Henry Benrath
Die Kaiserin Konstanze
Henry Benrath

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Viertes Kapitel

Ingelheim, 5. März 1190

Lange vor der Rückkehr des Grafen Vaqueiras wußte man am deutschen Hofe, was sich nach dem Tode des Königs Wilhelm in Apulien und Sizilien ereignet hatte. Heinrichs Vermutungen bestätigten sich. Unter dem Vorsitz des Kanzlers Matthäus Ajellus hatte die nationale Partei die Anerkennung der Erbansprüche Konstanzes verweigert und die Wahl eines einheimischen Landesfürsten beschlossen. Der Papst hatte – als zur Seite geschobener Lehnsherr Siziliens – die Barone ihres in Troja geleisteten Eides entbunden – und damit den Ereignissen freien Lauf gegeben. Der Adel – sofern er nicht, weil sein Vorteil es gebot, trotz der päpstlichen Lossprechung an seinem Eide festhielt – hatte den Grafen Roger von Andria als Prätendenten aufgestellt, die Volkspartei aber, auf den Rat des Kanzlers Ajellus, den letzten noch lebenden männlichen Sproß des normännischen Königshauses: Tankred, den Bastardenkel Rogers II, als zukünftigen König auserkoren. In ihm allein sah das Volk den Bewahrer seiner Unabhängigkeit. Es verlangte die Krönung dieses ritterlichen und gebildeten Mannes zum Herrscher von Sizilien und Apulien . . .

So weit gingen die Berichte, welche bis Mitte Januar übereinstimmend von mehreren Seiten eingelaufen waren. Sie waren die Grundlage, auf welcher Heinrich die unverzügliche Eröffnung der Feindseligkeiten und den Einmarsch des damaligen Statthalters von Ancona, Konrad von Lützelinhard, in Nordapulien befohlen hatte.

Ende Januar erfuhr man, daß die sich kaiserlich gesinnt aufführende Gruppe eher im Wachsen als im Abflauen sei, Mitte Februar erschien am Hofe eine 128 Sondergesandtschaft des Grafen von Andria, der noch vor wenigen Wochen selbst den Thronanwärter gespielt hatte, mit der dringenden Bitte, der König Heinrich möge sofort in den Gang der Dinge eingreifen und ohne Nachsicht die Ansprüche seiner Gemahlin – die einzig rechtmäßigen – geltend machen. Der Brief trug außer der Unterschrift seines Verfassers diejenigen der vornehmsten apulischen Namensträger, der Grafen von Mandra, Molise, Tricarico, Abruzzo, Gravina, Saye, Conza, Pagliara und Celano. Wenige Tage später brachte ein Eilbote eine Depesche des Grafen Vaqueiras, in welcher er die am 20. Januar zu Palermo erfolgte Königskrönung Tankreds bestätigte und seine baldige Rückkehr in Aussicht stellte. Die Spannung war schon fast zur Qual geworden, als er am 5. März von Worms her in der Pfalz von Ingelheim eintraf. Noch vor der Abendmahlzeit erstattete Vaqueiras Bericht:

– Da ich schon von Rom aus meine vergeblichen Bemühungen, von dem Papste Zusicherungen bezüglich der sizilischen Lehensfrage zu erhalten, gemeldet habe, kann ich sogleich von den politischen Vorgängen in Palermo selbst sprechen. Die außerordentliche Geschwindigkeit, mit der sich die Dinge nach dem Tode des Königs Wilhelm entwickelt haben, erklärt sich nur so, daß man schon längere Zeit vor dem Sterbetag, dem 18. November, mit dem Ableben des Herrschers gerechnet und entsprechende Vorbereitungen getroffen hatte. Der König ist – wie mir sein arabischer Leibarzt versicherte – an einer Sepsis gestorben, die man auf den Stich einer giftigen Mücke zurückführt. Er war seit dem zwölften November in einen fiebernden Dämmerzustand verfallen, aus dem er bis zu seinem Tode nicht 129 mehr erwachte. Das Gerücht, das im Volke umläuft, es sei bei dieser Erkrankung und ihrem traurigen Ende nicht mit rechten Dingen zugegangen, erklärt der Arzt für unbegründet, während der Erzbischof sich darüber in Schweigen hüllt. Auffallend ist jedenfalls, daß schon vor dem Tode des Königs auswärtige Mönche überall, wo sich Volk ansammelte, die Frage aufwarfen, ob sich wohl die Sizilianer bei einem unerwarteten Ableben des kinderlosen Landesfürsten die kaiserliche Herrschaft gefallen lassen würden. Da der Erbvertrag feierlich von der Baronie beschworen war, was jedes Kind weiß, kam diese Frage einer Aufwiegelung der Gemüter gleich. Es ist unbestreitbar, daß die Menge vom Augenblick der Erkrankung des Königs an heimlich bearbeitet worden ist. Denn die Parole: ›keinesfalls unter die kaiserliche Herrschaft‹ war schon wenige Stunden nach dem Bekanntwerden des Todes in jedermanns Mund. Im Dunkel bleibt, wer den Aufstand des Volkes gegen die Sarazenen Palermos ins Werk gesetzt hat. Daß der Erzbischof von seinen Gegnern beschuldigt wird, verrät, welcher Haß der Parteien unter der Decke geschlafen haben mußte. Man bezichtigte ihn, er wolle Unruhen stiften, um dem deutschen König den Vorwand zu sofortigem militärischem Eingreifen zu schaffen. Der Kanzler Ajellus blieb bis Ende Dezember im Hintergrund. Er gab nur bekannt, daß er eine Versammlung der Barone auf Anfang Januar nach Palermo einberufen werde, um die Eidesleistung von Troja nochmals ›überprüfen‹ zu lassen. Es ist jedoch offenkundig, daß er während des ganzen Monats Dezember in eifrigem Verkehr mit der Kurie stand. Als es keinem Zweifel mehr unterlag, daß die Eidesentbindung stattfinden 130 und auch die Wahl des Papstes auf Tankred fallen würde, wurde die Königin Johanna in Haft genommen. Man habe belastende Briefe an ihren Bruder, Richard Löwenherz, bei ihren Kurieren gefunden. Aus diesen gehe unzweideutig hervor, daß sie eine rasche Einmischung Englands zur Wahrung ihrer Erb- und Herrschaftsrechte verlangt habe; die Gelegenheit sei günstig wie nie; unter dem Vorwand der Teilnahme an dem mit Wilhelm verabredeten Kreuzzuge könne jede beliebige Zahl von Truppen landen, ohne Aufsehen zu erregen . . .

– Dahinter steckt der Welf! rief Heinrich. Die Schleier lüften sich . . . Wir werden die Garnisonen in der Lombardei und in Tuskien verstärken . . . Das ist zunächst wichtiger als der Vormarsch in Apulien, zu dem ich kein Geld und keine Soldaten habe. Da man, um Ruhe zu haben, dem Luchs in Rom den Gefallen tun mußte, die beste Ritterschaft auf den Kreuzzug zu schicken, ist man in wichtigeren Dingen gelähmt. Das alte Lied! Der vorbereitete oder nicht vorbereitete Tod des Königs Wilhelm ist ein gefundenes Fressen für die Kurie . . . Die Mausefalle, in der wir sie gefangen hielten, solange Wilhelm die Gewähr für die Durchführung der beschworenen Verträge bot, kann sich nun öffnen . . . Denkt man! Man könnte sich irren . . . Im Mai 89 hat das Kreuzzugheer mit dem Kaiser Deutschland verlassen. Im Oktober 89 kommt – unter Wortbruch – der gebannte Welf aus England nach Deutschland zurück und zwingt mich zum Krieg. Im gleichen Monat Oktober 89 schickt die Fügung des Allmächtigen – vielleicht aus den pontinischen Sümpfen – dem kaiserfreundlichen König Wilhelm eine giftige Fliege – und 131 im Dezember sanktioniert man den Eidbruch der apulisch-sizilischen Baronie. Um dieselbe Zeit bestellt man dem Glücksritter Richard Löwenherz, der als frommer Kreuzfahrer gerne Sizilien schlucken möchte, um dem deutschen und französischen König zugleich eins zu versetzen, vorsichtlich schon den Gegenspieler Tankred – und in einem halben Jahre, wenn die Blüte der gesamten abendländischen Ritterschaft abermals vor Jerusalem in Krankheit und Zank verkommen sein wird, kann Seine Heiligkeit wieder vom Stuhle Petri aus in ungetrübter Serenität die bekümmerten Seelen der Christenheit betreuen . . . Alles ist eingefädelt, alles ist ausgeklügelt, alles ist vorgesehen- außer der Vorsehung! Wir gedenken, Uns in Ruhe zu fassen und nach gründlicher Vorbereitung dieser Vorsehung etwas nachzuhelfen . . .

Fahren Sie weiter, Graf Vaqueiras. Sie erwerben sich unsterbliche Verdienste um die Sache des Kaisertumes . . .

