Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Drittes Kapitel

Eger, 26.Dezember 1189

Der königliche Hof feierte das Weihnachtsfest des Jahres 1189 im Schloß zu Eger. Den großen Empfängen des Heiligen Abends und des ersten Feiertages folgten die kleineren des zweiten, zu denen nur die vertrautesten Mitarbeiter des Königs mit ihren Damen geladen waren.

Konstanze, die schon seit langem ihre Anwesenheit bei solchen Anlässen auf das Notwendigste beschränkt und – wo immer sie es nur ermöglichen konnte – sich in ein Leben der Sammlung und Beobachtung zurückgezogen hatte, das manchmal ihrem palermitanischen Leben gleichkam, war nur ungern in Eger erschienen. Aber der König hatte ihre schwankende Gesundheit nicht als ausreichenden Entschuldigungsgrund für ihr Fernbleiben gelten lassen: er wünsche nicht, daß das Gerede über eine angebliche Entfremdung zwischen den beiden Majestäten neue Nahrung finde – und die Gelegenheit, oft unterbrochene eheliche Pflichten zu erfüllen, könne angesichts der Tatsache, daß sie immer noch nicht Mutter sei, unter keinen Umständen versäumt werden. Sie hatte sich den berechtigten Einwänden ihres Gatten nicht verschließen können und ihr Hoflager in Ingelheim mit der Burg von Eger vertauscht. Ihr müdes, etwas leidendes Aussehen wurde von allen bemerkt, denen der äußere Glanz, mit dem sie sich auf Wunsch des Königs für die Dauer der Hoftage umgab, nicht die Witterung für ihre innere Verfassung genommen hatte. Als ganz besonders besorgt um sie hatten sich der Herzog und die Herzogin von Spoleto erwiesen: der alte Konrad von Urslingen und seine Gemahlin. Diese beiden Menschen schwäbischer Herkunft, denen der hohe Wirklichkeitssinn ihres 102 Volksstammes, die Abneigung gegen jede Übertreibung und lügnerische Ergebenheit, das Herz der Königin als einzige des gesamten Hofstaates gewonnen hatten, waren von ihr nach dem Mittagsmahl des ersten Feiertages in ihr Wohnzimmer gebeten worden. Es gab am Hofe keine höhere Ehrerweisung. Der Umstand, daß Konstanze mit ihr nicht nur sparsam, sondern geizig war, hatte ihr viel stumme Feindschaft zugezogen. Sie wußte dies. Aber sie dachte nicht an Änderung ihres Verhaltens. Sie hatte sich niemals einer Pflichterfüllung entzogen: lehnte es ab, einen Schritt weiter zu gehen. Wo hätte sie anfangen – wo hätte sie aufhören sollen. Vier Jahre Hofleben hatten ihr die Augen geöffnet – und das Herz verschlossen. Schon die Klugheit gebot, sich fern zu halten. Der alte Urslingen hatte ihr nicht abstreiten können, daß sie recht habe. Es war ihm nicht schwergefallen. Die Haltung der Königin entsprach seiner militärischen, kurzangebundenen, berechnenden, aber gütigen Natur. Als er sich schon bald verabschieden mußte, da ihn der König zu einem Ritte in den Schnee befohlen hatte, sagte er im Gehen:

– Je mehr uns, Majestät, die Hingabe an unsere besondere Aufgabe erfüllt, um so weniger bedürfen wir des Austauschs mit vielen Menschen. Auch haben wir ja zur Genüge und früh genug erkannt, daß wir überall auf die gleiche menschliche Unzulänglichkeit stoßen, sobald wir einmal die Macht des schönen Scheines überwunden haben. Wer ohne diesen schönen Schein leben kann, hat das bessere Teil erwählt . . .

– Ich sehe Sie noch bei der Abendtafel! sagte Konstanze, ihm die Hand reichend. Ich hätte gerne noch Ihre Meinung über die Teilnahme Englands und 103 Frankreichs am Kreuzzuge gehört. Ich bin nicht sehr erbaut von einigen Nachrichten, die ich aus Paris erhalten habe . . .

– Ich auch nicht, Majestät. Obwohl mich die eifrigen Rüstungen des Königs von Sizilien für den Kreuzzug beruhigen . . . Solange Offamilios Verstand dort unten neben dem des Königs regiert . . .

– Haben Sie, Herzog, jemals in Ihrem Leben das gekannt, was Ruhe heißt?

– Nein, Majestät. Das war auch nicht der Sinn meines Lebens. Bewegung hieß die Losung . . .

– Finden Sie nicht, daß diese ewige Bewegung, deren Opfer wir alle sind, im Grunde etwas sehr Gemeines ist?

– Ich habe mir die Sache noch nicht von dieser Seite angesehen, trotzdem mir die Zahl der Jahre, die ich auf dem Buckel habe, eigentlich dazu hätte Zeit lassen sollen – – aber es ist schon möglich, daß Eure Majestät recht haben . . .

– Seien Sie sicher, daß ich recht habe. Aber wir werden ja alle nicht nach unseren Wünschen gefragt. Da oder dort werden wir von Gott hingestellt; und von diesem Standorte aus geht die ewige Reise los. Wer vom Karren fällt, kommt unter die Räder . . . oder bricht sich das Genick.

– Der Reisewagen Eurer Majestät ist wohlbeschützt, und selbst wenn die Pferde durchgingen, wären viele Schultern zum Weitertragen bereit . . .

