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Erstes Kapitel


Albrecht Michael von Fronhofen saß nah am Bette seiner Frau und las ihr einen Brief vor. Sie lag regungslos, gerade auf dem Rücken, und ihr Angesicht wandte sich um keine Linie breit dem Lesenden zu. Ihre großen Augen waren weit geöffnet, und die dunkle Iris darin stand ganz nach rechts. So hing ihr Blick am Munde des Gatten. Ihr schmaler Kopf, mit dem vollen Blondhaar, das vom Scheitel aus in Bandeaux an Schläfen und Wangen niederging, und mit dem feinen Gesicht, dessen Züge alle etwas in die Länge gezogen waren, lag auf dem weißen Kissen wie auf einem Hintergrund, der ganz besonders für ihn ausgesucht schien. All' die blassen Farben des Haares, der Wangen, der Leinwand stimmten köstlich zusammen. Das dunkle Auge, in welchem der Ausdruck mühsamen Horchens und gespannter Aufmerksamkeit lag, gab dem ruhenden Frauenbild Leben. Die langen, bleichen Hände hatte Frau Christine mit ausgestreckten Armen glatt auf die weiße Bettdecke gelegt. Links neben dem Lager erhob sich die blaßgrüne Zimmerwand.

»Bitte, noch einmal,« bat Frau Christine mit ihrer leisen, angenehmen Stimme. Und er las gefällig noch einmal. Er wußte, es war ihrer Schwäche nicht möglich, alle Sachen gleich beim ersten Hören zu fassen oder gar zu übersehen. Aber er dämpfte seine Stimme nicht; so volltönig sie war, sie that seinem Weibe niemals weh.

 

»Lieber Vater! In drei Tagen bin ich wieder bei Euch. Endlich, endlich! Wie ich mich auf Dich, auf Ma, auf unser liebes Rethen freue, das kann ich Dir nicht beschreiben. Ich müßte dazu ein Dichter sein und Hymnen der Heimatliebe singen können. Denkt nicht, daß die große, weite, schöne Welt mich einen Augenblick unser einziges Rethen vergessen ließ. Aus Mas letzten Bleistiftzeilen – die ich übrigens sehr gut lesen konnte und für die ich Ma die schönen, lieben, edlen Hände küsse – schien mir so'n bißchen die Furcht herauszugucken, daß es mir nach meinen beiden Reisejahren in Frankreich und Italien nicht mehr bei Euch auf dem Lande gefallen könne.

Das war nun ein Sorgengedanke, wie er nur in Mas allzu liebevollem Herzen entstehen konnte. Du weißt es, lieber Vater, daß mein brandenburgisches Herz nie unsern Kiefernwäldern, unserm Sande, unsern stillen, kleinen Seen untreu werden konnte. Und obenein: ich bin ein Fronhofener! Mein ganzes Wesen ist an die Scholle gebunden, welche seit fünf Jahrhunderten im Besitze unsres Geschlechts gewesen. Von diesem Geschlecht sind wir nur noch unsrer zwei, Vater, Du und ich. Oft denke ich deshalb, als Euer einziger Sohn, als Euer einziges Kind daran, daß es meine Pflicht sein wird, bald zu heiraten. Ich werde mich unter den Töchtern ebenbürtiger Familien umsehen. Mit fünfundzwanzig Jahren an eine Ehe zu denken, scheint mir nicht zu früh, wenn ich mir sage, daß Du, lieber Vater, zweiundzwanzig warest, als Du Ma freitest. Und wie glücklich fiel Euer Bund aus! Trotz des Leidens, das Mama schon bald nach meiner Geburt befiel und sie nun schon so endlos lange Jahre als eine Gelähmte an das Bett fesselt. Meine lieben, teuren Eltern – wenn ich dies alles bedenke, so weiß ich nicht, wen ich mehr verehren, ja anbeten soll: die immer zufriedene Dulderin oder den immer heitern Mann. Was in jeder andern Ehe zum Unglück hätte führen können, hat bei Euch nur noch die Liebe vertieft.

Ich male mir die Zukunft herrlich aus: mein Weib und meine Kinder werden in Mas Zimmer ein neues, fröhliches Leben bringen; und anstatt der verhältnismäßigen Einförmigkeit, die jetzt Ma umgibt, werden sich fortan die Interessen in ihrem Leben förmlich drängen. Ich selbst werde Dir, teurer Vater, alle Mühen und Lasten des Lebens abzunehmen trachten; meine beiden Jahre auf der landwirtschaftlichen Hochschule und die beiden weiteren Jahre, während welcher ich beim alten Neubauer als Volontär tüchtig in der Praxis heranmußte – sie sind nicht verloren gewesen. Unser Rethen wird auch unter meinen Händen weiter blühen und gedeihen. Der Gedanke, daß Du Dich fortan mehr, vielleicht bald ganz ausruhen und Dich ganz Ma und Deinen Liebhabereien widmen kannst, der Gedanke macht mich fast stolz. Thätig zu sein ist für mich der schönste Zukunftstraum; ein noch schönerer aber, in meiner Thätigkeit Dein Lob zu erringen.

Wenn ich so von ›Weib und Kind‹ spreche, lächelt Ihr vielleicht und habt den Verdacht, daß ich schon bestimmte Pläne faßte oder gar schon heimlich verlobt bin. Nein. Ich werde nie ohne Liebe heiraten. Aber ich hoffe, daß es nicht schwer sein wird, in unseren Kreisen ein liebenswertes Mädchen zu finden.

Ich will diese Zeilen nicht schließen, ohne Dir, lieber Vater, noch einmal herzlich zu danken für das große finanzielle Opfer, welches Du gebracht, indem Du mich zwei Jahre reisen ließet. Zwar hatte ich mir diese Reise eigentlich nicht selbst gewünscht, allein ich fühlte wohl, daß ich noch zu jung war, um auf Rethen in Deine Fußstapfen zu treten, und da sagte ich mir denn: Reisen kann mir Erfahrung bringen, ich kann mich überall umthun und diesen und jenen Gewinn auch für Rethen aus den Beobachtungen ziehen, die ich an dem landwirtschaftlichen Betriebe anderer Völker mache. In dieser Beziehung komme ich auch nicht mit leeren Taschen heim.

