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Drittes Kapitel


Das festliche Mittagessen, mit welchem Alexandra von Königsegg den Geburtstag ihrer Mutter feierte, fand um fünf Uhr statt. Albrecht, wenn er von Sonnenaufgang an zu Pferde und zu Fuß unterwegs gewesen war, mußte um ein Uhr seine Hauptmahlzeit halten.

So saß er denn auch heute mit Schwester Kleopha zusammen am Tisch und stillte seinen kräftigen Appetit an selbstgeschossenen Hühnern.

Das Eßzimmer lag Wand an Wand mit dem Krankenzimmer, war aber durch keine Thür mit ihm verbunden, sondern hatte einen Ausgang nach der Halle hin und einen zweiten nach dem Küchenanbau. Die drei Fenster sahen auf die Chaussee.

Ganz im Gegensatz zu dem Reichtum in Christinens Gemach, war hier alles verwohnt, verräuchert und wenig gemütlich. Man sah es dem Lederpolster der Stühle an, daß sie seit vielen Jahren schon einer Erneuerung bedürftig gewesen wären. Die Tapete hatte durch eine schöne, satte Farbe geglänzt, als Albrecht sein junges Weib heimführte, seither war sie nicht mehr erneuert worden und zeigte ein unbestimmtes Dunkelbraun. Der Tisch war schmucklos gedeckt. Man sah es wohl: das Zimmer war nicht die Stätte gemütlicher Sitzungen. Es hatte etwas Unbewohntes, Kaltes. Es diente keiner Familie zu Stunden heitrer Gemeinsamkeit. Es diente nur einem, immer schnell gestillten Bedürfnis, nicht der Ruhe und Geselligkeit.

An der andern Seite der Halle, dem Eßzimmer gerade gegenüber, sah es in Albrechts Wohn- und Arbeitszimmer besser aus. Da gab es eine einfenstrige Vorstube als Warteraum für die Leute und Händler. An den Wänden standen verschlossene Schränke mit alten Geschäftsbüchern und Familienpapieren. In der folgenden zweifenstrigen Stube stand Albrechts Schreibtisch, das erste Fenster links neben sich. Große englische Lehnsessel umgaben einen Lesetisch in der Mitte. Eine riesige Chaiselongue, fast ganz mit verschiedenen Tierfellen bedeckt, nahm die Wand an der einen Seite des Ofens ein, der große Gewehrschrank stand an dessen andrer Seite. Es war ein rechtes Junggesellenzimmer, sehr verwohnt, immer von Cigarrendampf erfüllt und sehr behaglich. An diese Räume stieß, auch nur mit einem Eingang von der Halle aus, sein Schlafzimmer, Christinens Gemach gerade gegenüber.

Im ersten Stock, zu dem im mittleren Grunde der Halle die breite Treppe anspruchsvoll emporführte, um oben aus einer die Treppenöffnung umgebenden Holzbalustrade emporzutauchen, befand sich über der Halle ein großer Flur, von welchem aus man den Balkon betreten konnte. Die Zimmer über der Eßstube und Christinens Raum gehörten Hartard oder Gästen, deren es selten genug auf Rethen welche gab. Drüben, über Albrechts Gemächern, zog sich der Festsaal hin. Seine Fenster und seine Thüren waren immer verschlossen. Einmal im Jahr wurde er rein gemacht, dann sah Hartard – als er noch ein Knabe war – mit unsäglichem Interesse den Scheuerfrauen zu. Dieser Saal war das Prunk- und Paradestück von Rethen. An seinen drei Chauseefenstern, wie an seinen Parkfenstern wallten gelbe Damastgardinen herab. Vergoldete Bänke mit gelben Polstern standen ihrer drei an jeder langen Wand. Die Wände waren mit gelbweiß gestreiftem Stoff bekleidet, der durch Goldleisten und weiße imitierte Marmorstreifen in Felder geteilt wurde. Vom weißgoldenen Plafond hing eine riesige Krystallkrone herab, deren Prismen aber nicht mehr blinkerten, weil sie ganz grau beschlagen waren. In der einen Ecke stand ein altes Tafelklavier von sehr rotem Mahagoniholz, welches wie ein häßlicher Farbenfleck auf einem blassen Bild wirkte. Seit Hartards Taufe war kein Ton mehr darauf gespielt worden, hatten keine Lichter mehr auf der alten Krone gebrannt.

Das erzählte Albrecht der Schwester Kleopha, mit der er sich, während ihrer kurzen gemeinsamen Mahlzeiten doch irgendwie unterhalten mußte.

Er deutete mit dem Finger nach oben. »Hier über, in der roten Stube, wird mein Sohn wohnen. Die rückwärtige, die müssen wir frei halten. Manchmal kommt doch meine Vatersschwester, das alte Fräulein Jutta von Fronhofen, oder es kommt eine Tante meiner Frau – genug, eine Fremdenstube muß bleiben.«

Er fand, daß Schwester Kleopha zu wenig aß.

»Bei Ihrem Beruf, liebes Kind, muß man für Kräfte sorgen. Sie geben was aus – so keine Nacht ganz ungestörten Schlaf – das zehrt. Also essen, mein Kind, essen! Lina ist eine Künstlerin in alten Hühnern mit Kraut. Die jungen, wissen Sie, die gehen nach Berlin in die Markthallen. Was so an besonders zarten Dingern dabei ist, muß Christine haben. Für uns bleiben die alten. Aber wie gesagt: Lina ist Künstlerin darin, besonders mit Kraut und in Aspic.«

Kleopha schien die herzliche Fürsorge in seinem Ton zu fühlen, und ein Schimmer von Freundlichkeit legte sich um ihren Mund.

»Sagen Sie mal, mein Kind,« begann er wieder, als das Obst auf dem Tische stand und er wählend zwischen den Birnen herumsuchte, »wir haben da noch eine Formalität zu erfüllen: ich muß Sie anmelden als neue Hausgenossin. Schreiben Sie mir doch nachher auf, was man so Ihr Nationale nennt: Namen, letzten Aufenthalt.«

Kleophas Stirn zog sich etwas zusammen.

»Das ärgert sie. Es ist offenbar,« dachte er. »Hier, das ist eine Prachtbirne,« sagte er und gab ihr die Frucht.

»Danke.«

Er lehnte sich zurück, stemmte die Hände gegen die Tischkante und den Rücken gegen die Stuhllehne. So, in etwas väterlich-richterlicher Haltung, sah er sein Gegenüber an.

»Darf ich mal was fragen, liebes Kind?«

»O bitte ...,« sagte sie und wurde rot.

»Nun sehen Sie mal,« sprach er in seinem gütigsten Ton, »Sie werden rot und sagen in einer Art ›o bitte,‹ daß das zusammen auf deutsch heißt: fragen Sie lieber nichts. Aber mal 'n offnes Wort: Geheimniskrämerei steht einem hübschen jungen Mädchen nicht an. Und wenn man so Wochen, Monate, ja vielleicht Jahre beisammenbleiben will, solange Sie's eben mit meiner armen Christine aushalten, da muß man herzlich und vertraulich verkehren! Besonders in Ihrer Stellung, die Sie in das intimste Leben unsres Hauses führt, als Zeugin, als Teilnehmerin.«

Dieser Ton männlicher Offenheit und dieses große dunkle Auge, vor dessen fester Klarheit es kein Entrinnen zu geben schien, wirkte beunruhigend auf Kleopha. Sie schlug die Augen nieder. Ihre Finger, die das Fruchtmesser hantierten, wurden unsicher. Die Birne fiel, halbgeschält, auf den Teller.

