Alice Berend
Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel
Alice Berend

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12

Wind und Regen waren bei der Arbeit, um den Schnee zu schmelzen. Graue, schwere Wolken glitten über die noch schlafenden winterlichen Bäume. Stürme brausten und fegten die Wege frei für den Frühling.

Aber der Bote des Frühlings ist längst nicht mehr die Schwalbe, sondern die Grippe.

Herr Sebastian Wenzel wußte dies bis jetzt nur vom Hörensagen.

Eines Tages jedoch holte er sich auf einem seiner pflichtgemäßen Spaziergänge statt des großen Appetits einen tüchtigen Schnupfen. Früher hatte er sich in solchen Fällen einen Tag ins Bett gelegt und Lindenblütentee getrunken. So hatten es alle Wenzels von jeher gehalten und waren alt dabei geworden.

Diesmal legte er sich auch ins Bett, aber er ließ den Arzt holen. Auf diese Weise erfuhr er, daß er Grippe hatte und eine Woche im Bett bleiben müsse.

Als er wieder gesund war, sagte der Doktor, daß es das beste für ihn sei, wenn er nun an die Riviera ginge. Der Übergang der Jahreszeiten sei gefährlich, besonders in seinem Alter und nach einer Grippe.

Furcht entzündet Mut.

Herr Sebastian Wenzel überlegte, ob er den Ratschlägen des Arztes und des Freundes nicht folgen müsse.

Er fuhr in die Stadt und bog in eine jener Straßen, in denen die Häuser fast nur aus Glasscheiben bestehen und wo um die Mittagszeit Luxus und Müßiggang flanieren und Gelegenheit zu unnützen Käufen suchen.

Bis jetzt hatte Herr Sebastian Wenzel die Notwendigkeit einer solchen Straße nicht eingesehen und sie gemieden, wo es anging.

Heute durchmaß er sie langsamen Schrittes. Fast jedes Fenster nahm er nachdrücklich ins Auge.

Vor den Scheiben eines Reisebüros fesselten ihn farbenfreudige Plakate. Im tiefen Papierblau lag da ein See, über den sich eine Dame beugte auf hohen Absätzen, mit wehendem Schleier.

Herr Wenzel sah erst auf die blaue Flut und das junge Mädchen. Dann schweiften seine Blicke zu dem Nachbarbild: Er sah auf einer Straße am Meer, tiefblau wie der nebenhängende See, Wagen und Automobile gefüllt mit lächelnden Papierpuppen vorübereilen. Über ihnen hingen Rosen und Narzissen in der Luft.

Herr Wenzel schüttelte den Kopf und rümpfte die Nase. Zuviel Menschen. Wieviel Staub müssen die vielen Automobile aufwirbeln. Er wandte sich ab und widmete sich einem dritten großen Bogen, der die Hälfte der Scheibe verdeckte. Hier stand wieder ein junges Mädchen, lebensgroß und lächelnd. Sie lehnte sich über einen schmalen Brettersteg und sah mit einem Opernglas in die rote untergehende Sonne. Meer und Himmel und alles, was dazwischenlag, leuchtete rosigrot.

Herr Sebastian Wenzel mußte an Himbeeren und Sommer denken und lächelte. Er nahm ein Notizbuch hervor und schrieb sich das Wort ab, das unter des lächelnden Mädchens zierlichen Füßen stand.

Dann ging er weiter.

Einige Schritte davon waren hinter großen, blanken Spiegelscheiben unzählige neue Koffer aufgestapelt. In den verschiedensten Formen und Arten. Einige konnten sich als Schrank verstellen, andere als Kommode, wieder andere sogar als Bett. Herrn Sebastian Wenzel gefielen am besten die, die vorn und hinten und von allen Seiten nichts weiter als Koffer waren und sein wollten. Aber auch sie sah er sorgenvoll an. Da sollte man sein Hab und Gut hineindrücken und stundenlang herumschütteln lassen. Wozu?

In einer Ecke des Schaufensters standen Körbchen, aus denen blanke Messer, Gabel und Löffel zwischen weißen Porzellantellern und einem Kristallgläschen blinkten. Herr Sebastian Wenzel fand sie allerliebst. Appetitreizend. Doch schon beim Weiterschreiten sagte er, daß man damit nur vor längerer Zeit verpackte Nahrung genießt, die niemals so gut munden könne wie frisch zubereitete Speisen.

In solche Gedanken versunken, blieb er, ohne es zu wissen, vor einer Auslage von Damenschuhen stehen.

Auf Spiegelglas, auf Samt und Seide standen Schuhe und Stiefel im frechen Durcheinander. Kleine Aschenbrödelschuhe aus Schlangenhaut oder Lackleder mit goldnen Schnallen oder Schleifen, die Schmetterlingen glichen. Kecke Reiterstiefel neben winzigen Türkenpantöffelchen.

Herr Sebastian Wenzel mußte lächeln.

Wer sollte dieses zierliche, zerbrechliche Zeug tragen? Das hielt doch keinen Windhauch aus? Wo gab es die Puppenfüße, die da hineinpassen sollten? Er dachte an die festgebauten weiblichen Mitglieder der Familie Wenzel. An Amalie Zwink. An die derben Schritte seiner Wirtschafterin, und er lächelte wieder, ehe er sich von den unnützen Dingern trennte. Unglaublich, was man sich alles ausdachte, um Käufer anzulocken.

Er ging die Straße zurück, um heimzukehren. Vor dem Koffergeschäft ruhte er sich ein wenig aus.

Der Geruch von Leder war ihm immer angenehm gewesen.

Er faßte einen hellgelben Rohrplattenkoffer ins Auge und mußte unwillkürlich denken, wie wohl seine Initialen darauf aussehen würden. Ein großes S und ein großes W, vielleicht mit einer fünfzackigen Bürgerkrone darüber.

Wir wissen einen Augenblick vorher noch nicht, was uns im nächsten geschehen kann.

Kaum fünf Minuten später hatte Herr Sebastian Wenzel diesen hübschen hellgelben Koffer gekauft. Seine Initialen wurden sofort darauf angebracht, die Bürgerkrone auch, und bald nach Sebastians Rückkehr lud schon ein Automobil, das selbst wie der leibhaftige Koffer aussah, Sebastians großen Einkauf vor seiner Haustür ab.

So wußte die ganze Straße, früher als Sebastian selbst, daß Herr Sebastian Wenzel verreisen werde.


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