Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Diplomatisches Vorspiel

Der Friede von Konstanz (25. Juni 1183)
als Grundlage der Reichspolitik

Spät noch hatte Barbarossa seinen Kanzler, den Erzbischof Christian von Mainz, zu einer Berichterstattung zu sich befohlen. Der Kaiser und sein ältester Sohn, der König Heinrich, folgten – als einzige Hörer – aufmerksam dem Vortrag. Der Kanzler sprach geschlossenen Auges, wie aus einem inneren Gesicht heraus. Gelassen, klar fielen die Worte in den Schein der Wachskerzen:

Der Friedensvertrag, den wir heute, am 25. Juni 1183, hier in Konstanz – auf der Grundlage der Präliminarien von Venedig aus dem Jahre 1177 – mit den Städten des Lombardischen Bundes abgeschlossen haben, ist von so einschneidender Bedeutung, daß er als Ausgangspunkt für die gesamte zukünftige Reichspolitik angesehen werden muß. Um alle Zusammenhänge zwischen Gewesenem und Zukünftigem zu begreifen, ist es nötig, bis zur Niederlage von Legnano in das Jahr 1176 zurückzugreifen. Daß dieser entscheidende Sieg des Lombardischen Städtebundes über das Reich auf den Abfall des Welfenherzogs Heinrich des Löwen zurückzuführen sei, muß bezweifelt werden. Sehr wahrscheinlich hätten die Städte auch gegen eine kaiserliche Übermacht gesiegt, da sie mit dem äußersten Opfermut für das ihnen kostbarste Gut fochten: für ihre bürgerlichen Freiheiten. Es kam jedoch der kaiserlichen Sache sehr gelegen, daß die Schlacht ohne die Anwesenheit der welfischen Truppen verloren wurde; man konnte nun jedenfalls – ob zu Recht oder zu Unrecht, war für die Wirkung gleichgültig – die Niederlage Heinrich dem Löwen in die Schuhe schieben. Damit war Eurer Majestät endlich die Handhabe gegeben, mit den Machenschaften des Herzogs aufzuräumen. Um 18 eine solche Aktion jedoch erfolgreich durchführen zu können, war ein sofortiger Friedensschluß mit dem Papste vonnöten, damit dieser nicht mehr als Gegenspieler der kaiserlichen Politik auftreten konnte: sei es im Bunde mit dem Welfen, oder mit den lombardischen Städten, oder mit dem apulisch-sizilischen Königreich, oder mit allen dreien zugleich. Als wir uns daher auf die Verhandlungen zu Venedig im Jahre 1177 einließen, leitete uns gegenüber allen an ihnen Beteiligten lediglich der Gedanke, eine für uns mehr als gefährliche Krise zu überwinden, ehe die Gegenparteien erkennen konnten, daß wir tatsächlich vor dem Abgrund standen. Daß uns dies gelungen ist, daß also die im Jahre 1177 eingeschlagene Politik tatsächlich die richtige war, hat die Folgezeit bewiesen. Wenn wir uns in Venedig auch nur sehr ungern von dem Papste Alexander zu einem Nichtangriffspakt von fünfzehn Jahren mit dem ihm verbündeten, uns noch verfeindeten Königreich Sizilien drängen ließen und dadurch überhaupt zum erstenmal diese Macht staatsrechtlich anerkannten: so hat es sich auch in diesem Punkte schon nach sehr kurzer Zeit herausgestellt, daß der Papst gegen seinen eignen Vorteil handelte, indem er uns zu einem solchen Abkommen als einer conditio sine qua non zwang. Denn in dem Maße, wie das sizilische Königreich die vertraglich beschworene Gewißheit besaß, daß es auf lange Sicht von seiten der Reichspolitik keine Durchkreuzung seiner Pläne mehr zu erwarten hatte, konnte es den Preis für die päpstliche Bundesgenossenschaft um ein Beträchtliches drücken, zumal ja die Kurie auch nicht mehr auf den Beistand eines Lombardischen Bundes zu rechnen hatte, welcher der günstigsten 19 Vertragsbedingungen von unserer Seite aus sicher war. So überlegen-klug also der Papst in seinen Berechnungen zu sein glaubte, er hatte gerade durch sein Verhalten unsere Lage entlastet und die Fundamente unserer zukünftigen Politik gefestigt. Daß es meiner Person beschieden war, Seine Heiligkeit im Auftrage Eurer Majestät noch im Jahre 77 nach Rom einzuliefern, wird mir zeitlebens eine ganz besondere Genugtuung bleiben. Denn es erfreut das Herz eines jeden Staatsmannes, seinem Herrn um ein Linsengericht einen tatsächlichen Machtzuwachs gesichert zu haben. Wie in allen Dingen des Lebens, pflegen sich die Menschen gerade in der hohen Politik durch den Anschein der Erfolge täuschen zu lassen. Und immer wieder erweist es sich, daß das Bequemlichkeitsbedürfnis der menschlichen Natur die kritische Überprüfung eines Tatbestandes in dem Augenblick unterläßt, wo sie am unerläßlichsten wäre. Wenn wir schon unmittelbar nach dem Friedensschluß von Venedig den beiden sizilischen Bevollmächtigten, dem Grafen von Andria und dem Erzbischof Romuald Guarna von Salerno, die vertraglichen Abmachungen sogar durch die Kaiserin Beatrix und den König Heinrich beschwören ließen, wenn wir ihnen außerdem vertraulich mitteilten, in wie hohem Maße wir die betonten Rechte und geäußerten Wünsche der lombardischen Städte in der nun beginnenden Ausarbeitung eines neuen Vertragszustandes zwischen ihnen und uns berücksichtigen würden, so haben wir mit einem solchen Schachzug der Kurie einen weiteren Trumpf aus ihrem Kartenspiel genommen: ihre Warnungen vor unserer Unzuverlässigkeit und Doppelzüngigkeit mußten fortan am Hofe von Palermo mit etwas 20 größerer Zurückhaltung aufgenommen werden. Auch hatte man sich ja an höchster Stelle in Palermo schon seit geraumer Zeit den häufig wiederholten Hinweisen unseres dortigen Vertrauensmannes, des Erzbischofs Walther Offamilio, nicht verschlossen: den Hinweisen nämlich, daß sich Neutralität in wohlwollende Neutralität und schließlich in eine Freundschaft verwandeln könne. Man war ihnen um so zugänglicher, als ein starkes, die außenpolitischen Pläne des sizilischen Staates nicht mehr störendes, sondern förderndes Reich einen ganz anderen Rückhalt bot als ein seit zwei Jahrzehnten fühlbar geschwächtes Papsttum. Welches die phantasievollen Pläne der Regierung von Palermo waren, lag auf der Hand: die Eroberung des byzantinischen Reiches. Mit einem feindlichen Kaiser und den Flotten der ihm verbündeten Stadtrepubliken von Pisa und Genua im Rücken war diese Eroberung wohl kaum zu bewerkstelligen. Der Erfolg der Abmachungen von Venedig läßt sich also dahin zusammenfassen, daß diese dem Reiche die dringend notwendige weltpolitische Entspannung gewährleistet und – eben dadurch – die Grundlage zu einer neuen, vorläufig noch unterirdischen Belebung der kaiserlichen Politik geschaffen haben. Vom Standpunkt diplomatischer Theorie aus gesprochen, hat dieser Friede den Beweis erbracht, daß der kühlen Berechnung des im Augenblick Erreichbaren der Vorrang gebührt vor dem hartnäckigen Verharren auf Rechtsansprüchen, deren völlige Verwirklichung die vis major der bestehenden Machtverhältnisse ausschließt. Die Zielsetzung großer Politik wird nicht beeinträchtigt durch einen notwendigen Umweg. Das Endziel der kaiserlichen Weltpolitik ist durch den 21 Frieden von Venedig in keiner Weise zurückgesteckt worden. Im Gegenteil: es ist durch seine Verheimlichung geschützt geblieben, in unserem Bewußtsein aber verdeutlicht worden durch die Erkenntnis, daß es kluger Mäßigung immer wieder gelingt, auch den gewürfeltsten Gegner im kritischen Augenblick zu lähmen.

Unmittelbar nach jener Entspannung, welche die Unterzeichnung des Vertrages von Venedig brachte, vermochten wir wieder handelnd in den Gang der Weltereignisse einzugreifen. Die im Jahre 1178 erfolgte Krönung Eurer Majestät zum König des burgundisch-arelatischen Reiches bedeutete den Beginn unseres neuen Wirkens. Der im Jahre 1180 gegen Heinrich den Löwen geführte Schlag – seine Verbannung nach England und die Aufteilung seiner Länder an einige Eurer Majestät ergebene Fürsten – stellt eine innerpolitische Tat von grundsätzlicher Tragweite dar. Die sich über drei Jahre hinstreckenden Verhandlungen mit den lombardischen Städten zwecks Ausbaus des in Venedig geschlossenen Präliminarfriedens aber zeigen die außenpolitische Kunst Eurer Majestät im hellsten Lichte. Der Friede, den wir am heutigen Tag mit dem Lombardischen Bund abgeschlossen und unterzeichnet haben, ist das folgerichtige Ergebnis der Politik, zu der wir uns schon im Vertrag von Venedig bekannten, einer Politik, die wir zu unserem eigenen Vorteil auf absehbare Zeit beibehalten werden.

Welches nun sind Inhalt und Bedeutung des Vertrages von Konstanz, gemessen an den Aufgaben, die uns aus ihm in Verfolgung unserer inneritalischen Ziele erwachsen und gemessen an den Aussichten, die er uns weltpolitisch eröffnet? 22

Es ist von mir vorhin schon erwähnt worden, daß ich die Niederlage von Legnano dem Opfermut zuschreibe, mit welchem die lombardischen Städte um einen bürgerlichen Freiheitsbegriff kämpften, der von uns lange Zeit in seiner ethischen Bedeutung verkannt und deshalb als politische Kraft nicht genügend in Rechnung gestellt worden ist. Eine Reichspolitik, welche noch auf dem unveränderten Tenor der diktatorischen Abmachungen von Roncaglia aus dem Jahre 1158 fußte, konnte nach der Niederlage von Legnano nicht wieder aufgenommen werden. Sollte ein neues Abkommen Aussicht auf Dauer haben, so mußte es einer sozialpolitischen Entwicklung gerecht werden, welche uns vielleicht nicht erwünscht war, aber als unabänderliche Gegebenheit hingenommen werden mußte. Die Blüte der oberitalischen Städte speiste sich schon lange aus einem gewaltigen Lebensgefühl der einzelnen Gemeinde, für dessen Verständnis die Begriffe unserer feudalen Auffassung nicht mehr ausreichten. Auch siegreiche Waffengewalt hätte dieses Gefühl nicht mehr zu unterdrücken vermocht, was immer gewisse Haudegen, deren Verstand von ihrem dicken Schädel aus nicht weiter reicht als der Steiß ihres Gaules von ihrem eignen, sich und ihresgleichen vorschwafeln mögen. Wenn jemand, so haben Eure Majestät nach der Niederlage von Legnano sofort begriffen, daß nur der völlige Verzicht auf den Geist und die Methoden von Roncaglia dem Reich die tatsächliche Oberhoheit über den Lombardischen Bund erhalten könnte. Indem Eure Majestät den Preis, der für diesen ungeheuren Gewinn zu zahlen war – nämlich die Gewährung selbständiger Gemeindeverwaltung – für nicht zu hoch erachteten, ist 23 die Machtstellung des Reiches nicht nur vor schwerer Einbuße bewahrt geblieben, sondern – ganz im Gegenteil – um ein Beträchtliches gehoben worden. Denn das Bekanntwerden der heute hier in Konstanz unterzeichneten Abmachungen wird der Welt beweisen, daß sich die Politik des Reiches in Zukunft auf die weiteste Anerkennung berechtigter Eigenart stützen werde. Daß wir dem vornehmsten Verfechter des kaiserlichen Gedankens am Hofe von Palermo, dem Erzbischof Walther Offamilio, sowie unseren besonderen Freunden unter dem apulischen Adel einen Vertrag wie den heute abgeschlossenen als Beleg unterbreiten können, wird Erfolge von großer Tragweite zeitigen. Die Form, in der eine Macht ausgeübt wird, wechselt je nach den Umständen. Wo Einsicht und Milde der Behandlung den tatsächlichen Machtzuwachs bedeuten, sind sie anzuwenden. Die Einheit eines großen Reiches, in dessen Rahmen die verschiedenartigsten Volksstämme ihren ebenbürtigen Platz behaupten wollen, wird nicht auf lange Sicht geschaffen durch gedanken- und rücksichtslose Gleichmacherei aller Teile, nicht durch deren gewaltsame Zwängung in ein ihnen fremdes Lebensgesetz: sondern durch weise und gerechte Aneinanderfügung, welche verpflichtet, aber nicht erbittert.

