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Neuntes Kapitel


Die nächsten Tage brachten Hartard noch eine große Erregung, bevor die große, gähnende Stille über sein Leben sank und es viele Monate lang zu einem sonnenlosen machte.

Er mußte sich von Kleopha trennen. An jenem Tage, als sie vom Kirchhof heimkamen, hatten Vater und Sohn ihr liebevolles Walten wie eine unbeschreibliche Wohlthat empfunden.

Nur zu genau, mit neuerwachtem Schmerz erinnerte Kleopha sich des Todes ihres Vaters und aller Begleitumstände. Sie wußte, daß es für die Überlebenden schrecklicher ist, dem Begräbnis als dem Sterben des geliebten Menschen zuzusehen.

Mit wahren Feenhänden, die Dienstboten zu rasender Eile antreibend, hatte sie Rethen von allen Spuren der Feier wie der vielen Menschen befreit.

Die Heimkommenden fanden ein warmes, gemütliches Haus. Es war, als sei gar nichts geschehen.

Nur jene eine Thür, links hinten in der Halle – die brauchte man nie mehr zu öffnen – nie. Die da gewohnt, schlief nun an verschlossener Stätte.

Hartard ging an den nächsten drei, vier Tagen viel mit Kleopha spazieren. Sein Vater selbst hatte ihn darum gebeten, er meinte, Schwester Kleopha müsse die paar Tage recht zur Erholung benutzen.

Der Regen hörte noch am Abend des Begräbnistages auf, ein leichter Frost machte die Erde hart und ließ alle Wassertümpel auf den Wegen, zwischen den Schollen und in den Furchen zu kleinen Eisdecken in Strahlenlinien zusammenschießen. Unter dem schreitenden Fuß knatterte und krachte es. Der Himmel war bläßlich, aber klar. Ein wenig Gewölk stand bleich und still über dem Horizont.

Hartard war zärtlich. Aber glücklich war er nicht. Kleopha schob alles auf die Trauer um den Tod der Mutter und dachte ihm wohl zu thun, wenn sie viel von ihr sprach. Er kehrte hartnäckig immer auf allerlei Fragen zurück. Ob seine Mutter nie die Liebe seines Vaters bezweifelt habe? Nein, nie. Ob nie seine Treue? Darüber hatte sie nicht gesprochen.

Nicht gesprochen? Seine mitteilsame Mutter nicht gesprochen? Das konnte doch nur ein Zeichen sein, daß sie über den Punkt nicht unbefangen war.

Ob sie glaube, daß ein Mensch jahrelang heucheln könne? Nein, das konnte Kleopha von niemanden glauben. Heuchelei und Trug sei unter anderm ein sehr mühsames Geschäft, viel mühsamer wie alle Kämpfe um Wahrheit.

Und wenn sie von ihren Gängen heimkamen, fragte Hartard jeden, der ihm in den Wurf kam, wo sein Vater sei? Im Zimmer? Ausgefahren? Wohin? Nach Flieders? Nach Dolac? Und meinte doch immer nur: nach Hörstel? Ob inzwischen jemand dagewesen sei? Herr von Aulendorf? Pastor Zwota? Frau von Stechow? Und meinte doch nur: Alexandra von Königsegg?

Es waren gerade neun Tage seit dem Tode Christinens vergangen, als es für Kleopha keinen Vorwand mehr gab, zu bleiben. Ihre mütterliche Freundin, die Oberin Gräfin Klingsberg, hatte ihr geschrieben, daß es sich als möglich erwiesen habe, sie im Hospital unterzubringen und zwar als eine Art Adjutant und Sekretärin der Oberin selbst. Hierdurch wenigstens waren die beiden jungen Menschen wie von einem Alp befreit. Beide hatten sich mit der heimlichen Furcht gequält, daß Kleopha allen Selbstüberwindungen ihres Berufes wieder ausgesetzt sein werde.

»Denke nicht klein von mir deshalb,« bat sie, »ich bin wohl Weib, aber den Stoff zu einer Märtyrerin habe ich nicht in mir. Ich kann dulden und arbeiten und mich opfern für die, die ich liebe. Aber eine völlige Befriedigung darin zu sehen, die Wunden fremder Leute zu verbinden, ihre üblen Zustände erleichtern zu helfen – nein, dazu bin ich nicht großartig genug.«

Hartard umarmte sie.

»Gottlob, daß du Weib bist. Das ist mehr als Märtyrerin sein. Ist dabei nicht immer ein Geschmack von Surrogat? Im Grunde trösten sie sich, wenn sie andre trösten. Womit ich ihren Segensberuf nicht verkleinern will.«

Sie besprachen, daß Kleopha sich der Gräfin Klingsberg anvertrauen solle und daß Hartard alle vierzehn Tage Sonntags nach Berlin hinüberkommen würde, die Geliebte zu sehen. Hierbei waren sie beide mutvoll.

»Die wenigen Wochen, bis du dich deinem Vater offenbaren kannst, gehen so wohl hin,« meinte sie.

»Wenige Wochen? Es kann ein Jahr werden, Kleopha. Nicht nur die Trauer, andre Dinge schließen mir den Mund.«

Sie zerbrach sich den Kopf und konnte nichts finden.

Dora half ihr, ihre Sachen zusammenzupacken. Dora fühlte sich jetzt als Leiterin des Hauses und war deshalb etwas leutselig und sehr mitteilsam.

»Es freut mich zu hören, daß Sie bleiben,« sagte Kleopha, »Sie werden beide Herren sorglich zu bedienen wissen.«

»Na ja,« meinte Dora, »das weiß man nachgerade. Das einzige ist bloß, ob mir's nachher noch so passen kann. Wenn man mal ganz selbständig gewesen ist ... zwar Frau Baronin haben geradezu einen Narren an mir gefressen ... haben Sie's gemerkt, Schwester Kleopha? Wie freundlich sie immer ist. Eine himmlische Frau, das muß man ihr lassen.«

»Ich verstehe keine Silbe ...«

»Thun Sie man nich so!« sagte Dora, »das kann man sich an den fünf Fingern abzählen, daß unser Herr, wenn's Trauerjahr vorbei ist, die Baronin heiratet, obgleich wohl kein vernünftiger Mensch einsieht, warum die so lange warten sollten.«

»Dora,« rief Kleopha empört, »wie können Sie so etwas sagen! Die gnädige Frau ist acht Tage tot.«

»Aber dreiundzwanzig Jahr lahm gewesen,« sprach Dora gereizt. »Unsereiner sagt es frisch von der Leber weg. Die Vornehmen denken es. Ist zwischen Denken und Sagen denn so'n Unterschied? Der gnädige Herr hat lange genug sich bloß immer geopfert. Der muß endlich mal an sich denken. Der ist noch jung genug, um noch riesig glücklich zu werden. Bloß mir schwant, daß der Junker sich nicht sehr freuen wird. Na, der soll nur zulangen, daß er die Natalie Montefort samt Flieders kriegt. Dann ist der auch besorgt. Wer weiß, ob's nicht schon so weit wäre, wenn man ihn der armen Natalie nicht abspenstig gemacht hätte.«

Kleopha stand wie versteinert.

»Hinaus!« hätte sie schreien mögen, »hinaus!«

Aber Dora ging von selbst. Sie hatte alle ihre Trümpfe ausgespielt, zugleich war ihre Lust zu helfen erloschen.