»Ich habe keine Geheimnisse,« sagte sie leise, »wenn Sie glauben, daß man immer gleich etwas zu verbergen hat, falls man schweigsam ist ... Fragen Sie nur.«

»Ich will Sie gar nicht auffordern, mir Ihre Lebensgeschichte zu erzählen ...«

»Ich habe gar keine,« fiel sie schnell ein und sah mit großen, erschreckten Blicken zu ihm hinüber.

Er lächelte. Er fand diese schönen Augen sehr anziehend, gerade, weil immer ein Schleier über ihnen lag und man immer erkannte, daß sie nicht klar erfaßten, worauf sie blickten. Das gab ihnen etwas Geheimnisvolles.

Er lächelte.

»Wenn ich sage Lebensgeschichte, mein' ich ja nicht, was man so ›Geschichte‹ nennt mit 'n Geschmack von was Ungewöhnlichem. Eine Lebensgeschichte haben wir ja alle. Geboren da und da und dann und dann und von der und der und so weiter, bis auf den gegenwärtigen Zustand.«

Er machte eine kurze Pause und fragte dann, seinen Blick nicht von ihr lassend: »Sind Sie aus Begeisterung für Ihren Beruf Krankenpflegerin geworden? Aus Nächstenliebe? Oder weil Ihnen sonst das Leben nichts mehr zu versprechen schien? Welch letzteres ich von vornherein als bloßes Stimmungsmotiv erklären möchte.«

Kleopha errötete zum zweitenmal. Aber jetzt sah sie dermaßen verlegen aus, daß es Albrecht beinah peinlich war, gefragt zu haben.

»Ach was,« sagte er sich dann, »mit Zimperlichkeit hilft man keinem. Und wenn das Mädchen Waise ist und vielleicht eine Last mit sich herumträgt, muß man doch sehen, daß man ihr hilft.«

»Ich schäme mich, es zu sagen,« sprach sie, und Albrecht sah, daß Thränen in ihre Augen traten, »ich bin sehr ungern Krankenpflegerin geworden. Ich bin – – ich mußte – – ich suchte ein ganzes Jahr vergebens eine Stelle als Gesellschafterin – als Lehrerin vielleicht – als irgend etwas. Es gibt immer hundert Bewerberinnen um einen Posten. Da sagte mir jemand, der mir wohl wollte, daß ich als Krankenpflegerin noch am ehesten und am meisten Geld verdiene. Denn ich muß auch für einen jüngeren Bruder mit sorgen. Und dieser alte Freund meiner Eltern empfahl mich an die Gräfin Klingsberg. Ich habe im Mutterhause unter ihr gelernt. Ach Gott ... ich dachte, es ginge nicht. Nicht die Arbeit ... aber das Häßliche! Wunden und Blut und Schmerz. Ich wurde immer ohnmächtig ... vor Ekel. Und kam dabei vor Angst um, daß man mich fortschicke. Dann war ich auf der Straße oder auf die Güte von entfernten Verwandten angewiesen, was noch schlimmer gewesen wäre. Und die Hospitalluft machte mich krank. Nicht körperlich. Aber ich glaubte, ich könnte und könnte es nicht ertragen: immer Karbol und Jodoform riechen –«

Sie stützte die Ellbogen auf den Tisch und versteckte ihr Gesicht hinter gefalteten Händen. Man sah es wohl: sie kämpfte mit aller Gewalt gegen einen Thränenausbruch.

Albrecht stand auf. Sein Herz war von Mitleid weich geworden.

Dieses wunderschöne junge Geschöpf war wider Willen an einen solchen Beruf gekettet!

Seine Stirn war finster. Er dachte unwillkürlich an die mancherlei Ketten, die es gibt. Auch an die, die er trug.

Wo gab es schließlich Harmonie? Wo ein Leben, in dem Individualität und Schicksal ganz zu einander paßten?

Aber im Grunde kam es ja noch nicht einmal auf die Ketten, sondern auf die Tragkraft an. Und diese Tragkraft, das ist nicht nur etwas Angeborenes, das ist zur größern Hälfte etwas Erworbenes! Die Erkenntnis sittlicher Pflichten hilft dazu, sie zu erwerben, es hilft dazu das Mitleid und die Liebe.

Wo sollte nun das junge, zwanzigjährige Mädchen schon Erkenntnisse sittlicher Pflichten, wo Mitleid, wo Liebe her haben? In Ansätzen und in Vorsätzen mochte das alles da sein. Aber bei solcher Jugend kann das nicht so ganz zweifellos ein Wesen durchdringen, daß Kämpfe und Bitterkeiten ausbleiben.

Er dachte an seine ersten Jahre nach Christinens Erkrankung: die waren auch voll heimlicher Kämpfe und versteckter Bitterkeiten gewesen.

Das arme Mädchen konnte also noch keine rechte Tragkraft für ihre Ketten haben.

Sein Schweigen fiel Kleopha mit einem Mal auf.

Sie erhob ihre Blicke zu ihm. Sie sah ganz blaß und ängstlich aus.

»Die gute Gräfin schickte mich deshalb hierher. Sie entließ mich aus den Pflichten der Anstalt. ›Frau von Fronhofen ist gelähmt,‹ sagte sie mir, ›und vollkommen hilflos. Aber bei ihr ist weder Hospitalluft noch Hospitalschrecken. Da passen Sie hin, Kleopha, und erhalten eine große Gage.‹ Ja, so meinte die Gräfin,« sprach sie hastig und stand auf, um an Albrecht heranzutreten, damit sie sein Gesicht genau erkennen könne. Beschwörend fuhr sie fort: »Verlieren Sie nicht das Vertrauen zu mir, weil Sie wissen, ich habe den Beruf nur zum Broterwerb ergriffen. Ich werde meine Pflicht unablässig thun. Ach, und auch gern. Die gnädige Frau sind so gütig ...«

Nun brach sie doch in Thränen aus.

Albrecht hatte gedacht, sie sei kein »weinerliches Frauenzimmer«. Sie war ihm sogar ein bißchen hart vorgekommen, und er hatte Christine den ersten Tag mehrmals gefragt, ob die neue Pflegerin auch wirklich liebevoll sei. Nun sah er wohl, die Festigkeit war nur Maske. Die Thränen begriff er sehr gut. Als Mann, der seit dreiundzwanzig Jahren eine kranke Frau besaß, kannte er Weiberthränen. Er war ihnen gegenüber nicht hilflos. Aber sie wirkten auch nicht mehr so sehr auf ihn, wie auf andre Männer.

Er klopfte mit freundschaftlichstem Wohlwollen dem Mädchen auf die Schulter.

»Thränen lösen immer eine nervöse Spannung wohlthätig auf, sagt der Doktor. Weinen Sie sich nur ruhig aus, mein Kind,« meinte er. »Und dann trösten Sie sich: von Vertrauen verlieren kann keine Rede sein. Ein idealer Beweggrund ist ja was Schönes. Aber ein realer hat sozusagen noch was Zuverlässigeres.«

Kleopha trocknete ihre Thränen.