Ein kindliches Vergnügen empfinde ich auch daran Dir sagen zu können, daß ich das Geld, welches Du mir vierteljährlich sandtest, gar nicht ganz verbraucht habe. Ich bringe noch fast zweitausend Mark wieder mit heim, die Dir abliefern zu können, mir ein Heidenspaß ist. Weißt Du, Pa, ich fühlte mich immer beinahe getrieben, Deine kolossale Anständigkeit auch mit einiger Anständigkeit zu erwidern: Du knausertest nicht, da wollte ich nicht verschwenden. Wir sind ja keine Rothschilde. Nicht mal von weitem. Durch drei Generationen haben die Fronhofener zu viel Töchter gehabt, und da hieß es für die Majoratsherren immer sparen, sparen, um die Töchter zu versorgen, wenn sie ledig blieben, und standesgemäß auszusteuern, wenn sie heirateten. Denn eine Fronhofen konnte nicht mit leeren Händen zu ihrem Gatten kommen. Die Befreiungskriege haben uns auch einen fürchterlichen Stoß gegeben. Damals verloren wir Lorin und Flieders. Seither ist Rethen unser einziger Besitz. Es ist ein schöner, und ich bin stolz auf ihn und liebe ihn mit der Leidenschaft, die mir durch zwölf Generationen Vorbesitzer anererbt sein muß, denn mir ist immer, als sei Rethen ein Stück von mir selbst. Ich würde jedes Los verschmähen, außer dem: auf Rethen als Herr zu sitzen. Aber ich weiß: die Einkünfte langen gerade zu anständigem, standesgemäßem Leben. Nicht weiter.

Dies sag' ich Dir alles, damit Du nicht fürchtest, ich sei dem Fehler so vieler Kinder verfallen, die den Vermögensstand ihrer Eltern überschätzen und ungemessene Vorstellungen von dem haben, was sie von ihnen fordern oder erwarten dürfen.

Diesmal kann ich mit dem bezauberndsten Worte schließen, welches die deutsche Sprache kennt, mit dem Worte: Auf Wiedersehen!

Freudig und dankbar

Dein treuer Sohn
Hartard Michael.«

 

Die leidende Frau schloß nun die Augen, wie sie immer pflegte, wenn sie gesammelt nachdenken wollte. Und der Mann faltete den langen Brief zusammen, steckte ihn wieder in den Umschlag und reihte ihn dann zwischen die Papiere seines Taschenbuchs ein. Er stand auf und ging schweigend, die Hände in den Taschen seiner umgürteten Joppe, im großen Zimmer auf und ab.

Die Glasthür des Raumes, zwischen zwei hohen Fenstern, stand offen. Albrecht von Fronhofen trat hinaus. Ein mäßig großer Altan, von einer Steinbalustrade umschränkt, war hier angebaut. Er erhob sich nur um Manneshöhe über den Erdboden, denn das Zimmer lag im Hochparterre. Wilder Wein und weißblühende Gundelrebe waren von unten heraufgeklettert und deckten die Krönung der Balustrade mit einem dicken Polster. In einer Ecke des Altans stand ein Blumentisch, auf dem es glühendrot von Pelargonien blühte.

Albrecht von Fronhofen stand und sah in den Park hinaus. Ein Rasenparterre trennte ihn von dem Schlosse. Inmitten dieses Rasens, von einem breiten, gelbbestreuten Wege umzirkelt, erhob sich aus einem großen, runden Blattpflanzenbeet eine alte Statue. Ihr Sandstein war porig und brüchig. Grau und trocken im Nachmittagssonnenschein stand sie da, eine Diana vorstellend, die ihren langen Leib und ihre abstehenden Brüste kaum unter einem Peplum verbarg und deren lange Arme und Beine ebenso gezierte Linien zeigten, wie der übermäßig kleine Kopf. Es war eigentlich eine scheußliche Statue, aber vor dem grünen Hintergrund der Ulmenwand machte sie sich sehr malerisch.

Obgleich Albrecht von Fronhofen im Grunde an ganz etwas andres dachte, fiel ihm, als er so hinaus sah, ein, daß er diese Diana einmal billig gekauft hatte.

»Die fünfzig Mark waren gut angelegt. Wenn Christine herausgeschoben wird, hat sie doch immer wieder Spaß daran. Es ist auch wahr: der alte Sandstein wirkt dekorativ.«

Das zog ihm so durch den Kopf. Dann, in das tiefe Hochsommergrün des dichten Parkes sehend, las er wieder im Geiste im Briefe des Sohnes.

Dieser Sohn hatte dem Vater geschrieben, daß er ihm alle Lasten des Lebens abnehmen wolle.

Da stand aber dieser Vater, ein Mann von achtundvierzig Jahren, mit Schultern, breit und kräftig genug, noch viel mehr Lasten zu tragen, als ihm das Leben bisher überhaupt zugemutet hatte. Sein Gesicht war dunkel. Die Fronhofener waren fast immer brünett. Albrecht Michael brachte von vierzehn Tagesstunden gewiß immer fast zehn im Freien zu. Und die Luft hatte seine brünetten Farben noch tiefer getönt. Brauner Augen Feuerglanz blitzte lebensfröhlich unter den starken Brauen. In seinem beinahe schwarzen Haar mochten an den Schläfen hier und da einige Silberfäden sich verstecken, jedenfalls bemerkte man sie kaum. Und so, mit seinem starken Schnurrbart und seiner hohen, schlanken Gestalt, sah er aus wie ein ritterlicher, jugendlicher Mann.

Er sah auch in diesem Augenblicke nicht eigentlich sorgenvoll aus; eher verwundert, nachdenklich, wie jemand, der noch nicht ganz eine Situation begriffen hat.

Ihm war, als habe man seinen Namen gerufen, und da der Klang nur wie ein Hauch an sein Ohr kam, mußte es wohl Christine gewesen sein, die ihm nun sagen wollte, was sie gedacht.

Er ging in das Zimmer zurück und trat an das Bett.

Christine hatte ihre Hände, sie faltend, emporgehoben.

»Albrecht,« sagte sie leise, »nicht wahr, es ist so merkwürdig?«

»Na ja,« sprach er verlegen lachend, »es ist wohl 'n bißchen merkwürdig. Man geniert sich fast, daß man so jung ist. Achtundvierzig. Da fängt manch einer erst an und heiratet erst. Und der Junge will mich so in aller Unschuld aufs Altenteil setzen. Und du, Christine – wenn du nicht zufällig krank wärst – du bist erst fünfundvierzig. Das ist kein Alter.«

»Er meint es nicht böse – nicht unkindlich – er ist doch so gut,« flüsterte sie, immer mit gefalteten Händen, denn nach Mütterart fühlte sie sich mitschuldig für die Irrtümer ihres Sohnes und leidenschaftlich gedrängt, dafür um Vergebung zu bitten.