In wie hohem Maße die Mitglieder des Lombardischen Bundes gerade für eine solche Auffassung empfänglich sind, beweist der auf dreißig Jahre ausgefertigte Präliminarvertrag, den sie schon am ersten Mai dieses Jahres in Piacenza untereinander abgeschlossen haben. Sie verpflichten sich in diesem Abkommen erstens: die Satzungen des mit dem Reiche zu 24 schließenden Friedens – also des heute unterzeichneten – unbedingt einzuhalten – zweitens: sich durch gegenseitige Hilfeleistung alle Rechte zu sichern, welche ihnen dieser Friede gibt und zurückgibt – drittens: in jeder Bundesstadt alle Einwohner von achtzehn bis siebzig Jahren – in erster Linie die Konsuln, die Podestà und die Mitglieder der Stadtparlamente – auf diesen Bundesvertrag zu vereidigen. Mit anderen Worten: sie erheben – indem sie das allgemeine Wohl des Bundes über das Wohl des einzelnen freiwilligen Bundesmitgliedes stellen – den Konstanzer Vertrag zu einem Bestandteil des lombardischen Bundesrechts selbst. Die Rechtslage zwischen Reich und Lombardischem Bund, um derentwillen durch Jahrzehnte so viel Blut geflossen ist, erscheint somit als endgültig geklärt und jedem Entscheide durch die Waffen entrückt; das heißt: sie stellt fortan keine äußere noch innere Belastung der kaiserlichen Politik mehr dar. Eure Majestät können die Hände regen zu anderem Tun, nämlich zu der Regelung der übrigen italischen Verhältnisse in Tuskien, in Oberitalien, sofern es nicht zum Lombardischen Bunde gehört, in der Emilia, der Garfagnana und Versilia, in Piemont und den Ländern östlich des Apennin.

Da sich die kaiserliche Macht in den italischen Reichsgebieten nach zwei Werten bemißt: nämlich einmal nach den überkommenen oder neu erwachsenen Hoheitsrechten in den einzelnen Reichsteilen, sodann nach dem tatsächlichen reichsunmittelbaren Besitz, so erfordert die zu befolgende Politik mit zwingender Klarheit die Erhaltung und den Ausbau dieser beiden Machtfaktoren. Bezüglich der Hoheitsrechte, welche je nach den Städten, für die sie Gültigkeit haben, die 25 unterschiedlichsten Schattierungen aufweisen, wird eine Art von Vereinheitlichung durch An- und Ausgleich anzustreben sein, so daß sich schließlich das Verhältnis all dieser verschiedenen Gemeinden zum Reiche demjenigen des Lombardischen Bundes nähert. Bezüglich des tatsächlichen Reichsbesitzes in den Provinzen aber, zu dem die Mathildische Erbschaft gehört, ergibt sich die Notwendigkeit, in neue Verhandlungen mit der Kurie einzutreten. Da auf Grund des Konstanzer Vertrages die Mitglieder des Lombardenbundes verpflichtet sind, für den unveränderten Bestand des Reichsbesitzes im oberen Italien – also auch des Mathildischen Gutes – einzutreten, spielt die Frage des Verhältnisses von Lombardenbund zum Reich unmittelbar über in die Frage des Verhältnisses zwischen Kaiser und Papst. Das Ziel der Reichspolitik muß es sein, von der Kurie ähnliche Garantien für den unverminderten Reichsbesitzstand zu erhalten wie vom Lombardischen Bund, selbstredend bei entsprechender Gegenleistung von seiten des Reiches. Da die Lösung der Frage Reich und Kurie auch Eurer Majestät von großer Dringlichkeit erschien, haben wir schon im vergangenen Jahre einen Vorschlag an die Kurie gelangen lassen, der die wechselseitigen Beziehungen auf einer neuen, geldmäßigen Grundlage regelte. Die Gegenvorschläge des Papstes überbrachte man uns vor kurzem hierher, nach Konstanz. Die Antwort, welche wir nun unsrerseits wiederum erteilen, wird aus triftigen Gründen sehr wesentlich von den im vergangenen Jahre gemachten Vorschlägen abweichen. Denn obwohl uns die überaus schlechte Lage des Papstes Lucius III. bekannt ist, obwohl wir von seiner wahrhaften Bedrängnis durch 26 die Bevölkerung von Rom genaueste Kunde haben und Eure Majestät mir sogar die ehrenvolle Aufgabe zugedacht haben, dem Heiligen Vater noch in diesem Sommer zu Hilfe zu eilen und ihn nach Rom zurückzubefördern, wie im Jahre 77 seinen Vorgänger Alexander III., lassen es uns höhere Erwägungen für angebracht erscheinen, auch in unserem Verhalten der Kurie gegenüber dieselbe Mäßigung an den Tag zu legen, welche zu dem für uns so günstigen Friedensschluß von Konstanz geführt hat. Wir verzichten also in den neuen Vorschlägen auf eine grundsätzliche Neuregelung unserer Beziehungen zur Kurie und stützen uns vielmehr in unseren Forderungen auf die Anerkennung ihres seitherigen Besitzstandes. Wir tun dies unter natürlicher Berücksichtigung der geschwächten Position des Papstes, aber nicht unter deren vermessener Ausbeutung. Denn wir wollen nichts anderes als ehrlichen Frieden ohne Preisgabe lebenswichtiger Ansprüche. Diese unsere Ansprüche lassen sich in Kürze dahin umschreiben, daß dem Kaiser das Recht zustehe, erstens: in den päpstlichen Besitzungen die Reichswehrsteuer zu erheben, zweitens: in Gebietsaustausch mit der Kurie zu treten, wenn strategische Gründe dies erfordern sollten, wogegen die Kurie nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten entschädigt werden mag, und drittens: die letzte Entscheidung in Austauschfragen nach eigenem Ermessen auch gegen den Spruch des neutralen Schiedsgerichtes zu fällen.

Es ist angesichts der Notlage des Papstes und des Mangels an jeder sich für ihn einsetzenden Bundesgenossenschaft – der Welf, der Normanne und der Lombardische Bund kommen für eine solche nicht mehr in 27 Frage – kaum anzunehmen, daß sich der Durchführung unseres Planes unüberwindliche Hindernisse in den Weg stellen werden. Es ist natürlich auch nicht damit zu rechnen, daß die Verhandlungen, zu denen sich die Kurie ja schon bereit erklärt hat, einen sehr raschen Verlauf nehmen. Es wäre das erstemal, daß sie auf die Methode der Verschleppung verzichtete. Indem wir also einem langsamen Gang der Besprechungen mit der Kurie entgegensehn, werden wir bestrebt sein, ein neues Gewicht unserer Politik schon so frühzeitig in die Waagschale zu werfen, daß es gegebenenfalls rückwirkende Bedeutung auf die Unterhandlungen mit Lucius III. gewinnen könnte. Eure Majestäten wissen, daß ich in meinen Darlegungen an der für die kaiserlichen Pläne geradezu entscheidenden Frage der sizilischen Heirat angelangt bin.

Der Plan der kaiserlichen Regierung, mit dem Reich der Normannen in Sizilien und Apulien durch eine Heirat in engere Verbindung zu treten, verdankt seine Entstehung Erwägungen, welche schon an die acht Jahre zurückliegen und sich heute gebieterischer als je unserer Politik aufdrängen. Der Gegensatz zwischen Kaiser und Kurie mußte der Angelpunkt der normännischen Politik in Süditalien und Sizilien sein, seitdem es eine solche Politik gab. Sie lebte sozusagen vom Bestehenbleiben dieses Gegensatzes, solange sie sich durch das Reich bedroht fühlte. Daß jedoch das Reich – angesichts seiner dringlichen nächsten Aufgabe – zu einer Schwenkung in seiner Haltung bereit war, mußte die Regierung in Palermo schon erkennen, als Eure Majestät im Herbste 1176 dem König Wilhelm von Sizilien den Plan einer ehelichen Verbindung mit einer 28 kaiserlichen Prinzessin nahelegen ließen. Wenn dieser Plan damals nicht zur Ausführung gelangte, so geschah es weniger aus schroffer Ablehnung durch den König, als vielmehr auf Drängen und Drohen des Papstes Alexander III., der – als Lehnsherr des normännisch-sizilischen Reiches – unter keinen Umständen ein Abweichen von dem seither befolgten politischen Kurs dulden, sondern diesen Kurs noch schärfer fortgeführt wissen wollte. Der König Wilhelm konnte es damals, angesichts der inneren Wirren, welche eben noch sein Land durchtobt und die Stellung der Dynastie aufs schwerste gefährdet hatten, nicht wagen, den Heiligen Vater zu brüskieren, geschweige denn in das Lager des ewig rebellierenden Adels zu treiben. Auch mag er den Stimmen seiner kaiserfeindlichen Minister, insbesondere des Grafen Matthäus Ajellus, nicht unzugänglich gewesen sein, welche ihm ins Ohr flüsterten, daß man sich die Laus nicht in den Pelz setzen solle, und daß der Spatz in der Hand immer noch besser sei als die Taube auf dem Dach. Ich konnte mich in langen Gesprächen mit einzelnen Herren aus der Umgebung des jungen Königs, vor allem mit dem Erzbischof Walther Offamilio, davon überzeugen, wie richtig unsere damalige Lage beurteilt wurde. Man wußte auf das genaueste Bescheid über die Bedrängnis, in der wir uns nach Legnano befanden, und war keineswegs davon überzeugt, daß es uns gelingen würde, ohne starke Einbuße an Prestige und Macht den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Die politisch kühl und sachlich denkenden Kreise können sich allerdings heute zu unseren Gunsten auf ihre Skepsis im Jahre 1176 berufen! ›Wenn es der kaiserlichen Politik – können sie dem blinden 29 Fanatismus ihrer Gegner erwidern – gelungen ist, so unheilvolle Schläge wie die Niederlage von Legnano auf außenpolitischem und die Revolte des mächtigen Welfenherzogs auf innerpolitischem Gebiet nicht nur ohne lebensgefährliche Verletzung zu überstehen, sondern sogar noch durch diplomatische Mäßigung in Erfolge zu verwandeln: um wieviel mehr darf man sich dieser Politik anvertrauen, sobald sie sich erst auf dem Hintergrunde sicherer Besitz- und Hoheitsverhältnisse entfalten kann!‹

