hut ein bißchen weiter hin, entschloß sich dann, ihn ganz von der Schreibtischplatte zu entfernen, und warf ihn auf einen Stuhl, der unter dem Fenster stand.

»Warum sollte ich empört sein?« fragte er, den Verwunderten spielend, während er dachte: ›Also es ist so weit mit dem Jungen?‹ – »Warum soll ein Witwer nicht wieder heiraten? Daß ich, der ich früh Witwer war, nicht wieder heiratete, will ich nicht als Beispiel betrachtet sehen unter meinen Pfarrkindern. Das hatte so seine Gründe. Sieh mal: ich war immer 'n burschikoser alter Kerl. Ich traute mich vielleicht bloß nicht, die eine Vornehme, Reservierte, die ich wohl gemocht hätte, in mein simples Haus zu bitten. Das sage ich dir nur so, daß du siehst: es waren Umstände, kein Princip.«

»Ja, Sie, Herr Pastor! Sie hätten wieder heiraten können. Das war anders. Sie hatten keinen erwachsenen Sohn,« rief Hartard.

Zwota faltete vor Erstaunen seine Hände und stemmte sie auf die Tischkante, sich weit zurücklehnend.

»Ei sieh mal an. Also du meinst, wenn man erwachsene Kinder hat, soll man selbst mit verdorrtem Herzen, unfruchtbaren Sinnen, tot, unnütz, alt, weiter vegetieren? Du möchtest wohl wie die Spartaner die Sechzigjährigen unmündig machen? Selbst dann, mein Sohn, hat dein Vater noch so zwölf, dreizehn Jahr Mannesrechte vor sich! Was soll er damit machen? Willst du mir mal so die Weltordnung ausmalen, wie deine freundliche Selbstlosigkeit sie sich zu denken scheint?« fragte Zwota schmunzelnd.

Dieser unzerstörbare Humor ärgerte Hartard.

»Es steht wohl in der Bibel, daß der Mann Vater und Mutter verlassen solle, um seinem Weibe anzuhangen; aber davon steht nirgend etwas, daß der Vater den Sohn verlassen soll, eines Weibes wegen,« sprach er heftig.

Mit einem ganz objektiven Vergnügen an dieser Bemerkung sah Zwota sich den jungen Mann an.

»Das könnte scheinen. Aber, mein Junge: Hartard gegen Zwota auf dem Gebiet – das ist heikel! Da könntest du dich in den Patronen für dein Rohr vergreifen. Das vierte Gebot ist summarisch. Es hat allem vorgebeugt und sagt alles.«

Zwota hielt die Ellenbogen auf die Armlehnen gestützt, und in der Halbschale der gefalteten Hände drehte er die Daumen umeinander. Es kam Hartard vor, als bäume er sich vergebens mit all seinem Gram gegen diese überlegene Heiterkeit. Und er war doch gekommen, Mitleidenschaften zu erwecken.

»Herr Pastor,« sagte er, »ist es nicht einmal so in der Welt: müssen nicht die Eltern Platz für ihre Kinder machen? Auf irgend eine Weise und geht es nicht anders, als durch Verzicht auf Eigenrechte?«

Der Pastor rückte sich zurecht. Er verließ seine behagliche Stellung und saß lebhaft aufrecht, seine Rede mit leisen flachen Handschlägen auf die Tischplatte begleitend.

»Mein lieber Junge, stelle mir keine Principienfragen auf dem Gebiet. Du weißt, ich bin weder ein Schönfärber noch ein Moralprediger. Ich sehe die Dinge, wie sie sind. Habe ja leider famose Augen. Aber zu denen, die wimmern und beten, wenn sie die ursprünglichen Brutalitäten der menschlichen Natur durch allen Firniß von Kultur und Religion immer wieder vorschlagen sehen – nein, zu denen gehör' ich nicht! Man muß auch ein bißchen den Mut haben, wahr sein zu können. Also da will ich dir was sagen: Ärzte und Pastoren gucken ja in viel 'rein. Und die meisten und die häßlichsten Konflikte hab' ich all mein Lebtage zwischen Eltern und Kindern beobachtet. Ich meine gar nicht die derben Fälle, wo's zu Streit, Gericht oder gar Mord und Totschlag kam. Ach nein, ich meine die feinen, versteckten, schleichenden Fälle, in den Familien, wo die Liebe herrscht und wo man sie aus Bedürfnis und Erkenntnis festhalten will, wenn nicht anders, wenigstens vor der Welt. Und immer, will ich dir sagen, gewann ich den Eindruck, es muß ja doch wohl von Anbeginn der Natur an so etwas von Wahrheit und vielleicht gar an Berechtigung drin stecken, dadrin nämlich, daß erwachsene Kinder die Feinde ihrer Eltern werden. Versteh' mich recht. Ich will die Familie nicht untergraben. Im Gegenteil, ich meine so: Gefahren und Komplikationen klar beleuchten heißt: sie leichter vermeiden. Vielleicht liegt diese latente Gegnerschaft im Gewand der Kindesliebe und Kindesdemut an vielerlei. Die Zeit kann Schuld haben. Jede Generation wird ja immer ein bißchen anders erzogen, wächst unter andern Eindrücken auf, als die vorhergehende! Zumal in unserm Jahrhundert! Wo die Kultur Siebenmeilenstiefeln anhat. In Parenthese: Gott mag wissen, wohin sie damit noch läuft! – Na, und da kritisieren die Kinder die Eltern. Ich hab' noch nie so scharfe Kritiker gesehen, als Kinder sind, den Eltern vis-à-vis. Neben den andern Werdebedingungen kommt manchmal auch 'ne falsche Eitelkeit ins Spiel für die Eltern – ein bevormundender Ehrgeiz. Junge Menschen sind meist abhängig von dem, was die Welt, die Freunde, die Berufskollegen sagen. Und wenn sie dann die unabhängigen, reifen Menschen, die ihre Eltern sind, so handeln sehen, wie sie fürchten, daß es ihrem Hinz und ihrem Kunz nicht gefiele – da fallen sie ihren Eltern in die Arme. Unversehens wollen sie ganz naiv, daß die Eltern lieber ihre Individualität verleugnen, als jenen Hinzen und Kunzen mißfallen sollen. Als drittes und wichtigstes kommt dann der Egoismus. Wenn aus Kindern Männer und Frauen wurden, wollen sie dasselbe, was die Eltern dürfen. Das ist auch ihr Recht, das kommt ihnen auch zu. Ohne Konflikte kann das ganz selten abgehen, bei denen beide recht und beide unrecht haben. Das gehört zu den unvergänglichen und unabstellbaren Leiden der Menschheit. Und Verstand und Liebe helfen alles ins Geleise bringen. Schlimm aber ist es, wenn dies Recht, neben Vater und Mutter stehen zu wollen, so weit ausgedehnt werden soll, daß ein Drüberstehen beansprucht wird. Das ist so dein Anspruch, mein Junge. Gott – du bist ja nicht der erste und wirst nicht der letzte sein! Wenn da eine Frau ist oder ein Mann, die sich wieder vermählen wollen, schreien die erwachsenen Kinder meistens Zeter.«