Albrecht neigte sich und küßte ihr beruhigend die Stirne.

»Er ist einfach ein Prachtjunge!« sagte er stolz. »Ganz deine Vornehmheit in allem.«

»Ach nein, ach nein,« wehrte Frau Christine bescheiden und eifrig ab, »er ist ein ganzer Fronhofen – auf und nieder. Schon die fast lächerliche Ähnlichkeit mit dir. Ob sie wohl noch da ist? In zwei Jahren ändert sich das nicht. Man wird euch für Brüder halten. Weißt du noch, wie stolz er immer war, wenn man ihm sagte: ›Kleiner, du siehst deinem Papa aber schreiend ähnlich.‹ Er erzählte es mir schon mit fünf Jahren – man sah's ihm an: er war überzeugt, es sei schön und ehrenvoll, dir ähnlich zu sehen. Und weißt du noch, wie er als Zehnjähriger mal einen Brief an Tante Gutta schrieb, unterzeichnet: ›Hartard Michael, künftiger Herr auf Rethen.‹ Ach, setz dich doch, Albrecht .... weißt du noch ....«

Und Albrecht von Fronhofen setzte sich gutmütig an die Bettseite und vertiefte sich mit seiner Frau in Erinnerungen an die Kinderstreiche seines Jungen. Mit ihrem feinen Fraueninstinkt spürte sie es: das war der Weg, eine keimende Verstimmung gegen den Sohn zu verscheuchen und all' den freudigen Vaterstolz wieder aufwallen zu lassen, der von der Stunde der Geburt des Knaben bis zum heutigen Tage des Mannes Brust mit fast trotziger Kraft erfüllt hatte.

Ihre friedlichen Stimmen klangen durch den Raum.

In dem Bilde war merkwürdigerweise keine Disharmonie: der in Gesundheit und Schönheit blühende Mann und die kranke Frau wirkten zusammen wie zwei Menschen, die von gemeinsamem Glück getragen sind. In seinen Mienen und in seinem Blick war fortwährend ein Ausdruck unerzwungener, liebevollster Aufmerksamkeit. Sie aber, mit all' ihren blassen Farben und den langen, steifen Linien ihres Körpers wie ihres Lagers, wirkte wie ein schönes, wehmütiges Gemälde aus der ältesten Zeit primitiver Kunst.

Auch in dem Gemache herrschte eine gewisse stilvolle Stimmung wehmütiger Heiterkeit. Vor beiden Fenstern blühten und glühten die herrlichsten Blumen. Alle Möbel waren mit hellgrünen, weißgelb gemusterten Stoffen bezogen, das Holz an ihnen weiß lackiert. Die Wände hatten eine lichte, fahlgrüne Tapete. Allerlei zierliche Luxusgegenstände füllten den Raum: ein Gestell, auf dem Bildermappen lagen; Säulen, die schöne Armleuchter und Lampen trugen, Tischchen mit Photographien in den verschiedensten Formaten und prächtigen Rahmen.

Es gab keine Spiegel im Raume, wohl aber viele Bilder. Die meisten waren Porträts verschiedener Fronhofener und Fronhofenerinnen. Man hatte sie aus dem Eßzimmer hierher gebracht, weil es Frau Christine unterhielt, die alten Gesichter und Trachten anzusehen und sich auszudenken, was diese Männer und Frauen für Erlebnisse und Charaktere gehabt haben mochten.

Die eine Ecke des Gemaches war durch einen faltenreichen Vorhang abgeteilt. Der mattgrüne Stoff desselben hatte eine breite Kante in farbensattem, stilvollem Muster. Es war ein köstliches Gewirk.

Aber hinter ihm stand das Bett der Pflegerin. Und in der Nähe des Fensters befand sich eine Art Ruhebett auf Rollen und mit allerlei Mechanik zum Verstellen. Hinter dem Kopfende des Bettes stand ein Tischchen mit Medikamenten. Man sah es: in diesen vier Wänden mußte eine, in ihrer Kraft gebrochene Existenz den ganzen Schauplatz ihrer Lebensereignisse finden. Die Schwelle, welche von diesem Zimmer hinaus in die Schloßhalle führte, würde der Fuß der Frau nie überschreiten – über die hinweg würde man sie eines Tages tragen, wenn ihr Schattendasein verhaucht war.

Christine erzählte eben mit ihrer schwachen Stimme einen tollkühnen Streich ihres Jungen, den sie damals vor des Vaters Strafe gerettet hatte, indem sie half die Knabenkeckheit zu vertuschen. Ihre Augen leuchteten noch nachträglich vor Stolz über seine damalige Unart.

»Es war nie Feigheit in seinen Fehlern – weißt du noch? Und sein Ungehorsam war immer zugleich eine Mutprobe,« sagte sie.

»Und gerade darum meint' ich von je, in dem Jungen müsse ein Soldat stecken, wie noch kein Fronhofen einer gewesen,« sprach er seufzend.

Frau Christine hörte ein Geräusch.

»Es klopft jemand,« sagte sie bittend.

»Na – herein –« rief er ungeduldig, als es zum zweitenmal sacht klopfte. Er konnte die zagen Geräusche und Bewegungen nicht vertragen.

Es war Dora, das kleine, feine Stubenmädchen, mit dem weißen Häubchen auf den blonden Haaren und der rosaumsäumten weißen Latzschürze vor dem schwarzen Kleid. Dora hatte nur ein blasses Gesicht mit schon verblühenden Zügen, aber ihr Ausdruck war sehr liebenswürdig. Sie nahm eine Vertrauensstellung im Hause ein und half der Pflegeschwester die gnädige Frau umzubetten.

Die Kranke konnte die Thür nicht sehen, erkannte aber jeden Eintretenden sofort an seiner Art die Thür zu öffnen und zu schließen.

»Bist du es, Dora? Was willst du?«

Dora glaubte eine leise Verstimmung aus dem Ton ihrer Herrin zu hören. Sie wußte ja auch, die Kranke liebte durchaus nicht, wenn man ihr den Gatten fortrief. Hatte er einmal Zeit, bei ihr zu sitzen, sollte er auch so lange bleiben, als es irgend ging. Ihr kam es immer vor, als sei er wenig bei ihr, während alle Welt die Geduld bewunderte, mit welcher der Mann ihr täglich Stunden widmete.