Ich habe während der sechs letzten Jahre, die seit dem Vertrag von Venedig verflossen sind, auf eine sehr unaufdringliche Weise am Hofe von Palermo den von mir soeben gekennzeichneten Standpunkt propagieren lassen, ich habe auch nicht am Golde gespart, wo es mir fruchtbringend angewendet schien, besonders nicht bei den ›Großen‹. Denn das Gold ist immer bei den Großen wirksamer angewendet als bei den Kleinen. Der Erfolg meiner diplomatischen Bemühungen ließ nicht auf sich warten: Eure Majestäten können es heute als eine unabstreitbare Tatsache ansehen, daß es am Hofe von Palermo schon eine ausgesprochen kaiserlich gesinnte Partei gibt, welche sich um den Erzbischof Walther Offamilio schart und – mirabile dictu – in dem jungen tolosanischen Dichter Pedro de Vaqueiras ihren aufrichtigen Anhänger hat. Dieser Graf Vaqueiras aber ist nicht nur dem Könige selbst auf das herzlichste verbunden, sondern er steht auch der Prinzessin Konstanze nahe, deren Vorliebe für das höfische Leben der Provence in ihm ihre Belebung findet. Rebus sic stantibus darf man heute wohl ohne Übertreibung behaupten, daß der Plan Eurer Majestät, die letzte, rechtmäßige Erbin des 30 apulisch-sizilischen Reiches, die nachgeborene Tochter, Konstanze mit Namen, des Königs Roger II., mit dem König Heinrich zu vermählen, nicht auf unvorbereiteten Boden fallen wird, sobald ihn unsere Gesandten in aller Kürze dem Hofe von Palermo unterbreiten werden. Dies aber um so weniger, als die Zeit mittlerweile in geradezu wunderbarer Weise durch eine günstige Verknüpfung mehrerer Umstände für die Absichten Eurer Majestät gearbeitet hat.

Als sich im Februar 1177, also nur wenige Monate nach der Ablehnung des ersten kaiserlichen Angebotes, der damals dreiundzwanzigjährige König Wilhelm auf Drängen seines Kanzlers Matthäus Ajellus und des Papstes Alexander mit der Prinzessin Johanna von England, der Tochter Heinrichs II. und Schwester des Kronprinzen Richard Löwenherz, vermählte, schienen sich die Wege der normännisch-sizilischen und der hohenstaufischen Dynastie für immer zu trennen. Ajellus sowohl als der Papst hofften durch diese Ehe die englische Macht an die normännische Nationalpolitik und die der Kurie zugleich anzuspannen, das heißt: der reichsfeindlichen Mächtegruppe einen wichtigen Bundesgenossen zuzuführen. Sie rechneten auch bestimmt damit, daß ihrer Koalition der Welfe und die lombardischen Städte erhalten bleiben würden. Aber gerade die verdächtig rasche Eheschließung Wilhelms mit der stammverwandten Engländerin gab uns das Warnungssignal. Sie machte uns größte Mäßigung in den Friedensschlüssen mit den Normannen zu Venedig und mit den Lombarden zu Konstanz zur Pflicht, verlangte aber andrerseits, da die Möglichkeit dazu vorhanden war, das schonungsloseste Vorgehen gegen den 31 Welfen. Denn die dringend notwendige Erneuerung des kaiserlichen Ansehens konnte fürs erste nur von einem aufsehenerregenden innerpolitischen Siege herkommen.

Kurz nach dem Jahre 1182 begannen sich die Augen der gesamten europäischen Welt nach Palermo zu wenden. Wir erhielten um diese Zeit Kunde von der quälenden Besorgnis, mit welcher den Papst Alexander die Kinderlosigkeit Wilhelms II. erfüllte. Wir erhielten im Jahre 83 Kunde aus Palermo, daß die berühmtesten Ärzte der Universität Salerno häufig zu Befragungen an den Hof beordert wurden, ohne daß es ihnen gelungen wäre, die Unfruchtbarkeit der Königin oder die des Königs zu beheben. Es lag auf der Hand, daß Wilhelm II. als gesunder, sinnenfroher und schöner Mensch angesprochen werden mußte. Der Zauber, den er auf alle Menschen ausstrahlte, die ihm nahekamen, wurde bis in entlegene Länder gerühmt. Mir selber sprach schon im Herbste 1176 Pedro de Vaqueiras von diesem König in einer Weise, die mich aufhorchen ließ. Aus England vernahmen wir, daß die Königin Johanna von ihm gesagt habe, er sei ein Träumer, der in künstlerischen und politischen Phantasien lebe. Die Mosaikbilder und Bronzetüren des Domes von Monreale, den er viele Jahre lang unter seiner eignen Aufsicht erbauen ließ, lägen ihm mehr am Herzen als die Erfüllung seiner ehelichen und damit seiner dynastischen Pflichten. Als er sich die beiden Prinzen von Cordova, die Söhne des Sultans, in seine Sommerresidenz Favara einlud, um mit ihnen die arabischen Dichter zu lesen, schüttelte man am Hofe den Kopf. Ihren Höhepunkt aber erreichte die Verwunderung der Hofleute, als er sich im Jahre 1182 eines byzantinischen Flüchtlings annahm, der sich 32 für den Komnenenprinzen Alexius ausgab, den Sohn des von Andronikus ermordeten Kaisers Manuel. Er behielt ihn am Hofe, behauptete, den echten byzantinischen Kronprinzen bei sich zu beherbergen und ließ ihm eine Ausbildung geben, wie sie nur Fürsten genießen. Unter der Hand ließ er durchsickern, niemand sei ihm für seine orientalischen Absichten, das heißt für die Eroberung von Byzanz, so wichtig, wie dieser vierzehnjährige Thronanwärter . . . Relata refero. Aus all dem Dunst von Legenden, der sich schon früh um die Gestalt des Herrschers von Sizilien gelegt hat, löst sich für uns das Bild eines Menschen, der ohne Zweifel auf weit höherer Stufe lebt als irgendein Baron aus seiner Umgebung, eines Menschen, der außergewöhnlicher Begeisterungen fähig ist, das Bedeutende bedeutend, das Schöne schön sieht und jenen untrüglichen Sinn für Weite besitzt, der ihm mühelos auch die Großartigkeit der weltpolitischen Pläne Eurer Majestät erschließen wird. Stelle ich neben alles Geschwätz der Gerüchtemacher das mir bekannte Urteil eines so kühlen und vorsichtigen Staatsmannes wie des Erzbischofs Offamilio, der, wie Eure Majestäten wissen, Engländer ist: so weiß ich, daß in dem König Wilhelm II. der Sinn für politische Wirklichkeiten nicht minder ausgeprägt ist als der Sinn für politische Möglichkeiten – und daß sein Geist in Zusammenhängen denkt, deren Erkenntnis nur göttliche Gnade, aber keine noch so gründliche staatsmännische Schulung zu vermitteln vermag. Es unterliegt für mich schon heute keinem Zweifel mehr, daß alle von uns zu führenden Verhandlungen in Palermo nach Möglichkeit mit diesem König selbst geführt werden sollten. 33

In dem Maße, wie die Frage der sizilischen Erbfolge die Gemüter zu beschäftigen begann, trat auf den ersten Plan des weltpolitischen Schauplatzes die Gestalt der wahrscheinlichen Erbin des Königreichs: der Prinzessin Konstanze. Die Augen aller europäischen Fürstenhäuser waren nun auf sie gerichtet, die man lange Jahre kaum dem Namen nach gekannt hatte. Blieb der König tatsächlich ohne Erben, so lag das Geschick des Staates in ihren Händen – und damit natürlich in den Händen des Mannes, der ihr als Prinzgemahl angetraut werden würde. Begreiflich unter solchen Umständen die Angst des Papstes, begreiflich die Angst des sizilisch-apulischen Adels, begreiflich der brennende Wunsch Eurer Majestät, den König Heinrich als Gatten in die Rechte dieser Frau eintreten zu sehen und damit den Schlußstein in das gewaltige Gebäude des deutsch-italischen Weltreiches zu setzen, dessen Errichtung das große Ziel Eurer Majestät war, ist und sein wird.

Die Prinzessin Konstanze ist im Jahre 1154, kurze Zeit nach dem Tode ihres Vaters, des Königs Roger II., geboren. Sie ist also gleichaltrig mit ihrem Brudersohne Wilhelm, dem jetzt regierenden König, und war in Kinderjahren dessen tägliche Spielgefährtin. Es wurde mir von mehreren Seiten berichtet, daß seit früher Jugend zwischen ihr und dem König eine niemals verminderte Freundschaft bestehe. Dies zu wissen, ist für uns von besonderer Bedeutung. Ihre Erziehung erhielt sie in einem der königlichen Klöster in der Umgebung von Palermo. Sie spricht neben ihrer französischen Muttersprache das Italienische, kennt soviel Lateinisch, als zum Verstehen einer Urkunde nötig ist, und hat gute Kenntnisse im Arabischen und Griechischen, den 34 beiden Sprachen, welche am häufigsten in der Hauptstadt gesprochen werden. Frauenarbeit ist ihr fremd. Hingegen ihr regsamster Anteil an allen politischen Vorgängen nachgesagt wird und eine – offenbar vom großen Vater ererbte – erstaunliche Sicherheit in der Erkenntnis des Wesentlichen. Seit sie in den Vordergrund der politischen Beachtung getreten ist, sieht man sie öfters als früher bei Hofe. Zwischen der Königin Johanna und ihr soll eine ausgesprochene Abneigung bestehen. Die Königin wird als hübsch, flatterhaft und anspruchsvoll geschildert, die Prinzessin dagegen als klug, verschlossen, stolz und schroff. Sie ist von übermittlerer Größe, dunkelblond, vornehmen Aussehens, obwohl ohne ausgesprochene Schönheit. Alles in allem ihrer verstorbenen Mutter ähnlich, der Gräfin Beatrix von Rethel, nicht zuletzt in ihrer tiefen Frömmigkeit. Sie hat die Gabe, aufmerksam zuzuhören, ohne im Mienenspiel ihre Gedanken zu verraten, und äußert nie ein leichtfertiges Urteil. Ohne daß man beweisen könne warum, hat man den Eindruck, daß sie die Menschen verachtet. Sie ist von großer, herber Anhänglichkeit an die wenigen Freunde, welche ihr nahestehen. Sie haßt Geschwätzigkeit und Großsprecherei. Güte gegen die Bedürftigen erscheint ihr als die selbstverständliche Pflicht der Pupurgeborenen. Das schönste – wenn auch unverbürgte – Wort, das von ihr umläuft, lautet: Die Frau, welche aus dem Purpur komme, solle entweder wieder in den Purpur gehen oder zu Gott.