– Ich danke Ihnen, Herzog. Nehmen Sie es als ein Zeichen meiner Zuneigung, daß ich vor Ihnen aus meinem Herzen keine Mördergrube mache. Ich mag vor Ihnen nicht fröhlicher scheinen, als ich bin. 104

– Majestät: ich habe ein Leben lang in allen politischen und menschlichen Dingen das Vertrauen des Kaisers Friedrich genossen – und seit dem Jahre seiner Mündigkeit das des Königs Heinrich. Daß mir, dem Soldaten, der in nichts als Kriegen und Fehden verwittert ist, die Königin das Vertrauen eines bedrückten Herzens schenkt, ist die schönste Gabe, die mir diese Weihnachten auf meine Heimreise nach Spoleto mitgeben konnten. Eure Majestät werden sich erinnern – wie immer diese seltsamen Zeitläufte auch gehen mögen –, wo sie als Unterpfand der Treue behütet wird . . .

– Ich werde mich erinnern . . .

Als der Feldherr gegangen war, legte sich Konstanze auf das Ruhebett, das neben dem Feuer aufgestellt war:

– Diese Müdigkeit, Herzogin, diese quälende Müdigkeit . . . Ich werde sie nicht mehr los, seit die Ärzte an mir sind mit ihren Kuren und Besprechungen. Aber ich werde mit diesen Dingen jetzt Schluß machen. Mutterschaft erzwingt sich nicht . . . Was lasse ich mich quälen für das giftige Gemurmel dieses Hofstaates? ›Hätte der König die Bayerin geheiratet oder die Sächsin oder die Holsteinerin – längst wäre der Erbe da!‹ . . . Jedes Fräulein, jede Muhme, jede Hebamme wispert es. Es ist ihnen verbrieft worden, daß dann in drei Jahren schon vier Prinzen geboren wären . . . Ich habe lange genug geschwiegen. Meine Geduld ist zu Ende. Ich verlange Enthebung aus dieser stummen, unterirdischen Feindschaft, die bis in meine Vorgemächer dringt. Ich werde mir von nun an meine Umgebung erst recht so wählen, wie sie mir paßt. Daß ich mir die Gräfin Anne de Perche als erste Hofdame, daß ich mir den Grafen Pedro Vaqueiras, einen provenzalischen 105 Dichter von höchstem Rang, als Adjutanten gewählt habe, kreiden sie mir als Hochmut und Ausländerei an. Aber niemand sagt mir, mit wem ich denn von den Dingen sprechen soll, in denen ich groß geworden bin. Soll ich vielleicht tun, was sich jeder Deutsche schämen würde in der Fremde zu tun: die Seele der Heimat vergessen, verleugnen, verschütten mit Dingen, die meinem Wesen fremd sind? Ich lerne diese schwere deutsche Sprache seit drei Jahren, so gut es mir eben gelingt – und Menschen, auf die ich mich verlassen kann, behaupten, ich spreche sie besser als die verstorbene Kaiserin Beatrix. Glauben Sie, daß es mich sehr freundlich berührt, wenn ich höre, wie dieselben Damen, die in Liebedienerei und Unterwürfigkeit vor mir ersterben, sich hinter meinem Rücken lustig machen über meine falsche Aussprache? Lache ich etwa über die ihre, wenn sie mir ihr Nonnenschulenfranzösisch oder -italienisch in die Ohren säuseln? Sie sehen, Herzogin, daß ich die Maske, welche jede Fürstin trägt, vor Ihnen fallen lasse. Seit ich Sie kennenlernte, habe ich ein großes Vertrauen in Sie . . . in das Mütterliche, das um Sie ist und meinem Leben ebenso gefehlt hat wie alle Zartheit, in der ein menschliches Wesen gedeiht . . .

– Wollen Eure Majestät nicht zu jeder Stunde dieses Mütterliche anrufen, das Sie umfangen und trösten möchte?

– Das will ich gerne tun, Herzogin. Denn ich bin sehr verlassen in diesem Lande, in dem ich noch nicht Wurzel schlagen kann.

– Ich begreife es. Aber ich bitte Sie, Majestät, setzen Sie nicht auf Rechnung Deutschlands, was Ihnen doch 106 wohl an jedem Hofe geschehen wäre, an den Sie als – Fremde gekommen wären.

– Ich klage Deutschland gewiß nicht an. Ich beklage nur Dinge in meiner Umgebung, die ich nicht erwartet hatte! Ich bin erstaunt zu sehen, bis in welche Kreise überhaupt der Mangel an Form gehen kann . . . Ich hätte unsichtbar bleiben sollen . . .

– Die Königin der Deutschen muß sichtbar sein, Majestät. Sonst wuchert die Legende noch wilder um den Thron . . .

– Die Legende? Kann man sich Angenehmeres wünschen? Ist sie nicht der sicherste Schutz gegen unerbetene Nähe?

