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Georgien

Rustwell ist der berühmteste Dichter des Landes, er lebte in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, und sein Epos »Tariels Liebesabenteuer« ist in Georgien so populär wie im ganzen Orient die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht.

Die Huris

Im Paradiese des Propheten hausen
Die schönsten Frauen, welche Allah schuf,
Um die Erwählten würdig zu belohnen,
Die auf der Erde seiner Lehre folgten,
Und Huris werden diese Fraun genannt.

An jedem Tage, unermüdlich, bieten
Den Männern sie in seliger Umarmung
Den Atem ihres jungfräulichen Wesens
Mit aller Liebe, aller Sehnsucht dar.

An jedem Tage, wenn die Morgenröte
Heraufkommt, haben sie für ihre Liebsten
Durch Allahs große Gnade eine neue
Jungfräulichkeit zu neuem Glück bereit.

Sie sind so unberührt an jedem Morgen,
Als ob ihr Herz noch niemals Liebe fühlte,
Als ob ihr Sinn nicht wüßte, was denn Liebe
Bedeuten will, – und die Erinnrung an
Vergangner Nächte Lust schwand ihnen ganz.

Vor kurzem hatt ich einen holden Traum
Von jenem Paradiese Mohammeds,
Und meine Augen sahen – wie im Traume
Von einem Traum – die schimmernden Gestalten
Der jungen Mädchen, die man Huris nennt.

Wie herrlich waren sie! Waren es wirklich
Nur Mädchen? Sie erschienen mir wie Blüten
Des Apfelbaums, wie goldne Sonnenstrahlen,
Wie Düfte schwebten sie dahin, wie Sterne, –
So weiß wie Schnee, wie Milch war ihre Haut.

Und wie sie alle dir so ähnlich waren!
In ihrer Nähe spürt ich wundervoll
Die Gottesgunst, die Allah den Erwählten
Für alle Ewigkeit gespendet hat.

Ja, sie gemahnten mich an deine Schönheit,
Jedoch nicht eine war wie du verlockend,
Und keine hatte deine Lilienhüften
Noch deinen Hals, der weißer ist als Schnee.

Und keine, keine hatte auf den Lippen
Das Duften deines rosenfarbnen Mundes,
Und keine jene Sterne, die erglänzen
Auf deiner großen Augen dunkelm Grund.

Und keine war so frauenhaften Wesens
Wie du und wußte so verliebt zu schmeicheln
Und immer wieder lächelnd zu umarmen
Mit aller Sehnsucht, so wie du es tust.

Dich lieb ich, weil dir niemals das Gedächtnis
An unsre Liebesglut geschwunden ist,
Weil sich dein Herz zu jeder Zeit erinnert
Des Glückes, das so lange schon uns eint.

Dich lieb ich, weil du taumelst von den Küssen,
Die an den letzten Abenden wir tauschten,
Und weil du jedem neuen Kuß den Zauber
Der frühern Küsse einzuhauchen weißt.

Mein Paradies erblüht auf dieser Erde
In deinem Schatten, Herrliche! Die Liebe,
Die du mir schenkst, ist tiefer als die Liebe
Der schönsten Himmelsfrauen Mohammeds!

Rustwell

siehe Bildunterschrift

Radha bei der Toilette.
Indien 18. Jahrhundert

Die Angebetete

Du bist die Quelle unbegrenzter Freuden,
Die Quelle unbegrenzter Qual bist du
für den Entflammten, der den Blick auf dich
Zu richten wagt. Du bist wie eine Rose,
Und deine Blütenschönheit überstrahlt
Das Glänzen aller Rosen dieser Welt.
Kein Dichter kann dich ansehn, Himmlische,
Ohn daß er nun in Liedern sonder Zahl
Bis an sein Ende deine Schönheit preist.

Rustwell

* * *

Der Liebende

Du willst vor mir entfliehn? Du strahlst ja wie
Die goldne Sonne, wenn sie morgens aufgeht,
Und Sonne flieht nicht: sie erhellt die Erde.

Wüßt ich, daß du mit deinem süßen Schimmer
Für immer mich umgäbst, – ich würde mich
In Dornen wälzen, wenn du es begehrst.

Und meine Seele werd ich einst verdammen,
In später Zeit, wenn meine alten Augen
Den Glanz, der von dir ausgeht, nicht mehr sehn.

Rustwell

* * *


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