So ungefähr zeichnete man mir das Bild der Prinzessin, welche durch eine unergründliche Fügung des Geschickes plötzlich in den vordersten Plan der Weltpolitik gerückt worden ist. Man darf wohl behaupten, 35 daß es ein königliches Bild sei. Der sogearteten Erbin des apulisch-sizilischen Königreiches stehen alle Throne bereit. Es gibt aber wohl nur einen Thron, den zu besteigen ihr selber als eine Auszeichnung erscheinen dürfte: den kaiserlichen. Auch ist es ihr wohl klar, daß ein an das Reich angelehntes Sizilien jedenfalls nichts von all den Schrecken zu befürchten haben wird, worauf sich ein den Parteikämpfen seiner Adelsklüngel erneut preisgegebenes gefaßt machen müßte. Exempla docent. Kommt es zwischen dem Reich und der Regierung von Palermo zur Ausfertigung eines Ehe- und Erbvertrages: so verlangt es von vornherein die staatsmännische Einsicht der anbietenden Partei, daß jeder Anschein vermieden werde, als erstrebe sie gewissermaßen eine hinterlistige Eroberung ›eingebrachten Erbgutes‹. Die sizilische Regierung wird auf Vorschläge des Reiches nur dann eingehen, wenn König Heinrich de jure nur als Prinzgemahl der Erbin zur Seite tritt und diese – nach dem Erlöschen der männlichen Linie – als nationale Regentin die Regierung bis zum Mündigwerden ihrer Leibeserben übernimmt. Man würde sich einer bedenklichen Täuschung hingeben, wenn man annähme, daß auf irgendeiner anderen Grundlage als der genannten überhaupt ein Vertrag – mit welcher Macht immer – zustande käme. Denn die sizilische Regierung hat es nicht nötig, überstürzte Entschlüsse zu fassen, noch sich Zugeständnisse abringen zu lassen, die mit ihrer Würde unvereinbar sind. Für die kaiserliche Regierung darf nur eine einzige Erwägung maßgebend sein: die eheliche Verbindung zwischen der Prinzessin Konstanze und dem König Heinrich bedeutet schon durch sich selbst einen so außerordentlichen 36 Gewinn für die weltpolitische Machtstellung des Kaisertumes, daß ein Verzicht auf sie einer Niederlage gleichkäme.

Sie bedeutet ganz einfach den Eintritt eines wirklichen Friedenszustandes zwischen Sizilien und dem Reich – und dieser hinwiederum bedeutet Ellbogenfreiheit für beide Staaten. Sizilien, nunmehr unbehelligt von dem Reich, kann seine byzantinischen Pläne zu verwirklichen trachten. Das Reich, unter dessen Feinden sich fortan Sizilien nicht mehr befindet – wie auch die lombardischen Städte nicht mehr auf italischem und schwerlich noch einmal die Welfen auf deutschem Boden –, dieses so entlastete Reich kann nun zum Heile der ganzen Welt dem Papste die Fußfessel anlegen und sich ernsthaft daranmachen, die Beziehungen zwischen Kaiser und Kurie in die ihm passende endgültige Form zu bringen. Niemand mehr als die normännisch-sizilische Dynastie hat Vorteil von einer solchen radikalen – wenn auch der Form nach milden – Begrenzung der päpstlichen Ansprüche. Unleidliche Bevormundungen hören auf, kostspielige militärische Hilfeleistungen für den Papst fallen fort – das lästige Lehensverhältnis selbst wird wirkungslos, da dem Papst keine Macht mehr zur Verfügung steht, die mit der Waffe für seine Ansprüche kämpfte. Der Heilige Vater brauchte fortan nur eine Reise an die nördliche, die östliche, die südliche Grenze seiner ihm belassenen Gebiete zu machen, um zu spüren, was eine Zange ist. Das Wichtigste aber: dem Reiche würde nun wohl – bei entsprechender Entschädigung – die sizilische Flotte erhebliche Dienste leisten können. Die Inanspruchnahme der Flotten von Pisa und Genua wäre nicht mehr eine Notwendigkeit, 37 die jedesmal mit Gold und allerlei Zugeständnissen aufgewogen werden müßte. Da das sizilisch-apulische und das deutsch-italische Reich eine gemeinsame Landesgrenze haben, ließe sich ein ungestörter Handelsverkehr größten Umfanges entwickeln . . . Und schließlich: die Mitgift der Prinzessin, die größte Mitgift, welche heute eine Braut an barer Münze, Schmuck und Hausgut einzubringen hat, würde die kaiserlichen Machtmittel um ein Bedeutendes steigern.

Eure Majestäten könnten mir vielleicht vorhalten, daß ich in allen meinen Darlegungen eine Ablehnung des kaiserlichen Angebotes durch König Wilhelm nicht in Rechnung gestellt habe. Ein Eingehen auf diese Frage erübrigt sich. Ich weiß aus zuverlässigster Quelle – noch gestern hat es mir der Erzbischof Offamilio durch einen Brief bestätigt –, daß der König Wilhelm seine Einwilligung nicht nur nicht verweigern, sondern aus voller Überzeugung heraus geben wird. Er wird also wohl seine triftigen Gründe haben. Es ist nicht nur mein staatsmännischer, es ist auch mein eigenster Ehrgeiz, den Heiratsplan zur Verwirklichung zu bringen. Denn ich sehe in ihm – wenn überhaupt irgendwo – die Krönung einer weltumspannenden Politik, welche dem kaiserlichen Namen den höchsten Glanz und der kaiserlichen Macht die großartigste Entfaltung zum Segen des gesamten Abendlandes verleihen kann.

Ruhig, wie man aus Überzeugung spricht, hatte der Kanzler die letzten Worte gesagt. Nun schwieg die tiefe, die unermüdliche Stimme.

In der Stille des Raumes war nichts mehr als der Atem einer Holunderdolde, die im Nachtwind gegen das Bogenfenster schwankte.

 


 

Die Kaiserin Konstanze

(1154–1198)

 

Erstes Kapitel

Palermo/Baida, 6. Mai 1184

Mit einer abwehrenden Bewegung gegen den Vizekanzler Matthäus Ajellus erhob sich der König Wilhelm aus seinem Sessel:

– Nein, und nochmals nein! Ich will mich auf Ihre Art der Beweisführung nicht mehr einlassen. Was hat es denn für einen Sinn, daß Sie mir nun zum drittenmal seit der Ankunft der Gesandten des Kaisers Barbarossa die Geschichte der Verträge erläutern, welche das sizilisch-apulische Reich an seinen Lehnsherrn, den Papst, binden! Wir schreiben heute den 6. Mai 1184 – und es drängen sich Entscheidungen an uns heran, welche nicht aus alten Verpflichtungen, sondern aus einer sorgfältigen Berechnung neuer Möglichkeiten gefällt werden müssen.

– Verletzung lebenswichtiger Verpflichtungen, die sich bewährt haben, ist ein gefährliches Spiel, Majestät . . .

– Wer redet denn von Verletzungen? Ich habe nicht die Absicht, die Verträge mit der Kurie zu kündigen!

– Sie umgehen, sie beiseite schieben ist auch eine Art der Kündigung . . .

– Ich lasse der Kurie ihren Buchstaben, den sie so sehr liebt – aber ich denke nicht daran, die Entwicklung unseres Staates durch Fesseln hemmen zu lassen, die ich – ihrem Sinne nach – immer als Vergewaltigungen empfunden habe.

– Dann darf ich Eure Majestät wohl um die Erlaubnis bitten, mich zurückzuziehen –

– Nein, Ajellus! Ich verlange von Ihnen, daß Sie sich ebenso leidenschaftslos mit den schwerwiegenden Fragen auseinandersetzen, welche an uns herangetreten sind, wie ich selbst es tue. Sie beurteilen die Lage des 44 Kaisers falsch! Wir sind nicht mehr im Jahre 76! Die Niederlage von Legnano ist nicht nur ausgemerzt: sie ist fast in einen Sieg verwandelt: dank einer bewundernswert klugen politischen Methode, wie ich sie auch in unseren Angelegenheiten angewandt sehen möchte! Sie kommen mir beinahe vor wie ein Tribun, der eine Sache zurechtdreht, wie sie seinen Parteigängern paßt. Der Erzbischof wird Ihnen bestätigen, daß auch andere diesen Eindruck haben . . .

– Der Erzbischof wird immer nur einen Demagogen in mir sehen, Majestät; der Erzbischof wird es auch bis an sein Lebensende als eine persönliche Beleidigung empfinden, daß ich Eurer Majestät im vergangenen Jahre den Rat gab, das Kloster Monreale vor den Toren der palermitanischen Diözese zu einem im Range mit Palermo gleichwertigen Erzbistum zu erheben.

Der Erzbischof von Palermo, Walther Offamilio, der an einer Mosaiksäule des Beratungszimmers lehnte, lächelte:

– Die Befolgung Ihres uneigennützigen Rates durch Seine Majestät könnte ja auf ganz andere Motive zurückgehen, als Sie vermuten, Herr Minister. Kein Mensch bestreitet, daß das Wunder von Monreale, das heute schon weltberühmte Werk unseres geliebten Königs, zum allermindesten den Rang eines Erzbistums beanspruchen kann . . . Es ist mir im übrigen unklar, warum die Ohren Seiner Majestät mit dieser Angelegenheit behelligt werden. Es schien mir, daß Sie und ich zu anderen Gesprächen hierher befohlen worden sind.

– Mir ebenfalls, sagte der König, auf Ajellus zuschreitend. Wollen Sie mir jetzt klipp und klar darlegen, warum Sie die Heirat zwischen der Prinzessin 45 Konstanze – der einzigen rechtmäßigen Erbin des Reiches für den Fall, daß ich kinderlos sterbe – und dem Sohne des Kaisers Barbarossa, dem König Heinrich, für staatsgefährlich halten – das heißt: wollen Sie mir vor der Zeugenschaft des Erzbischofs die Fragen beantworten, die ich an Sie richten werde?

– Ich werde tun, was Eure Majestät mir befehlen. Ich werde, wie es die Pflicht des verantwortlichen Ministers ist, nach bestem Wissen und Gewissen antworten . . .

– Gut. Erkennen Sie an, daß die Lage des Kaisers und des Reiches heute, im Jahre 84, eine wesentlich bessere ist als im Jahre 76, zur Zeit, als der Kaiser uns eine eheliche Verbindung zwischen mir und einer seiner Töchter nahelegte?

– Ohne Frage.

– Sind Sie der Meinung, daß diese günstige Lage andauern werde, oder haben Sie ernsthafte Gründe, sie als nicht gefestigt anzusehen?

– Ich habe keine derartigen Gründe. Ich erachte indessen die Tatsache, daß der Kaiser im Frieden von Konstanz den lombardischen Städten alle Zugeständnisse machen mußte, welche sie von ihm begehrten, vor allem die freie Wahl der Podestà und Konsuln, nicht gerade für einen Beweis einer hervorragenden kaiserlichen Machtstellung.

– Ich halte die politische Klugheit, warf der Erzbischof ein, welche aus solchen Zugeständnissen spricht, für eine bessere Stütze der kaiserlichen Macht in Oberitalien, als alle noch so strengen Gewaltmaßnahmen . . .

