Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Sechstes Kapitel

Rom, 29.August 1191
Baida, 24. Mai 1192 / Ceprano, 2. Juli 1192
Eger, 26. Dezember 1192

Der Papst Coelestin fiel in Wut, als man ihm am 29. August die Gefangennahme der Kaiserin mitteilte.

– Dieser Lausbubenstreich, schrie er, zu dem jungen Kardinal Lothar von Segni gewendet, kann uns um die Früchte unseres gesamten Erfolges bringen. Wahrscheinlich haben diese Hornochsen geglaubt, der Kaiser sei an der Ruhr gestorben . . . Er denkt nicht daran! Er ist auf dem Wege der Besserung! Und selbst wenn er gestorben wäre, stand es mir, dem Lehnsherren von Apulien-Sizilien, zu, mit der Kaiserin Konstanze über einen Verzicht auf ihr Erbe zu verhandeln! – Man lehre mich Heinrich kennen! Es gibt Naturen, die an den Widerständen zerbrechen – es gibt andere, und zu ihnen gehört der Kaiser, die an ihnen zu Dämonen werden. Wer hat diese Infamie nun auszufressen? Niemand anders als wir! Ich werde dem Grafen Acerra und diesem aufgeblasenen Erzbischof von Salerno, dem die Kurie nicht mehr gilt als dem Staufer, heimleuchten, daß ihnen Hören und Sehen vergeht . . .

– Glauben Eure Heiligkeit nicht, daß die eigentlichen Urheber dieses Schrittes die Ratsherren von Salerno selber sind, die sich bei Tankred einen roten Rock verdienen wollen? fragte der Kardinal . . .

– Urheber her, Urheber hin: der Befehl zur Verhaftung ging von den Drahtziehern in Neapel aus! Ich bin fest überzeugt, daß auch Tankred diese Sache höchst ungelegen kommt . . .

– Sicherlich kam der Befehl nicht von ihm! Dazu wäre ja auch gar keine Zeit gewesen. Von Messina nach Salerno ist ein langer Weg . . . Er wird sich mit der Tatsache abfinden müssen und sehen, was er daraus macht . . . 180

– Das, was Ich ihm befehle! Noch heute nacht geht der Brief an ihn mit einem Schnellruderer nach Messina. Die Kaiserin ist freizulassen. Auf der Stelle – und Mir zu übersenden. Ich werde sie dem Kaiser zurückgeben. Ich!

– Der zweite rote Rock in dieser Komödie, dachte der Kardinal – aber er sagte:

– Sind Eure Heiligkeit so sehr davon überzeugt, daß Tankred ohne weiteres gehorchen wird?

– Gehorchen wird? Ich werde ihm Gehorsam beibringen! Haben wir vielleicht nicht immer noch die Wahl? Wenn mich Heinrich und Konstanze als Lehnherren anerkennen – was hindert mich, ihre Partei zu ergreifen?

– Nach der Eidesentbindung der Barone? Nach der gutgeheißenen Krönung Tankreds?

– Die Kurie, Graf Segni, steht jenseits solcher laienhaften Erwägungen. Die Kurie biegt ein jedes Ding dahin, wo sie es haben will . . .

– Nun, so biege, du größenwahnsinniger Schwachkopf, dachte der Kardinal – aber er sagte:

– Es würde sich wohl lohnen, dieses Ding so zu biegen, daß wir in jedem Falle die Nutznießer wären . . . Vorteile hier, Vorteile dort . . .

Coelestin trommelte mit den wachsbleichen, fünfundachtzigjährigen Fingern auf der goldnen Tischplatte:

– Der Brief an Tankred geht ab. Noch heute nacht. Haben Sie verstanden?

– Ich bedaure, daß Eure Heiligkeit sich schädlichen Erregungen aussetzen. Ich bin durchaus für die Absendung dieses Briefes – – nur über seinen Inhalt wird zu reden sein . . . Die Kurie hat gar keinen Vorteil von 181 einer allzu hastigen Erledigung dieser Angelegenheit. Der Kaiser kann vorläufig nicht daran denken, ein neues Heer auszurüsten . . . Die Ruhr und der Kreuzzug sind unsere besten Bundesgenossen gewesen. Er wird ja wohl – nach der Katastrophe vor Neapel – auch in Deutschland allerhand Nüsse zu knacken bekommen, die wir ihm vom Baum schütteln . . . Der Welf wird sich nicht gerade hinter den Ofen verkriechen – dem Fürstenbund könnte man einiges Leben einblasen – man könnte, ganz allgemein gesprochen, dem König für königliche Beschäftigung sorgen. Auch in der Lombardei, auch in Tuskien . . . Der Orte sind viele, wo man einen kleinen Brand entfachen kann . . . Tankred würde erkennen und anerkennen müssen, daß wir für ihn arbeiten . . . A tout travail sa récompense . . . In unseren Konkordaten mit Sizilien, vor allem in dem von Benevent aus dem Jahre 56, kommen wir ein wenig zu kurz. Das ließe sich korrigieren . . . Tankred würde wohl verstehen, was wir meinen – besonders, wenn wir uns als Friedensvermittler zwischen einem vollauf beschäftigten Kaiser Heinrich und ihm anböten. Dem Kaiser seine Gemahlin, von der er immer noch nicht den Erben hat, zurückzugeben, ist vielleicht nicht so unwesentlich, wie es scheinen könnte . . . Deshalb sollte man diese Karte nicht sogleich aus dem Spiel ziehen.

– Die Kurie überstürzt sich niemals, Kardinal. Das Tempo, für das sie sich jeweilig entscheidet, steht immer im genauesten Verhältnis zu ihrem Vorteil. Wir dürfen um keinen Preis auch nur in den Verdacht geraten, die Gefangenschaft der Kaiserin zu begünstigen oder gar gutzuheißen. Deshalb ist der Kaiser sofort von unserem Schritt bei Tankred zu unterrichten. 182

– Einverstanden. Ich würde sogar vorschlagen, die Kaiserin von diesem Schritt unterrichten zu lassen.

– Durch wen?

– Vielleicht durch den Erzbischof Offamilio, ihren Parteigänger.

– Nein. Durch unsren Legaten. Ich bin kein Freund von Taktlosigkeiten . . . In dem Schreiben an Tankred ist zu verlangen, daß die Haft der Kaiserin nur der Form nach bestehe.

– Eure Heiligkeit kennen das Wesen Tankreds. Er wird sich nicht wider das eigne Blut versündigen. Er ist wirklich ein König.

– Was heißt ›wirklich‹, Kardinal?

– Wir haben allerlei Könige erlebt . . . Eure Heiligkeit ermächtigen mich, die Texte für die drei Briefe aufzusetzen?

– Jawohl. Und ich befehle Ihnen, sie mir vorzulegen . . .

 

Während dieses Gespräch in Rom geführt wurde, war das Admiralsschiff schon unterwegs, um die Kaiserin nach Palermo zu bringen.

Tankred war in Messina an Bord gekommen, um sie zu begrüßen und nach ihren Wünschen zu fragen: Er sei selbst durch die Tatsache ihrer Gefangennahme überrascht worden. Sie möge sicher sein, daß sie die Haft nicht verspüren werde. Er könne ihr – was sie verstehen werde – nicht völlig freie Bewegung gestatten. Sogar zu ihrem eignen Vorteil nicht. Sie möge ihren 183 Aufenthaltsort in Palermo wählen. Kasr und Favara seien von der königlichen Familie bewohnt. Aber Zisa und Cuba stünden ihr zur Verfügung.

