Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Neuntes Kapitel

Bari, 6.April 1195

Die Kaiserin Konstanze wußte, als sie sich in Ancona nach Bari einschiffte, um an dem ersten großen Reichstage teilzunehmen, den der Kaiser nach der ›Eroberung‹ Siziliens einberufen hatte, daß sie zu einer Parade fuhr. Aber sie wußte auch, daß sie mehr als je das Gesicht wahren und die Ohren offenhalten müsse. Es war beschlossene Sache, daß sie die Herrschaft über ihr Heimat- und Stammland in Form einer ihr vom Kaiser übertragenen Regentschaft ausüben würde. Als man ihr noch nach Jesi diesen Entschluß der kaiserlichen Regierung mitgeteilt hatte, war es keinem der Abgesandten möglich gewesen, auch nur den Schatten einer Wirkung auf ihren Zügen zu finden. Sie hatte gedankt und die kleine Abordnung noch zur selben Stunde entlassen, in der sie gekommen war. Später hatte sie ein langes Gespräch mit ihrem Beichtvater geführt – und sich seitdem nicht mehr über die Frage ihrer bevorstehenden Regierung geäußert. Das Leben in ihrem Hoflager, welches nach ihrer Genesung aus den Wehen von Jesi nach Foligno verlegt worden war, vollzog sich in einer fast lähmenden Eintönigkeit. Abend für Abend verbrachte sie mit einigen gelehrten Herren im Studium der sizilischen Verwaltungsgeschichte. Die Gesetzgebung ihres Vaters Roger stand im Vordergrund der endlosen Gespräche – und nicht minder das schwierige Gebiet der königlichen Privilegien, auf dem – dank der Verschwendung der tankredischen Regierung – große Mißstände eingerissen waren. Die Gründlichkeit, mit der sie in allen Besprechungen zu Werk ging, brachte ihr die Bewunderung ihrer Ratgeber, welche ohne Ausnahme Einheimische waren. Sie wußte genau, warum sie keine kaiserlichen Juristen zu diesen 266 Beratungen zugelassen hatte. Sie wollte, daß der Ruf national-sizilischen Empfindens ihrer Ankunft in Palermo vorausgehe und eine günstige Stimmung für ihr Wirken schaffen helfe. Sie ließ nicht einen Augenblick lang einen Zweifel an dem imperialen Anstrich ihrer Zielsetzung aufkommen. Sie gab sich als die willensmäßige Parteigängerin des Kaisers und als die gefühlsmäßige ihrer Landsleute – und bezeichnete es als ihre Aufgabe, in langer, sorgfältiger und friedlicher Arbeit die beiden Wege in einen einzigen zusammenzuführen. Sie verschwieg alles, was zu einer Mißdeutung nach der einen oder anderen Seite hätte führen können; aber sie ließ auch keine Unklarheit darüber aufkommen, daß sie ihre letzten Entscheidungen in unbedingter Selbständigkeit fällen werde.

Als sie am 28. März in Bari landete, war sie vor sich selbst nur noch das Sinnbild der Aufgabe, die sie sich gesetzt hatte: kalt, verschlossen, sicher, selbstbewußt. Der geräuschvolle Empfang, den man der ›Mutter des Thronerben‹ im Hafen bereitete, berührte sie nicht. Sie ließ ihn gelangweilt über sich ergehen wie ein Unvermeidliches, genau so wie sie später auch einige gefühlvolle Anwandlungen des kaiserlichen Vaters über sich ergehen ließ.

