Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Achtes Kapitel

Jesi, 26. Dezember 1194

Gegen Mittag erwachte die Kaiserin aus einer langen Ohnmacht. Als man ihr den Knaben zeigte, den sie in der Frühe des 26. Dezember nach qualvollen Wehen zur Welt gebracht hatte, löste ein lautloses Weinen ihre Erstarrung. Zehn Jahre ihres Lebens trug es fort und erhob die Stunde zur allmächtigen Herrscherin über die Zukunft. Ich lebe . . . ich werde leben, dämmerte es durch ihr ermüdetes Herz, als sie das Kind an Berengaria zurückgab . . . Die Herzogin von Spoleto näherte sich dem Lager. Es hatte ihr geschienen, daß die Kaiserin etwas sagen wolle . . . Nun vernahm sie die dicht an ihrem Ohr gehauchten Worte:

– Ich will, daß er Konstantin genannt wird . . .

Dann war wieder Stille im Zimmer. Kaum, daß man das Atmen der Ruhenden hörte, die zu schlummern schien . . . Aus dem leicht verschneiten Hofe der Pfalz von Jesi klang gedämpfter Hufschlag herauf – und verlor sich: der Graf von Bogen machte sich auf den Weg nach Palermo, um dem Kaiser, der sich eben die sizilische Königskrone aufgesetzt hatte, die Geburt des Thronerben zu melden.

– Wer reitet da? fragte Konstanze mit klarer Stimme.

Man sagte es ihr. Sie zog die Brauen zusammen.

– Der Kaiser, dachte sie . . . Wie man denkt: das Kleid, das ich damals trug . . .

Sie ließ sich noch einmal den Sohn reichen. Sie sah: er hatte große, strahlende, schiefergraue Augen.

– Man soll ihn Konstantin Roger nennen, sagte sie, die Wimpern senkend, indessen Lothars Bild in den verlöschenden Lichtschein glitt . . . Dann:

– Wenn ich ausgeschlafen habe, möchte ich Herrn von Ingelheim sehen – – 256

Als sie wieder erwachte, war es Abend geworden. Die Kerzen brannten. In einer Räucherpfanne verpuffte ein Duft aus Santelwurzeln. Neben dem Lager kniete Lothar hin, den man aus dem Vorzimmer gerufen hatte.

Die Herzogin, der Beichtvater, die beiden arabischen Ärzte aus dem zerstörten Salerno, Anne de Perche und Berengaria, in die Fensternische gedrängt, schauten auf den Knienden, schauten auf die Hand, die ihn segnete – – und nun langsam den Weg auf die Seidendecke zurückfand.

– Ich möchte einen Schluck Wein trinken, sagte die Kaiserin.

Lothar gab ihr den Becher an die Lippen.

– Falerner?

– Ätna, Majestät . . .

– Ätna . . . träumte sie . . . Bald, bald wird es Altarello di Palermo sein . . .

Sie lauschte . . . Der Schneewind fuhr um die schweren Mauern und blies in den Kamin . . .

Palerme, quand la nuit descend sur tes collines
Et que dans tes jardins respire toute fleur
 . . .‹

sang es durch ihr Erinnern . . .

– Wo ist Pedro Vaqueiras? fragte sie, warum sehe ich ihn nicht?

– Eure Majestät haben vergessen, daß ihn der Kaiser schon vor drei Wochen nach Palermo gerufen hat, sagte Lothar.

– Ja, ich entsinne mich. Es ist gut, daß Pedro in Palermo ist . . . Ich möchte jetzt mit Berengaria allein 257 sein . . . Gehen Sie alle zeitig zu Bett . . . Sie haben zwei schwere Tage und zwei schwere Nächte hinter sich . . .

Längst war Berengaria in ihrem Lehnstuhl neben dem Bett der Kaiserin eingeschlafen. Beim Feuer wachten die beiden Dienerinnen, denen die Sorge um die Holzscheite oblag, im Vorzimmer hatten sich die Ärzte abgelöst. Auch das Kind in der Wiege schlief. Die Kaiserin aber wachte die wacheste Stunde ihres Lebens. Sie sprach mit Gott: nicht durch die Mittlerschaft der Schwarzen Madonna von Baida, mit Gott allein, von Angesicht zu Angesicht:

