Franz Adam Beyerlein
Jena oder Sedan?
Franz Adam Beyerlein

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V.

»Drum stoßt die Gläser an, hurra!
Singet Mann für Mann, hurra!
Lust'ge Artilleristen woll'n wir sein.«
                                    (Artilleristenlied.)

Wachtmeister Schumann sah sich noch einmal in den beiden Stuben und in der Küche um: nein, es war nichts zurückgeblieben. Nur sein Überzieher und sein Hut hingen an einem Fensterriegel, und in der Ecke lehnte sein Stock.

Die bürgerliche Kleidung wollte ihm garnicht behagen. Da war nichts Knappes, nichts Festes, nichts, was einen auch äußerlich soldatisch straff zusammenhielt. Alle Augenblicke griff er nach dem Halse und nestelte an einer Halsbinde herum, die viel zu weit sitzen mußte, in Wirklichkeit aber garnicht da war. In der Taille war es dasselbe: dieses Jackett baumelte an ihm herum wie die Lumpen an einer Vogelscheuche.

Geschäftig wie immer trat seine Frau von draußen herein, in Hut und Mantel, ein Ledertäschchen und den Schirm in der Hand. Sie sollte noch am Mittag nach der kleinen Gebirgsstation vorausfahren, die Wohnung in Ordnung bringen und die Möbel erwarten, die tags darauf ankommen mußten. Der Wachtmeister oder nunmehr der Stationshilfsassistent zweiter Klasse hatte noch einige Geldsachen in der Garnisonsstadt zu erledigen und wollte erst am nächsten Morgen nachkommen. 156

Die Wachtmeisterin war noch ganz außer Atem. Diese dummen Leute, die Kanoniere, hatten so entsetzlich schwer begriffen, wie sie ihre Blumen in dem Möbelwagen untergebracht haben wollte. Erregt begann sie: »Gottlob, Schumann, der Wagen ist fertig. Hier hab' ich die Schlüssel. Ich glaube, es ist aber auch die höchste Zeit, daß ich zur Bahn komme. Nicht wahr?

Schumann sah nach der Uhr und brummte: »Allerdings, die allerhöchste!«

»Dann will ich nur voranmachen,« meinte die kleine Frau.

Aber sie blieb immer noch mitten in der Wohnung stehen und schien sich nicht losreißen zu können.

»Ach Gott ja,« sagte sie, »da hab' ich mir nun jahrelang gewünscht, daß wir hier herauskommen, und jetzt, wo es ernst wird, da tut mir's doch leid. Dir auch, Schumann?«

Der Wachtmeister murmelte unwirsch etwas Unverständliches. Wenn es nach ihm gegangen wäre, stand jetzt nicht die Wohnung leer und der gepackte Möbelwagen vor der Tür. Sie allein hatte ihn dazu herumgekriegt, und nun würde sie wahrscheinlich noch zu heulen anfangen.

Indessen die Frau fuhr auch ohne Antwort fort: »Sieh mal, zum Beispiel hier der Blick von meinem Fenster aus, wo mein Nähtischchen stand, der war doch wirklich ganz reizend. Gerade gegenüber da die jungen Birken, wenn die im Frühling grün wurden und die weißen Stämme dazu! – – Siehst du, Schumann, die seh' ich nun nicht wieder grün werden.«

Richtig zog sie das Taschentuch aus der Tasche und führte es an die Augen.

Plötzlich veränderte sich ihr weinerliches Gesicht: »Mein Gott, da sind ja aber noch unsere 157 Bohnenstangen im Gärtchen! Das wäre doch noch schöner! Die lass' ich nicht hier. Das sollte mir gerade einfallen!«

Sie wollte hinaus. Da trat ihr der Wachtmeister in den Weg und hielt ihr die Uhr vor die Nase.

»Du!« sprach er. »Wenn du dich jetzt nicht ganz fix auf die Beine machst, ist dein Zug weg.«

Sie erschrak: »Mein Himmel, ja, ja! Ich gehe schon. Adieu, Schumann! Besorg' alles gut und – und – adieu!«

Auf den Zehenspitzen stehend holte sie sich noch einen Kuß von dem Gatten und war flink aus der Tür. Gleich darauf streckte sie wieder den Kopf herein:

»Der Matz! Der Matz! Wo steckt er denn?«

Der Wachtmeister gab ihr den kleinen, verhüllten Interimskäfig, in dem der Kanarienvogel unruhig herumflatterte, in die Hand und sah ihr von der Tür aus nach.

Sie trippelte quer über den Platz; vor dem Gebäude der fünften Batterie gab es noch einen beängstigend langen Abschied von einer Bekannten, dann verschwand sie im Tore.

Schumann atmete auf. Sie war seine liebe Frau, aber wenn er nun von der Batterie Abschied nehmen mußte, wollte er allein sein, da konnte er sie nicht brauchen.

Er blieb in der Tür stehen.

Eben führte ein Fahrer zwei Stangenpferde aus dem Stall und spannte sie vor den Möbelwagen.

Schumann hatte sich in den letzten Jahren nicht sonderlich um die Pferde gekümmert; er wußte sie unter Heppners Obhut ausgezeichnet aufgehoben, und der Vizewachtmeister wehrte sich mit einer Art von Eifersucht gegen eine Einmischung in sein Bereich. Aber 158 das wäre ein schlechter Wachtmeister gewesen, der sich nicht trotzdem genau auf dem Laufenden erhalten hätte über alles, was die Gäule anging, der sie am Ende nicht einmal gekannt hätte! Auch wenn sie wie diese zwei nach ihrem Nationale nur Dunkelbraune ohne Abzeichen waren.

»Sybille« und »Achat« zogen sein Hab und Gut aus der Kaserne; die Stute, ein braves, nicht mehr junges Tier, unter dem Sattel, und der Wallach, der ein wenig Krippensetzer war und deshalb beständig den Kopf schüttelte, zur Hand.

Als der Fahrer aufgesessen war und der Möbelwagen hohl auf dem Pflaster zu rumpeln begann, spitzte »Sybille« nur die Ohren und legte sich ohne Umstände ins Kummet, »Achat« jedoch bäumte sich und wieherte unwillig: das war doch kein Geschütz, das er heute zu ziehen hatte! Da gab ihm der Fahrer mit dem Handzügel einen Klaps, und nun nahm auch er sein Teil der Last auf sich.

Aber er schüttelte immerwährend den Kopf, als es an den Ställen vorbei zum Tore hinausging.

Der Wachtmeister stieg endlich die Stufen hinunter. Er mußte einen Anfang mit dem Abschiednehmen machen, – so wollte er zuerst den Pferden Adieu sagen.

Langsam ging er die Stallgasse entlang. Der scharfe Stallgeruch dünkte ihn in diesem Augenblicke herrlicher als alle Wohlgerüche, herrlicher auch als die harzige Waldluft, die in dem Tale wehte, wo die kleine Station der Gebirgsbahn inmitten eines Fichtengehölzes lag.

Stattlich im Fleisch und mit glänzendem Fell standen die schönen Tiere nebeneinander, fast alles dunkelbraune, je nach dem Temperament stumpfsinnig 159 vor sich hindösend oder zappelig in der Streu scharrend oder sich spielerisch beißend und neckend. Nur vier Stände waren leer. »Sybille« und »Achat« zogen seinen Kram zur Bahn, und die leichten Krümper »Trappe« und »Schwalbe« hatte Major Schrader sich ausgeborgt, der auf einem benachbarten Rittergute zur Jagd geladen war.

Das mußte wahr sein: den Stall konnte er ohne jegliche Sorge zurücklassen, dafür sorgte Heppner. Die Pferde waren alle in prachtvoller Kondition und kerngesund, nur der arme Teufel, der »Brutus«, der jetzt bereits zum Ausrangieren nach den Herbstübungen bestimmt war, hustete. Nun, bis dahin hielt er wohl noch aus; er war dem dicken Assistenzarzt zugeteilt worden. Da traf es sich, daß Roß und Reiter beide die langsameren Gangarten bevorzugten.

Zuletzt trat er zu seinem Reitpferd in den Stand. Der »Balduin«, ein hübscher Kerl mit vier weißen Fesseln, der ein bißchen kitzelig und äußerst weichmäulig war, erschrak vor dem Manne in dem dunkelbraunen Anzug, der da zu ihm kam, und erst, als der Wachtmeister ihn anrief, erkannte ihn das Tier. Aber es blieb scheu und wurde trotz Zucker und Brot nicht zutraulich.

Schumann nannte es mit den gewohnten Schmeichelnamen und schmiegte die Wange an seine sammetweichen Nüstern, da erst hielt das Pferd still und sah ihm unverwandt nach, wie er zurücktrat und langsam aus dem Stalle ging.

Der Wachtmeister hätte heulen mögen. Er wollte nun aber sofort ein Ende machen und sich aus der Kaserne fortscheren, in der er doch nichts mehr zu suchen hatte.

Trotzdem blieb er im Flur vor der Gedenktafel 160 der Batterie noch einmal stehen. Die sechste war eine von den alten Stammbatterien; so standen denn auch eine stattliche Anzahl Gefechte und Schlachten auf der Tafel verzeichnet: Gitschin, Königgrätz, St. Privat, Verdun, Nouart, Beaumont, Sedan und die beiden Schlachten von Villiers. Darunter reihten sich die Namen der Gefallenen, der Verwundeten und der mit Orden Ausgezeichneten an. Sedan war der verlustreichste und zugleich der ruhmreichste Tag; der Tag, an dem die Batterie fast achthundert Schuß getan hatte, an dem die Kanoniere abends so taub gewesen waren, daß sie die ins Ohr geschrieenen Befehle kaum verstanden.