Hartard schwieg bedrückt.

»Nun?« fragte Zwota, in sein schmunzelndes Behagen zurücksinkend. »Hat dir dein alter Zwota ein paar Brocken zu verdauen gegeben?«

»Gewiß, lieber Herr Pastor – gewiß. Sie haben recht. Vieles hat mich getroffen,« sagte er halblaut, »aber geben Sie doch zu, daß es für einen Sohn ein peinliches Gefühl ist, daß es geradezu heikel ist, seinen Vater sich verliebt, liebegirrend zu denken.«

»Indem ich die Worte ›verliebt‹ – ›liebegirrend‹ für deinen Vater zurückweise, gebe ich dir zugleich zu, daß das wohl eigen sein mag. Kinder haben nun mal die seltsame Idee, daß ihre Eltern außerhalb aller Leidenschaften, sozusagen auf einem Postament stehen müssen. Wenn sie sich Vater oder Mutter noch beschäftigt denken mit denselben Leiden und Begierden, an welche sie selbst eben herantreten, so thut ihnen das weh, darüber habe ich schon oft nachgedacht. Das ist sehr, sehr tief. Es ist eine grandiose Ursprünglichkeit darin. Im Tierreich finden wir hier und da die Erscheinung: das Geschöpf zeugt und vergeht! Ich habe schon so oft die Beobachtung gemacht, daß allerfeinste psychologische Regungen sich seltsam decken mit Thatsachen aus dem Tierleben – daß man geradezu auf Atavismus schließen dürfte. Wenn sich das für mich schickte! Was es nicht thut.«

»Und Sie können sich denken,« sprach Hartard lebhaft und vom Gefühl getragen, Wind in sein Segel zu bekommen, bloß weil Zwota objektiv war, »Sie können sich denken, daß es doppelt peinlich ist, seinen Vater in Leidenschaften zu wissen, wenn man selbst liebt und eine Braut hat.«

Nun schlug Zwota auf den Schreibtisch, daß es klatschte.

»Natalie!« rief er vergnügt. »Da ist ja alles famos geordnet. Ich gratuliere zur Braut, die gutes Menschenmaterial ist, und zu Flieders, das also wieder fronhofensch wird.«

»Es ist nicht Natalie. Es ist die Gräfin Kleopha Lehben, die Sie als Schwester Kleopha an Mamas Krankenbette kennen lernten,« sagte Hartard.

Zwota sah ihn verdutzt an.

»So, so – so, so,« machte er.

»Das heißt: schlimm, schlimm,« rief Hartard, durch den bedenklichen Ton gereizt. »Ja wohl – ein herrliches, schönes, unvergleichliches Mädchen. Aber arm, sehr arm. Begreifen Sie nun meine Lage?«

»Sicherlich. Sie ist nicht leicht! Gibt dir aber immer noch nicht das Recht, deinem Vater sein Glück zu mißgönnen.«

»Mißgönnen? Bloß mißgönnen!« rief Hartard und sprang auf. »Ich verweigere es ihm! Sie mögen tausendmal recht haben mit Ihrer Rede über die latente Gegnerschaft zwischen Eltern und Kindern. Ich will zugeben: ich dürfte so im allgemeinen meinem Vater nicht verbieten wollen zu heiraten. Aber ich habe einen besondern Grund!«

Er trat an Zwota heran. Ihm war, als spiele er nun einen ganz großen Trumpf aus. Seine Augen funkelten. Aber Zwota saß ruhig.

»Das Andenken und die Ehre meiner Mutter will ich schützen. Wie darf mein Vater die Frau heiraten, die er schon zu Lebzeiten meiner Mutter geliebt! Und dagegen empören Sie sich nicht? Nicht Sie?! Aber ich habe es gethan, wenn auch nur in der Ohnmacht eines Waffenlosen. Ich habe sie aus unserm Haus gewiesen. Zum Danke hat mein Vater das Band zwischen uns zerrissen. Aber ich habe doch meine Mutter geehrt damit – ja, das habe ich.«

Seine Augen waren feucht – es schien, als treibe der Zorn ihm Thränen heraus.

»So, so – so, so,« murmelte Zwota wieder und sann vor sich hin.

Auf einmal hob er das Haupt. Sein Blick war scharf, seine Miene streng.

»Setz dich da mal wieder,« befahl er.

Er mußte die Leute bequem und fest unter seinem Blick haben, wenn er zu ihren Herzen sprechen wollte.

»Woher weißt du das?« fragte er.

»Was ...«

»Daß dein Vater und Alexandra sich schon lange lieb haben?«

»Ich erriet es – zweifelte wieder – hörte gleich nach Mamas Tod rohe Reden.«

»Geraten! Gezweifelt! Rohe Reden! O du ...« sprach Zwota mit aufsteigendem Zorn.