Dora, die etwas von einer eingetrockneten Soubrette an sich hatte, kam heran und sagte mit schmeichelnder Stimme, ihr unfrisches Gesichtchen beinahe auf die linke Schulter neigend: »Ach gnädige Frau verzeihen – aber ich mußte doch die Frau Baronin aus Hörstel melden.«

Albrecht von Fronhofen sprang auf und eilte hinaus.

»Gib mir noch rasch ein frisches Taschentuch, Dora. So – danke – und ein paar Tropfen Eau de Cologne darauf. So – danke. Die Wäsche riecht diesmal sehr nach Chlor. Dora, sie thun gewiß Bleichwasser darauf. – geh doch mal ins Waschhaus,« sprach Christine klagend.

Dora zupfte an den Spitzenmanschetten ihrer Herrin und streichelte ihr noch ein bißchen das Haar glatt.

»Die gnädige Frau kann ganz ruhig sein; wir werden fortan diese Wäsche nicht mehr ins Waschhaus geben, sondern in der Küche extra besorgen. Wenn Line und ich sie allein unter Händen haben, kann nichts passieren,« sagte Dora beruhigend und sah die Kranke befriedigt an. »Die neuen Spitzenhemden kleiden gnädige Frau pompös.«

»Ach, Dora, für mich ist es ganz egal, wie ich aussehe,« lächelte die Frau schmerzlich.

»I – aber im Gegenteil. Und der gnädige Herr halten furchtbar viel darauf. ›Dora,‹ sagte der Herr, ›bestellen Sie alles vom Feinsten und Besten; und daß der Lieferant nicht etwa lauter egale Nachthemden macht; es unterhält die gnädige Frau doch ein bißchen, wenn jedes Stück eine andre Spitze und einen andren Schnitt hat.‹ Ja, das sagte der Herr, und die Kosten regardiert der Herr nie, wenn es auf die gnädige Frau ankommt.«

Dora warf noch einen Angstblick umher, ob im ganzen Zimmer auch alles in strahlender Ordnung sei.

Lächelnd und glücklich schloß Frau Christine die Augen.

Ob es wohl auf Erden eine gesunde Frau gab, die so von Liebe und Fürsorge umgeben war wie sie? Oft schon hatte sie das als Glück empfunden, was allen andern Menschen wie ein furchtbares Unglück erschien: so gelähmt dazuliegen und von allem Kampf, von allen Roheiten des Lebens verschont zu bleiben, höchste Treue, rastloseste Selbstaufopferung zu erfahren.

Welch ein Mann war der ihrige! Ohne ihr Leiden hätte sie ihn nie so ganz, so groß, so gütig erkennen können. Es lohnte sich, in Leiden zu leben, um die Wunder an Liebe zu erfahren, die sie erfuhr.

Und es war ja nicht er allein, der sich an ihr bewährte! Ihre Freunde und Nachbarn meilenweit, ihre und seine Verwandten in Berlin und allen voran ihre Gutsnachbarin, die Baronin Alexandra von Königsegg – alle bestrebten sich, ihr Freude in dies stille Gemach zu tragen.

»Sie kommen – ich höre Stimmen in der Halle,« sagte Dora hastig und gab doch noch der schon glatten Bettdecke einen letzten Strich mit flinker Hand.

Albrecht von Fronhofen war an den Wagen geeilt, der vor dem Portal hielt. Auf den blauen Polstern des gelb lackierten, leichten Gefährtes saß die Baronin Königsegg und wartete, ob ihr Besuch genehm sei. Ihr Kutscher, der sie gemeldet, hatte ihr gerade wieder die Zügel abgenommen. Albrecht hielt beide Hände zu ihr empor und rief: »Wie herbeigezaubert durch meine Gedanken!«

»So?« fragte sie heiter und nahm seine beiden Hände als Stütze beim Abstieg. »Werde ich gerade gebraucht?«

»Auf das dringlichste.«

»Desto besser.«

Sie nahm vom Kutscher noch einen großen in Seidenpapier gewickelten Strauß entgegen und ein Körbchen.

»Die letzten Rosen und die ersten Weintrauben für Christine,« sagte sie. »Ich vermute, daß ich eine Tasse Thee und einen Bissen zu essen bei euch bekomme – also, Sebald, in zwei bis drei Stunden, sagen wir gleich in drei: vorfahren! Nach dem Thee kann ich die neuen Maschinen sehen, nicht wahr?«

Sebald, der mit seinem ausrasierten Kinn, seinem Backenbart und seinem hohen Halskragen ein bißchen etwas Vormärzliches hatte – die Baronin sagte, er sei wieder modern geworden –, Sebald hob die Peitsche und salutierte mit ihr wie mit einem Gewehr. Dann lenkte er den Wagen zurück, denn die Rethener Wirtschaftsgebäude lagen, mit den Tagelöhnerhäuschen zusammen eine förmliche kleine Kolonie bildend, fünf Minuten vor Schloß Rethen an der Landstraße.

Das Schloß selbst war von ihr nur durch einen Rasenstreif und eine Reihe Linden daran getrennt. Es war ein einfacher, großer Rokokobau, das Portal in der Mitte, rechts und links die gleiche Zahl von Fenstern und über dem Portal, die Fensterreihe des ersten Stockwerks unterbrechend, eine Glasthür mit einem Balkon davor, der die einzige kostbare Zierde der Front trug: ein herrliches, altes schmiedeeisernes Gitter. Und über dem Ganzen ein graues, blinkendes, schweres Dach, fast so hoch, wie die Mauern der Fassade.

Albrecht von Fronhofen ging hinter seinem weiblichen Gast her, der über die Schwelle trat, wie jemand, der ein vertrauter und häufiger Besuch ist.

In der großen Halle, welche die ganze Mitte des Schlosses einnahm, setzte die Baronin ihr Körbchen auf den Tisch und fing an, die Blumen auszuwickeln. Dann nahm sie Hut und Schleier ab und ließ sich von Albrecht aus dem Staubmantel helfen.

Sie sprachen nichts zusammen. Aber sie sahen sich lächelnd an.

Es schien, als verzögerten sie beide noch den Eintritt in das Krankenzimmer.

Die Baronin sah sich in der Halle um, die sie doch so genau kannte.