– Sie übersehen, daß sich der Kaiser den Luxus solcher Gewaltmaßnahmen nach der Katastrophe von 46 Legnano nicht mehr leisten konnte. Aus der Not eine Tugend machen, besagt nicht, daß man seine Grundgesinnung gewandelt habe. Was man heute gezwungenermaßen gewährt hat, kann man morgen unter günstigeren Machtverhältnissen wieder entziehen. Wir kennen die Grundhaltung der Kaiser. Wir kennen auch ihre Verschlagenheit. Glauben Sie denn vielleicht, Barbarossa habe ernsthafte Neigungen, den lombardischen Stadtgemeinden ihre bürgerlich-demokratischen Neigungen à la Arnold von Brescia länger zu gestatten, als es die dringlichste Notwendigkeit verlangt? Er hat den gefährlichen Revolutionär bekanntlich vor achtundzwanzig Jahren verbrennen lassen. Ich habe nicht feststellen können, daß sich seine Ansprüche auf Einheitlichkeit seines Staatengefüges innerhalb dieser Zeitspanne nennenswert geändert hätten . . . Im übrigen empfehle ich Ihnen, doch einmal in meinen Archiven den Wortlaut der Rede nachzulesen, welche Barbarossa im Jahre 1155 kurz vor seiner Kaiserkrönung den römischen Gesandten in Sutri gehalten hat. Vielleicht werden Sie Ihr blaues Wunder erleben! Ich kann Ihnen aus dem Stegreif eine Stelle zitieren, die ich mir für alle Zeiten und Gelegenheiten eingeprägt habe: ›Wollt ihr wissen, Römer, wo die Größe eurer Stadt, die Würde eures Senates, die Tapferkeit eures Adels, die Kriegskunst eurer Feldherrn, der Opfermut eurer Heere heute zu finden sind, nun: so schaut auf uns Deutsche! Alles, was ihr einmal wart, das sind heute wir! An Stelle von Rom steht das Reich, dessen Teil ihr seid! Der Untertan hat seine Pflichten zu erfüllen – was aber der Herrscher gewährt, gewährt er aus Gnade!‹ Das hat der Kaiser gesagt! 47

– Wollen Sie mir erklären, fragte der König, warum Sie nun wieder diese Abschweifung machen?

– Abschweifung, Majestät? Bei Allah, es handelt sich nicht um eine Abschweifung! Es handelt sich um die treibende Kraft, welche die Deutschen dem gesamten Abendlande so gefährlich macht! Es handelt sich um jenen Geist des Grenzenlosen, der vor keinem Hemmnis anhält und lieber jahrhundertelang für die gefährlichsten Wagnisse das beste Blut der Nation opfert, als daß er sich auf das richtige Maß besänne und seine Früchte da erntete, wo sie wirklich für ihn reifen! Der weise, der maßvolle Friede von Konstanz, sagt man heute. Mein Gott: was bedeutet dieses kurze, zwangsläufige Abweichen von der großen Linie, wie sie die zitierte Stelle aus der Programmrede des Jahres 55 in geradezu herausfordernder Klarheit aufzeigt? Einen winzigen Umweg um ein Hindernis, damit man mit um so größerer Sicherheit und ohne allzu scharfe Kontrolle der eingelullten Beobachter wieder in die Hauptstraße einlenken könne! Warum – anstatt auf Konstanz zu sehen – sieht man nicht auf Erfurt? Was dort mit dem Herzog Heinrich dem Löwen im Jahre 80 geschehen ist, redet eine unverblümtere Sprache als das Schalmeiengeblase vom Bodensee! Aber es scheint ein Gesetz aller Zeiten zu sein, daß das menschliche Auge vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen will! Möglich, daß es – wie in allerhand ehrwürdigen Schmökern zu lesen steht – eine Zeit gab, wo das sogenannte ›Recht‹ und die sogenannte ›Duldung‹ die Welt regierten: wie immer dem auch sei, wir Heutigen leben jedenfalls nicht in einer solchen Zeit! Was heute die Geschicke der Völker bestimmt, ist nur die Macht – und in wessen Hände sie gegeben ist, der nutzt sie aus bis zur 48 letzten Folgerung. Ich fürchte die Macht der Deutschen da, wo sie meinem Vaterlande zu nahe kommt; ich fürchte sie doppelt, wo sie sich mit einem Danaergeschenk in harmlos scheinender Freundlichkeit anbiedert! Eine solche Anbiederung – und nichts anderes – nenne ich den Plan des Kaisers, seinen Sohn mit der wahrscheinlichen Erbin des sizilischen Reiches zu vermählen. Diese Ehe – so verlockend sie Eurer Majestät und gewissen Kreisen des apulischen Adels auch scheinen mag – ist dem Hohenstaufer nichts anderes als die Bereicherung durch die größte europäische Mitgift dieser Zeit und die Möglichkeit, sich – je nach den Umständen – so in die sizilischen Verhältnisse einzumischen, daß er unser Land in seine kaiserlichen Hoheitsrechte einbeziehen kann. Niemals, Majestät, auch nicht bei Fall in Ungnade oder Verweisung vom Hofe, werde ich dem kaiserlichen Plane zustimmen! Um so weniger, als ich mir schmeichle, mich auf meinen Sinn für Wirklichkeiten verlassen zu können! Wirklichkeiten sehen, heißt nicht: sich mit dem Anschein der Dinge zu begnügen, sondern – nach menschlicher Möglichkeit – in ihre geheimsten Gründe hinabzusteigen und von dort aus zu Bewertungen und Entscheidungen zu gelangen. Ich habe in einem mehr als bewegten politischen Leben gelernt, daß Mißtrauen das oberste Gesetz der Staatskunst ist, und doppelt, wenn unzweideutigste Veranlassungen für ein solches Mißtrauen vorhanden sind. Ich sehe aber auch – wie immer ich die Lage unseres Vaterlandes durchdenke – keine Notwendigkeit für die Schließung des geplanten Ehebundes, und ganz bestimmt nicht in diesem Augenblick. Dank der Güte, der Umsicht und der bezwingenden 49 Menschlichkeit Eurer Majestät herrscht Ruhe im Inneren. Außenpolitisch sind wir gesichert. Unser Seehandel blüht. Unsere Kriegsflotte, die mächtigste ihrer Zeit, zügelt jedes fremde Begehr. Unser großes außenpolitisches Ziel, der Krieg gegen Byzanz, reift im stillen seiner Verwirklichung entgegen . . .

– Voilà! rief der König . . . Da sind wir am Punkt der Punkte! Ich habe Sie nicht unterbrechen wollen, Sie haben in ehrlicher Überzeugung gesprochen . . . Ich wußte, daß Sie auf diese Kardinalfrage kommen würden . . .

– Eine Kardinalfrage für Eure Majestät – vielleicht nicht so sehr für die hohe Politik des sizilisch-apulischen Reiches, wie es den Anschein haben könnte . . .

– Sie irren sich, Herr Minister, sagte mit starker Betonung der Erzbischof. Die Kardinalfrage für jeden echten Sohn dieses Landes . . .

– Was Sie nicht sagen, Herr Erzbischof! Sie müssen das ja wissen, da Sie Engländer sind! Nur Engländer können beanspruchen, völlig sizilisch-apulisch zu fühlen! Nur Engländer wissen auf das genaueste, was den sizilischen Bedürfnissen nottut . . . Nur Engländer verstehen auch – wie sagten Sie doch zu meinem Sohne Richard? – ›bis in die letzten Fasern‹ – die Seele vornehmer Frauen, die zur Hochzeit rüsten, und dies offenbar ganz besonders gut, wenn sie hohe Diener der Kirche sind . . .

– Sie schwächen Ihre Position, wenn Sie sich so grundlos ereifern, lächelte Offamilio . . . Auch sollten Sie nicht in Zweifel ziehen, daß mir im Beichtstuhl sehr wahrscheinlich mehr vornehme Frauen am Ohre liegen als Ihnen im Bette anderswo . . . 50

Der König lachte auf und setzte sich nachlässig in seinen Lehnstuhl zurück:

– Ich danke Ihnen, Offamilio, daß Sie endlich einen fröhlicheren Ton in dieses pathetische Gespräch gebracht haben . . . Es ist schon recht heiß für die Jahreszeit, und man ist für jede Erleichterung dankbar. Ich will uns allen etwas Orangensaft bringen lassen, der unsere Kehlen erfrischen wird . . .

– Sehen wir, daß wir vorankommen, sagte der König, während die Schalen gereicht wurden . . . Die Prinzessin Konstanze erwartet mich um acht Uhr zu Tisch in Baida – ich möchte nicht gerne unhöflich sein . . . Wollen Sie mir erklären, Ajellus, warum Sie so unvermutete Zurückhaltung gegenüber meinen und des Admirals Margaritus byzantinischen Plänen an den Tag legen?

– Ich wundere mich, daß Eure Majestät meine Zurückhaltung unvermutet nennen. Ich habe mich den byzantinischen Plänen gegenüber immer nur sehr zurückhaltend, wenn nicht ablehnend geäußert. Sie scheinen mir zu abenteuerlich – so großartig sie auch gedacht sind. Ich sehe, offen gestanden, nicht recht ein, wie wir mit Byzanz fertig werden sollen, selbst wenn wir es eroberten. Das byzantinische Reich ist im Zerfallen: keine Frage. Aber wie sollen wir denn – auf so große Entfernung hin – dieses Zerfallende, selbst wenn es sozusagen unsere Kolonie geworden wäre, zusammenhalten, ohne unsere Kräfte zu zersplittern und den Bestand unseres eigentlichen Vaterlandes zu gefährden? Wir bedürfen meines Erachtens keines so unübersehbaren Besitzzuwachses, der uns an seinen Grenzen in dauernde Kleinkriege verwickeln, sehr viel 51 wahrscheinlicher aber in lebensgefährliche Konflikte mit dem Sultan und mit Venedig bringen müßte . . . Wir bedürfen für die nächste Zeit einer gründlichen inneren Festigung unseres Staatsgefüges, einer stärkeren gegenseitigen Durchdringung der auf unserem Boden seit Jahrhunderten heimischen Kulturen: der römischen, der griechischen, der arabischen, unter bewußt christlich-normännischer Führung, einer planmäßigen Steigerung des sizilisch-apulischen Nationalbewußtseins auf der Grundlage kultureller Duldung, einer Hebung unseres Handelsverkehrs durch stetige Vermehrung und Vervollkommnung unserer Flotte, sowie einer raschen und geheimen Verdoppelung unserer Kriegsmarine. Wir bedürfen auch einer starken Aufrüstung in allen Hafengarnisonen, um uns gegen jeden Angriff siegreich verteidigen zu können, und – was schon lange mein wohlerwogener Plan ist – der Schaffung einer nationalen Miliz nach dem Vorbilde der stadtrepublikanischen Polizei. Einer Miliz, welche ausschließlich als Prätorianertruppe der Dynastie anzusehen und an Standorte zu verteilen ist, von denen aus das Gebaren der allzu mächtigen Feudalherren überwacht und nötigenfalls – sagen wir – geregelt werden kann. Dieser Dinge, Majestät, bedürfen wir so sehr, wie der Fisch des Wassers bedarf um schwimmen und atmen zu können. –

– Ausgezeichnet, lieber Ajellus, ausgezeichnet! Rechnen Sie, außer was Byzanz betrifft, auf meine unbedingteste Billigung – aber sagen Sie mir: was hat dieses weise und wahrhaft vaterländische Programm mit dem kaiserlichen Heiratsplan zu tun?

