Alice Berend
Die Reise des Herrn Sebastian Wenzel
Alice Berend

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19

Am nächsten Mittag fand Herr Wenzel zwei neue Tischnachbarn vor.

Die dünne Dame war auf besonderen Wunsch neben eine andere dünne Dame einrangiert worden, mit der sie in Freundschaft geraten war.

An Herrn Wenzels Tisch saß ein älteres gediegenes Ehepaar. Der Herr hatte einen tadellos gepflegten Spitzbart, unter dem er eine große Perle im Schlips trug. Die Dame hatte kostbares Haar, mit Schildpattnadeln befestigt, ihre Hände, die etwas fett waren, blinkten von Ringen. Als sie trank, bemerkte Herr Wenzel, daß beide Eckzähne von reinem Gold waren. Es mußten Leute in guter Lage sein.

Und so war es auch.

Der Herr stellte sich bald vor: Stadtrat Sprechhammer mit Frau aus Hamburg.

Er sprach gern und viel.

Er erzählte Herrn Wenzel, daß er sich nun, nachdem auch seine jüngste Tochter ausgezeichnet verheiratet sei, von seinen Geschäften zurückgezogen habe, viel reise und Kunstliebhaber geworden sei. Denn jetzt hatte er Zeit und Geld dazu. Er unterstützte junge Maler durch Ankauf von Bildern.

Herr Wenzel antwortete wenig. Erstens war es ihm ganz gleichgültig, was der fremde Mann erzählte, zweitens gab es Fisch. Er wollte nicht aus Höflichkeit gegen fremde Hamburger an einer Gräte ersticken.

Herr Sprechhammer nahm sein Schweigen als stummen Beifall auf.

»Ja, sehen Sie«, sagte er, »es ist noch gar nicht gesagt, ob man nicht sogar ein Geschäft damit macht. Auch der Künstler muß klein anfangen. Sie glauben nicht, was für Hungerleider oft die größten Künstler in ihrer Jugend waren.«

Herr Wenzel träufelte sich gerade etwas Remouladensauce auf ein Stückchen Seezunge.

Das Wort Hungerleider ärgerte ihn. Schließlich brauchte man nicht als Millionär geboren zu werden. Was ging das den Mann an, was die Leute früher waren.

»Ich interessiere mich nicht für Kunst«, sagte er.

Dann aß er weiter. Er wurde wieder stumm, wie der Fisch selbst.

»Siehst du, Heinrich«, sagte jetzt die Dame mit den goldenen Zähnen, »alle Leute ziehst du in ein Kunstgespräch hinein. Die Welt hat doch auch andere Interessen.«

»Ich rede, wovon es mir paßt, mein Kind«, sagte der Mann ruhig, aber fest.

»Und ich werde meine Worte auch nicht erst auf die Goldwaage legen, mein Lieber!« rief die Frau darauf rasch.

»Ungewiegt und ungewogen. Rede so lange, wie es dir Spaß macht, mein Schatz.«

»Ich werde sogar noch länger reden, als es mir Spaß macht«, erwiderte die Dame wieder in fliegender Eile.

Dieses lebhafte Gespräch setzte sich nun bis zum Ende der Mahlzeit fort.

Herr Wenzel kam zu der Ansicht, daß auch diese keine der wenigen glücklichen Ehen war, von denen alle Welt sprach und die niemand gesehen hatte.

Und doch? Er sah den Mann an. Er sah die Frau an. Sie waren längst Großeltern, hatten sie erzählt. Aber wie wohl und gesund sahen sie aus. Nur ein ganz Böswilliger hätte sie alt nennen können.

Sollten selbst die nicht glücklichen Ehen solche hervorragenden Erfolge zu verzeichnen haben?

Verdrießlich stand er vom Tisch auf. Er war sich wieder einmal klar, daß das Zusammensein mit Menschen verstimmend wirkte ...

Doch er hatte den Herrschaften ausgezeichnet gefallen.

Von dem Reichtum des langen, hagern Herrn hatten sie schon durch Marietta erfahren und waren angenehm davon berührt worden. Man verkehrt nicht gern mit Habenichtsen.

Auch die vornehme Art Herrn Sebastian Wenzels, fast nur zum Essen den Mund zu öffnen, hatte des Herrn Stadtrats größten Beifall.