– Es ist mir nicht gegeben, die Dinge mit den Augen Eurer Majestät zu sehen. Das Schicksal hat mich nicht aus einem fremden Land auf einen Thron gewiesen, der vielleicht Abgeschiedenheit zur Pflicht macht. Ich bin die Frau eines deutschen Ritters, den seine Dienste für die kaiserliche Sache in außergewöhnlichen Rang gehoben haben. Was immer mir die hohe Stellung meines Mannes an Pflichten auferlegt: ich bin – heute wie je – Margarete von Urslingen, die Tochter des wenig bemittelten Grafen von Radolfzell. Ich gehöre, wie mein Gatte, der Sache des Kaisers. Im Glück und im Unglück. Von ganzem Herzen. Ich gehöre mit der gleichen Hingabe meinem Gatten selbst, mit dem ich ein gutes Leben gelebt habe, und meinen Kindern, die meiner Liebe als Erwachsene ebenso, ja vielleicht noch mehr bedürfen, als sie ihrer als Unerwachsene bedurften . . . Denn die Kraft der Mutterschaft, Majestät, ist unerschöpflich. Die Rufe, die an sie ergehen, reichen weit über den Tod hinaus in die Ewigkeit . . . Ich bin 107 nicht mehr und nicht weniger als die schlichteste deutsche Frau, um deren Mitte ein ganzer Hausstand kreist – von wenigen geliebt, wenigen notwendig, heute noch unter ihnen, morgen abgerufen von einem Größeren – auf Erden vergessen in einem Menschenalter, wenn den Kindern ihre Stunde schlägt. Mehr bin ich nicht, mehr kann ich nicht sein, mehr wollte ich und will ich nicht sein . . . Über ein halbes Jahr war ich nun in der deutschen Heimat. Die Söhne – Ulrich und Egenolf – sind mit dem Kaiser nach Palästina gezogen. – Ich habe ihnen in Regensburg im Mai das Geleit auf das Schiff gegeben. Ob sie mir wiederkehren, steht bei Gott. Die Schwiegersöhne, beide auf ihren Burgen in der Rauhen Alb, sind auf den Wunsch des Königs im Lande geblieben. Man kann das Reich nicht von aller Ritterschaft entblößen, nur weil ein Papst gerade einen Kreuzzug will. – In wenig Tagen werde ich meinen Gatten nach Spoleto zurückbegleiten . . . Vielleicht zum letztenmal. Die Reise ist weit und beschwerlich, die Zahl der Jahre macht sich fühlbar in dem Bedürfnis, nun ruhig am gleichen Ort zu bleiben . . .

– Am gleichen Ort zu bleiben . . . wiederholte die Königin, am gleichen Ort zu bleiben . . .

Dann, sich langsam aufrichtend, und die Herzogin zu sich auf den Diwan ziehend:

– Meinen Sie wirklich, daß das Bedürfnis nach Ruhe nur eine Frage des Alters sei? O nein, o nein! Ich bin um 25 Jahre jünger als Sie, Herzogin – und doch haben mich die vier Wanderjahre in Italien und Deutschland so müde gemacht, so müde . . . Reiche Jahre, gewiß . . . lehrreiche Jahre noch mehr – und dennoch: qualvolle Jahre! 108

– Qualvolle Jahre?

– Das fragen Sie? Die Frau, welche viermal Mutter wurde, sollte nicht fühlen, was es heißt, als Zweiunddreißigjährige mit einem einundzwanzigjährigen Gatten auf diese ewige Reise nach Mutterschaft zu gehen? Von Hoflager zu Hoflager zu ziehen und heute nicht weiter zu sein als beim Aufbruch? – Was wird denn – nicht aus der Königin, aber – aus der Frau, welche Konstanze von Hauteville heißt, wenn ihr die Mutterschaft verwehrt bleibt?

– Warum, Majestät, sollte Ihnen die Mutterschaft verwehrt bleiben?

– Warum, Herzogin, sollte sie mir noch erfüllt werden, wenn ich vier Jahre lang nicht guter Hoffnung werden konnte?

– Viele Frauen wurden erst nach vielen Jahren Ehe Mutter, Majestät . . .

– Viele?

– Und wenn es weniger als Viele wären – warum sollte Eure Majestät nicht unter den Wenigeren sein?

– Sie sagen mir nichts Neues, Herzogin. So weit kommt jeder im Denken. Und weiter keiner. Es ist töricht von mir, Menschen, die mir lieb sind, auf diese ewig gleiche Formel zu locken . . . Wie schwach wir sind! Immer wieder wollen wir hören, was man uns hundertmal gesagt hat, sofern es nur den geringsten Schein einer Hoffnung um sich trägt.

– Und dennoch, Majestät, habe ich Ihnen eines zu sagen, das ich als kostbarste Erfahrung aus dem engen Kreise meines Lebens mit in mein Alter nehme: wer den Willen aufgibt, gibt die Sache auf.

– Auch der Wille, den wir haben, Herzogin, wird 109 uns nur von Gott zugemessen . . . Soviel dem einen, soviel dem anderen . . .

– Glauben Sie nicht, daß ein Gebet Gott bestürmen könnte, das Maß verliehenen Willens zu erhöhen?

– Dann beten Sie für mich zu Gott um dieses Maß. Ich fürchte manchmal, meine Kraft reicht dazu nicht mehr aus . . . So müde bin ich vom Beten, Fasten und Kasteien um den Sohn . . .

– Dann will ich die Übungen für Sie übernehmen, Majestät, bis Sie die Kräfte wiedergewonnen haben . . . Die Welt hängt an dem einen Wort: der Sohn . . .

Die Königin hatte sich gegen die Kissen zurückgleiten lassen. Sie war so erschöpft, daß ihr die Dinge des Zimmers im Flackern der Kaminscheite verschwammen . . . Draußen fiel die Dämmerung über das verschneite Land.

– Merkwürdig, sagte plötzlich die Königin. Die Herren wollten doch ausreiten. Ich habe keinerlei Hornsignale gehört, die ihren Aufbruch verkündigten . . .