Gleich nach ihrer Ankunft im Schlosse ordnete sie eine Verlegung der ihr bestimmten Gemächer aus dem Bannkreis der kaiserlichen Wohnung an, forderte einen sizilischen Sonderadjutanten für die anstrengende Zeit des Reichstages und erklärte, daß sie an Verhandlungen, welche ausschließlich das Reich beträfen, auch der Form nach nicht teilnehmen werde. Nur wo es um sizilische Fragen in ihrem Zusammenhang mit der 267 Reichspolitik gehe, beanspruche sie Mitarbeit. Ihre Teilnahme bei den abendlichen Festlichkeiten mache sie von ihrem jeweiligen Befinden abhängig. Die Herzogin von Spoleto werde sie würdig zu vertreten wissen, falls sie am Erscheinen verhindert sei. Es blieb dem Kaiser gar nichts anderes übrig als zuzustimmen, sofern er vor dem Hofstaat seine Stellung gegenüber der Kaiserin nicht schwächen wollte. Es half ihm jedoch nicht sehr viel, daß er die Haltung Konstanzes als Laune einer Frau hinzustellen versuchte, welche noch unter den Nachwehen einer späten und gefährlichen Geburt leide: im gesamten Hoflager hatte sich niemand dem Eindruck entziehen können, daß die Kaiserin genau wisse, was sie wolle – und alles andere sei als das willfährige und willenlose Werkzeug ihres Gatten. Dieser Eindruck wurde noch verschärft, als sie am Tag nach ihrer Ankunft auf dem Abendempfang in einem Glanze erschien, in dem man sie noch nie gesehen hatte. Sie allein beherrschte das Fest, war von einer Liebenswürdigkeit, die ihr niemand zugetraut hätte, und bevorzugte offensichtlich die deutschen Herren. Dem achtzehnjährigen Bruder des Kaisers, Philipp, dessen Mundwerk vor nichts haltmachte, gelang es an diesem Abend nicht, sich von dem Banne zu befreien, der von so natürlicher Majestät ausging – und der Graf Konrad von Querfurt, welcher zum kaiserlichen Gesandten bei der Regierung von Sizilien ausersehen war, fand Worte für seine Fürstin, wie er sie kaum jemals für eine Frau gefunden hatte. Die Herren aus Apulien und Sizilien nahmen ihre wohlberechnete Zurücksetzung an diesem Abend mit erstaunlicher Würde in Kauf: Die Kaiserin hatte sie schon am frühen Morgen zu einem Sonderempfang für 268 den nächsten Abend in ihre eignen Gemächer gebeten. Die deutschen Fürsten dagegen empfing sie einzeln im Laufe der Woche: ihren Oheim, den Pfalzgrafen vom Rhein, ihren Schwager Philipp und seine Braut, die Erbprinzessin Irene von Byzanz, welche dem verstorbenen ältesten Tankredsohne verlobt gewesen war, den jungen Herzog Ludwig von Bayern, den Markgrafen von Montferrat, den Herzog von Spoleto und eine Reihe von Bischöfen. Viel besprochen wurde die Unterredung, welche sie mit dem General Diepold von Vohburg im Garten des Schlosses hatte. Über eine Stunde lang sah man sie mit dem berühmten und berüchtigten Feldherrn auf den blauen Kieswegen am Meere auf und ab wandeln . . . Fast jeder, der eine Bedeutung hatte oder am Hof eine Rolle spielte, war von ihr ins Gespräch gezogen worden. Der einzige, der auf dieses Gespräch noch wartete, war der überlastete Kaiser selbst. Er hatte die Kaiserin genau beobachtet, er hatte durch Konrad von Querfurt feststellen lassen, wer bei ihr ein- und. ausgegangen war; er konnte nichts finden, das eine ihm selbst unerklärliche Besorgnis hätte erklären können. Was ihn, den von Natur aus Mißtrauischen, mißtrauisch machte, war die Sicherheit ihrer Haltung. Er war ganz gewiß kein guter Menschenkenner: soviel aber wußte er: eine solche Sicherheit konnte nur aus einem verhüllten, nicht aus einem offenkundigen Wollen kommen . . . Was und wohin wollte die Kaiserin? Er kannte ihre Formel . . . Aber was hieß diese Formel vor ihrer – Undurchdringlichkeit? Als habe es gestern stattgefunden, klang in seinem Ohre das Gespräch nach, das er mit ihr nach dem Tode Wilhelms II. in der Pfalz zu Eger geführt hatte . . . 269 Klang das Wort ›Befreier‹ nach, mit dem sie den damals herbeigesehnten Sohn bezeichnet hatte. Und er wußte: die Frau, welche sich so leicht und überlegen neun Tage lang auf diesem Hoftag von Bari bewegt hatte, war eine Befreite, die über ihre Kräfte nach eignem Gutdünken verfügte, war eine Herrscherin vom Kopf bis zur Sohle . . . war eine ihm Gleichgeordnete und wurde als solche empfunden . . . war morgen vielleicht – eine Übergeordnete, flüsterte das böse Gewissen . . . eine Rächerin, ergänzte in den verschlossensten Gründen des Bewußtseins die – Angst.

Wie hatte sie den hergerichteten Glanz dieser Festwoche verachtet, obwohl sie nichts unterlassen hatte, ihn durch ihr eignes Auftreten zu steigern . . . Welche Perlen hatte man an ihr gesehen, welche Ringe an ihren Händen . . . Welche Kunstwerke von Kleidern und Abendmänteln, die teils in Palermo, teils in Byzanz hergestellt waren . . . Von welcher herausfordernden Liebenswürdigkeit war sie gegen ihn selbst gewesen . . . in welches Unrecht hatte sie ihn vor aller Welt mit der unscheinbarsten Freundlichkeit gesetzt. Unrecht? Wieder hatte das böse Gewissen gesprochen . . . War ihr denn schon so klar, wie er sie hintergehen wollte? Hatte sie ihm die heimlichen Schlingen schon gestellt? Hatte sie schon ihre Helfer und Helfershelfer bereit?

– Wahnsinn! sagte er laut zu sich selbst. Wahnsinn . . . Ich bin überreizt. Ich sehe Gespinste . . .

Und er ließ sich bei ihr melden, die ihn nicht gerufen, wohl aber erwartet hatte. 270

 

Es war am Abend vor dem Aufbruch des Hoflagers nach Deutschland, am 6. April. Der Reichstag hatte seine Arbeiten abgeschlossen. Einige Herren mit ihrem Gefolge waren schon zu Lande unterwegs. Die Kaiserin hatte allein mit Anne de Perche und Pedro Vaqueiras zu Nacht gespeist und schaute gerade von der Terrasse ihres Wohnzimmers aus auf das steile, stürmische Meer, das sich im Mond von der albanischen Küste herüberwälzte, als Heinrich über die Schwelle trat. Anne und Pedro gingen.

– Ich hoffe, sagte Konstanze, wir haben morgen mildere See auf der Fahrt nach Trani.

– Wenn Sie den Landweg vorziehen, meinte Heinrich.

