Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Fünftes Kapitel

Salerno, 24. August 1191

Lothar von Ingelheim hatte sich nach dem Abendessen in jene Gartenecke zurückgezogen, wo er gerne noch ein wenig las oder Aufzeichnungen in sein Tagebuch machte. Er hatte lange das leblose Meer in der Tiefe betrachtet, die korallenroten Häuser um die Hafenbucht von Salerno, den Himmel, der in umdunsteten Feuern lag, und eben mit seinem Eintrag begonnen:
        ›Schloß Tarrácina, Salerno, am 24. August 1191‹,
als er von der Terrasse des Palastes her erregte Stimmen hörte. Er ließ die Feder sinken und lauschte. Es war ihm unmöglich, einzelne Worte zu verstehen. Er schaute durch die Blätter der Lorbeerhecke, aber das Geäst war zu dicht, als daß er die Personen hätte erkennen können, welche nun in das Innere des Hauses drängten. Als er eben aufgestanden war, hörte er laufende Schritte auf dem Kies des niedersteigenden Pfades. Gleich darauf stand die Kaiserin vor ihm, aschgrauen Gesichtes, atemlos:

– Lothar: Sie müssen sofort in das Quartier des Grafen Künsberg nach Sarno reiten. Es läuft in Salerno das Gerücht um, der Kaiser sei an der Ruhr gestorben. Cava dei Tirreni ist von Truppen Tankreds besetzt. Die Straße über Mercato San Severino ist noch frei. In Sarno muß man unterrichtet sein. Es besteht über Palma, Nola und Casalnuova noch ein regelmäßiger Stafettendienst.

– Ich reite, Majestät. Ich nehme die beiden Friesen mit, die neulich das Rennen auf dem Posilipp gewonnen haben . . .

– Tun Sie, was Sie für gut halten. Nur setzen Sie sich keiner Gefahr aus – versuchen Sie nichts Unmögliches . . . 150

– Eure Majestät wissen, daß ich dies niemals tue. Das Mögliche jedoch bis zur Grenze . . .

– Kommen Sie mir wieder, Lothar – um Gottes und aller Heiligen willen, kommen Sie mir wieder . . .

– Ich komme wieder.

Die Kaiserin, nicht mehr fähig, zu stehen, setzte sich auf den Platz, den eben noch Lothar innegehabt hatte . . . Sie starrte auf das Meer, ohne zu sehen. Sie versank in Gedanken, ohne zu denken . . . Sie spürte nicht mehr den Schirokko, der die Lüfte zu einem glühenden Netz machte . . . Sie entschloß sich, in den Palast zurückzukehren . . . Da fiel ihr Blick auf das Pergamentbuch, das Lothar in der Hast des Aufbruchs auf dem Steintisch hatte liegen lassen. Gleichgültig nahm sie es an sich, um es bis zu seiner Rückkehr aufzuheben – gedankenlos begann sie dann, in ihm zu blättern: nun erst erkannte sie, daß es seine Aufzeichnungen enthielt.

In diesem Augenblick fühlte sie, wie ihr verworrener Geist sich wieder sammelte. Und es vollzog sich in ihr jener seltsamste Vorgang der Seele, der die Uneinheit unseres Bewußtseins dartut und uns im gefährlichsten Augenblick aus dem Brennpunkt unseres Schicksals in eine heilsame Neugier ablenkt . . . Sie begann, da es noch hell war, zu lesen. Nicht eine Minute lang kam ihr der Gedanke, daß sich so etwas nicht gehöre – und am allerwenigsten für eine Majestät. Im Gegenteil: sie hatte beinahe das Gefühl, daß ihr Lothar Ingelheim dieses Tagebuch wie ein Geschenk dagelassen habe. Es war in feines, gelbliches Kalbsleder gebunden und trug einige Rubintropfen zwischen arabischem Goldfiligran, wie es die 151 sizilischen Hofjuweliere anfertigten. Auf der inneren Seite des Einbandes stand die Widmung:

Riccardus Ajellus Lothario Ingelheim
Amicitiae Panhormi junctae pro memoria

und das Titelblatt wies die Aufschrift:

Lothar von Ingelheim
in serviundo Reginam

Auf dem nächsten Blatt begannen die Eintragungen selbst mit dem Tage, an dem Lothars Ernennung zum Adjutanten der Königin erfolgt war.

Ingelheim, 6. März 1190.

Der König hat mich heute nachmittag um vier Uhr in der Pfalz zu Mainz empfangen. Ich nahm sein Angebot, in die Dienste der Königin zu treten, an, obwohl mir der Verzicht auf die Rückkehr zu meinem Lehrer nach Paris fast unerträglich erscheint. Man darf sich die Gunst der Könige nicht verscherzen. Studien lassen sich nachholen, gute Gelegenheiten kaum. Es ist wichtig, die Mächtigen und ihre Umgebung persönlich zu kennen: im guten und im warnenden Sinn. Der König, welcher nur ein Jahr mehr zählt als ich, kommt mir sehr alt vor. Man sagt, er arbeite mehr als gut ist und bekümmere sich um zu viel Kleinigkeiten persönlich. Ich fürchtete, er wolle mich seiner eignen Person verpflichten – und atmete auf, als er mir sagte, er wünsche mich als Nachfolger Pedros bei der Königin. Der Dienst bei ihr soll angenehm sein. Qui vivra verra. 152

Ingelheim, 16. April 1190.

Es sind Gesandte nach Apulien geschickt worden, um die militärische Lage festzustellen. Die kaiserlich gesinnten Barone in Apulien, die von der Herrschaft des Bastards Tankred nichts wissen wollen, werden wenig erbaut sein, statt eines Heeres den Erzbischof Konrad von Mainz und den Kanzler Dieter ankommen zu sehen.

Ingelheim, 20. April 1190.

Pedro ist heute abend mit dem Schiff nach Straßburg abgereist. Ich weiß nicht, wie ich ohne den Austausch mit ihm zurechtkommen soll, der für mich wie das tägliche Brot war. Er ist in großer Sorge um die Königin, in nicht minder großer um sein Land gegangen.

Ingelheim, 20. Mai 1190.