– Wollen Eure Majestäten es verzeihen, wenn ich nun auf Dinge kommen muß, die ich nur ungern ausspreche . . .

– Graf Vaqueiras, unterbrach der König, es war eine ausgemachte Sache, daß Sie die unverblümteste Wahrheit berichten würden. Nur sie kann uns dienen. Was meine Ohren hören, darf den Ohren meiner vertrautesten Mitarbeiter, Ihrer Majestät und des Grafen Querfurt, nicht vorenthalten werden – und sei es das Bitterste, das uns alle treffen könnte . . .

– Das Peinlichste, auf das ich bei meiner Ankunft in Palermo, am 19. Januar, stieß, war eine Deutschenfeindschaft, deren Maßlosigkeit sich keine Phantasie 132 ausmalen kann. Man hat sich, um bei den verschiedenen Schichten der Bevölkerung zu dem gleichen Ergebnis zu kommen, verschiedener Methoden bedient. So hat man dem Pöbel die Schauergeschichten in den Rachen geworfen, nach denen er in allen Ländern zu allen Zeiten lüstern war . . .

– Dieser Pöbel, unterbrach die Königin, findet sich in sehr hochgestellten Kreisen. Zwischen großen Damen und ihren Dienstmägden pflegt in der Vorliebe für Schauergeschichten sehr häufig kaum ein Unterschied zu sein.

– Zwischen großen Herren und ihren Stallknechten zuweilen auch nicht, ergänzte der König . . . Welche Schauergeschichten sind denn das?

– So viele und so unglaubliche, daß ich kaum alle noch aufzählen könnte. Wir würden hier ohne Zweifel laut über sie lachen, wenn sie nicht so verhängnisvolle Folgen gezeitigt hätten . . .

– Verhängnisvolle Folgen, Vaqueiras? Wenn morgen oder übermorgen meine Regimenter in den Kasr einmarschieren, werde ich den Hetzern und Verleumdern aus goldnen Bechern und als siedende Brühe das Wolfsblut in ihr Lastermaul eingießen lassen, das – wie sie behaupten – die Deutschen saufen, um sich für die Schlacht in reißende Tiere verwandeln zu können. Aber lassen wir diese Armseligkeiten . . . Sagen Sie uns lieber, was es mit der Beeinflussung der höheren Stände für eine Bewandtnis hat, vor allem aber wer Ihre Gewährsmänner sind.

– Nur zwei, Majestät. Aber diese beiden von solchem Gewichte, daß sich ein Herumhorchen bei anderen erübrigte: Richard Ajellus, der jüngste Sohn des 133 Kanzlers, und der Großadmiral Margaritus, der Freund meiner Strophen.

– Hatten Sie keine Schwierigkeiten, bis zu den Hauptstützen unserer Gegenpartei vorzudringen? fragte die Königin.

– Nicht die geringste, Majestät. Ich bin für alle Menschen in Palermo der Troubadour – sonst nichts. Die nationale Partei ist außerdem ihrer Sache in solchem Maße sicher, daß sie sogar ein im Grunde hochverräterisches Unternehmen wie das der Königin-Witwe Johanna auf die leichte Schulter nimmt. Im übrigen wäre es ja auch sehr unklug, mich zu behelligen. Rechnete man damit – was bestimmt einige taten – daß ich vielleicht an den deutschen Hof über die sizilischen Verhältnisse berichtete, so konnte man sich dieses Berichtes nur freuen. Ich kann ja nicht ableugnen, was vor aller Welt offenkundig ist: Sizilien steht – im Gegensatz zu Apulien – heute durchaus auf seiten Tankreds. Wie lange diese Herrlichkeit dauern wird, ist eine andre Frage. Die Argumente, die man in den oberen Schichten gegen Eure Majestät vorbringt, stützen sich auf eine national-sizilische Kommentierung des kaiserlichen Programmes, in die man alle gefühlsmäßigen Schattierungen einflicht, welche sich aus dem artmäßigen Unterschied zwischen Südländern und Deutschen ergeben. Ich wünschte, daß der ruhige und vornehme Richard Ajellus Euren Majestäten diese Argumente ebenso erläutern könnte, wie er sie mir selbst erläutert hat. Alle in Sizilien, alle ohne Ausnahme, fürchten die Deutschen. Man nennt Beispiele unnötiger Härten und Grausamkeiten während der Lombardenkriege. Die Zerstörung 134 Mailands im Jahre 62 liegt den Sizilianern heute noch im Magen . . .