– O nein . . . Ich habe Eile, über Foggia nach Neapel und von da nach Palermo zu kommen. Jeder Tag ist kostbar. Wäre nicht diese endlose und elende Straße von Taranto nach Reggio, so hätte mich nichts abhalten können, sofort den Weg nach Süden zu nehmen.

– Warum sind Sie so eilig? Es ist alles wohlgeordnet in Sizilien, wie Sie wissen.

– Eben. Ich habe Eile, die Wohlgeordnetheit kennenzulernen, die Sie dort hinterlassen haben. Meine Anwesenheit wird eine Gewähr dafür sein, daß sie erhalten bleibt.

– Meine Generale und Sachwalter ebenfalls.

– Meinen Sie?

– Ja, ich meine.

– Ich freue mich, daß Sie so zuversichtlich sind. Ich bin es etwas weniger, das heißt: ich würde wohl Ihre Zuversicht nicht mehr teilen können, wenn ich nicht sehr bald in Palermo erschiene. Man erwartet mich 271 dort. Mit Ungeduld sogar. Sizilien will seine rechtmäßige Königin sehen. Man hat mich bitten lassen, bald zu kommen. Es scheint, daß Ihr pompöser und von Rüstungen funkelnder Einzug vom 20. November des letzten Jahres nicht alle Sehnsüchte erfüllt hat. Man wartet nun auf ein Schiff, das nur eine Frau an Land tragen wird . . .

– Wer wartet?

– Alle . . . unter Abzug derer, die nicht mehr da sind . . .

– Sie meinen wohl Ihre Freundin Sibylle mit ihrem Anhang?

– Ich habe nicht sehr viel Sinn dafür, daß man über Unglückliche spottet. Sibylle ist immer meine Feindin gewesen. Sie war ohne Zweifel eine böse, herrschsüchtige Frau . . . Sie hat ihren Lohn in ihrer deutschen Gefangenschaft . . . Aber sagen Sie mir doch endlich einmal, warum Sie den Admiral Margaritus und den Kanzler Richard Ajellus haben verhaften lassen . . .

– Weil sie zu der Gruppe gehörten, die mich ermorden wollte, nachdem ich eben den Beweis höchster Milde und Gnade gegeben hatte! Glauben Sie etwa auch das Ammenmärchen, die Verschwörung, die man nach meiner Krönung am 25. Dezember gegen mich angezettelt hat, habe gar nicht bestanden? Ich habe sie nur erfunden, um einen Vorwand zu haben, mir die Parteigänger Tankreds vom Halse zu schaffen?

– Nach der Art zu schließen, wie Sie im Oktober 94 gegen die Feldherren des Heeres vorgegangen sind, die sich ihnen als anständige, ihrem Eide treue Soldaten bei Catania entgegenstellten, könnte man zum mindesten versucht sein, Ihnen die künstliche Aufbauschung einer 272 Sache zuzutrauen, die doch in sich selbst ganz sinnlos scheint . . . Was soll ich von Ihnen denken, wenn ich höre, daß Sie den General Valva haben im Meer ersäufen und einigen Obersten die Haut vom Leib abziehen lassen? Dies sind Tatsachen. Sie sehn ja: Sie leugnen sie nicht einmal ab. Nun höre ich weiter, daß Sie Sibylle und den kleinen Wilhelm auf Schloß Cálatabéllota zur Abdankung gezwungen, aber gleichzeitig mit den Grafschaften Tankreds, Lecce und Otranto, belehnt haben . . . Ich höre, daß Sie Margaritus nach der Übergabe des Hafenkastells von Palermo zum ›Herzog von Durazzo und Fürsten der Meere‹ ernannt haben . . . Ich höre, daß keinem von dem Kreis um Tankred ein Haar gekrümmt wurde, ehe Sie gekrönt waren. Sie erwiesen sich gegen ihre offnen Feinde als mildester, gütigster Herrscher . . . Verblüfften um so mehr durch Ihre Güte, als Ihnen – zu Unrecht – beinahe der Ruf eines Nero vorausging. Und eben diese so gütig von Ihnen behandelten Menschen sollen sich nun plötzlich – im ungeeignetsten aller Augenblicke, im Augenblick völliger Machtlosigkeit, gegen Sie verschworen haben? Ohne Heer? Ohne das Volk hinter sich, das Sie durch Brot und Spiele in Hülle und Fülle auf Ihre Seite gebracht hatten? Ein Mann von der Klugheit Richards, ein Held von der Größe des Margaritus sollten sich so vor aller Welt ins Unrecht setzen? Das glaube wer will. Ich – kann es nicht glauben . . .

– Sie haben sich gegen mein Leben verschworen!

– Nein! Denn – in einem solchen Falle hätte ein Mann wie Sie kurzen Prozeß gemacht: Sie hätten sie sofort töten lassen, aber nicht in deutsche Gefängnisse geschickt! Ich will gerne glauben, daß Sibylle gehetzt 273 hat – das hat sie ihr Leben lang getan; aber daß man ihr ernsthaft gefolgt sei . . .

– . . . ist bewiesen. Ob Sie es nun glauben oder nicht. Schluß mit diesem Unfug.

