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Siam

In keinem der Kulturländer Asiens gibt es freiere Liebessitten als in Siam. Dort werden öffentliche Liebesfeste gefeiert, z. B. in der neunten Nacht vor und nach dem Vollmond, Feste, bei denen die jungen Leute singend in die Natur ziehen, nicht selten von ihren Eltern begleitet, um sich draußen, unter Palmen, Orangenbäumen und Jasminbüschen lagernd, sehr ungezwungene Stelldicheine zu geben. Die Liebeslieder dieser Nächte werden von den Tönen der siamesischen Flöte begleitet, eines Instrumentes aus sieben Bambusrohren, der Pansflöte ähnlich.

siehe Bildunterschrift

Liebespaar auf der Haremsterrasse.
Indien, um 1700

Verzweifelt

Ich suchte dich mein ganzes Leben lang.
Da ich dich endlich dann gefunden hatte,
Erfaßte mich Verwirrung, grenzenlos.

Mir war, als ob aus allen Adern sich
Mein Blut ergösse, daß mein Leben schwände,
Daß ganz mein Herz in deinem unterging.

Sag, will auch dein Herz in mir untergehn?
Ich liebe dich. Dies Wort klingt fast wie Lüge,
Denn es ist schwächlich gegen mein Gefühl.

Ich liebe dich! Mir ist, du seist der Mond,
Ich bin in eines Baumes hohe Krone
Emporgestiegen, um dir nah zu sein.

Du aber bist so fern, daß ich dich nicht
Erreichen kann. O daß ich Flügel hätte!
Ich schwänge mich mit Macht zu dir empor

Und hielte dich und streichelte dich lange.
Geliebte Freundin! Meine Leidenschaft
Folgt unbedenklich dir in alle Fernen,

Selbst bis zum Himmel, – bist du doch der Mond!
Doch wehe, da kein Flügelpaar mir wuchs,
Wird es mir nie bestimmt sein, ganz mit dir

Vereint zu sein. O Himmel! Guter Mond!
Seid mir barmherzig! Eint mich endlich, endlich
Mit der Erwählten, der mein Herz gehört!

Volkslied

* * *

Mädchenlied

Ich liebe dich, nie hör ich auf zu denken,
Daß ich dich liebe. Denkst du auch an mich?
Ich denke deiner so mit aller Macht,

Daß es mich schmerzt, anstatt mich zu entzücken,
Durch alle Tage hin, durch alle Nächte
Atm ich nach dir und immer nur nach dir!

Die Krallen heißer Sehnsucht haben sich
Gesenkt in meinen Busen und durchwühlen
Ihn voller Unrast immer-, immerzu.

Nur deine Gegenwart, nach der ich schmachtend
Verlange, kann die Qualen meines Herzens
Besänftigen. Wann wird mein Wunsch erfüllt?

Wann werden deine Wünsche sich mit meinen
Vereinigen? Wann werden unsre Herzen
Zusammenschlagen in beglücktem Takt?

Ich will, geliebter Freund, daß meine Liebe
Dir nichts als Wonnen schafft, – viel größre Wonnen,
Als deine Armut je erträumen mag.

Komm zu mir, nimm den Platz an meiner Seite,
So laß uns immer bleiben, und die Blume
Der Liebe wird in goldnem Glanz erblühn.

Vom ewig blauen Himmel stammt die Blume
Der Liebe: nimm sie hin aus meinen Händen,
Nimm meine Wangen, meine roten Lippen –

Ja, nimm Besitz von mir, denn ich bin dein!

Volkslied

* * *

Der Demütige

Wenn du im Flusse deine schlanken Glieder
Gebadet hast, am dritten Tag des Mondes,
So schreitest noch begehrenswerter du
Einher, von seidenem Gewand umflossen,
Das deiner zarten Haut an Farbe gleicht.

Drei Becher Safran, – werden sie genügen,
Um deinen Hals, du Reizende, zu schminken,
Und deine Arme und dein Angesicht?

Kein Mädchen unsres Volkes weiß wie du
Die Männer zu betören. Wenn im Schatten
Der Palmen du lustwandelst gegen Abend,
So hast du Gesten, die erregender,
Und Augen, die verführerischer sind
Als man sie je bei andern Frauen sah.

Du bist von einer Frische, einem Glanz,
Daß du der Liebsten mehr besitzen könntest
Als Zufluchtsstätten sich in deinem Hause
Befinden, wo du sie verstecken kannst.

Des Morgens, wenn ich komme dich zu schauen
Auf der Veranda, um des einzigen
Vergnügens willen: leis mit dir zu plaudern,
Des Abends, wenn ich in das Hühnerhaus

Zu schlüpfen suche: um dir nah zu sein,
Des Nachts, wenn meine Hand durch jenes Loch
Des Mauerwerkes nahe deinem Lager
Zu dringen sucht, dich liebend zu umfangen, –

Ach, möge deine Mutter gegen mich
Dann Flüche schleudern und Beleidigungen,
Ich nehme alles voller Demut hin.

Ich werde nicht gekränkt sein, werde sie
Nicht tadeln, nein, ich werde alles dulden,
Glaub, was ich dir verspreche, Liebste du.

Um eins nur fleh ich sehnsuchtsvoll: gestehe
In deinem Hause einen kleinen Winkel
Mir zu, wo ich mich still verbergen darf.

Volkslied

* * *

Der Einsame

Oh, ich bin einsam, einsam. Ich verbringe
In Einsamkeit die Tage und die Nächte,
Ich gleiche einem tiefen, dunkeln Walde,
Von keinem Weg und keinem Pfad belebt.

Sprich mir von trügerischen Hoffnungen,
Geliebte, nicht! Hoffnungen gehn vorüber,
So wie ein Windstoß, der die Bäume schüttelt, –
Und viele Blätter rascheln müde nieder,
Vom Atem der Vernichtung angeweht.

Du bist für mich die Wolke, die entflieht ...
Sie naht, und kaum daß eine kurze Weile
Zu Häupten sie der Palmenkronen stand,
Zieht sie schon weiter, eilig, und entschwindet
Am fernen Himmel und kehrt nie zurück.

Volkslied

* * *


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