O ja, es war eine Ehre gewesen, der Batterie anzugehören, und es war nur billig, daß die sechste auch im Frieden noch stets den übrigen als Muster gedient hatte.

»Den Gefallenen zum Gedächtnis, den Lebenden zur Nacheiferung!« las er leise.

Er nickte ernsthaft bejahend für sich, kehrte sich dann rasch ab und betrat seine Wohnung.

Die kahlen Wände starrten ihn öde genug an, aber in diesen Räumen hielt ihn nichts fest. Was sich darin abgespielt hatte, war sein Privatleben, das er auch anderswo ähnlich wiederfinden mußte. Diese Stuben waren ihm nur wert gewesen, so lange seine Frau in ihnen waltete und sie ihm wohnlich und behaglich machte; aber die Frau saß jetzt auf der Bahn, – hoffentlich! – und die Behaglichkeit rumpelte holpernd ebendahin.

Er zog rasch seinen Überzieher an und griff nach Hut und Stock. Dann schloß er ab und klopfte beim Vizewachtmeister, um die Schlüssel abzugeben.

Die Frau war allein. 161

»Sie wollen nun gehen, Herr Schumann?« fragte sie leise.

Der Wachtmeister nickte und sagte. »Ich lege die Schlüssel hier hin, vor den Spiegel.«

Dann ging er zu dem Sofa hin, auf dem die Kranke lag, und gab ihr die Hand. Es war auf den ersten Blick zu sehen, daß hier keine Hoffnung mehr war. Der Tod saß dem Weibe im Nacken, kaum würde sie den Sommer erleben. Er brachte es auch nicht fertig, ein Wort der Hoffnung zu sprechen, sondern er verabschiedete sich nur einfach: »Adieu, Frau Heppner.«

»Adieu,« erwiderte die Frau, und leise flüsternd setzte sie hinzu: »Und da wir uns nicht wiedersehen werden, will ich Ihnen und Ihrer Frau gleich jetzt danken.«

»Aber wofür bloß?«

Die Kranke schwieg einen Augenblick, dann antwortete sie: »Nun, wenn man selbst immer einen wahren Höllenlärm im Hause hat, dann freut man sich schließlich über die Ruhe und den Frieden bei anderen. Man verzweifelt wenigstens nicht daran, daß es noch etwas Besseres gibt, als was einem da selber geschehen ist.«

Der Wachtmeister blieb stumm. Was sollte er der Unglücklichen auch sagen?

»Also leben Sie wohl, Herr Schumann!« schloß sie. »Recht wohl, wünsche ich Ihnen!«

Schumann atmete freier auf, als er die Tür hinter sich geschlossen hatte. Das arme Weib tat ihm aufrichtig leid; aber der Abschied von diesen Flurnachbarn, das war etwas, das ihm die Sache etwas leichter machte.

Mit der Ablieferung der Schlüssel war das letzte 162 Band gelöst, das ihn an die Batterie und an das ganze Soldatenleben geknüpft hatte. Alles andere war schon vorher abgetan.

Am letzten Abend war eine kleine Feier gewesen, zu der der Hauptmann und die beiden Batterieoffiziere ihn und sämtliche Unteroffiziere eingeladen hatten. Dann war ihm am Vormittag im Beisein der direkten Vorgesetzten bis zum Oberst und vor versammelter Mannschaft vom Regimentskommandeur das Dienstauszeichnungskreuz, das ihm der König verliehen hatte, überreicht worden; er hatte auch Erlaubnis erhalten, seine alte Uniform bei patriotischen Feiern zu tragen. Der Oberst hatte ihn mit warmen Worten als Muster eines Soldaten hingestellt und mit einem Hoch auf Kaiser und König geschlossen. Er, der Wachtmeister, hatte darnach gebeten, auch seinerseits ein paar Worte reden zu dürfen und hatte mit manchmal versagender Stimme ein Hoch auf das geliebte Regiment und insbesondere auf die schöne sechste Batterie ausgebracht. Hinterher waren ihm noch reiche Geschenke überreicht worden: von Wegstetten und den beiden Leutnants eine prachtvolle, goldene Uhr, von Major Schrader eine schwere Goldkette dazu, von den Unteroffizieren ein Album mit Ansichten der Garnison und der Kaserne und mit Gruppenbildern der Offiziere, Unteroffiziere, Mannschaften und Pferde. Zuletzt hatte ihm noch der Batteriechef seinen Dienstsäbel, den er zehn lange Jahre geführt hatte, als Eigentum übergeben.

Allen hatte er nur mit einem stummen Händedruck danken können, um nicht beim Sprechen zu heulen anzufangen wie ein Frauenzimmer. Auch den Mannschaften hatte er Lebewohl gesagt – so war er also fertig und konnte gehen. – 163

Es war etwa eine halbe Stunde vor Beginn des Nachmittagsdienstes.

Als der Wachtmeister auf den Flur trat, hörte er eine Stimme auf der Treppe rufen: »Der Wachtmeister geht,« und plötzlich liefen alle herbei, die Fahrer und die Kanoniere, die alten Leute und die Rekruten, die ganze Batterie, um ihm noch einmal die Hand zu geben. Auch diejenigen fehlten nicht, mit denen er um ihrer Nachlässigkeit oder dummen Streiche willen nicht eben säuberlich verfahren war, von denen manche seiner Strenge eine derbe Strafe zu verdanken hatten, – und in diesem Augenblick des Abschieds waren sie ihm alle gleich lieb, auch dieser nie zu bessernde Dreckfink Kunick, der ihm seine entsetzlich schmutzige Rechte hinhielt. Selbst die beiden Stallwachen eilten herzu und der eine, dem zufällig der »Balduin« zur Pflege zugeteilt war, sagte treuherzig: »Der Balduin soll's aber immer noch so fein haben, wenn auch Herr Wachtmeister nun nicht mehr hinterher sind.«

Wieder mußte der Wachtmeister die Zähne aufeinander beißen; er ging stumm durch die Reihen der Leute durch und schüttelte die Hände, die sich ihm entgegenstreckten.

Zuletzt hielt er erstaunt inne, er glaubte sich zu täuschen. Aber nein, auch Wolf stand da, – Wolf, dieser Sozialdemokrat, dessen ganzes Soldatsein nur eine höhnische Maske war, dieser Revolutionär, der nur auf den Augenblick lauerte, in dem er, dem grünen Rock entsprungen, seinen Glauben weiter predigen könnte! Und er, der Wachtmeister, hatte wahrhaftig niemals damit hinter dem Berge gehalten, was er über jene schändliche Lehre dachte.

Wolf war nicht gerade herzugelaufen, sondern 164 kam mit dem Rechen auf der Schulter vom Herrichten des Reitplatzes, aber der Reihe der anderen hatte er sich doch angeschlossen.

Schumann konnte sich nicht enthalten zu fragen: »Sie auch, Wolf?«

»Jawohl, Herr Wachtmeister,« antwortete der Soldat –»zu Befehl« sagte er schon nicht mehr –, »Herr Wachtmeister haben niemals einen schlecht behandelt und sind stets gerecht gewesen.«

Der Wachtmeister fühlte sich ein ganz klein wenig durch dieses ehrlich klingende Lob beschämt. Im allgemeinen hatte er sich nach Kräften bestrebt, es zu verdienen, aber gerade diesem Sozialdemokraten gegenüber hatte er ganz bewußt es manchmal an Gerechtigkeit fehlen lassen. Er besann sich genau, Wolf öfter, als die Reihe an ihn kam, zu besonders unangenehmem Arbeitsdienst kommandiert zu haben. Nun mußte ihm der Mensch unwissentlich das noch zum Abschied unter die Nase reiben!

Verlegen und stockend erwiderte er: »Eigentlich – eigentlich sind Sie ja auch immer ein ganz guter Soldat gewesen, äußerlich wenigstens. Bloß daß Sie –, ja, da war Ihnen aber eben nicht beizukommen!«

Schumann dachte ärgerlich, wie doch solche Kleinigkeiten, die man längst vergessen hatte, gerade zur dümmsten Zeit sich wieder bemerkbar machten. Und wie unangenehm dazu! Für einen Mann wenigstens, der, wie er, auf ein peinlich reines Gewissen hielt! Es war nur gut, daß nach Wolf noch andere kamen, um ihm zum Abschied die Hand zu geben, sonst hätte er am Ende trotz Orden, Uhr und Säbel die Kaserne mit einem schlechten Gewissen verlassen.

Der Letzte, der sich immer wieder unten anstellte, eben um als letzter Adieu zu sagen, war Niederlein, 165 ein kleiner, flinker Kanonier, der ihm im letzten Jahre die Sachen geputzt hatte.

Der Wachtmeister drückte ihm besonders herzhaft die Hand und atmete auf: gottlob, Niederlein wog am Ende Wolf auf! Er hatte ihn einst ertappt, wie er, als Revierkranker in der Stube allein, den Nachbarschrank aufgebrochen und sich daraus ein Stück Wurst angeeignet hatte. Das war schwerer Kameradendiebstahl, und darauf stand entehrende Strafe, aber Schumann kannte den Rekruten: er war nur leichtsinnig und leckermäulig, und was er begangen hatte, war mehr ein dummer Streich, als ein Verbrechen, denn das Geld, das neben der Wurst lag, war unangetastet. So hatte er den Burschen über den Tisch gezogen und ihm mit seinem Lederkoppel fünfundzwanzig aufgezählt. Er war sich nicht ganz klar, ob das gerade gerecht gewesen war, man konnte es ja sogar als Mißhandlung auffassen, – richtig war es jedenfalls gewesen: Niederlein war jetzt fast der beste Soldat der ganzen Batterie, und gar für den Wachtmeister wäre er durch Wasser und Feuer gegangen.