Es waren immer dieselben weiß getünchten Wände, mit ein paar alten Waffen verziert. Da war der Riesenkamin von rotem Porphyr, auf seinem Sims standen zwei mächtige Lampen, und da war, zwischen Portal und Fenster, die Truhenbank mit hoher Lehne, der Tisch davor und ein Kreis von alten Stühlen herum. Und da kam immer noch, breit und imposant, die flachstufige Treppe aus dem Oberstock herab, und es war immer noch der verblichene rote Teppich, der sie deckte und auf dem Fliesenboden der Halle unter einem schon sehr vertretenen Fell endigte.

»Es ist seit acht Tagen hier nicht schöner geworden,« sagte Albrecht lächelnd.

»Es ist aber doch ein schöner Raum. Etwas kahl, aber würdig. Das teilt er mit manchem alten Haus,« meinte sie lachend. »Ich sah mich bloß aus Zerstreutheit um. Ich hab' eine neue Idee für meine Halle. Da vergleicht man unwillkürlich die Dimensionen.«

»Na ja – auf Hörstel kann man neue Ideen haben. Bei mir langte es ja doch nicht, sie auszuführen. Da hab' ich sie meinem Kopf eben abgewöhnt. Ich bin glücklich, wenn ich da alles schön und luxuriös beschaffen kann.«

Bei dem stark betonten »da« hatte er mit seinem Kopf eine bezeichnende Bewegung nach der Thür, im Hintergrund der Halle, gemacht.

Sie wußte ja, wohin die führte.

»Wie geht es denn heute?« fragte die Baronin.

»O, gottlob, gut. Christine hatte die letzten Tage viel Kopfweh gehabt. Heute ist sie frei davon. Und die Hühner heut mittag haben ihr auch geschmeckt,« erzählte er.

»Und die neue Pflegeschwester?« fragte die Baronin.

»Christine ist entzückt von ihr.«

»Ach, das freut mich. Und sonst noch?«

»Sonst noch?« fragte er zurück und sah sie an.

Sie stand am Tisch, den Blick auf das Körbchen mit Weintrauben gesenkt. Spielerisch ordneten ihre Finger an den roten Blättern der Ranken wilden Weines, mit denen Korb und Früchte malerisch verziert waren.

Sie war eine schöne Frau, von kraftvoller Gestalt, üppig und doch schlank, nicht mehr in der ersten Blüte. Aber ihr Geschmack und vielleicht auch die Kunst der Körperpflege gaben ihrer Erscheinung den blendenden Reiz einer sehr eleganten Frau. Einst war ihr Haar rot gewesen, von einem etwas brandigen Rot. Aber die Zeit hatte es dunkel und dunkler werden lassen, so daß es jetzt in einem wundervollen Kastanienbraun erglänzte und förmlich aufzuleuchten schien, wenn ein Sonnenstrahl darauf fiel. Sie hatte aber den weißen, schimmernden Teint der Rothaarigen behalten. Ihre dunklen Augen waren von einer so ungewöhnlichen Lebhaftigkeit des Blicks, ihr ganzer Ausdruck trug so sehr das Gepräge einer starken Intelligenz, daß man übersah, wie doch eigentlich ihren Zügen regelrechte Schönheit fehlte.

»Sonst noch ...?« fragte Albrecht von Fronhofen noch einmal.

Sie hob rasch das Haupt und sah ihn gerade an.

»Hartard hat geschrieben?«

»Ja!«

»Wann kommt er?«

»Übermorgen.«

Ihre Blicke wurzelten fest ineinander.

Alexandra seufzte, und ihre Nasenflügel bebten.

»Du weißt – ich bin immer für die historische Entwickelung – in allen Dingen. Und in diesen, an die du denkst, gibt es doch nur zwei Wege: nicht sehen oder einsehen,« sagte er leise, mit so zuversichtlichem Ausdruck, daß es ihr wohlthat. Lauter fügte er hinzu:

»Aber in Hartards Brief steht allerlei, das uns den Kopf schwer macht, Christine und mir.«

»Gehen wir zu ihr, das muß ich von euch beiden hören,« sagte sie lebhaft.

Indem sie sich mit raschen Schritten der Thür des Krankenzimmers näherte, ward diese schon von drinnen her aufgestoßen, und Dora ließ in ehrerbietiger Haltung den Besuch, der ihr gütig zunickte, an sich vorbeirauschen. Und in der Küche erzählte Dora gleich darauf begeistert, daß die Baronin von Königsegg wieder ein wunderbares marineblauseidenes Kleid angehabt habe, mit so viel Spitzen auf der Taille, daß Dora sie nicht für zwei Jahreslöhne würde beschaffen können. Und leutselig grüße die Baronin immer, daß es wahrhaft ein Entzücken sei; aber das sei eine alte Geschichte, je vornehmer die Menschen, desto einfacher und zutraulicher seien sie auch. Dies sagte Dora mit einem Blick auf die Schwester vom Roten Kreuz, die seit drei Tagen im Schloß war und eben in der Küche selbst den Nachmittagskakao für ihre Kranke bereitete, sich dabei aber mit niemandem unterhielt. –

Alexandra von Königsegg eilte auf das Bett zu und küßte Christine zärtlich auf die Stirn. Beide Frauen betrachteten einander mit innigster Herzlichkeit.

»Wie du wieder in Leben und Schönheit strahlst, Lexe!« sagte Christine neidlos.

»Still, still, still,« rief Alexandra lachend, »mit achtzehn Jahren ist man von selbst schön. Mit achtunddreißig muß man sehr viel dazu thun, ein bißchen nett zu wirken. Und du bist mein bestes Publikum, Ina. Also das Kleid gefällt dir? Na, teuer genug war es. Und du, mein Herzchen? Ich weiß schon das Wichtigste: kein Kopfweh, Hühner haben geschmeckt. Und Hartard hat geschrieben.«

»Setz dich dahin – so, daß ich gerade dein Gesicht sehen kann,« bat Christine zärtlich, indem sie wieder und wieder die Hand der Freundin streichelte.

Albrecht legte Rosen und Trauben auf das Bett.

»Für dich von Alexandra,« sagte er.

Die Kranke bewunderte die Schönheit der verschiedenen Rosen und die herrlichen Trauben. Sie war in freudiger Erregung über alles: den Besuch, die Gaben und die Aussicht, ihre Sorgen aussprechen zu können.

»Bitte, Lexe, lies doch den Brief. Nicht wahr, Albrecht – du gibst ihn ihr,« flehte sie.

Er suchte den Brief heraus und gab ihn der Baronin.

