Alice Berend
Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel
Alice Berend

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Herr Wenzel war zu Haus. Es roch nach Kampfer aus allen Winkeln. Aber er war zu Haus. Hier hatte er, was er brauchte. Unbeobachtet von Fremden. Hier war er geschützt vor ihrer Liebe und ihrer Bosheit, die nur Gott voneinander zu unterscheiden vermochte. Hier konnte er barfuß gehen, wenn es ihm paßte. Hier konnte er auch im Sommer heizen, wenn er Lust dazu bekam. Hier wagte niemand, vor seiner Nase zu fegen und Staub aufzuwirbeln, hier hatte niemand anders etwas zu sagen als er selbst.

Dies hier war sein eigener Tisch, sein eigener Schrank, sein eigener Stuhl. Hier waren nirgends die Spuren fremder Menschen eingezeichnet.

Da war sein Fenster. Seine Straße, wo er viele Tage zur selben Stunde gegangen war, sein Weg, auf dem er sich Gesundheit und Appetit geholt hatte, den er mit des Geschickes Hilfe auch noch einige Zeit weitergehen würde.

Und hier war sein Bett, durch allen Kampferkitzel hindurch spürte man den Lavendelduft des Linnens. – Ihm wurde wohl zumute, wie seit langer Zeit nicht.

Die Wirtschafterin, in einem neuen Kleid und einer großen schneeigen Schürze, folgte Herrn Wenzel von Zimmer zu Zimmer. Sie betrachtete ihren Herrn so, wie sie gestern an ihrem letzten freien Ausgehtag die Wachsfiguren im Panoptikum ins Auge faßte. Mit ganz leichtem Grusel. Er schien ihr bekannt und doch fremd zu sein. Sie fand ihn älter und größer geworden.

Als Herr Sebastian Wenzel sich ihrer steten Begleitung bewußt wurde, überreichte er ihr das Menü für das heutige Mittagessen. Zu Beginn der Reise hatte er nach vielen Entwürfen diese Reihenfolge der Speisen als Schlußresultat festgesetzt. Das Mädchen ging, und der Hausherr verschwand im Brauseraum.

Als die lauen, feinen Tropfen seine Haut überspülten, dachte Herr Wenzel, was er schon ähnlich einmal zu der alten Exzellenz geäußert hatte: Aus allen Meeren der Welt kann der Mensch für seinen Körper selbst doch nur eine bestimmte kleine Menge von Wasser verwenden. Und endlich lag Herr Sebastian wieder in seinem guten breiten Bett. Es stand nicht so fest, wie er geglaubt hatte. Es rollte ein wenig im Takt der vorwärtseilenden Eisenbahn. Aber der Schlaf kam doch.

Draußen arbeitete der Tag, der laute, gierige Tag der Großstadt. Die harten, unermüdlichen Räder der Straßenbahn, der Automobile und Lastwagen erschütterten die Scheiben hinter der zugezogenen Gardine.

Herr Sebastian Wenzel schlief ruhig, friedlich und unbesorgt.

Wie man schläft, wenn man sich wieder zu Hause weiß.


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