Der König hat am 13. Mai in Nürnberg seinen endgültigen Frieden mit dem Erzbischof Philipp von Köln gemacht, indem er ihm die seither noch vorenthaltenen Pfänder – Höfe und Güter – zurückgab. Als Gegenleistung hat der Erzbischof seine Teilnahme am Krieg gegen Tankred zugesagt, den man vorbereitet. Pedro scheint recht zu haben: Der Wille des Königs wächst im Quadrat zu den Widerständen, könnte also eines Tages . . .

Gelnhausen, 23.Juli 1190.

Das Ereignis dieser Tage ist der Friede zwischen Heinrich dem Löwen und dem König. Er wurde in Fulda am 14. Juli unterzeichnet. Die Vernichtung des Welfen, die sich der König zum Ziel gesetzt hatte, ist also nicht 153 gelungen. Der Welf bleibt in seinen ihm zustehenden Würden und Besitzrechten. Auch eine abermalige Landesverweisung hat nicht mehr stattgefunden. Als Geisel geht sein zweiter Sohn Lothar nach Augsburg, während sein ältester Sohn, der Erbprinz Heinrich, verpflichtet wurde, den König auf dem Feldzug gegen Tankred zu begleiten. Es gibt Stimmen bei Hof, welche diese Forderung für unklug halten. Der Haß des Erbprinzen gegen den König soll ohne Grenzen und durch eine tiefe körperliche Abneigung mitbedingt sein. Er ist das Bild eines jungen Ritters und so schön, daß ihm alle Herzen zufliegen. Er hat – von seiner Mutter her – eher das Aussehen eines Engländers und erfreut sich der ganz besonderen Gunst seines Oheims Richard Löwenherz. Ohne Zweifel ist er heimlich dessen politischer Parteigänger. Man hält einen anderen Akt des Königs ebenfalls nicht für sehr geschickt: die übermäßig harte Bestrafung des Erzbischofs Hartwig von Bremen. Man hat ihn um seiner Welfenfreundschaft willen seines gesamten Besitzes enthoben und nach England verbannt. ›Wieder ein Schürhaken mehr für das Feuer‹, sagen die Klugen. Die Dummen: ›Man hätte ihn in der Weser ersäufen sollen.‹ Nein: man soll keine Märtyrer schaffen, besonders dann nicht, wenn sie dem Papst gelegen kommen.

Schwäbisch Hall, 30. September 1190.

Der hierher berufene Fürstentag ist in große Trauer versetzt: Der Kaiser Barbarossa ist im Osten beim Durchreiten eines Flusses ertrunken. Es ist zu befürchten, daß der Tod des alten Mannes neue Verwirrungen in Deutschland hervorrufen wird. Der Aufbruch des 154 Heeres zum Kriege gegen Tankred wird sich nun wohl verzögern. Es verlautet, daß die pisanische Flotte für den Feldzug gewonnen ist. Über die Zahl der zur Verfügung gestellten Einheiten konnte ich nichts erfahren.

Ingelheim, 12. Oktober 1190.

Langer Brief von Pedro aus Toulouse. Er schlägt mir vor, bei dem Grafen Raimon Dienste zu nehmen, wenn das Jahr meiner Adjutantenschaft, für das ich vorläufig verpflichtet wurde, zu Ende ist. Was denkt er sich eigentlich? Ist ein Bündnis England-Toulouse nicht mehr möglich?

Ingelheim, 21. Oktober 1190.

Niederlage der Kaiserlichen im September. Marschall von Kalden bei Ariano von Graf Acerra, dem Bruder der Königin Sibylle, besiegt. Der Graf von Andria gefangen oder tot. Der König soll sehr ungehalten über den Kanzler Dieter sein, der die Lage als viel zu günstig schilderte. Ich glaube, daß viele Leute die Neigung haben, eine Sache zu beschönigen. Nicht aus Bequemlichkeit, aber aus einem ewigen (mir unerklärlichen) Bedürfnis, rosa zu sehen. Viele meiner Altersgenossen sehen mich scheel an, weil ich meinen Verstand über mein Gefühl stelle und Selbstkritik für eine der wichtigsten Kräfte halte, die es gibt. Die Militärleute bei Hofe halten meinen Einfluß auf die Königin für schädlich. Als ob eine so kluge und ernsthafte Frau sich von einem Vierundzwanzigjährigen ›beeinflussen‹ ließe. Neid. Sonst nichts. Weh dem, der denkt! Die Furcht vor den Gedanken ist immer der Maßstab für die eigne Unsicherheit . . . 155

Ingelheim, 6. November 1190.

Die Königin ist sehr erregt. Die Welfen sprengen aus, der Prinz Lothar von Braunschweig, welcher als Geisel in Augsburg lebte und am 15. Oktober plötzlich gestorben ist, sei auf Befehl des Königs vergiftet worden. Sind wir in Byzanz?

Ingelheim, 30. November 1190.

Neuer Brief von Pedro. Er werde nach Sizilien gehen, wohin der König Philipp von Frankreich und Richard von England mit ihren Kreuzzugsflotten unterwegs seien. Er wolle sehen, was sich da vorbereite. Was er vorausgesehen habe, scheine einzutreten. Vielleicht falle die Beute einem ›tertius gaudens‹ zu. Wem? Richard? Philipp? Der Kreuzzug wäre nur Vorwand? Der Papst vielleicht sogar im Bunde, um die militärische Aktion König Heinrichs zu lähmen?

Ingelheim, 20. Dezember 1190.

Abschied von den Eltern. Wir brechen zum Zug über die Alpen auf. Innsbruck, Verona. In Rom soll die Kaiserkrönung stattfinden. Man beneidet mich, dabeisein zu dürfen. Ich selbst beneide mich deswegen gar nicht. Die Königin sieht in dieser Krönung einen Schritt, der sie ihrem Endziele um ein gutes Stück näherbringen werde. Mir scheint, ein siegreicher Feldzug wäre wichtiger. Weiß man, welche Bedingungen die Kurie noch stellen wird? Es gehn Gerüchte im erzbischöflichen Palais von Mainz, der König Tankred habe Anfang November schon ein Bündnis mit Richard Löwenherz geschlossen. Die Angst vor Deutschland ist ungeheuer. Die Angst – ich erkenne es immer 156 mehr – und der Neid sind die gewaltigsten Triebkräfte der Welt. Vielleicht noch die Eitelkeit. Ich halte den Grafen von Querfurt für einen sehr eitlen Mann. Ob der König ihn durchschaut? Mein Vater sagt: ›Der König ist kein besonderer Menschenkenner. Er sieht Tausende von Menschen – aber er hat vor lauter Arbeit gar keine Zeit zu einem wirklichen Umgang mit ihnen. Auch ist er viel zu sehr gefürchtet, als daß man sich ihm aufschlösse.‹

Lodi, am 20. Januar 1191.