Kleopha suchte sich zu fassen. Sie war gerecht genug, dem Mädchen nicht sehr zu zürnen. Sie hatte es als aufopfernd und treu erkannt. Die war eben von roherer Art. In ihrer Sphäre fand man keine Unzartheit darin, an einem frischen Grabe solche Reden zu führen. Man sah alle Ereignisse und Dinge vom Nützlichkeitsstandpunkt aus an.

Aber wie erschreckend dies alles! Waren sie denn von Glas? Lebten sie unter der Kritik und Kontrolle von Dienstboten dahin.

Was konnte Dora von den geheimen Hoffnungen ihres Herrn wissen? Hegte er solche? Oder war es lediglich Dienstbotengeschwätz?

Wenn nur Hartard nicht von ähnlichen Redensarten behelligt wurde. Aber wer sollte es wagen, ihm damit zu kommen!

Und wenn es wahr wäre – würde – Kleopha sanken die Arme am Leibe nieder.

Wenn der Vater, dieser stattliche, noch so jugendliche Vater sich wieder vermählte, noch einmal sein Leben von vorn anfing, dann, ja dann war es aus zwischen ihr und Hartard. Dann konnte er ganz gewiß nie eine arme Frau heiraten.

Noch hatte sie sich nicht ganz gefaßt, als man nach ihr rief.

Albrecht erwartete sie in seinem Zimmer. Er wollte ihr die vereinbarte Gage auszahlen. Am 1. Dezember hatte er stillschweigend, in einem verschlossenen Couvert ihr das Geld für die Monate September, Oktober und November hingelegt. Kleopha hatte vorher ausdrücklich nicht um monatliche, sondern um vierteljährliche Zahlung gebeten.

»Dann habe ich doch nur viermal im Jahr den peinlichen Moment zu überstehen,« dachte sie damals.

Die taktvolle Art, womit Albrecht die Geldfrage am 1. Dezember gelöst, hatte sie dankbar empfunden.

Jetzt aber war es ihr schrecklich, daß davon zwischen ihnen die Rede war, sein mußte. Sie konnte und durfte nicht sagen: »Ich habe des Geliebten Mutter, meine Mutter in Ihrer Frau gepflegt.«

Dunkelrot im Gesicht, die Augen niedergeschlagen stand sie da.

Albrecht dankte ihr mit warmen Worten und wünschte ihr einen angenehmen neuen Wirkungskreis. Dann reichte er ihr eine kleine Rolle. Sie fühlte, indem sie sie nahm, daß es mehr sein müsse, als sie zu empfangen hatte.

»Das scheint zu viel,« sprach Kleopha leise und legte die Rolle auf den Schreibtisch zurück.

»Es ist nur ein Vierteljahrsgehalt –,« entgegnete Albrecht.

»Darauf habe ich keinen Anspruch. Mir kommen nur anderthalb Monat zu. Ich bin – ich bin – doch keine Bettlerin,« rief sie und brach in Thränen aus.

Albrecht errötete. Diese Scene kam ihm unerwartet und war ihm peinlich. Er hatte sich großmütig gegen das Mädchen zeigen wollen, von dem er wußte, es müsse einen Bruder ernähren. Er hatte seinen Dank am besten durch Geld auszudrücken geglaubt und hatte gefunden, daß es am taktvollsten sei, ein Vierteljahrsgehalt zu geben. Gern hätte er mehr, viel mehr gegeben.

Ratlos stand er da, aber nur einige Augenblicke.

»Verzeihen Sie, liebes Kind,« sagte er, »ich erinnerte mich unsrer Abmachung nicht und glaubte, Sie hätten Anspruch auf dies.«

Ganz geschäftlich zählte er Geld ab und gab es ihr.

Dann nahm er ihre Rechte und sprach: »Das Offizielle ist abgemacht. Lassen Sie mich nun als Mensch reden und Ihnen aus innerstem Herzen danken. Machen Sie mir die wehmütige Freude, als Andenken an unsre arme Verklärte einen von den bescheidenen kleinen Ringen anzunehmen, die sie trug.«

Er hatte vorher nicht daran gedacht. Aber er sah, er hatte einem stolzen Herzen eine Wunde geschlagen. Er wollte gut machen.

Er nahm aus der Schieblade unter andern Ringen einen dünnen Reif heraus, an dem ein kleiner Brillant blitzte.

Und da geschah etwas, das ihn noch mehr erschreckte als die Thränen.

Kleopha küßte seine Hand und lief weinend hinaus, den Ring an ihre Lippen pressend.

»Mein Gott,« dachte er betroffen, »das sieht ja aus, als bräche ihr der Abschied das Herz, als hänge sie mit tausend Fäden hier fest.«

Es war zu natürlich, daß ihm die Befürchtung aufstieg, sie möge sich in Hartard verliebt haben.

»Armes Mädchen,« dachte er, »da wird es ihr vielleicht sehr weh thun, ihn nicht einmal beim Abschied zu sehen.«

Als er ihr dann am Wagenschlag Lebewohl sagte, während Löbell auf dem Bock sich noch die orangefarbene Pferdedecke eng um den Leib wickelte, bemerkte er bedauernd: »Meinen Sohn muß ich leider entschuldigen. Er ist verhindert, Ihnen noch einmal, wie er gewiß gern gethan hätte, zu danken. Er fuhr heute morgen nach Berlin.«

»Ich weiß ...« das entfuhr ihr so. Wie alle sehr aufrichtigen Naturen konnte sie wohl schweigen, wenn sie sich vorgenommen hatte, zu schweigen. Ohne diesen Vorsatz und in Momenten, die sie durch irgend etwas überraschten, war es ihr unmöglich, durch Schweigen zu lügen. Sie fuhr mit der Wahrheit heraus.

Und nun war ihr Gesicht von Glut überflammt. Sie begriff, daß sie eine Dummheit gemacht hatte.

Albrecht erschrak und verbeugte sich etwas verlegen zum letztenmal.

Während sie weinend davonfuhr, die bange Frage im Herzen: Werde ich jemals zurückkehren? ging Albrecht in trüber Stimmung nach Hörstel hinüber.

Das wäre ja sehr, sehr traurig, wenn Hartard sich hätte hinreißen lassen, mit diesem tüchtigen, herzensreinen, vornehmen Mädchen von Liebe zu sprechen. Ihr »ich weiß« und danach ihr Erglühen – das deutete doch auf ein heimliches Einverständnis, auf Schuldbewußtsein vielleicht.

Er wollte einen so frevelhaften Leichtsinn von seinem Sohn nicht glauben. Albrecht gab der Jugend jedes Recht, auch das zum Austoben und Ausschlagen. Aber ein reines Herz zu beunruhigen, vielleicht gar eine Mädchenehre zu gefährden – das hielt er für Verbrechen.

Er nahm sich vor, mit Alexandra darüber zu sprechen. Freilich, die hatte ihn gleich vor der Schönheit des Mädchens gewarnt. Aber er hatte ihrer Mahnung andre Motive untergeschoben.

Jedenfalls wollte er nun scharf den Sohn beobachten und vor allen Dingen darauf achten, ob der oft nach Berlin führe, während Alexandra durch die Gräfin Klingsberg Kleopha bewachen lassen konnte.

Von diesem Tag an schien dann eine traumhafte Stille über Rethen und seine Bewohner zu sinken.