Der brave Kerl sah hinterdrein, wie Schumann langsam zu dem hinteren Tore hinausging und drüben im Wäldchen verschwand. Dann lief er rasch auf seine Stube, denn die Batterie trat schon zum Gesamtfußexerzieren an.

Schumann hatte den einsamen Waldweg gewählt, um nach der Stadt zu gelangen, weil er auf der Chaussee doch nur wieder den Batterieoffizieren begegnen mußte. Da gab es von neuem Aufenthalt, und im letzten Grunde gehörte er trotz Doppeltressen und Offizierssäbel doch mehr zu den Mannschaften als zu den Offizieren.

Der Weg führte im Zickzack zu dem Kamme der 166 Anhöhe hinan; oben bog man am Abhang hin links zur Stadt ab, rechts zu einem steilen, vorspringenden Felsen, von dem aus man eine hübsche Übersicht über das Tal hatte. Ebensogut konnte man von unten aus jeden deutlich sehen, der auf dem kleinen Ausblick sich aufhielt.

Schumann verweilte auf der Höhe und schaute auf das altvertraute Gelände zu seinen Füßen. Die Landstraße lief fast schnurgerade das Tal aufwärts; ihr entlang lag das riesige Gebäuderechteck der Kasernen. Auf den Längsseiten reihten sich die Wohngebäude und Ställe aneinander, die kurzen Seiten wurden durch das Stabsgebäude und das Reithaus gebildet. Hinter dem Reithaus waren die Kammern und Heergeräteschuppen als ein noch größeres Rechteck gelagert. Neben den weißen Gebäuden, nach dem Höhenzuge zu, von dessen Gipfel er Ausschau hielt, erstreckten sich die großen Exerzierplätze.

Er konnte mit seinen scharfen Augen sogar die Gesichtszüge der einzelnen Menschen unterscheiden.

Die vierte Batterie zog eben ihre sechs Geschütze zum Tore hinaus, bei der fünften dagegen regte sich noch nichts, – Hauptmann Mohr liebte es nicht, kurz nach Tisch Dienst zu tun –, und nun rückte seine Batterie, die sechste, zum Fußexerzieren auf den Platz. Die Helmbeschläge flimmerten in der Sonne, und er meinte, fast den Gleichtritt zu hören. Wegstetten und die beiden Leutnants gingen hinterdrein.

Die Übungen begannen, und das Abbrechen, das Ausmarschieren und zuletzt die Parademärsche, erst in Zug, dann in Batteriekolonne, – alles klappte ausgezeichnet. Es war eine Lust, von oben herab die sauber gezogenen, geraden Linien sich bewegen zu sehen. An seiner Stelle, am Platze des Wachtmeisters, 167 marschierte Heppner, und Keyser, der Kammersergeant, führte als ältester Unteroffizier anstatt des Vizewachtmeisters den Fahrerzug.

Aber diese Neubesetzung trat niemals merkbar hervor; alles vollzog sich geordnet und gleichmäßig, und nirgends war eine Lücke.

Und er, Schumann, hatte geglaubt, unersetzlich zu sein, – er hatte geglaubt, es ginge nicht ohne ihn! – – –

* * *

Beim Abendessen sagte Julie Heppner zu ihrem Manne: »Otto, das Geld, das du uns zur Wirtschaft gibst, reicht nicht aus. Ida hat heute nicht einmal den Milchmann bezahlen können.«

Der Vizewachtmeister erwiderte kauend: »Das ist mir sehr egal. Richtet euch dann nur besser ein!«

Als er satt war, zog er seinen Eigentumsrock an, schnallte den Säbel um und setzte seine Schirmmütze auf.

Die Frau sah ihm vom Sofa aus mit bösen Augen zu, wie er den starken Schnurrbart bürstete und die Handschuhe anstreifte.

Heppner blickte ihr geradeaus ins Gesicht, lachte höhnisch auf und sprach: »Ja, da denkst du nun wieder: jetzt geht er in die Kneipe und versäuft das bißchen Geld! Na, zufällig ist's diesmal nicht so. Aber glaub' du's nur immerhin, damit du dich recht boßt.«

Diese ewigen Geldklemmen waren aber auch der Schwägerin außer dem Spaß, weil sie allemal die Mahnenden abweisen und vertrösten mußte, und sie mischte sich ärgerlich ein: »Wohl ist's so! Du verkneipst das Geld, und wir können sehen, wie wir uns herausbeißen.« 168

Der Vizewachtmeister trat hinter sie und neckte: »Keifst du auch schon wie deine liebe Schwester? Das steckt an, finde ich. Aber dir will ich's schon sagen: s'ist gestern von dem Abschiedsbier ein tüchtiger Rest geblieben, den hab' ich für mich beiseite gebracht. – Na, wer hat nun recht?«

Scherzend klopfte er der Schwägerin auf die runde Schulter und setzte hinzu: »Wer weiß! Vielleicht geb' ich dir morgen eine ganze Masse Geld.«

Damit verließ er die Wohnung.

Beim Vorübergehen schaute er noch einmal in den Stall hinein und bedrohte die Stallwachen, wenn er sie irgendwann nicht auf dem Posten finden würde. Dann schlenderte er zum Tore hinaus.

Er war guter Laune. Daß der alte Schumann, dieser griesgrämige, hausbackene Streber, anstatt seine paar Kröten einzusacken und im Zivildienst zu verduften, so lange in der Batterie hocken geblieben war und ihm das Vorrücken zum Wachtmeister unmöglich gemacht hatte, das hatte ihm schon lange wie ein Stachel im Fleische gesessen. Nun war der Alte endlich verschwunden, und ihm war der Wachtmeister sicher. Das gab nicht bloß mehr Löhnung, sondern es war auch gleich ein ganz ander Ding, eine Art Selbstherrschaft, der sich zuweilen sogar die Leutnants und, wenn man es ganz schlau anfing, selbst der Hauptmann beugen mußte.

Es war ein Glückstag heute für ihn, das spürte er gleichsam in den Fingerspitzen, und diesen Umstand gedachte er auszunützen, diesen Abend mußte ein Spielchen gemacht werden.

Deshalb hatte er sich mit Vorbedacht zu dem stattlichen Reste des Abschiedstrunkes nur solche Leute eingeladen, die dabei sicher mittaten: den Wachtmeister 169 der fünften Batterie, der seinem Chef im Trinken nachahmte und stets zu guter Letzt kaum mehr die Karten in der Hand halten konnte, und den Trompeter Henke von seiner eigenen, der sechsten Batterie, zwei richtige Spielratzen. Die beiden letzten von der Partie sollten dann der Wirt des »Weißen Rosses« und der dicke Bäcker Kühn sein, der die Weißbrotlieferung für das Regiment hatte. Dem Bäcker hatte er im besonderen die Rolle des Verlierenden zugedacht, der hatte ja auch das meiste Geld.

Vor dem Tore fiel es Heppner plötzlich ein, es wäre weit angenehmer, das halbe Stündchen zur Stadt in Gesellschaft zu gehen, und er beschloß, den Trompeter abzuholen.

Er brauchte dazu nur die Landstraße zu überschreiten und eine kleine Erlenallee entlang bis zu den zwei Bauernhöfen zu gehen, von denen aus früher die Felder und Wiesen des Tales bewirtschaftet worden waren. Sie dienten aber schon längst nicht mehr landwirtschaftlichen Zwecken: im vorderen Gehöft, das breit und geräumig dicht an der Chaussee lag und »das Himmelreich« genannt wurde, waren zu ebener Erde die Remontestallungen und im Stockwerk die Ökonomiehandwerker des Regiments untergebracht. Der rückwärtige Hof drängte sich an den Bach heran und lag im Schatten der gegenüberliegenden Felswand, die kaum der Sekundärbahn Raum ließ; er hieß »die Hölle« und war zu Wohnungen für die verheirateten Unteroffiziere aufgeteilt, soweit sie nicht in der großen Kaserne Platz fanden.

Die Mehrzahl der Insassen gehörte dem Trompeterkorps an. Allzulange blieb aber keiner davon in der »Hölle«. Der schlimme Durst der Musikantenkehle vertrieb sie aus den gemütlichen Bauernstuben, 170 unter deren Fenstern der Bach idyllisch rauschte. Denn den Trompetern, die im Dienst als Meldereiter verwendet wurden, war es verboten, dick zu werden. Der Oberst hatte eine Verordnung erlassen, daß keiner über fünfundsiebzig Kilo wiegen dürfte, und in jedem Sommerhalbjahr befahl er, noch dazu, ohne den Termin vorauszubestimmen, ein allgemeines Wägen. Wer bei dieser Prüfung auch nur um ein Viertel den anderthalben Zentner überschritt, der war erbarmungslos von jeder Kapitulation ausgeschlossen.

Sergeant Henke befand sich einstweilen noch weit unter dem gefürchteten Meistgewicht. Ein lebhafter Mensch mit einem frischen, rotbäckigen Gesicht, einem flotten schwarzen Bärtchen und etwas unvorschriftsmäßig langem Lockenhaar, gab er eine hübsche soldatische Erscheinung ab und paßte recht gut zu seiner Frau, Lisbeth, einer reizenden Blondine, die mit ihrem schlanken Wuchs immer noch wie ein junges Mädchen aussah.