Die Königin-Mutter Eleonore von England ist heute unter Führung des Grafen von Flandern auf ihrer Reise nach Messina hier durchgekommen. In ihrer Begleitung reist die Prinzessin Berengaria von Navarra, welche dem König Richard Löwenherz verlobt werden soll. Dieser ist aber schon mit Alice, der Tochter Philipps von Frankreich, verlobt. Es bleibt undurchsichtig, welcher Met da zusammengebraut werden soll. Die Gerüchte, welche umgehen, sind so lustig, daß man bedauern müßte, wenn sie nicht wahr wären. (Sie sind sicher wahr.) Die Prinzessin Alice soll von dem alten, vor kurzem verstorbenen König Heinrich II. von England, der immer ein Freund der ›primeurs‹ war, ein Kind haben. Es ist also begreiflich, daß der Sohn nicht ein von seinem Vater entjungfertes Fräulein heiraten will. Da der Papst aus politischen Gründen sich den englischen König warmhalten muß, wird es wohl mit der Eideslösung keine Schwierigkeiten setzen – und da er sich auch mit dem König von Frankreich nicht verfeinden darf, um diesen nicht in das Lager des deutschen Königs zu treiben, wird er die Ansprüche der 157 französischen Krone auf Romanien sicherlich unterstützen und allerhand Versprechungen ins Blaue hinein geben . . . Die Matrone Eleonore aber wird ihrem Enfant terrible, dessen Streiche ihr das Leben schwermachen, die Erbschaft des Königreichs Navarra ins Bett legen . . . Dicunt patati, pensant patatá.

La vie est si douce,
Le monde si beau.

Rom, 4. April 1191.

Der Papst Clemens III. ist gestorben. Ein böser Schlag für die Sache des Königs Heinrich. Wird sich der neue Papst an die Versprechungen des toten halten? Wer wird der neue Papst sein? – Die Königin will niemanden sehen. Sie erträgt die Reise schwer, da sie leidend ist. Die Aufregungen sind ihr nicht förderlich. Sie war zum ersten Male ausfahrend gegen mich, als ich ihr mit einer lustigen Hofgeschichte bessere Laune machen wollte.

Rom, 6. April 1191.

Der neugewählte Papst, Coelestin III., ist ein Mann von 85 Jahren. Deswegen hat er wohl auch seinen Namen gewählt. Er ist ein Bubo-Orsini. Das sagt alles. Regieren wird sein Hintermann, der junge Kardinaldiakon Lothar, Graf von Segni. Und ganz bestimmt nicht in einem für Heinrich freundlichen Sinne. – Soeben, während ich schreibe, höre ich, daß Coelestin III. die Kaiserkrönung verweigert. Grund: der gegen das päpstliche Lehen Sizilien geplante Krieg und die erneuerte Anmeldung der päpstlichen Ansprüche auf die Mathildischen Güter. – Die Königin hat mir einen prachtvollen goldbraunen Mantel geschenkt. Sie ist sehr müde 158 und oft in langem Gebet. – Der König scheint zum Äußersten entschlossen, wenn die Kurie nicht nachgibt. ›Was mein Vater erzwang, kann ich auch erzwingen‹ . . . – Um die Krönung hinauszuschieben, hat der Papst seine eigne Priesterweihe hinausgeschoben. Kein Mensch ahnt im Augenblick, wohin die Dinge treiben . . .

Rom, 11. April 1191.

Die Krönung ist beschlossen worden. Unter harten Bedingungen für den König. Vielleicht überschätze ich, was da versprochen und beschworen wurde. Es ist für mich kein Zweifel, daß der König die Erpressungen des Kardinalkollegs für null und nichtig erklären wird, sobald er Herr der Lage ist. Nur das kaisertreue Tusculum, dessen Herausgabe die Römer forderten und zugesichert erhielten, wird seinem Schicksal kaum entrinnen. Schlimm genug für den kaiserlichen Namen. Ich muß an ein Wort Querfurts denken, das ich einmal auffing: ›Darf man in der hohen Politik überhaupt von Verrat sprechen?‹ Ich hätte ihm am liebsten erwidert: ›Bestimmt nicht, wenn man Ihr Amt bekleidet.‹

Rom, 15. April 1191.

Gestern fand die Krönung des Königs und der Königin statt, nachdem vorgestern Coelestin durch den Bischof Octavian von Ostia die Weihen empfangen hatte. – Ich bin sehr müde von den Anstrengungen des geräuschvollen Tages. – Was dem Pöbel gefällt, ekelt den Mann, welcher weiß, was in den Kulissen gespielt wird. Mundus vult decipi. – Die Kaiserin liegt zu Bett. Als ich ihr einen Korb voll Narzissen schickte, ließ sie mir sagen, 159 die Wiesen um das Kloster Baida seien voll von diesen Blumen: ich habe ihr ein Stück ihrer Heimat geschenkt. – Die apulischen Magnaten verlangen die rascheste Ankunft des Kaisers.

Unterwegs, 29. April 1191.

Wir haben heute die Grenze des apulisch-sizilischen Reiches überschritten, den Gariglianofluß.

Villa Tricarico, Posilipp, Neapel, 26. Juni 1191.