Über das Gesicht des Kanzlers legte sich ein Ausdruck gequälter Traurigkeit. Er schloß einen 52 Augenblick lang die Augenlider – nahm sich dann zusammen und erwiderte mit ruhiger Stimme:

– Die Heirat der Prinzessin Konstanze mit dem deutschen König und späteren Kaiser wird als doppelt überflüssig, doppelt unsinnig, ja als frevelhaft erscheinen, wenn wir erst das von mir entworfene nationale Arbeitsprogramm zur Ausführung gebracht haben werden, was in knapp zwei Jahren – bei Vermehrung der Kriegsflotte um die Hälfte ihrer Einheiten – möglich ist. Wir können dann auf einen Schutz, auf eine mögliche Bevormundung oder gar Brüskierung unserer Politik durch den Kaiser verzichten. Wir können dies um so leichter, wenn wir uns gewisser erprobter Bundesgenossenschaften entsinnen, die auf dem Gedanken gemeinsamer Abwehr des einzigen, ernsthaft zu fürchtenden Gegners, nämlich des Kaisers, beruhten. Wollen doch Eure Majestät den Schlüsselpunkt der Weltkonstellation sehen: den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen Kaiser und Papst – und sich nicht dem Glauben hingeben, daß dieser schicksalmäßige Gegensatz etwa durch den guten Willen oder die ehrlichsten Friedensabsichten beider Teile aus der Welt geschafft werden könne! Wenn zwei, die sich nicht nur berufen, sondern auch auserwählt fühlen, genau dieselbe Aufgabe erfüllen zu müssen vorgeben: nämlich auf göttliches Geheiß als die Herren der Welt zu schalten, so müssen sie aufeinanderprallen, und es wird nicht Frieden geben, ehe der eine oder der andere besiegt ist. Die politischen Mächte aber werden sich immer um diesen Gegensatz so gruppieren, wie es ihr politischer Vorteil erheischt: nicht aber die Parteinahme ihrer Überzeugung für die Suprematie des geistlichen oder weltlichen 53 Oberprinzipes. Nur ein Träumer oder ein Schwärmer, wie es deren ja jetzt allerlei diesseits und jenseits der Grenzen gibt, wird diese billigste aller Wahrheiten nicht einsehen wollen. Wehe dem Staatsmann oder Fürsten, der ein Ähnliches täte. Majestät: ich kann nicht glauben, daß in dem ewigen Kampf zwischen dem geistlichen und weltlichen, dem päpstlichen und dem kaiserlichen Weltprinzip jemals der Kaiser Sieger bleiben könne, so stark auch im Augenblick seine, so schwach die Position der Kurie ist. Und ich kann es nicht ruhigen Gewissens mit ansehen, wie wir – ohne den geringsten zwingenden Grund – im Begriffe sind, auf die falsche Karte zu setzen. Von der Kurie, von England, von einem welfischen Deutschland, von dem Lombardischen Bund wird unserer Selbständigkeit niemals Gefahr drohen: von einem Kaiser mit großitalischen Zielen dagegen immer: sei er unser Feind oder sei er unser Freund. Ja vielleicht noch mehr, wenn er dieses als wenn er jenes ist. Und in welchen politischen Maßen Eure Majestät immer denken mögen: wie sehr Eure Majestät vielleicht eigne imperiale Ziele im Osten verfolgen mögen unter Angleichung an die imperialen Ziele des Kaisers im Süden; ich flehe hier in dieser Stunde, hier in diesem Raume, hier vor dem Erzbischof als Zeugen Eure Majestät auf den Knien an, einem Traumgespinste zuliebe nicht den sicheren Bestand unseres Vaterlandes zu opfern, nicht dem Trugbild äußerer Machterweiterung die schöne ihres Erfolges sichere innere Machtbefestigung – und die Freiheit.

Ajellus hatte sich zu Boden geworfen. Der Erzbischof, dem die Szene peinlich war, schaute zwischen den schmalen arabischen Fenstersäulen auf das ferne 54 ruhende, kornblumenblaue Meer – der König aber, bewegt von dem untrüglich echten Ton des Leides, der an sein Herz geschlagen war, erhob sich aus seinem Sessel, zog den Knienden empor und sagte:

– Ihr König, Ajellus, wird Ihnen niemals vergessen, welchen Beweis der Liebe zu Ihrem und seinem Vaterlande Sie ihm soeben gegeben haben. Wie immer meine Entscheidung falle: sie wird mit nicht minderem Gewichte gefällt werden, als Sie Ihre Ablehnung des Planes begründeten. Ich wollte Sie zum Widerspruche reizen, ich wollte die Sprache von Ihnen hören, die Sie zu sprechen pflegen, wenn es Ihnen um ein Äußerstes zu tun ist. Gehen Sie jetzt – und holen Sie mich eine halbe Stunde vor Mitternacht in Baida ab. Lassen Sie den kaiserlichen Gesandten mitteilen, daß ich sie heute nicht mehr empfangen kann, sondern erst morgen gegen Abend. –

Der König war auf den schmalen Altan getreten. Unter ihm, zwischen Palmenwedeln und dem schaukelnden Gefieder der Pfefferbäume, dehnten sich die weißen Häuserwürfel der Stadt. Zwischen Grifone und Pellegrino, in der goldbraunen Fassung der Hafenrundung, lächelte das Meer. Auf der Gartenmauer, die den Kasr, das Stadtschloß, von der Straße trennte, ließ ein Pfau das Geschmeide seines halbentfalteten Schweifes schleifen. Die Kuppeln von S. Giovanni degli Eremiti tauchten pfirsichrot in wolkenlose Bläue. Lange stand der König am Geländer. Als er in das Zimmer zurücktrat, hatte er fast vergessen, daß der Erzbischof noch auf ihn wartete . . .

– Gut, daß Sie noch da sind, Offamilio! Helfen Sie mir, mit mir ins reine zu kommen . . . Ajellus hat mich 55 verwirrt. Alle Dinge schienen mir so klar – und nun sehe ich wieder nichts als ein unentwirrbares Durcheinander von Fäden . . .

– Die Dinge sind auch klar, Majestät. Nur einem jeden auf seine Art. Da liegt der Unterschied. Verwirrung entsteht, wo man in sein eignes Gesicht das eines anderen Menschen einschiebt . . . Als mich Eure Majestät gestern gewissermaßen durch Fragestellungen Ihre Ansichten über den Heiratsplan des Kaisers erraten ließen, war ich überrascht zu sehen, mit welcher unvoreingenommenen Sicherheit der Witterung Eure Majestät sich gerade an den Punkten anhielten, die auch mir die ausschlaggebendsten zu sein scheinen. Wenn ein Staat – wie der unsre – überhaupt nicht darauf verzichten will, als handelndes Glied auf dem weiten Plane des weltpolitischen Geschehens in Erscheinung zu treten, so kann er unmöglich lediglich aus Gründen der Sicherheit Gelegenheiten verpassen, die bestimmt nicht wiederkehren. Nehmen wir doch einmal an, dem Kaiser gelingt es, seine Macht in Italien bis an unsere Reichsgrenze tatsächlich so zu festigen, wie es seine Absicht ist, und alle Anzeichen sprechen durchaus dafür, daß ihm dies gelingt: was in aller Welt könnte ihn dann daran hindern, sich zunächst einmal ganz Apuliens zu bemächtigen, sofern ihn nicht engste persönliche Bindungen an unsere Dynastie daran hindern? Wäre aber erst einmal Apulien gefallen: wer auf Gottes Erdboden will einen denkenden Menschen glauben machen, daß dann noch Sizilien zu halten wäre? Daß unser Heer in Apulien – und sei es noch so tapfer – dem lange vorbereiteten und planmäßig durchgeführten Ansturm der deutschen Regimenter standhalten könnte, auch das 56 wird niemand glauben, der die deutsche Stoßkraft kennt. Es ist mir völlig unverständlich, daß der Vizekanzler die diplomatische Seite des Konstanzer Vertrages so falsch und – ich muß es schon aussprechen – so unzulänglich sizilisch sieht. Dieser Vertrag ist doch nicht zwischen zwei zeternden Baronen abgeschlossen worden, welche, indem sie ihn beschwören, schon darauf sinnen, wie sie ihn, ein jeder dem anderen zum Unsegen, so rasch als möglich brechen könnten! Dieser Vertrag bekundet in unzweideutiger Klarheit, daß der Kaiser, der ja Lehrgeld genug bezahlt hat, endgültig eine neue Methode in der Behandlung der freiheitsstolzen lombardischen Stadtrepubliken anwendet, eine Methode, die er nicht nur nicht wieder aufgeben, sondern auch bei der Regelung der mittelitalischen Verhältnisse beibehalten und ausbauen wird! Was für ihn entscheidend bleibt, ist: die tatsächliche Oberhoheit fest in Händen zu halten. In welcher Form er sie hält, das kann ihm doch gleichgültig sein.

– Sind die Gedanken, Offamilio, die Sie mir in so beredter Weise vortragen, in Ihrem eignen Weinberg gewachsen oder sind sie – deutscher Kreszenz?

– Sie sind rein deutscher Kreszenz: sie stehen in einem Briefe, den mir Graf Konrad von Querfurt, der Abt von Hildesheim und vertrauteste Freund des Königs Heinrich, durch die Gesandten überbringen ließ. Aber sie sind so ausgezeichneter Kreszenz, dem unbefangenen Verstande so einleuchtend, daß ich sie mir sogleich zu eigen gemacht habe. Ich nehme an, daß Eure Majestät sich ihrer überzeugenden Kraft ebensowenig werden verschließen können wie ich selbst.

– Sind Sie der Ansicht, fragte der König langsam 57 und nachdenklich und in einem Tone, als ob er die letzten Sätze des Erzbischofs überhört hätte . . . Sind Sie der ehrlichen Ansicht, daß die Heirat der Prinzessin mit Heinrich uns jedenfalls vor einem Zugriff des Kaisers auf Apulien bewahren werde, gesetzten Falles, er schüfe endgültige Ordnung in Italien und hielte also die päpstlichen Gebietsteile umklammert?

– Solange Eure Majestät oder Eurer Majestät Leibeserben noch in Sizilien und Apulien regieren, und zwar als dem Kaiser verbündet oder doch zum mindesten befreundet, kommt ein Angriff auf irgendeinen Teil des Reiches gar nicht in Frage. Ein Einmarschieren der kaiserlichen Truppen – nach erfolgter Eheschließung – könnte nur erfolgen, erstens: wenn Eure Majestät ohne Leibeserben stürben und die sizilische Regierung der Prinzessin Konstanze ihr Erbrecht abstritte . . . zweitens: wenn Eure Majestät Opfer einer Revolte der Barone würden und zu Ihrem Schutz die kaiserlichen Truppen ins Land riefen . . .