– Hättest du mich nicht gelehrt, demütig zu bleiben vor der Unergründlichkeit deiner Beschlüsse, so könnte mein Glaube an mein Auserwähltsein sich leicht in Verstiegenheit verwandeln . . . Du gabst mir den Erben in dem Augenblick, wo sich mein Recht erfüllt und mein Königreich mir zufällt – du gabst mir den Sohn, kurz, ehe der Schoß der Frau sich der Empfängnis verschließt. Du gabst meinem königlichen und meinem menschlichen Leben die verbindende Mitte in der anrührbaren Gestalt, welche alle vorgestellten Bilder in das Dunkel der Traumwelt zurückdrängt und mich dem Wege der Gestalt verpflichtet. Du hast mich entbunden, indem du mich bandest: den Befehl des Gedankens hast du abgelöst durch den Auftrag des Blutes. Du gabst mir das Gefäß, in dem sich meine Sehnsucht zu lieben sammeln kann.

Was immer du mir bestimmt hast an zukünftigem Schicksal: nimm die Gnade, lieben zu dürfen, nie mehr von mir. Wende von meinem Sohne alle Schatten, die sich vom Wesen des ungeliebten Erzeugers in verborgenen Winkeln seines Wesens einnisten könnten – gib 258 ihm das Lichte der größeren Ahnen und den Willen zur milderen Weite. Lasse ihm auch die Qual meiner liebelosen Hingabe an den ewig Fremden nicht anhaften, dem ich niemals Begehr, sondern immer nur Zweck war. Verleihe ihm die Macht der Selbstüberwindung, aus der er sein Dasein empfing. Mich aber lasse nun den Weg vergessen, den ich neun Jahre lang gegangen bin: mache mich frei für den Weg, der beginnt. Mache mich ganz frei von dem, dessen ich noch bis zur Stunde der Empfängnis bedurfte: erspare mir den Haß – gib mir nur die Kraft der Gelöstheit und Entfernung. Ich juble nicht, wie vielleicht die jungen Mütter jubeln, die dem Spender ihrer Lust die Frucht dieser Lust schenken: ich kenne die Lust nicht, die von Mensch zu Mensch geht. Ich bewahre mich im Glück, wie ich mich im Leide bewahrt habe. Ich bin nicht voll sündigen Zweifels, der ein Undank wäre, aber ich fühle, daß mir auch nun die Verschwendung nicht ziemt, so sehr ich in Überschwang aus allen Fesseln der Verhaltenheit ausbrechen möchte. Besondere Maße hast du den Königen gegeben durch ihr Wissen um die großen Zusammenhänge. Wenn du den Fürsten schlägst, so schlägst du ihn dreifach im Unmaß! Ich fürchte dich, Gott, in dem Unmäßigen, an dessen Leben du das meine gebunden hast. Füge es, daß der Sohn ihn sänftige und nicht weiter verführe . . . Was er will, ist gut – und auch gut vor meinem Gewissen: wie er es will, könnte ihm meinen Fluch eintragen . . . Lasse es dahin nicht kommen, Gott. Erspare dem Kinde die Feindschaft der Eltern und die Wunde der Wahl . . .

Behüte meinen Namen: erspare es meinem Herzen, daß der Fluch unschuldiger Opfer sich an die sizilische 259 Königstochter hefte, welche nur den Schutz, die Einheit und den Frieden wollte . . . Den Deutschen bin ich die Fremde geblieben, trotz allem Bemühen, zu verstehen und zu achten. Lasse mich dem eignen Volke nicht zur Fremden, zur Verhaßten werden durch den König, der in meinem Namen in das Schloß meiner Väter einzieht . . . Mußte es sein, daß Salerno zerstört und seine Bürgerschaft getötet wurde, weil mich damals ein ohnmächtiger Podestà an Tankred auslieferte?

Verlasse den Geist des Eroberers nicht ganz, sorge, daß er sich besinne. Ich kann nicht jenseits der Verkettungen denken, ich kann nicht im entrückten Glück der Mutterschaft atmen, den Sohn nicht aus dem Zwang der Dinge lösen, in den ich ihn auf dein Geheiß geboren . . . Ich fühle es: kaum daß er seine Augen aufgeschlagen, ist er schon diesem Zwang unterworfen wie alle Spieler auf dem Plan . . . Bleibt ihm der Umkreis des Imperiums für sein Wirken erhalten, so lasse ihn kaiserlich wirken mit der Größe Meiner Ahnen . . . Zerfällt aber das kaiserliche Reich nach deiner Entschließung, so setze ihn in das Erbe meiner Väter ein, das ich ihm bewahren und zurichten will. Lasse ihn dann im engeren Kreise nicht kleiner sein, als er im weiteren wäre! Ich will mein eignes Schicksal nur als einen Durchgang für das seine erachten und ins Dunkel zurücktreten, sobald ich das bewahrte Gut in seine Hände legen konnte. Denn du weißt, daß mich nicht kleine Ruhmsucht den Weg der Kronen gehen hieß, sondern der Wille, Glück zu sichern, wo ich Verfall und Elend kommen fühlte.