– So. Die Mailänder haben sie mittlerweile verdaut. Vielleicht liegt den Sizilianern auch noch die Zerstörung von Bari im Magen, welche ihr eigner König, Wilhelm I., der Bruder Unserer Gemahlin, im Jahre 1156 vornahm . . . Jedenfalls hätte diese Magenbeschwerde das Recht auf Vorrang. Was sagt man zu Unserer Politik in Reichsitalien bis Ende 1187?

– Man glaubt nicht an ihren Bestand, da man sie als Gewalt- und nicht als Versöhnungspolitik ansieht.

– Was denkt man von Unserer Aussöhnung mit dem Erzbischof Philipp von Köln?

– Man meint, der Erzbischof warte nur auf die nächste Gelegenheit, neue Ansprüche anzumelden . . .

– Und was über die zweite Verbannung Heinrichs des Löwen, die der Kaiser vor seinem Auszug nach Palästina verfügte?

– Man erklärt sie als einen Rechtsbruch, als eine Tat der Angst. Es habe nicht der geringste Grund zu einem solchen Akte vorgelegen. Der Welf habe sich seit seiner Rückkehr aus der ersten Verbannung ruhig gehalten. Daß er sich nicht am Kreuzzug beteilige, weil er von solchen phantasievollen Expeditionen nichts halte, sei seine eigne Sache. Wenn der Kaiser sich um der imperialen Idee willen als alter Mann noch einmal solchen Strapazen aussetze, so brauche es noch lange nicht der ebenso alte Welf zu tun, zumal nicht gegen sein besseres Wissen und Gewissen.

– Gut. Daß der Kaiser recht hatte, vor dem Welfen auf der Hut zu sein, beweist dessen unerlaubte Rückkehr Ende Oktober und Unser neuer Krieg mit ihm. 135 Ich nehme an, daß man auch diese Ereignisse mit freudiger Genugtuung kommentiert?

– Man hält auch die Stellung Eurer Majestät in Deutschland für ungesichert und zieht daraus den Schluß, Sizilien habe keine Veranlassung, gegebenenfalls für ein geschwächtes Deutschland die Kastanien aus dem Feuer zu holen . . . Die Spekulation auf die sizilische Flotte sei etwas naiv und – nach deutschem Rezepte – voreilig gewesen. Es kursiert ein Wort des Kanzlers Ajellus: Manche Leute pflegten sich mit dem Gegenpol ihres Gesichtes in den Salat zu setzen, ehe er angemacht sei . . .

– Das Wort verdient behalten zu werden. Meinen Sie nicht auch, Konrad? Wissen Sie, Vaqueiras, wie es auf italienisch lautet?

Certe persone si mettono col contropolo della loro faccia nell' insalata prima che essa sia fatta . . .

– Klingt schön? Nicht? Wird noch schöner klingen, wenn Wir eines Tages statt ›certe persone‹ ›Traditori siciliani‹ sagen werden: die sizilischen Eidbrecher . . . Was sagt man zur Regelung der Hennegaufrage? Was zur Gründung der Westmark Namur?

– Geld habe keinen Geruch.

– Stimmt. Das dürfte man wohl aus eigner Erfahrung wissen . . . Haben Sie Äußerungen über den kastilischen Heiratsplan gehört? Weiß man, daß der Kaiser im Mai 88 in Seligenstadt die Verlobung Unseres Bruders Konrad mit der Erbprinzessin Berengaria von Kastilien beschwören ließ?

– Ja.

– Und was sagt man?

Nun log Vaqueiras. Er fühlte, daß der König und die 136 Königin es nicht ertragen hätten, zu hören, wie man die Heiratspolitik Barbarossas beurteilte.

– Ich habe nichts über diese Frage gehört, erwiderte er. Sie stand zur Zeit meines Aufenthaltes in Palermo nicht auf der Tagesordnung . . .

Er hielt, ohne mit der Wimper zu zucken, den fragenden Blick Heinrichs aus, während ihm das bitterböse Wort des jungen Grafen Avellino im Ohre nachklang: ›Das eine Land, Sizilien, wolle sich der Kaiser mit Hilfe einer alten Jungfer erschleichen, das andere, Kastilien, mit Hilfe eines dreijährigen Kindes. Die alte Jungfer und der Säugling würden bei der Operation draufgehn – und die Länder würden bleiben, wo sie sind‹ . . . Gewiß: das war eine Zote, die nach Pferdestall roch: aber sie zeigte immerhin, mit wie unbeirrbarer Witterung man in Barbarossa den kalten Geschäftemacher erkannte, der er zu allen Zeiten seines Lebens gewesen war.

– Wie denkt man über die Zustimmung des Papstes zu Unserer Kaiserkrönung? fuhr Heinrich in seinem Fragen fort.