– Ich auch nicht . . . Ob sie durch das hintere Tor über die Brücke in den Wald hinauf sind?

– Möglich . . . Oder ob Besprechungen sie wieder abgehalten haben?

– Weiß man je in diesen Zeiten . . .

Die Königin schloß die Augen und fiel in Schlummer . . . Die Herzogin setzte sich in einen Faltestuhl auf die Marmorplatte vor dem Kamin, in deren Glanz die Flammen spiegelten, und fiel in Nachsinnen . . . Sie erschrak. Lautlos war aus dem Vorzimmer Anne de Perche eingetreten. Die Herzogin, auf die 110 Schlafende weisend, legte die Finger vor die Lippen. Aber die Königin war wach geworden . . .

– Was gibt es?

– Der Graf Vaqueiras bittet im Auftrag des Königs Eure Majestät in dringender Angelegenheit sprechen zu dürfen . . .

– Vaqueiras? Im Auftrag des Königs? Wo ist er?

– Im Vorzimmer . . .

– Holen Sie ihn.

Vaqueiras, blaß, wie ihn Konstanze niemals gesehen hatte, verneigte sich und blieb an dem Türvorhang stehen . . . Als niemand eine Frage an ihn richtete, sagte er mit einer Stimme, die jeden Augenblick ausbleiben zu wollen schien:

– Vor einer halben Stunde, Majestät, ist ein Eilbote aus Palermo eingetroffen. Er bringt die Nachricht, daß der König Wilhelm am 18. November nach vierwöchentlicher Krankheit gestorben ist.

Die Herzogin faßte mit der Hand nach dem Kaminsims, Anne de Perche, vom langen Dienst bei Hofe gewohnt, auch die stärkste Erregung zu meistern, senkte den Kopf – die Königin, noch blasser als Vaqueiras, stand regungslos. Niemand wagte, sich zu nähern. Sie stand und erstarrte dann – um sich sogleich in einem jähen Aufbruch innerer Kräfte zu beleben:

– Ich bitte Sie, mich mit dem Grafen Vaqueiras allein zu lassen.

Schweigend gingen die Damen. –

– Pedro . . .

– Majestät . . .

– Bleiben Sie hart . . . Die Stunde verlangt es. Wir 111 beide werden weinen dürfen, wenn die Beschlüsse des Königs gefaßt sind. Jetzt beginnt das Schicksal . . .

– Sie wissen, Majestät, daß Sie über das meine verfügen können . . .

– Ich werde es tun . . . vielleicht heute noch. Sagen Sie dem König, daß ich ihn erwarte.

 

Eine Stunde später saß sie mit dem König in den hohen Stühlen vor dem Feuer. Die Türen waren verschlossen, die Vorhänge zugezogen, die Fensterbögen gegen den sinkenden Schnee abgedichtet.

– Ich danke Ihnen für eine solche Meisterung Ihres Schmerzes. Ich weiß, was Ihnen geschehen ist. Sie haben den einzigen Menschen verloren, den Sie geliebt haben.

– Ja . . .

– Nun wartet Ihr Land auf Sie.

– Nein. Mein Land wartet nicht auf mich, sondern auf die Dinge, welche die Parteien nun heraufbeschwören werden.

– Und was glauben Sie, daß unter solchen Umständen zu tun sei?

– Die nächsten Boten abzuwarten und sofort einen zuverlässigen Freund nach Palermo zu senden, um eine unparteiische Schilderung der Vorgänge zu erhalten, die sich dort abspielen werden . . .

– Auch ich habe mir das schon ausgedacht. Aber wen? 112

– Es gibt nur einen einzigen, der in Frage kommen könnte: Vaqueiras . . . Er ist weder sizilischer noch deutscher Nationalität. Er ist zwar kaiserlich gesinnt, hat sich aber niemals in die inneren Verhältnisse Siziliens eingemischt. Er ist mit meinem Freunde Richard Ajellus und dem Großadmiral Margaritus nicht schlechter befreundet als mit den Pagliara, den Celano oder dem Erzbischof Offamilio . . .

Heinrich überlegte . . .

– Und Sie glauben, daß er diese schwierige und nicht ungefährliche Aufgabe übernähme?

– Er wird darauf brennen, sie zu übernehmen.

– Dann wären zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen . . . Sind Sie sicher, Konstanze, daß er unbedingt zuverlässig ist?

– Was hätte er denn dabei zu gewinnen, wenn er es nicht wäre?

– Die Tochter Rogers – immer wieder die Tochter Rogers! . . . Terre à terre, terre à terre . . . Ich lasse die Beweisformel gelten . . .

– Sie . . . wollen ihn wohl auch zum Papst schicken? . . .

– Sie sind auf der richtigen Fährte . . . Die Karten des Spieles, das nun beginnt, werden in Rom gemischt . . . Der Trumpf ist die Lehensfrage! Sizilien ist Lehensland des Papstes . . . Die normännischen Könige waren dem Heiligen Vater pflichtig . . . Natürlich ist es, in den Augen der Kurie, auch die letzte Erbin des apulisch-sizilischen Reiches: Konstanze, Rogers Tochter, des deutschen Königs und – bald auch – Kaisers Gemahlin. Die Ehe zwischen Ihnen und mir ist nicht mit dem Willen der Kurie geschlossen und – nach ihrem Vollzug 113 – von den Baronen beschworen worden . . . Die Eide bestehen, die Huldigung ebenfalls . . . Wenn nun die Kurie verlangte, daß Sie – die Königin von Sizilien – in aller Kürze wohl die Kaiserin – den Papst als Lehnsherrn anerkennten – was würden Sie erwidern?