Ich habe sechs Wochen auf den Tod krank gelegen. Typhus und Ruhr. Ich bin noch sehr schwach. Aber ich fühle, daß ich gesund werde. Die Kaiserin besucht mich jeden Tag. Ich habe nie geglaubt, daß sie wirklich ein Gefühl der Zuneigung für mich habe. Sie sagt, wir werden bald nach Salerno übersiedeln, in den Palazzo Terracina. Das einzig Angenehme an diesem ihr unerwünschten Plan sei die Nähe der berühmten medizinischen Hochschule von Salerno. – Der gloriose Vormarsch des Kaisers ist vor Neapel zum Stehen gekommen. Das Heer hält in weitem Halbkreis die Stadt umlagert. Man hat die Ölbaumwälder abgeholzt. Alle Abend sieht man auf den kahlen Höhen die Wachtfeuer brennen. Der Vesuv wirft hellrote Rauchsäulen gegen den Himmel. Die Hitze ist unerträglich. Seit dem Jahre 61 soll es keinen solchen Sommer gegeben haben. Man fürchtet für die Gesundheit der deutschen Soldaten. Es ist ein strenges Verbot ergangen, Obst zu essen. Man will rücksichtslos die Gärten niedermachen oder anzünden, wenn die Mannschaft dem Befehl nicht gehorcht. Auch an dem schweren Käse und dem Weißwein verderben sich die Leute. Ich habe den Eindruck, daß man 160 mir Dinge verheimlicht. Der Leibarzt des Kaisers, Berard, welcher manchmal nach mir sieht, scheint mir sehr besorgt. Aber er antwortet immer ausweichend, wenn man ihn etwas fragt.

Villa Tricarico, 10. Juli 1191.

Eine neue Gesandtschaft der Stadt Salerno ist eingetroffen, um den Kaiser zu bewegen, seine Gemahlin in den Palazzo Terracina übersiedeln zu lassen. Wir werden also morgen hier abreisen. Die Kaiserin ginge lieber nach Spoleto oder Ancona. –

Heute nachmittag wurde bekannt, daß der Sohn Heinrichs des Löwen, Erbprinz Heinrich von Braunschweig, welcher als Geisel das Heer begleitet, mit vielen Herren seiner Umgebung zum Feinde nach Neapel übergegangen ist. Man nimmt an, daß es sich um eine schon in Rom vorbereitete Verschwörung großen Stiles handelt. Die Flucht wird streng geheimgehalten, um das Heer nicht zu entmutigen. Es sind einige Verhaftungen angeordnet worden. Die Ruhr- und Typhuserkrankungen scheinen im Anwachsen. – Die Pisaner Flotte ist angekommen und sperrt den Hafen. – Die Belagerten in Neapel rühren sich nicht. Der Graf von Acerra, der Oberbefehlshaber des apulisch-sizilischen Heeres, scheint zu wissen, warum. – Ich bin von schlimmsten Ahnungen gequält, die ich der Kaiserin verberge. Man nennt nicht vergebens den August in Italien den Mörder der Deutschen. Ich gehe ungern nach Salerno. Ich ginge mit Freude, wenn der Feind aus Neapel vertrieben wäre. 161

Unterwegs, 11. Juli 1191.

Wir reisen in einem großen Bogen um das kampierende Heer herum nach Salerno, über Nola, Sarno und Nocera. Der Grund wird uns verheimlicht. Der Erzbischof von Capua begleitet uns. –

Schloß Terracina, Salerno, 13. Juli 1191.

Heute abend sind wir angekommen. Die Kaiserin ist sehr niedergeschlagen. Kurz hinter Nocera versuchte uns eine Räuberbande anzufallen. Wir nahmen zehn Mann gefangen, welche sofort gehängt wurden. Zwei unserer Leute sind gefallen. Die Stadt hat der Kaiserin einen übertrieben lauten Empfang bereitet, der mich eher besorgte als erfreute. Ich traue diesem Frieden nicht. Auch erachte ich die kaiserlichen Besatzungstruppen für viel zu schwach. Stadtmiliz zählt nicht. Sie tut, was der Podestà von ihr verlangt. Dies oder jenes. – Wie ich abends noch auf der Schloßterrasse wandle, um die Kühle zu genießen, erzählt mir der Kommandant der Palastwache, am Abend des 11. Juli sei die sizilische Flotte unter Margaritus vor Neapel erschienen – und habe am 12. die pisanischen Schiffe verjagt. Diese seien wie durch einen Zufall während eines Nachtgewitters entkommen. Die Verpflegung von Neapel sei also jetzt wieder gesichert . . . Es werde hohe Zeit, daß der Kaiser Neapel einnehme. Als ich ihn frug, ob er die Entsendung der Kaiserin nach Salerno für klug halte, meinte er, es bestehe keine Gefahr. Auch glaube er fest an den kaiserlichen Sieg, sobald erst die Genueser Flotte erschienen sei. Dann bot er sich mir als Führer durch die Bordelle von Salerno an. Er stammt aus Catania. 162 Unfaßlich, warum uns nicht ein deutsches Wachkommando hierher mitgegeben wurde . . .

Schloß Terracina, 30. Juli 1191.

Es scheint, daß ich zu mißtrauisch war. Alles ist ruhig. Die Vorbereitungen zum Sturm auf Neapel sollen mit höchstem Eifer betrieben werden. Der größte Teil der sizilischen Flotte ist abgefahren. Man vermutet, um die genuesischen Geschwader abzufangen. Die Kaiserin ist in besserer Gesundheit. Ich selbst bin völlig hergestellt. Das deutsche Wachkommando, sagte mir die Kaiserin, sei aus Rücksicht auf das ›Ehrgefühl‹ der Salernitaner Bürgerschaft nicht gesandt worden. Aber man habe für ihre Sicherheit die Stellung zahlreicher Geiseln aus vornehmen Familien verlangt und erhalten. Unter ihnen befinde sich sogar der Archidiakon Aldrisius. Ich hätte das Wachkommando trotz allem für wichtiger gehalten als die Schonung eines höchst fragwürdigen Ehrgefühls. Seltsam, wie immer wieder die Witterung der Regierenden gerade dann versagt, wenn sie glauben, ganz besonders feinfühlig zu sein . . .

Schloß Terracina, 12. August 1191.