– Oh là! Keineswegs Schluß! Vergessen Sie nicht, daß Sie mit der Königin von Sizilien sprechen, der Sie Rede zu stehen haben. Ich will wissen, warum Sie meinen Jugendfreund Richard Ajellus haben in Ketten legen und verschleppen lassen! Richard ist niemals nur eines Gedankens an Mord fähig gewesen!

– Mitgegangen, mitgehangen . . .

– Schämen Sie sich, mir mit solchen Redensarten zu kommen. Ich wiederhole meine Frage, und Sie werden sich nicht unterstehen, die Antwort zu verweigern: Warum haben Sie Richard in Ketten legen und verschleppen lassen? Warum haben Sie seine Friedensvorschläge vom Sommer 94 mir nicht unterbreitet? Warum haben Sie sie nicht angenommen?

– Saubere Vorschläge waren das! Wie ich es vorausgeahnt hatte, Bedingungen unverschämtester Art: keine kaiserliche Verwaltung im Land, keine kaiserlichen Statthalter nichtsizilischer Abstammung, völlige Ausschaltung meiner Person in allen inneren sizilischen Regierungsangelegenheiten – Übergabe der gesamten Regierungsgewalt an Sie – und so weiter und so weiter . . .

– Also die Vorschläge fußten genau auf meinem Ehevertrag vom Jahre 1185?

– Nach nationalsizilischer Auslegung! Aber nicht nach kaiserlicher! Sie werden mir eines Tages noch auf den Knien danken, daß ich Ihnen nur die Regentschaft übertrage – und auch diese nur unter dem Beistand so 274 tüchtiger Männer wie des Grafen Walther von Pagliara und des Grafen Konrad von Querfurt . . .

– Ich habe weder etwas gegen diesen als Ihren Gesandten noch gegen jenen als meinen Kanzler. Ausgezeichnete Diplomaten. Sie wären Ihnen allerdings weit nützlicher bei der regierenden Königin gewesen als sie es bei der königlich-kaiserlichen Regentin sein werden. Wir sprechen eben nicht von den großen politischen Linien, die Sie befolgen. Wir sprechen von Begleiterscheinungen Ihrer Politik, die mir Sorge und Qual bereiten . . . Ich möchte nun endlich über Richards Schicksal vergewissert sein . . .

– Ich wollte ihn nur auf kurze Zeit nach Lipari verbannen, der Form halber. Er hat es abgelehnt. Er bestand darauf, das Schicksal seiner Freunde zu teilen. Also ist er mit Margaritus, mit seinen beiden Brüdern, den Erzbischöfen von Salerno und Catania, mit den beiden Grafen von Avellino und denen von Marsico nach Deutschland geschickt worden. Nach Trifels. Sibylle wird mit ihren drei Töchtern in dem Nonnenkloster Hohenburg im Elsaß und der kleine Wilhelm auf der Burg Hohenems am Bodensee untergebracht.

– Sie geben mir Ihr Wort, daß Sie mit Ihrer kaiserlichen Ehre für das Leben der Gefangenen haften? Wie? Sie zaudern?

Ich gebe Ihnen mein Wort . . .

– Ich habe Ihnen jetzt eine Lüge abzubitten. Der Augenblick verlangt es. Sie fragten mich sofort bei meiner Ankunft, wo Lothar Ingelheim sei. Ich sagte Ihnen, er sei erkrankt in Foggia zurückgeblieben. Das ist nicht wahr. Er ist, als die Nachricht von Richards Gefangennahme zu uns nach Foligno kam, in den ersten 275 Februartagen unter meiner Billigung an den Splügen geritten, um die Gefangenen noch zu treffen . . . um Richard noch zu sehen und zu trösten. Auch in meinem Namen – und mit vielen Geschenken von mir. Wir wissen, kraft unseres Herzens, daß Richard völlig schuldlos ist. Sie sehen, was ein Freund zu tun vermag. Fragen Sie sich einmal, wer von Ihren ›Freunden‹ Ihnen bis in den Alpenschnee nachritte, wenn man Sie in ein Burgverlies schleifte . . . Und wenn Sie sich diese Frage ehrlich beantwortet haben, so oder so – dann denken Sie noch einmal gründlich über die Mittel nach, mit denen Sie – an der unrechten Stelle – Politik treiben, die keine ist! Sie säen den Haß in die Herzen . . . Sie haben das ungeheure Pech, daß Ihre größten politischen Erfolge Ihre größten menschlichen Niederlagen werden. Das hat die Welt längst erkannt. Die Welt ist hellhörig. Sie weiß auch, daß der Schein trügt. Sie weiß, daß Ihre Maßlosigkeit Schwäche ist, nicht Stärke. Sie weiß, daß Sie zu denen gehören, die schon nach dem Obst greifen, während sie noch am Geflügel kauen . . .

Heinrich war zusammengefahren. Er hätte die Frau, die ihm mit der ruhigsten Stimme der Welt diese Ungeheuerlichkeiten versetzte, erwürgen können, wenn – – ja wenn er nur die Kraft gehabt hätte, die Hand von seinem Knie zu heben. Aber man hebt die Hand nicht gegen das Gewissen. Diese Frau war noch jedesmal sein Gewissen geworden, wenn sie ihm nahekam. Er ertrug ihre Nähe nicht mehr. Sie lähmte ihn, hemmte ihn, erlegte sich ihm auf . . . Er brannte auf den Augenblick, ihrer ledig zu sein, sie an der Stelle zu wissen, wo sie ihm – wenigstens vorläufig – noch nützlich sein konnte.