– Ich würde dieses Ansinnen unter Hinweis auf die völlig veränderte Stellung der Königin von Sizilien ablehnen.

– Ich würde das gleiche tun . . . Aber was, wenn Ihnen dann der Papst die freie Verfügung über Ihr Erbe abstritte und die Baronie des Landes ihres Treueides gegen Sie und mich entbände?

– Krieg.

– Gegen wen?

– Gegen den Papst. Und gegen die Treubrüchigen.

– Ich fürchte, dieser Krieg wird uns bevorstehen. Noch ist es nicht so weit. Zumindest wissen wir nicht, ob es schon so weit ist. Man hatte in Rom die Kunde von dem Tode Wilhelms drei Wochen früher als wir. Weiß man, was sich in der Zwischenzeit ereignet hat?

– Von wem erwarten Sie Berichte?

– Von den apulischen Herren, die uns unbedingt ergeben sind. Aus unseren Grenzgarnisonen. Von unseren Vertrauensleuten in Pisa. Von dem Erzbischof Offamilio . . .

– . . . sofern man seine Boten durchläßt . . . Wenn Sie vor zwei Jahren der Kurie die Straßen haben sperren lassen, so kann man noch viel leichter die Häfen sperren.

– Das ist richtig. Eben deswegen müssen wir einen ungeschminkten Geheimbericht haben . . . Vaqueiras soll mit einem Scheinauftrag von mir zu dem Papst 114 Clemens reisen. Ich werde diesem neue Verhandlungen über die sizilische Lehensfrage anbieten. Als Dank für seine Bereitwilligkeit, unsere Kaiserkrönung vorzunehmen. Es wird durch dieses Angebot eine Art Interim entstehen, das mir die Möglichkeit gibt, zu rüsten. Vaqueiras wird die päpstliche Antwort durch einen Gewährsmann an mich übermitteln und über Pisa, wo ich ihm ein Schiff zur Verfügung stellen lasse, nach Palermo fahren. Schöpft man Verdacht, so wird er vorgeben, wegen der innerdeutschen Unruhen unser Land verlassen zu haben, um seine Sachen aus seiner Wohnung abzuholen und in seine Vaterstadt Toulouse zurückzusenden. Dieselbe Galeere wird ihn wieder zurückbringen, nachdem sie in einigen Küstenhäfen ihre Ware abgesetzt und Gegenware verladen hat. Wenn er morgen über Regensburg-Verona abreist, kann er in vier Wochen über Rom-Pisa in Palermo sein, wahrscheinlich schon früher, aber kaum vor Anfang März wieder am Hofe, sofern ihm für seine Auskundschaftung genügend Zeit bleiben soll. Treiben die Dinge zum Krieg, so würde er als Ihr Adjutant schwerlich in Palermo wohnen bleiben können – lassen sie sich auf friedliche Weise regeln, so kann er ja, wann es ihm paßt, als Beobachter dahin zurückkehren. Ich glaube nicht, daß gegen diesen Plan etwas einzuwenden sei.

– Ich auch nicht. Ich habe nur ein Bedenken: wie wollen Sie – ohne schwerste neue Verwicklungen – die einmal begonnenen Scheinverhandlungen mit dem Papste abbrechen?

– Abbrechen? Sie werden niemals beendet werden. Seit uns während der Veroneser Verhandlungen mit dem Papst Alexander im Jahre 84 das schöne Wort eines 115 päpstlichen Advokaten berichtet worden ist, ›curiam semper vicisse protrahendo de die in diem causam suam‹, brauchen wir ja nur von der gleichen Gott wohlgefälligen Verschleppungsmethode Gebrauch zu machen . . . Aber inzwischen wird entweder durch die Eidbrüchigen oder durch uns ein neuer Tatbestand in Sizilien geschaffen sein, der alle unsere Kräfte in Anspruch nimmt. Auch allerhand Kniffe werden gefunden sein, die den Papst ins Unrecht setzen . . . Wozu haben wir unsre Rechtsgelehrten? . . .

– Sie rechnen jedenfalls damit, daß in Apulien-Sizilien eine kaiserlich gesinnte Partei auf dem Plan erscheinen und handeln wird?

– Unbedingt.

– Nehmen wir einmal an, dieser Partei, also unseren Freunden, gelänge es, die Eide von Troja aufrechtzuerhalten und durchzusetzen – wie denken Sie sich dann den Fortgang der Dinge?

– Ich glaube, sagte der König, die dünne Braue über dem linken Auge etwas hochziehend, daß es in diesem unwahrscheinlichsten aller Fälle, der aber durchaus eintreten kann, an Ihnen wäre, Entscheidungen zu treffen . . .

Konstanze, die gefährliche Falle witternd, erwiderte, ohne die Stimme um den Hauch eines Tones zu heben:

– Was ist da groß zu entscheiden? Sie sind, laut Ehe- und Staatsvertrag, in Apulien-Sizilien der Prinzgemahl. Sie haben das Recht, sich zum König des Landes krönen zu lassen. Die tatsächliche Erbin und Inhaberin der Regierungsgewalt bin ich samt meiner leiblichen Nachkommenschaft.

– An alledem kann kein Zweifel sein, nur . . . 116

Konstanze ließ ihn nicht weitersprechen:

– Es ergibt sich also mit zwingender Folgerichtigkeit, daß Sie mich zur Übernahme der Regierung nach Sizilien senden werden?