»Ich danke Ihnen,« sprach sie, »und ich kann auch noch sagen, daß es mir ganz seltsam geht. Seit ich hier bin, kommt mir das Krankenpflegen viel weiblicher vor. Bitte, verstehen Sie mich nicht falsch: sein ganzes Dasein aufopfernd an Leidende hingeben, ist ja etwas Anbetungswürdiges. Aber dazu muß man einen innersten, heiligen Beruf haben. Den hatte ich wohl nicht. Viele von den Schwestern waren so fromm und so hochmütig und so allwissend. Da kam ich mir vor wie eine, die sich mit Gewalt einreden soll, sie sei von geringerer Art. Und ich verzehrte mich vor Trotz. Hier ist alles so anders. Ich bin wieder wie ein Weib geworden. Da war ich nichts. Oder nur etwas Halbes. Ihre Frau ist ein so wunderbarer Mensch. Ihre Zufriedenheit hebt mich mit.«

Albrecht sah erstaunt dem jungen Mädchen in die Augen.

»Das Mädchen ist von guter Herkunft,« dachte er, »und hochgebildet. Offenbar. Und Alexandra hat recht: beunruhigend schön. Da kommt viel zusammen. Vielleicht zu viel für einen jungen Menschen wie Hartard. Na, abwarten.«

Er lächelte sie an.

»Ja,« sagte er, »meine Frau ist schon ein Mensch, von dem man lernen kann. Das freut mich, daß Sie ihren Einfluß spüren.«

Er gab Kleopha die Hand.

»So, mein Kind. Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Das Wesentliche wissen wir ja nun. Denn das Seelische – das ist immer das Wesentliche. Und nun kommen Sie mit 'rüber in meine Stube, da wollen wir gleich das Unwesentliche abmachen. Die Polizei ist nun mal so: sie will alles wissen, auch Ihren Namen.«

Bald darnach trat Albrecht bei seiner Frau ein.

»Mein Stinchen,« sagte er in scherzhaftem Bedauern, »mit dem Roman ist es offenbar nichts. Sie heißt Kleopha Reineck schlechtweg. Und ist bloß Krankenwärterin geworden, weil das mehr Geld einbringt, als kleine Kinder unterrichten.«

Christine machte wirklich ein langes Gesicht. Er lachte sie aus.

»Also wirklich keine unglückliche Liebe.«

»Nicht die allermindeste. Aber viel was Besseres: sie ist ein tief fühlendes, denkendes und gebildetes Mädchen. Viel mehr, als wir so bisher vermuteten. Und mir scheint, sie versteht, wen sie in dir vor sich hat. Das macht mich glücklich. Von der wirst du wahrscheinlich viel haben,« erzählte er.

»Wenn Hartard sich nur nicht in sie verliebt,« sprach Christine nachdenklich.

»Davor sind Alexandra und ich auch ein bißchen bange. Aber sie scheint ein stolzes und ernstes Mädchen. Wenn sie von vornherein weiß, daß Hartard wegen des Majorats nur eine mit acht Ahnen heiraten darf und noch lieber eine, die dazu Geld hat, dann wird sie ihn sicher nicht ermutigen. Zu so was gehören immer zwei.«

Christine meinte, sie wolle noch heute die vorliegenden Verhältnisse leise andeuten, wozu er lachte, denn er wußte, dies »andeuten« würde in einer ausführlichen und genauen Darlegung bestehen.

»Du kommst doch noch, ehe du nach Hörstel fährst? Ich mag dich so gern im Frack leiden.«

Er klopfte scherzhaft strafend mit leichter Hand ihre Wange.

»Hab' ich schon jemals das Haus verlassen, auch nur um nach den Ställen zu gehen, ohne es dir vorher zu sagen?«

Und gegen vier Uhr trat er denn wieder bei ihr ein.

Sie hatte recht: der Frack stand Albrecht von Fronhofen ausgezeichnet. Da sah man erst, von welcher jünglingshaften Geschmeidigkeit seine Gestalt war.

Er bekam noch eine Menge von Befehlen mit: er sollte genau darauf achten, was für Kleider die Damen anhatten; für den Fall, daß Natalie Montefort anwesend sei, solle er ihr sehr den Hof machen und Hartard unmerklich, aber wirkungsvoll herausstreichen; Pastor Zwota sollte er sagen, daß sie seinen Besuch demnächst erwarte; an Frau von Stechow die herzlichsten Wünsche bestellen und vor allen Dingen darauf achten, wie Calatin und Alexandra miteinander verkehrten.

Er versprach alles und kam richtig zu spät weg.

Nach Hörstel hatte er eine Stunde zu fahren. Der Weg bog bald hinter der Mühle, bis zu welcher er gestern abend Alexandra begleitet hatte, nach links hinüber und ging über Felder in den Wald hinein, den er, die sanfte Hügellinie übersteigend, durchquerte. Jenseits lagen Dorf und Schloß Hörstel.

Das rote Spitzdach der Kirche ragte plump zwischen dem Grün der Baumwipfel und dem Gedränge bräunlichroter Dächer hervor. Die Kirche hatte keinen Turm, sondern nur vorn auf der Giebelspitze ein großes eisernes dünnes Kreuz. Die Glocke hing in einem Balkengestühl, das auf dem Kirchhof stand.

Schloß Hörstel lag hinter dem Dorf, das es vor sich, wie auf einem Präsentierbrett, wie zur Beaufsichtigung, hatte. Eine Lindenallee führte hinan, die so schattig und gewölbeartig zusammengewachsen war, daß Regen in den Wagenspuren nur sehr schwer trocknete und der ganze Weg sich immer im Zustand schwarzer Feuchtigkeit befand. Das Schloß lag auf dem Höhenkamm einer wellenförmigen Erhebung des Geländes. Der Park hinter ihm fiel in derselben leisen Linie ab, wie vor ihm die Allee anstieg. Der Baron von Königsegg hatte neu gebaut, und seine Schöpfung glich mehr einer italienischen Villa, als einem märkischen Schloß. Der viereckige Turmanbau rechts zeigte eine zackig ausgeschnittene Krönung in leuchtendem Weiß gegen den blauen Himmel. Das Gebäude selbst, das mit seiner Breitseite an den Turm stieß, hatte zwei Reihen Fenster mit Spiegelscheiben. Vor denen des Hochparterres zog sich eine Terrasse hin, die mit Lorbeern, Palmen und Hortensien reich geschmückt war. Der Eingang in das Schloß befand sich an der Schmalseite des Baues.

Als Albrecht durch die Lindenallee hinanfuhr, sah er bald, daß auf der Terrasse die Gesellschaft versammelt war und nach ihm ausschaute.

Er ließ eben immer auf sich warten. Und wenn er bei Christinen zum Abschiednehmen noch so früh eintrat – sie hielt ihn dennoch fest, mit zahllosen Fragen und Bitten. Das wußten alle seine Bekannten, und man ersparte ihm jede Frage und jeden Vorwurf.

Fröhlich grüßend schwang er seinen Hut gegen die auf der Terrasse Versammelten, während der Wagen vor dem großen Rasenrund abbog, um seitwärts am Schloß vorzufahren.

Als er in den Salon trat, fand er die Gäste teils dort vor, teils standen sie in den beiden Thüren, die sich auf die Terrasse öffneten.