Sie wies das Angebot zurück. Was sie beanspruche, sei Freilassung und Rückbeförderung. Wenn man ihr diese verweigere, wünsche sie während ihrer Haft bei den Grauen Schwestern in Baida zu bleiben – und zwar in der Tracht dieses Ordens. Sie wünsche keinerlei Verbindung mit dem Hofe. Auch eines Adjutanten bedürfe sie nicht, solange die Verhandlungen über ihre Rückkehr nicht begonnen hätten. Lother Ingelheim möge bei Richard Ajellus wohnen, mit dem er befreundet sei, und seine arabischen Studien betreiben. Wolle man seine Anwesenheit in Palermo nicht, so möge man ihm freies Geleit nach Rom geben oder nach Paris.

Er sei kein Gefangener, er sei ein untadeliger Ritter von vollendetem Pflichtgefühl, hatte Tankred erwidert, und in Palermo so frei wie irgendwo. Wenn sie seiner bedürfe, genüge ein Wort . . .

Nun hatte sie gedankt. Mit derselben ruhigen Stimme, mit der sie gesprochen und den König fast verwirrt hatte. Beim Abschied war ausgemacht worden, daß Tankred sie bald in Baida aufsuchen und über den Gang der Ereignisse in Europa unterrichten werde. Ihr Verkehr mit Deutschland und den palermitanischen Freunden solle über die Staatspolizei gehen. Es sei nicht anzunehmen, daß man Richard Ajellus als Verbindungsoffizier bestellen werde: weit eher den Grafen Gaëtano Avellino, dessen Tante die Äbtissin von Baida sei.

Als das Schiff dann abgefahren war, hatte Tankred eine große Bewegung nicht verbergen können. Er wäre 184 glücklich gewesen, ein noch so kleines Anzeichen einer ähnlichen Bewegung bei Konstanze festzustellen. Es war ihm nicht gelungen. Ernst, abwesend, gleichgültig hatte sie vor ihm gestanden: Kaiserin – sonst nichts. Bekümmert hatte er sie verlassen, nachschaudernd noch in dem Gedanken, den seine Gattin Sibylle ihm hatte einflüstern wollen, ehe er an Bord gegangen war: Konstanze sei sofort zu beseitigen, damit ein für allemal die Erbfolgefrage aus der Welt geschafft sei.


Konstanze wußte, daß die große Prüfung ihres Herzens erst mit der Anfahrt an Palermo beginnen würde. Sie hatte Lothar gebeten, sie allein zu lassen . . . Sie stand am oberen Deck. Niemand war ihr gefolgt. Schon waren in der aufgehenden Sonne die flachen Dächer von Bagheria erschienen, das lilarote Kap Zaffarano, die traubenblauen Hügel von Solunt . . . Nun flammte der ewige Pellegrino in korallenblassen Feuern am Ende der Hafenbucht . . . Die schneeweißen Minarette der Moscheen tauchten auf, die ziegelroten Kuppeln, die Saat der angeglühten Häuserwände, die goldgrüne Woge der Conca d'oro – – Regungslos, teilnahmslos stand die Kaiserin . . . sich selber unbegreiflich, fast unheimlich . . .

Nichts, nichts lebte in ihr: nur der eine Gedanke des Rechtsbruches, der diese Stunde geboren hatte, und der herrische Wille, sich nicht zu beugen, komme, was da wolle. Sie befahl, daß das Schiff vor Acquasanta lande. Sie wollte den Hafen nicht betreten. Sie wollte – abseits von Palermo – unbemerkt an Land gehen, geradeswegs hinauf nach Baida: zu dem Bilde der 185 Schwarzen Madonna, der sie sich für die Dauer dieser Gefangenschaft anbefohlen hatte.

Schon am Abend des gleichen Tages war sie im grauen Kleide der Schwestern von Baida untergetaucht: nicht mehr die Prinzessin Konstanze von Hauteville, die Erbin Apuliens und Siziliens, nicht mehr die Königin von Deutschland, die Herrin von Italien und von Burgund, die Kaiserin des Römisch-Deutschen Reiches: nur noch eine bekümmerte Frau, welche sich rüstete, lange mit Gott zu sprechen.

 

Acht Monate vergingen, ehe sie aus einer Versunkenheit auftauchte, deren Wunderkraft nur sie allein kannte. Bestätigt in Gott, war sie zehnfach bestätigt in ihrem Willen. Und als nun – zum zweitenmal seit ihrer Ankunft – der König Tankred um eine Unterredung bat, ließ sie ihm nicht mehr – wie im vergangenen Herbste – bedeuten, die Schwelle ihrer Klosterzelle sei eine unüberschreitbare Grenze . . . Diesmal empfing sie ihn: heiter fast, in dem Gartensaal ihres Hauses, das über den Zypressenwipfeln des Klosters lag. Nicht mehr im grauen Gewand: in einem weißen Sommerkleid, dessen Seide im Tiraz ihres Vaters Roger gewoben worden war.

Tankred, überrascht von dem Anblick der Frau, welche vor ihm stand, wurde befangen. Die Voraussetzungen, auf denen er sein sorgfältig zurechtgelegtes Gespräch aufgebaut hatte, waren gar nicht vorhanden. 186 Statt einer niedergeschlagenen, frömmelnden Frau fand er abermals nur die – Kaiserin: liebenswürdig, entgegenkommend – ferner als je.

Das Bewußtsein seiner körperlichen Häßlichkeit steigerte seine Unsicherheit. Er fand keine Anrede. Konstanze spürte, was in ihm vorging. Sie erkannte sogleich den Vorsprung, den seine Unbeholfenheit ihr gab. Die natürliche Wirkung ihrer Erscheinung hatte erreicht, was die ausgeklügeltste Berechnung nicht vermocht hätte. Die Ferne, aus der sie nach so langer Versunkenheit kam, war eine Macht durch sich selbst, wirksam in dem, der sie in sich trug, wie in dem, der ihren Bannkreis betrat . . . Sie eröffnete das Gespräch:

– Sie sind erstaunt, mich in anderer Verfassung zu finden, als Sie dachten? Ich sehe es Ihrem Gesichte an.

– Ich bin es in der Tat. Man hatte mir Schilderungen von Ihrem Leben in Baida gemacht . . .

– Was war schon über dieses Leben zu sagen? Sie wußten doch durch mich selbst, daß ich mir acht volle Monate Schweigen und Abgeschiedenheit auferlegen würde. Sogar meine Hofdame, die Gräfin Perche, habe ich auf Ferien nach Frankreich geschickt. Sie wird erst in einer Woche zurückkehren. Nur meine Kammerfrau ist bei mir geblieben, weil ich oft leidend bin.

– Sie haben alle Ihre Briefe bekommen?

– Alle? Ich weiß nicht. Ich hoffe es. Ich vermute, daß meine kurzen Erwiderungen an den Papst und an den Kaiser auf der Staatskanzlei in Abschrift vorliegen. Sie dürften Ihnen also wohl bekannt sein.

– Ja. Seit meiner Rückkehr aus dem Felde, vorige Woche.

– Das ist gut. 187

– Sie werden also wissen, wie kühl ich die Lage beurteile, nachdem ich Zeit genug hatte, nachzudenken und abzuwägen . . .

– Ich bin voll Bewunderung für Ihre Haltung.

– Sie selbst haben es mir ermöglicht, hier, in der Stille meines Klosters, aus der Kreuzung der Gefühle in die Klarheit zu treten. Dafür gebührt Ihnen mein Dank. Sie hätten mit mir umspringen können, wie manche große Herren dieser Zeit es mit Frauen tun – mich in einen Turm sperren, in Ketten legen . . . Sie hätten mich in jeder Weise quälen, erniedrigen, Sie hätten mich töten können – – Sie haben mich in mir selbst versinken lassen: in der längsten und gründlichsten Rechenschaft, die ich mir jemals abgelegt habe . . .