Die Wochen vergingen und die Monde, und doch schien es, als stehe die Zeit still.

Im Hause gab es niemals irgend eine Abwechselung. Es war niemand mehr da, um den man Sorge zu tragen hatte, der Anspruch an die beiden Männer erhob.

Der Verkehr mit der Nachbarschaft schlief beinahe ein.

Anfangs fuhr Hartard wohl zu den Freunden hinüber. Mit gierigem Ohr wartete er auf irgend eine Anspielung, die ihm bestätigen solle, was Löbells und des Knechtes roher Mund damals ausgesprochen. Aber niemand machte irgend eine derartige Anspielung. »Natürlich,« dachte Hartard höhnisch, »die Gebildeten sind besser gewöhnt, ihre Gedanken zu verbergen. Das nennt man Takt.«

Er beobachtete scharf seinen Vater. Der fuhr jeden Donnerstag nach Hörstel. Das hatte er schon zu Lebzeiten seiner Frau gethan. Damals war er auch noch oft an andern Nachmittagen hinüber geritten, und damals kam Alexandra allwöchentlich, um die Kranke zu besuchen. Es war also ein einfaches Rechenexempel: zu Lebzeiten seiner Mutter hatten sein Vater und Alexandra sich öfter gesehen als jetzt.

Das fand Hartard sehr auffallend.

Hätte der Verkehr in früherer Weise fortgedauert, wäre gar Alexandra wie einst zum Besuch nach Rethen gekommen, hätte er es ohne Zweifel auch auffallend gefunden.

War der Vater am Donnerstag in Hörstel gewesen, verwandte der Sohn am andern Morgen keinen Blick von seinem Angesicht.

Befremdet bemerkte Albrecht, daß sein Sohn ihn fixierte. Das zweite Mal wurde schon aus der Befremdung peinliches Erstaunen. Mit zurückweisenden Blicken sah er den Sohn an.

Und von mal zu mal wuchs die Peinlichkeit.

Ihre Blicke wurzelten ineinander. Ihre Augen brannten. Sie maßen sich schweigend, wie sonst sich nur Feinde ansehen.

Hartard fuhr alle vierzehn Tage Sonntags nach Berlin.

Das erste Mal, als er von seinem Ausflug zurückkam, hatte sein Vater ihn in herzlicher Sorge angesehen.

Der Blick beleidigte ihn. Er sah darin eine Bevormundung. Stolz hatte er den Kopf zurückgeworfen.

Das nächste Mal nahm er schon eine eisige und hochmütig ablehnende Miene an, bevor er nur vom Wagen stieg.

Albrecht fühlte sich tief gekränkt durch die Art des Sohnes, jedes, auch das oberflächlichste Gespräch über diese Berliner Ausflüge, abzuweisen. So ward er bald unfrei in seiner Art. Er kämpfte mit aufsteigendem Zorn, bezwang sich und suchte, indem er den Sohn groß und ernst ansah, ihn schweigend zu warnen.

Niemals kamen sie bei ihrer Unterhaltung über das Konventionelle heraus.

Sie lebten in schweigendem Groll nebeneinander her.

Oft sprach sich Albrecht zu Alexandra darüber aus, daß der Tod seiner Mutter ihm den Sohn völlig aus dem Gleichgewicht gebracht habe, oder daß Hartard von einer geheimen Sorge, vielleicht von einer unglücklichen Liebe bedrückt sei.

Die Gräfin Klingsberg hatte Alexandras schriftliche Anfrage etwas kühl beantwortet. Sie stehe, schrieb sie, in jeder Weise dafür ein, daß ihr lieber Schützling Kleopha als Dame von allerbester Erziehung nie etwas thun werde, was sie, die Gräfin, nicht wisse und billige.

Sowohl Alexandra als Albrecht fanden den Ton, in welchem die Klingsberg von Kleopha schrieb, sehr hoch. Aber sie ließen hiernach doch den Verdacht fallen, daß die schöne Krankenwärterin einen Liebeshandel mit Hartard haben könne.

So kam der Frühling heran.

Hartard besuchte oft das Grab seiner Mutter und fand es immer im schönsten Schmuck. Er hätte die Blumen, die in irdenen Töpfen und Majolikagefäßen vor der Kapellenpforte standen, zertreten mögen. Er wußte, Alexandra trug sie hierher. Aber ... hatte nicht seine lebende Mutter sich immer über Alexandras Blumen gefreut? Wie durfte er sie der Toten rauben?

Er ging vom Kirchhof aus nie ins Schloß, wie es doch natürlich, ja wie es seine Höflichkeitspflicht gewesen wäre.

Er wartete darauf, daß sein Fortbleiben bemerkt, besprochen werde. Alexandra sollte sich beleidigt darüber äußern, daß er sie ganz vernachlässige. O, er wartete nur darauf ...

Aber niemand sprach davon, niemand schien sein Fortbleiben zu bemerken, niemand schien verletzt zu sein. Deshalb fühlte er sich beleidigt.

Ihn beleidigte alles, auch die gleichmäßig ruhige Haltung seines Vaters.

Er sah in dieser den Beweis, daß der Gatte sich allzu schnell über den Tod der Gattin getröstet habe.

Ihm schien es seine Pflicht, alle Lüge, die die Verstorbene erfahren, alle Thränen, die man ihrem Andenken entzog, seinerseits durch wahre Trauer und immer lebendige Erinnerung zu ersetzen.

Er fing einen bis zum Krankhaften gesteigerten Kultus mit seiner Mutter an.

Von einer Photographie, die im vorigen Sommer einmal von ihr gemacht worden war, als sie auf ihrem Ruhebett draußen auf dem Altane gelegen, ließ er in Berlin eine fast lebensgroße Reproduktion anfertigen. Die Photographie war von Alexandra gemacht worden, als diese kaum noch begonnen hatte, in der Handfertigkeit des Photographierens sich zu üben. Sie hatte also erhebliche Schwächen. Insbesondere fehlte ihr die Plastik. Bei der Vergrößerung hatte natürlich die Retouche frei nach der Phantasie gearbeitet. Es war ein Bild herausgekommen, das Albrecht, als er es sah, geradezu unangenehm berührte. So vergrämt, mit solchem Lazarettausdruck hatte kein Mensch Christine je gesehen. Sie sah da beinahe aus, wie eine Sterbende. Außerdem war die Ähnlichkeit kaum zu erkennen.

Als Hartard seinem Vater dies Bild zeigte, sah er ihn durchdringend an. Ihm entging nicht das Mißbehagen auf seines Vaters Antlitz.

»Ihr Anblick rührt an sein Gewissen,« dachte er.

Aber Dora that ihm den Gefallen, das Bild sprechend ähnlich zu finden.

Er baute vor der Staffelei, die es trug, einen Blumengarten auf. Für die Bleistiftzettel und Briefchen, die ihm seine Mutter geschrieben, kaufte er eine köstliche Mappe.

Albrecht beobachtete alles. Er war zu klug, um nicht zu spüren, daß hierin mehr Ostentation als wahre Trauer lag. Und es kränkte ihn für Christine.

Den Grund begann er zu ahnen.

Wollte denn das Leben immer neue Lasten auf ihn häufen? Und immer diese stillen Lasten, die man nicht sagen und klagen, gegen die man nicht kämpfen kann, ohne selbst im Sieg mehr zu verlieren als zu gewinnen?