– Man meint, bis dahin habe es gute Weile. Die Welt werde in einem Jahre anders aussehen. Es sei noch immer das Hemd dem Leibe näher gewesen als der Rock. Der König werde also besser daran tun, die Augen lieber auf das nahe Deutschland zu lenken als auf das entfernte Italien.

– Der König wird sich den Ratschlag zu Herzen nehmen. Er hat ja sonst keine Sorgen . . . Nun aber, lieber Vaqueiras, noch ein Letztes, Wichtigstes in diesem Verhör: Was wissen Sie Glaubwürdiges über die Rolle des Grafen Tankred von Lecce? 137

– Wenn in irgendeinem Punkte, so bin ich in diesem durch Richard Ajellus gut unterrichtet.

– Ist es wahr, daß sich Tankred lange gesträubt hat, als Kronprätendent aufzutreten?

– Das ist so wahr, als ich hier vor Eurer Majestät stehe.

– Er hatte also ein Rechtsgefühl, das ihn zaudern machte . . . Und was hat ihn bestimmt, schließlich doch in den Rechtsbruch zu willigen und die Königin Konstanze um ihr Erbe zu betrügen?

– Die Angst um sein Land. ›Folge ich nicht dem Ruf des Volkes, hat er sich gesagt, so wird einer der Feudalbarone den Thron besteigen. Was dann dem Lande bevorsteht, kann man sich an den fünf Fingern abzählen‹ . . .

– Und welche Garantien bietet seine Herrschaft?

– Das Volk steht hinter ihm. Das Heer. Die Flotte. Er empfindet sich als die Verkörperung der nationalen Regierung.

– Solange, als Wir es ihm erlauben . . . Haben Sie selbst den Grafen Tankred gekannt?

– Ja, Majestät.

– Hatten Sie nicht den Eindruck, daß er sehr ehrgeizig ist?

– Nein, Majestät. Ich hatte diesen Eindruck nur – von seiner Gattin, der Gräfin Sibylle . . .

– Ah – Sibylle! sagte Konstanze mit einem bösen Ton in der Stimme . . . Sind wir endlich da angelangt, wo der Hase im Pfeffer liegt . . . Glauben Sie mir: Sie allein – sie ganz allein ist die treibende Kraft in dieser Gaunerei. Sie müßte keine Acerra sein, um die Hand nicht im Spiel zu haben! Ich weiß, welche Fäden sie 138 schon im geheimen gesponnen hat, als die Verhandlungen um meine Verlobung im Gang waren . . . Ich weiß, welche Lügen sie über mein Vorleben ausgesprengt hat . . . Ohne Berechnung hätte sie doch wohl kaum den kleinen, häßlichen Tankred geheiratet – den »scimia di bronzo‹, wie wir ihn schon als Kinder nannten – den ›gelben Affen‹ . . . Nun, da fürs erste in Sizilien die Würfel gefallen sind, wird sie das Land regieren. In den Kulissen. Denn sie ist viel zu durchtrieben, um jemals ihre Karten aufzudecken . . . Sibylle von Acerra . . . Ich kenne sie besser, als sie ahnt. Sie vergißt, daß man den Tag nicht vor dem Abend loben soll.

– Ich glaube nicht, Majestät, daß ihr lange Zeit gelassen wird, den Tag zu loben. Es stehen dem Lande schwere Erschütterungen bevor. Richard Löwenherz kommt als Bruder der Königin-Witwe Johanna nicht in friedlicher Absicht. Wenn auch Philipp von Frankreich in Sizilien landet und der kaiserliche Angriff von Norden her fortgesetzt wird, dürfte die Gräfin Sibylle den Rausch der Krönungstage rasch vergessen . . .

– Erzählen Sie uns von Tankreds Krönung, sagte Konstanze.