– Und als welcher Mensch sind Sie aus diesem Versunkensein wieder aufgetaucht?

– Als der, den Sie vor sich sehen. Als kein anderer. Ich werde das graue Kleid der Schwestern nicht mehr anziehen. Niemals mehr. Ich bin zurückgetreten an meinen irdischen Platz.

Tankred schaute auf die ferne Bucht von Castellamare, welche zwischen zwei Zypressen in die heiße Abendstunde herüberblaute. Konstanze betrachtete ihn. Ohne Haß, ohne Bitterkeit. Milde, wie man auf Überwundenes schaut.

– Sie wissen das Wichtigste noch nicht, sagte er ohne Übergang, fast rauh.

Sie sah ihn fragend an.

– Sie sind frei.

Sie lächelte. Dieses Lächeln, etwas abwesend ungläubig und von einer kaum merklichen 188 Kopfneigung begleitet, war wieder eine Frage. Es war als solche verstanden worden:

– Der Papst hat sich für Ihre Entlassung eingesetzt. Ich und meine Regierung haben seinem Wunsche willfahren. Hier ist die Staatsurkunde, welche Ihnen Ihre Befreiung bestätigt.

– Bewahren Sie sie lieber zur Erinnerung an einen verhängnisvollen Irrtum Ihrer Regierung in den Archiven des Kasr. Mir genügt Ihr Wort.

Tankred war so betroffen, daß er keine Antwort fand.

– Würden Sie selbst denn meine Gefangenschaft noch aufrechterhalten haben ohne den Wunsch des Papstes, mich frei zu sehen?

– Nein.

– Warum nicht?

– Sie hat keinen Sinn . . .

– Sie wollen sagen: sie dient Ihnen zu nichts . . . Aber Sie dachten – am Anfang – sie würde Ihnen zu etwas dienen?

– Ja. Ich dachte – durch Sie, als Staatsgefangene – einen Druck auf den Kaiser ausüben zu können . . .

– . . . aber Sie haben erkannt, daß die Rechnung falsch war.

– Ja. Sie verschwanden. Sie schalteten sich aus. Sie gingen ins Kloster. Wir mußten uns nun ohne Sie behelfen . . . Wir haben durch die Kurie und unsere Vertrauensleute vieles gehört, das uns in unsren Entscheidungen bestimmte. Gerade in der Frage Ihrer Freilassung . . . Wir haben als erstaunliche, aber nicht anzuzweifelnde Tatsache in Erfahrung gebracht, daß . . .

Konstanze ergänzte: 189

– . . . daß mein Leben dem Kaiser gleichgültig ist. ›Jus consortis defunctae in jura imperatoris cadit‹, steht in dem beschworenen Ehevertrag von Augsburg. ›Das Recht der verstorbenen Gattin wird zu einem Teil der schon vorhandenen Rechte des Kaisers.‹ Also – – Da Sie den Schluß ja selber ziehen können . . . und da Sie ein ritterlicher Mann sind, in dessen Adern das Blut meines Vaters fließt, widerstrebt es Ihnen . . .

– Das eigne Blut in einer Frau noch mehr zu quälen, als es durch andere schon gequält ist, brach Tankred aus . . . Konstanze: lassen wir diese Art miteinander zu sprechen. Es sind genug der Messer geschliffen! Ich bin nicht gekommen, um in Anspielungen Fragen zu umkreisen, über deren Kern ich mit Ihnen sprechen möchte: ein einziges Mal, ehe der päpstliche Legat Sie abholen und über Rom bis an die Grenzen Ihres Reiches geleiten wird. Es muß nicht sein: denn der Papst hat das Wort, nicht der König von Sizilien noch dessen Regierung. Auch die Kaiserin soll nicht antworten: das wird sie im Lateran vor dem Heiligen Vater tun, der Sie zu sich bittet. Der Sohn – wenn auch der Bastardsohn – des frühverstorbenen Kronprinzen Roger möchte mit der Schwester seines Vaters sprechen. Wollen Sie ihm den Wunsch erfüllen?

– Es wäre würdelos, ihn zu verweigern . . .

– Würdelos? – Wissen Sie, Konstanze, was der Papst von Ihnen will?

– Der Papst will immer und ewig nur das eine: daß man die Sache der Kurie fördere.

– Der Papst will, daß Sie den Frieden der Welt vermitteln: zwischen ihm und dem Kaiser – zwischen dem Kaiser und mir. 190

– Ich wundere mich, daß sich der Papst solchen Chimären hingibt! Wozu bedarf es meiner, um ihm zu besorgen, was seine Kardinäle erledigen können? Wozu hat er den gerissenen Segni?

– Die Weltlage ist so verworren, daß das Außergewöhnlichste versucht werden muß, um eine allgemeine Auflösung zu verhindern . . .

– Was heißt das: ›eine allgemeine Auflösung‹? Und vor allem: was heißt das aus Ihrem Munde? Ich denke, Sie haben Sizilien das Glück gebracht? Sie haben ihm eine nationale Regierung gegeben und es vor dem gefürchteten Zugriff der Kaiserin bewahrt? Ich denke, Sie feiern Triumph auf Triumph? Sie werden über kurz oder lang Ihren Sohn Roger krönen lassen – ihn bald, wie mir die Äbtissin erzählte, mit Irene von Byzanz verloben – wo ist Verworrenheit in diesem Lande? Die Barone haben sich Ihnen unter dem Zwang der Verhältnisse angeschlossen – – was fehlt Sizilien?

– Ein einziges: der Friede mit dem Kaiser . . .

– Wie denken Sie sich diesen Frieden?

– Warum kann der Kaiser den Status quo nicht anerkennen?

– Für wen halten Sie den Kaiser?

– Für einen großen Fürsten, dem ein hoher Sinn für Wirklichkeiten gegeben ist . . .

– Nur für solche, die er selbst geschaffen hat! Über alle Hindernisse hinweg, die sich ihm in den Weg stellten. Der Kaiser ist der ruheloseste, der zäheste Geist, den das Abendland kennt: um so unbeugsamer, je größer die Widerwärtigkeiten sind, gegen die er kämpft. Ich weiß aus seinen Briefen, wie es in Deutschland aussieht . . . Ich weiß, wie der Welf und sein Sohn, 191 der Überläufer von Neapel, wühlen. Ich weiß, welchen Staub es aufgewirbelt hat, daß der Kaiser dem neugewählten Erzbischof von Lüttich, dem Herzog Albert von Brabant, die Anerkennung verweigert und seinen eigenen Kandidaten, den Grafen Lothar von Hochstaden, inthronisiert hat! Aber Sie werden wahrscheinlich viel besser als ich darüber unterrichtet sein, welche Schilderung von diesen Vorgängen der Abt von Casaemarii der Kurie gemacht hat. Er hatte, als ihn der Papst nach Deutschland schickte, um den Kaiser zum Frieden mit Ihnen zu bewegen, das Glück, gerade in diesen aufregenden Bischofsstreit hineinzugeraten. Ich nehme nicht an, daß Heinrichs Rücksichtslosigkeit den Papst sehr ermutigt hat . . . Denn, daß der Heilige Vater meine Entlassung wünscht – oder hat er sie sogar etwa befohlen? – beweist, daß er sich für diesen Freundschaftsbeweis etwas erkaufen will . . . beim Kaiser oder bei mir oder bei uns beiden – oder auch bei Ihnen . . .

– Bei mir?