Heute abend trafen verhängnisvolle Nachrichten aus dem Hauptquartier ein: der Typhus und die Ruhr wüten in der Truppe. Der Erzbischof Philipp von Köln, der Kanzler Dieter und der vielbewunderte und vielgeliebte junge Herzog von Böhmen, welcher mich während meiner Genesung so oft besuchte, sind am 9. August gestorben . . . Man hält die kaiserliche Sache für äußerst bedroht. – Die apulischen Barone seien schon zu Beratungen zusammengetreten. – 163

Schloß Terracina, Salerno, 13. August 1191.

Der Kaiser ist an der Ruhr erkrankt.

16. August 1191.

Es geht dem Kaiser sehr schlecht.

20. August 1191.

Die Kaiserin, vor Erregung und vor Ungewißheit krank, hat heftige Gallenanfälle. Es sind zwei Ärzte bei ihr.

21. August 1191.

Die Kaiserin erholt sich. – Es weht quälender Schirokko.

22. August 1191.

Die deutsche Mannschaft ist vom Pöbel in der Stadt bespien und mit Steinen beworfen worden. Die Kaiserin darf nichts erfahren. Sie spricht mit niemandem.

24. August 1191.

Heute, endlich, trifft deutsche Verstärkung ein. Wie wir hören, um die Kaiserin nach Spoleto zu bringen. Prachtvolle Leute. Eine Wohltat, sie zu sehen und da zu wissen. Gleichzeitig kommt die Nachricht von der Verschlimmerung im Zustande des Kaisers. Die Kaiserin will unter Zurücklassung des Gepäcks noch in derselben Nacht zu Pferd Salerno verlassen, in irgendeiner Verkleidung über das Gebirge nach Norden reiten . . . Sie ist seit gestern von verzweifelter Entschlossenheit . . . Der Podestà erklärt, er könne die Verantwortung für ein solches Abenteuer nicht auf sich 164 nehmen. Sie möge sich noch einen oder zwei Tage gedulden, bis dahin werde sich ihre Abreise in aller Ordnung vollziehen können. – – Sie fügt sich, bittet, daß man die befreundeten Familien der Postillone und Guarna zu Besprechungen in den Palast sende. Man wird verlegen: der kaiserlich gesinnte Adel habe die Stadt schon verlassen . . . Sie bricht in hellen Zorn aus: wem sie denn in dieser Gaunerspelunke, die Salerno heiße, noch trauen könne? Innerhalb einer Stunde habe alles zu ihrer Abreise bereit zu sein oder die Geiseln hätten gelebt. Man habe sie gegen ihren Willen nach Salerno gelockt – habe sich fast angeworfen – sie sei gekommen: nun hafte die Stadt mit ihrer Ehre für sie, die Kaiserin. Das böse Gewissen selbst, schleichen die Abgesandten davon, um nicht wiedergesehen zu werden. Während ich schreibe, gehen Boten auf Schleichwegen nach Sarno, um ein deutsches Bataillon zum Geleit für die Kaiserin anzufordern. Gibt es noch deutsche Bataillone? Tausende sind tot, Tausende im Sterben . . .

Ich kann nicht zur Flucht auf Pferden raten. Ich kenne das Gebirge nicht . . . Ich weiß nicht, wie weit noch die deutsche Postenkette reicht . . . Also warten, bis die Boten zurück sind . . . Warten . . . Das Schlimmste, das es im Leben des Mannes gibt.


– Nicht nur im Leben des Mannes, sagte die Kaiserin laut, als sie zu Ende gelesen hatte und das Buch von sich legte . . . Die verwirrende Bilderreihe der letzten fünfzehn Monate war in den knappen Aufzeichnungen Lothars an ihr vorübergegangen: qualvoll deutlich, 165 qualvoll gegenwärtig . . . Aber was sie nun beschäftigte und erregte, war nicht die Erinnerung an alle diese Erlebnisse: es war der überraschende Blick in das Wesen des Menschen, der täglich um sie war, sie in allen ihren Launen und Stimmungen beobachtete und viel besser kannte als der König selbst. Sie erschrak vor der unfaßlichen Kühle dieser Aufzeichnungen, vor dem vollkommenen Mangel eines Bedürfnisses, die erschütternden Ereignisse, welche da vermerkt standen, auch nur mit dem Hauch eines mitschwingenden Gefühles zu umkleiden. Oder verstand sie auch diese Art von Deutschen nicht? Diese Deutschen, welche zwar gewissenhaft eine Pflicht tun, aber unerreichbar bleiben? Ja, welche gerade durch diese Pflichterfüllung ihr Empfinden in eine schützende Hülle einspinnen und darin so lange bewahren, bis sie es, fern jedem Späherblicke, zum Austrag bringen können? Fast feindlich stieg es in ihr auf: Wer war denn eigentlich dieser Ingelheim? Sie konnte keine klare Antwort finden. Sie hatte einmal mit dem Kaiser über ihn sprechen wollen: das Gespräch hatte Heinrich gelangweilt. ›Genügt es Ihnen nicht, daß er gewissenhaft seinen Dienst versieht?‹ hatte er geantwortet. Nein, es genügte ihr nicht. Es bekümmerte sie, daß sie nicht die geringste Ausstrahlung ihres eignen Wesens auf diesen jungen Menschen verspürte. Er entzog sich nicht ihren Regungen und Anregungen: aber er hatte niemals versucht, von Wesen zu Wesen eine Brücke zu schlagen. Eben diesen Versuch aber hätte sie sich gewünscht . . . Mehr noch . . . Viel mehr . . . Nun, da sie das Tagebuch gelesen hatte, segnete sie ihre Zurückhaltung, die ihr eine gefährliche Enttäuschung erspart hatte. Auch dieser junge Deutsche, sagte sie 166 sich, so kühl er zu denken und zu handeln versteht, lebt, wie die Besten seines Volkes, von dem Geheimnis eines Traumes, das ihn unerreichbar macht . . . Aber eine Stelle, lehnte sich ihr Denken auf, eine Stelle muß es doch geben, wo er erreicht werden kann und sein will . . . ein Herz, dem sein Herz sich erschließt, ein Körper, an dem sein Körper erwacht – –

Und wieder stieg der abseitigste aller Wünsche in ihr auf, wie damals in Como bei der ersten Begegnung: wenn ein solcher Mensch, der sich bewahrt hat, weil er weiß, was er wert ist, mir den Sohn gäbe, meinen Sohn . . .