Viele Bilder sind an mir vorübergeglitten und in Vergessenheit gesunken – viele andere sind in mir 260 stehengeblieben. Sie tauchen vor mir auf, wie die Sekunde sie gerade ruft: wenig lichte nur – und viel trübe . . . Sie sind die Meilensteine meines Weges, die unerbittlichen . . . Über allen aber steht Baida, das weiße Haus, im Gehege seiner Zypressen über dem Meer von Acquasanta und ladet zur Heimkehr, wenn die Stunde gekommen sein wird . . . So ist mein letztes Verlangen nach abgetragener Last der Pflicht . . . ich weiß: ein fernes Verlangen – vielleicht ein unerfüllbares: und dennoch, will mir scheinen, wenn ich alle meine Wünsche überprüfe, eines, das mich mir selbst erklärt und vor deinem Antlitz bestätigt. Ich flüchte nie zu ihm in verfrühter Zuflucht: Ich bin nicht müd und weiß, wo – lange noch – mein Standort sein muß. Ich bin so wach als eine Seele wach sein kann: so stark wie nie zuvor, seit du mir in dem Sohn den Bundesgenossen gabst. Ich müßte dich wenig lieben, Gott, wenn ich nun nicht unbeugsam in meinem Willen wäre. Schon morgen werde ich die Gegenspielerin sein, wenn die Bestimmung, aus der ich lebe, Widerstand befiehlt . . . Du hast mich aufgespart für das Unwahrscheinlichste – alle Blüte des Frauenlebens der Jugendlichen entzogen, damit sie an der Wende ihres Daseins zur Erfüllerin werde . . . Ich will die Straße der Erfüllung bis zum Ende gehen in dir, der den Sinn der Gewichte weiß, auch des Gewichtes, welches ›der Sohn‹ heißt . . .

Die Gedanken – verschwimmend – formten die Worte nicht mehr. Sie gingen vor den geschlossenen Augenlidern in ein unbestimmtes Wogen über, in dem sich goldene Kreise drehten . . . Und aus diesem Drehen läutete – nur ein paar Sekunden lang – eine feine singende Stimme . . . Ein langes, verlorenes Lächeln 261 ging über das Gesicht der Kaiserin . . . Sie hatte, über dem Traum-Ton des Kindes in der Wiege, wieder den Weg in die Worte gefunden . . .

– Vielleicht, Gott, lässest du das Geschick der Welt in dieser kleinen Wiege schlafen und sich in seinen ersten Lauten regen . . . Vielleicht ließest du meinen Schoß die Gestalt der Jahrhunderte gebären . . . Lasse meinen Sohn einen gütigen Former sein, wenn du ihn zum Formen berufst . . . Gib ihm zu der seinen meine nie begonnene Jugend, die ich mit in meinen Tod nehme.

Wieder schwiegen die Worte.

An der Decke zuckten die Schatten einer Ampel im Flackern des Kaminfeuers, von außen drang das unruhige Streichen des Nachtwindes, der von der Adria heraufkam . . .

– Du weißt es, Gott, neigte sich das Gebet seinem Ende zu, daß ich in meinem Herzen das Antlitz eines jungen Menschen trage, das die Reife meines Lebens an meine nie begonnene Jugend heftet . . . Du weißt es, daß ich dieses Antlitz liebe ohne Begehr: um der Ahnung willen, welche es mir von der Liebe gibt, die anderen blüht und mir versagt war . . . Erfülle meinem Sohne, was dieses Antlitz mir an Milde gab, seit du es auf meinen Weg gelenkt . . . Und mir erhalte es als Schatten über meinem Sohn . . .

Noch einmal öffneten sich die Augen der Kaiserin weit, sahen, ohne zu sehen, den schwankenden Schatten der Ampel an der Decke und schlossen sich dann zum langen Schlafe in den letzten Kampf.

 


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