Dabei jammerte ihn der Sohn. Er sah ihn leiden.

Aber das Leid und die Feindschaft waren mit den Decken des Schweigens umhüllt. Wer konnte daran rühren? Wer von ungreifbaren Dingen mit nackten Worten reden?

Einmal sprach Albrecht sich mit Zwota im allgemeinen über den trüben und gereizten Gemütszustand seines Sohnes aus. Zwota sollte einmal mit Hartard reden. Vielleicht, daß er gegen den alten Freund offen wurde.

Sie saßen gerade beim Whist, das Albrecht und Alexandra dem Pastor und Frau von Stechow zur Liebe an jedem Donnerstag Abend mitspielten.

»Nein,« sagte Zwota und schob mechanisch eine blaue Karte hin und her, die vor ihm auf der blanken Nußholzplatte des Tisches lag, »ich denke nicht daran. Das Seelsorgen, mein lieber Fronhofen, ist manchmal 'ne Zudringlichkeit. Wenn der Junge was auf'm Herzen hat, was er seinem alten Zwota vorlamentieren möchte – na, da käm' er schon von selbst. Was kann er auch haben?! Allgemeine Unzufriedenheiten? Durch die ringt man sich am gesündesten allein! Eine unzukömmliche Liebschaft? Glaub' ich nicht. Und wenn schon: das ist delikat. Da muß er auch allein durch. Das Leben ist ja nun mal kein Spaziergang. Das ist so 'ne Allermannsweisheit, daß man sich beinah schämt, es zu sagen. Der Kern von allem wird wohl sein: er hat gemerkt, was wir ja alle im voraus wußten, daß er überflüssig auf Rethen und daß sein Papa noch ein zu junger Mann ist, um sich Arbeit abnehmen zu lassen. Und weil nun sein Unglücksgefühl irgendwo hinneigt, klammert es sich an die Trauer um die Mutter. Aus dem gesunden, gerechten Gram um den Verlust macht er einen ekstatischen Kult, wobei er unversehens die teure Tote betrügt. Das kommt vor. Mich dauert der Junge. Helfen muß er sich selbst. Passen Sie auf, Fronhofen, alles wird mit einem Schlage gut, wenn Sie ihren Plan ausführen.«

Damit nahm Zwota energisch alle blauen Karten zusammen, mischte, sah hinüber zu dem roten Talon, der links von Frau von Stechow in der blanken Tischplatte sich spiegelte und sagte: »Sie geben, verehrte Freundin.«

Und Albrecht führte seinen Plan aus. Aber der Erfolg war ein ungeahnter, erschreckender.

Bald nach Ostern, Ende April, war Hartards Geburtstag. Er wurde sechsundzwanzig Jahre alt.

Als er am Morgen dieses Tages herabkam in das Eßzimmer, fand er den Tisch festlich geschmückt, und sein Vater stand wartend.

Albrecht ging seinem Sohn entgegen und umarmte ihn.

»Ich wünsche dir alles Gute und Glückliche,« sagte er mit bewegter Stimme.

Er hatte sich gelobt, daß dieser Tag den Bann des feindseligen Schweigens brechen solle.

Sein Herz litt zu sehr. Mitleid mit dem Sohn und eignes Bedürfnis nach endlichem Frieden trieben ihn.

»Ich danke dir,« sprach Hartard verlegen. Er sah, sein Vater war bleich und ersichtlich aufgeregt. Er fürchtete, daß es zu Fragen und Erklärungen kommen könne.

Mit einem Blick auf den Tisch, der von Blumensträußen farbenbunt war, sagte er zaghaft lächelnd:

»Das ist ja unter Männern gar nicht üblich. Blumen – eine Torte – –«

»Wie in deinen Kinderjahren,« sprach Albrecht herzlich und führte ihn mit der Hand näher an den Tisch. »Ich habe das besonders so gewollt, weil es dein erster Geburtstag seit vielen, vielen Jahren ist, den du wieder unter dem Dach deiner Väter verlebst. Die eine, die Teuere, die ihn dir vor allen mit ihrer Liebe geschmückt hätte, die ist von uns hinweggegangen.«

Seine Stimme brach. Sein Auge ward naß. Er wandte sein Gesicht ab.

Einen Herzschlag lang ging es durch Hartards Brust wie ein brausender, brechender Sturm.

Einen Herzschlag lang hatte er das heiße Bedürfnis, sich in seines Vaters Arme zu werfen.

»Ich habe geglaubt, den heutigen Tag wählen zu dürfen, um dir ein Geschenk zu machen, welches wohl das beste ist, das ein rechter Mann sich wünschen kann, die Arbeit!«

Hartard ließ seines Vaters Hand los und sah ihn gespannt an. Frei und herzlich erwiderte Albrecht den Blick.

Die Linke leicht auf den Tisch gestützt, mit der Rechten seine Rede zuweilen mit einer eindringlichen Geste begleitend, sprach er: »Es hat sich herausgestellt und wird auch von dir erkannt sein, daß auf Rethen nicht Platz ist für zwei gleich arbeitsfreudige Männer. Ich bin mit meinen achtundvierzig oder bald neunundvierzig Jahren zu jung, um hier faul zuzusehen, wie mein Sohn wirtschaftet, und somit eigentlich das Gnadenbrot zu essen auf einer Scholle, wo ich laut Familiengesetz und Naturrecht Herr bin, solange ich lebe. Als du deine Heimkehr ankündigtest, war dies mir wie deiner Mutter vorher schon klar. Aber was sollten wir machen? Ein Versuch, ob es nicht dennoch gehe, war das Nächstliegende. Um so mehr, als ein solcher Versuch deiner Mutter das Glück verhieß, dich längere Zeit im Hause zu haben. Gottlob, Ma hat sich deiner Gegenwart noch so recht gefreut. Schon damals, vor deiner Heimkehr, tauchte bei uns die Idee auf, dir zu ermöglichen, eine gute Pachtung anzufassen. Zu dem Ende hätte ich eine Hypothek aufnehmen müssen. Damals wies ich den Gedanken, obschon ich ihn vernünftig fand, zurück. Aus dem simpelsten Grund. Rethen ist klein. Wir sind Leute von bescheidenem Wohlstand. Aber wir sind schuldenfrei und stolz. Außer den fünfzigtausend von der Ritter- und Landschaft, nach den Befreiungskriegen vom Großvater aufgenommen, steht kein fremdes Geld auf unserm Boden. Und so will ich ihn dir einmal übergeben.«

Er machte eine kurze Pause und setzte sich. Es war, als wollte er das Feierliche des Gespräches zum Zwanglosen herabmildern. Vielleicht erwartete er auch, daß Hartard irgend etwas sagen solle, um freudige Teilnahme oder wenigstens Erwartung zu zeigen.

Aber Hartard setzte sich gleichfalls und fing an, sich Thee in seine Tasse zu gießen. Dies that er, um Gleichgültigkeit zu affektieren. Sein Herz klopfte vor Spannung auf das, was kommen werde.