Die blonde Frau war blindlings in ihren Gatten vernarrt. Sie betete ihn fast an, aber er kümmerte sich nicht sonderlich um sie. Er hielt sich für einen großen Künstler, weil er bei den Konzerten der Kapelle die Pistonsoli blies und namentlich bei dem weiblichen Teil der Zuhörerschaft stets einen ungeheuren Beifall erntete, und behauptete, allein seine Heirat hätte ihn daran gehindert, eine »Berühmtheit« zu werden. Einmal erhielt er einen glühenden Liebesbrief, der mit »eine hochgestellte Dame, die den trennenden Standesunterschied mit blutigen Tränen betaut« unterzeichnet war, das plumpe, durchsichtige Werk eines Spaßvogels, aber Henke glaubte in seiner Eitelkeit an eine hochgeborene Urheberin, und diese Einbildung verwirrte ihm vollends den Kopf. Er 171 gab sich darnach Mühe, wie ein feiner Herr aufzutreten, schielte nach allen eleganten Damen der Stadt und hatte für sein Weib kaum mehr einen Blick übrig. Die Frau arbeitete und sparte für ihn, damit er seinen noblen Passionen nachgehen konnte, und fühlte sich glücklich, daß er sie bei sich duldete. Und er trieb sie stets von neuem an, sich zu plagen und Geld zu verdienen, denn er wollte reich werden, um den wirklich feinen Leuten ebenbürtig zu sein.

Dazu sollte ihm auch das Spiel verhelfen, das ihn nebenbei um so mehr anlockte, als es ihn ein ungemein vornehmes Vergnügen dünkte.

Er stand schon fertig zum Ausgehen da und verweilte nur noch vor dem Spiegel, als er vor dem Fenster das Trabsignal pfeifen hörte, das Zeichen, mit dem ihn Heppner, sein Zech- und Spielgenosse, abzurufen pflegte. Im Nu stand er bei dem Vizewachtmeister auf der Straße, und nach einer kurzen Begrüßung wanderten die beiden raschen Schrittes der Stadt zu.

Wenige Schritte vor dem »Weißen Roß« blieb der Trompeter plötzlich stehen, griff in die Tasche und rief: »Das Donnerwetter! Da hab' ich zu Hause mein Geld vergessen!«

Er hatte aber gar keines, – auch zu Hause nicht.

Heppner, in seiner fröhlichen Stimmung, beruhigte ihn: »Laß gut sein! Essen und Trinken hast du heute umsonst, und im übrigen borg' ich dir 'nen Taler. Da, nimm!«

Er gab ihm das Geldstück noch vor der Tür, und der Trompeter freute sich: geliehenes Geld brachte Glück. – 172

Der Roßwirt hatte die Tafel in der kleinen Extrastube hübsch zurechtgemacht. Die Reste vom vergangenen Abend waren neu hergerichtet und aufgeputzt, und das Fäßchen, das wohl noch vierzig Liter Bier hielt, war mit Eis gekühlt.

Aber nur einer von den fünf Schmausenden war bei der Sache: Blechschmidt, der Wachtmeister der fünften Batterie. Er aß und trank noch, während die vier anderen bereits am halbabgedeckten Tische beim Kartenspiel saßen.

»Zuerst mal etwas Solides!« hatte Bäckermeister Kühn gemeint. So spielte man einen »Doppelkopf«, bei dem jeder drei Mark einsetzte.

Es dauerte lange, bis der letzte Fünfpfenniger der Kasse ausgespielt war, aber Heppner triumphierte. Er hatte ganz das rechte Gefühl gehabt: als er sein Geld nachzählte, hatte er fast zwei Mark gewonnen. Bei den beiden Zivilisten hielt sich Gewinn und Verlust beinahe die Wage; der Trompeter hatte den Ausfall zu tragen.

Nach dieser Anstrengung gönnten sich die Spieler abermals ein paar Bissen, und kauend diskutierten sie die Wechselfälle der Kartenlaunen.

Heppner schlang sein Brot und sein Fleisch gierig hinunter, und kaum war der letzte Teller leer geworden, so begann er, listig mit den Augen zwinkernd: »Und was nun, meine Herrschaften?«

Der Bäckermeister lachte behaglich und erwiderte: »Nu, wer so solide war wie wir, der darf auch mal 'n bißchen unsolide sein.«

Darauf sperrte der Wirt die Tür des Zimmers ab und vergewisserte sich, daß die Fensterläden dicht schlossen. Man rückte enger aneinander, und auch Blechschmidt setzte sich näher heran. 173

Der Reihe nach spielte man »Siebzehn und vier«, »Meine Tante, deine Tante« und »Tippen« Die Einsätze gingen vom Groschen aufwärts, aber als beim Tippen die »Pinke« stehen blieb, handelte es sich doch zuweilen um fünfzig Mark oder noch mehr.

Die Spieler saßen über den Tisch gebeugt, die Augen folgten in gieriger Erwartung dem Fallen der Karten, die Gesichter glühten. Sie zündeten die neuen Zigarren an den Stummeln der alten an, und wenn ihnen die Kehlen vor Aufregung trocken wurden, gossen sie in hastigen Schlucken das Bier hinunter, das allmählich schal und trübe aus dem Hahne in die Gläser floß.

Der Begriff der Zeit war für sie nicht mehr vorhanden.

Plötzlich grollte Blechschmidt, der unverbesserliche Saufaus: »Nein, ich tu' nicht mehr mit. Das Bier ist alle.«

Der Roßwirt sah auf die Uhr. »Es geht auf fünf,« sagte er.

Keiner hielt das für möglich; höchstens eine Stunde glaubten sie gesessen zu haben.

Aber wohl oder übel mußte man nach der üblichen Zahl von Respektsspielen ein Ende machen.

Schließlich atmeten alle auf, als die letzte Runde vollbracht war und die Karten ruhig auf dem Tische liegen blieben. Während des Spiels war man die gräßliche Müdigkeit gar nicht gewahr geworden, die zuletzt, nachdem einmal von Aufhören die Rede gewesen war, jeden mit ihren bleiernen Armen zu Boden zog.

Es galt nur noch, Gewinne und Verluste zu berechnen.

Der Trompeter war am schnellsten damit fertig. Er rollte Heppner den geliehenen Taler hin und 174 lachte vergnügt in sich hinein. Er hatte auch allen Grund, lustig zu sein, er, der keinen roten Pfennig mitgebracht hatte und nun mit mehr als hundert Mark, hauptsächlich Silberstücken, aber auch ein paar Goldfüchsen, in der Tasche klimperte!

Die anderen vier hatten alle verloren. Der Vizewachtmeister war um reichlich dreißig Mark ärmer, bei Blechschmidt und bei dem Roßwirt belief sich der Verlust nur auf Pfennige, – in Bezug auf den Bäckermeister Kühn dagegen war Heppners Wunschahnung in Erfüllung gegangen: er trug mit siebzig Mark die Hauptkosten des Abends.

Der Vizewachtmeister blickte finster die kleine Summe an, die noch vor ihm lag. Wie dumm war er gewesen! Mit dem Taler, den er Henke geborgt hatte, – das stand bombenfest – hatte er sein Glück aus der Hand gegeben. Nun hatte dieser Laffe an seiner Statt das Geld des dicken Bäckers eingeheimst. Das war der Lohn seiner Gutmütigkeit.

Er verspürte eine ganz unbändige Lust, mit dem Trompeter, der heiter lächelnd sich auf seinem Stuhle schaukelte, einen Krakehl anzufangen, nur um ihm dieses höhnische Feixen mit einem Faustschlage vergelten zu können. Aber wenn er seine Wut verriet, erntete er bloß noch Spott und Hohn zu dem Schaden.

Da hatte plötzlich Henke einen Einfall.

»Herrschaften!« begann er. »Ich sehe ein, daß ich zu unglaubliches Glück gehabt habe. Da muß ich schon was ausgeben.«

Er knuffte den schlafenden Roßwirt in die Seite und schrie ihm ins Ohr: »Also, Anton, ich spendiere zwei Pullen Sekt.«

Heppner und der Bäcker protestierten dagegen und wollten nach Hause. Beide waren ärgerlich und müde 175 obendrein, und die paar Gläser von der »süßen Lurke«, wie Kühn den Sekt bezeichnete, brachten ihnen ihr gutes Geld auch nicht wieder.

Aber der ewig durstige Blechschmidt lallte ein beistimmendes: »Jawohl, Sekt!«, und der Roßwirt war mit einem Male wieder sehr munter geworden. Auf diese Art schloß auch für ihn das Spiel mit einem schönen Gewinn.

Als Heppner und Kühn sich überstimmt sahen, blieben sie natürlich noch. Wenn es ihnen auch nicht schmeckte, mittrinken wollten sie doch.

»Was willst du für welchen haben, Henke?« fragte der Wirt. »Soll ich dir die Weinkarte bringen? Es ist alles da, deutscher und französischer.«

»Bring nur den teuersten!« trumpfte der Trompeter auf.

»Aber die Pulle kostet elf Mark, Henke!«

»Egal, ganz egal! Was unsere Offiziere können, kann ich noch lange. Man ran damit!«

Der Wirt stieg behende in seinen Keller hinab und holte aus der hintersten Ecke zwei Flaschen Pommery hervor, eine solide, trockene Marke, mit der manchmal die Pferdehändler ein gelungenes Geschäft begossen.

Die kühle Kellerluft brachte ihn endlich ganz zur Besinnung. Er lächelte den beiden Pommery schlau zu, löste die Etiquetten sauber ab und beklebte damit ein paar silbergehalste Flaschen, die bis dahin ein namenloses Dasein geführt hatten.