– Warum nicht? Der befehlende Wunsch oder wünschende Befehl des Papstes könnte Ihnen ja den Heißspornen gegenüber sehr gelegen kommen . . . Und da Sie ja die Lehnsherrlichkeit des Papstes über Sizilien anerkennen – was der Kaiser nicht tut: so können Sie ja auch einen so gewichtigen Wink nicht einfach übersehen! Ah – das Schachspiel – das ewige Schachspiel. Nein, Tankred: wir wollen den Ereignissen, die sind, und denen, die kommen können, nicht mehr bis in ihre Winkel nachschleichen – das wäre vergebene Mühe. Aber ich will Ihnen genau sagen, mit welchen unverrückbaren Tatsachen Sie rechnen müssen, um sich keiner, gar keiner Täuschung mehr hinzugeben. 192

Sie waren, da sich der erste kühle Wind aus den Billiemibergen aufgemacht hatte, in den Garten hinausgetreten und hatten sich bei dem Brunnen niedergelassen, dessen dünner Strahl bis in die roten Blüten eines Hibiskusstrauches hinauf spielte . . .

– Ich weiß, Tankred, daß Sie selbst durch meine Gefangennahme überrascht worden sind. Ich weiß genau, daß Sie sie nicht befohlen haben. Die Stadt Salerno, der Graf Acerra, der Erzbischof Nikolaus tragen die Verantwortung für diese Gewalttat. Vielleicht hatte der Kardinal Lothar Segni ganz geheim die Hände im Spiel. Sie, der König, konnten das Geschehene nicht rückgängig machen. Sie konnten Ihre Anhänger nicht bloßstellen . . . Und schließlich: vielleicht hatte Ihnen der Zufall doch eine brauchbare Karte ins Spiel geworfen. Ihre Gefangene war eine Frau. Sie war durch das gleiche Blut wie Sie ihrem Lande und Volke verbunden. Es war bekannt, wie sehr sie ihr Land und ihr Volk liebte. Es war bekannt, daß sie nur aus Liebe zu beiden – nicht aus Ruhmsucht – in die Ehe mit dem deutschen König eingewilligt hatte . . . Wenn es Ihnen gelang, eine solche Frau Ihrer Sache zu gewinnen! Wenn Sie sie nicht als Gefangene, sondern als die römisch-deutsche Majestät behandelten, die sie war! . . . Wenn Sie ihr einen Hofstaat erlaubten, an dem sich aller Glanz, aller Reichtum, alle verfeinerte Bildung der Mittelmeerländer ausbreiteten und vermengten – wenn Sie alles förderten, was ihr den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Deutsch und Sizilisch in jeder Minute vor Augen führte – wenn Sie sie dauernd vor eine Entscheidung der Sinne und der Seele stellten: dies oder jenes – wenn Sie ihr sodann immer wieder an Ihrem eignen Hofe vor Auge 193 führten, in welchem Maße es Ihnen gelungen sei, das gesamte Land unter Ihrem Zepter zu einen und glücklich zu machen – – wenn Sie auf die schweren Niederlagen verweisen durften, welche die Ruhr dem Kaiser beigebracht hatte, ja wenn Sie diese Ruhr als die Bundesgenossenschaft Gottes in Ihrer gerechten Sache ins Feld führen konnten: wer sagte Ihnen dann, daß die geprüfte und empfindsame Seele dieser Frau nicht umschwingen und ein Beharren auf ihrem Recht als eine Art Versündigung an dem Glück ihres Volkes empfinden würde? Wenn Sie ihr vielleicht sogar ein enges Bündnis eines unter Ihrer Herrschaft blühenden Sizilien mit dem Reiche vorschlugen, große Entschädigungen aus dem Staatsschatze zahlten: würde sie noch – vor der Welt und ihrem Gewissen – den Mut aufbringen, durch Beharren auf dem Buchstaben neuen Krieg heraufzubeschwören?

So, Tankred, mußten Sie denken. Und so haben Sie gedacht. Das war mir schon auf der Überfahrt von Salerno nach Messina klar . . . Was ich zu tun hatte, wußte ich in dem Augenblick, als Sie mir die Cuba oder Zisa zum Aufenthaltsort anboten: Ich wußte, daß ich mich jedem Einflusse zu entziehen hatte. Mit mir ganz allein, mit dem Ineinanderspielen aller schicksalhaften Kräfte meines Lebens hatte ich mich auseinanderzusetzen, nicht mit einem ihrer Teile. Auf dem Boden meines Landes hatte ich – über seiner Macht auf mein Herz zu stehen . . .

Acht Monate Meditation sind eine lange Zeit für eine menschliche Seele, welcher Sammlung nicht das Außergewöhnliche bedeutet. Niemand hat mein Herz in dieser Zeit erreicht. Ohne Voreingenommenheit, ohne 194 Einmischung fremden Geistes habe ich geprüft und überprüft, nicht ahnend, zu welchem Ergebnis ich gelangen würde. Ich habe Ihnen schon gesagt, zu welchem ich gelangt bin. Es ist unwiderruflich.

Tankred, diese Stunde ist – für unser ganzes Leben – die Abschiedsstunde zwischen Ihnen und mir. Für uns beide gibt es nur eine Lebensform: sie heißt Gegnerschaft. Nicht des Herzens, nicht der Person: denn von Herz zu Herz und von Geist zu Geist wäre zwischen uns beiden Freundschaft, wenn höheres Verpflichtetsein es uns erlaubte, sondern Gegnerschaft des Rechtsgefühles: die unerbittlichste, welche es gibt! Tatsachen – noch so günstige, die unter Bruch eines geheiligten Rechtes geschaffen werden – erledigen dieses beleidigte Recht nicht, sondern schüren es zur Flamme auf, aus der ein ganzes Leben sich nähren kann! Ob ich bald oder nie in mein Erbrecht eintreten kann, ob mit oder ohne den ersehnten Sohn: nicht darauf mehr kommt es in mir an! Daß ich verharre und mir treu bleibe! Dies ganz allein entscheidet.

Sie können mir einwenden – Sie tun es innerlich, haben es tausendmal getan: ›Wie? An diesem Nichts von einer Tatsache, an dem lachhaften Umstande, daß ich, Tankred, zur Welt kam, ehe die Verbindung meines Vaters, des Kronprinzen Roger, mit der von ihm geliebten Frau vornehmen, wenn auch nicht ebenbürtigen Standes, zur Ehe erhoben wurde, an diesem Koboldstreich des Schicksals soll Sizilien vielleicht in Blut und Flammen versinken? An diesem Popanz, der sich Legitimität nennt?‹ Nun, ich würde Ihnen hier entgegnen, was mein langes Versunkensein mir als letzte Bestätigung offenbarte: ›Der Irrtum, den Sie begehen, 195 ist ungeheuerlich. Er bezeugt, wie wenig Ihre Erkenntnis gottverbunden ist. Was Sie als den Koboldstreich des Schicksals empfinden: gerade dieses ist ja der unzweideutigste Wink des Schicksals, dessen Mißachtung einer Todsünde gleichkommt. Sie, Tankred, haben diesen Wink mißachtet. Sie haben sich – aus zum Teil edlen, aber in sich selbst falschen Gründen – dazu bestimmen lassen, eine Aufgabe zu übernehmen, die Ihnen niemals zugewiesen war. Sie haben dem Schicksal in die Speichen gegriffen. Ich aber bin nur in der Bahn meiner Bestimmung geblieben – und habe eine ungeheure Last auf mich genommen, nach der es mich niemals verlangt hat. Ich sehe in überscharfer Klarheit das Gesetz meines Daseins. Ich unterwerfe mich ihm. Es beherrscht mich. Ich diene ihm. Ich glaube an es. Ich glaube, daß es in die Erfüllung führt. Weder Unglück noch Umweg schrecken mich. Die Stunde, welche meine heißt, reift: und sollte ich selbst sie niemals mehr erleben. Apulien-Sizilien ist nur gesichert in der Hülle des Reiches, solange dieses Reich besteht. Rascher als Sie denken, könnte auch Ihnen noch diese Erkenntnis kommen, deren Verwirklichung Sie verhinderten durch den Bruch meines Rechtes. Sagen Sie mir nicht, daß die Herrschaft des deutschen Kaisers unerträglich geworden wäre; um Meine Herrschaft ging es: nach dem Ehevertrag, nach dem Recht. Ich hätte, als Königin, mit Männern wie Ihnen an der Seite, schon dafür Sorge getragen, daß ein fremdes Übergewicht nicht aufgekommen wäre! Wir hätten genug an fähigen Köpfen im Lande gehabt. Hätte aber der Kaiser dieses mein Recht anzutasten oder zu kürzen gewagt, nun: dann hätte ich als Königin von Sizilien mich bis zum Kriege 196 gegen diesen Rechtsbruch aufgelehnt, wie ich mich gegen den Ihren auflehne. Wessen Lehnsherr im Rechte Gott ist, der steht für Gott gegen jeden Angreifer . . .