– Ja, ja, die Barone, die Barone, sagte der König wie zu sich selbst. Und dann, sich etwas zu dem Erzbischof hinüberneigend und die Stimme dämpfend, als ob die Wände Ohren hätten:

– Wären diese verdammten Barone nicht, diese Aasgeier, die sich am liebsten um einen Fetzen Land oder ein königliches Privileg schon zu Lebzeiten gegenseitig zerfetzten; wären die Pfaffen nicht, die um kein Haar besser, sondern noch um viele Haare schlechter sind . . . wäre dieses ganze Geschmeiß nicht, das sich schmarotzend und beutelüstern um den Thron geschichtet hat, das allem, was klare Macht und starke Hand ist, Todfeindschaft geschworen hat: ich hätte – selbst ohne 58 Leibeserben – den Heiratsplan des Kaisers wohl schwerlich mit so viel Wärme aufgenommen wie ich es tat, als Sie ihn mir zum erstenmal andeuteten. Aber was soll denn aus meinem Lande werden, wenn ich ohne Nachkommen sterbe und nicht sofort eine eiserne Hand die Rotte in Zucht hält, die dann aus allen Schlupfwinkeln hervorbrechen wird, um ihr Schiff ins trockene zu bringen? Wollen Sie mir glauben, daß mich manchmal in meinem Traum oder auch in schlaflosen Nächten die Gesichte solchen Grauens peinigen? Seien wir ganz offen miteinander, Sie und ich, beides Menschen nicht sizilischen, nicht apulischen Blutes, wenn auch diesem Staat, diesem Land, das wir unsres nennen und lieben, auf Leben und Tod verpflichtet – seien wir ganz offen: was und wer hat hier alles bis zum heutigen Tag zusammengehalten? Etwa die eingeborenen apulischen und sizilischen Barone? Oder der Mischmasch eines zusammengewürfelten Volkes? Nein! Bei Gott nicht! Einzig und allein die Dynastie! Die normännische Wikinger-Dynastie, welche sich durch die oft übermenschlichen Leistungen ihrer Fürsten Geltung und Gehorsam verschafft hat: gegen die Barone – immer wieder gegen die meuternden und eidbrüchigen Barone – und manchmal auch gegen das verhetzte Volk. Staatsgefühl? Hier in Apulien-Sizilien? Ich könnte lachen und weinen zugleich! Möglich, daß es morgen, übermorgen schon unter dem Druck schlimmer Verhältnisse aus den Winkeln, in denen es sich bildet, hervorbricht. Aber sollte ich mich heute in irgendeiner meiner Entscheidungen auf dieses Staatsgefühl als auf einen klar umschriebenen Wert verlassen: weh mir, dreimal weh mir, wenn ich ein solcher Narr wäre! Auslachen 59 würden sie mich, die Barone und die Gasse, für nicht mehr ganz zurechnungsfähig halten – und sich dem ersten besten in die Arme werfen, der ihnen einen neuen Zehnten oder eine Kirmes verspräche! Womit ich dieses ganze Gebäude halte: hier, mit meinem Denken, so und so, mit meinem Abwägen und Ausgewichten – mit meiner Faust, wenn es gar nicht anders geht – mit Kerker, wenn das Verbrechen sich allzu frech an das Licht wagt – mit viel Güte gegen die Notleidenden – und mit der Hilfe von einer Handvoll tüchtiger Staatsleute und Generale, welche wissen, worauf es ankommt und worum es geht. So allein und nicht anders halte ich diesen Staat – so und nicht anders muß und kann er gehalten werden, wenn nicht mehr durch meine Dynastie, der das Schicksal das Aussterben bestimmt zu haben scheint, so durch eine andere, mächtige, zukunftsreiche, weltumspannende, in die der Rest unseres Blutes einmünden kann, um in den Nachkommen weiterzuwirken!

Deshalb sage ich Ihnen, Erzbischof: Nicht weil mich irgendwer beeinflußt hätte, nicht weil ich, wie Ajellus meint, ein Träumer und Schwärmer sei, sondern aus reinster Erkenntnis des Notwendigen, die mir nur Gott gegeben haben kann, will ich über meinen Tod hinaus meinem Lande Bestand und Blüte gesichert, will ich gerettet sehen, was hundert Jahre lang die Dynastie der Hauteville erkämpft, errichtet und erhalten hat – – Ich nehme die Verantwortung auf mich: ich wage es, die Entscheidung zu fällen, welche Weltschicksal bedeuten kann: ich gebe meine Einwilligung zur Heirat der Prinzessin Konstanze mit Heinrich.

Der Erzbischof schloß das goldne Kreuz, das er auf 60 der Brust trug, in seine gefalteten Hände. Er senkte, wie immer, wenn er eine außergewöhnliche Erregung durch einen außergewöhnlichen Aufwand von Willen meistern mußte, die Augenlider und neigte den Kopf ein wenig gegen den Nacken. Sein blasses Gesicht glich in solchen Augenblicken einer Maske.

– Wollen Eure Majestät gestatten, daß ich dem Ereignis dieses Tages in aller Stille die Messe lese?

– Ich wollte Sie darum bitten, Offamilio. Ich werde vor meiner Abfahrt nach Baida in der Palatina sein. Reichen Sie mir die Hostie . . .

– Der Friede des Herrn sei mit Eurer Majestät.

Der König, welcher ein paarmal im Zimmer auf und nieder gegangen war, setzte sich wieder in seinen Sessel.

– Lassen Sie uns in Ruhe noch eine Frage durchsprechen, Offamilio, in der ich Ihre Meinung hören möchte . . . eine sehr wichtige Frage . . . Oder sind Sie für heute zu müde?

– Ich bin wach wie nach traumlosem Schlaf, Majestät, und in meinen Kräften zusammengerückt wie nicht seit vielen Monaten . . .

– Was halten Sie von dem Kriege gegen Byzanz?

– Daß er nach dem Vollzug der Verlobung ohne Bedenken begonnen und durchgeführt werden kann.

– Glauben Sie, daß ich unseren Plan dem Kaiser unterbreiten soll?

– Ich würde es für klug halten, der Unterbreitung eine solche Form zu geben, daß sie einer persönlichen Befragung gleichkäme. Ich würde dem Vizekanzler jedoch von diesem Schritte keine Mitteilung machen. Das sizilische Reich hat keinen Grund, für seine 61 Beschlüsse kaiserliche Gutachten einzuholen. Eurer Majestät aber kann eine solche Befragung nur Vorteil bringen. Glückt das Unternehmen nicht, so wird sich der Kaiser Eurer Majestät verpflichtet fühlen: was von Mensch zu Mensch immer ein Gewinn ist. Glückt es, so wird sein erteilter Rat seiner Eitelkeit schmeicheln. Alle Sterblichen haben dieses Recht auf Befriedigung ihrer Eitelkeit. Befriedigte Eitelkeit aber schafft Freundlichkeit gegen den, der sie befriedigt hat. Eure Majestät können aus dieser Freundlichkeit Nutzen ziehen . . .

– Sie setzen also ohne weiteres voraus, daß der Kaiser zustimmt?

– Es ist . . . unter allen Umständen . . . sein Vorteil, zuzustimmen . . .

– Hm . . .

Lange Pause. Der König starrte durch das Fenster in die durchgoldete Luft . . .

– Und wenn der Kaiser abriete oder sich ausweichend äußerte?

– . . . so wäre ihm zu bedeuten, daß die Dinge leider schon weiter gediehen gewesen seien, als der Einspruch Eurer Majestät noch reichte. Grund genug, um herzlich zu bedauern, daß die erlauchte Meinung des Kaisers nicht früher eingeholt werden konnte. Das Ergebnis wird das gleiche sein.

– Möglich . . . sogar wahrscheinlich . . . Sind Sie der Ansicht, daß bei Ablehnung des Heiratsangebotes der Krieg gegen Byzanz ein allzu großes Wagnis wäre?

– Ja. Die einfache oder die wohlwollende Neutralität des Kaisers, wie sie die Verlobung der Prinzessin Konstanze mit dem Kaisersohne Eurer Majestät sichert, ist die unerläßliche Voraussetzung zu seinem Beginn. 62 Denn zu welchen Entschlüssen könnte ein beleidigter und aufgebrachter Kaiser in Süditalien verleitet werden, wenn – sagen wir – der Flotte ein Unglück zustieße . . . Zumal doch unsre sämtlichen seitherigen Bundesgenossen augenblicklich so geschwächt sind, daß wir kaum auf ihre Hilfe rechnen dürften und die im Dienste des Kaisers verpflichteten Flotten von Pisa und Genua, womöglich noch im Bunde mit byzantinischen Einheiten, nur darauf warten, der gefährlichen Nebenbuhlerin Sizilien den Todesstoß zu versetzen . . .

– Gut . . . Und wenn nun – nach erfolgter Verlobung – der Krieg beginnt, wenn sich die Barone mit ihren Leuten einschiffen müssen: würden diese Barone wohl in ihrer grenzenlosen Beutegier dahinterkommen, daß selbst eine Niederlage in diesem Kriege immer noch ein Geschäft für die Dynastie bedeutete?

Wieder schloß der Erzbischof die Augen, wieder neigte er den Kopf nach rückwärts, wieder wurde sein Gesicht zur Maske:

– Gott allein, Majestät, ergründet die Herzen der Menschen und ihr geheimes Sinnen. Es ist schon des öfteren gesehen worden, daß der Überlister zum Überlisteten wurde . . .

– Ich danke Ihnen. Es wird so weit nicht kommen. Ich erwarte Sie um sieben Uhr in der Capella Palatina . . .

Wenige Minuten nach dem Weggange des Erzbischofs befahl der König dem Leiter der Geheimpolizei, einem ihm auf Leben und Tod ergebenen Sarazenen, daß von derselben Stunde an der Erzbischof in seinem Umgang mit den kaiserlichen Gesandten und der 63 Vizekanzler in seinem Verkehr mit den Baronen unauffällig zu überwachen seien. Dann ließ er sich zum Gang in die Palatina und zum Besuche in Baida umkleiden.

 

Sie haben nicht die Straße über Altarello genommen? fragte die Prinzessin Konstanze den König, als sie ihn in den Gartensaal des Landhauses geleitete, das sie über dem weißen, von Zypressen umstandenen Kloster Baida im Sommer zu bewohnen pflegte . . .

– Nein. Ich konnte es mir an einem solchen Abend nicht versagen, meinen Lieblingsweg durch die Gärten von Boccadifalco zu nehmen. Er ist schlecht und ausgefahren, aber der Blick auf die Billiemi-Berge und das Meer wiegt alle Unbequemlichkeiten auf . . . Ich habe lange auf einer Mauer gesessen und den Abend kommen sehen. Das hat mich beruhigt. Sie können sich denken, Konstanze, daß es mir in diesen aufregenden Tagen an Sorgen und Zweifeln nicht fehlt. Seien Sie mir also nicht böse, wenn ich Sie etwas habe warten lassen.

– Wenn ich gewußt hätte, wo Sie zu finden seien, wäre ich Ihnen entgegengekommen. Ich schlendere oft am Abend bis zum Ölbaumgarten des Marcellus und sehe, wie das Licht über dem Cuccio langsam fortgeht . . . Wer weiß, wie lange ich es noch sehe . . .

– Sind Sie zu einem Entschlusse in sich selbst gekommen?

– Ich glaube, ja: sofern Ihre Mitteilungen mich nicht wieder schwankend machen werden . . . 64

– Und?

– Ich werde die Werbung Barbarossas annehmen.

– Ich danke Ihnen . . .

– Sie – danken – mir?

– Wenn Sie wüßten, wie . . .

– Haben Sie gezweifelt?

– Ja.

– Hatte Ihnen Offamilio nicht berichtet?