Es war Nacht geworden über ihrem gequälten Denken. Im Meer, gegen Capri, funkelte durch schwarzen Glanz ein Schein von Abendrot . . . und verlosch plötzlich. Von Amalfi her kam langsam ein Geschwader angefahren. Die Genuesen vielleicht? durchfuhr es sie . . . Aber wenn es die Normannenflotte unter Margaritus wäre? – –

Sie nahm das Tagebuch Lothars und ging gegen das Haus. Die Feuerpfannen am Dach waren gelöscht, die verstärkten Wachen machten ihre Ronden. Als sie eben über die Terrasse in das Vestibül treten wollte, kam ihr Anne de Perche entgegen:

– Majestät: Herr von Ingelheim ist zurück.

– Was?

Lothar stürzte in die Vorhalle.

– Majestät: es gibt kein Durchkommen mehr, weder über Vietri noch über S. Severino. Salerno ist vom Land und von der See her abgeriegelt. Der Kaiser lebt. Er ist gestern früh in das Kloster Monte Cassino getragen worden . . . 167

– Gott sei Dank! . . . Wie hält sich die Bevölkerung von Salerno?

– Gleichgültig. Die Leute sitzen vor den Schenken am Meer, als ob nichts wäre.

– Für diese Leute – ist ja auch nichts.

– Wollen Eure Majestät gestatten, daß ich mich umkleide?

– Sie haben Ihr Tagebuch liegen lassen. Ich habe es gefunden.

Sie hing an Lothars Zügen . . . Nichts . . . nichts . . .

– Ich danke Eurer Majestät . . .

– Und wenn ich es gelesen hätte?

– So hätte ich mich dessen nur zu freuen . . .

– Meinen Sie? Wenn aber das Gegenteil der Fall wäre?

– . . . würde ich meine Nachlässigkeit teuer bezahlen.

– Gehen Sie, kleiden Sie sich um . . . Senden Sie eine Ordonnanz zum Podestà: ich bitte ihn um eine sofortige Unterredung.

Lothar ging ruhig . . . Die Kaiserin rief ihn zurück . . .

– Was gedenken Sie zu tun, wenn man mich gefangennimmt?

– Meine Pflicht, Majestät . . .

– Was heißt das?

– Es wird von den Umständen abhängen, was es zu heißen hat. Über diese Umstände haben wohl schwerlich noch wir, sondern der Admiral Margaritus und vielleicht Graf Acerra, der Kommandant von Neapel, zu entscheiden.

– Und das alles läßt Sie so kalt? 168

– Was hätte irgendjemand dabei zu gewinnen, wenn ich mich aufregte?

– Auch meine Erregung erregt Sie nicht? Begreifen Sie denn nicht, daß in dieser Stunde vielleicht das Schicksal des Reiches gespielt wird – des ganzen Abendlandes?

– Ich bin nur eine kleine Schachfigur in diesem Spiele, Majestät. Ich habe es nicht angefangen und werde es nicht beenden . . .

– Aber ich bin keine Schachfigur! Ich bin die erste Spielerin – und Sie sind mein Adjutant . . .

– Ich werde es bleiben, solange Sie mich nicht von sich weisen – oder rohe Gewalt mich von Ihnen trennt . . .

– Man wird Sie mir nicht lassen . . .

– Man wird mich Ihnen lassen, Majestät, sofern Sie es wünschen. Ich habe einen sehr guten Freund in Palermo, von dem ich niemals spreche. Er ist zwar unser politischer Gegner – aber er versteht Person und Sache zu trennen. Er wird ein Letztes für mich tun.

– Ich weiß es. Richard Ajellus, Sohn des Kanzlers.

– Ja, Richard Ajellus, wiederholte Lothar, den überhellen Blick lächelnd in den der Königin heftend, jenen enthebenden, abschließenden Blick, welcher jeder Frau, sei sie wer sie sei, einen Befehl erteilte und ihm seit dem Abend von Como die Zuneigung der Kaiserin gewonnen hatte . . .

Auch nun fügte sie sich, plötzlich dankbar dafür, daß eine eiskalte, rücksichtslos männliche Überlegung die Herrschaft über diese tragische Stunde ergriffen hatte. 169


Um halb elf erschien, gefolgt von einer Abordnung, der Podestà, ein alter Mann mit weißen Haaren und einem traurigen Gesicht: er sei ohnmächtig und unschuldig an dieser unerwarteten Wendung der Dinge. Er wisse, daß er nun für alle Zeiten als Verräter gebrandmarkt bleiben werde. Er müsse das große Unrecht, das die Vorsehung ihm aufbürde, in Demut hinnehmen.

Die Kaiserin unterbrach ihn heftig:

– Lassen Sie diese Salbaderei. Sie gehört in den Beichtstuhl, aber nicht hierher. Ich will wissen, was Sie zu tun gedenken . . .

– Ich habe bei Androhung des Beiles im Falle der Weigerung Befehl aus Neapel, Eure Majestät bis zur Ankunft der Flotte in Gewahrsam zu nehmen . . .

– Von wem?

– Von dem Grafen Acerra und dem Erzbischof Nicolaus Ajellus.

– Und Sie werden gehorchen?

– Was bleibt mir übrig, Majestät?

– Wenn ich Sie wäre, wüßte ich, was mir übrigbliebe . . . Sie gehen mich nichts mehr an, Podestà. Ich will wissen, was mit den wenigen kaiserlichen – und vor allem deutschen – Soldaten geschieht, die in meinen Diensten ihre Pflicht erfüllt haben . . . Ich verlange freien Abzug für diese Leute. Vergessen Sie nicht, daß Geiseln in Händen des Kaisers oder seiner Stellvertreter sind, Geiseln, an denen Ihnen gelegen sein muß.

– Majestät, sagte ein Herr, der nun aus dem Kreise der Abordnung vortrat, ich bin Elias von Gisualdo und spreche als Bevollmächtigter meines Königs Tankred, des Erlauchten Neffen Eurer Majestät: es ist niemand 170 auf seiten der nationalen apulisch-sizilischen Regierung gesonnen, Männern, die ihre Pflicht erfüllt haben, Böses anzutun. Alle Kaiserlichen und Deutschen haben freien Abzug und Anspruch auf Schutz gegen den Pöbel. Sie können in jeder Minute gehen – und müssen bis morgen abend die Stadt verlassen haben, einschließlich Ihres Adjutanten, des Herrn von Ingelheim.