Ohne eine Bewegung zu machen, hatte Tankred zugehört. Nun die dunkle Stimme schwieg, schien ihm der Druck der Luft auf seinen Schultern schwer wie Blei. Die letzte Hoffnung, den Kaiser durch Fürsprache der Kaiserin zu einem Frieden zu bewegen, war dahin: Wenn es wenigstens ein Friede auf ein paar Jahre gewesen wäre, eine Atempause, sagte er zu sich selbst. Denn er wußte, daß allem äußeren Anschein zum Trotz seine Lage nicht günstig war. Die nordapulischen Provinzen lagen durch den Krieg zerstört und ausgeraubt. Schon kam die Kunde von schwerer Hungersnot. Die Staatskasse leerte sich. Den Kirchengemeinden mußte der Zuschuß gekürzt, wenn nicht gesperrt werden. Es war in Palermo zu Güterverpfändungen gekommen. Die geplante Verlobung des Prinzen Roger mit der byzantinischen Erbprinzessin eröffnete zwar die Aussicht auf ein Bündnis mit Ostrom: aber – was war dieses Bündnis mit einem zerfallenden Staat noch wert? Vielleicht kostete es weit mehr als es einbrachte . . .

Er stand auf und ging vor das Brunnenbecken, in dem die niederfallenden Tropfen kleine Kreise zogen. Eine Minute lang schoß der Gedanke durch sein Hirn: wenn ich dem Hetzen Sibylles nicht nachgegeben hätte – neutral geblieben wäre und vielleicht aus den Händen der rechtmäßigen Erbin die Statthalterschaft erhalten hätte . . . Aber sogleich verwarf er sein Denken wie Verrat an seiner eignen Sache . . . Nein: es galt, Wichtigeres zu tun. Es galt, eine Wirklichkeit zu nehmen als das, was sie war – und für die kommenden Ereignisse 197 gerüstet zu sein. Die Kaiserin hatte recht: so verschlungen waren die Fäden der Weltpolitik, daß eine Hand allein sie nicht zu entwirren vermochte. Weder die ihre – noch die des Kaisers – noch die seine. Die Klarheit ihres Denkens wies ihm die Wege . . .

Auch Konstanze hatte ihren Platz verlassen. Sie stand, die Augen mit der Hand schattend, an der Mauerbrüstung und schaute in die Limonengärten gegen Boccadifalco hinüber, aus denen sich ein mildes Duften löste . . . Ganz in der Ferne, hinter den Häusern von Palermo und Bagheria, hatte das Meer die Farbe von Glyzinen angenommen.

Als sie Tankreds Schritte näherkommen hörte, wandte sie sich um.

– Es ist qualvoll, zu denken, sagte Tankred, daß Menschen wie Sie und ich sich heute für immer trennen müssen. Aber ich verstehe, daß Sie nicht anders können. Ich bitte Sie, für mich den gleichen Zwang gelten zu lassen . . .

Sie antwortete nicht.

– Ich erwarte nicht von Ihnen, daß Sie vor dem Heiligen Vater oder dem Kaiser vertreten, was Sie vor sich selbst nicht verantworten können. Es wäre leicht für Sie gewesen, mir Versprechen zu geben und sie dann nicht zu halten. Daß Sie es nicht getan haben, erhöht meine Verehrung für Ihre Treue gegen unser Blut. Sie werden die Geschenke nicht zurückweisen, die ich der Tochter Rogers zur Erinnerung an diese Stunde mitgeben möchte. Wir werden uns bis zu Ihrer Abreise nicht mehr sehen. Ich verlasse Palermo in den allernächsten Tagen, meine Gegenwart in Südapulien ist notwendig . . . Ich bitte Sie, 198 mir zu sagen, ob Sie irgendwelche Wünsche haben . . .

– Einen einzigen: ich möchte am Grabe meines Vaters im Dome und an dem Wilhelms in der Kathedrale von Monreale unbemerkt beten können.

– Befehlen Sie die Wagen, wann Sie sie wünschen. Da mich der Graf Avellino auf meiner Reise begleitet, werde ich Ihnen Richard Ajellus zur Verfügung stellen. Ihre Anweisungen werden befolgt werden wie meine eignen . . . Er wird Sie auch auf Ihren Gängen in der Stadt begleiten . . .

– Ich werde nicht in die Stadt gehen, sowenig wie ich es in den verflossenen acht Monaten tat. Ich hoffe, es wird möglich sein, daß auch meine Abreise unbemerkt bleibt. Sie wissen, daß das Volk am Ostersonntag in Scharen nach Baida kam, um mir zu huldigen. Solche Dinge sollen sich nicht wiederholen. Sie könnten die mir feindlich gesinnten Gruppen zu Gegenkundgebungen veranlassen . . . Es könnte Blut fließen . . .

– Richard Ajellus wird für alles Notwendige Sorge tragen. Der Schutz Ihrer Person liegt in den Händen der Geheimpolizei. Der General Valva ist ganz zu Ihrer Verfügung.

– Wann glauben Sie, daß meine Abreise erfolgen kann?

– Sobald der Kardinal Ägidius von Anagni, den der Papst mit Ihrer Rückführung betraut hat, hier eingetroffen ist. Ich nehme an, es wird bis dahin Mitte Juni werden. Also in drei Wochen etwa. Zu Ihrer Sicherheit wird Sie ein Geschwader der Kriegsflotte bis Gaëta begleiten.

– Ich danke Ihnen für Ihre Umsicht. Noch eine Frage: Es steht dem Verbleiben meines Adjutanten in 199 Palermo bis zur Beendigung seiner Studien nichts im Wege?

– Ich sagte Ihnen schon bei Ihrer Ankunft in Messina, daß er tun kann, was ihm gefällt . . . Ich wundere mich nur, daß Sie auf die Dienste eines so ausgezeichneten Menschen verzichten wollen . . . Er hat sich hier Freunde gemacht, wo er hinkam. Was ihm ganz besonders die Herzen gewonnen hat, ist seine Zurückhaltung, welche der Ihren gleichkommt.

– Natürlich fällt es mir nicht leicht, ihn hier zu lassen; aber ich will nicht zum zweiten Male die Ursache sein, daß er begonnene Studien nicht beendet. Im Winter wird er nach Paris abreisen können, um auch dort noch abzuschließen. Wenn er dann an den kaiserlichen Hof zurück will, wird man ihn dem Erzkanzler für Italien zuteilen.