– Doch. Aber Sie wissen ja, daß ich die Rezepte meiner Ratgeber kenne. Offamilio ist von allem Anfang an für den Heiratsplan gewesen. Er hat gar nichts zu gewinnen bei einer engen Verbindung zwischen dem Kaiser und uns. Aber er hatte alles zu verlieren, wenn sie nicht zustande kam. Das wäre einem Siege des Ajellus gleichgekommen: also des Papstes. Ich hätte dann wohl Offamilio opfern müssen. Möglich, daß er seinen Lohn . . . von Barbarossa schon eingeheimst oder als Schein in der Tasche hat . . .

– Warum sind Sie so gedrückt, Wilhelm?

– Glauben Sie, daß ein Grund zu besonderer Freude sei?

– Gewiß nicht . . . Aber ich meine, wir haben beide schlimmere Zeiten gesehen.

– Das ist nur ein schwacher Trost . . . Ich habe die Krone, die ich tragen muß, niemals geliebt. Ich erfülle meine Pflicht – ich lebe den Überkommenheiten unseres Hauses gemäß . . . Ich trage gewissenhaft meine Verantwortungen . . . Ich hätte lieber ohne sie als Prinz von Hauteville gelebt. In mir ist die Ferne. Sie ist die einzige Kraft meines Herzens – und doch die unfruchtbarste. Die Welt ist voll von neuen Gedanken: Abälard und Arnold von Brescia gehen als lebendige Schatten 65 um. Der Abt von Fiore predigt eine große Reinigung, die Kátharer in Romanien wissen von einer Erneuerung der Seele und einer Wende der Zeiten . . . Von alledem aber streift uns kaum ein Hauch . . . Der Osten winkt mit ungeheuren Bildern: Ibn Djubair sprach mir noch vor kurzem von einer wunderbaren indischen Lehre und ihrem Stifter, dem Prinzen Gautama Buddha . . . Ich stehe und starre in all dies Unerreichbare, wie ich von den Terrassen der Favara auf das Meer hinausstarre, über das mich niemals ein Schiff davonträgt.

– Ich verstehe Sie, Wilhelm. Ich bin die Einzig-Überlebende, die Sie aus dem gleichen Blute heraus verstehen kann, wenn ich auch nur eine Frau bin. Auch in mir ist diese Ferne – und auch in mir ist das gleiche Gefühl der Verantwortung gegen die Ahnen: gegen den gewaltigen Vater vor allem, den ich nie gekannt habe und dennoch liebe, als habe ich nur mit ihm gelebt . . . Glauben Sie mir: wären es nicht auch in mir diese beiden Kräfte, die mein Leben bestimmen, ich hätte niemals eingewilligt, die Gattin des deutschen Königs zu werden . . . Ich hätte mich der Versenkung in Gott nicht entzogen, in der ich ein Leben lang gelebt habe. Ich habe das Recht nicht, die Aufgabe beiseite zu schieben, die Gott mir auferlegt. Wen Gott aus der Stille in den Lärm weist, der muß gehorchen. Sie möchten gehen – und sind zum Bleiben gezwungen. Ich möchte bleiben, und muß nun die ungewisseste aller Wanderungen antreten . . . Ich muß den Hauch der Heimat aufgeben, ohne zu wissen, ob ich ihn je noch einmal wieder spüren werde – muß als Waise, ohne Eltern, ohne Geschwister, als Fremde in die Fremde gehen. Warum? Sehen Sie: solange ich noch fragte, konnte ich 66 zu keinem Entschluß kommen. Eines Abends aber, im Gebet, schwieg die Frage vor dem unzweideutigen Befehl. Seit dieser Stunde weiß ich: ich muß gehen. Ich werde gehen.

– Seltsam, sagte Wilhelm, diese schicksalhafteste aller Stunden, in denen wir uns jemals begegnet sind, gibt mir ein Gefühl wieder, wie ich es eigentlich immer hatte, wenn wir als Kinder zusammen an den Goldfischteichen der Favara spielten: daß Sie meine eigne Schwester seien, nicht aber die spätgeborene Schwester meines Vaters . . . Wollen Sie es sein, Konstanze? Wollen Sie es doppelt und dreifach sein in der Ferne?

– Ich bin es immer gewesen – auch wenn wir uns jahrelang nur wenig gesehen haben – und ich will es Ihnen bleiben, solange es Sie darnach verlangt . . . Denn ich weiß . . .

– Sprechen Sie nicht aus, was Sie sagen wollten . . . Wir wollen das Jahr nützen, das uns hier noch gegeben ist. Ihr Entschluß hebt Sie neben mich auf den Thron, auf dem die Königin Johanna nicht mehr als eine seidne Puppe ist: irgendein Beigefügtes, das schuldlos seine Bestimmung verfehlt hat . . . In Ihren und in meinen Händen allein ruhen die Geschicke unseres Landes: nicht mehr unseres Geschlechtes. Wir retten das Werk und opfern uns selbst.

Er versuchte zu lächeln, um zu leichterem Wort überzuleiten. Aber dieses Lächeln blieb als Trauer auf seinen ermüdeten Zügen stehn und wurde von Konstanzes Zügen übernommen. Als sie sich noch einmal mit solchen entrückten Gesichtern betrachteten, wußten sie, daß sie ehrlichen Glaubens, aber ohne Hoffnung waren. – 67

Sie blieben lange beim Nachtisch sitzen. Auf den Tellern lagen arabische Lukkum- und Pistazienkuchen, kandierte Marronen und frische Orangen . . . Vor dem König stand ein getriebener Becher voll Ätnaweines und eine Schale voll kühlen Quellwassers. Bei Einbruch der Nacht hatte man das Haus mit sarazenischen Wachen umstellt.

– Vor dem Spätsommer dieses Jahres werden die Verträge schwerlich ausgefertigt sein können, sagte der König. Ich rechne damit, daß im September die Verlobung in Deutschland bekanntgegeben werden kann. Soweit ich unterrichtet bin, wird der Kaiser etwa um die gleiche Zeit in einer oberitalischen Stadt, voraussichtlich in Verona, die Verhandlungen mit dem Papste aufnehmen, durch welche seine Beziehungen zur Kurie auf einer neuen Grundlage geregelt werden sollen. Diese Verhandlungen werden schon durch sich selbst schwierig sein. Sie werden sich bestimmt noch schwieriger gestalten, wenn der Papst begreift, daß er in den Abmachungen über die Eheverträge zwar nicht ausgeschaltet wird, aber ohne jeden mitbestimmenden Einfluß bleibt. Man ist am kaiserlichen Hofe der Ansicht, daß die Tatsache der erfolgten Verlobung zwar den Papst sehr verärgern, aber – angesichts seiner jammervollen Lage – den Abschluß der Verhandlungen für die Hohenstaufer schließlich noch günstiger gestalten wird. Ich glaube, daß diese Rechnung richtig ist. Wie immer dem auch sei: die vollzogene Verbindung zwischen Deutschland und Sizilien wird beide Länder in die Lage setzen, den ewigen Quälgeist in Rom als quantité négligeable zu behandeln. Helfer wird der Papst nicht finden. Er wird sich fügen müssen. Die Hochzeit wird 68 dann zu einem solchen Zeitpunkte angesetzt werden, der es erlaubt, sie in größtem und sichtbarstem Glanz als Sinnbild kaiserlicher Macht zu feiern, ich denke gegen Ende des Jahres 85. Ihre Abreise aus Sizilien hätte also im Sommer 85 zu erfolgen. Wo die Hochzeit stattfindet, ist noch unentschieden. Auch die Wahl des Ortes wird der Kaiser unter kluger politischer Berechnung vornehmen. Es scheint, daß die deutschen Gesandten Schreiben bei sich führen, welche sie Auftrag haben, erst nach unserer Zustimmung auszuliefern. Es ist anzunehmen, daß sich darunter auch ein Brief Heinrichs an Sie vorfinden wird. Vielleicht auch ein Bild von ihm . . .

– Ein Bild von ihm . . . Er soll nicht groß sein, dunkeläugig, blaß, hager, blond und sehr ernst . . .

– Alle diese Dinge entscheiden nicht. Was entscheidet, ist, ob er eine Strahlung hat, die Ihnen angenehm ist . . .

– Sie wissen, Wilhelm, daß ich kein junges Mädchen bin, das seinen heimlich angebeteten Ritter erwartet . . . Ich hoffe, Sie sorgen sich nicht um Dinge, die ich nicht in . . . Rechnung stelle?

– Ich bin glücklich, daß Sie mir dies so deutlich sagen . . .

– Ich schließe bewußt eine politische Heirat. Ich bringe in diese Ehe keine vorgefaßte Neigung noch Abneigung mit. Und was ihren politischen Sinn betrifft, so genügt es mir, wenn sie nichts weiter ist als ein Unterpfand des endlichen und dauernden Friedens zwischen zwei Ländern, die sich lange und zwecklos genug bekriegt haben . . . Füge es das Geschick für Sie und Sizilien, daß die Frage meiner Erbfolge in absehbarer 69 Zeit nicht zur Tagesordnung stehe . . . Sind Sie überzeugt, daß Ihnen keine Nachkommen mehr beschieden sein werden?

– Ich spüre, daß ich keine Nachkommen haben werde . . .

– So gebe Gott, daß Ihnen selber nichts zustoße . . . Sagen Sie mir noch dieses: drohen neue Verschwörungen der Barone?

– Woher kommt Ihnen diese Frage?

– Aus der Sorge um Sie. Aus nichts anderem . . . Sie wissen doch, was wir in den Jahren 67 bis 69, während der Regentschaft Ihrer Mutter, unter dem Kanzler Majo, dem Kanzler Stefan Perche und dem Glücksritter Bonello durchgemacht haben . . . Wir waren zwar noch halbe Kinder, aber immerhin alt genug, um zu begreifen, was es bedeutet, wenn eine ganze Hofhaltung von Palermo nach Messina fliehen muß!

– Seien Sie beruhigt, Konstanze. Es sieht nicht darnach aus, als ob die Barone wieder einen Tanz aus der Reihe aufführen wollten. Es wird auch vorgesorgt werden, daß sie dazu keine Gelegenheit haben . . .

– Sind Sie Tankreds sicher?

– Tankreds? Warum Tankreds?

– Er ist zwar unehelicher Geburt: aber immerhin, er ist der Sohn meines verstorbenen ältesten Bruders, also der echte Enkel meines Vaters . . . Sein normännisches Blut ist nicht dünner als das Ihre! Könnten Sie sich nicht denken, daß sich um ihn eine Partei bildete, welche meine Heirat mit dem gefürchteten Deutschen zum Anlaß nähme . . .

– Nein, Konstanze! Und sollte so etwas geschehen, so würden ich, der Kaiser, der König Heinrich und der 70 apulische Adel geschlossen gegen die aussichtslosen Ansprüche eines Bastards stehen. Sich gegen eine solche Übermacht zu halten, würde ihm wohl unmöglich sein . . . Aber wie sollte man von Tankred eine solche Torheit erwarten?

– Mögen Sie recht behalten! Haben Sie vergessen, was er im Jahre 69 gegen Ihren Vater unternommen hat?

– Er hat es damals bitter gebüßt mit Verbannung, ja sogar mit Ächtung . . .

– Und wer hat ihn zurückgerufen?

– Ich! Und ihn mir eben dadurch verpflichtet . . .

Konstanze legte fast heftig ihre Hand auf die des Königs und fragte, sich über den Tisch zu ihm hinneigend:

– Verpflichtet? Seit wann gibt es in diesem Land Verpflichtungen?

 


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