Sein ganzes Temperament war aufgewacht. Es zuckte ihm in den Fingerspitzen. Er sah plötzlich in dem Mann da nur noch den kleinen Jungen, den er als blind gehorchenden Schüler vor sich gehabt.

»Nein!« schrie er und schlug mit der Faust auf den Tisch. »Steh wieder auf. Hör stehend an, was ich dir von deinem Vater und von ihr sage!«

Und wie durch eine unsichtbare Gewalt emporgezogen, mit schwer klopfendem Herzen stand Hartard in Demut vor dem zürnenden Greis.

»Ja wohl – sie haben sich geliebt. Kündige deinem Vater nur Sohnesehrfurcht auf! Schreie nur die Moral zur Hilfe herbei! Ja wohl, sie haben sich geliebt. Und ich, Pastor Zwota, vor dem sich die Hüte lüften zehn Meilen in der Runde, weil sie meinen, ich sei ein reiner Mensch und bin bloß vielleicht ein unangefochtener – ich hab's gewußt und mit tragen helfen! Und Ihre Mutter hat's gewußt, und ist beinah darunter zusammengebrochen, die Vornehme, Feine, Schwache!«

Er stand auf. Er warf das Haupt zurück und sah neben Hartard hinweg mit strahlenden Augen, wie in schöne Fernen hinein.

»Es war ein großes Schauspiel. Es hat auch meinem alten stillen Leben Inhalt geben helfen. Es war, als wenn eine besondere Gewalt davon ausging, die auch mich mit hob und alle, die mit ihnen lebten. Es fing an – ach, so natürlich und, ach, so in heißen Kämpfen! Keiner weiß es, wie ich. Und keiner kann es dir sagen, wie ich. Sie selbst – sie schwiegen wohl davon – besonders vor dir! Bist du ein Mann, ein Mensch? Dann höre auf – für ein paar Minuten nur hör' auf, der Sohn deiner Mutter zu sein. Begreife, wie das war: Dein Vater, so alt wie du! Und an eine hoffnungslos gelähmte Frau gekettet. Er war leidenschaftlich unglücklich. Dann kam eine bittere Periode. Und in dieser erlosch wohl die Liebesleidenschaft für sein Weib. Ich zitterte, was werden würde. Es wurde etwas Heiliges! Aus der Asche der Jugendliebe, die naturgemäß sterben mußte, hob sich die Barmherzigkeit! Eine Barmherzigkeit von einer Kraft und Unsterblichkeit, wie ich sie noch nie gesehen! Und als die Prüfung kam, hielt sie vor, diese Barmherzigkeit. Sie leuchtete fort unter den schwersten Proben. Alexandra trat in sein Leben. Solange Königsegg lebte, hatte man sich selten gesehen. Ich war es, ich selbst, der die Witwe und die Kranke näher zu einander führte.«

Zwota atmete tief auf. Ihm war, als lebte er noch einmal jene heiße Zeit wieder durch.

»Sie fingen an, sich umeinander zu beunruhigen, sie standen in Flammen für einander, ehe sie es sich selbst noch gestanden. Um diese Zeit geschah etwas, das dir theatralisch vorkommen mag. Aber ich muß es hier sagen: Deine arme Mama, ein wenig hysterisch, wie sie war, machte sich immer Ereignisse, in denen sie eine Rolle spielte. Langsam war die Erkenntnis in ihr gereift, daß es unmöglich sei, von ihrem ihr angetrauten Manne unter den Umständen die Treue zu verlangen, die er ihr vor dem Altar geschworen. Reine, edle, aufopfernde Gefühle, eine bewundernswerte Entsagungsfähigkeit mischten sich sonderbar mit dem Wunsch, recht viel Wesens von diesen Gefühlen zu machen. Deine Mama arrangierte vor ihrem Bett eine feierliche Scene. Ich kann dir sagen, dein Vater und ich ließen uns mit Widerwillen dazu herbei und gingen aus ihr heraus in Thränen ernster Rührung. Das war wohl so natürlich – die Scene war gemacht, der tiefe Inhalt triumphierte! Deine Mutter schwor in meine Hände ihre Ehe ab. Sie wollte nur noch deines Vaters Schwester sein.«

Hartard weinte in sein Taschentuch hinein, seine ganze Gestalt bebte.

»Vor Gott und sich war er wohl frei. Vor der Welt hätt' er's jeden Augenblick sein können. Niemand hätte ihm kleine Liebschaften und Abenteuer verdacht. Aber er war nicht der Mann, sich sein Dasein fidel einzurichten. Er wußte, daß er Alexandra liebte – so wie schmerzgeprüfte Menschen lieben. Mit einer Leidenschaft – bis in den Tod. Und bald wußte sie es auch. Da kamen die Zeiten der Gefahren und der Kämpfe! Der Egoismus kam und sagte ihnen: wir könnten uns heiraten, wenn Albrecht sich von Christine scheiden ließe. Sie offenbarten sich mir. Sie brauchten keine Hilfe, keinen Freund. Sie waren stark genug allein! Aber dennoch – es war wie ein Bund gegen die lauernden Gefahren. O da waren tausend! Das Gerede der Menschen. Und die Feinde in ihnen! Denn daß du's nur weißt: meine liebe Freundin Lisa von Stechow lag der Tochter fort und fort in den Ohren, durch eine Vernunftheirat der Lage ein Ende zu machen. Und es fanden sich zähe Bewerber, die Alexandra und deinem Vater Qualen bereiteten. Denn er war rasend eifersüchtig. Nicht weil er ihr mißtraute. Aber sein Verstand sagte ihm, sie thäte recht daran, von ihm zu lassen, und sein Mannesstolz empörte sich, das Weib noch umworben zu sehen, das doch ihn liebte. Und er verzweifelte, weil er diese Liebe nicht bekennen durfte. Und sie, sie war aus ähnlichen tief verborgenen Gründen ebenso eifersüchtig.«