– Und wer wird bei Ihnen sein?

– Ich denke, Vaqueiras wird mich auf der Reise nach Rom und Deutschland begleiten, wenn ich ihn darum bitte . . .

– Vaqueiras . . .

Palerme, quand la nuit descend sur tes collines
Et que dans tes jardins respire toute fleur.

Wie unter einem Zwang hatte Tankred die berühmt gewordenen Zeilen gesprochen, die er liebte . . .

Wie durch sie zur Besinnung zurückgerufen, hatte Konstanze sie gehört: wohin trieb dieses Gespräch? Wer sprach hier mit wem?

Sie starrte auf Tankred. Tankred starrte auf sie. In seinen tiefen Augen schlug ein schwarzer Funke auf. Er trat einen Schritt näher an die Kaiserin: 200

– Sind Sie wirklich so ruhig wie Sie sich halten?

– Spüren Sie es nicht?

Das Geschick der Welt hing an dieser einen Sekunde . . .

Aber auch Tankred trug das Blut Rogers:

– Nein, sagte er. Ich spüre es nicht. Aber das ist ohne Bedeutung.

– Vielleicht, sagte Konstanze, den Blick auf das Meer lenkend –

So oft in den spätern Monaten Tankred an die Kaiserin zurückdachte: immer sah er sie so, wie sie nun, nach dieser letzten Antwort, vor ihm stand: im weißen, eng die Gestalt umfließenden Kleid, die blasse Hand mit dem kaiserlichen Siegelring in die rechte Hüfte gestützt, die Brust in einem Atmen gehoben – und die Augen einer Ferne verbündet, die sein eignes Denken seit dem Tage von Baida mied.

 

Am 20. Juni verließ Konstanze die Insel. Wie sie es von Tankred erbeten hatte: in der Stille einer gestirnten Sommernacht, von Sferracavallo aus. Ohne auf Deck verweilt zu haben, ging sie in ihre Kabine. Dem Kardinal Ägidius von Anagni war die Anwesenheit des Grafen Vaqueiras auf dem Schiff sehr unerwünscht. Er hatte den Auftrag, die Kaiserin im Sinne der Kurie auf die Besprechungen vorzubereiten, zu denen sie Coelestin nach Rom gebeten hatte. Da dieser den Anspruch darauf erhob, ihre Befreiung veranlaßt oder zumindest 201 beschleunigt zu haben, hatte sie nicht ablehnen können, obwohl sie sich wenig von den ›Friedensverhandlungen‹ versprach. Ihr Mißtrauen war zu groß – ihre Unterrichtung viel zu einseitig. Immerhin: es konnte nichts schaden, eine Pflicht der Höflichkeit zu erfüllen und die Luft zu wittern, die um den Lateran war . . .

Man hatte am 8. Juli auf der Landreise von Gaëta nach Rom eben Ceprano erreicht und das Zeltlager aufgeschlagen, als der Kaiserin der General Graf Künsberg gemeldet wurde, welcher gerade vom Hofe aus Deutschland auf seinen italischen Posten zurückkehrte. Der Kardinal verfluchte diesen Zufall – war es ein Zufall? – einer Begegnung, deren Gefahr er sofort erkannte . . . Er konnte sich dem Wunsche der Kaiserin, mit dem deutschen Feldherrn unter vier Augen zu sprechen, nicht widersetzen . . .

– Sie sind mir entgegengeschickt? fragte Konstanze.

– Nein, Majestät. Es war unmöglich, Zeit und Weg der Reise rechtzeitig zu erfahren. Es ist wirklich ein Zufall, daß ich gerade mit dem Abt Roffrid aus der Richtung Tivoli komme . . . Der Kaiser hatte ihn im August letzten Jahres als Geisel mit nach Deutschland genommen, um der Haltung seines Klosters Monte-Cassino sicher zu sein. Nun läßt er ihn zurückkehren . . .

– War Roffrid in Rom? Beim Papste etwa?

– Ja, Majestät . . .

– Kann man glauben, was er sagt?

– Diesmal ja. Denn ich habe von einem unserer Gewährsmänner im Kardinalskolleg die volle Bestätigung seiner Aussagen erhalten.

– Und die sind? 202

– Solcher Natur, daß mir eine Reise Eurer Majestät nach Rom kaum noch möglich scheint . . . Aber vielleicht greife ich begründeten Erwägungen Eurer Majestät vor. Ich kann ja nicht wissen, wieweit Tankred mit offnen Karten gespielt hat –

– Erklären Sie sich, Graf Künsberg . . . Der weltmännischste aller kaiserlichen Marschälle scheint mir erregter, als ich gewohnt bin ihn zu sehen . . .

– Ich bin ein wenig erregt, ich gebe es zu. Aber es ist Grund vorhanden. Sind Eure Majestät in Palermo nicht über neue Konkordatsverhandlungen unterrichtet worden, welche zwischen der augenblicklichen sizilischen Regierung und der Kurie schon seit geraumer Zeit stattfinden?

– Nein. Mit keiner Silbe.

– Nun, dann will ich es ganz kurz machen, Majestät: Wir wissen als verbürgte Tatsache, daß Tankred die Belehnung mit Apulien-Sizilien durch den Papst um die Preisgabe aller Vorrechte erhalten hat, welche den Herrschern des Königreiches aus dem Konkordat von Benevent, also seit 1156, zustehen . . . Das ist, seitens des heutigen Herrschers, Diebstahl an dem rechtmäßigen Erbe Eurer Majestät: genau so, wie es Diebstahl war, aus dem Staatsschatz an die Königin-Witwe Johanna die unerhörte Abfindungssumme von einer Million Tarenen zu zahlen . . .

Langes Schweigen. In der Glut des Zeltes summten die grünen Pferdefliegen.

– Und was ist die Gegenleistung des Papstes? fragte Konstanze schließlich . . .

– Bündnis mit Tankred durch dick und dünn. Damit ist der Ring geschlossen, den die Kurie in hartnäckiger, 203 unterirdischer Arbeit gegen das Reich geschmiedet hat: England, Rom und Sizilien sind zur kaiserfeindlichen Koalition zusammengetreten. In Deutschland rechnet man mit guten Gründen auf die welfische Teilnahme an diesem Bund – der Beitritt Ostroms wird durch die Ehe des ältesten Tankredsohnes mit Irene von Byzanz wahrscheinlich.

– Und die Lombardei? Und Tuskien?

– Sind ruhig, Majestät. Es wird gelten, sie ruhig zu halten.

– Und wer ist unser Bundesgenosse?

– Frankreich. Und auf seiten Frankreichs der rebellische Prinz Johann von England, Richards Bruder.

– Haben wir noch andere Gegengewichte in die Waagschale zu werfen?

– Nein. Nur unseren eisernen Willen und unsere Kaltblütigkeit.

– Das ist viel – und wenig.

– Die Lage ist sehr ernst, Majestät. Der Lütticher Bischofsstreit und die Rückkehr des jungen Heinrich Welf nach Braunschweig, wo er sich schon als Anwärter auf die deutsche Krone gebärdet, dürfen nicht leicht genommen werden . . .

– Tut das jemand?

– Es will mir scheinen, daß der Kaiser eine gewisse Neigung hat, es zu tun . . .

– Was hat der Kaiser beschlossen?

– Zunächst Kleinkrieg gegen Apulien, bis ein neues Heer zusammen ist. In Deutschland: Vernichtung der Welfen.

– Vernichtung? – Sie schweigen? Enfin – Können 204 Sie mir sagen, was der Papst sich von einer Unterredung mit mir verspricht?

– Zermürbung der seelischen Kraft Eurer Majestät . . . mit allen ihren vorauserrechneten Folgen . . .