– Es ist mein Wunsch, Herr von Gisualdo, bei Ihrer Majestät zu bleiben. Ich bin ihr mit meinem Eide verpflichtet.

– Ich verstehe Sie, Herr von Ingelheim. Ich habe jedoch keine Vollmacht, Ihrem Wunsche zu willfahren . . .

– Wer hat Vollmacht?

– Der Admiral Margaritus, auf dessen Schiff ich Ihre Majestät noch heute nacht zu verbringen habe.

– Gut. Sehr gut. Dann bitte ich um die Erlaubnis, Ihre Majestät noch bis zu dem Admiral begleiten zu dürfen. Ich möchte die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, dem größten Seehelden unserer Zeit meine Aufwartung zu machen. Sie müssen wissen, daß ich vor drei Jahren häufiger Gast in seinem Hause war und einen Degen besitze, den er mir geschenkt hat.

– Es ist mein Wunsch, Lothar, sagte die Kaiserin, daß Sie Herrn von Gisualdo bis zu unserer Ankunft bei dem Admiral Ihre Waffen anvertrauen.

Gisualdo verneigte sich:

– Ich danke Eurer Majestät für diesen großen Beweis des Vertrauens. Ich bitte Herrn von Ingelheim, seine Waffen zu behalten. Wenn Eure Majestät noch Befehle an mich haben . . .

– Ich möchte mich von meiner Wache verabschieden 171 und die Verpackung der Dinge überprüfen, die ich mitzunehmen gedenke. Wie viele Dienerinnen sind mir gestattet?

– So viele als Eure Majestät bedürfen . . .

– Ich beanspruche nur meine erste Dame, die Gräfin von Perche, und meine Kammerfrau Berengaria. – Sind Sie ermächtigt, Herr von Gisualdo, mir das Ziel meiner Reise zu nennen?

– Messina.

– Ich danke Ihnen.

Nun drängte der Podestà noch einmal vor:

– Wollen Eure Majestät mir nicht wenigstens die Hoffnung lassen, es könne mir eines Tages verziehen werden?

– Nein. Sie haben sich der gröbsten Pflicht- und Ehrverletzung schuldig gemacht, die es gibt. Wie Sie mit Ihrem Gewissen fertig werden, ist Ihre Sache. Sie hatten die Möglichkeit, mich beizeiten über eine Lage aufzuklären, die mir unbekannt und Ihnen bekannt war, mehr als bekannt, Podestà! Sie konnten mich unter sicherem Geleit in das Hauptquartier des Kaisers bringen lassen, solange es noch Zeit war. Gehen Sie! Sie sind unwünschenswert und überflüssig.

 

Das Admiralsschiff lag hellerleuchtet auf der Höhe der Bucht, als die Kaiserin es mit ihrem kleinen Gefolge um die zweite Morgenstunde betrat. Da man das Hafenviertel abgesperrt hatte, war die Übersiedelung von Schloß Terracina bis an Bord vor sich gegangen, ohne 172 daß das Volk sie gewahr geworden wäre. Der Graf Margaritus empfing die Fürstin – nach dem Zeremoniell des sizilischen Hofes – in der Kniebeuge vor den doppelten Reihen einer Ehrenwache, welche aus palermitanischen Matrosen zusammengestellt war. Als sie ihn mit einer Kopfneigung begrüßt hatte, geleitete er sie in die bereitgestellten Staatskabinen.

– Ich gehorche nur den Befehlen, Majestät, die mir von der Regierung zugegangen sind.

– Ich weiß es, Admiral.

– Eure Majestät können alle Ansprüche erheben, die der Erlauchten Tochter unseres Großen Königs Roger gebühren.

– Ich stelle keinerlei Ansprüche an Sie, Admiral. Ich weiß, in wessen Händen ich bin.

– Ich habe nie daran gezweifelt, daß Eure Majestät mir mit Vertrauen begegnen würden. Darf ich fragen, ob Eure Majestät noch irgendwelche Wünsche haben für heute nacht? Für Erfrischungen und Bequemlichkeiten ist so weit gesorgt, als es das Admiralsschiff zuläßt. Auch der Lieblingswein Eurer Majestät, der Altarello vecchio aus der Conca d'oro, ist bereitgestellt. Ebenso die Pistazienkuchen aus der Konditorei Chajim vom Chalessaplatz, welche wir zufällig bei uns führen.

Konstanze lächelte, um zu verhindern, daß ihre Augen feucht wurden . . .

– Ich danke, Admiral.

– Wünschen Eure Majestät, daß erst morgen vormittag Befehl zum Fahren erteilt werde oder sogleich?

– Sobald Sie, Admiral, noch eine Entscheidung getroffen haben, die bei Ihnen allein steht. Mein Adjutant, Herr von Ingelheim, dem Sie während seines 173 palermitanischen Aufenthaltes mit so großer Freundschaft begegnet sind, möchte mich nicht verlassen, zum mindesten nicht, bevor Ihr König Tankred über mein zukünftiges Schicksal verfügt hat. Ich bitte Sie, ihm den Wunsch, der für seine Gesinnung spricht, zu erfüllen.

– Der Wunsch ist erfüllt, Majestät. Ich bin glücklich, ihn an Bord zu haben. Ein junger Deutscher, der seinem Vaterlande höchste Ehre macht.

– Weisen Sie ihm eine Offizierskabine an. Seinen Degen empfangen Sie aus seiner Hand.

– Niemals, Majestät. Wer sich in Pflichterfüllung freiwillig in Gewahrsam begibt, ist in meinen Augen kein Gefangener, sondern ein Gast. Auch der König, dessen seien Sie gewiß, wird ihn nur als solchen behandeln.

– Ich danke Ihnen abermals, Admiral, und bitte Sie, mich nun zu verlassen. Ich bin müde – und werde sicher schlafen, sobald ich spüre, daß wir fahren . . .