Eis war nicht mehr zur Hand. So öffnete er die Flaschen, wie sie aus dem Keller kamen. Der Pfropfen sprang mit einem lauten Knall zur Decke, und der Wein stieg wie eine Fontäne aus dem Halse empor. 176

Die beiden Wachtmeister hatten »Feuer!« kommandiert, als der Korken emporflog, und der Trompeter hatte eine Fanfare dazu geblasen. Nun steckten alle fünf die Nasen tief in die Gläser und ließen sie von den aufsteigenden Perlen kitzeln. Dann gossen sie das viel zu warme Getränk hinunter und konnten sich mit Lobsprüchen gar nicht genug tun.

Der Trompeter, der stets von den Offizieren aufgeschnappte Redensarten im Munde führte, spielte sich als Weinkenner auf. Er beroch den Champagner, ließ ihn auf der Zunge vergehen, wobei sein Gesicht einen verzückten Ausdruck annahm, und rief begeistert: »Herrschaften, Herrschaften! An dieser Blume erkennt man die französische Marke. Jawohl, es ist doch etwas ganz anderes dabei, als beim deutschen Sekt!«

Die anderen ahmten seine Gebärden nach und waren vollständig mit ihm einverstanden.

Nur Kühn bemerkte mißvergnügt: »Nach bittren Mandeln schmeckt das Sauzeug!«

Da entrüstete sich der Roßwirt. »Weißt du denn nicht, Bäcker,« zankte er, »daß das eben gerade das Kennzeichen für den echten französischen Champagner ist?«

Und er liebäugelte mit den beiden Korken, die er sorglich aus der Zimmerecke aufgelesen hatte.

* * *

Als Hauptmann von Wegstetten am Morgen des 1. April das Batteriedienstzimmer betrat, fragte er sogleich den Vizewachtmeister: »Was ist denn mit Ihnen los? Sie sehen ja ganz greulich aus.«

Heppner antwortete: »Herr Hauptmann verzeihen, meine Frau hat eine sehr schlechte Nacht gehabt.«

»So?« meinte Wegstetten gedehnt. »Das tut mir natürlich sehr leid.« 177

Bei sich dachte er aber: wenn das überhaupt wahr ist, dann hat sich der Mensch wahrscheinlich mit Schnaps darüber hinweggeholfen; man riecht es ihm auf fünf Schritte an.

Trotzdem wollte er ihn vom Remontereiten dispensieren, aber Heppner sträubte sich dagegen und bat, am Dienste teilnehmen zu dürfen. Das war ja für ihn gerade das beste Heilmittel, um den ekelhaften Jammer los zu werden: eine Stunde Reiten, und er war wieder frisch. Es wäre auch noch schöner gewesen, wenn eine um die Ohren geschlagene Nacht einem Kerl wie ihm ernstlich Beschwerden gemacht hätte.

Über diesen Eifer freute sich nun wieder der Batteriechef, und als der Vizewachtmeister gerade an diesem Tage seinen Gaul, natürlich die schwierigste von allen Remonten, ganz wundervoll ritt, entfuhr es ihm: »Heute Mittag, Heppner, denke ich Ihnen eine gute Nachricht bringen zu können.«

Hinterher besann er sich, daß er eigentlich beim Oberst Bedenken gegen die Ernennung Heppners zum Wachtmeister hatte erheben wollen; jetzt, da er sich dem Manne gegenüber verpflichtet hatte, war das nicht mehr gut möglich.

Er erwähnte zwar seine Zweifel bei der Besprechung mit Falkenhein, aber das geschah ohne Nachdruck, und am Ende deckte ihm der Oberst selbst den Rückzug.

»Was wollen Sie auch, lieber Wegstetten?« sagte er. »Ich bitte Sie, nehmen Sie sich einmal alle Ihre Unteroffiziere genau vor! Wem trauen Sie nicht zu, daß er spielt? Das ist eben auch so ein verhängnisvolles Unglück für diesen Zwitterstand, daß die Leute sich allerlei, was sie bei den Offizieren sehen, annehmen, leider fast nur Törichtes oder Schlechtes. Den großen 178 Herren spielen, saufen, mit Frauenzimmern sich herumtreiben, spielen, das tun sie nur zu oft, der eine mehr, der andere weniger.«

Wegstetten wandte bescheiden ein: »Herr Oberst verzeihen, alle doch wieder nicht. Mein alter Wachtmeister –«

Er kam nicht weiter. Falkenhein unterbrach ihn lebhaft: »Schumann meinen Sie? Ja, da haben Sie natürlich recht. Aber das war auch der letzte von einer ganzen Generation, gewissermaßen noch einer vom alten Kurs: solide, still, bescheiden, aber tüchtig und pflichttreu bis in die letzte Faser. Aber die sterben aus, mein lieber Wegstetten, diese Prachtexemplare von Unteroffizieren! Was früher die Regel war, wird jetzt nach und nach die Ausnahme. Bei der Infanterie gibt's die schon längst nicht mehr, nur bei der Kavallerie und allenfalls bei uns halten sich noch ein paar auf.«

Der Oberst schwieg einen Augenblick nachdenklich. Dann fuhr er fort: »Mein Gott, Wegstetten, ziehen Sie nur nicht gleich ein Gesicht, als ob Ihnen die Hühner das Brot gefressen hätten! So buchstäblich hab' ich das nun auch nicht gemeint. Ich weiß, daß es auch jetzt noch tüchtige Unteroffiziere gibt, aber sie haben fast alle, – ich sage fast alle, mein lieber Wegstetten, – manche unangenehme Nebeneigenschaft, die früher fehlte. – Andere Zeiten, andere Leute! Gucken Sie sich die Welt an, da ist es überall so, und wir stehen immerhin gottlob noch auf einer recht respektablen Höhe. Aber, Herr Hauptmann von Wegstetten, wenn ich Sie aufs Gewissen frage: ist unser Unteroffizierkorps, meinethalben seit Sie Offizier sind, besser oder – na, minder gut geworden? Was antworten Sie dann?« 179

»Minder gut. – Leider, Herr Oberst«, erwiderte der Hauptmann.

»Ja, leider. Ganz meine Ansicht.«

Der Oberst kramte aus den Papieren, die auf dem Schreibtische der Erledigung harrten, zwei hervor und legte sie vor sich hin.

»Nun,. lieber Wegstetten,« fragte er, »hier liegt die Beförderungsurkunde. Ich kann mir über solche Einzelheiten nicht gut den Kopf zerbrechen. Das ist nicht meines Amtes. Ich wende mich darum an Sie: wollen Sie's mit Heppner versuchen?«

»Zu Befehl, Herr Oberst.«

»Schön, denke ich auch.«

Falkenhein unterschrieb das Schriftstück und gab es dem Hauptmann.

»Da! Nun ist er Wachtmeister!« sagte er dabei. »Sie werden schon mit ihm auskommen. Mittel zur Kontrolle und Aufsicht haben Sie ja genug in der Hand. Am meisten tut es mir leid, daß Sie ihn nun halb und halb aus dem Frontdienst verlieren. Das war sein eigentliches Feld. Aber einen Jüngeren kann man ihm auch nicht überordnen.«

Er nahm das zweite Schriftstück und reichte es Wegstetten hin: »Und hier ist auch gleich die andere Beförderung. Ich habe sie schon nach Ihrem Vorschlage erledigt. Sergeant Heimert ist heute zum Vizewachtmeister ernannt und von seinem Kommando abgelöst. Er übergibt heute das Kolonnenmaterial seinem Nachfolger und wird sich morgen bei Ihnen melden.«

»Ich danke gehorsamst, Herr Oberst,« versetzte der Hauptmann. »Darf ich die Beförderungen gleich bei mir behalten?«

»Wie Sie wollen, lieber Wegstetten. Die Ordonnanz kann sie Ihnen ja auch hinüberbringen.« 180

Aber Wegstetten steckte die Schriftstücke in den Aufschlag seines Ärmels und verabschiedete sich. Der Oberst begleitete ihn bis zur Tür und reichte ihm noch sehr liebenswürdig die Hand.

Der Hauptmann aber dachte, als er die Treppe hinunterstieg: einen Fehler muß doch jeder haben. Er war wie das ganze Kontingent der Ansicht, daß Falkenhein einer der ausgezeichnetsten Offiziere des Heeres war, dem der Divisionär, wenn nicht gar der Kommandierende General, sicher bevorstand. Und das hatte bei einem Artilleristen doppelt viel zu bedeuten! Aber warum nun einer, der gerade noch das Glück gehabt hatte, unter dem seligen Moltke im Großen Generalstab zu arbeiten, immer gleich alles, was nach dieser Zeit geschah, für »minder gut« halten mußte, – das war ihm nicht recht klar. Natürlich, der Name Moltke wog zwei bis drei Armeekorps auf, aber war es denn möglich, daß der jetzige Chef des großen Generalstabes nicht Ähnliches leistete, sobald die Gelegenheit kam? Er besann sich nicht gleich, wie der Mann hieß. Richtig, dachte er dann, Graf Schlieffen ist's. Also: warum sollte der Name Schlieffen nicht mal denselben Klang haben wie Moltke?

Er glaubte freilich selbst nicht daran, – eigentlich ohne Grund, aber es gelang ihm nun einmal nicht. Diese ganze neue Zeit hatte so etwas Tastendes, Unsicheres, über das man nicht hinwegkam. Und doch sträubte er sich dagegen, daß die grämlichen laudatores temporis acti recht haben sollten. Ein scheußlicher Zwiespalt das!

Wegstetten schlug mit der Reitgerte einen wütenden Lufthieb und tat leise einen grimmigen Fluch. 181

Was half das alles? – Zum Teufel! Man schwamm doch nicht gegen den Strom! Man sägte doch nicht selbst den Ast ab, auf dem man saß!