– Der Papst irrt! Das deutsch-französische Bündnis hat einen dritten Partner, dessen Kraft man nicht unterschätzen sollte: Mich, die Erbin von Sizilien, und ihr Recht! Ich gebe nicht nach, Künsberg! Niemals! Ich habe vor Gott und der Welt kein Recht, auf mein Recht zu verzichten! Ich kann dafür untergehen, wenn es sein muß! Sorgen Sie dafür, Künsberg, daß ich von hier auf dem kürzesten Wege nach Spoleto reisen kann. Ich fühle mich jeder Verpflichtung gegen den Papst enthoben. Der Diebstahl an meinen Konkordatsrechten wird durch das Trinkgeld des päpstlichen Eintretens für meine Befreiung nicht aufgewogen . . . Sie nehmen die volle Verantwortung für Ihre Mitteilung auf sich?

– Die volle, Majestät.

– Ist meine Weiterreise ohne päpstliches Geleit gegen alle Zufälle gesichert?

– Durchaus, Majestät. Nordapulien ist bis Verratra fest in unseren Händen.

– Soll man dem Kardinal sofort Bescheid geben?

– Ich würde abraten. Warum nicht – an der Wegkreuzung, in Palaestrina – mit einem Lächeln nach rechts gegen Tivoli-Rieti abschwenken? Wenn sich Eure Majestät nur einen oder zwei Tage Ruhe hier in Ceprano gönnen wollen, lasse ich durch Eilboten den Empfang und die Wegänderung Eurer Majestät in Palaestrina auf das sorgfältigste vorbereiten . . . Der Kardinal Ägidius wird entzückt sein, ein Berberfüllen aus dem kaiserlichen Marstall als Dank – für sein geistliches 205 Geleit zu empfangen und gleichzeitig Seiner Heiligkeit den Wunsch des Kaisers übermitteln zu können, Eure Majestät dem verpesteten Sommeratem von Rom nicht ausgesetzt zu sehen . . . Eure Majestät mögen sicher sein, daß die Kurie für diese kleine Komödie sogar viel Verständnis haben wird . . . Sie wird sich auch in dieser Angelegenheit noch als die mütterliche Lehrmeisterin fühlen . . .

– Gut, Künsberg, Sie sollen Ihren Spaß haben . . . Wollen Sie etwa auch, daß wir alle zusammen mit dem Kardinal und seinem Gefolge zu Nacht speisen? Einigkeit spielen?

– Warum, Majestät, sollten wir dem Kardinal nicht beweisen, wie gelehrige und dankbare Schüler des Lateran wir bis in die kleinsten Schattierungen sind?

 

Am zweiten Weihnachtstage des Jahres 1192 las Vaqueiras der Kaiserin in demselben Wohnzimmer, in dem er ihr vor drei Jahren die Nachricht vom Tode des sizilischen Königs überbracht hatte, ein paar Kapitel aus seinen Aufzeichnungen über die geistigen Bewegungen in Romanien. Er las langsam und eindringlich, als ob seine Stimme von irdischen Sorgen ablenken und in die Reiche zeitlosen Trostes hinüberweisen wolle. Konstanze saß vor dem Feuer, eine Decke aus gebleichten Lammfellen über den Knien, das schmalgewordene Gesicht gegen die blauen Flammen gekehrt, welche an der Buchenwurzel aufwärts züngelten. Anne de Perche 206 ließ die Goldborte, deren ausgeschnittene Ornamente sie mit Seide ausstickte, auf ihren Schoß sinken . . .

– Es wird dunkel, sagte sie.

– Es ist dunkel, sagte die Kaiserin. Lassen wir es genug sein für heute, Pedro. Ich kann nicht mehr folgen . . . Adelaide von Carcassonne und Esklarmonde de Foix mögen recht haben mit ihrer Abwendung von der Welt. Ich, für mein Teil, habe Gott in einer anderen Pflichterfüllung zu suchen. Auch habe ich noch irdische Sehnsuchten, deren Preisgabe eine Lüge gegen mich selbst wäre – – Heute vor einem Jahr, fügte sie nach langer Pause zu, saß ich an der Klostermauer von Baida und schaute auf das Meer. Es leuchtete durch die Dämmerung herüber, als ob man Veilchen auf seine Wellen gestreut hätte . . .

Sie dehnte die Hände in den Raum, wie wenn sie dieses Meer erreichen könne . . . Auch diese Hände waren schmal geworden von der rastlosen Arbeit des Gebetes . . .

– Wissen Sie eigentlich, Anne, wann der Kaiser von hier aufbrechen will?

– Der Schloßhauptmann sagte etwas von morgen. Der viele Schnee, welcher in den letzten Tagen gefallen ist, scheint festgefroren zu sein. Ich wünschte, wir reisten mit Schlitten . . .

– Ich hoffe es, ergänzte Vaqueiras . . . Schlittenfahren – herrlich, über den Paß von Puigcerda nach Ripoll hinunter . . .

– Lieber Pedro, wir werden nur über den Böhmer Wald von Eger nach Regensburg fahren, lächelte die Kaiserin. Die Pyrenäen sind weit, der Ätna noch weiter – und auf dem Reichstag, den der Kaiser auf den 207 6. Januar nach Regensburg einberufen hat, werden sehr weltliche und sehr nördliche Händel geschlichtet werden, andere, als an den Minnehöfen Ihres begnadeten Landes.

– Ich fürchte, sagte Vaqueiras sehr ernst, die Augen der gesamten Welt werden sehr bald auf Romanien gerichtet sein, weil dort der Krieg um die menschliche Seele entbrennen wird. Sollte der Graf Lothar von Segni vom Sitz des Kardinaldiakons zum Stuhle Petri aufrücken, so dürften die Würfel über das Schicksal meiner Heimat gefallen sein. Die Wut der Bevölkerung gegen die Sachverwalter Christi ist ins Ungemessene gestiegen.

– Auch die meine, sagte Konstanze – wenn sie auch andere Ursachen haben mag.

– Die Wut gegen Rom hat immer die gleiche Wurzel, Majestät. Die starken Seelen sind einer Bevormundung müde, welche nicht von makellosen Händen geübt wird. Die Weltflucht der Kátharer entspringt dem Abscheu vor der Notzüchtigung des Geistes . . .

– . . . und dem Glauben, ergänzte die Kaiserin, daß man entrinnen könne. Aber man kann nicht entrinnen. Man muß durch die Dinge hindurch, in die man gestellt ist, wenn man Gottes ganz teilhaftig werden will . . .

Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, als man den Kaiser meldete. Vaqueiras und Anne de Perche zogen sich zurück.

Heinrich, noch im Reitanzug, die Wildlederhandschuhe und die Peitsche in der Linken, setzte sich auf den Rand des Ruhebettes, das schräg zum Kamine stand.

– Glauben Sie, Konstanze, fragte er unvermittelt, 208 daß es Orte gibt, welche das bedeutsame Ereignis an sich ziehen?

– Ja.