Sie hatte ihm den Rücken gedreht und schaute auf das 276 Meer, dessen Wogengang ruhiger geworden war. Ohne zu wissen warum eigentlich, war er neben sie getreten. Er wollte ihr entgegnen, ihr klarmachen, daß er nicht anders handeln könne, als er müsse – daß der Dämonie seines Willens nicht die Grenzen zu setzen seien, die sie verlangte, sofern dieser Wille selbst nicht absterben sollte . . . Er wollte an seine Lieblingshelden erinnern, an Alexander, an Cäsar: als er jedoch die Düsterkeit sah, in der ihre Züge verschwammen, schwieg er. Und von allem, was er hatte sagen wollen, blieb nichts mehr als ein mühsames Atmen, in dem eine große Ratlosigkeit zum Ausdruck kam . . .

– Kommen Sie, sagte Konstanze, setzen Sie sich zu mir. Wir haben uns noch manches zu sagen. Rechnen Sie es mir nicht als Bosheit an, wenn ich Ihnen bittre Pillen zu schlucken gab. Ich zittre für Sie . . . mit dem Ahnungsvermögen der Frau . . . Ist Ihnen noch nicht der Gedanke gekommen, daß wir vielleicht zum letztenmal in unsrem Leben Auge in Auge sprechen? Deutschland, wohin Sie jetzt reisen, ist weit – wissen wir, was geschieht? Vergessen Sie immer wieder, wie zart Ihre Gesundheit ist? Sie vertragen den Süden nicht. Die Malaria umlauert Sie – die Ruhr nicht minder . . . Gibt Ihnen das nicht zu denken? Heinrich: können Sie vor Gott und der Welt einen besseren Statthalter haben als mich? Glauben Sie denn immer noch nicht, daß ich in der Sache – will, was Sie wollen? Das Reich?

– Sie machen es mir oft so schwer, es zu glauben.

– Nein. Sie selbst – und Sie allein – machen es sich so schwer. Sie nähren sich ja nur noch von Argwohn und lassen ihn Ihre Handlungen bestimmen. Wie alle, die an ihren Plänen erblinden. Wie durften Sie sich in Ihrem 277 Haß gegen die Parteigänger Tankreds bis zu der Fesselung der Gefangenen und ihrer Verschleppung nach Deutschland hinreißen lassen . . .

Heinrich wollte auffahren, besann sich aber:

– Es steht durch Eide fest, daß die Mordpläne gegen mich bestanden haben . . .

– Durch wessen Eide?

– Eines Mönches und einiger Verschwörer, welche Reue bekamen.

Konstanze starrte dem Kaiser ins Gesicht . . . Er ertrug den Blick nicht – und fuhr zu sprechen fort:

– Halten Sie mich denn für so kindisch, daß ich mich aus einer bösen Laune heraus grundlos ins Unrecht setze, nachdem ich wochenlang bewiesen habe, daß es mir auf Versöhnung und nicht auf Rache ankommt?

– Ist es wahr, antwortete Konstanze, ohne sich auf das Argument Heinrichs einzulassen, ist es wirklich wahr, daß Sie die Leichen Tankreds und seines verstorbenen Sohnes Roger aus der Königsgruft haben entfernen lassen?

– Allerdings. Usurpatoren haben dort nichts zu suchen. Ich habe aber ein jährliches Gedenkfest für die drei letzten rechtmäßigen Normannenfürsten eingesetzt . . .

– Sie haben viele Bischöfe und Geistliche entfernt?

– Haufenweise habe ich die Schmarotzer und Hetzer aus dem Klerus zum Teufel gejagt. Sie hätten das gleiche getan, wenn Sie vorgefunden hätten, was ich vorfand . . .

– Warum haben Sie es mich nicht vorfinden lassen? Warum mich nicht einmal durch regelmäßige Berichte nach Foligno über Ihre Maßnahmen auf dem laufenden 278 gehalten? Warum, Heinrich, haben Sie in ein paar Wochen diesen ›sizilischen Augiasstall ausgemistet‹, wie Sie das Königreich genannt haben sollen, ohne mich nur ein einziges Mal zu fragen? Mußte denn das alles so rasch geschehen? Was haben Sie nicht alles angefangen? Neue Steuerregister aufgestellt, neue Richter eingesetzt, die Befugnisse der Podestà nach römischem Recht geregelt, die Privilegien nachgeprüft. Die Säuberung war notwendig – zugegeben. Aber warum ohne mich?

– Ich habe Ihnen eine widerwärtige Arbeit ersparen und in bester Absicht den Rahmen schaffen wollen, in dem Sie sogleich bei Ihrer Ankunft weiterarbeiten könnten . . .

– Ich? Sie meinen die von Ihnen eingesetzten kaiserlichen Reichsbeamten?

– Ist Ihnen Ihr Kanzler Walther von Pagliara keine Gewähr? Ein Apulier reinsten Wassers.

– Der einzige allerdings, der mir eine Gewähr ist . . .

– Und Ihr Freund, der alte Urslinger, als Staatssekretär des Reiches für Sizilien?