Er erzählte selbst Herrn Wenzel am Abendtisch, daß er auf seiner letzten Reise einen Herrn zum Nachbar hatte, der ohne Punkt redete. Der ihn einfach nicht zu Wort kommen ließ. Nein, das war kein Umgang für ihn gewesen.

Herr Sprechhammer bedauerte sehr, daß Herr Wenzel sich früh zur Ruhe begeben wollte. Er hatte ihn gebeten, mit ihm zu kommen, um zu sehen, wie die jungen Mädchen tanzten. Nun mußte er mit seiner Frau allein gehen.

Diese zog den Mund spitz.

»Wenn sich die jungen Mädchen nur nicht deinetwegen den Hals ausrenken, lieber Heinrich«, sagte sie, indem sie den Arm des Gatten nahm und eine liebenswürdige Abschiedsbewegung zu Herrn Wenzel machte. Auch Herr Stadtrat Sprechhammer war ein Frühaufsteher.

Als er Herrn Wenzel vor dem Haus stehen fand, faßte er ihn unter den Arm und machte mit ihm seinen Morgenspaziergang.

Wenige Tage später war Herr Wenzel des Stadtrats bester Freund.

Es war Herrn Wenzel mit dieser Freundschaft so ergangen, wie man es sonst der Liebe nachsagt. Sie kam, und sie war da.

Wenn Herr Sebastian Wenzel nicht zu Haus bleiben wollte, mußte er Arm in Arm mit Herrn Stadtrat Sprechhammer gehen. Abends, nachmittags, morgens. Irgendwo wartete sein Freund immer. Herr Wenzel kannte schon alle Mitglieder der Familie Sprechhammer beim Vornamen. Der Stadtrat brauchte nur Emmy zu sagen, und Herr Wenzel wußte sofort, daß von Sprechhammers zweiter Tochter, einmal operiert an Blinddarmentzündung, verheiratet nach Bremen, die Rede war. Oder der Name Lilli fiel, und Herr Wenzel war sich sofort klar, daß es sich um Stadtrats Älteste handelte, die die Kinder Hans, Paul und Lottchen kurz hintereinander zur Welt gebracht hatte und diesen Sommer Moorbäder nehmen sollte.

Wieviel Namen schon allein zu einer Familie gehören, dachte er schreckerfüllt. Sein stark ausgeprägter Ordnungssinn und sein Gefühl für Rechtlichkeit ließen es nicht zu, daß er leichtsinnig über das ihm Erzählte hinweggehen konnte. Er bemühte sich ernstlich, alle Namen auseinanderzuhalten. Und hörte sich vor dem Schlafengehen oft noch einmal genau alles ab, was ihm der Tag aufgegeben hatte. Wie einst zur Schulzeit die Geschichtszahlen. Zum Beispiel also: Emmy – in Bremen, Karoline, die erblich belastete Tante mit den epileptischen Anfällen – Karl, der Neffe in Südwestafrika, der die gelesenen Zeitungen geschickt bekam, was oft fünf Mark Porto kostete. Hanna, Schwester der Frau Stadtrat, Witwe, 51 Jahre und noch lebenslustig wie ein junges Mädchen. Otto, Herrn Stadtrats ältester Bruder, siebzig Jahre alt, Hüne von Gestalt und noch alle Zähne im Mund.

Mit schweren Kopfschmerzen legte sich Herr Sebastian Wenzel endlich zu Bett.

Bei dem Rollen der Wellen und der Rollschuhe sank er in Schlaf. Aber die weitverzweigte Familie Sprechhammer rollte noch durch seine Träume.

Am andern Morgen weckte ihn ein Pfiff. Herr Stadtrat stand vor seinem Fenster im weißen Anzug und weißer Schirmmütze wie ein Sonntagskapitän und rief heiter zu ihm herauf:

»Sie werden doch nicht verschlafen, mein Freund?«

Als sie untergefaßt auf dem weißen Weg dahinschritten, sagte Herr Sprechhammer:

»Wissen Sie, der Morgen ist meine glücklichste Zeit.«

Frau Sprechhammer schlief bis spät in den Vormittag hinein.