Mit einer Stimme, die vor Ergriffenheit bebte, sprach Zwota weiter:

»Ja, sogar der gesunde Menschenverstand ward ihr Feind. Der warf Fragen auf! Fragen, sag ich dir, die auch mir den Kopf schwer machten. Zum Beispiel: Da waren zwei, in der Jugend und Schönheit des Lebens prangend! Zusammen konnten sie eine Ehe voll Arbeit und Segen bilden, sich und vielen zum Heil. Und da war eine arme kranke Frau, eine taube Blüte am Baum der Menschheit. Sollten die Gesunden ihre Kräfte brach liegen lassen? Das Pfund, das ihnen gegeben war, vergraben? Sollte die Schonung der Kranken wichtiger sein? Dem Leiden also mehr Daseinsrecht zugebilligt werden als der Kraft? Fragen waren das, mein Junge, die ich alter Mann manchmal nur mit einem apage satanas verscheuchen konnte, denn mit der christlichen Weltordnung vertrug sich ihre vernünftige Lösung nicht. Aber die Barmherzigkeit siegte! Sie wuchs sich zum stillen Heldentum aus in deines Vaters Seele. – Siehst du – und so lebten sie glücklich-unglücklich dahin. Niemals trat die Hoffnung zu ihnen, und – großer Gott, daß ich das voll Stolz für meine lieben beiden sagen kann – nie der Wunsch, daß Christine davon gehen möge! Sie hatten sich ihr Dasein eingerichtet, es für Christine hinzuopfern. Alexandra, die junge, leidenschaftliche Frau, sie lernte durch deinen Vater die rechte Liebe kennen. Und er und sie vereinten sich, deiner Mutter Leben zu verschönen. Wie sehr – durfte ich an ihrem Sarge rühmen. Du hast es gehört.«

»Und hat Mama nie – nie – eine Ahnung ...« brachte Hartard mühsam heraus.

»Nie!« sagte Zwota voll Entschiedenheit. »Wir berieten oft und lange darüber, ob man ihr von dieser Liebe sprechen dürfe. Ich besonders riet ab. Wohl hatte sie in feierlichem Schwur deinem Vater entsagt. Ihre Empfindung half ihr die Zwangslage zu einer schönen That aufzufärben. Aber die Kenntnis einer solchen Liebe zu tragen – dazu hätte Größe gehört! Deine arme Mama war bezaubernd in der Art, sich tragen zu lassen. Aber selbst etwas tragen – das konnte sie nicht. Sie war ein rührendes Kind geblieben.«

Er schwieg, er hatte alles gesagt. Nach seiner Meinung mußten die Thatsachen den Sohn überreden wie mit flammenden Zungen, der Sohn mußte begreifen, daß er sich nicht zwischen den Vater und sein ihm endlich und so wunderbar doch noch erreichbares Glück stellen durfte.

Er wartete eine Weile. Hartard saß auf dem Stuhl am Fenster, mit dem Rücken gegen die Blumenpracht. Er hatte sein Taschentuch gegen sein Gesicht gedrückt.

Als Hartard sich aber gar nicht bewegte, dauerte Zwota das zu lange. Er liebte keine ausgedehnten Erregungen.

»Sie werden nie tiefer und heilsamer, wenn man mit ihnen herumzerrt,« pflegte er zu sagen. »Die müssen wie Gewitter sein, aber nicht wie Überschwemmungen.«

Er fing an, sich in der Stube zu beschäftigen, und dachte dabei nach, ob er nun mit Hartard gleich zu dessen Vater fahren und sie versöhnen solle oder ob er mit ihm erst zu Alexandra gehen müsse. Er war entschlossen, Hartard auf seinem Kanossagang beizustehen.

Die Ungeduld prickelte ihm in allen Adern. Endlich konnte er es nicht mehr aushalten. Mit einer ganz banalen Bemerkung wollte er das Gleichgewicht herstellen.

»Mein Junge,« sagte er, »übrigens sitzest du auf meinem Hut. Was ihm aber nicht schadet.«

Hartard schrak zusammen. Er ließ die Hände sinken. Mit matten Blicken sah er den alten Freund an.

»Alles – alles versteh' ich. Alles – alles ergreift mich. Ich würdige es! Gewiß! Aber da es die Schicksale meines Vaters – meiner Mutter sind – – ich kann nicht darüber hinweg!«

Nun stand Zwota, als habe vor ihm ein Blitz eingeschlagen!

Er hatte den Mann nicht überzeugt?! Er, Zwota! Seine letzten Worte und Gefühle daran gegeben, und der andre blieb taub!

»So – du bist einer von den Flauen, Albernen, die keine Liebe haben, sondern bloß einen Standpunkt?« rief er zornig. »Die mit dem Standpunkt haben so viele Sorten Moral. Wenn sie im Theater sitzen, heulen sie von Mitleid über eine Gefallene, die aufgehoben wird, und wenn sie so eine in Gesellschaft treffen, kehren sie ihr den Rücken. Wenn bei ihrem Nachbar Müller ein verlorener Sohn ist, empören sie sich über die Härte seiner Eltern, und wenn ihr eigner Bengel zehn Pfennige stiehlt, möchten sie ihn gleich verleugnen. Also so einer bist du! – Wenn du deines Vaters Geschichte in einem Roman liest, hätt'st du Mitleid und Verständnis! Aber da es in praxi dein Vater ist – ja, da kannst du nicht über das Ungewöhnliche hinweg! Dein Standpunkt als Sohn erlaubt es nicht,« schloß Zwota beinah höhnisch.

Hartard schien ganz kraftlos zu sein. Er legte die Stirn auf die Schreibtischkante. So saß er da wie einer, der Thränen verstecken will.

Keinen Blick ließ Zwota von ihm.