In thesi, ja. In praxi würden wir uns wohl dahin einigen, daß Ihnen der Boden für diese Regierung entsprechend vorbereitet würde . . . daß Ihnen Stützen beigegeben würden, damit Ihnen Schwierigkeiten, wie sie die Königin-Witwe Margareta mit den Baronen hatte, erspart bleiben . . .

– Und wo gedächten Sie diese Stützen auszuwählen?

– Unter unseren Freunden, natürlich!

– Welchen Freunden?

– Allen . . .

– Auch den deutschen?

– Warum nicht? In erster Linie sogar. Das Reich wird von Deutschland getragen und gehalten . . .

– Ich würde es – auch vom deutschen Standpunkte aus – für unklug erachten, einem Sizilien, das sich friedlich in das Gefüge des Reiches begeben möchte, eine völlig überflüssige und überwiegend deutsche Bevormundung aufzuerlegen. Ich selbst würde mich einer solchen jedenfalls widersetzen. Sie sehen, Heinrich, daß ich mit offnen Karten spiele.

– Wie würden Sie über die gleiche Frage denken, wenn wir uns – Sie sowohl wie ich – einem rebellischen Apulien-Sizilien gegenüber befänden?

– In diesem Falle wäre Niederschlagen der Rebellen natürlich die erste Notwendigkeit. Darnach wäre immer noch reiflich zu überlegen, welchen Grad vorläufiger Bewachung durch Deutsche man dem Lande zumutete . . . Diese Frage wäre wohl im Einverständnis 117 mit der Baronie meines Landes leicht zu lösen. Auch würde das zuverlässige Verhalten der großen Feudalherren wohl Anspruch auf besondere Berücksichtigung haben . . .

– Ich habe nicht das geringste gegen Ihre Erörterungen einzuwenden. Sie haben ja in der Lombardei gesehen, daß ich Anstand und Treue zu lohnen weiß, auch bei früheren Feinden – und in der Gewährung von Freiheiten sehr weit gehen kann . . .

– Ganz recht! Nämlich dann, wenn Sie die Umstände dazu zwingen! Ich muß Sie aber darauf hinweisen, daß Sie Sizilien nicht mit der Lombardei vergleichen können. Ihre staatsrechtliche Stellung in beiden Ländern ist verschieden . . . Ihr Anteil an der apulisch-sizilischen Regierung ruht zu meinen Lebzeiten auf ganz anderer, viel bedingterer Grundlage als die Ausübung Ihrer Macht in der Lombardei . . .

Der König erhob sich heftig aus seinem Sessel und lehnte mit dem Rücken gegen den Kaminpfeiler. Er starrte in die Teppichmuster, als ob er aus dem Gewirr der bunten Ranken eine Antwort ablesen könne. Aber er fand keine. Die Königin hatte recht. Klugheit und Rücksicht auf ihre Trauer geboten, dem Gespräch keinesfalls eine schärfere Wendung zu geben.

Während er nachsann, musterte ihn Konstanze, wie so oft schon in den vier Jahren ihrer Ehe . . . Wie alt war dieses Gesicht eines Vierundzwanzigjährigen . . . Kaum noch ein Gesicht. Nur ein Gedanke und ein Wille. Wie fern aller Schönheit, allem Ebenmaß. Die Stirne viel zu hoch, das Haar zu licht, die Augen zu klein und zu stechend, die Lippen zu dünn und zu blutlos . . . Schmächtig, aber von guten Verhältnissen 118 die Gestalt . . . Wie merkwürdig das Festkleid, das sie ihm angezogen hatten . . . Nichts, nichts an diesem Körper war blühend – nichts ein Ruf an die Frau. Dieser Gleichgültige, der zu dem Lager seiner Gattin kam wie er zur Unterfertigung seiner Urkunden ging, war der Herrscher, vor dessen Tatkraft und Durchtriebenheit die halbe Welt zitterte – war der rücksichtslose Bestrafer aller Abtrünnigkeit, der grausame Beseitiger jedes Hindernisses, das sich der Erfüllung seines einzigen, ungeheuren Traumes in den Weg stellte. Und war dennoch ein Mensch, der manchmal Menschen gewinnen und bezaubern konnte durch das Sprühen seines überwachen Geistes, durch den ungewollten Rückfall in vergessene Kinderlaunen, in nie entfaltete Neigungen einer Knabenzeit, die sich freiwillig hinter die Folianten verbannt hatte . . . Ohne daß sie es gerufen hätte, stand plötzlich das Bildnis des verstorbenen sizilischen Königs so deutlich im Raume, so nahe vor ihr, als ob sie es mit den Fingern anrühren könne . . . Sie gab sich ihm hin – seiner blonden Belebtheit, seiner milden Bewußtheit, seiner wissenden, doch unverbrauchten Jugend . . . Sie gab sich, über dieses Antlitz hinaus, dem keiner widerstanden hatte, der sich je darin verlieren konnte, dem Wesen hin, dessen Spiegel es war: dem Ebenmaß aller Kräfte, deren keine das gerundete Ganze überwucherte – – und lächelte sich, unwissend, in südliche Abende zurück, die nie mehr wiederkehren würden . . . in Meergesang und Datturaduft um das Geheimnis einer Stimme . . . So ferne war sie allem, was sie umgab, daß sie gar nicht gemerkt hatte, wie Heinrich die Augen auf sie richtete und sie verwundert anschaute . . . 119

– Seien Sie nicht allzuhart mit den Lebenden, Konstanze, sagte er schließlich . . . Wir werden alle noch sehr aufeinander angewiesen sein.