* * *

Am Abend verlas Heppner nach dem Löhnungsappell selbst seine Beförderung zum Wachtmeister und die des Sergeanten Heimert zum Vizewachtmeister.

Die Mannschaften sahen sich erstaunt an. Heimert? Wer war denn das? Niemand hatte ihn noch gesehen.

Aha! Es hieß weiter: »Vizewachtmeister Heimert wird zugleich der Verwaltung des Materials der Infanterie- und Artilleriemunitionskolonnen enthoben und tritt zu seiner Batterie zurück.«

Also war es der mit der riesigen Nase, der beständig in den Remisen des Heergeräteschuppens herumkrauchte!

Heppner begab sich nach dem Verlesen wieder in das Dienstzimmer zurück und setzte sich an seinen Tisch, auf dem noch eine ganze Masse unerledigter Schreiberei lag.

Jetzt machte sich die durchwachte Nacht allmählich geltend. Der Wachtmeister gähnte und nahm unwirsch seine Arbeit vor.

So ein Wachtmeisterposten hatte doch auch eine Menge Schattenseiten! Einmal dieses Stubenhocken! Er drückte sich wahrhaftig nicht leicht vom Dienst, und Remonten zureiten oder Reitstunde abhalten oder beim Bespannexerzieren einen Zug führen, – das war ganz nach seinem Herzen. Aber diese ewige Kritzelei ging ihm arg gegen den Strich.

Wenn er dann wenigstens einen eingefuchsten Schreiber gehabt hätte, wie Blechschmidt drüben bei 182 der fünften Batterie, der sich wahrhaftig nicht überanstrengte! Aber Käppchen war ein Faulpelz, und das Schlimmste war: er mußte sich auf den Menschen verlassen und ihn sogar in allen möglichen Dingen um Rat fragen, weil er selbst noch nirgends recht Bescheid wußte.

Da hatte sich dieser Halunke einen feinen Kniff zurechtgelegt, durch den er einen guten Teil Arbeit von sich abwälzte. Bei einer ganzen Anzahl von Geschäften, hauptsächlich, wenn es sich um persönliche Fragen handelte, erklärte er dreist: »Herr Hauptmann halten das für gewissermaßen sekret und meinen, außer dem Wachtmeister hätte niemand seine Nase in solche Sachen zu stecken.«

Und Heppner mußte dem schlauen Patron wohl oder übel Glauben schenken.

Es war reichlich spät geworden, als er sein Pult abschloß und in die Wohnung hinüberging.

Die Schwägerin empfing ihn mit einer Nachricht, die seine Laune auch nicht verbesserte. »Der Schneider ist dagewesen,« sagte sie, »und hat die Rate für deine Uniform haben wollen, die du ihm seit vier Wochen schuldig wärst. Morgen will er wiederkommen.«

Heppner brummte: »Der Kerl kann lange warten!« Er hatte kein Geld mehr. Das war gestern flöten gegangen, und heute mußte er sogar den größten Teil der Dekade anstandshalber den Frauen zur Wirtschaft geben.

Mit einer grimmigen Miene setzte er sich an den Tisch zu seinem Abendbrot.

»Du bist Wachtmeister geworden?« fragte plötzlich die Frau. Sie hatte sich aufgerichtet und schaute ihm gespannt ins Gesicht.

Er blickte verwundert auf. Was fiel bloß der 183 ein, auf einmal so süß zu zirpen? Wollte sie Komödie vor ihm spielen?

Aber er sah auch die Augen der Schwägerin fragend auf sich gerichtet. Da murrte er nach ihr hin ein »Ja« und wandte sich dann grob zu seiner Frau: »Was geht dich das aber an?«

Sie ließ sich zurückfallen und versetzte leise: »Ich freue mich darüber.«

»Ach?« höhnte er. Er sandte ihr einen schiefen Blick zu und knirschte zwischen den Zähnen hervor: »Halt die Gusche!«

Dann schob er seinen Teller hart weg, trank hastig zwei Flaschen Bier aus und legte sich in der Kammer zur Ruhe.

Die beiden Schwestern blieben allein am Tische zurück, die Kranke auf dem Sofa hingestreckt, die andere bei der Lampe nähend. Nebenan hörte man Heppner schnarchen.

Das Gesicht der Frau war beschattet, aber ihre Augen blitzten zu der Schwester hinüber und hingen mit einem unheimlichen Ausdruck des Hasses an der kräftigen, wohlgestalteten Schönheit des jungen Mädchens.

Es klopfte draußen. Der Batterieschneider brachte die Röcke des Wachtmeisters, auf deren Ärmel er die Doppeltressen genäht hatte. Ida nahm sie ihm ab und hing sie schweigend an die Haken.

Die Kranke sah ihr gleichgültig zu. Kurz vorher hatte sie in einer weicheren Regung Freude über die Beförderung ihres Mannes empfunden, – diese Stimmung hatte er ihr gründlich verdorben. Jetzt war ihr das alles einerlei.

Plötzlich preßte sie die Lippen zusammen, und ihre Hände ballten sich krampfhaft. 184

Hatte die Schwester nicht eben mit einer Art verhaltener Zärtlichkeit die Röcke gestreichelt? –

So weit war also bereits die Schande gediehen?! – – –

Julie Heppner glaubte schon, von allen verraten und ganz einsam sterben zu sollen, da erwuchs ihren letzten Tagen in dem neuernannten Vizewachtmeister Heimert ein tröstender Freund.

Heimert hatte die leer gewordene Wohnung der Schumanns bezogen. Er war zwar einstweilen noch ledig, aber da seine Hochzeit in wenigen Wochen bevorstand, hatte ihm der Hauptmann die Verheiratetenwohnung sogleich eingeräumt. Nun stattete der Vizewachtmeister die Räume mit Möbeln aus und schmückte die kahlen Wände und Fenster mit einer rührenden Sorgfalt. Er besaß ein kleines Kapital, das er zu diesem Zwecke rücksichtslos angriff. Immer wieder ergänzte er die Einrichtung durch ein hübsches Stück; er stellte die Möbel drei, vier Mal um und faltete eine Gardine tausendmal, und doch war ihm nichts schön genug.

Er war ein Bastler und verstand sich fast auf alle Handwerke ein wenig. Ganze Sonntage vermochte er mit Säge, Hammer und Leimtopf zu hantieren, und wenn an den Nachmittagen die Kaserne lautlos wie ausgestorben dalag, konnte man aus seiner Wohnung desto deutlicher das beständige Klopfen und Pochen hören.

Denn gerade an den Feiertagen lohnte es sich für ihn am wenigsten, seine Braut zu besuchen. Sonst widmete er ihr jede freie Stunde, aber Albina Worzuba, die Büfettmamsell in einer Kleinbürgerkneipe der Stadt, hatte gerade Feiertags keine Zeit für ihn übrig, und er mochte auch nicht immer wieder zusehen, 185 wie einer von den Gästen an das Büfett trat und für seine paar Glas Bier mit Albina scherzen oder gar sie in die Backen kneifen zu dürfen glaubte. Er hatte deshalb schon ein paar Mal argen Krakehl gehabt, so daß ihm der Wirt beinahe das Lokal verbot. Auch Albina riet ihm, möglichst selten zu kommen. So lange sie Büfettmamsell sei, meinte sie, müsse sie freundlich und nicht gar zu empfindlich gegen die Späße der Gäste sein, und wenn es ihm Schmerz bereite, das mit anzusehen, sei es doch besser, möglichst fern zu bleiben. Und mit einem verheißenden Blick fügte sie hinzu, als Frau würde er sie ja ganz und gar für sich haben.

Heimert hatte sich widerstrebend damit einverstanden erklärt.

Nun saß er an den Sonntagen emsig arbeitend auf seiner Schnitzbank und verzehrte sich dabei in eifersüchtigen Qualen, die in ihrer Unbestimmtheit schlimmer waren, als wenn er vorher den plumpen Liebkosungsversuch eines Halbberauschten hatte mit ansehen müssen. Wenn er sich im Spiegel beschaute, überfielen ihn Zweifel, ob es überhaupt möglich sei, daß Albina ihn liebe, und er hätte sein ganzes Hab und Gut und noch mehr hingegeben, um nur ein einziges Mal diesen Ring des Märchens zu besitzen, der unsichtbar machte, nur ein einziges Mal, um zu erfahren, wie Albina sich gab, wenn er nicht dabei war, ob sie die zürnende Miene aufsetzte, wie wenn ihr in seiner Gegenwart einer zu nahe kam, oder ob sie auch den anderen zulächelte, wie sie es ihm gönnte.

An einem dieser Sonntage geschah es, daß Heimert durch ein undeutliches Stöhnen von seiner Bastelei aufgeschreckt wurde. Er trat auf die Schwelle und 186 lauschte: die jammernden Töne kamen aus der Heppnerschen Wohnung. Er riß die Tür auf und trat ein.

Die kranke Frau war allein gelassen worden. Die Schwester ging wohl spazieren, und der Wachtmeister saß bestimmt in einer Wirtschaft. Das war der Frau schon oft geschehen, aber diesmal hatte sie plötzlich ein gräßlicher Erstickungsanfall gepackt, so heftig, daß sie sterben zu müssen glaubte.

Sterben – allein! Ohne daß sie eines Menschen Hand in ihrer Not fassen konnte, ohne daß ihr ein Schimmer des Lichts aus einem lebendigen Auge die dunkle Pforte des Todes erhellte!

Da schrie sie zwischen den Erstickungsanfällen, keuchend und heiser, immer den Namen ihres Mannes: »Otto! Otto! Otto!!«

Heimert lief ängstlich auf sie zu. Er ließ ihr seine Hand, die sie ergriffen hatte und krampfhaft festhielt, redete ihr beruhigend zu und wischte ihr mit seinem Tuche den perlenden Schweiß von der Stirn.