Er küßte Frau von Stechow, dem Geburtstagskind, die Hand. Sie nahm seine Glückwünsche mit mehr Höflichkeit als Wärme an.

Alexandras Mutter war eine stattliche Dame, groß, mit wohlerhaltener Figur. Das graue Haar erschien modisch geordnet, doch milderte eine häubchenartige Spitzenrosette auf dem Scheitel das Jugendliche der Haartracht. Ihr Gesicht zeigte wenig Ähnlichkeit mit der Tochter, die Züge waren regelmäßiger und strenger, das Auge hell und sehr klug. Ihr hellgraues Seidenkleid vermied jeden auffallenden Schmuck und war mit vollkommenem Geschmack ihren Jahren angemessen.

So wirkte sie wie eine vornehme, selbstbewußte Frau.

Alexandra lud sogleich zu Tisch nach dem nebenan gelegenen, sich gleichfalls auf die Terrasse öffnenden Speisesaal. Der war ganz modern, in englischem Stil, eingerichtet. Ein riesiges Sideboard mit Spiegelrückwand ersetzte das Büffett. Vor dem Spiegel auf den Borden glänzten Silberprunkstücke. Die hellen, eintönigen Wände zeigten oben einen breiten Fries, auf dem in blassen Farben steile Blumen aus der Kante wuchsen. Die Tafel war mit Herbstblumen und roten Blättern flach geschmückt. Stühle, mit hellgeblümter Seide bezogen, standen um den Tisch und an den Wänden. An den drei Fensterthüren wallten Vorhänge von demselben Seidenstoff herab.

Frau von Stechow saß, wie immer, seit sie mit der Tochter auf Hörstel lebte, zu Häupten des Tisches. Es war der Platz, der eigentlich Alexandra zugekommen wäre.

Die Gegenwart dieser majestätischen Mutter warf ein besonderes Licht auf Alexandra. Die Achtunddreißigjährige erschien töchterlich, jünger – war eben noch das Kind einer Ältern. Wer Vater und Mutter hat und zu ihnen noch wie zu Autoritäten aufblickt, steht selbst noch nicht auf der höchsten Reifestufe des Daseins, die erst durch das unbedingte Verantwortlichkeitsgefühl erreicht wird. Wer noch an ein Mutterherz flüchten, noch an Vatertreue sich wenden kann, ist noch nicht allein, noch nicht ohne Rückhalt, noch nicht ohne Richter auf der Welt. Er kann sich noch entlasten. Er kennt noch den Gehorsam, wenn auch nur in jenem feinsten und letzten Sinn der Freiwilligkeit, die Ehre gewährt und sich selbst ehrt, indem sie sich beugt.

Alexandra war eine selbständige, starke und leidenschaftliche Natur. Aber es ging ihr wie allen Menschen, die aus gesundem Familienleben emporwuchsen: der Kinderrespekt vor der strafenden und lobenden Mutter erlischt nie ganz und besteht beim erwachsenen Menschen als pietätvolle Rücksichtnahme weiter.

Und Frau von Stechow erging es wie allen Müttern: sie sah ihre Tochter für jünger, unreifer und des Rates bedürftiger an, als sie war. Daß Alexandra achtunddreißig Jahr sein sollte, kam ihr manchmal wie ein Rätsel vor.

So stand Alexandra, nicht nur durch ihre Erscheinung, sondern durch ihr Verhältnis zu ihrer Mutter, im Licht der Jugend.

Neben Frau von Stechow saßen Herr von Aulendorf rechts und Roderich von Calatin links. Aulendorf, mit seinem rötlichen, dicken Gesicht, wirkte wie die Ruhe und Zufriedenheit in Person. Er war ebenso angezogen wie die andern Herren, im Frack, mit weißer Weste und weißem Vorhemd. Aber bei seiner Breite sah es aus, als habe er besonders viel weiße Wäsche an. Roderich von Calatin hatte ein interessantes Gesicht, schmal, mit scharfem Profil und sehr dunklem Haar, das, kurzgeschoren, mit einer Schneppe in die Stirn wuchs. Seine Augen waren braun und hatten einen scharfen Blick. Brauen und Schnurrbart hatten in ihren Linien eine gewisse Gleichheit: sie waren schwarz und schmal und strebten aufwärts. Aber sein Teint war fahl. Der Mann sah etwas verbraucht und blasiert aus.

»Wie ein ermüdeter Mephistopheles,« hatte Albrecht einmal gesagt.

Doch galt Calatin als interessant, und alle Damen fühlten sich ausgezeichnet, wenn er sich ihnen zuwandte. Jedermann sah ihn als Bewerber Alexandras an, und die ganze Gegend war neugierig, ob was daraus würde. Würde was draus – dann war das, was man sonst in der Gegend munkelte, also doch nur leeres Geschwätz.

Neben Calatin saß Frau von Aulendorf, eine von den präsumtiven Schwiegermüttern Hartards, während die andre »Präsumtive«, die Baronin Montefort, Aulendorf zum Nachbar hatte.

Die Aulendorf war eine Frau mit einem Alltagsgesicht. Das Besondere an ihr war unerfreulich: sie sah immer ein bißchen schmuddelig aus.

»Ich glaube, sie wäscht sich zu wenig,« sagte Albrecht einmal zu Alexandra. Diese nahm Frau von Aulendorf in Schutz. »Ich glaube nicht, daß es an Reinlichkeit fehlt. Aber es gibt so unglückliche Menschen, die mögen sich noch so sehr pflegen und noch so viel neue, schöne Kleider anziehen – sie sehen doch unfrisch aus. Es liegt am Teint, an den Haaren, an einem gewissen Ungeschick, die Gesichtszüge und die Kleider zu tragen. Sie macht immer einen schiefen Mund und wählt Farben und Muster der Stoffe nicht zu ihre Figur passend.«

Außerdem litt Frau von Aulendorf viel an rheumatischen Zuständen, die sie mit Hausmitteln bekämpfte; ein Geruch von Bilsenkraut, Äther und Bensonpflaster schwebte um sie her.

Frau von Montefort hingegen hatte etwas Elegisches. Sie ging immer schwarz und trauerte ihrem Mann seit acht Jahren nach; man sagte, hauptsächlich in der reuevollen Erkenntnis, daß sie ihn bei seinen Lebzeiten nicht besonders glücklich gemacht. Sie lächelte immer nur zögernd und hörte mit einer offenkundigen christlichen Nachsicht den lebensfreudigen Gesprächen der andern zu. Übrigens war sie eine schöne Frau, die sich nur dadurch entstellte, daß sie ihr braunes Haar zu straff aus dem Gesicht gekämmt hatte. Ihre hohe Gestalt hielt sie besonders aufrecht, und ihre Bewegungen waren langsam.

Neben der Baronin von Montefort saß Zwota, sein glatt rasiertes, fröhliches Greisenangesicht, das von starken, buschig aufstehenden weißen Haaren gekrönt war, seinem Gegenüber – Albrecht – zugewandt. Zwischen Albrecht und der Aulendorf aber hatte Alexandra die kleine Natalie Montefort gesetzt.