»Solange Ma lebte, wäre es für mich unmöglich gewesen, eine Hypothek von sagen wir einmal so von dreißig- oder vierzigtausend in absehbarer Zeit wieder zu löschen. Ma kostete ein rasendes Geld. Ich war glücklich, wenn ich sie halten konnte wie eine Prinzessin. Du wirst mich nicht schelten, daß ich sie mit allem umgab, was man nur so für 'ne Kranke und ihr Zimmer erfinden konnte. In guten Jahren ging das ohne Sorge. In schlechten rauchte mir manchmal der Kopf. Na, die Balance ließ sich immer halten. Aber so alle Jahre fünf-, sechstausend zurücklegen, um in sechs, acht Jahren die Hypothek wieder zu löschen – das hätte ich nicht können. Nun liegt alles anders. Ich habe die vorbereitenden Schritte gethan. Wir können das Geld haben. Auch eine Pachtung ist mir angeboten. Ein hübsches Gut in Westpreußen, Rebusch heißt es und gehört zu dem von Dahlfußschen Familienbesitz. Der bisherige Pächter ist gestorben. Aulendorfs Vetter, der in der Gegend ansässig ist, hat die Freundlichkeit gehabt, es zu besehen, mir Bericht zu erstatten und uns für acht Tage das Vorrecht zu sichern. Du kannst gleich morgen zur Besichtigung hinreisen. Und wenn es dir gefällt, kannst du in vier Wochen ein selbständiger Mann sein, der für eigne Rechnung und Gefahr arbeitet. Ich habe eine große Freude daran gehabt, dies alles so einzuleiten, daß ich dich heute damit überraschen konnte.«

Albrecht, die Ellbogen auf der Tischkante, faltete die Hände auf dem Tisch und sah befriedigt zu seinem Sohne hinüber.

Es ist immer angenehm, jemandem etwas Freudiges mitzuteilen. Albrecht war während seiner Rede in eine sehr behagliche Stimmung gekommen.

Er saß mit dem Rücken gegen die Fenster. Hartard, an der andern Seite des Tisches, war vom vollen Morgenlicht beleuchtet. So sah Albrecht deutlich, jede Täuschung ausgeschlossen, daß sein Sohn leichenblaß geworden war.

»Mein Gott, was hat er? Das sieht nicht nach Freude aus,« dachte er.

»Ich soll entfernt werden. Er läßt es sich sogar Geld kosten,« dachte Hartard.

»Du schweigst!« sprach Albrecht mit sanftem Vorwurf.

»Wenn ich dich recht verstanden habe,« begann Hartard, »ist es dir nur infolge von Mamas Tod möglich, mir dies Geld zu verschaffen, welches mir das Glück einer eignen Thätigkeit verschaffen soll. Ich danke dir von Herzen. Aber ich fände eine Gefühlsroheit ohnegleichen darin, aus dem Tod der geliebten Mutter irgend einen persönlichen Vorteil zu ziehen.«

Albrecht wurde dunkelrot. Schwerer Zorn stieg dumpf in ihm auf.

»Laß dir, du Junger, von mir, dem Erfahrenen sagen, daß eine solche Ansicht ungesund, daß sie mehr, daß sie thöricht ist.«

»Ich muß dabei bleiben,« sagte Hartard leise und ohne den Blick zu erheben, »wenn man in den Besitz irgend eines Glückes oder irgend eines Vorteils kommt, den man zu Lebzeiten des geliebten Wesens nicht erlangen konnte, begeht man eine Pietätlosigkeit.«

Albrecht schlug mit der Faust auf den Tisch, daß die Tassen klirrten.

Er sprang auf, er lief im Zimmer hin und her, um sich zu bezwingen.

Hartard that, als frühstücke er weiter, und führte eine leere Tasse an den Mund.

»Nimm dich in acht,« sprach Albrecht endlich, und seine Stimme war etwas heiser, »nimm dich in acht, daß du Trotz und Trauer nicht miteinander verwechselst. Dagegen würde ich das Andenken unsrer Toten doch schützen müssen.«

»Wir wollen nicht erörtern, wer sie wahrer geliebt hat,« sagte der Sohn und stand auch auf. Jetzt richtete sich sein Auge fest auf den Vater.

»Nein, das wollen wir nicht erörtern,« rief Albrecht und atmete tief auf. »Das stünde mir nicht an!«

Er hob stolz sein Haupt.

»Aber ich will versuchen, vernünftig mit dir zu sprechen. Du meinst, man müsse jedes Glück und jeden Vorteil verschmähen, den der Tod eines Menschen seinen überlebenden Nächsten bringen könne? Dann würde ja alles Leben stocken, dann würde ja die Welt steril. Keine Kräfte könnten weiterwachsen, und du selbst – würdest du aus Pietät nach meinem Tod nicht den Besitz antreten? Dich dieses Besitzes nicht redlich freuen? Ihn nicht wohl zu erhalten trachten? Bist du mein guter, treuer Sohn gewesen, dann kannst du ruhig an meinem Grabe stehen, zugleich um mich weinen und Freude daran haben, daß du der Herr geworden bist.«

Hartard konnte nur schweigen. Blind und verrannt, wie er war, hatte er bei seiner tendenziösen Bemerkung nur ein Glück, einen Vorteil im Sinn gehabt und erwartet, daß sein Vater aufbegehren und rufen werde:

»Dann könnten ja nie ein Witwer, eine Witwe wieder heiraten!«

Anstatt dessen führte sein Vater ihn schon an das eigne Grab und machte ihn schon zum Trauernden und Besitzenden.

Dagegen gab es keine Auflehnung. Das war zu einfach und zu logisch.

Da Albrecht aus dem Schweigen des Sohnes schloß, was er wünschte, sprach er sanfter:

»Ich sehe, du kommst zur Einsicht. Also du nimmst mein Anerbieten an? Ich bin gern bereit, wenn du es wünschest, dich nach Rebusch zu begleiten und es mit dir zusammen zu besehen. Aber wenn du es vorziehst, dich ganz allein zu entscheiden und vollkommen selbständig zu handeln, lasse ich dich ebenso gern allein reisen.«

Entgegenkommender konnte ein Vater nicht sein.

Aber Hartard sah in diesem Entgegenkommen weder Verständnis, noch Selbstlosigkeit, noch Vaterliebe. Er sah nur den Wunsch, ihn von Rethen zu entfernen.

»Ich danke dir,« sagte er nun ganz gefaßt. »Ich nehme dein Erbieten an. Aber erst für nächsten Frühling. Du wirst den Wunsch verzeihlich finden, daß ich zunächst ein Jahr auf unserm Rethen verlebe, wenn auch zur Unthätigkeit verdammt. Du weißt, ich liebe es über die Maßen. Seit meinem zwölften Jahr war ich immer nur in den Ferien hier. Hab' ich erst eine Pachtung, werd' ich nur selten als Gast hier sein können. So laß mich wenigstens ein Jahr lang noch als Bewohner hier.«

Albrecht sah den Sohn mit großen Augen an.

»Ich stimme ungern zu. Ich sehe kein Heil darin für dich!« sagte er.

Das war ein Unglückswort. Es reizte Hartard. Er verlor jede Besinnung.

»Für mich – wieso für mich? Dir vielleicht ist es lieber, mich fortzuschicken?«

»Hartard!« rief Albrecht warnend.