Seine Bewegungen waren von einer frauenhaften Weichheit, die in einem seltsamen Gegensatze zu seinem schwerfälligen, gedrungenen Körper stand, und unter seinen Händen wurde die Kranke still. Sie schloß die Augen, und ihre Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Ihr träumte, die Mutter säße an ihrem Lager und streichle ihr die Hand.

Heimert ließ ihr ruhig Zeit, sich von der Erschöpfung zu erholen, dann fragte er leise: »Frau Heppner, wollen Sie, daß ich Ihre Leute suchen lasse?«

Sie schüttelte lebhaft den Kopf: »Nein, nein!« 187 und flüsterte mühsam: »– Wenn Sie aber da bleiben möchten, ein wenig nur, Herr Heimert!«

Der Vizewachtmeister nickte und blieb schweigend sitzen.

Es dauerte geraume Zeit, bis Julie Heppner die Kraft fand, ihm zu erklären, was ihr geschehen sei. Als sie ihn dabei genauer ins Auge faßte, erschrak sie beinahe vor seiner Häßlichkeit. Das grobe Gesicht, von dem die großen Ohren weit abstanden, wurde durch eine ungeheuere, beständig gerötete Nase halb lächerlich, halb abstoßend entstellt. Was half es dann, daß zwei schöne, gutmütige Kinderaugen aus diesem Antlitz hervorschauten? Würde sich einer Mühe geben, darnach in dieser Häßlichkeit zu suchen?

Die Kranke besann sich gehört zu haben, daß der Vizewachtmeister heiraten wollte. Angesichts des eigenen Unglücks dachte sie bei sich, daß diese Ehe nur gut ablaufen könnte, wenn der Mann eine Frau wählte, die ebenso häßlich war wie er, damit die Gatten in ihrem gemeinsamen Mißgeschick Trost und stets neue Liebe fänden.

Als sie hernach allmählich mit ihm in ein Gespräch geraten war, erkundigte sie sich nach seiner Braut, und der verliebte Bräutigam fand kein Ende, ihr von der Schönheit und den Reizen Albinas vorzuschwärmen.

Die Frau überlegte: sollte sie ihn warnen oder nicht? Schließlich unterließ sie es. Er mochte nur seine Absicht ausführen! Vielleicht genoß er dann, wenn auch nur kurze Stunden, ein kleines Teil Glück, das ihm sonst nie sich nahen würde. – War sie selbst nicht auch einmal glücklich gewesen? Sie, deren Elend jedes Maß zu überschreiten schien und doch noch nicht seinen Höhepunkt erreicht hatte! So lange war es 188 freilich her, und ein solcher Berg von Jammer hatte sich zwischen jetzt und jener Zeit aufgetürmt, daß sie kaum mehr zurückblickend sich erinnern konnte. Aber sie wußte, einmal war sie doch glücklich gewesen; sie war dankbar für diese Gnade, und sie würde es sein, bis sie zu leben aufhörte.

Heimert kam ihr nun wie ein Leidensgenosse vor, nur daß sie im Begriffe war, die schwere Last niederzulegen und er – die Bürde erst auf den Rücken zu nehmen. –

Die beiden sprachen miteinander, als ob sie schon jahrelang bekannt wären; fast immer waren sie einer Meinung. Am Ende lud die Kranke den Vizewachtmeister ein, öfter herüber zu kommen, wenn sie allein wäre; sie würde ihm jedesmal ein Zeichen geben, und seine Schnitzbank sollte er nur getrost mitbringen, – das Hämmern störe sie nicht im geringsten.

In der Tat stellte sich Heimert ein, sobald Julie Heppner ihn rief; er kam auf diese Art über seine eifersüchtigen Anwandlungen am besten hinweg, und er für sein Teil fand, daß die Wachtmeisterin eine ganz gute Frau war, die nur unglücklicherweise den falschen Mann geheiratet hatte. Ein anderer wäre vielleicht mit ihr ausgezeichnet ausgekommen. Gar diese Quälereien und Roheiten, mit denen Heppner jetzt die Todkranke überschüttete, fand er abscheulich.

Sein etwas beschränkter Kopf war vollauf gefüllt mit Gedanken an den Dienst, an seine Braut und was mit Albina zusammenhing, fast ging außerdem nichts mehr hinein. Aber angesichts der Abscheulichkeiten des Wachtmeisters grub er doch zuweilen einige Schul- und Kirchenerinnerungen aus: gab es denn keinen Herrgott im Himmel, der diesen Schandbuben mit seinem Blitz zu Boden schmetterte? 189

Das Mitleid, das der Vizewachtmeister für die unglückliche Frau empfand, verwandelte sich unmerklich in eine heftige Abneigung gegen Heppner, und allmählich wuchs aus dieser Abneigung ein ehrlicher, heißer Haß empor. – –

Der Wachtmeister machte sich über Heimert lustig. »Nasenkönig« nannte er ihn, und seine Frau verhöhnte er mit diesem »Geliebten«.

»Ihr beide hättet zusammen gepaßt!« spottete er. »Ihr hättet euch gegenseitig an Schönheit nichts nachgegeben!«

Eines Tages schaute er im Vorbeigehen in die Nachbarswohnung hinein und fand den Vizewachtmeister vor einem Kabinetbilde seiner Braut. Der Überraschte wollte die Photographie schnell verstecken, aber Heppner bat ihn, sie ihm doch zu zeigen.

Er hatte ein Frauenzimmer zu sehen erwartet, – nun, etwa wie seine Frau oder eine noch häßlichere, denn eine andere konnte sich ja unmöglich in Heimert verlieben, aber als er das Bild in die Hand nahm, entfuhr ihm unwillkürlich ein bewunderndes: »Donnerwetter! Ist die schön!«

Von diesem Augenblick an drang er unablässig in Heimert, ihn doch einmal zu der Braut mitzunehmen.

»Warum?« fragte der Vizewachtmeister argwöhnisch. »Du willst mich wohl bei ihr ausstechen?«

Heppner lachte ihn aus. »Zum Teufel!« sprach er, »Ich habe selber zwei Frauenzimmer im Hause, das ist mehr wie genug. Es wird doch noch erlaubt sein, die Braut eines Kameraden kennen zu lernen?«

Und absichtsvoll fügte er hinzu: »Bist du ihrer denn so wenig sicher?« 190

Heimert brauste auf: »Oho! Daran liegt's nicht.«

»Na also!« meinte der andere. »Übrigens – einschließen und verstecken kannst du sie ja doch nicht, wenn sie nun bald deine Frau ist. Was schadet's da, wenn ich ihr mal gleich jetzt guten Tag sage?«

Notgedrungen gab der Vizewachtmeister zu, daß es damit wirklich nichts auf sich hätte. Daneben regte sich ein gewisser Stolz in ihm, weil er ein so schönes Weib für sich gewonnen hatte; er freute sich darauf, die neidischen Augen des Wachtmeisters zu sehen und erklärte schließlich, am nächsten Montag mit ihm zu »Grundmann« gehen zu wollen. Grundmann hieß der Inhaber der Wirtschaft, in der Albina am Büfett saß, und Montags war der Verkehr in dem Lokale am schwächsten, so daß man hoffen konnte, mit dem Mädchen ein paar ruhige Worte zu wechseln.

Heppner seinerseits hatte mit Vorbedacht dem Vizewachtmeister sich angeschlossen. Er hätte natürlich die Kneipe auch allein aufsuchen können, aber er sah voraus, daß ihm das Mädchen dann sehr mißtrauisch entgegentreten würde, wenn es auch nur aus Scheu vor einer Klatscherei geschah. Kam er dagegen in Begleitung des Bräutigams zu ihr und gebärdete er sich dann gar als dessen Freund, so war er auf die beste Art eingeführt. Außerdem wußte er sehr genau, wie vorteilhaft er als schneidiger, stattlicher Kerl sich von Heimert abhob.

An dem ausgemachten Montagabend traf er sich mit Heimert auf dem Flur.

Der Vizewachtmeister hatte sich so schön als möglich gemacht. Die neue Extrauniform, die eigentlich zur Hochzeit bestimmt war, hatte er angetan und seine großen Hände in glänzendweiße Glacéhandschuhe 191 gezwängt. Der Rockkragen war ihm reichlich hoch und beengte den Hals, so daß er nur mit Mühe den Kopf zu drehen vermochte. Heppner dagegen hatte nur seine bessere Kommißuniform angezogen. Er war sehr guter Laune und sehr gesprächig, während Heimert finster und schweigend neben ihm herging.

Unterwegs kaufte der Bräutigam ein paar Veilchen als Angebinde. Der Wachtmeister sah ihm höhnisch zu, wie er seine große Nase in den Strauß hineinsteckte.

Bei »Grundmann« trafen sie es sehr glücklich. Sie waren die einzigen Gäste, und der Wirt hatte nichts dawider, daß Albina sich mit an ihren Tisch setzte.

Heppner wählte seinen Platz so, daß er das Mädchen ungestört von der Seite betrachten konnte. Sie gefiel ihm. Das war gerade sein Gusto, dieses vollbusige Frauenzimmer mit den prallen Hüften und den runden Armen; ihr Gesicht war nach seinem Geschmack mehr als hübsch zu nennen, er fand diese kecken, feurigen Augen und den Mund mit den dicken, etwas aufgeworfenen Lippen, auf die man gleich einen derben Kuß hätte setzen mögen, geradezu schön. Dabei trug sie ihr schwarzes Haar, das starkfädig wie ein Roßschweif war, in einer ganz neumodischen Frisur, die ihr etwas ganz »Besonderes« verlieh, und vor allem hatte sie ein Parfüm an sich, wie es nur die vornehmsten Damen gebrauchten.