– Gewiß ist er eine menschliche Gewähr. Einer jener wirklich vornehmen Generäle, mit denen es sich besser arbeiten läßt als mit manchen Politikern. Aber was versteht dieser brave alte Schwabe von den verwickelten Verhältnissen Siziliens, in dem vier Völker mit vier verschiedenen Sprachen und Kulturen neben- und miteinander leben? Was soll ein Haudegen wie Diepold von Vohburg als oberster Gerichtsherr in der Terra di Lavoro tun? Ein Konrad von Lützelinhard als Herr der Grafschaft Molise? Sollen sich diese beiden etwa den gefährlichen und verschlagenen Markward von 279 Anweiler zum Vorbild nehmen, den Sie zum Herzog von Romagna ernannt haben? Oder Ihren Bruder Philipp, der in der Hybris seiner achtzehn Jahre geäußert haben soll, daß er sich künftig ›Herzog von Tuskien und Herr aller Lande der weiland Gräfin Mathilde‹ nennen werde, damit der Papst den Koller kriege wie ein Truthahn vor dem roten Tuch? Wie soll ich solcher Leute in meinem Lande Herrin bleiben, die nur in den Begriffen der Beutemacher denken können? Wie soll sie Ihr Gesandter bei meiner Regierung, Konrad von Querfurt, in Schach halten? Sie werden ihn auslachen! ›Das Reich ist groß‹, werden sie sagen – ›und der Kaiser ist über den Alpen . . . Was schert uns so ein Pfaff von Diplomat?‹

– Sie beweisen mir mit jedem Ihrer Worte, daß Sie nicht kaiserlich zu denken vermögen . . .

– Ich glaube viel eher, daß Sie – nicht kaiserlich zu handeln verstehen! Sonst hätten Sie sich nicht selbst den Pfahl ins Fleisch getrieben. Sonst hätten Sie auch nicht den normännischen Königsschatz, der mir gehört, nach Deutschland bringen lassen!

– Sie sollten mir dankbar dafür sein, daß ich ihn dort vor unliebsamem Zugriff bewahre . . .

– Was Sie nicht sagen! Um ihn für Ihre eignen Zwecke zu verwenden, nicht wahr? Sie wollen das deutsche Wahl-Reich in ein Erb-Reich umwandeln? So eine Sache kostet Millionen! Ich habe mir sagen lassen, daß auch die deutschen Fürsten, derer Sie ja zur Durchführung Ihrer Absicht bedürfen, einem gewissen Metall nicht ganz unzugänglich sein sollen. Sie müßten sich über die Verwendung meines Schatzes doch wohl zuallermindest erst mit mir verständigen! Denn ich habe darüber das Verfügungsrecht – und nicht Sie! Und 280 nächst mir mein Sohn und Erbe! Fragen Sie einmal bei dem einfachen Volke nach, wie es nennt, was Sie sich da angemaßt haben! Sie sollten sich nicht wundern dürfen, wenn man Ihr Vorgehen mit einem recht wenig schmeichelhaften Wort bezeichnete! Ich wiederhole Ihnen, was ich schon mehr als einmal gesagt habe: Sizilien ist keine eroberte Provinz, die man ausplündert – und wird es niemals werden. Sizilien verlangt eine größere Sorgfalt, als Sie ihm angedeihen lassen, und eine etwas königlichere Behandlung – –

Cura posterior . . . Ich habe jetzt keine Zeit, an dem Meilenstein meines Weges stehenzubleiben, der Sizilien heißt! . . . Vergessen Sie nicht, daß ich weiter will und muß! Ich kann mich nicht mit Gott weiß was für Rücksichten und Skrupeln da aufhalten, wo für Sie das A und das O Ihres Lebens liegt! Möglich, daß da unten ein paar Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten vorgekommen sind: ich sage Ihnen ins Gesicht: es ist mir gleichgültig! Sie reden zuweilen, wenn Sie die ganz hohe Schule der französischen Rhetorik reiten, von Ihrem ›Gesetz‹. Nun, ich rede von dem meinen! Ich habe einen Riesenbau zu fügen, ich habe mich zu beeilen, solange die Gelegenheiten zu entscheidendem Handeln sich noch bieten. Ich will Ihnen zitieren, was Ihr von Ihnen so sehr geliebter Adjutant Lothar Ingelheim mir wörtlich gesagt hat: ›Ist der weltverbindende Reichsgedanke einmal auf dem Wege der Verwirklichung, so kann er natürlich nicht an beliebiger Stelle haltmachen.‹ Ein sehr gescheites Wort eines jungen Mannes, der damit bewiesen hat, daß er sich die Selbständigkeit seines Denkens zu bewahren weiß. Das Wort eines Deutschen allerdings, dem der 281 Kaisergedanke so selbstverständlich ist wie das Einmaleins! Diesen Kaisergedanken haben Sie – trotz aller zugestandenen Bemühungen – nie verstanden! Er ist eine treibende Kraft durch die Jahrhunderte hin, von deren schicksalhafter Gewalt Sie gar nichts ahnen! Er ist mein ganzes Leben! Er füllt mich aus bis in die letzte Faser! Er ist so groß, so hinreißend, daß er in Gottes Namen, ja, es mag gesagt sein – daß er auch ein paar Ungerechtigkeiten wert ist. Er bedeutet einen ungeheuren Kampf mit dem ewig widerspenstigen Stoff, welcher ›die Menschen‹ heißt. Gegen die Hinterlist können Sie nur mit der Hinterlist kämpfen. Und wenn Sie gegen die ewige Rebellion nicht die abschreckendsten Strafen anwenden wollen, so können Sie sich lieber selbst gleich begraben lassen! Denken Sie wie Sie wollen über alles, was ich Ihnen eben sage – Sie werden mich nicht klein kriegen! Halten Sie Ihre gefühlvollen Reden vor wem Sie mögen – nur verschonen Sie mich damit in Zukunft. Vor meinem letzten Ziele sind auch Sie nur – ein einzelner Mensch . . .