»Aber ich meine, es gibt ein Familiengesetz, betreffend die Pflichten des Herrn gegen den Erben,« sprach der Sohn wie rasend weiter. »War da nicht einmal im vorigen Jahrhundert ein feindlicher Vater, der seinem Sohn alles entzog? Setzte dieser Sohn, als er Herr ward, nicht rechtskräftig etwas auf? Muß nicht der Besitzer dem Erben zu leben geben und jederzeit Unterstand auf Rethen?«

Albrecht war leichenblaß. Er trat nahe an den Sohn heran, so nahe, daß dieser doch vor den blitzenden Augen zurückwich.

»Schäme dich!« sagte er.

Es kam heiser und zischend zwischen blassen Lippen hervor.

Dann ging er davon. Die Thür flog krachend zu.

Vernichtet blieb Hartard zurück. Was war geschehen! Was hatte er gewagt! Was gesagt! Seinem Vater! Diesem Vater!

Er saß da, den Kopf in den Armen versteckt, die auf der Tischplatte lagen.

Er weinte.

»Mama,« dachte er, »Mama! Warum bist du von uns gegangen? Wie du lebtest, liebten wir uns. Nun sind wir Feinde.«

Als er sich ein wenig gefaßt hatte, nahm er sich vor, an ihr Grab zu gehen. Der weite Weg würde ihm gut thun, an der heiligen Stätte würde er Frieden finden.

In der Halle traf er Dora, die ihm mitteilte, daß sein Vater nach Hörstel geritten sei und zu Tisch nicht heimkommen werde.

Dora machte dazu ein Gesicht, wie ein betrübtes Kätzchen.

Es hatte natürlich Streit gegeben. Sonst würde der Vater doch an des Sohnes Fest nicht davonreiten. Dora hatte längst gemerkt, daß ihre beide Herren finster umeinander herumgingen, und sich erlaubt, manchmal etwas zu horchen. Sie litt große Seelennot, denn sie war eigentlich in beide verliebt.

Fortgeritten? Und für den ganzen Tag? Und nach Hörstel? An das Grab?

Hartard lief in den Park hinaus. Sonnenschein lachte wolkenlos vom Himmel. Dabei war es etwas windig. Lustig fuhren frische Lüftchen durch die Wipfel, an denen es von Knospen schwoll. Rötliche Farben belebten alle Reiser und Ruten, es war, als sähe man die neuen Säfte fließen. Um das Postament der langen Diana blühten Hyacinthen. Stare lärmten in den Gipfeln der Ulmen. Weißgrün und dick kamen überall aus dem dunklen Erdboden die neuen Schößlinge von Ziergewächsen hervor, die sich für den Winter scheintot versteckt hatten.

Das wiegende Rauschen in den Kronen machte das Herz stille. Hartard hörte, dachte, hörte wieder und ließ endlich seine Seele gedankenlos hintragen von den Geräuschen in der Luft.

Wie ihm der Tag verging, wußte er kaum. Die träumerische Einsamkeit that ihm wohl.

Er fühlte, daß er seinem Vater irgend ein gutes Wort geben müsse. Er war zu weit gegangen. Wie konnte man noch mit- und nebeneinander leben, nach dieser Scene.

Das »schäme dich!« brannte ihm im Gedächtnis.

Das kurze Wort hatte ihn tiefer getroffen, als ein heftiger Zornesausbruch gekonnt hätte.

Er wollte zeigen, daß es ihm nicht an Einsehen fehle, daß er nicht trotzig sei. Er wollte Selbstüberwindung üben, die sein Vater doch als eine männliche Tugend achtete.

Er schrieb einige Zeilen.

 

»Lieber Vater, vergib mir, daß ich mich heute morgen hinreißen ließ, Dich an ein Familiengesetz zu erinnern, welches nicht für einen so treuen, großmütigen Vater geschrieben ward, wie Du mir immer gewesen bist.

Dein Sohn.«

 

»Ich muß das voneinander trennen: Was er mir war – und was er meiner Mutter zu sein schien,« sagte er sich.

Den Brief legte er auf seines Vaters Nachttischchen.

Aber was konnten diese Zeilen noch gut machen! Sie klammerten sich an wenige, übereilte Worte, an eine äußerste Form der Feindschaft. Die Sache selbst blieb, wie sie war.

Nur gestanden sie es sich jetzt heimlich jeder selbst ein, Vater wie Sohn: sie lebten elend nebeneinander her.

Wie zwei, die Feinde sind, wie zwei, die sich hassen!

Und dennoch konnte es geschehen, daß Albrecht heimlich dem Sohn nachsah, seine Jugendschönheit bewundernd; oder mit lebhaftem Herzklopfen der Sorge, wenn Hartard in zu tollem Reitermut davonjagte; oder das Auge feucht von zärtlicher Sehnsucht nach dem guten, lieben, frohen Lachen seines Hartard.

Und Hartard konnte angstvoll bis tief in die Nacht hinein hinter seinen Gardinen stehen und warten, bis sein Vater heimkam. Er bildete sich fortwährend ein, ihm werde ein Unglück zustoßen.

Um sich die Zeit zu vertreiben, jagte und fischte Hartard, ohne jede Passion.

Stundenlang konnte er im Nachen auf dem See treiben. Leise gluckste das Wasser gegen den Kiel, der Wind schuppte die Oberfläche des Sees, von dem der Sonnenschein in unaufhörlicher, rastloser Beweglichkeit widergespiegelt ward. Fern stand im Kranze das grüne Röhricht, und darüber hinaus erhob sich das Gelände zu sanfter Höhe, wo eine schwarze Windmühle ihre Flügel vor dem blassen Himmel in schwerer Langsamkeit drehte.

Der Sommer schwand dahin. Alle Tage Hartards waren träges Unglück. Er lebte nur wahrhaft an jenen, wo er nach Berlin fuhr, die Geliebte zu sehen.

Kleopha wußte es jetzt: im nächsten Frühjahr würde sich Hartard als bescheidener Pächter selbständig machen. Dann freilich mußte man erst sehen, ob er als Landwirt vorwärts kam, ob er Geld verdiente oder verlor! Zum Kampf mit Sorgen konnte er sich kein Weib an seinen Herd bitten, besonders keines, das durch eine Heirat die Freiheit verlor, für einen Bruder Geld zu verdienen. Aber Kleopha kannte das Leben. Sie wußte, daß rechte Liebe sich auch im Mut des Wartens zu beweisen vermag.

Es jährte sich, daß Hartard heimgekommen war.

Vater und Sohn dachten beide an den Tag. Es war der Geburtstag von Alexandras Mutter gewesen.

Was für ein langes, langes Jahr. Und doch war es, wie alle ereignislosen Zeiten in der Erinnerung so kurz, daß es Hartard vorkam, als habe er erst gestern seinen Liebesbund mit Kleopha geschlossen, als sei seine Mutter erst gestern gestorben. Die tote Zeit, von da bis jetzt, versank in seinem Gedächtnis ins Dunkle.

Auf Hörstel ward wieder der Geburtstag gefeiert, aber Hartard, der es nie mehr betrat, war nicht geladen.

Man war fröhlich, wie vor einem Jahr. Nur Albrecht schien ernster. Auf seiner Stirn saß immer eine Falte.