Sie las das lange Schreiben still für sich durch. Sie wußte, die Blicke der Kranken hingen beobachtend an ihr, und sie hielt deshalb während der Lektüre einen gleichmäßig heiteren Gesichtsausdruck fest. Ihr zuckte keine Wimper, als sie die überschwenglichen Worte las, mit denen der Sohn die Treue des Vaters und das Eheglück der Eltern pries, keine Bewegung machten ihre Lippen, als sie sah, dieser Sohn wolle dem Vater »alles abnehmen«.

Aber während sie die Blicke auf das Briefblatt gesenkt hielt, schien es ihr doch zugleich, als sähe sie Albrecht von Fronhofen in seiner ganzen stolzen, schönen Männlichkeit dastehen. Und ihr Herz klopfte in schweren Schlägen.

Der Brief war gelesen. Sie legte die Blätter, ohne sie noch loszulassen, lässig in den Schoß.

Die Kranke war etwas enttäuscht. Sie hatte sogleich auf dem Gesicht der Lesenden sich allerlei wiederspiegeln sehen wollen.

»Was sagst du?« fragte sie ängstlich.

»Ja, es ist ein Schicksal, daß Hartard nicht Offizier geworden ist,« sagte Alexandra achselzuckend.

»Aber mein Gott, Sie selbst standen ihm doch bei und rieten uns doch ab, ihn zum Soldatenberuf zu zwingen,« rief Albrecht erstaunt.

Er ging nach seiner Gewohnheit auf und ab, stand immer nur still, wenn er zu der Unterhaltung der Frauen etwas sagen wollte.

»Natürlich hab' ich ihm beigestanden, und natürlich fand ich es unrecht, ihn zu zwingen. Aus Erkenntnis und Bedürfnis kann was Gutes kommen, aus Zwang nie. Darum sag' ich: Schade, daß er nicht das Bedürfnis hatte, Soldat zu werden, oder nicht die Erkenntnis, daß dies das rechte Mittel gewesen wäre, Situationen zu vermeiden, die sich nun ergeben werden.«

»Alle Fronhofens waren Soldat, bis sie Rethen übernehmen konnten. Einer war schon Oberstleutnant, als er das Majorat in die Hände bekam – –« klagte Christine. »Aber es ist doch keine Schuld von Hartard – es ist doch so seine innere Bestimmung gewesen: er mochte nicht Soldat sein.«

»Dein Mann macht ihm ja auch keinen Vorwurf daraus,« sagte Alexandra beschwichtigend.

»Ich dachte immer, als der Junge sein Jahr bei dem zweiten Garderegiment zu Fuß abdiente, er solle Geschmack am Handwerk finden. Er wußte doch, ich selbst hatte im Regiment gestanden – freilich, bloß die kurzen zwei Jahr, als Fähnrich und Leutnant, bis mein Alter jenen Sturz vom Pferde that. Aber nein – obschon der Oberst sozusagen mit mir im Komplott war, ja ich kann sagen: das ganze Offizierkorps – der Junge war froh, als er den Rock wieder auszog,« sprach Albrecht gedrückt. »Er hat eben bloß eine Idee – es ist schon beinah 'ne fixe: er kann und will nur als Landmann leben.«

»Und nun will er Sie in aller kindlichen Naivetät vom Thronsessel schieben ...«

Christine seufzte zitternd dazwischen. »Das muß man ihm nicht übel nehmen,« fuhr Alexandra, heiter der Kranken zulächelnd, fort; »als ich ein Mädel von zwanzig war und Königsegg heiratete, dacht' ich, meine Mama mit ihren vierzig damals sei eine alte Frau. Heut weiß ich, daß Mama mit ihren achtundfünfzig, die sie morgen wird, noch nicht einmal alt ist. Weißt du, Ina – die Jugend hat keine Taxe für unsereinen. Daß wir noch dastehen, in der Blüte unseres Lebens, unserer Kraft, unserer Empfindungen – davon hat das keine Idee. Das urteilt bloß nach Taufscheindaten.«

»Ich nehme es ihm auch nicht übel, gewiß nicht,« sprach Christine. »Aber das ändert doch nichts an der Lage! Wie soll es werden. Wie soll es werben?«

Alexandra nahm die Hand der Kranken und streichelte zärtlich tröstend die schmalen weißen Finger.

»Ach Gott – ach Gott,« sagte sie in einem scherzhaft mütterlichen Ton, wie man einem lieben Kinde zuspricht, »unsere Ina ist in einem fürchterlichen Gedränge: sie ist beleidigt für ihren Albrecht, daß man ihm Rethen nehmen will, und ebenso beleidigt, daß man es ihrem Hartard nicht geben kann.«

Christine mußte lächeln. »Ganz so ist es nicht ...«

»Aber doch beinahe,« sagte Alexandra.

»Sie haben gut scherzen, liebe Freundin,« sprach Albrecht, aber auch seine Augen glänzten, und seine Haltung war frei und stolz, »die Lage ist peinlich. Bin ich der Mann, schon vom Schauplatz des Lebens abzutreten?!«

»Nein!« riefen beide Frauen. Die eine sah in ergebener Bewunderung, die andre in zärtlich aufflammendem Stolz auf ihn.

»Ich soll mich meinen Liebhabereien widmen?« fuhr er fort. »Ich habe keine als Rethen zu bewirtschaften, hier zu säen, zu ernten und zu jagen. Sollte ich reisen? Wie könnte ich, wie wollte und dürfte ich meine arme Christine verlassen? Was soll werden!! Mein Sohn ist ein Fronhofen. Ich kann ihn keine Stelle als Verwalter oder Güterdirektor annehmen lassen. Die Fronhofens sind nicht reich. Aber sie haben immer den Stolz gehabt, niemand was zu schulden und von niemand was zu nehmen. Das paßt mal nicht für mein Geschlecht und meine Art: bei einem Herrn in Lohn und Brot stehen. Selbst nicht, wenn dieser Herr der Staat heißt. Es hat nie einen Beamten in unsrer Familie gegeben. Soldat sein – ja das ist was andres. Das ist kein Geschäft, bei dem es heißt: Ich geb' so viel Arbeit, dafür bekomm ich soviel Geld. Das kostet noch. Der Sold ist eine Bagatelle. Und ich bin da bereit, mein Leben zu geben – und das kann mir keiner bezahlen.«

»Nein, gewiß nicht – er kann nicht auf einem andern Gut als Verwalter dienen, und so ins Blaue hinein, auf ungewisse Zeiten immer Volontär spielen, das kann er auch nicht,« bestätigte Alexandra.