– Und vor meinem, sagte Konstanze, die atemlos dem fanatischen Ausbruch gelauscht hatte, sind Sie – noch nicht einmal ein Mensch!

Die Worte waren mit so aufreißendem Hohn gesagt worden, daß der Kaiser ihre erniedrigende Wirkung fortschwemmte, indem er fortfuhr, als sei er gar nicht unterbrochen worden.

– Genug Sizilien, fürs erste! Jetzt ist Byzanz fällig. Warum habe ich mir am Karfreitag von dem Bischof von Sutri in aller Stille das Kreuz anheften lassen? Ich brauche endlich Frieden mit dem Papst. Ich unternehme den Kreuzzug. Aber ich schlage – wie schon 282 manchmal – zwei Fliegen mit einer Klappe. Ich lockere von Palästina aus die Bindung der byzantinischen Lehensreiche. Ich rolle Ostrom auf. Ob ich es je dem Reich einverleibe, ist eine andre Frage. Wenn es gelähmt genug ist, kann ihm meine Handelsflotte seine Märkte fortnehmen. Darauf kommt es an . . . Ich bin nicht landhungrig. Gold ist besser als kostspieliges Land . . . Warum habe ich die oströmische Erbin Irene mit meinem Bruder verlobt? Um eine Handhabe zu besitzen, falls ich sie brauche. Nicht um ins Blaue hinein Erbansprüche zu verwirklichen . . . Als Tankred dieses bezaubernde Fräulein seinem ältesten Sohne verlobte, wollte er ein Bündnis mit Byzanz. Die Ziele wechseln bei gleichen Mitteln – mit den Bedürfnissen . . .

– Das ist sehr richtig, sagte Konstanze leise. Vergessen Sie niemals, was Sie soeben ausgesprochen haben . . .

– Wenn Sie so sehr darauf bestehen, sollte ich fast meinen, ich habe eine Torheit gesagt.

– Keineswegs. Eine Staatsweisheit höchsten Ranges . . . Da wir gerade bei Ihren Plänen sind, die mich natürlich mehr als je angehen, – wie steht eigentlich die Sache mit Richard von England?

– Gut. Ich habe seine Geiseln. Wenn ihm deren Leben lieb ist, wird er mir Frankreich erobern helfen . . . Ich werde ihn mit dem Arelat belehnen . . .

– Und der Papst Coelestin?

– Was kann er gegen mich tun, wenn ich in Palästina für ihn kämpfe? Er kann nicht gut seine eigne Politik verleugnen . . .

Konstanze gab keine Antwort mehr . . . Sie wußte nun, was sie wissen wollte . . . Auch Heinrich 283 schwieg . . . Lange hingen beide ihren Gedanken nach. Plötzlich fragte Konstanze:

– Sie bleiben bei Ihrem Entschluß, Ihren Sohn in der Obhut der Herzogin von Spoleto zu lassen?

– Ja. Ich wüßte nicht, wo er fürs erste besser aufgehoben wäre.

– Ich auch nicht.

– Sie möchten ihn keinesfalls in Palermo haben?

– Keinesfalls.

– Warum nicht?

– Er wird in der Bergluft von Foligno besser gedeihen.

– Ich glaube auch. Aber leiden Sie denn nicht an der Trennung von ihm?

– Seltsame Frage! Doppelt seltsam aus Ihrem Munde! Seit wann werden Frauen auf dem Thron darnach gefragt, ob sie an einer Sache leiden oder nicht?

– Sie wissen, nahm der Kaiser nach kurzer Pause das Gespräch wieder auf, daß niemand bei Hofe mit dem Namen Konstantin einverstanden ist, den Sie ihm gegeben haben?

– Ich weiß es. Es ist mir gleichgültig wie die Taufnamen sein werden. Für mich heißt mein Sohn Konstantin.

– Er wird nach seinen beiden Großvätern Friedrich-Roger heißen . . .

– Ich habe nichts dagegen . . .

– Sie – haben nie daran gedacht, ihn Lothar zu nennen?

– Nein. Das wäre vermessen. Wer weiß, ob er Lothar Ingelheim ähnlich wird?

– Sie haben ihn Konstantin nach Ihrem eignen 284 Namen genannt. Glauben Sie denn, daß er Ihnen ähnlich sein wird?

– Sie stellen Fragen, die auf mangelhaftes Denken schließen lassen. Ich habe meinen Sohn aus mir geboren. Er lebt zur Hälfte, wahrscheinlich zu Dreiviertel von meinem Blute.

Der Blick des Kaisers wurde böse.

– Sie möchten wohl, daß er Lothar ähnlich wird?

– Finden Sie nicht auch, daß das sehr zu wünschen wäre?