»Sind Sie nicht gern mit Ihrer Frau zusammen?« fragte Herr Sebastian Wenzel vorsichtig.

»Lieber Freund, man muß. Man muß. Was man muß, soll man gern tun.« Er seufzte. –

Herr Sprechhammer scherzte sehr gern mit jungen Frauen und Mädchen, was er doch nicht mußte. Er schob ihnen Stühle zu, brachte erfrischende Getränke, half ihnen weiche Tücher um die Schultern legen und scheute sich nicht vor der Mühe des Bückens, wenn es galt, ein pflichtvergessenes Schuhband über einem Seidenstrumpf zuknoten zu helfen.

Wenn man gern tut, was man muß, braucht man noch nicht ungern zu tun, was man nicht muß.

»Kommen Sie mit an den Strand in das bunte Treiben. Ich zeige Ihnen eine kleine Marianne mit goldenen Haaren. Sie werden an einem Vormittag um zwanzig Jahre jünger.« – So versuchte Herr Sprechhammer seinen Freund zu überreden. Er ahnte nichts von Herrn Sebastian Wenzels Abneigungen.

Er sprach so viel von dem Nutzen der Heiterkeit, von Sichzerstreuenmüssen und Jüngerwerden, daß Herr Wenzel sich entschloß, ihn zu begleiten.

Als er mit gemessenen Schritten in den farbigen Kreis von Menschen trat, die sich zwischen der tiefen Bläue von Himmel und Meer in behaglichen Stühlen, Wortspielen und gewandtem Geplauder wiegten, ahnte er nicht, daß ihm sein Reichtum schon vorangegangen war. –

Sonst hätte man vielleicht gesagt, daß er mit seinen langen Beinen, den Schößen des hellgrauen Rockes und der langen Nase wie ein Storch aussah, der gravitätisch seine Voliere verläßt. Weil man aber wußte, was man von ihm zu denken hatte, fand man ihn vom ersten Augenblick an höchst distinguiert.

Neben Herrn Wenzel schritt Frau Stadtrat Sprechhammer in einem duftigen Strandkleid, überzeugt davon, daß sie wie ein junges Mädchen aussah.

Ein Lächeln lag um ihre Lippen. Mit der ganzen verschwenderischen Güte einer Frau, die vier Töchter ausgezeichnet verheiratet hatte, dachte sie: wie glücklich wäre manche Mutter, die Bekanntschaft dieses Mannes zu machen.

Mit liebenswürdigem Stolz stellte sie Herrn Sebastian Wenzel der Gesellschaft vor. Sie wußte, wie neugierig man auf ihn war.

Marietta hatte nicht gespart. Auf einige Millionen mehr oder weniger war es ihr in ihren Berichten nicht angekommen.

Schnell sah sich Herr Sebastian Wenzel von liebenswürdig lächelnden Menschen umringt, die mit ihm plauderten und ihm Artigkeiten sagten.

Er erfuhr, daß manche Menschen gern segelten und manche davon krank würden. Daß das Wetter schön und der Himmel blau, das Meer tief sei. Daß am Abend der Leuchtturm romantisch leuchte und auf dem steilen Weg zu ihm stille Myrten, hoher Lorbeer und Goldorangen in dunklem Laube stehen, ganz wie in Goethes wundervollem Gedicht. Kurz, alle die freundlichen Dinge, die jeder wußte und doch immer wieder gern hörte, über die man stundenlang reden konnte, ohne sich zu erregen, und die den festen Grundzug des weltbeliebten, angenehmen Geplauders geben.

Herr Sebastian Wenzel behielt sein distinguiertes Schweigen bei.

Er sagte nur einmal, als vom Segeln auf hoher See die Rede war:

»Mir scheint, daß man mit solchem Tun sein Leben über Gebühr in Gottes Hand stellt.«

Und er warf nur einmal eine Frage in die Unterhaltung; als er hörte, daß man den Leuchtturmwärter für hundert Jahre alt hielt, erkundigte er sich, ob der Mann verheiratet sei.

Der Herr Assessor, ein junger Mann im weißen Flanellanzug, mit ganz dünnem blondem Schnurrbart über den vollen roten Lippen, fragte, ob Herr Wenzel viele Töchter zu verheiraten habe, weil er sich sogar um das Ledigsein eines Hundertjährigen bekümmere.