»Ja, mein Junge,« sagte er langsam, »dann haben wir wohl nichts mehr zusammen zu reden. Und ich muß nun fort. Willst du hier bleiben? Es steht dir frei. Denn heimkehren wirst du wohl nicht wieder mögen? Ich kann nicht weiter in dich 'rein reden. Der alte Zwota hat was Wichtigeres zu thun. Er muß mal nach dem Manne sehen, der keinen Sohn mehr hat.«

Da fuhr Hartard auf.

»Nein,« schrie er, »nein!«

Und er fiel dem alten Mann um den Hals.

Zwota stand ganz still und ließ den andern auf seiner Schulter weinen. Er fühlte: da weinte ein Kind!

Ein Kind, das seinen Weg zur Liebe mit einemmal wieder vor sich sah.

Und dann nach einer ganzen Weile sagte er leise und schelmisch, während ihm die Augen feucht wurden:

»Na, da gehst du wohl am Ende doch mit zu dem Mann ...«

»Wird er mir verzeihen können?« fragte Hartard und richtete sich auf.

»Verzeihen?! Gewiß!« sprach der alte Mann sehr ernst. »Aber siehst du, mein Junge – Wunden hast du geschlagen, hast auch selbst gelitten! Dazu gehört dann viel innere Freiheit – sehr viel, von beiden Seiten, wenn das auf einmal wieder der alte Sonnenschein sein soll. Hast du schon mal nach'm Sturm gesehen, daß nichts zerbrochen war? Kein Zweiglein und keine Blüte? Ein ernstes herzliches Wort – ein langsamer Ausgleich – wir müssen's eben abwarten!«

»Ich will mir seine Achtung erringen. Ich will arbeiten – irgendwo – so bescheiden, wie's auch sei – ihn nie mehr fühlen lassen, daß er mir im Wege stand,« sagte Hartard mit noch unklarer Stimme. »Das war ja mit in allem – das egoistische Wünschen ...«

»Bravo! Man kann nie hart und klar genug gegen sich sein, wenn man auf Reuewegen geht!«

»Lassen Sie uns schnell ...« bat Hartard.

»Ja, was heißt schnell?« sagte Zwota; »vier Pferde vor, das ist nicht. Ehe wir zum Bauern schicken und das Wägelchen anspannen lassen, mein' ich, die Füße tragen besser. Und weißt du – ich mein' immer: wenn man geht, hat man auch immer das Gefühl, man bringe seine Sache vorwärts, indem man sich selbst vorwärts bringt.«

So gingen sie denn, und im schnellen Ausschreiten meinte Hartard schon zu spüren, daß ihm leichter ums Herz wurde, daß ihm die Hoffnung hoch und höher wuchs.

Sie sprachen nichts mehr. Zwota war mit Reden und Schweigen ein kluger Walter, er brachte beides stets zur rechten Zeit zur Wirkung.

Und es that Hartard so wohl, schweigen und denken zu dürfen. Es war so eine naive Kinderzuversichtlichkeit in seine Seele gekommen. Der Vater würde und mußte verzeihen, glücklich lachend verzeihen. Warum – weil er eben der Vater war.

Zahllose Kindheitsgeschichten fielen ihm ein, wo er wirklich Strafe verdient, und wo er nachher mit klugen Kinderaugen wohl beobachtet hatte, wie glücklich die Eltern waren, das Wort »verzeiht« zu hören, bloß weil sie dann nicht mehr zu zürnen brauchten. Die Einsicht des kleinen Sünders war ihnen lange nicht so wichtig gewesen, wie ihrem Herzen die Befreiung vom Zwang der Strenge. So schien es, war es das Metier und die Freude eines Vaterherzens, vergeben zu dürfen.

Er vergaß ganz, daß er nicht als Knabe den Vater, sondern als Mann den Mann beleidigt hatte.

Sie kamen nach Rethen. Hartard meinte nicht zwei Stunden, sondern ein paar Minuten gegangen zu sein.

Als er die Pappeln auftauchen sah, die hinterm Wirtschaftshof standen und weit in der Ebene sichtbar waren, begann sein Herz in drängender Unruhe zu schlagen.

»Herr Pastor!« sagte er.

Zwota hörte den zaghaften Ton.

»Ja, ja, mein Junge,« antwortete er kopfnickend, »es war sehr richtig, daß ihr auf die Koppel Thomasschlacke brachtet.«

Da Zwota so that, als habe Hartard ihn auf den Zustand der Koppel aufmerksam machen wollen, an der sie gerade vorbeischritten, fühlte der junge Mann, daß sein alter Freund nicht mehr mit ihm sprechen wolle.

Er schwieg wieder. Noch zehn Minuten. Da war das Haus ... Der Landauer mit den Braunen stand vor der Thür, und Baum saß auf dem Bock.

Ausfahren wollte sein Vater? Aber das war ja gar nicht möglich ...

Hartard lief fast. Es gab kein Besinnen mehr. Eine Minute des Nachdenkens: was sag' ich? wie tret' ich vor ihn hin? hätte ihm allen Mut geraubt.

Durch die Halle stürzte er und riß die Thür auf ...

Sie standen einander gegenüber, Vater und Sohn –

Sehr bleich, erschreckend bleich der Vater, den Arm in Bandagen, den Mantel lose auf den Schultern – atemlos und zitternd der Sohn.

»Du wünschest?« fragte Albrecht.

Der kalte fremde Ton zerriß dem Sohn das Herz.

Er ging auf seinen Vater zu und faßte nach dessen freier Hand.

»Kannst du mir vergeben, Vater?« fragte er leise.

Ach dies war so anders, als er es sich gedacht. Kein jubelndes Sichwiederfinden, kein glücklich lachendes Verzeihen, ein nüchternes, verlegenes, stimmungsloses Begegnen war es.

»Nicht mich allein hast du beleidigt. Also nicht ich allein habe Vergebung zu verschenken,« sprach Albrecht.