– Nein. Mit Gescheitheit allein ist noch nie ein Weltreich regiert worden.

– Wer sagt Ihnen denn, daß dieses Kind ein Weltreich regieren wird? Zunächst muß es leben und gedeihen . . . Ich denke nicht so weit wie Sie, aber mir scheint, etwas gründlicher . . .

– Bleiben Sie bei Ihrer Gründlichkeit – und lassen Sie mir meine Pläne . . .

– Die lasse ich Ihnen . . . mehr denn je . . .

Der Kaiser stand auf:

– Da Sie mich verabschieden, will ich Sie nicht länger hinhalten. Die genauen Abgrenzungen Ihrer Befugnisse in Palermo werden Sie mit Konrad von Querfurt besprechen. Sie werden dazu auf der langen Reise reichlich Gelegenheit haben. Sie werden gerade bei ihm ein besonderes Verständnis für Ihre Auffassung über Ihre Pflichten finden. Mehr als bei dem Kanzler Pagliara, obwohl Konrad ein Deutscher ist.

– Ich nehme an, auch meine Befugnisse werden sich – den jeweiligen Bedürfnissen angleichen . . .

– Genau wie meine Verfügungen.

– Was dem einen recht ist, ist dem anderen billig. 285

– Reich und Sizilien sind keine Parallelen . . .

– Gott sei Dank nicht! Sie hätten noch unmenschlich viel zu lernen, wenn dem so wäre, Imperator!

– Und Sie haben noch viel zu lernen, Regina . . .

– Der Reichstag von Bari hat es mir bewiesen. Der Weg von Deutschland nach Sizilien ist zehnmal so weit als der umgekehrte . . .

– Was meinen Sie damit?

– Auch Sie haben ja auf Ihrer Heimreise reichlich Zeit, sich darüber mit Ihrem Kanzler zu besprechen.

– Ich warne Sie, Konstanze . . .

– Sie haben mir schon manchmal leid getan, Heinrich. So leid wie heute – noch nie.

– Ich verzichte auf das Almosen Ihrer Bemitleidung. Wenn Sie auch gar nichts mehr zu sagen wissen, müssen Sie doch das letzte Wort haben . . .

– Falsch! Das letzte Wort haben weder Sie noch ich. Das letzte Wort hat Gott, dessen Zeichen Sie nicht verstehen.

– Oder Sie nicht!

– Das wird sich finden . . .

– Nein, das ist gefunden. Für mich wenigstens.

– Dann ist es wohl erlaubt, Sie zu beglückwünschen?

Was kein Besessener erträgt, ertrug auch der Kaiser nicht: Spott in ein Pathos hinein. Dieser gefährlichsten aller Waffen, deren er sich nie zu bedienen gewußt hatte, war er nicht gewachsen. Daß der Faustschlag auf den Tisch die empfangene Wunde nur vertiefe und unter Umständen auch noch die Hand verstauche, hatte er mehr als einmal erfahren.

So verließ er, ohne noch ein Wort zu sagen, das Zimmer – – 286

Einen Augenblick lang dachte die Kaiserin daran, Vaqueiras noch rufen zu lassen. Es schien ihr, sie müsse vor Schwermut ersticken. Aber sie nahm sich zusammen. Sie warf einen Mantel über und trat auf den Balkon. Die Seeluft gab ihr die Herrschaft über sich selbst zurück, wehte allen Nebel aus ihrem Herzen fort und stellte sie mit unwiderstehlicher Kraft in die Notwendigkeit der Stunde. Kristallklar formte sich ihr Gedanke:

– Was rege ich mich auf? War nicht immer diese Kluft des Wesens zwischen ihm und mir? Was will ich? Will ich noch Sizilien als Teil des Reiches? Ja. Was sind sie schon im Begriff zu tun? Es zur Provinz zu erniedrigen, wie die Lombardei im Norden, Tuskien in der Mitte, die Romagna und Ancona im Osten. Ich muß mit allen Mitteln verhindern, daß ihre Absichten verwirklicht werden. Meine Regentschaft muß dem Kaiser beweisen, daß ich – allen Machenschaften zum Trotz – die Königin in einem selbständigen, dem Reiche nur angegliederten Königreiche bin. In den übereilt geschaffenen Wirrwarr der Befugnisse muß ich unzweideutige Klarheit bringen. Alle Fäden, alle, müssen in meiner Hand zusammenlaufen. Die Baronie, die Geistlichkeit und das Volk müssen mein Ohr zu jeder Stunde haben. Zerfällt das Reich, so muß ganz Sizilien wissen, daß seine Königin vom ersten Tage ihrer Regierung an – Sizilianerin war . . . Wird der Druck des Kaisers auf das Land unerträglich, so muß der wirksame Gegendruck geschaffen werden. Mein Recht gebietet es. Mein beschworenes, unverletzliches Recht, das den Kaiser anfallen wird, wenn er es zertreten will . . . 287

Ganz einfach erschien ihr nun die Zukunft. Unverfehlbar der Weg.

Sie dachte an ihren Sohn in den umbrischen Bergen – sie dachte dann an Lothar, der längst die Rückreise angetreten haben mußte – – und atmete beglückt die salzige Luft, während sie darüber nachzusinnen begann, wo im Schlosse Favara und wo im Kasr sie ihm seine Wohnung einrichten werde . . .

 


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