Alle lachten. Jeder kleine Scherz war die Alarmtrompete, der ein schmetterndes Gelächter folgte. Herr Wenzel begriff sie nicht. Aber er beneidete sie um ihr gesundes Lachen. Er selbst fand leider solche fürwitzigen Bemerkungen so lächerlich, daß er nicht einmal darüber lächeln konnte.

*

Wir wissen erst immer nachher, was wir getan haben.

Herr Sebastian Wenzel merkte erst nach vielen Tagen, daß er ein festes Mitglied des bunten Schwarms und der gute Bekannte vieler Damen geworden war.

Am ersten Tag hatte er geglaubt, daß es ihm niemals gelingen würde, diese vielen, die alle Ähnliches sprachen und alle ähnlich lächelten, voneinander unterscheiden zu können.

Und jetzt? Nicht im Traum würde er sie verwechseln.

Da war Fräulein von Poschhammer mit ihrer Mutter. Sie behauptete fünfundzwanzig Jahre alt zu sein. Aber da die Mama stolz noch mit ihren sechsundachtzig Jahren seebadete, wollte niemand an das Phänomen glauben. Bei diesen Damen war stets Herr Krüger, ein Berliner Großschlächter, dessen runde, kurze Gestalt ganz mit der Bürgerwürde des zu Geld gekommenen ehrlichen Mannes umgeben war. Der Verkehr mit den adligen Damen tat ihm wohl.

Herr Wenzel wunderte sich darüber. Ihm graute vor der alten Dame. Ehe sie ins Bad ging, nahm sie das würdige Spitzenhäubchen vom Kopf, und man sah einen kahlen Schädel, um den sich ein ganz dünnes Mauseschwänzchen flocht. Dieser Anblick war nicht stärkend und brachte die Gedanken auf Tod und Vergänglichkeit. Äußerlich gefiel ihm am besten die ganz junge goldblonde Marianne Wendland, die mit ihrer freundlichen Mutter hier war. Aber er suchte kein Gespräch mit ihr. Sehr gern unterhielt er sich mit der etwas behäbigen und gesunden Frau Bürgermeister aus Kleinhausen in Thüringen. Sie schlachtete im Winter jede Woche ein Schwein und war anscheinend eine Meisterin in der Wurstfabrikation. Es war Herrn Wenzel hochinteressant zu erfahren, was alles in einer Leberwurst enthalten sein konnte.

Auch über das Alter der Frau Bürgermeisterin dachte Herr Wenzel natürlich nach. Sie war frisch und lebendig, und er vermutete nicht ohne Neid, daß sie viel jünger als er sein müsse. Eines Tages fragte sie in ihrer forschen Art:

»Wie alt sind Sie eigentlich, Herr Wenzel?«

Errötend murmelte Herr Sebastian Wenzel:

»Fünfundfünfzig.« – Sechzig kam ihm im Augenblick ungebührlich hoch vor.

»Da sind Sie jünger als ich«, sagte die rundliche Dame und lachte. »Hier haben Sie es schwarz auf weiß.« Und sie reichte ihm ein Zeitungsblatt.

Es war der Kleinhausener Anzeiger, und Herr Wenzel las die Zeilen, die, mit einem dicken blauen Strich zur Seite, zuerst ins Auge fielen. Sie lauteten:

Heute feierte unsere liebe Frau Bürgermeisterin ihren sechzigsten Geburtstag. Sie wurde beim ersten Frührot von dem vortrefflichen Männerchor unserer bewährtesten Schützengilde zur hohen Feier des Tages geweckt. Die ernsten Männerstimmen sangen erst den Choral: »Alles Fleisch vergeht wie Heu«, dann das schöne Lied: »Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben« und zu guter Letzt den trutzigen Gesang: »Schier dreißig Jahre bist du alt«. Erst als der Gesang verstummt war, erklärte unser hochverehrter, inzwischen das Fenster geöffnet habende Herr Bürgermeister, daß seine verehrte Frau Gemahlin in einem italienischen Seebade weile, um sich zu stärken. Wir wünschen ihr tief ergebenst beste Erholung.