Sie nickte langsam mit dem Kopfe:

– Ja, Heinrich. Aber wir sind auch auf die Toten angewiesen. Davon weiß ich mehr als Sie . . .

– Sie wissen in vielen Dingen mehr als ich, Konstanze. Aber was würde aus dem Reich, wollte ich mich einlassen auf das, was mir fehlt . . . Zwischen Ihnen und mir ist niemals Liebe gewesen – manchmal vielleicht so etwas wie Kameradschaft: aber ein Allerwichtigstes war von allem Anfang an: wir brauchten uns, wenn wir zusammen sprachen, nicht zu erklären, was wir meinten. Der Grund ist gleich – und das Gesetz.

– Sie vergessen das dritte: der Wille.

– Der Wille fließt aus dem Gesetz. Deshalb nannte ich ihn nicht mehr. Ich möchte eines hören, Konstanze, hier, in diesem Raum, in dieser Schicksalstunde: werden Sie den Weg unseres Wollens mit mir bis zum Ende gehen? Sehen Sie das Ziel wie ich? Werden Sie nicht eines Tages bei meinen erbittertsten Feinden sein?

– Ich werde bei Ihren Todfeinden sein, wenn Sie jemals das in mir mit Füßen treten, was Sie soeben das Gesetz genannt haben . . . Es ist gut, daß wir auf diese Dinge schon heute zu sprechen kommen. Sie wissen, welchen Weg ich nun vier Jahre lang mit Ihnen gehe. Sie wissen, daß man sich auf meine Gefolgschaft verlassen kann . . . Ich muß Ihnen zugestehen, daß Sie mir meine Pflichterfüllung bis zum heutigen Tage reich gelohnt haben.

– Ist das Ihr ehrliches Gefühl?

– Mein ehrlichstes. Sie haben mir meine Freiheiten 120 und oft meine Launen gelassen . . . Sie haben begriffen, daß ich des Wanderlebens von Hoflager zu Hoflager müde war. Sie haben mir die Wahl des Ortes gelassen, der mir Rastort werden sollte . . . Sie wollten Hagenau oder Gelnhausen: ich ging nach Ingelheim . . . Vielleicht ist der Grund Ihrer Weite – Gleichgültigkeit. Und wenn er es wäre: ich habe Gleichgültige gekannt, welche unerhörte Quäler waren. Was ich fürchte für Sie, für uns alle, ist die Dämonie des Machtgedankens, von dem Sie besessen sind. Dieser Gedanke frißt an Ihnen . . . Er zehrt Sie auf.

– Möglich. Da Sie selbst ihn Dämonie nennen, müssen Sie wissen, daß er stärker ist als ich selbst. In ihm sind gebündelt und verschmolzen alle Triebe, die bei anderen verteilt sind . . . Ich weiß: er ist eine Verstiegenheit . . . Wie oft hat es mir mein Vater gesagt . . . Was kann ich dazu? Wozu sind meine Kanzler da, meine Minister, meine Bischöfe? Zu bändigen, auszugleichen . . . Aber die Flamme bin ich! Die Seele bin ich! Der Wille bin ich!

– Gut, daß Sie es sind, ein Segen vielleicht für alles Abendland – wenn Ihnen das Feuer nicht die Sehkraft verbrennt . . . Heinrich: zwei Jahre lebe ich nun in Deutschland unter deutschen Menschen: in den großen Bewegungen dieses Volkes und in seinen unscheinbarsten Äußerungen . . . Kein Volk, bedünkt mich, ist so gärend-reich, ist so voll Drang in Zukunft; aber keines auch – im Guten und im Bösen – so gefährdet . . . Was der Mann nicht erkennt, erwittert die Frau, die fremde Frau, die das Glück milder Lebensart in ihrem Vaterlande gelernt hat: ich fürchte für die Deutschen, wie ich für Sie fürchte: Unmaß, und sei es göttlicher Herkunft, 121 besteht nicht. Die Macht ist die Ehrfurcht. Die Macht ist das Maß.

Heinrich hatte sich wieder neben das Feuer gesetzt. Das Spiel der kleinen Flammen zeigte die traurigen Schatten, die sich über die hageren Züge gelegt hatten . . .

– Sie sind mir noch eine Antwort schuldig, Konstanze.

– Ich weiß es . . .

– Ich wiederhole meine Frage . . . Ich erweitere sie: werden Sie mit mir bis zum Ende gehen, auch wenn . . . wir ohne den Sohn bleiben müßten? Werden Sie dem Gedanken treu bleiben, der den Sinn unserer Verbindung ausmacht – dem Gedanken, um dessentwillen Sie die Heimat und die Stille preisgaben?

War dies der Blick des Königs, der nun an ihrem Gesichte hing? Dieser gequälte, ratlose, hilflose Blick eines Menschen, den die Angst um sein Werk in eben diesem Augenblick befallen hatte, wo es galt, die äußerste Bereitschaft zu seiner Vollendung zu bekunden?

Sie stand auf, ging auf Heinrichs Stuhl zu. Als er sich ebenfalls erheben wollte, drückte sie ihn leise an den Schultern auf den Sitz zurück . . .

– Heinrich: warum quälen Sie sich um ein Hirngespinst?

– Hirngespinst?