– Sie war das Betrüblichste, das ich einen Tag nach meiner Ankunft sah. Im Drängen der Umstände eilig angeordnet, eilig vollzogen durch einen Erzbischof, den nicht etwa der Befehl des Papstes, sondern nur die kühlste Berechnung und Beherrschtheit gefügig erscheinen ließ. Wäre ich Tankred gewesen: ich hätte aus diesen Händen niemals die Krone empfangen mögen . . . Aber erschütternder, niederdrückender noch als der Anblick dieser Greisenhände, welche widerwillig die befohlene Amtshandlung vornahmen, war der 139 Anblick des Pöbels. Als ich diese jubelnde und johlende, urteilslose und wahllose Menge sah, welche einen politischen Akt, der ihr Untergang werden kann, wie ein Zirkusspiel genoß, das ihr die Drahtzieher mundgerecht gemacht hatten, faßte mich ein Ekel, den ich heute noch nicht verwunden habe. Ich mußte an den Junitag des Jahres 85 denken, als Eure Majestät die Brautfahrt in das kaiserliche Hoflager antraten . . . Lag nicht das gleiche Volk auf den Straßen bis nach Termini Imerese, schwenkte Tücher und Palmenwedel, streute Oleanderblüten und Zitronenlaub, sang Psalmen und Gebete – – und wollte sich nicht trennen können von der geliebtesten seiner Fürstinnen, die ihm durch ihre Ehe mit dem zukünftigen Kaiser jede Rückversicherung auf Frieden und Wohlstand gewährte? Als ich am Abend nach der Krönung im Garten bei Offamilio saß, sagte er mir: ›Berichten Sie dem König und der Königin: ausschalten durch Ungehorsam gegen den Papst durfte ich mich nicht. Die kaiserlich Gesinnten müssen ihre Hand im Spiele haben, wenn auch ganz im geheimen. Sie müssen da sein, wenn die Stunde schlägt. Sie wird schlagen, auch wenn ich sie nicht mehr erleben werde. Denn ich bin alt – und die Freudlosigkeit verlängert kein Leben. Sagen Sie der Königin, daß ich ihr – und mir selber treu bleibe bis zum Ende . . . ‹

– Ja, sagte wie aus großer Ferne der König, der Erzbischof hat recht . . . Die Stunde wird schlagen . . . Sie ist schon in mir . . . Sie wird aus mir heraustreten, wenn ich es für gut befinde . . . Die Menge wird wieder im Staube liegen und Palmen schwingen . . . Wir werden sie dieses Vergnügens nicht berauben . . . Ich danke Ihnen nochmals, Vaqueiras, für Ihren gewissenhaften 140 Bericht. Sie haben Uns eine Übersicht von nicht abzuschätzender Klarheit gegeben. Ich möchte meine Revanche nehmen. Äußern Sie einen Wunsch. Ich werde ihn erfüllen.

– Ich bitte Eure Majestät um die Lösung einer Formfrage: ich möchte der Stellung des kaiserlichen Adjutanten enthoben sein.

Konstanze machte ein paar Schritte gegen Vaqueiras:

– Träume ich? Sie wollen Uns verlassen? Jetzt – in diesem Augenblick?

– Niemals, Majestät. Meine Gesinnung ist Eurer Majestät bekannt und wohl auch durch die Tat erprobt. Es bereiten sich aber in Westeuropa Dinge vor, die es mir zur Pflicht machen, heute schon der Form nach genaue Neutralität zu bewahren. Ich bin weder Deutscher noch Sizilianer. Ich bin Tolosaner. Es bahnt sich ein Bündnis an zwischen England und Toulouse. Ziel dieses Bündnisses ist eine gemeinsame Politik gegen Frankreich und eine ebensolche für oder gegen Sizilien, je nachdem Tankred die gewaltigen Entschädigungsansprüche der Königin-Witwe Johanna und ihres Bruders Richard Löwenherz befriedigt oder nicht. Sowohl ein Zusammengehen Richards mit Tankred als ein Versuch, Sizilien für sich zu erobern, müssen den Zusammenstoß mit der hohenstaufisch-kaiserlichen Legitimitätspolitik nach sich ziehen. Treten diese Verwicklungen ein, so ist es unvorstellbar, daß ich, als Tolosaner, in kaiserlichen Diensten stehe. Niemandem würde aus einem solchen Dienstverhältnis Nutzen, allen aber Nachteil erwachsen. Ich selbst wäre in jedem freien und vermittelnden Handeln gehemmt und könnte in meinem Vaterlande leicht zum Verräter gestempelt 141 werden. Das wäre doppelt schmerzlich in einem Augenblick, wo ich einen langen Aufenthalt in Toulouse für notwendig halte. Es beginnt dort ein geistiger Kampf mit der Kurie zu entbrennen, an dem ich nicht unbeteiligt bleiben kann. Eure Majestäten wissen, daß ich von der Bewegung der Kátharer spreche. Ich halte mich – fern oder nah – zur Verfügung Eurer Majestät. Nur meine Beamtung ist aufgehoben – und damit der Form Genüge getan.