Sie sah ihrer Mutter gar nicht ähnlich. Der verstorbene Montefort hatte ein »Kosakengesicht« gehabt; von ihm mußte demnach Natalie ihre kecke kleine Nase, ihren großen Mund geerbt haben. Aber bei ihr war alles reizvoll und farbenfrisch. All die auseinander strebenden, offenen Linien zeigten eine kecke Grazie. Beim Lachen wies sie herrliche Zähne. Ihre Augen waren blau und groß. Ihnen fehlten die Brauen, die nur schwach und blond waren. Und Augen, ohne die Überwölbung ausdrucksvoller Brauen haben leicht etwas Vordringliches. Blondes Haar lag in dicken Zöpfen um Nataliens runden Kopf.

Das junge Mädchen trug ein weißes Battistkleid, mit einem breiten Faltengürtel von hellblauem Sammet, in dem ein Rosenstrauß steckte. Sie plauderte sehr lebhaft mit Albrecht, ja, sie machte ihm offenkundig den Hof, wie er ihr – Christinens Wunsch gemäß. Denn Natalie hatte es sich in den Kopf gesetzt, daß Hartard von Fronhofen der ihr vorbestimmte Gatte sei. Sie wußte ja, daß Flieders, ihr Vatererbe, noch Ende vorigen Jahrhunderts den Fronhofen gehört hatte, und sah darin so etwas wie einen Wink vom Schicksal für Hartard und sie. Außerdem schwärmte sie für dunkle Männer.

Unten am Tisch, an der länglichen Tafel, ihrer Mutter gerade gegenüber, schloß Alexandra den Kreis, zwischen Zwota und Albrecht. Niemand erinnerte sich seit Jahren, Albrecht hier wo anders bei Tisch haben sitzen zu sehen, als rechts von der jüngern Hausfrau. Alexandra, die heute in einem blaßlila Kleid ganz besonders schön aussah, hörte lächelnd dem Wortgefecht zwischen Albrecht und Natalie zu, als dem heitern Vorspiel künftiger Ereignisse. Vergnügt war man eigentlich nur an dieser untern Tischhälfte.

Frau von Aulendorf widmete sich ganz der Beobachtung von Natalie, auf die sie wegen ihrer eignen Töchter eifersüchtig war. Aulendorf und die Montefort unterhielten sich mühsam, und Frau von Stechow sprach leise und ernst mit Calatin. Störte man sie aus ihrer Zwiesprache durch Anrufe und Fragen auf, so verfielen sie doch bald wieder in ihre wichtige Versunkenheit.

Manchmal fiog Alexandras Blick hinüber und streifte dann schnell Albrecht. Der aber war ganz in Natalie vertieft.

Pastor Zwota ließ das Geburtstagskind leben, seine liebe Werkgenossin und Gönnerin, die treue Mutter der Gutsherrin, die bewährte Freundin aller Anwesenden. Alle standen auf, um mit Frau von Stechow anzustoßen. Alexandra umarmte und küßte ihre Mutter.

»Sehen Sie doch, wie unglaublich jung die Baronin aussieht. Wie ein Mädchen. Ich glaube, es liegt in der Figur und in den Bewegungen,« sagte Natalie, Albrecht auf Alexandra aufmerksam machend.

»Wirklich!« sprach er bestätigend und dachte:

»Diese kleine Natalie ist ein liebes, geschmackvolles und urteilsfähiges Kind. Es wäre wahrhaftig die beste Lösung ... Christine hat recht ... wenn Hartard die Augen und das Herz auf dem rechten Fleck hat ...«

Während man den Pudding aß, trugen die beiden Diener Armleuchter herein, stellten sie auf die Tafel und zündeten die Kerzen auf dem Kronleuchter an.

Frau von Aulendorf machte die überraschende Bemerkung, daß es jetzt doch schon sehr früh dunkel werde.

Natalie sagte übermütig zu Zwota: »Sie sind eine Abendschönheit, Herr Pastor.«

Er drohte ihr lächelnd, gleich mit der ganzen Faust, und sie duckte sich, als wolle man nach ihr werfen.

In der That goß der Lichterglanz einen verfeinernden Schimmer über das starke, großzügige Gesicht des alten Mannes, dessen Haut grobporig war wie eine Apfelsine und dessen Bart nicht immer mit allzu großer Glätte wegrasiert war. Er sah immer aus wie die Behäbigkeit und Heiterkeit selbst. Seine Frau, eine geborne Gräfin Wenglin, war längst tot, ohne ihm Kinder hinterlassen zu haben. So lebte er als zufriedener Junggesell, sein Leben zwischen seiner Gemeinde und seinen junkerlichen Neigungen teilend. Er aß gern gut, liebte die Jagd, war ein hervorragender L'hombrespieler und ein Weinkenner von Ruf.

Aber er hatte auch ein offnes Herz für alle Leiden und ein kräftiges Wort für jeden, der schwach zu ihm kam.

So hätte er von sich sagen können, daß er der beliebteste Mann der Gegend sei. Aber er war ein viel zu natürlicher und unmittelbarer Mensch, um über den Grad seines Ansehens nachzudenken.

Als die Tafel aufgehoben war, hing Natalie sich an Zwota.

»Sie muß immer einen haben, mit dem sie herumschmeicheln kann,« bemerkte Frau von Aulendorf zu Albrecht. »Sie hat die reine Katzennatur.«

»Oder man könnte auch sagen: eine sehr weibliche, hingebende,« sprach er beschönigend.

Der Kaffee wurde in Alexandras großem Salon genommen. Auch er war schon hell erleuchtet, obgleich draußen noch ein hellblauer Dämmerschein mit feuchtem Dunst die Gegend mehr verschleierte, als schon verdunkelte. Die Thüren standen weit auf.

Der Salon war, wie der Speisesaal, sehr prächtig. Die blaue Farbe herrschte vor, das war damals in Rücksicht auf die noch roten Haare der Bewohnerin so angeordnet worden. Aber durch bunte Stoffe und einen köstlichen Smyrnateppich waren doch auch warme Farbentöne in den Raum gebracht.

Während Albrecht im Begriff war, auf die Terrasse hinauszutreten, um sich dort eine Cigarette zu gestatten, streifte ihn Frau von Stechow.

»Ich muß mit Ihnen sprechen,« sagte sie halblaut. »Bitte, gehen Sie in mein Arbeitskabinett.«

Ein großes Unbehagen bemächtigte sich sofort Albrechts. Er warf die Cigarette gedankenlos fort, als sei die noch gar nicht angezündete schon aufgeraucht.

Die heimliche Art der Bitte ärgerte ihn unaussprechlich.

»Natürlich was Unangenehmes!« dachte er. Aber er verließ doch sofort den Salon und stieg die Treppe hinauf. Er kannte dies Haus wie sein eignes. Da gab es keine Thür, in der er sich zu irren vermocht hätte.

Im Zimmer der Frau von Stechow war kein Licht. Ein letzter blasser Schein, den der langsam hingeschwundene Tag zurückgelassen, erfüllte melancholisch den kleinen Raum.

Viel bewegen durfte man sich hier nicht. Das Kabinett war zu voll von Möbeln und Nippes. Frau von Stechow hatte in den drei Räumen, welche ihr über dem Eßsaal zur Verfügung standen, allzuviel Erinnerungen an frühere Zeiten zusammengestapelt.

An der Wand, dicht beim Fenster, stand ein Schreibtisch. Auf den Stuhl davor setzte sich Albrecht, um nur ja nicht hin und her zu gehen und dabei etwas herabzustoßen. Dies Malheur geschah ihm zuweilen in dem Zimmerchen der Dame, und es war ihm allemal sehr peinlich.