»O,« flüsterte die Kranke, »ich weiß doch ein Gut, wo er Verwalter werden kann, ohne sich etwas zu vergeben. Eine Stellung, die er ausfüllen kann, ohne sich bezahlen zu lassen, wo er doch kein Volontär ist, weil die ganze Verantwortung auf ihm ruht!«

Sie lächelte geheimnisvoll und stolz, daß ihr ein erleuchtender Einfall gekommen.

Albrecht stand still. Er und Alexandra sahen sich verdutzt an.

»Was ihr für Gesichter macht,« sprach sie triumphierend weiter, »und es liegt doch so nahe. Seit dein Mann gestorben ist, hat dir der alte Müller Hörstel verwaltet. Du sagtest neulich, es gehe nicht mehr, du wolltest ihn pensionieren und einen jungen Verwalter nehmen. Laß Hartard dein Gut bewirtschaften.«

Alexandra ward dunkelrot. Schnell flog ihr Blick zu Albrecht hinüber. Der aber hatte sich bei den Worten seiner Frau dem Fenster zugewandt.

»Aber Christine – ich – wie könnte ich das annehmen – daß dein Sohn mir einen Verwalter spart?« sagte sie mit unsicherer Stimme.

»Du nimmst nichts an. Wir sind es, die annehmen. Du löst die Frage. Du gibst meinem Sohn die ersehnte Thätigkeit und befreist meinen Mann von der Vorstellung, daß Hartard ihn aus Rethen verdrängen wolle. Ach – daran denkt Hartard ja gar nicht. Er hat sich gar nichts klar gemacht – gar nichts«, sprach Christine eifrig.

»Nein. Sein Brief ist voll Kindlichkeit und Unlogik. In demselben Atemzug will er Rethen allein bewirtschaften und wie ein Knabe, artig, ersparte 2000 Mark abliefern,« meinte Alexandra, die allmählich wieder ihre gewohnte Farbe und Selbstbeherrschung bekam.

»Du willigst ein?« drängte Christine.

»Aber Herzchen – das kann ich nicht annehmen,« behauptete die andre; »Hartard für mich arbeiten lassen! Nein, es ist unmöglich!«

»Albrecht, hilf mir bitten,« flehte die Kranke.

Er wandte sich wieder dem Zimmer und den Frauen zu.

»Alexandra hat recht,« sprach er etwas hastig. »Das kann sie nicht annehmen. Und überdies: weißt du denn so genau, ob ihr Hartard als Mitbewohner auf Hörstel angenehm wäre?«

Alexandra lachte.

»Nun kränken Sie die Mutter, die davon überzeugt ist, daß es für mich ein Glück bedeute, Hartard unter meinem Dach zu haben.«

Dann redete sie wieder liebevoll auf die Kranke ein.

»Es geht wirklich nicht, liebe Ina. Stell dir nur all die vielen Komplikationen vor, die eintreten könnten! Wenn ich dem Manne Hartard nun ebenso unsympathisch wäre, wie ich dem Knaben und Jüngling liebenswert schien? Oder wenn mir Hartards Bewirtschaftung doch am Ende nicht gefiele? Schließlich könnten noch Stimmungen eintreten, die zwischen uns wie eine Störung träten. Und nicht wahr – das wäre doch schade?«

Christine umklammerte die Hand der Freundin.

»Nein – dich will ich nicht verlieren – um keinen Preis. Es ist wohl wahr – Albrecht und du, ihr kennt die Welt besser, als ich, die ich fern von ihr lebe. Ich seh' wohl alles ein bißchen ideal an. Ihr seid alle so nachgiebig und rücksichtsvoll gegen mich – da denke ich manchmal, daß draußen auch alle Menschen so gegeneinander sind. Aber bei der Arbeit kann man nicht so sein. Ich begreife es.« Doch fing sie an zu weinen, vor Enttäuschung darüber, daß ihr Plan nicht ausführbar sein sollte.

Alexandra kniete neben ihrem Bett und redete zärtlich auf sie ein; hinter der Knieenden stand Albrecht und beugte sich herab und sprach gleichfalls tröstliche Worte.

In diesem Augenblick kam Dora herein und trug schwer an einem beladenen Theebrett.

»Der Thee,« sagte Christine noch unter Thränen, aber lächelnd. »Dora, hast du für Frau Baronin auch etwas, zum Imbiß?«

»Gnädige Frau können ganz ruhig sein,« sprach Dora in ihrem mütterlichen Ton, den sie stets gegen die Kranke anschlug, »hier sind belegte Brötchen und kleine Mürbeteigkuchen, die Frau Baronin so gern haben.«

Als sie alles zierlich geordnet hatte, fragte sie: »Soll ich bald die Lampe bringen?«

»Wir klingeln danach,« sagte. Albrecht, »noch ist ja ganz heller Tag.«

Christine konnte die Dämmerung nicht vertragen, und sowie der letzte Sonnenstrahl draußen von den grünen Wipfeln verschwunden war, die Christine von ihrem Bett aus sehen konnte, mußte das ganze Zimmer mit Lampen und Lichtern taghell erleuchtet werden.

Die beiden fingen nun an unter vielen Scherzen und wetteifernder Wichtigkeit Christine zu bedienen, ihr den Kakao und die Brötchen zurecht zu stellen auf dem schmalen Tischbrettchen, das an der Bettstatt festgeschraubt wurde. Alles war von auffallendem Luxus: Tassen, Teller, Kannen, Servietten. Man hatte in der Rethener Geschirrkammer wenigstens zwölf verschiedene Services für den Gebrauch im Zimmer der Gelähmten. Jedes war ein Kunstwerk an Malerei, Form und feinem Porzellan.

Albrecht hatte herausgefunden, daß es eine große Unterhaltung für seine arme Frau bilden müsse, recht viel Abwechselung in allen Gegenständen zu finden, die sie umgaben. Er ließ auch alle zwei, drei Jahr ihr Zimmer mit neuen Möbeln und Dekorationen versehen.

Als Christine zufrieden und wohlversorgt war, setzten die beiden sich an den Tisch, und nun bediente Alexandra den Mann.

Sie waren alle drei sehr heiter. Alexandra wußte alles so besonders zu loben und immer wieder zu betonen, daß sie es bei sich nie durchsetzen könne, einen so wohlversehenen Theetisch ins Zimmer zu bekommen. Das hörte die Kranke immer wieder gern, besonders vor Albrecht, weil es sie von der steten, heimlichen Furcht befreite, daß auf Rethen doch am Ende die Gäste merken könnten, es fehle eine Hausfrau.