Es schien, das Stehen greife ihn noch an. Wie ein sehr Ermüdeter setzte er sich.

Hartard glaubte verzweifeln zu müssen. Dieser Ton ... das war kein Ton aus einem warmen Vaterherzen! Und dann diese ersichtliche Körperschwäche, dies bleiche Gesicht ...

»Vater,« flehte er heiß, »vergib mir. Und laß mich auch sie um Vergebung bitten, die du liebst und die ich so beleidigt habe.«

Albrecht schloß die Augen. Um seinen Mund ging ein bitteres Zucken.

»Vater, lieber Vater!« bat Hartard und Thränen traten in seine Augen.

»Er meint es von Herzen, unser Junge,« sagte Zwota von der Schwelle her. »Er hat es eilig: er will sich Ihre Liebe und Achtung wieder erwerben und die unsrer Alexandra erst recht.«

»Ja, Vater, ganz gewiß, Vater!« beschwor Hartard.

Albrecht lächelte ein wenig.

»Nun,« sagte er, »wenn die Reue kommt und bittet und unser Pastor mit der christlichen Milde als Überreder in Sicht ist, was soll ich dann thun als vergeben?«

Es war ein mattes Wort.

Hartard fühlte es mit verzehrendem Schmerz. Ja, Zwota hatte wohl recht gehabt: wo solche Risse gewesen waren, konnte nicht gleich ein glattes Zusammenwachsen erfolgen.

Wenn da für immer Narben blieben? Wenn er nie, nie den Vater wiederfände, den er einst besessen? Sondern bloß einen Vater, mit dem er in einem höflichen Frieden lebte, dessen Herz aber kalt für ihn bliebe – ganz kalt.

Er küßte seinem Vater die Stirn.

»Ich danke dir,« sagte er heiser, »und wirst du mich mit zu – zu – deiner zukünftigen Gattin nehmen, daß ich ihr die Hand küssen darf?«

»Gewiß,« sprach Albrecht, »dieser Gang ist deine nächste Pflicht. Und Zwota macht uns sicherlich die Freude, uns zu begleiten.«

So nah ihnen beiden Zwota stand, so überaus nah – in diesem Augenblick, meinte Hartard, hätte er allein sein müssen mit seinem Vater. Aber es war klar, Albrecht wollte nicht allein sein mit dem Sohne, darum lud er sich einen dritten ein zur Mitfahrt.

Schwerer und hoffnungsloser ward es in Hartards Seele.

Sie fuhren zu dritt nach Hörstel. Albrecht ermattet zurückgelehnt, Zwota aufrecht und lebhaft allerlei allgemeine Gespräche führend. Hartard antwortete auf Fragen und nahm selbst das Wort.

Aber doch war es, als säßen da fremde Männer beisammen, und so flehend der Blick des Sohnes das Auge des Vaters auch suchte – nie trafen ihre Blicke sich. Albrecht sah ins Weite.

Ach, besser war Hartard zu Mute gewesen vorhin, als er in freudiger Reue diesen Weg daher gekommen war, den noch unversöhnten Vater aufzusuchen. Nun war das Wort »Vergebung« von ihnen beiden gesprochen worden.

Und eine völlige Hoffnungslosigkeit schien über dem ganzen künftigen Leben zu liegen.

»So wird auch sie mir verzeihen, so äußerlich, so kühl! Die Welt wird nicht sagen können, daß Vater und Sohn in Unfrieden leben – aber ich, ich weiß, daß dies kein echter Friede ist.«

Kleopha fiel ihm ein. Seine Bangigkeit wuchs und wuchs. Wie sollte er sie nun seinem Vater zuführen? Sie dem Schmerz aussetzen, Höflichkeit zu empfangen, wo sie Liebe heischend kam? Und würde sie sich nicht von ihm wenden, wenn sie nun alles erfuhr, wie Zwota es ihm gesagt?

»Wenn mein Vater und sein Weib mich nicht lieben, wie soll ich dann noch gar Liebe für meine Braut von ihnen fordern?«

Der Wagen bog in die Ulmenallee.

»Stehen da nicht zwei Damen in Schwarz auf der Terrasse?« fragte Zwota.

»Alexandra und ihre Mutter,« meinte Albrecht.

»Nein. Meine liebe Stechow trauert nicht. Es ist auch eine Junge,« sagte der Pastor, der Falkenaugen hatte.

Albrecht reckte sich ein wenig, um zu sehen, aber sie waren schon verschwunden.

Auch die Frauen hatten den Wagen bemerkt und die Insassen erkannt.

»Geh in mein Arbeitszimmer – da hinein – ich bitte dich – bleibe dort – ich rufe dich – es ist zu viel auf einmal –« sprach Alexandra hastig.

Zu viel Gedanken und Vorstellungen auf einmal überstürzten sie.

Vater und Sohn kamen zusammen. Da gab es nur eine Deutung: sie hatten sich versöhnt, und Albrecht führte ihr einen Reuigen zu.

Sie stand mit zitternden Knieen und suchte sich zu fassen.

In diesem Augenblick wallte, so menschlich und natürlich, ein heftiger Groll gegen Hartard in ihr auf. Aber sie wollte ihn niederzwingen – sie wollte. Sie begriff selbst nicht, woher ihr der mit einemmal so aufgärte – ihr, die schon verziehen hatte. So im tiefsten Untergrund ihrer Seele mußte doch ein Bodensatz von Zorn gewesen sein, der nun emporschwoll und sie selbst überraschte.

Während Kleopha in das Zimmer ging, wie es ihr Alexandra anbefahl, stiegen die Männer langsam die wenigen Stufen empor, die vom Portal zu Alexandras Wohnung führte.

Albrecht stützte sich auf Zwota. Der Sohn hatte nicht gewagt, seine Hilfe anzubieten. Er ging hinterdrein, ein Trauriger und Kleiner.

Und kaum öffnete sich die Thür, so eilte Alexandra auf den geliebten Mann zu.