Nun saß er und wartete. »Wie ein Schuljunge, der zum Direktor befohlen wird, um eine eigenhändige Pauke entgegenzunehmen,« dachte er und sein Humor kam wieder zum Durchbruch.

Endlich that sich die Thür auf, und es trat, mit ihrem seidenen Kleid majestätisch rauschend, Frau von Stechow herein.

Albrecht stand auf und blieb vorsichtig auf dem Fleck stehen.

»Es ist hier dunkel ...,« sagte sie mißfällig. »Ich hatte doch Fritz befohlen ...«

»Nun, das macht ja nichts. Sie werden mir doch nur wenige Worte zu sagen haben. Ich wüßte wenigstens nicht ...,« sprach er.

Aber sie war schon dabei, zwei einzelne Lichter zu entzünden, die in alten Silberleuchtern auf einem Schränkchen zwischen allerlei Nippes standen.

Diese beiden Lichtpünktchen gaben eine jämmerliche Beleuchtung ab und erhöhten die Ungemütlichkeit der Situation beträchtlich.

Der große Mann stand da wie ein Gefangener.

»Nun, was soll ich?« fragte er plötzlich in bemerkbarer Ungeduld.

Aber Frau von Stechow ließ sich erst würdig auf das Miniatursofa nieder und räusperte sich dann. Sie hatte immer eine etwas unfreie Stimme, und die Gewohnheit, sich alle fünf Minuten das Organ klar zu räuspern, machte Albrecht stets sehr nervös.

Sie faltete nun die Hände auf der Tischkante und sah Albrecht aufmerksam an.

»Hartard kommt zurück?«

»Ja. Wahrscheinlich morgen. Vielleicht in diesem Augenblick. Denn ich hab' ihm nach Berlin gleich ein paar Zeilen entgegengeschickt, daß er seine Mutter lieber überraschen soll, damit die Aufregung der Wartestunden wegfällt.«

»Sie sind immer sehr besorgt um Christine und sehr aufmerksam für sie,« sagte Frau von Stechow und räusperte sich.

»Ich hoffe – ja! Das ist meine Pflicht und entspringt meinem Herzensbedürfnis,« antwortete er. Seine Stirn ward finster, und seine Augen funkelten die Frau warnend an.

»Durch Hartards Rückkehr wird Ihr Leben verändert,« fuhr sie fort.

»Ich wüßte nicht wie.«

»Nun, es wird reicher, mannigfaltiger. Sie sind in Rethen nicht mehr ganz allein auf die Gesellschaft einer kranken Frau angewiesen,« sprach sie.

»Das ist wohl wahr.«

»Das Interesse an Alexandra wird mehr zurücktreten,« sprach sie mit fast lehrhaftem Ton weiter.

»Sparen Sie solche Bemerkungen,« sagte er finster.

»Ich gebe einer Hoffnung Ausdruck,« rief sie lebhaft werdend. »Meiner Hoffnung! In einem Augenblicke, wo durch das Erscheinen Ihres Sohnes Ihr Leben ein freundlicheres zu werden verspricht, kommt es mir weniger grausam vor. Sie zu bitten, nicht mehr so viel mit Alexandra zu verkehren.«

»Der Grund dieser Bitte ...,« sagte er, vor Ungeduld zitternd.

»Die Leute reden ...«

»Das ist wohl Herrn von Calatins Weisheit,« bemerkte er bitter.

»Also ja! Und ein offnes Wort. Herr von Calatin bewirbt sich um meine Tochter. Er kann mit mir, der Mutter, offen davon reden, ehe er Alexandra die entscheidende Frage stellt. Er kann nach den Hoffnungen, die ich ihm mache, oder nach der Aussichtslosigkeit, die ich ihm andeute, seinen Antrag anbringen oder unterlassen. Eine Vorsicht, die bei den engen und unlöslichen Beziehungen, die Herr von Calatin als Nachbar mit uns allen unterhält, gewiß zu begreifen ist.«

»Sicherlich,« sagte Albrecht etwas spöttisch, »denn wenn Alexandra ihm einen Korb gäbe, müßte er auf Reisen gehen, oder in Dolac als Einsiedler hausen, und sein Pech wäre obenein publik. Da ist es denn vorsichtiger, er vermeidet den Korb, steckt seine heiße Liebe für Alexandra in die Tasche und verkehrt ruhig weiter mit ihr, als habe er nie sein Lebensglück von ihr ersehnt. Eine große Leidenschaft, die das kann.«

»Wenn man es so nimmt!« sprach sie achselzuckend. »Es handelt sich wohl um ein weniger himmelstürmendes, aber solideres und glückbringenderes Gefühl. Leidenschaft heißt Unglück.«

Er schwieg.

»Ich bitte Sie, lieber Albrecht, eines zu begreifen: daß ich als Mutter den einzigen, heißen Wunsch habe, meine Tochter noch einmal glücklich zu sehen.«

Ihre Stimme bebte. Ein tiefes Gefühl sprach aus ihr.

»Mein Gott – wer begriffe das nicht!« murmelte er.

»Roderich von Calatin hat eine zähe Neigung für Alexandra. Ich muß da wohl sagen: zäh, denn er macht ihr schon seit Jahren den Hof. Seine Lebensjahre, sein Vermögen, sein Rang lassen ihn als einen besonders geeigneten Bewerber erscheinen. Doch das sind Äußerlichkeiten. Sie selbst werden mir zugeben, daß Calatin ein Mann ist, mit dem eine Frau sich niemals langweilen wird. Er hat viel von der Welt gesehen, weiß zu sprechen, ist belesen, denkt selbst, und dies alles weiß er in den angenehmsten Formen zu verwerten.«

Es lag eine förmliche Fürbitte in ihrem Ton. Albrecht suchte nach Worten. Er litt.

»Aber wenn Ihre Tochter ihn nun doch einmal nicht will ...,« sprach er, und seine Stirn ward feucht.

»Alexandra ist eine so gute Tochter, pietätvoll, ergeben, treu. Nur in dem einen Punkte will sie keine Vernunft annehmen. Sie muß doch begreifen, daß eine Heirat das einzige Mittel ist, sich aus ihrer unklaren Lage zu befreien. Mit ein wenig Selbstüberwindung kann man alles. Sie wäre nicht die einzige Frau, die eine Vernunftehe einging, weil der Mann, für den sie sich bestimmt fühlt, nicht frei ist, nicht frei werden kann und – und – – sich auch nicht frei machen will,« sagte sie, sehr unsicher das streifend, was sie nicht geradeaus berühren wollte. Und dann setzte sie schnell hinzu: »Sie allein, lieber Fronhofen, Sie ganz allein können Alexandra zu dem überreden, wovon mein Mutterherz wenn nicht Glück, so doch Frieden für sie erhofft.«

Albrecht stemmte schwer seine Faust auf den Tisch und beugte sich etwas zu der Frau herab.

»Sie wollen, ich soll Alexandra zu etwas überreden, das nicht sittlich ist!« sprach er halblaut. »Sie wissen, daß sie liebt, aber daß ihre Liebe nicht Herrn von Calatin gilt.«

Von dem Ton erschreckt, wollte Frau von Stechow eine Verteidigung ihrer Wünsche beginnen.

Albrecht machte mit der Linken eine herrische Handbewegung.