Plötzlich sagte Alexandra ganz trocken, indem sie ihre Tasse zwischen Mund und Untertasse in der Schwebe hielt: »Hartard kann eine Pachtung anfassen. Das ist am besten.«

Nun sahen sich die Eheleute verdutzt an. Es war gar nicht mehr von Hartard die Rede gewesen. Sie hatten alle drei davon geschwiegen, wie um erst einmal wieder ein Viertelstündchen in Behagen zu verbringen.

Die Kniee weit auseinander, den Rücken gebeugt, saß Albrecht von Fronhofen da. Er hatte seine Ellenbogen auf die Kniee gestützt und hielt seine gesenkten Hände gefaltet. Unter der vorgeneigten Stirn sah er mit aufmerksamen Blicken zu Alexandra hinüber und empor.

»Ei des Kolumbus. Bloß: es geht nicht!« sagte er kurz.

»Bitte, warum nicht?« fragte sie. Christine hörte atemlos zu.

Nun sah Albrecht nicht mehr die Frau ihm gegenüber an, die in stolzer und freudiger Haltung dasaß und ihn erwartend anschaute.

»Rethen bringt 10 000 Mark ein. Mal mehr, mal viel weniger. Was das eine Jahr mehr ist, kann das andre wieder auffressen. Gottlob, ich habe immer die Balance gehalten. Außer den fünfzigtausend von der Ritter- und Landschaft, die schon mein Großvater aufgenommen hat, steht keine Hypothek auf Rethen. Das ist mein Stolz. Das soll so bleiben. Aber Kapital hab ich keines sammeln können. Was verdient ward, ward auch verbraucht. Und um eine ordentliche Pachtung rationell anfassen zu können, dazu brauchte, der Junge doch seine 30 000 Mark.«

»Ich hab' so viel gekostet!« rief Christine kläglich.

»Ach Unsinn,« sagte Alexandra schnell, obwohl sie und Albrecht nur zu gut wußten, wie wahr dies Wort war; »neulich kam gerade meine Schneiderrechnung aus Berlin, als dein Mann bei uns war und da sagte er noch zu Mama: ›Meine Frau braucht so was nicht – derartige Ausgaben kenn' ich gar nicht – da seh ich erst, wie teuer eine gesunde Frau ist.‹«

»Ja ja, das ist schon wahr, ich brauche keine Reit- und Ball- und Promenadenkleider,« sprach Christine, die von jedem Trost befriedigt war, mochte er noch so fadenscheinig sein.

»Wollen Sie noch Thee, Albrecht?« fragte Alexandra. Er saß noch unverändert.

»Nein,« sagte er.

Alexandra goß sich Thee ein und sprach so nebenbei: »Ich könnte Hartard sehr gut 30000 Mark geben. Das ist ungemein einfach.«

Eine Sekunde lang war es totenstill. Christine wagte vor freudigem Schreck kaum zu atmen.

Albrecht erhob sich langsam. Er stand in förmlich drohender Größe mit seiner hohen Gestalt mitten im Zimmer.

Seine Hände in die Joppentaschen steckend sagte er kurz: »Nein. Das können wir wieder nicht annehmen.«

Alexandra schwieg; sie wußte, ein andrer Mund würde versuchen, für diese Idee zu sprechen. Und schon begann Christine auch mit bebender Stimme: »Warum können wir das nicht annehmen? Wir sind doch seit 20 Jahren miteinander so nahe befreundet. Soll Freundschaft denn nicht geben und nicht nehmen dürfen? Ist es ohne dies Vorrecht noch Freundschaft? Und Hartard soll das Geld ja zurückgeben ... nicht wahr, Lexe? Du schenkst es nicht, du leihst es ja nur! Er kann ja auch Zinsen zahlen ... nicht wahr, Lexe? Du nimmst Zinsen von ihm. Siehst du, Albrecht ... sie nickt zu allem. Ja, sie will Zinsen nehmen. Dann ist es für Lexe doch einerlei, ob sie ihr Geld bei Hartard oder anderswo stehen hat.«

»Für Alexandra mag es einerlei sein. Für mich nicht. Und kurz und gut, ich will es nicht. Ich wünsche nicht, daß es im Lande heißt, die Baronin Königsegg hat den jungen Fronhofen eine Pachtung verschafft. Das würde in den Ohren der Leute nicht gut klingen. Weder für Alexandra noch für uns beide Fronhofener,« sprach er mit so eisernem Ton, daß beide Frauen sofort wußten: dagegen half kein Überredungsversuch.

Alexandra verstand seine Ablehnung völlig. Sie hatte auch ihren Vorschlag nicht mit freiem Herzen ausgesprochen.

Die andre aber, die Kranke, konnte es nicht begreifen. Ihr eigner Vorschlag war verworfen worden – das begriff sie; sie, die Weltfremde, hatte vielleicht nur thörichte Ansichten von dem, was man konnte und nicht konnte. Aber wenn Alexandra, die Welterfahrene, einen Vorschlag machte, hatte Albrecht gewiß unrecht, ihn abzuweisen. Das war falscher Stolz. Und nicht einmal gedankt hatte er für das großartige Anerbieten.

»Lexe,« sagte sie, »sei Albrecht nicht böse. Aber er hat gewiß triftige Gründe. Wir Frauen verstehen nicht immer, was die Männer beschließen. Aber ich danke dir aus tiefster Seele.«

Alexandra, die auf dem Bettrand saß, warf sich beinahe über die Kranke. Sie küßte ihre Wangen und ihre Stirne wieder und wieder. Dann rief sie, sich aufrichtend und mit ihrem Blick Christine und Albrecht umfassend: »O laßt ihn doch kommen, euren Sohn – ohne jede Sorge! Es wird sich alles gut gestalten. Vergeßt nicht, daß er euer Sohn ist und daß er vielleicht dein Herz hat, Christine, und seines Vaters Charakter.«

Eine so leidenschaftliche Hingabe an beide Gatten lag in ihrem Ton und in ihrem Ausdruck, daß Christine ganz erschüttert die Freundin wieder zu sich herabzog, um sie nun ihrerseits zu küssen.

Albrecht kam heran und nahm die herabhängende Linke Alexandras, sie mit festem Druck mit seinen beiden Händen umschließend.

Sie sprachen nichts mehr.


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