Sie achtete weder der Gegenwart des Sohnes noch Zwotas.

Mit einer Gebärde leidenschaftlicher Sorge und Liebe umschlang sie mit ihren beiden Armen den etwas Hilflosen. Und ihr Auge war groß und bang auf sein bleiches Gesicht gerichtet.

»Mir geht es gut,« sagte er, auf diesen Blick beschwichtigend antwortend, »in zwei, drei Tagen bin ich der Alte.«

Sie geleitete ihn zu einem Lehnsessel, hockte vor ihm nieder und hielt mit ihren beiden Händen seine Rechte umschlossen.

Sie sahen sich an. Lang, lang.

Es schien, als hätten sie vergessen, daß sie nicht allein waren.

Und Hartard stand von fern und fühlte, daß ihm die Augen naß wurden.

Er sah die unendliche Hingabe dieser Frau, jede Miene, jeder Blick, jede Gebärde sprach von Liebe, von Ergebung, von Duldung.

Und auf einmal war ihm, als ob es ihm entschwände, daß der blasse Mann da sein Vater war.

Er sah zwei stolze, edle Menschen, die unsäglich gelitten hatten und deren Leiden er noch vermehrte.

Mit einemmal war er an ihrer Seite. Alexandra erhob sich und stand vor ihm.

»Verzeihen Sie mir,« bat er.

Er wollte sagen: »Wie auch mein Vater mir vergeben hat.«

»Nein,« schrie es in seinem Innern, »vergib du mir anders! Wahrer! Aus deinem tiefsten Herzen.«

Alexandra erglühte. Sie ließ ihm ihre Hand, die er voll Ehrfurcht küßte.

»Gern will ich vergeben,« sagte sie mit unsicherer Stimme.

Und nach einer kurzen Pause fügte sie hinzu: »Das Vergeben allein kann uns nicht helfen.«

Sie sagte es traurig. Und Albrecht seufzte. Zwota, am Fenster, verhielt sich still.

»Sie wird schon finden, was hier sonst noch helfen kann,« dachte er, »sie hat das Genie der Liebe.«

Hartard glaubte etwas sagen, versprechen, beteuern zu müssen.

Er fand kein armes kleines Wort. Er dachte immer nur: »Auch sie vergibt mir nur äußerlich.«

Leise, mit schmeichelnder Zärtlichkeit flüsterte Alexandra, während ihre Hand Albrechts Haar streichelte: »Willst du einmal, einmal im Leben mich die Herrin sein lassen über uns alle?«

Er griff nach ihrer Hand und hielt sie gegen seine Wange.

»Wie sollte ich nicht?« Dein ganzes Dasein hast du mir gegeben. Fünfzehn Jahre lang war jeder deiner Tage ein Opfer, mir gebracht. Wie sollte ich nicht? Aber was hast du vor?«

Er sah ihr aufmerksam in das Gesicht. Es war sehr bleich und hatte einen besondern Ausdruck ernster Entschlossenheit.

Sie ging raschen Schrittes auf die Thür ihres Arbeitszimmers zu.

Drinnen stand Kleopha und wartete zitternd.

Alexandra nahm das junge Mädchen bei der Hand.

»Komm,« sagte sie, »zu seinem Vater.«

Kleopha wurde ganz rot. Jetzt gleich? So unvorbereitet? War dies nicht Hartards Amt und Pflicht, sie seinem Vater zuzuführen? Aber zum Besinnen war keine Zeit. Sie mußte der führenden Hand folgen. Ihre Füße trugen sie kaum. Nur unklar sah sie den blassen Mann, der in der Haltung eines schwer Ermüdeten im Sessel saß. Nur undeutlich hörte sie die tiefe Stimme Alexandras sagen:

»Hier Albrecht – laß mich es sein, die dir deine Tochter bringt.«

Hartard schrie beinah auf.

»Du – du?« rief er. »Hier? Wo kommst du her?«

Aber es war, als höre Kleopha ihn gar nicht. Sie kniete neben Albrecht nieder, hob in stummer, leidenschaftlicher Bitte die gefalteten Hände zu ihm empor. Sie konnte nicht sprechen.

Lange und tief sah Albrecht in dies junge Angesicht, dessen Ausdruck ihm beredt genug war – er las, was in der angstvollen Seele vorging.

Er legte seine Rechte auf ihr Haar.

»Ihr habt wenig Vertrauen zu mir gehabt, meine Kinder,« sprach er wehmütig. »Aber da sie es ist, die dich mir bringt, denke ich, du hast wenigstens ihr vertraut.«

»Ja,« rief Kleopha, sprang auf und fiel Alexandra um den Hals, »man muß sie lieben, man muß ihr vertrauen. Wie könnte man anders!«

Albrecht sah gerührt auf die beiden Frauen. Es war so menschlich, daß Kleopha seinem Herzen gleich tausendmal willkommen war, weil sie in Liebe an seiner Heißgeliebten zu hängen schien.

»Ich bin der Ausgestoßene, ich,« dachte Hartard bitter. Die ganze Scene war ihm wie Vorwurf und Strafe.

Zögernd kam er heran.

»Ich danke dir, Vater,« sprach er, »daß du ... daß dir Kleopha ...«

»Hartard,« sagte sie lebhaft und wandte sich ihm zu, »du weißt nicht, was dies bedeutet? Woher ich komme? Dein Brief hat mich erschreckt. O, du ahnst nicht, wie. Da machte ich mich auf und bat diese edle, liebe Frau, daß sie dir verzeiht.«

»Kleopha!«

»Ja, ich konnte nicht anders, denn du hast unrecht.«

Er fiel ihr um den Hals. Sie standen stumm.