Langes Schweigen. Die Königin, von einer plötzlichen, wehen Beklemmung überkommen, hatte sich auf die Kissen der Fensterbank gesetzt und den Kopf gegen die laue Nacht gewendet – Konrad von Querfurt betrachtete, die Brauen hochziehend, nachdenklich das Innere der Handflächen – der König war aufgestanden und ging in großen Schritten durch den Raum . . . Schließlich sagte er:

– Ihre Gründe, Graf Vaqueiras, können nicht als nicht vertretbar bezeichnet werden. Selbstverständlich ist Ihnen die Entlassung bewilligt . . . Noch eine Frage: Sind Ihre Entschlüsse die Frucht Ihrer Gespräche mit Richard Ajellus?

– Nein, Majestät. Richard Ajellus hat keinen Einfluß auf mich. Eher ist das Umgekehrte der Fall. Könnte er, wie er möchte: er stünde sehr wahrscheinlich da, wo ich stehe. Sein Geist liebt, wie meiner, die Weite und den großen Zusammenhang. Die kaiserfeindliche Haltung seines Vaters und seiner Familie hemmt ihn. Er sieht – wie ich – in dem kaiserlichen Gedanken den Gedanken des Ausgleichs nationaler Kräfte im Schutze eines eindeutig übergeordneten Willens. Aber das darf er nur denken – nicht aussprechen. 142

Heinrich erhob sich:

– Ich werde Sie sehr wahrscheinlich heute abend spät noch einmal zu mir bitten lassen. Ich nehme an, Sie speisen bei der Königin . . . Kommen noch andere Gäste?

– Ich habe nur die Familie des Herrn von Ingelheim gebeten, sagte Konstanze. Lothar, den ich Ihnen in Como vorstellte, ist für die Osterferien von Paris gekommen, wo er studiert. Wir werden bestimmt allerlei Neuigkeiten hören. Können Sie es nicht möglich machen, wenigstens eine Stunde bei uns zu sein?

– Schwerlich. Ich habe keine Zeit. Ich muß Weisungen an Berthold von Künsberg nach Italien gehen lassen. Noch diese Nacht. Und den Erzbischof Konrad hören.

– Schade.

– Ich möchte diesen jungen Ingelheim sehen. Bitten Sie ihn auf morgen nachmittag in die Pfalz nach Mainz zu mir. Ich entsinne mich seiner genau. Seine erstaunliche Ruhe fiel mir auf

Der König und Konrad von Querfurt verabschiedeten sich. Als die Vorhänge über der Tür gefallen waren, ging Konstanze hastig auf Vaqueiras zu:

– Pedro, sagen Sie die schonungslose Wahrheit – mir allein –: ist dort unten – alles verloren?

– Verloren? Nein. Aber der Krieg wird lange werden – schwer und lange . . .

– Nun: so muß er geführt werden . . . Er ist nicht das Schlimmste . . . Wissen Sie, was das Schlimmste ist?

– Ich weiß es . . .

– Sagen Sie es . . . 143

Vaqueiras schaute sich um . . . Dann flüsterte er:

– Der Haß gegen die Deutschen . . .

– Nein: der Haß gegen – das Deutsche . . .

 

Es ging auf Mitternacht, als der König nach Vaqueiras schickte. Die Familie des Herrn von Ingelheim war eben im Aufbruch. Die Stunden waren hingeflogen. Die Weite der Welt war mit den Erzählungen Lothars aus Sizilien und Romanien in die Stille der deutschen Kaiserpfalz gerauscht . . . einer Welt voll Bläue, Wind und Meer, voll Gelsomin-, Limonen- und Datturaduft – einer Welt voll hoffnungslosen Heimwehs, war es in der Königin aufgebrannt, als sie plötzlich – wie Odysseus vor Demodokos – den Kopf im Futter des weiten Ärmels geborgen hatte . . .

Die Eltern Lothars waren schon auf den Flur getreten, wo die Diener mit den Mänteln und Fackeln warteten – er selbst blätterte noch in einem Kanzonenbuch, das Vaqueiras der Königin aus Palermo mitgebracht hatte. Das Licht der Kerze fiel von der Seite auf seinen hohen, dunkelblonden Hinterkopf und ließ den Ansatz des Halses über dem Ausschnitt der hellblauen Seidentunika in einem Hauch von Kupfer erscheinen . . .

Konstanze machte Vaqueiras ein Zeichen . . . Auch ihn hatte das Bildnis dieses gesenkten Kopfes schon in seinen schwermütigen Bann gezogen. 144

– Er ist nur um ein Jahr jünger als der König, flüsterte sie . . .

– Er ist ohne Alter, sagte Vaqueiras, wie alles Schöne.

 

Der König aß gerade ein Stück kaltes Geflügel, als Vaqueiras das stark geheizte Zimmer betrat.