»Kein Wort mehr. Es gibt Dinge, liebe Mama, die man nur dadurch erträglicher macht, daß jedermann, jedermann sie mit schonungsvollem Schweigen zudeckt.«

Die Frau fing an zu weinen, mit ihrer Linken ihr Gesicht verdeckend. Und er, der Thränen gewöhnt war, den sie nicht mehr rührten, weil er ihren Wert als Nervenerleichterung kannte, er war erschüttert von diesen Thränen, die er nur zu gut verstand.

Er nahm die Rechte der Weinenden und küßte sie ehrfurchtsvoll.

»Alexandra ist ja frei,« sprach er mit unklarer Stimme, »es erhebt niemand den Anspruch eines Rechtes an sie. Lassen Sie sie entscheiden – unbeeinflußt. Ich – ich will nicht mit den Wimpern zucken, wenn ...«

Er brach ab.

Frau von Stechow drückte ihm die Hand. Sie war nicht versöhnt. Aber, wie schon hundertmal, wie immer, wieder gerührt.

Sie seufzte.

»Dann ist es hoffnungslos,« sagte sie ergeben, »denn Alexandra – die lacht mich an – lacht – wie in Glück und Sieg – wenn ich davon rede und weine.«

Sie stand auf.

Bei ihren Worten ging in seinem Angesicht heller Sonnenschein auf, und aus seinen Augen funkelte die Freude.

Er dehnte sich, wie jemand, der eine schwere Last abschüttelt.

»Ja,« rief er, »wie Glück und Sieg. Gottlob, daß sie es kann!«

Und er hatte das Bedürfnis, der Mutter Alexandras noch etwas Beruhigendes zu sagen.

»Sehen Sie, Mama – nicht alle Menschenschicksale lassen sich nach der Schablone zuschneiden. Unsres ist ein ungewöhnliches. Und Alexandra ist auf der Höhe ihres Schicksals. Sie dürfen die Tochter bewundern, die Sie geboren und die Sie erzogen haben.«

Dies that ihr nun doch wohl. Sie drückte Albrecht abermals die Hand, hauchte dann auf ihr Taschentuch, tupfte sich die Augen damit und meinte:

»Wir wollen zur Gesellschaft zurückkehren.«

»Aber doch nicht zusammen, damit Calatin uns an der Nase ansieht, was wir sprachen. Ich gehe eben ein Paar Schritte hinaus, damit mir wieder leichter ums Herz wird,« sagte er.

Albrecht war es in der That schwer, so unmittelbar nach diesem Gespräch Herrn von Calatin und Alexandra zu begegnen. Er fühlte, er hätte sich namenlos geärgert, wenn er die beiden etwa gar zusammen getroffen hätte, Calatin in der ergebenen Haltung und Alexandra mit einem interessierten Gesicht.

Hinter dem Schloß ging ein breiter Weg in den Park hinein, diesen in zwei Teile schneidend. Im Sommer säumten Blumenrabatten diesen Weg, und hinter den Rabatten zogen sich in langen Linien herrliche Rosenhochstämme. Dahinter dehnten sich Rasen, und erst in beträchtlicher Entfernung fingen die Baumpartien an.

Auf diesem Wege, in der völligen Dunkelheit, lief nun Albrecht auf und nieder. Heftige Körperbewegung beruhigte ihm immer das Gemüt. Er wollte sich jetzt vor ungerechten Gefühlen bewahren.

Die Luft war ungewöhnlich weich, und die Erde dünstete stark aus. Alles ruhte in vollkommener Stille. Es war das müde, satte Schweigen des sterbenden Sommers. Das geheimnisvolle Leben, welches durch die Sommernächte raunend zu huschen scheint, war verstummt. Die Welt schien tot, und auch die regste Phantasie konnte diese schwere, schwarze Nacht nicht mit holden Spukgeistern der Liebe und Sehnsucht bevölkern.

Albrecht dachte plötzlich an seinen Sohn. Er hätte beinahe bitter aufgelacht.

Der Junge wollte ihn auf den Großvaterlehnstuhl setzen – ihn, der so mitten in dem leidenschaftlichsten Kampf des Lebens stand. Es war beinahe eine Komödie.

Dann dachte er wieder: »Für den Jungen ist es auch schwer. Es ist beinah, als wie wenn einer sich stark genug fühlt zum Dreinschlagen und doch noch kein Schwert in die Hand kriegt. Aber ich kann ihm Rethen doch nicht abtreten – –«

Er lief nochmals wieder zurück, den Weg hinab.

»Alexandras Idee war natürlich die beste. Eine Pachtung. Ja, aber annehmen konnt' ich das nicht, das mit dem Geld – gerade weil die Leute reden.«

Dann fiel ihm weiter ein, daß alle Sorgen vielleicht unnütze Vorarbeit seien.

Da oben saß ein Mädchen, das mit weit offenem Herzen bloß auf Hartard zu warten schien, um ihm sich und Flieders freudigst auszuliefern. Und warum sollte Hartard sich nicht in die verlieben? Sie war ein temperamentvolles, chikes, intelligentes kleines Ding. Man konnte sich ihr reizendes, üppiges Figürchen sehr gut neben Hartards großer, dunkler Erscheinung denken.

Er bekam ein förmliches Bedürfnis, sofort wieder mit Natalie zu scherzen, und kehrte auf der Stelle um.

Da war ihm, als höre er einen Wagen fahren. Das konnte nur vorn am Schloß sein, denn der Park war rings von Feldern begrenzt. Vielleicht noch ein später und unerwarteter Geburtstagsgast. Es mußte bald neun Uhr sein. Das war so ungefähr die Zeit, wo jemand ankommen konnte, der den Abendzug von Berlin nach Ludwigsfelde benutzt hatte. Mit guten Pferden und einem leichten Wagen machte man den Weg von da in dreiviertel Stunden.

Die Vorstellung, daß ein neues, unerwartetes und vielleicht fremdes Element sich noch dem Kreise zugesellen könne, war Albrecht sehr angenehm. Das lenkte alle ab. Das gab ihnen allen die Unbefangenheit wieder. Er wenigstens fühlte sich in der seinigen doch ernstlich gestört und vermutete dasselbe bei Calatin und Frau von Stechow.

Er ging recht langsam, um nicht in eine Begrüßungsscene hineinzufallen.

»Es wird der Generalmajor von Stechow sein,« dachte er. »Hoffentlich ist er es. Das freute Alexandra und ihre Mutter sehr.« Endlich betrat er das Haus wieder. Er ging durch die Veranda, die sich rückwärts, glasbedacht, vor allen Fenstern und Thüren hinzog. Ein paar Stufen führten hinauf. Die Glasthür, die von der Veranda in Alexandras Arbeits- und Wohnzimmer ging, stand weit auf. In dem Zimmer war es aber dunkel. Von da sah man auf die Thüröffnung zum Salon, wie auf ein blankes buntes Bild. Drinnen war funkelnder Lichterglanz, und in dem Ausschnitt, den die Thürpfosten umrahmten, sah Albrecht gerade Calatin, der auf Zwota einredete, indem er ihm an den gespreizten fünf Fingern der Linken, mit dem Daumen der Rechten Gründe oder Beweise oder Thatsachen herzählte.