– Dann ist dieses Zimmer ein solcher Ort. Sie wissen, was wir in diesem Raume vor drei Jahren auf den Tag erfuhren und welches Bündnis zwischen Ihnen und mir vor diesem Feuer geschlossen wurde. Hier hat die Schwere dreier Jahre ihren Anfang genommen – hier geht sie zu Ende. Sie sehen mich ungläubig an? Ehe ich Tatsachen nenne, muß ich Ihnen danken für die Treue Ihrer Bundesgenossenschaft. Ich hoffe, Ihnen diese Treue bald aus vollen Händen lohnen zu können. Ohne zu zaudern, ohne zu klagen, sind Sie einen schweren Weg mit mir gegangen. Als man Ihnen in Sizilien eine fürstliche Gefangenschaft anbot, glaubte ich Sie verloren. Ihre ersten geheimen Briefe schon, die über den Erzbischof Offamilio an mich gelangten, belehrten mich, daß ich Ihnen in Gedanken Unrecht getan hatte. Ihre Haltung war die königlichste, die man erwarten konnte. Die Verblüffung – ich weiß es – am Hofe von Palermo und im Lateran war ungeheuer. Auf alles hatte man sich gefaßt gemacht, nur darauf nicht, daß Sie sich im Kleide der Grauen Schwestern der Welt entziehen würden, für die man Sie gewinnen wollte. Als Sie dann dem großen Heuchler in Rom Ihre ganze Verachtung bewiesen, indem Sie ihn einfach buchstäblich links liegen ließen, gaben Sie einen neuen Beweis dafür, wer Sie sind. Aber noch größer waren Sie in der Würde, mit der Sie alle Widerwärtigkeiten ertrugen, welche Sie nach Ihrer Rückkehr an den deutschen Hof erwarteten: die Hetze gegen mich wegen meiner Entscheidung in der Lütticher Bischofswahl – die Wühlarbeit der Welfen 209 – die Revolte an allen Ecken und Enden – die Bildung einer geschlossenen Front fast aller deutschen Fürsten gegen mich – den drohenden Ausbruch eines unheimlichen Krieges im Inneren, dem der Angriff der Allianz Tankreds, Richards und der Kurie von außen her auf dem Fuße hätte folgen müssen – Ich kann es nicht abstreiten: das Dunkel, das sich um uns gelegt hatte, war fast schon Finsternis. Ununterbrochen blieben Sie an meiner Seite. Sie verzichteten freiwillig auf die Ruhe von Ingelheim. Wie in früheren Jahren zogen Sie mit mir von Lager zu Lager, von Pfalz zu Pfalz. Kein falsches Trosteswort, das ich nicht ertragen hätte, keine Aufmunterung, die mich gereizt hätte, kam von Ihren Lippen. Nichts anderes trugen Sie zur Schau als Ihre Unbeugsamkeit. Niemals waren Sie mir so nötig wie in diesen beiden letzten Monaten – niemals vielleicht war ich Ihnen so – nebensächlich. Sei dem, wie ihm sei. Eines ist heute gewiß: niemals war unser beider Schicksal seit drei Jahren so verbunden wie in dem Ereignis, das ich Ihnen nun zu verkünden habe: Richard Löwenherz ist mein Gefangener. Vor zehn Minuten kam der Bote Leopolds von Österreich mit der Bestätigung. Gefangen auf der Burg Dürrenstein an der Donau, in der Gewalt des Herrn Hadmar von Kunring.

Einen Augenblick lang schien es, die Kaiserin erstarre – dann, sie schwanke. Aber sie neigte sich nur gegen den Kaminsims, stützte die Ellbogen auf den warmen Sandstein, vergrub das Gesicht in die Hände und zuckte in den Achseln auf.

Der Kaiser machte eine Bewegung, als ob er zu ihr hingehen, sie in seine Arme nehmen wolle . . .

Sie spürte in ihrem Rücken den fremden Willen, der 210 sich ihr nähern wollte, löste den Kopf aus den Händen, wandte sich ganz langsam um.

Noch einen einzigen Schritt ging der Kaiser gegen sie. Dann, mit halbgeflüsterter Stimme:

– Richard gefangen – der König von England gefangen – der Feind der Feinde gefangen – die Seele der Allianz – der böse Dämon der Welfen – Wissen Sie denn, was das heißt, Konstanze?

Er suchte nach Atem. Er atmete. Darnach, mit geschlossenen Augen:

– Das heißt alles, alles! Die Maus in der Falle, die Maus, mit der die Katze nun spielen kann wie sie will, wie sie will.

Laut auflachend:

– Wie sie will . . . Geb' ich ihn an seinen Erbfeind, Philipp von Frankreich – geb' ich ihn nicht? Wenn ich es tue: wieviel lasse ich mir zahlen für das Beutestück? – England will ihn haben? Gut! Werde mein Lehnsland und wiege mir deinen Troubadour-König mit Gold auf! – Der Papst will vermitteln? Meinetwegen! Aber opfere mir zuvor deinen Freund, den Usurpator Tankred in Sizilien, Papst Coelestin, du Himmlischer aus der Sippe Bubo-Orsini! Du willst nicht? Nun: das Patrimonium Petri liegt auf dem Wege nach Palermo! Wir werden dir zeigen, was eine friedliche Durchdringung ist! – Wollt ihr immer noch euren Verschwörerbund gegen mich aufrechterhalten, ihr Schweinehunde von Fürsten? Was ist euer Führer, der Welf, ohne die englische Rückendeckung? Diesmal werdet ihr euch wohl überlegen, was ihr tut, verdammte Reptilien! Eines nach dem anderen, werdet ihr im Staub gekrochen kommen! Wir werden uns Zeit lassen, euch zu 211 erlauben, die Schnauze zu heben! Wir sind sehr reich geworden! Wir werden dem Löwenherz eine Rechnung mit Drachenblut schreiben lassen! ›Was haben Sie uns gekostet, Erlauchteste aller Majestäten, seit dem 18. November 1189? Welche Griffe in unseren sizilischen Erb-Staatsschatz hat sich auf Ihre Drohung hin der Thronräuber Tankred erlaubt? Nun? Kleinodien die Fülle und eine Million Tarenen für Ihre Schwester, die Wittib Johanna, die da unten nichts mehr zu suchen hatte! Wir werden einen gescheiten Juden, einen gescheiten Levantiner und einen noch dreimal so gescheiten Armenier fragen, wie das zu verzinsen und zu verzinseszinsen sei. Haben wir die Summe, so werden wir sie mit der Anzahl der Tage multiplizieren, die seit dem Diebstahl verflossen sind . . . Sie werden einen kleinen Schwächeanfall bekommen, Majestät, vielleicht auch mehrere. Schadet nichts. Sie sind ja jung und kräftig, das Kind strammer Eltern. Sie werden die Summe beitreiben! O ja, Sie werden! Mit dieser Summe werden wir den raschen und gründlichen Krieg gegen Tankred und seine Brut führen. Sie selbst also, Hohe Majestät, werden uns diesen Krieg gegen Ihren Bundesgenossen bezahlen! England wird bluten müssen für seinen Liebling! Alle Feinde, alle, werden bluten müssen für den lieben Gott, der am 1192. Jahrestag seines Niederstiegs auf diese schönste aller Erden unsere Partei ergriffen hat!

Frierend, vom Innersten her, als ob man einen Mantel von Schnee um sie geschlagen habe, stand Konstanze. Kaum noch sah sie. Sie wußte nur: vor ihr stand nicht der Kaiser, nicht der König, nicht ihr Gatte – – Der Haß stand vor ihr, der Bruder des Wahnsinns! War 212 dies die Wende? War dies die – Ernte? Vor ihren Augen begann ein graues Drehen, unter ihren Füßen ein mattes Entweichen . . .

– Nein, befahl sie sich selbst, nein! Jetzt nicht! Vor Diesem da nicht! Hinsinken gehört vor Gott!

Gelassen, indessen sie das Blut in seine Bahn zurückfließen fühlte, neigte sie sich wieder gegen den Kaminsims, verbarg wieder das Gesicht in den Händen – er konnte nicht ahnen, wie kalt sie waren – und sagte mit ihrer stillsten Stimme:

– Ich bitte Sie, mich nun mit alle dem allein zu lassen.

 


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