– Mein Abendessen . . . ich hatte vorher keine Zeit. Dichter haben es besser. Trinken Sie noch einen Markobrunner mit mir – und setzen Sie sich dort in die Ecke zu Herrn von Querfurt. Es ist eng hier. Die Stühle liegen voller Pergamente . . . Sie haben sich wohl mit einigem Staunen gefragt, warum ich Ihnen Ihren Schlaf kürze . . . Hören Sie, Vaqueiras, wir wollen in medias res gehen: Sie müssen bald, sehr bald nach Toulouse reisen. Nicht mehr als Adjutant: aber als der Freund der Königin – und vielleicht auch ein wenig als der meine . . . Sie müssen Uns diesen Dienst noch erweisen: es darf zu keinem Bündnis zwischen England und Romanien kommen.

– Nein, Majestät, es darf unter keinen Umständen zu einem solchen Bündnis kommen.

– Vaqueiras: die Kurie wird nicht mehr lange mit verschränkten Armen den Dingen zusehen, die sich da drüben vorbereiten . . . Raimon von Toulouse ist mit meiner Base Richilde de Provence in zweiter Ehe verheiratet. Geben Sie ihm zu verstehen, daß ihn der deutsche König vor Übergriffen der Kurie schützen 145 wird, wenn man ihn um Hilfe angeht . . . Das Arelat ist Romanien näher als England – und der deutsche König eine andere Gewähr als der abenteuerliche Richard Löwenherz . . . Werden Sie dieses Mal noch für Uns gehen?

– Ich werde gehen.

– Wann?

– Nach Ostern.

– Über das Ihrer Heimat nahe Arelat erreicht uns jederzeit sichere Nachricht durch die kaiserlichen Kuriere . . . Es ist noch etwas, das ich auf dem Herzen habe: Sie haben uns heute eine Darstellung der sizilischen Verhältnisse gegeben, welche an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Es war gut, daß Sie dies taten, obwohl mir die Wirkung Ihrer Schilderung auf die Königin nicht gleichgültig sein kann. Es muß vermieden werden, daß die Königin – und sei es auch nur vorübergehend – mutlos wird. Sie kennen ihren angeborenen Hang zur Schwermut und den wenig erfreulichen Zustand ihrer Gesundheit. Schonen Sie sie. Legen Sie ihr immer wieder nahe, die deutschen Dinge und Menschen nicht aus dem Gesichtswinkel der Lateiner heraus zu sehen . . . Vaqueiras: es kommt mir nicht ungelegen, daß Sie auf einige Zeit verreisen – es kommt mir nicht ungelegen, daß die Königin sich einmal ohne den täglichen Gedankenaustausch mit Ihnen zurechtfinden muß . . .

– Ich glaube nicht, daß ihr dies schwerfallen wird. Sie sieht die Dinge in ihrer ganzen Unerbittlichkeit – das ist besser, als daß sie sich in falschen Hoffnungen wiegt. Für gut würde ich es allerdings halten, wenn ihr zur persönlichen Dienstleistung ein deutscher 146 Adjutant gegeben werden könnte, sofern sie darin einwilligt.

– Die Vorsehung, welche mir so oft schon bitterfeindlich und so oft auch schon freundlich gesinnt war, scheint uns Ihren Nachfolger ja schon zugeführt zu haben: Lothar von Ingelheim . . . Die Königin hat mich einige seiner Briefe aus Paris lesen lassen – ich glaube, daß da ein bedeutsamer junger Mann heranwächst, den sich der Hof sichern muß.

– Möglich, sagte Vaqueiras. Jedenfalls würde Lothar von Ingelheim der Königin ein vorzüglicher Vermittler deutscher Bedeutsamkeit sein . . .

Heinrich kniff die Augen, wollte etwas erwidern, lauschte aber plötzlich auf Stimmen, die sich vor der Tür vernehmen ließen . . .

– Was ist da draußen los? rief er.

Der Graf Querfurt öffnete . . . Ein übermüdeter Reiter erschien und übergab ein gesiegeltes Schreiben.

– Woher?

– Vom Herzog von Spoleto über Mailand-Straßburg.

Konrad erbrach die Siegel und hielt das Pergament dem König hin . . .

Heinrich las:

›Die kaiserlichen Truppen sind von den apulisch-sizilischen bei Sora geschlagen worden. Der General von Lützelinhard war gezwungen, die besetzten Plätze zu räumen und sich über die Grenzen zurückzuziehen. Entsendung großer Streitkräfte ist unerläßlich.‹

 


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