»Hartard,« sprach Alexandra, »ich habe dir verziehen, denn ich habe ganz gut begriffen, wie es in dir aussah. Es kam so viel zusammen für dich, nicht wahr? Ich darf alles sagen? Es soll kein Rest bleiben? Darf ich es dir und uns gestehen? Du sahest deinen Vater zwischen dir und Rethen stehen. So fing es an. Und dann sahest du mich zwischen dir und deinem Glück stehen? War es nicht so? Und der Trauer um deine teure Mutter mengte sich allerlei bei: Trotz, Selbstsucht, Zorn. Gott, es war so menschlich. Zwota, unser Freund, der wird uns sagen, daß alles so menschlich war. Und dann kann man es auch verzeihen.«

Hartard war tief erschüttert.

»Ja,« murmelte er, »ja – ich glaube, so war alles – und ich war sehr unglücklich.«

»Aber nicht wahr, Albrecht, nun wollen wir klare Gedanken und klare Verhältnisse?«

Sie trat neben Albrechts Stuhl, sie faßte nach seiner Rechten und umschloß sie mit eisernem Druck. Ihr bangte doch vor dem, was sie sagen wollte.

Und es war Albrecht, als wittere er, daß er etwas hören solle, das ihn treffe. Mühsam erhob er sich und zog das Weib an sich. Er mußte sie halten und fassen. Und sie hatte die gleiche Empfindung. Sie drängte sich fest an ihn. Aus dem Schutz seines Armes heraus sprach sie weiter:

»Dein Vater, lieber Hartard, liebt mich genug, um nicht zu rechnen zwischen dem, was mein und sein. Wir werden uns vermählen, sobald wir dem Andenken an deine Mutter die übliche äußere Ehre gegeben haben. Daß wir sie in unserm Herzen immer lieben und ehren, weißt du. Damit du aber nicht mehr denkst, daß deines Vaters neues Glück dir etwas nimmt, was dir sonst geworden wäre, wird er bei mir wohnen und Herr auf meiner Scholle sein. Dir aber läßt er Rethen – sei du der Herr, damit du nicht der Feind bist.«

Die letzten Worte rief sie voll Leidenschaft. Unversehens hatte der Zorn sie wieder übermannt, wieder wie vorhin war er wie ein Blitz in ihre großmütige Seele gefahren und hatte ihr ganzes Gemüt entzündet.

Alles, was der Mann, den sie liebte, durch den Sohn gelitten, stand vor ihr.

Hoch aufgerichtet, aus Albrechts Arm losgerissen, stand sie vor Hartard, die Hand gegen ihn ausgestreckt.

Eine schwere Pause entstand.

Hartard atmete kurz – sein Gesicht war bleich. Zwota und Kleopha hingen in äußerster Spannung mit ihren Blicken an seinem Angesicht.

Alexandra wandte sich zu dem Geliebten. Er war blaß geworden, so blaß, daß sie sich entsetzte.

»Albrecht,« flüsterte sie, »zürnst du mir? Weißt du nicht, daß auch ich stolz gewesen wäre, in dein Haus als Herrin zu ziehen?«

Er sah sie an. Die vergangenen Jahre voll Liebe und Leid zogen an ihm vorüber. Er begriff, daß es diesem stolzen Weib eine tiefe Genugthuung hätte sein müssen, seine Schwelle, die sie so oft in Hoffnungslosigkeit betreten, von der sein Sohn sie verwiesen, mit hocherhobenem Haupte zu überschreiten.

Da endlich fand Hartard Worte.

»O mein Gott,« sagte er, »wie laut muß meine Selbstsucht geschrieen haben – wie deutlich muß sie auf meiner Stirn stehen, daß du mir das anbietest – das geben willst. Nein, nein – nein!«

»Er lehnt ab,« murmelte Zwota und drückte heftig Kleophas Hand – denn er sah's dem Mädchen wohl an, was ihr an Hartards Entscheidung hing.

»Niemals,« fuhr Hartard leidenschaftlich fort, »niemals wird das geschehen. Mein Vater führe dich in sein Haus, und ich will die Stunde segnen, wo er es thut. Willst du mir helfen, Vater, mir ein Heim gründen, eine bescheidene Scholle finden, wo ich Brot gewinne für mein Weib – so schulde ich dir heiße Dankbarkeit. Und will Kleopha mein geringes Los teilen, so schulde ich auch ihr heiße Dankbarkeit – – mehr nehmen kann ich nicht von dir – mehr geben kann ich ihr nicht.«

Schon hing Kleopha an seinem Halse.

»O – ich will mit dir arbeiten,« rief sie jubelnd, »ich liebe dich – ich liebe dich.«

Sie war wie in einem Rausch des Glücks. Sie hatte ihn ganz wiedergefunden.

Hand in Hand, mit nassen Augen sahen Albrecht und sein künftiges Weib auf das junge Paar.

Zwota nickte beifällig vor sich hin: er hatte es ja gewußt, die Frau besaß das Genie der Liebe. Und die Größe der Gesinnung, die ein Opfer bringen will, fühlt es als eine Belohnung und als Dank, wenn ein Opfer so zurückgewiesen wird.

Da löste Hartard sich aus der Umarmung und trat vor seinen Vater hin. Ernst stand er vor ihm. Seine Lippen zuckten, sein Auge war naß, aber doch hielt er den Blick gerade in seines Vaters Blick.

»Ich bitte dich noch einmal um Verzeihung,« sprach er feierlich, »nicht als dein Sohn! Nicht aus heißem Dankgefühl gegen die Hohe, die du mir zur zweiten Mutter geben willst! Ich bitte dich als Mann den Mann: verzeihe mir!«

Da hob Albrecht den Arm, den Sohn an sich zu ziehen.

Und der Sohn sah, daß das Licht der Liebe ihm wieder aus den Augen strahlte, die die Sonne seiner Kindheit gewesen.

In leidenschaftlichem Glück warf er sich an seines Vaters Brust.

Lange und stumm hielten sie sich umschlungen. Zwei Männer, die fortan Schulter an Schulter zu finden sein würden, wenn das Leben sie aufriefe.


Druck von Velhagen & Klasing in Bielefeld.


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