»Sagen Sie mal,« bemerkte Herr von Calatin, als er nach Tisch, seine Kaffeetasse in der Hand, Frau von Stechow stellte, »was ist das eigentlich: den jüngern Fronhofen trifft man hier nie mehr?«

»Er ist sehr oft hier,« log Frau von Stechow, »nur gerade heute mußte er nach Berlin, einen durchreisenden Freund zu begrüßen.«

»Na, na,« machte Herr von Calatin. Er hatte seine Bewerbung um Alexandra ganz eingestellt. Seitdem that er aber, als sei es ihm nie in den Sinn gekommen, sich mehr als freundschaftlich zu interessieren. Heiraten wollte und mußte er. Er sah ein, es war die höchste Zeit. Und nun schwankte er zwischen Natalie Montefort und Meta Aulendorf. Er fürchtete nur, Natalie werde nein sagen. Meta hingegen, mit ihren sechsundzwanzig und der jüngern Schwester, die schon mit dem Leutnant von Stechow verlobt war, Meta würde zugreifen. Sie war ja auch keine üble Person – wenn die ewigen Zahnweh nicht gewesen wären.

Natalie hätte wirklich nein gesagt. Sie war einige Monate in Rom mit ihrer Mutter gewesen und von da noch gefühlvoller zurückgekommen, als sie vordem gewesen. Sie liebte Hartard mehr als je und war heute so melancholisch, daß man mit Händen den Grund greifen konnte: die Enttäuschung über sein Fernbleiben.

»Es scheint eben mein Schicksal, durch einen Fronhofen ausgestochen zu werden,« dachte Calatin etwas erbittert. Zu einer heftigen Erbitterung reichte es nicht mehr bei ihm.

Meta Aulendorf ließ sich sein sehr programmgemäßes Courmachen wohl gefallen, Calatin hätte aber mehr Reiz für sie gehabt, wenn Natalie sich um ihn bemühte. So wußte sie noch nicht recht, zu welcher Haltung sie sich entschließen sollte.

So waren die Töchter und Mütter lebhaft genug mit sich beschäftigt, um zu beobachten, daß Albrecht und Alexandra wirklich verstimmt schienen.

Alexandra hatte einen Brief von der Gräfin Klingsberg bekommen, den sie Albrecht noch mitteilen konnte, bevor die Gäste kamen. Mit mehr Schmerz noch als mit Erstaunen las er:

 

»Liebe Königsegg!

Vor dreiviertel Jahren, als Kleopha von Rethen eben wieder zu mir zurückgekehrt war, schrieben Sie mir einen Brief, der mich für das liebe Mädchen verstimmte. Ich antwortete, wie ich mußte. Damals lagen die Verhältnisse so, daß ich es taktvoller fand zu schweigen und dem das Reden zu überlassen, dem es zukam. Aber jetzt versteh' ich die Situation nicht mehr und darum unter tiefster Diskretion folgendes: Sie haben ganz recht gehabt, der junge Fronhofen und Kleopha lieben einander. Kleopha ist eine Gräfin Lehben aus dem Hause Reineck und arm wie eine Kirchenmaus. Daß sie die Comtesse versteckte, geschah auf Befehl ihres Vetters, dem sie Rücksicht schuldet, vielleicht wär's auch ohne den Befehl aus Takt geschehen. Das verstehen Sie. Die Fronhofens sind von bescheidenem Wohlstand, aber doch von Wohlstand. So wird ja wohl der Majoratserbe eine arme Frau heimführen können? Die Kinder weihten mich gleich ein, und ich habe so was wie eine Brautmutter gespielt – ein etwas sonderbares Geschäft für die Oberin eines Krankenhauses und eine Cölibatärin von Überzeugung! Ich verstand zuerst das Schweigen. Ich fand es zart. So an einem offenen Grab jubelt man kein neues Glück in die Welt hinaus. Aber nun geht ein Monat nach dem andern hin, und der junge Herr macht keine Anstalten, dem Vater die Braut zuzuführen?! Das gefällt mir nicht. Auch kann ich nicht ad calendas graecas die Protektorin einer heimlichen Verlobung spielen. Das, Liebe, werden Sie begreifen. Ich hab' mir die Kleopha vorgenommen und aus dem Mädchen, welches nicht sehr mitteilsam von Natur, und auch so verschlossen ist, wie frühes Unglück macht, mit Mühe allerlei herausbekommen: es scheint, die jungen Leutchen fürchten, der Herr Papa, der noch ein auffallend junger schöner Mann sein soll, werde eine zweite Ehe eingehen. Was man notabene einem Mann ja wohl nicht wird verdenken können, der eine Frau hatte, die ihm keine Frau war. Und es scheint, die Kinder meinen, sie könnten dann nicht auf Rethen heiraten, sondern Hartard müsse erst zusehen, ob er auf einer, vielleicht kommenden Frühling anzutretenden Pachtung materiell gedeiht. Sie würden also noch ein, zwei oder mehr Jahre warten müssen.

Sie, meine gute Königsegg, waren ja mit der Fronhofen sehr befreundet und kennen sicher die Verhältnisse genau. Sie fühlen mir nach, daß ich die treffliche Kleopha ein wenig bewachen und beschützen muß. Zwar gefällt mir der junge Fronhofen gut, und Kleopha vertraut ihm blind. Aber meiner Menschenkenntnis Resultat ist: man kennt keinen Menschen recht! Vielleicht ist der junge Mann doch dieses Vertrauens nicht wert, das ihm das edle Mädchen schenkt.

Sagen Sie mir ein paar Worte über den Fall. Liegt es thatsächlich so, daß Herr von Fronhofen im Verdacht steht, wieder heiraten zu wollen, sehe ich ein, daß die Lage für meine beiden Schützlinge kompliziert ist, dann werde ich weiter über Kleopha meine Fittiche breiten. Wenn nicht – so entferne ich Kleopha aus Berlin und spiele ihre Vorsehung, indem ich dem jungen Fronhofen verbiete, sie wiederzusehen.

Dem Generalmajor von Stechow geht's wieder gut. Wir haben ihn bloß acht Tage hier gehabt. Meine alte Tante Melitta ist gestorben. Erinnern Sie sich noch, wie wir uns als Kinder über ihre unförmliche Korsettlosigkeit mokierten?

Vorige Woche hatten wir die Ehre des Besuches Ihrer Majestät.

Das sind meine Neuigkeiten. Wir erleben ja eigentlich jeden Tag was Neues, aber es sind in meinem Beruf doch bloß Variationen des ewigen Themas: Leid.

Ihrer Antwort baldigst entgegensehend, bleibe ich, wie immer

Ihre getreue

Ida Klingsberg.«

 

Albrecht hatte ein schmerzliches Lächeln, als er den Brief zu Ende las.

»Weißt du noch,« fragte er, »was ich sagte, als Hartard damals seine Ankunft anzeigte: man schämt sich beinahe, so jung zu sein. Ich nehme ihm zu sehr, zu lange den Platz weg, auf dem selber zu stehen er förmlich lechzt.«

Die Bitterkeit seines Ausdrucks erschreckte Alexandra.

»Wenn das Schicksal Väter und Söhne auf die gleichen Interessen und besonders auf die gleichen Existenzquellen hinweist, mögen überall Schwierigkeiten entstehen,« sagte sie.

»Also diese Kleopha! Wer sollte die Wahl nicht billigen! Nun, da wir wissen, daß sie ihrer Familienherkunft nach zu uns paßt. Aber dennoch – – weißt du – mit Natalie Montefort – das wäre so bequem, so lösend gewesen. Es ist sehr schwer – ein so ganz mittelloses Mädchen!«

Alexandra schwieg. Ihr Herz war voll Zorn gegen Hartard, der imstande gewesen war, diesem Vater sein Vertrauen vorzuenthalten. Aber sie wollte Albrecht nicht aufreizen.