Aber plötzlich brachen sie ihr Gespräch ab und sahen mit Ausdruck und Gebärden großen Erstaunens in die Richtung, wo der Eingang vom Flur in den Salon war. Zwota breitete die Arme aus, mit jener Geste, die einen freudigen Empfang symbolisieren will.

Albrecht trat auf die Schwelle.

Der Gast, der noch vorgefahren kam, war aber nicht der Generalmajor von Stechow.

Fritz, der Diener und als Sebalds Sohn der Vertrauensmann des Hauses, kam herein und flüsterte Frau von Stechow etwas zu. Diese besprach gerade mit ihrer Tochter die Notwendigkeit, für die Herren einen L'hombretisch im Spielkabinett zu arrangieren.

Frau von Stechow bekam Herzklopfen. »Wie unmotiviert,« dachte sie, »sicherlich bloß eine Folge des Gesprächs von vorhin.«

»Was hat Fritz?« fragte Alexandra.

»Komm hinaus,« sagte ihre Mutter, »Hartard von Fronhofen ist da und fragt nach seinem Vater.«

Alexandra wurde dunkelrot.

»Welche Überraschung!« rief sie und eilte ihrer Mutter voran.

Im hellen Flur, vom Licht der großen Hängelampe voll überstrahlt, stand Hartard Michael von Fronhofen.

Er glich seinem Vater auf eine sehr auffallende Weise. Es war dieselbe hohe Gestalt, biegsam und fest wie eine Stahlklinge, dasselbe dunkle, männliche Gesicht, dieselben blitzenden Augen, derselbe dichte braunschwarze Haarschopf über der stolzen Stirn. Nur seinen Schnurrbart trug er, nach der Mode des Tages, aufgebürstet. Dadurch schien sein Ausdruck heitrer, aber auch schneidiger. Er war in einem dunkeln Reiseanzug, und der Kragenmantel hing ihm lose auf den Schultern.

»Hartard!« rief Alexandra und lief auf ihn zu, ihm beide Hände entgegenstreckend.

Er erfaßte beide, mit der Linken zugleich ihre Finger und den Rand seines weichen Reisefilzes pressend.

»Tante Lexe ... du ... Sie! Und da ist auch Tante Stechow ... ja, verzeiht nur, daß ich so hereinfalle.«

»Wo kommen Sie her, Hartard? Und warum zu uns?« fragte Alexandra.

Ihr wollte das »du« nicht mehr über die Lippen.

Sie hatte Hartard vier Jahre nicht gesehen. Bei seinen letzten Besuchen auf Rethen war sie immer gerade verreist gewesen.

Er bemerkte es auf der Stelle.

»O weh,« sagte er, »ich werde fremd empfangen! Also nicht mehr Tante Lexe und du?«

Sie lachte und wurde wieder rot.

»Meinetwegen Alexandra und Sie. Denn wir sind uns ein bischen näher gerückt im Alter – nicht wahr?« sprach sie herzlich.

Er sah sie an. Alexandra bemerkte es wohl: mit Erstaunen und Bewunderung.

»Ja wahrhaftig,« sagte er scherzend, »Sie sind immer nur Tante Lexe für mich gewesen, Mamas Freundin, die mir zum Geburtstag schöne Bücher schenkte und mein erstes Gewehr und zur Konfirmation einen schönen Ring. Also eine sehr verehrungswürdige Tante. Aber ich sehe jetzt, daß Sie noch etwas andres sind, Alexandra ... so darf ich also sagen? ... nämlich ...«

Frau von Stechow schnitt ihm die huldigenden Worte ab.

»Wie kommt es, daß wir hier die Freude haben?«

»Ich fand heut früh in Berlin ein Paar Zeilen von Papa, ich solle womöglich etwas früher und überraschend kommen,« erzählte er. »Na, das war ja ganz wieder Papa, mit seiner unendlichen Fürsorge für Ma. In demselben Brief stand auch, daß hier heute Geburtstag gefeiert würde.«

Hier küßte er Frau von Stechow die Hand.

»Tausend gute Wünsche, Tante Stechow. Aber aufschneiden will ich nicht mit meiner Anhänglichkeit an Sie – die ist sowieso fest und warm genug. Des Geburtstags wegen bin ich nicht gekommen. Ich dachte so: wenn ich Ma überraschen soll, muß es schon morgen so früh geschehen, daß ich zur Stelle bin, wenn sie die Augen aufmacht. Ich muß ihr sozusagen zum Morgenthee serviert werden. Wenn ich aber heut abend den letzten Zug nach Trebbin nehme und noch nach Rethen 'rausfahre, ist darauf zu wetten, daß Ma hört, was los ist, auch wenn sie schon eingeschlafen war. Ma hört ja die Fliegen an der Wand kriechen. Aber in Trebbin übernachten, nein, das wollte mir nicht in den Sinn. So nahe der Heimat noch auf sie warten – das ist nichts für mich. Und da kam mir denn die erleuchtende Idee: du fährst nach Ludwigsfelde, gabelst da ein Fuhrwerk auf, fällst deinen beiden bewährten Gönnerinnen auf Hörstel ins Haus, überraschst auch Papa, der dich dann unbemerkt mit heimnehmen und ins Haus schmuggeln kann, ohne daß Ma Verdacht schöpft.«

»Das war brav gedacht und gemacht,« lobte Alexandra heiter, »und nun nehmen Sie den Mantel ab und kommen Sie herein.«.

»Meinen Reiseanzug vergeben die anwesenden Fräcke und Staatsroben?« fragte er.

»Bedingungslos,« versprach sie. »Geben Sie mir Ihren Arm, Hartard, ich will den Stolz haben, diese Überraschung hineinzuführen.«

Ihr Wesen war gehoben von Freude und Erwartung.

Sie sah so etwas wie ein besonderes Zeichen darin, daß Albrecht den Sohn an ihrem Arm zuerst erblicken würde. Aber ihre ehrliche, vornehme Seele genoß auch diesen Augenblick nicht ganz frei.

»Eigentlich nehme ich Ihrer Mama etwas weg. Aber es liegt ja nicht an mir. Es kommt durch die Situation. Christine wird mir es aber gönnen, daß ich anstatt ihrer Zeugin des Wiedersehens bin,« sprach sie.

»Mein treues Ma'chen,« sagte er, glücklich an die Mutter denkend. Und er drückte dabei den Arm der schönen Frau an sich, die strahlend neben ihm schritt.

Fritz riß die Thüre auf und zwar mit solchem unnötigen Aufwand von Kraft, daß alle sich dahin wandten.

Ausrufe, Mienen, Gebärden des Erstaunens empfingen sie.

Hartard aber sah über alle hinweg und sah nur den einen hohen, schlanken Mann drüben auf der Schwelle.

Ihm ward ganz wunderlich zu Mute – war da ein Spiegel? War das er selbst?

Und dem Mann auf der Schwelle stand fast das Herz still in einem seltsamen Schreck.

Sah er seinen Doppelgänger? Äffte ihn ein Trugbild? Stand er da noch einmal, mit dem teuren, schönen, großherzigen Weibe? ...

Das war ein paar Herzschläge lang.

Dann klang ein Jubelruf durch den Raum.

»Mein Vater!«

Und ein andrer antwortete ihm.

»Mein Hartard!«

Sie eilten sich entgegen und umarmten sich wieder und wieder.

In den Augen des ältern Mannes standen Thränen freudiger Bewegung.


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