– Ja, Heinrich. Eines Königs, der in manchen Dingen ein Kind geblieben ist. Wie so viele Gewaltige der Welt in den Winkeln ihrer Herzen . . . Lassen Sie mich noch einmal ganz die Tochter Rogers sein – lassen Sie mich Aufrechnung – nicht Abrechnung – halten . . . Was ist Ihr Ziel? Das Reich. Deutschland-Italien als 122 Kern, an den sich angliedern mag, was anzugliedern ist. Aber der Kern ist das Unerläßliche, das Unbedingte, Nordmeer-Südmeer. Was ist mein Ziel? Mein Land als südlichsten, abschließenden Teil dieses Reiches im Schutz der höheren Einheit geborgen zu wissen. Solange Wilhelm noch lebte, konnte dieser Schutz nur in einer Freundschaft des Größeren zu dem Kleineren bestehen. Nun, wo Wilhelm nicht mehr lebt und ich meine Erbschaft antrete, gibt es nur noch die Frage des gleichberechtigten Anschlusses. Apulien-Sizilien ist keine Provinz, die man in die Tasche steckt. Apulien-Sizilien ist die berauschende Mitte des Abendlandes. Nur Romanien ist ihm vergleichbar an Höhe des Lebensstandes und Fülle der Schönheit. Palermo ist die Blüte der westlichen Welten. Ich habe Ihnen meine Hand gereicht, damit erhalten bleibe und in seiner Art gesteigert werde, was ich Ihnen einzubringen habe, nicht damit es vergewaltigt werde. Nicht an Deutschland war ich je gesonnen, mein Land auszuliefern. Hätte ich das jemals gewollt, so verdiente ich das Beil des Henkers wie jeder Hochverräter. Ich wollte es dem großen Gedanken des abendländischen Kaisertumes zu seinem eignen Segen verbunden wissen: bei Wahrung seines besonderen Lebens – gegen die verwüstende Ausbeutung durch seine eignen Magnaten. Ich werde nichts von meinem Ziele opfern, das sich mit dem Ihren deckt. Ihr deutsches Königtum ist ein Teil Ihres übergeordneten Kaisertumes: so wie Ihr römisches Königtum und später Ihr sizilisches. Nur als Kaiser sind Sie das Gegengewicht der Kurie, sind Sie die andere Waagschale der Welt. Nur diesem Kaiser diene ich. Nur dem umfassenden kaiserlichen Ziele habe ich die Treue 123 geschworen. Es steht bei Ihnen, dafür zu sorgen, daß ich dieser Treue treu bleiben kann. Sie hängt nicht ab von Mutterschaft oder Unfruchtbarkeit. Sie ist der reine Glaube an einen bedeutenden und notwendigen Gedanken. Bleiben wir ohne Erben, so bleibt doch der Sinn des gemeinsam gewollten Werkes. Schaffen wir das Werk, so wird seiner Größe schon der rechte Verwalter gefunden werden, auch wenn Sie ihn nicht in meinem Schoß zu zeugen vermögen oder mein Schoß ihn nicht aus Ihrem Blute zu empfangen vermag. Nichts aber mit alledem hat zu tun die Frage der einzigen menschlichen Erfüllung, die es in meinem Frauentum noch geben könnte: die Frage des Sohnes . . . Ich habe in vier Jahren des Regierens denken und also trennen gelernt. Sie haben in mir nicht Ihre Liebesnächte geheiratet – und ich in Ihnen nicht die meinen. Wir haben eine Ehe geschlossen als die gegenseitigen Ergänzungen unseres Werkes: mit allen gegenseitigen Verpflichtungen, die ein solcher Bund einbegreift . . . Glauben Sie, daß es – für Sie oder für mich – noch ein Abweichen von der Bahn eines solchen Schicksals gäbe? Ich glaube es nicht. Was uns verbindet, ist Unentrinnbarkeit. Wer zu entrinnen versuchte, schüfe sich den Untergang.

– Ich wußte es, daß die Tochter Rogers mich nicht im Stich lassen würde . . .

– Tun Sie das gleiche mit mir, Kaiser. Dann wird uns vielleicht eines Tages unsere Gemeinschaft noch ein Glück schenken. Denn auch Ihnen hat Ihr Mannestum bis heute keines geschenkt . . .

– Nein. Keines. Kein noch so bescheidenes . . . 124

Er ging auf Konstanze zu, legte seine Hände auf ihre Schultern:

– Glauben Sie, daß Sie noch Mutter werden könnten?

– Ob ich es glaube? Nacht für Nacht ringe ich mit Gott um dieses Geschenk . . . Ich werde weiter darum ringen bis an die Grenze, welche die Natur dem Schoße jeder Frau setzt. Mein ganzes Wesen ist nur noch eine stumme Besessenheit: der Sohn . . . der Sohn . . . Der Erfüller – der Befreier . . .

Ein Schwert, durchfuhr den König das Wort.

– Der Befreier, sagen Sie . . . Wovon?

Wieder zitterte die Angst in der Frage . . .

– Von der Sorge, sagte sie ausweichend, die tiefste Bestimmung der Frau könne mir versagt bleiben. Die tiefste Bestimmung jeder Frau ist nicht das Kind, sondern der Sohn . . .

Heinrich senkte die Augen.

– Das Blut der Normannen, sagte er zu sich selbst, das Blut der Wiking ist stärker als aller Wille der Staufer – – Sie wird mich immer überwinden, mit Undurchdringlichkeit.

 


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