Da fiel es ihm von selbst schon ein.

»Und fünfundzwanzig Jahr treuer Vaterliebe haben mir sein Herz nicht so weit gewonnen, daß er sich mir vertraut!« rief er bitter. »Ich verstehe dies Schweigen nicht. Und noch weniger verstehe ich, weshalb er dann nicht an seinem Geburtstag bereit war, sofort eine Pachtung zu suchen. Er gab ohne Grund ein Jahr verloren.«

»Er ist eben durch Christinens Tod in einen anormalen Zustand gekommen,« meinte Alexandra beschwichtigend, »man muß ihm jetzt gar nichts übelnehmen, gar nichts.«

»Auch nicht, daß er nie einen Fuß über deine Schwelle setzt?« fragte er heftig.

Sie erblaßte.

Sie fühlten ja beide den geheimen Grund all dieser Unverständlichkeiten und Stimmungen. Aber sie beschwiegen ihn unter sich.

»Er haßt mich!« flüsterte Alexandra, in diesem Augenblick ihrer selbst nicht mächtig.

Voll Leidenschaft riß Albrecht sie an sich.

»Das trennt ihn von mir – das!« rief er.

»Vergib ihm, vergib ihm,« stammelte sie.

»Nein,« sprach er mit eisernem Ernst, »das nicht!«

Als sie ihrer Erregung Herr geworden, sagte Albrecht, daß er den Stier bei den Hörnern packen und eine große Aussprache herbeiführen werde. Alexandra war der Meinung, er solle lieber schweigen und warten und den einmal vorgesetzten Termin innehalten.

»Daten sind nichts,« sagte Albrecht.

»Nur eine Form. Aber auch in Formen ehrt man einen teuren Toten, nicht nur mit Gefühlen.«

»Die Situation ist unerträglich!«

»Wir haben fünfzehn Jahre lang eine schwerere getragen.«

»Und immer kommen dir neue Leiden durch mich!« rief er leidenschaftlich.

»In jedem kann ich dir neu beweisen, daß ich versuche, deiner wert zu sein,« sprach sie mit flammenden Augen.

»Und wann kommt das Glück?!« rief er. »Und wenn es niemals käme – –« sie hing an seinem Halse.

In tiefer Erschütterung hielten sie sich still umschlossen.

Und seine Gedanken gingen fast voll Mitleid zu dem Sohn, der die kleinen Störungen seines Lebens für eine große Prüfung hielt.

Was wußte dessen Jugend von solchem reifen, tiefen, stolzen Schmerz und Glück! Wie konnte er das Herz und das Leben seines Vaters richten!

Es ward ihnen, in dieser Stimmung, zur Qual, den Gästen standzuhalten. Als Albrecht in der Nacht heimfuhr, fiel ihm ein, daß er gar nicht zum Schluß mit Alexandra darüber gekommen war, ob er mit Hartard sprechen solle oder nicht. Er fühlte sich nicht berechtigt, etwas ohne ihre Zustimmung zu thun. Er saß in schwerem Brüten.

Löbell fuhr. Albrecht hatte gar nicht darauf geachtet, daß Löbell wieder angetrunken war. Seit dreiviertel Jahren schien Löbell immer musterhaft nüchtern. Erst gestern hatte sich die Frau beglückt darüber zum Herrn ausgesprochen.

Die Nacht war sehr dunkel. Gewölk verhüllte die Sterne. Die Erde atmete schwere Herbstdünste aus.

Hinter Albrechts offener kleiner Viktoriachaise fuhr Calatin mit seinem Jagdwagen. Der Weg nach Dolac führte über Rethen.

Albrecht dachte schwer nach. Das dumpfe Rollen der Räder klang in seinem Ohr mit. Hinter ihm prusteten und schnupperten manchmal Calatins Pferde, oder ein Peitschenknall zerhieb die Stille der Nacht. Diese Geräusche hatten etwas Trauliches, Beruhigendes. Nach und nach ward sein Denken langsamer und schwerfälliger. Müdigkeit umgriff sein ganzes Wesen.

Da schreckte ihn jäh etwas auf. Ein Ruf, der einem Schrei glich. Er kam von Calatins Kutscher.

Albrecht sprang auf. Er wollte mit packender Faust auf Löbells Rücken zufahren. Denn er sah die schwarze, sackartige Form auf dem Bock, die Löbell war, schwanken. Eine Sekunde nur – nur wie ein Blitz des Erkennens und des Zorns.

Und dann ein Schrei.

Der Wagen senkte sich, Albrecht flog auf die Erde.

Dröhnend und dumpf, in schwerem Fall. Das Handpferd lag in seinen Strängen verstrickt und hieb mit schweren Hufen in die Luft und gegen das zitternd stehende Nebenpferd.

Calatin kniete neben Albrecht. Calatins Kutscher nahm die Laterne ab, um zu leuchten.

Irgendwo, vom dunklen Wegrand her, kroch Löbell heran, unversehrt und nun völlig nüchtern.

Calatin beugte sich ängstlich nieder.

»Hast du dich beschädigt?« fragte er.

Der Mann, der da neben dem Prellstein lag, den einen Arm unter sich, den andern weit vorgestreckt, die Hand in die Erdscholle gekrallt, das Angesicht seitwärts – der Mann antwortete nicht.

Calatin stieg die Angst heiß zu Kopf.

»Kerls,« schrie er, »leuchtet – faßt an. Sie Hund – Sie besoffenes Schwein ...«

Löbell zitterte am ganzen Leib.

Und sie beleuchteten den Stillen und befühlten und flehten um einen Laut.

Vergebens.

Calatin stand auf. Die Augen waren ihm naß.

Der da lag, war sein Rival gewesen. Aber doch auch sein Lebensgenoß seit ihren Kindertagen.

Es galt, sich zu fassen.

»Er ist besinnungslos,« sagte er, »Gott weiß, was er sich zerbrochen hat. Wir können ihm noch mehr zerbrechen, wenn wir ihn auf dem Wagen haben. Gebt Decken und Kissen her – Fritz – jage nach Rethen – Tragbahre – Leute – der Sohn – mach!«

Dann that er etwas ... es überwältigte ihn ... er konnte nicht anders. Er gab Löbell eine fürchterliche Ohrfeige.

Der duckte sich winselnd.

Den Angstschweiß auf der Stirn, bettete Calatin mit Löbell den Bewußtlosen weich und warm. Unter Knurren und Schimpfen half er ihm das Handpferd absträngen und aufrichten.

Und dabei dachte er immerfort: »Wenn wir ihn heil unter Dach und Fach haben, muß ich es ihr sagen – ihr.«

Ihm wurde schlimm zu Mut, wenn er daran dachte.

Denn seit er vor einem Jahre zum drittenmal von Frau von Stechow gehört hatte, Alexandra wolle nicht wieder heiraten – seitdem glaubte er's fest: sie liebte den Fronhofen.

Und der lag nun da – ein stiller Mann.

»Könnt' ich ihn lebendig machen! Es ist doch zu hart für sie,« dachte er und horchte mit jammervollen Gedanken an Albrechts Brust.


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