Herr Wenzel faltete das Blatt zusammen und gab es zurück.

»Sehr nett, wenn man so in der Zeitung beschrieben steht, ohne daß man dabei zu sein braucht«, sagte er bedächtig und drückte damit seine ehrliche Meinung aus.

Viel um Herrn Wenzel und seine Freunde Sprechhammer herum war auch die dünne Dame aus der Eisenbahn, von der er nun wußte, daß sie Mathilde Laubwurzel hieß. Sie deutete oft an, daß sie eine Art Bestimmung darin sähe, daß sie schon die Reise hierher zusammen mit Herrn Sebastian Wenzel machte. Und sie schleuderte lockend Lächeln auf Lächeln in das ärgerlich verzogene Gesicht ihres Reisegefährten.

Herr Sebastian Wenzel begriff nicht, warum niemand sie auf den Irrtum aufmerksam machte und ihr sagte, daß sie und er gar nichts miteinander zu tun hätten.

Aber das war eben das merkwürdige, daß keiner dem anderen die Wahrheit zu sagen wagte. Warum sprachen sie dann miteinander und fragten sich um ihre Meinung? Wenn einer abwesend war, konnte es vorkommen, daß über ihn gelächelt wurde; aber vor den Anwesenden hatten sie Furcht.

Wenn Fräulein von Pochhammer sagte: Ich mit meinen lumpigen 25 Jahren, schwiegen alle oder stimmten ihr zu. Warum sagte niemand: Lassen Sie das. Wir haben Augen im Kopf und wissen, wie Leute von fünfundzwanzig Jahren aussehen. Wenn der blondbärtige Assessor, der immer die kleine goldblonde Marianne mit seiner Nähe belästigte, in langer Erzählung berichtete, daß er für einen Raubmörder durch eine Rede von nur zehn Minuten Freisprechung erwirkte, was doch kein Erwachsener glauben konnte, sagte niemand: Erzählen Sie das Märchen vor Kindern. Nein, im Gegenteil, man rief zum Schluß des langweiligen Geschwätzes: Fabelhaft. Das haben Sie großartig gemacht.

Waren die Leute so dumm? Oder taten sie nur so?

Er sprach sich darüber zu Herrn Stadtrat Sprechhammer aus, als sie allein spazierengingen.

»Was ist das denn? Was bezwecken die Leute denn untereinander? Sie bedanken sich unaufhörlich. Ein ewiges Bedanken für nichts und stellen sich zu allem dumm. Nächstens wird die alte Frau Pochhammer, weil sie den alten Schädel unter die Spitzenhaube versteckt hat, vielleicht behaupten, daß sie spät zum Strand kommt, weil sie ihre Locken kämmen muß. Und dann werden sie alle sagen: wir haben stets Ihr schönes Haar bewundert.«

Herr Wenzel war beinahe heftig geworden.

Herr Sprechhammer zog erschreckt seinen Arm aus Herrn Wenzels Arm hervor.

»Aber selbstverständlich, lieber Freund, wird man das tun. Das verlangt der einfachste gesellschaftliche Takt. Ein Mensch, der immer die Wahrheit sagte, wäre gesellschaftlich einfach unmöglich. Das ist doch der erste Schliff, der zur Erziehung gehört. Ich bitte Sie, wo sollte das sonst hinaus?«

Auch Herr Sprechhammer war erregt geworden.

Herr Sebastian Wenzel wollte sich auf keinen Fall durch unnütze Erregung schädigen.

»Nun, man kann wenigstens schweigen«, sagte er hart, aber einlenkend.

Herr Sprechhammer wiegte den Kopf.

»Ja, das kann man natürlich. Aber schließlich – wenn alle schweigen würden« – er zuckte die Schultern – »am Ende ist doch ein Hotel keine Taubstummenanstalt.«

Sie kürzten heute im stillen Einvernehmen ihren Morgenspaziergang ab.

Als Herr Sprechhammer ins Zimmer trat, wo sich seine Gattin für den neuen Tag restaurierte, sagte er, indem er sich mit der flachen Hand über den Scheitel strich:

»Weißt du, liebes Kind, ich mache mir doch ernstlich Gedanken darüber, ob unser Freund Wenzel aus guter Familie ist.«


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