»Wie heißt nur gleich der Wohlgeruch, den Sie ausströmen, Fräulein?« fragte er im Laufe der Unterhaltung.

»Moschus,« antwortete Albina.

Der Wachtmeister nickte: »Richtig, Moschus. Ich 192 rieche es furchtbar gern, es hat so etwas Apartes, – so etwas Feines.«

Die Schöne sah ihn von der Seite an und erwiderte: »Nicht wahr?«

Im ganzen ärgerte sich Heppner, daß sie sich so wenig um ihn kümmerte. Fast ausschließlich beschäftigte sie sich mit ihrem Bräutigam, der ihr von der fortschreitenden Ausstattung der Wohnung berichtete, – ihm schenkte sie nur ganz selten einen Blick.

Übrigens war sie nicht gerade auf den Mund gefallen, und als er sie, um nur auch einmal etwas zu sagen, nach ihrer Heimat fragte, kam es ihr nicht darauf an, ihre ganze Lebensgeschichte zu erzählen.

Sie stammte aus Prag und war die Tochter eines Schuhmachers, oder nein – eines Schuhwarenfabrikanten und noch mehr, nicht eines gewöhnlichen Schuhwarenfabrikanten, sondern eines Königlich Kaiserlichen Hofschuhwarenfabrikanten, der nicht für jedermann, sondern nur für die Erzherzöge und für den böhmischen Hochadel arbeitete. Und sie, Albina, hatte dem Vater beim Anmessen die Zahlen notiert, und da war es gekommen, daß ein Graf Colloredo sich in sie verliebt hatte. Er hatte sie entführen und heiraten wollen, aber sie hatte sich zuletzt geweigert, weil die hohen Verwandten den Geliebten hätten verstoßen wollen, falls er die »Schusterstochter« heiratete. Es hatte ihr zu leid getan, daß er dann seine hübsche Uniform als »Thurn und Taxis«-Dragoner ausziehen sollte.

Nun kam ein Loch in Albinas Geschichte, das aber nicht lange unausgefüllt blieb. Nämlich – auf einmal war sie aus dem Vaterhause geflohen – warum? verschwieg sie zunächst – und hatte hier endlich nach vielem Umherirren eine Zuflucht gefunden, wo sie vor dem Vater sicher war. – Richtig, der 193 hatte sie später an einen Schornsteinfegermeister verheiraten wollen, den sie, trotzdem er millionenreich war, nicht hatte ausstehen können.

In Wahrheit war sie das Kind eines blutarmen Flickschusters und hatte nach einer sehr bewegten Jugend ihr arg zerzaustes Lebensschifflein in der kleinen Garnisonstadt am Büfett der Grundmannschen Bierstube vor Anker gelegt.

Heimert wartete ungeduldig auf den Schluß ihres Romans, den er schon mehreremale hatte über sich ergehen lassen müssen. Aber wenn Albina ihre Lebensgeschichte erzählen konnte, glich sie einem aufgezogenen Uhrwerk, das erbarmungslos fortschnurrt, bis es abgelaufen ist.

Sie ließ die Zwischenfragen ihres Bräutigams einfach unbeantwortet, und als er sie unterbrach, der Graf Colloredo habe doch bei den »Palatinat«-Husaren gestanden und nicht bei den »Thurn und Taxis«-Dragonern, versetzte sie grob, er möchte gefälligst ein ander Mal besser aufpassen, wenn sie etwas erzähle. Heppner dagegen, der ihr aufmerksam zuzuhören schien, stieg in ihrer Gunst, und sie erzählte noch breiter und noch ausführlicher, wenn er durch nähere Erkundigungen sein Interesse an den Tag legte. Dabei umfaßte sie seine Erscheinung mit ihren glänzenden Augen und musterte ihn scharf.

Aber gleich, nachdem sie mit ihrer Geschichte bei der Gegenwart angelangt war, wandte sie sich wieder Heimert zu, sah ihn zärtlich an und sagte: »Nicht wahr, bei dir werde ich es gut haben, nachdem ich so viel Kummer habe tragen müssen?« –

Ein paar neuankommende Gäste riefen sie zu ihrer Tätigkeit an das Büfett, und die beiden Unteroffiziere blieben allein am Tische zurück. Heimert 194 fühlte den Blick des Wachtmeisters auf sich ruhen – wie er meinte – mit einem spöttischen, ungläubigen Ausdruck. Er wurde verlegen und malte mit ein wenig übergelaufenem Bier allerlei Figuren auf die Tischplatte.

»Na ja,« begann er endlich, »wie Weiber nun einmal sind! – Sie schneidet natürlich auf – so mit ihrer Herkunft und so weiter.«

»Ja,« erwiderte der Wachtmeister, »das tun ja Frauenzimmer gern.«

»Aber,« fuhr der andere fort, »etwas Wahres ist doch daran. Schuster ist ihr Vater – gewesen natürlich, denn jetzt ist er tot –, wenn auch nicht Hofschuster. Und vermöglich muß er auch gewesen sein. Er hat ihr bloß das Pflichtteil hinterlassen, aber trotzdem kriegt sie monatlich fünfzig Kronen Zinsen. Das weiß ich bestimmt.«

»Donnerwetter! Das ist ja über vierzig Mark!«

»Ja.«

»Du bist doch ein Glückspilz! Da ist sie ja beinahe reich!«

»Na, das ja gerade nicht. Aber es ist ganz angenehm – natürlich. Übrigens – deshalb hab' ich sie nicht genommen. Ich hab' es erst hinterher erfahren, als ich schon längst entschlossen war.« –

Heppner verging fast vor Mißgunst, wie er den Vizewachtmeister, dieses Urbild der Häßlichkeit, sich gegenüber sitzen sah, dieses reine Scheusal, das sich – wie? das wußte der Himmel allein – da eine wunderschöne und noch dazu reiche Frau ergattert hatte. Denn das mit den Zinsen mußte er schon glauben; Heimert log nicht, das sah man ihm an.

In der Tat bezog die Büfettmamsell jeden Monat fünfzig Kronen. Aber auch diese Sache hatte ihren 195 Haken. Das Geld floß nicht als Zins von einem vom Vater ererbten Kapital, sondern war eine Leibrente, die ihr ein ehemaliger Liebhaber ausgesetzt hatte, ein gutmütiger, dicker Talggroßhändler, der der jugendlichen Albina Worzuba mit aufrichtigem Bedauern den Laufpaß geben mußte, als ihn seine Gattin auf dem kleinen Abwege ertappt hatte. Hinterdrein versüßte er ihr den Abschied mit der Rente.

Albina hütete sich, ihrem Bräutigam diesen Sachverhalt zu offenbaren. Wozu auch? Sie meinte: der Glaube macht selig, und vor allem hatte sie dieses unstete Leben, bald als Kellnerin, bald als Büfettmamsell oder etwas noch ganz anderes, sehr satt und wollte in einer soliden Ehe Ruhe haben. Zur Geliebten begehrten sie die meisten Männer, zur Frau aber konnte sie nur einer begehren, der so harmlos und so bis über beide Ohren verliebt war, wie Heimert. So hatte sie zugegriffen, und sie dachte nicht daran, ihren Plan durch unangebrachte Gewissenhaftigkeiten zu gefährden. Prag war weit, außerdem war eine ganze Reihe von Jahren seit jenen Tagen verflossen, und dem Gelde roch man es nicht an, von wem es herrührte. – –

Es wollte sich nicht mehr fügen, daß die Büfettmamsell von ihren Verrichtungen frei wurde. So erhoben sich am Ende die beiden Unteroffiziere; sie zahlten ihre Zeche und traten an das Büfett, um ihr gute Nacht zu sagen.

Erst in diesem Augenblick schien Albina den Unterschied zwischen ihrem Verlobten und dem Wachtmeister zu bemerken. Wie die Männer nebeneinander standen, überragte Heppner den Vizewachtmeister wohl um eines Hauptes Länge. Alles an ihm war stark und trotz einer gewissen Fülle ebenmäßig; 196 Kraft, eine ungezügelte, gewaltige, rohe Kraft machte das Wesen dieses Mannes aus. Heimerts allzu breite, allzu gedrungene Gestalt nahm sich neben dem anderen wie eine Verzerrung aus, die von einer spaßhaften Clownmaske gekrönt war.

Die Augen des Mädchens hingen in ungeheucheltem Staunen an Heppners Erscheinung und konnten sich gar nicht davon fortfinden. Als sie sich endlich dem Bräutigam zukehrten, huschte ein höhnisches Lachen um den großen, groben Mund. Aber gleich darauf lächelte die Braut ihm zärtlich zu.

Zu Heppner sagte sie: »Ich habe mich gefreut, auch einmal einen Kameraden meines Bräutigams kennen gelernt zu haben.«

Der Wachtmeister versicherte galant: »O bitte, bitte, Fräulein, die Freude ist ganz auf meiner Seite.«

»Werden wir uns denn jemals wiedersehen?« fragte sie scherzend.

»Aber sicher. Wenn Sie erst junge Frau sind, Fräulein, werden wir ja auf einem Flur wohnen.«

Albina wiederholte gedehnt: »Auf einem Flur? Wirklich?«

»Aber ja,« erwiderte Heppner eifrig. »Da werden wir schon bekannt werden. Nicht?«

Da schlug die Schöne die Augen mit einem ganz eigentümlichen Blick zu ihm auf und antwortete leise: »O ja. Ich denke.« 197

 

 


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