– Möge diese unfreiwillige Reise in die Heimat, Majestät, sich für uns alle zum Guten wenden. – –

 

Lothar Ingelheim war in dem Vorraum mit Gisualdo zurückgeblieben. Als der Admiral wieder erschien, lockerte er den Degengurt . . . Aber schon hatte sich eine feine, mit vielen Ringen belastete Hand auf seinen Arm gelegt . . .

– Was tun Sie, mein junger Freund – – Gisualdo, Sie können an Land zurückfahren. Ich lege Ihnen nochmals den gesicherten Abzug der Deutschen ans Herz, für den Sie haften. Sie werden in Kürze von mir hören.

Eine Viertelstunde später verließ das Schiff die Bucht 174 von Salerno mit südlichem Kurs auf Lipari-Messina. Der Admiral hatte Lothar zu sich gebeten:

– Essen Sie, trinken Sie, mein Lieber. Ich kann mir denken, was diese letzten Wochen für Sie waren . . .

– Sie waren ein großes Erleben, mein Admiral, und eine gewaltige Lehre zu allen anderen, die ich in meinem Leben schon empfangen habe.

– Welche Lehre?

– Niemals den Überblick zu verlieren und sich niemals von den Erregungen des Augenblicks fortschwemmen zu lassen. Mein Staunen vor den unberechenbaren Verkettungen der Geschehnisse ist so groß geworden, daß ich gar nicht verstehen kann, wieso sich Menschen in irgendwelchen Vorgefaßtheiten festrennen können.

– Das kann ich auch nicht verstehen . . . Wissen Sie, was Sie sollten, lieber Freund? Sie sollten, wenn sich die Zeiten beruhigt haben, einmal eine große Seereise mit mir durch das ganze Mittelmeer machen – und darüber hinaus an die Westküste von Afrika . . . Ich würde Ihnen Dinge zeigen, daß Ihnen der Atem stillsteht! Nur wir Seeleute wissen ja wirklich etwas! Menschen ohne Meer laufen immer Gefahr, an ihrem Drang nach ›draußen‹ zu ersticken, den ihnen die Enge geradezu befiehlt. Das Meer ist die Welt. Das Meer ist die Unvoreingenommenheit. Das Meer ist die Schwester des Schicksals. Das Meer ist auch der Überschuß an Möglichkeiten.

– Der Überschuß an Möglichkeiten! Das ist ja genau, mein Admiral, was ich in meinem Leben gewollt habe, seit ich denken und sehen lernte . . . Darf ich ganz offen sprechen? Ich kann nicht mehr so sehr verzweifelt 175 sein über dieses ›Verhängnis von Salerno‹, wie es die Kaiserin heute genannt hat, wenn ich in die Waagschale werfe, daß diese Nacht mir ein solches Gespräch mit einem Manne Ihres Ruhmes schenkt. Ich bin von Natur gewiß nicht vertrauensselig: aber ich habe ein unbegrenztes, ein vielleicht sündhaftes Vertrauen in das Bedeutsame an sich . . . Ich habe einen fast körperlichen Ekel vor dem ›Allgemeinen‹, vor dem ›Durchschnittlichen‹ – gleichgültig, wo es mir begegnet.

– Wein! Filippo! – Ja, das ›Allgemeine‹, das ›Durchschnittliche‹! Es ist, was einer aus ihm macht. Aber was auch einer aus ihm mache: es bleibt immer dürftig. Und es wirkt am dürftigsten da, wo es sich am hochtrabendsten gebärdet! Haben Sie von dem neuesten Unfug gehört, den jetzt dieser Abt Joachim von Fiore treibt? Deutet die Apokalypse auf die heutige Zeit! Und Könige lassen sich den erleuchteten Rechenmeister aus seinem kalabrischen Bergnest kommen – und wiegen ihm sein Geschwafel mit Gold auf! Fragen Sie einmal einen großen arabischen Gelehrten, was der dazu sagt . . . Der greift sich in seinen Bart, wenn er einen hat, und erwidert: ›Allah ist groß‹ . . . Ja, Allah ist groß – das wissen wir vom Meer – das lernen wir alle Tage neu – aber wir wissen auch, daß der Herr der Schöpfung alle lebendige Kreatur in die Gesetze des Kämpfens verwiesen hat, daß immer Macht mit Macht ringt, auf die verschiedenste Art, und daß der Bestand der Dinge ›beständig‹ wechselt, auch da, wo wir es gar nicht sehen . . .

– Ist es eben deswegen, sagte Lothar sehr langsam, nicht notwendig, daß man sich von diesem ewigen Wechsel innerlich so unabhängig mache wie möglich? 176

– Gewiß. Es gibt verschiedene Arten, dies zu tun: einmal, indem man selbst als Täter neuen Wechsel schafft – oder, indem man durch die Zucht des Geistes zur Weisheit vordringt . . .

– Zur Weisheit, lächelte Lothar . . .

Sie tranken und schwiegen lange. Lothar, von seiner rheinischen Heimat an die Wirkung vielen Weines gewöhnt, spürte jene traumhafte Gelöstheit des Wesens, in welcher alle Fragen beantwortet sind . . .

Wie in einer Traumgeste schob er den wehenden Seidenvorhang vom Fenster zurück.

Milde, starke Seebrise strich in den heißen Raum.

– Sehen Sie, mein Admiral, sehen Sie . . .

Margaritus, an das Meer gewöhnt wie Lothar an das Fließen des Rheines, lächelte, während er die Schulter drehte und in das Dunkel schaute: neben der schlanken, unbewegten Silhouette eines Matrosen, der am Geländer auf Wache stand, stürzten die Spätsommersterne ins Meer, einer nach dem andern – –

– Da drüben, sagte Margaritus, sind die Tempel von Poseidonia . . . Wenn Mond wäre, könnten Sie die Säulen leuchten sehen – – Kommen Sie, wir wollen schlafen gehen. Ich will Ihnen zeigen, wie Sie in Ihre Kabine gelangen . . .

Als sie auf den Gang hinaus traten, stockte ihr Schritt: Am äußersten Geländer des Hinterdeckes lehnte, in einen weißen Abendmantel gehüllt, die Kaiserin. Ihre Augen hingen an den Wassern, durch die das Schiff sie davontrug.

 


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